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Empfehlung für Drachenfans: Die Akademie der Götter von Elisa S. Amore Tochter der Drachen – Der bewegende USA Today Bestseller über ein Mädchen mit einem gebrochenen Bein und ihren liebenswerten Drachen. "Nimm es nicht persönlich, aber niemand von uns will sich mit dir anfreunden. Wir wissen alle, dass du in den ersten paar Stunden sterben wirst." Seit sie als Kind einen Unfall erlitt, hat Amel ein steifes Bein. Und seit diesem Tag dreht sich ihr ganzes Leben um diese Tatsache. Andere ignorieren, verachten, oder schlimmer noch bemitleiden sie. Aber keiner lässt sie auch nur für eine Sekunde vergessen, dass sie das Mädchen ist, das nicht richtig laufen kann. Amel hat genug davon. Sie entscheidet sich etwas Radikales zu versuchen. Denn jeder, egal ob arm oder reich, egal ob hübsch oder hässlich, egal ob gesund oder ein Krüppel, darf sich den Drachenreitern anschließen. Allerdings überleben nur die wenigsten diese Entscheidung. Und als Amel in der Drachenschule auftaucht, gibt ihr niemand die geringste Überlebenschance. Doch zur Überraschung aller verfügt Amel über eine besondere Verbindung zu den wilden Bestien. Denn Amel ist weit mehr als nur das Mädchen mit dem schlechten Bein. Sie ist eine wahre Drachenreiterin. Sie ist die Tochter der Drachen
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Seitenzahl: 407
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DIE DRACHENSCHULE
BUCH 1
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Kapitel 51
Kapitel 52
Kapitel 53
Kapitel 54
Kapitel 55
Kapitel 56
Kapitel 57
Kapitel 58
Kapitel 59
Kapitel 60
Kapitel 61
Kapitel 62
Kapitel 63
Kapitel 64
Kapitel 65
Kapitel 66
Kapitel 67
Kapitel 68
Kapitel 69
Kapitel 70
Kapitel 71
Kapitel 72
Kapitel 73
Kapitel 74
Kapitel 75
Kapitel 76
Ich konnte es gar nicht erwarten, meinen Drachen auszuwählen.
Das war der Teil, über den alle redeten und von dem ein Drachenreiter einmal seinen Kindern erzählte. Vorausgesetzt natürlich er lebte lang genug, um Kinder zu haben.
Denn Drachenreiter lebten selten lang. Die meisten nur ein paar Tage.
Aber waren ein paar Tage in der Luft auf einem Drachen nicht mehr wert als Jahre auf dem Boden?
Einen Drachen auszuwählen, bedeutete auch, sich einer Farbe anzuschließen. Drachen gab es nur in bestimmten Farben, und die Farbe, die man auswählte, bestimmte die Rolle, die man für den Rest seines kurzen oder langen Lebens als Drachenreiter innehaben würde.
Ich wollte einer Farbe beitreten und einen Sinn in meinem Leben finden. Von einer Frau mit einem schlechten Bein wie mir erwartete niemand viel. Die meisten wollten nur, dass ich ihnen aus dem Weg ging. Aber ich wusste, ich konnte mehr.
Wir saßen am Rande der hohen Klippen und zitterten vor Aufregung. Der Wind wirbelte über die schwarzen Felsen und drängte uns zum Rand hin, als erwartete der Wind von uns, dass wir und nicht die Drachen, uns in die Luft erheben und fliegen würden. Die hoch über uns aufragenden Drachenhöhlen waren so majestätisch wie die Legenden über die riesigen Bestien. Dabei waren das nicht einmal die prächtigsten Drachenhöhlen des Reichs, sondern nur die der Drachenschule.
Trotzdem versetzten mich ihr Anblick und ihre schiere Größe in Ehrfurcht.
Unser Lehrer, Grandis Dantriet, schritt vor uns her, die Hände auf dem Rücken verschränkt, die straffen Muskeln von Lederriemen und wallenden Seidentüchern umschlossen. Er trug sein weißes Haar nach Art der Drachenreiter - lang und mit dünnen Zöpfen zwischen den Strähnen.
"Heute wählt ihr euren Drachen aus, und diese Wahl wird euer gesamtes weiteres Leben bestimmen."
Bei diesen Worten ging ein Raunen durch unsere Reihen. Ich blickte auf ein Mädchen mit silberblondem Haar und einem hauchdünnen Kleid aus Himmelsseide neben mir. Sie gehörte mindestens zum Hochadel, und ihr kalter Blick verriet mir, dass sie sich nicht um meine Aufmerksamkeit scherte. Wahrscheinlich würde sie als eine der ersten wählen. Die Wohlhabenden und Mächtigen durften sich ihre Drachen zuerst aussuchen. Ich brauchte nicht zu raten, wer zuletzt wählen würde - ich. Und bei meinem Glück würde ich einen mürrischen, hässlichen, warzenbedeckten Drachen bekommen. Doch selbst wenn, wäre ich immer noch dankbar. Ich war hier, um einen Drachen zu reiten, nicht um hübsch dabei auszusehen.
Ich richtete meine Krücke und sah interessiert zu, wie Grandis Dantriet ein Stück Kreide nahm und unsere Namen auf eine Tafel zwischen den Höhlen schrieb. Neben jedem Namen befand sich ein schwarzes Feld. In dieses sollte nun der Name unseres Drachens eingetragen werden. Ich spürte, wie mein Herz schneller schlug. Auch wenn ich als Letzte wählen würde, auch wenn ich das Nachsehen haben würde, spürte ich einen Schauer.
Ich würde einen Drachen wählen.
Ich würde eine Drachenreiterin sein.
Grandis Dantriet nahm ein gebogenes Widderhorn von der Wand und blies hinein. Der mächtige Ton ließ uns erzittern, als könnte er uns damit von den Klippen blasen. Die anderen blickten ängstlich um sich, aber ich behielt den Grandis im Auge. Ich würde mich nicht von meiner Angst aufhalten lassen - nicht jetzt und auch sonst nicht.
Aus jeder Höhle trat jetzt ein Drachenreiter hervor, ihre Seidenschals flatterten im starken Wind. Alle hatten den gleichen eiskalten Gesichtsausdruck. Worte - zu klein, um sie von hier aus lesen zu können - waren in die Lederriemen ihrer Kleidung eingebrannt. Versprachen sie sich von diesen Worten Glück oder Sicherheit? Zollten sie damit jemandem Tribut? Waren es Worte an die Götter?
Ich hatte keine Zeit, darüber nachzudenken, denn der Grandis blies erneut in das Horn und die Drachenreiter zogen dunkle Stöcke aus ihren Gürteln. Zumindest dachte ich, dass es Stöcke waren, bis aus den Enden straffe Riemen schossen und sie mit den Peitschen - es waren Peitschen – knallten.
Unter Gebrüll und Schwefelgeruch ragten Drachenköpfe aus den Höhlen. Ein böser Blick fixierte mich. Eine schwarze Pupille zog sich durch ein oranges Auge. Es wirkte wie ein Fenster zur Hölle.
Ich spürte, wie mir ein weiterer Schauer über den Rücken lief, aber mit ihm kam auch eine schwindelerregende Aufregung.
Genau deshalb war ich schließlich hier.
Der Grandis senkte das Horn und rief den ersten Namen auf.
"Hohe Kastellanin Savette Leedris."
Das Mädchen mit den silberblonden Haaren trat mit einem an mich gerichteten Lächeln vor.
Wie ich erwartet hatte.
Savette schritt die Reihe der Drachen so selbstsicher ab, als würde sie den Stoff für ihr nächstes Kleid auswählen. Ein grüner Drache schnappte mit seinem Maul nach ihr, und obwohl sein Kopf größer war als ihr ganzer Körper, zuckte sie nicht zurück. Sie war mutig, das musste ich zähneknirschend anerkennen.
Savette blieb vor einem leuchtend roten Drachen, mit eng angelegten Schuppen stehen. Sie hob ihr Kinn, sah den Grandis an und nickte. Der Grandis schnippte mit den Fingern und eine Drachenreiterin peitschte den Drachen zurück in seine Höhle. Neben ihrem Namen auf der Tafel stand nun: Eeamdor.
Ich spürte, wie sich zu meiner Aufregung ein Anflug von Neid mischte. Was für ein schöner Drache! Was für ein Gefühl es sein musste, sich ein so erstaunliches Geschöpf aussuchen zu können!
Der nächste war ein weiterer Hochkastellan - Daedru Tevish. Er wählte einen kräftigen, goldenen Drachen - Daacdid. Daacdids Löwenmähne und seine glitzernden schwarzen Augen blitzten in der Sonne. Ich beneidete ihn nicht um seine Wahl, obwohl mir die Philosophie der goldenen Farbe gefiel - die Goldenen waren Diplomaten. Die goldenen Farben leuchteten am hellsten, wenn es darum ging, Frieden zu stiften, Streitigkeiten zu schlichten und Grenzen zu vereinbaren. Sie hatten nichts mit Rot zu tun - der Farbe des Krieges. Daedru und Savette verfolgten von diesem Moment an unterschiedliche Ziele.
Ich war zu nervös, um mich an die Namen all derer zu erinnern, die ihren Drachen auswählten, aber mir fiel auf, dass für die meisten die Farbe des Drachen die wichtigste Rolle spielte. Ob elegant oder kräftig, ob aggressiv oder sanftmütig schien egal zu sein. Aber je weniger Drachen übrig waren, desto nervöser wurden diejenigen von uns, die übrig blieben. Als nur noch drei von uns übrig waren, wählte der lockige Junge neben mir mit fast panischer Eile den letzten schwarzen Drachen. Er wollte unbedingt der Farbe der Türme beitreten - um unsere Himmelsstädte zu bauen, zu verteidigen und zu erweitern. Das erschien mir nicht sehr aufregend, aber ich hätte diesen Drachen dankbar genommen, genauso wie den roten Drachen daneben, der so fürchterlich stank, dass ich befürchtete, mich jeden Moment übergeben zu müssen.
Ich würde die Letzte sein, wie ich es geahnt hatte. Es war schwer, von dort, wo wir jetzt standen, überhaupt noch Drachen zu sehen. Alle Drachen in unserer Nähe waren vergeben. Es war nur noch ein Junge vor mir dran. Er lief die lange Reihe der Höhlen entlang und dann zurück in die andere Richtung und sprang von einer der Höhlen zurück, als der Drache darin nach ihm schnappte. Er stolperte auf den Rand der Klippe zu und wäre um ein Haar gestürzt, bevor er zittrig auf eine Höhle zeigte, die ich nicht sehen konnte. Der Jubel derjenigen, die Grün gewählt hatten, verriet mir, dass er zu den Entdeckern gehören würde. Ich wusste nicht, wozu ich gehören würde, aber ich war froh, überhaupt irgendwo dazuzugehören.
Ein Kichern ging durch die Gruppe, und riss ab, als ich mich umdrehte. Sie lachten über mich - natürlich - aber ich konnte nicht sagen, wer angefangen hatte. Ich vermutete, dass es Savette gewesen war, aber das lag vielleicht nur daran, dass ich niemandem traute, der sich Himmelsseide leisten konnte. Der Grandis schaute mir in die Augen. "Amel Leaf."
Ich trat vor, stützte mich auf meine Krücke und bemühte mich um einen ruhigen Gang, denn ich wusste, dass ich nicht anmutig wirken würde. Ich folgte der Reihe der Höhlen, mein Schritt wurde durch mein steifes Bein verlangsamt. Zu meiner Erleichterung starrten die Drachenreiter unbeirrt geradeaus und schenkten meinem unbeholfenen Gang ebenso wenig Beachtung wie dem der anderen.
Ich hatte noch keinen Drachen gesehen, aber ich glaubte, vor mir einen zu erkennen. Ein rubinroter Kopf ragte aus einer Höhle hervor, brüllte und zog sich mit einem Schnauben zurück. In der nächsten Höhle warf ein Weißer einen kurzen Blick auf mich, bevor er sich wieder zurückzog. Es waren schon viele Weiße ausgewählt worden. Wäre es nicht ironisch, wenn ich mich für die Farbe der Heiler entschied? Ich mit dem verkrüppelten Bein?
Ein paar Höhlen weiter starrte mich ein kräftiger, stark geschuppter Roter mit orangefarbenen Augen an. Ich schluckte schwer. Man brauchte Nerven aus Stahl, um einen solchen Drachen zu reiten. Wäre es nicht genauso seltsam für mich, das Rot des Krieges zu wählen wie das Weiß der Heilung? Was hatte ich einem von ihnen zu bieten?
Plötzlich hörte ich eine Stimme in meinem Kopf.
Worte der Wahrheit.
Ich erstarrte. Hörte ich Stimmen?
Du hörst einen Drachen.
Ich riss verblüfft den Mund auf. Warum hatte mir nie jemand gesagt, dass Drachen in unsere Gedanken eindringen konnten?
Du wirst heute keinen Drachen wählen.
Ich schüttelte energisch den Kopf. Doch ich würde einen Drachen wählen! Tränen stiegen in mir hoch, aber ich versuchte sie zu unterdrücken. Selbst dieser Drache glaubte nicht, dass ich hier sein sollte. Aber ich durfte nicht zulassen, dass diese Stimme mich verunsicherte. Ich müsste mich schnell entscheiden, bevor mir diese Chance entrissen wurde. Ich ging auf den weißen Drachen zu. Ich würde eine Heilerin werden. Ironie hin oder her, es war kein schlechter Weg.
Halt.
Ich erstarrte.
Du wirst heute keinen Drachen wählen, denn dein Drache hat dich gewählt.
Ein Kopf lugte aus einer Höhle am anderen Ende hervor. Ich konnte nicht einmal erkennen, welche Farbe er hatte.
Ist es wichtig, welche Farbe ich habe?
„Nein“, dachte ich.
Gut. Aber wir mögen Menschen nicht besonders.
Drachen mochten keine Menschen? Warum gab es dann überhaupt Drachenreiter?
Mit 'wir' meinte ich die violetten Drachen.
Er sagte es in dem Moment, als ich endlich nahe genug war, um sein kräftiges Violett zu erkennen und zu sehen, wie sein großes gelbes Auge mir zuzwinkerte. Ich keuchte auf. Er war wunderschön - schlank und lieblich. Ich streckte eine Hand aus, um ihn zu berühren, aber eine Hand in Lederhandschuhen riss meine Hand weg. Der Drachenreiter, der am Eingang der Höhle stand, starrte geradeaus, als ob ich nicht da wäre, obwohl seine Hand mein Handgelenk eisern umklammerte.
"Er reißt dir die Hand ab. Fass ihn nicht an."
"Wie wähle ich ihn dann aus?"
Der Drachenreiter sah mich jetzt doch an. Er war jung für einen Reiter - nicht viel älter als ich -, sein Kopf wahr kahlgeschoren und seine Miene streng, was nicht zu dem überschwänglichen, jugendlichen Blitzen in seinen Augen passte.
"Such dir einen anderen Drachen aus. Violette Drachen - nun ja, sie sind störrisch und schwierig. Sie haben ihren eigenen Kopf. Selbst wenn du körperlich unversehrt wärst, würde ich nicht darauf wetten, dass du auch nur eine Woche auf einem violetten Drachen überlebst."
Ich schluckte. Er hatte mein Hinken bemerkt. Ich biss mir auf die Innenseite der Wange. Natürlich hatte er es bemerkt. Es war das Erste, was jemand an mir sah. Es war das Merkmal das mich ausmachte. Zumindest in den Augen aller anderen.
Doch mein Hinken machte mich nicht aus. Das würde ich mir und allen anderen beweisen, und ich würde damit beginnen, indem ich diesen Drachen auswählte. Ich schüttelte die kräftige Hand von meinem Handgelenk, blickte dem Drachenreiter direkt in die Augen und streckte meine Hand weiter in die Nische. Das gelbe Auge blinzelte nicht, aber er spuckte mir auch kein Feuer entgegen und riss mir den Arm nicht ab. Stattdessen stieß er etwas Rauch aus, und ich unterdrückte ein Fluchen, als die Haut meines Arms errötete und kribbelte.
"Ich wähle diesen Drachen", sagte ich so laut, dass Grandis Dantriet am anderen Ende der Höhlenreihe es hören konnte.
"Er muss dich mögen", sagte der Drachenreiter neben der Nische. "Dieses leichte Brennen ist wie ein Liebesbeweis von ihm. Sei vorsichtig. Das nächste Mal wird er dir das Fleisch von den Knochen brennen."
Ich nickte, drehte mich und humpelte davon.
Ein Anflug von Aufregung stieg in meiner Brust auf. Ich wünschte, ich wüsste seinen Namen.
Raolcan.
Ich hörte ihn im selben Moment in meinen Gedanken, als ich ihn an der Tafel las.
Irgendwie spürte ich, dass dieser Name mein Leben für immer verändern würde.
Als ich siebzehn Monate alt war, überfielen Räuber unser Dorf. Meine Eltern schnappten uns Kinder und rannten in den Wald, wie alle anderen auch. Mein Großvater trug mich. Ich war das fünfte von sieben Kindern, und obwohl damals nur sechs von uns geboren worden waren, hatten meine Eltern alle Hände voll zu tun. Als wir die Lehmklippen hinaufkletterten, verlor mein Großvater den Halt und stürzte, wobei er mich fallen ließ und auf mir landete. Er brach mir das Bein und die Hüfte. Es verheilte zwar, aber ich war nie wieder dieselbe. Ich machte meinem Großvater keinen Vorwurf. Wir standen uns bis zu seinem Tod nahe, aber immer, wenn er mich ansah, lag eine gewisse Traurigkeit in seinem Blick. Ich glaube, er konnte in mir sehen, was ich hätte sein können, wenn der Unfall nicht passiert wäre. Aber das war es ja - er war passiert, und sich etwas anderes zu wünschen, war dumm und hielt mich nur zurück. Das wollte ich nicht zulassen. Ich war fest entschlossen, nicht geringer zu sein als jemand mit zwei gesunden Beinen.
Wenn die Leute mir nur nicht immer alle dieses verkrüppelte Bein unter die Nase reiben würden. Das störte mich am meisten. Ich hatte nichts falsch gemacht - mir war etwas Falsches passiert - also warum taten alle so, als wäre ich daran schuld?
Ich humpelte mit den anderen Anwärtern den langen Felsvorsprung entlang und konnte hören, wie sie über mich tuschelten. Die meisten Menschen neigten dazu, sich zurückzuziehen, wenn sie wussten, dass ihnen das, was sie hörten, nicht gefallen würde. Ich hingegen konnte nicht anders, als zuzuhören.
"Warum ist sie überhaupt hier? Es ist doch klar, dass sie nicht in der Lage ist, einen Drachen zu reiten, geschweige denn einen zu trainieren."
"So lauten die Regeln, Strohhirn. Die Drachenreiter müssen jeden aufnehmen, der sich für die Ausbildung bewirbt. Das ist der Kodex." Das war das arrogante Mädchen, Savette. Sie musste auch schlau sein. So war das Leben. Es gab den einen alles und den anderen nichts, um die Dinge auszugleichen.
"Auch wenn sie am ersten Tag der Ausbildung stirbt?"
"Es ist normal, dass Menschen sterben. Ich hoffe nur, dass es die Schwachen bald erwischt. Drachenreiter müssen stark und konzentriert sein. Wir brauchen keine Krüppel oder Schwächlinge." Das war der Junge namens Daedru. Er hatte die Farbe der Diplomaten gewählt. Vielleicht sollte er seine Wahl noch einmal überdenken. Nicht, dass er das jetzt könnte. Wir hatten die Farben unserer Drachen angenommen, für immer. Es gab keine andere Wahl mehr für uns. Ich wusste das, und deshalb war ich hier. Meine Eltern liebten mich, und sie würden mich beherbergen und mir helfen, solange ich lebte, aber ich sah auch, wie wenig wir hatten und wie viel es kostete, jemanden zu ernähren, vor allem, wenn dieser Jemand keine Hilfe beisteuern konnte. Wenn ich hätte heiraten können, wäre ein Dasein als Ehefrau eine Option gewesen. Kinder großzuziehen und den Haushalt zu führen war harte Arbeit, die aber nicht so viel Muskelkraft erforderte. Aber mit meiner kaputten Hüfte sagten die weisen Frauen, dass ich keine Kinder gebären könnte, also kam das nicht in Frage. Ich würde entweder als Drachenreiterin leben oder sterben. Das würden wir alle. Es gab kein Zurück mehr, wenn man einmal rekrutiert worden war.
Wenigstens würde ich meiner Familie nicht mehr zur Last fallen. Ich könnte unabhängig sein und meinen Lebensunterhalt selbst verdienen - oder bei dem Versuch sterben.
"Wie soll sie hier überhaupt von A nach B kommen?"
Ich seufzte ein wenig, denn das war etwas, was mir tatsächlich Sorgen bereitete. Die Drachenschule befand sich an der Seite eines massiven Felsvorsprungs. An der Seite des Berges waren Höhlen eingerichtet, die als Ställe, Schlafsäle, Bankettsäle und Studierzimmer für die Lehrer und Schüler dienten. Außerdem gab es Unterkünfte für Gäste, eine Waffenkammer und Lagerräume. Jedes dieser Gebäude war durch lange, schmale äußere Simse und spiralförmige Stufen oder Leitern verbunden, die zwischen den Ebenen auf- und abführten. Das Erklimmen der Leitern zu den Ställen auf der obersten Ebene hatte mich heute Morgen meine ganze Kraft gekostet, und ich hatte dennoch viel länger als die anderen Schüler gebraucht. Allein der Weg von einem Ort zum nächsten würde mich meine ganze Ausdauer kosten. Wenigstens würde ich gut in Form sein.
"Hey, Mädchen", rief mir einer der anderen zu. "Das Abendessen beginnt beim vierten Glockenläuten. Wenn du nicht rechtzeitig da bist, nehme ich deine Portion."
Er konnte so viel Essen nehmen, wie er wollte, meinen Traum würde er mir trotzdem nicht nehmen. Ein wenig Hunger war für mich nichts Neues.
Als ich den Speisesaal erreichte, war die Mahlzeit bereits in vollem Gange. Lange, mit weißen Tüchern bedeckte Tische waren mit Speisen überhäuft. Der Geruch von Lachs mit Zitronensauce stieg mir in die Nase. Die Tische in der Nähe der weit geöffneten Fenster waren mit Blumen bedeckt und eindeutig für die älteren Drachenreiter und Ausbilder bestimmt. Ich sah Grandis Dantriet an einem von ihnen essen. Er war der einzige Ausbilder, den ich bisher getroffen hatte. Er hatte uns heute Morgen auf dem Boot empfangen, bevor wir zum Fuß des Berges fuhren. "Neue Rekruten?", hatte er unwirsch gefragt. Auf unser Nicken hin fuhr er fort: "Indem ihr dieses Boot besteigt, bestätigt ihr, dass ihr eure Rekrutierung bei den Drachenreitern akzeptiert. Keinem Rekruten wird die Aufnahme verweigert, aber jedes Jahr sterben viele Rekruten und diejenigen, die keinen Drachen zähmen können, verlassen die Ausbildung und werden Diener der Drachenreiter. Der einzige Ausweg aus diesem Leben ist der Tod, egal ob ihr edlen oder niederen Standes, groß oder klein, krank oder gesund seid. Akzeptiert ihr das alle?"
Wir stimmten im Chor ein "Ja" an, als er dem Fährmann ein Zeichen gab, uns über den Fluss zu bringen. Von der Fähre aus gingen wir direkt zu den Ställen hinauf. Es war seltsam, festzustellen, dass er ein gewöhnlicher Mann war, kein großer, goldbehangener Halbgott, vor dem wir uns zu verbeugen hatten. Doch selbst dieses Wissen minderte meine Ehrfurcht nicht. An dem Tisch, der am weitesten von den Fenstern entfernt war, saßen die Rekruten, mit denen ich gekommen war, in einer dunklen Ecke. Sie saßen in einer Reihe auf Bänken und aßen schweigend. Ich setzte mich an das Ende der Bank. Keiner sah mich an, aber das war mir egal. Es gab noch Lachs, und ich hatte in der letzten Woche, als ich unterwegs war, nicht mehr als ein paar Brotreste gegessen. Ich war per Anhalter von Stadt zu Stadt gereist mit den Wagen der Bauern oder Händler - mit jedem, der bereit war, einen Passagier mitzunehmen. Sie verlangten nichts - außer einem Gespräch - und es war sicherer, als zu Fuß zu gehen, wo Diebe oder Trunkenbolde einer einsamen Reisenden gefährlich werden konnten.
"Warum können wir uns nicht zu ihnen setzen?" Ein dunkelhaariger, gut aussehender Junge deutete auf den Tisch neben unserem. Die Leute an diesem Tisch waren in unserem Alter, aber sie trugen alle graue, eng anliegende Lederkleidung, die an der Taille, an den Ellbogen, an den Knien und praktisch überall sonst mit Schnallen fest verschlossen war. Sie sahen fast so aus wie Drachenreiter, nur dass sie keine Zöpfe oder Seidentücher trugen, und die echten Drachenreiter trugen schwarzes Leder.
Savette verdrehte die Augen. Langsam fand ich ihre arrogante Art unterhaltsam. Wenigstens war es sehr informativ, ihr zuzuhören. "Sie sind Eingeweihte. Sie befinden sich eine Stufe über uns. Wenn wir unsere Drachen zähmen, sodass sie geritten werden können, dann werden wir in die Gemeinschaft der Drachenreiter eingeführt, und wir werden dort sitzen."
Der dunkelhaarige Junge lächelte sanft, als er erneut sprach. Flirtete er etwa? "Und was ist mit denen?" Er deutete auf einen anderen langen Tisch. Diese Leute waren etwas älter und trugen braune Lederkleidung mit einem oder zwei seidenen Tüchern. Einige trugen einen Zopf im Haar, andere nicht. Ich war froh, dass er gefragt hatte. Im Gegensatz zu anderen hier hatte ich in meiner Kindheit mehr darüber gelernt, wie man Getreide zu Mehl mahlte und den Pflug richtig einölte als über das Innenleben der Drachenschule.
"Das sind Vereidigte. Sie sind in die nächste Ausbildungsstufe aufgestiegen und haben dem Dominar ihren Eid geschworen. Einige von ihnen bekommen bereits Aufgaben übertragen und werden von vollwertigen Drachenreitern individuell ausgebildet. Ernsthaft, Jael, haben dir deine Lehrmeister nichts beigebracht?"
"Sie hatten nicht deine wohlklingende Stimme, Savette."
Sie verdrehte die Augen, aber so wie sich ihre Wangen röteten, schien ihr das Kompliment zu gefallen.
"Und was ist mit den Tischen mit den bunten Farben?", fragte ich, so vertieft in die Erklärung, dass ich mich selbst vergaß.
Der Tisch verstummte und die Leute, die am nächsten zu mir saßen, blickten weg. Savette konzentrierte sich auf ihr Essen, als müsste sie sich auf eine Prüfung über den Inhalt ihres Tellers vorbereiten. Der gut aussehende Jael ergriff nach langen Minuten des Schweigens das Wort.
"Nimm es nicht persönlich, aber niemand von uns will sich mit dir anfreunden. Wir wissen alle, dass du in den ersten paar Stunden sterben wirst und ... nun, die Sache ist ... nun ..." Sein Blick war voller Mitleid, als er seine Worte verschluckte.
"Was er sagen will, ist, dass wir nicht wollen, dass es uns leidtut, wenn du stirbst. Du hättest gar nicht erst hierherkommen sollen", sagte Savette barsch.
Ich biss in mein Brot und unterdrückte ein paar Tränen. Ihre Worte schmerzten. Und sie waren nicht wahr. Ich würde nicht in den ersten paar Stunden sterben. Und ich würde einen Weg finden, ihnen zu zeigen, dass ich ihr Mitleid ebenso wenig brauchte wie ihre Hilfe.
"Das sind Farbenträger", sagte das Mädchen neben mir. Ihre Augen waren strahlend blau. Die Worte sprudelten aus ihr heraus, als hätte sie sich bisher zurückgehalten. "Deshalb haben ihre seidenen Tücher an jedem Tisch eine andere Farbe. Noch sind sie keine vollwertigen Drachenreiter, aber das werden sie schon bald sein. Sie sind in ihre Farbe aufgenommen worden und müssen nur noch die letzte Prüfung bestehen."
Sie wandte ihren Blick schnell ab, als hätte sie Angst, mein nahender Tod sei ansteckend. Ich wollte sie anfauchen, aber sie war die Einzige, die überhaupt geantwortet hatte. Vermutlich war es besser, keine Freundlichkeit auszuschlagen.
Ich nickte zum Dank und beobachtete den Raum schweigend. Wenn ich auf mich allein gestellt war, musste ich so viel wie möglich lernen, und das bedeutete, dass ich die ganze Zeit alles beobachten musste.
Es war gut, dass ich mich genau umsah, sonst hätte ich nicht mitbekommen, wie Grandis Dantriet von seinem Lachs aufschaute und seinen scharfen Blick durch den Raum zu mir richtete. Als er meinen Blick kreuzte, sah er nicht weg wie alle anderen. Er hielt ihn drei Atemzüge lang, suchte nach etwas - da war ich mir sicher - und wandte dann schließlich den Blick ab. Was auch immer er suchte, er schien zufrieden zu sein, und ich schluckte meine Nervosität hinunter und aß. Er hatte mich nicht weggeschickt, als er mein Hinken sah. Vielleicht wusste er etwas, was sonst niemand wusste - niemand außer mir.
Erschrocken erwachte ich aus dem Schlaf und beinahe wäre ich aus meinem Hochbett gefallen.
Als ich in der Nacht zuvor dazugekommen war, waren die unteren Betten im Mädchenschlafsaal bereits belegt gewesen. Die Rothaarige, die unter mir schlief, hatte mir kühl den Rücken zugewandt, als ich sie fragte, ob sie mit mir tauschen würde, und ich hatte nicht den Mut gehabt, jemand anderen zu fragen und eine weitere Abfuhr zu kassieren. Ich rieb mir die Augen, packte meine Sachen zusammen und stieg langsam die Leiter hinunter. Ich konnte mit Leitern umgehen, es war nur schwierig, weil ich jede Sprosse hinunterhüpfen musste, wobei ich mich mit beiden Händen vorsichtig festhielt und mein schlechtes Bein nachzog. Würde nicht jede hier glauben, dass ich nicht überleben würde, hätte ich den Mädchenschlafsaal geliebt. Die Kojen waren solide gebaut und weich, mit weißen, frischen Laken und Wolldecken, die sich auf jedem Bett stapelten. Ich hatte noch nie so gut geschlafen. Der Raum war hoch gewölbt, und an einer Steinwand befanden sich riesige Fenster, die den Blick nach draußen freigaben. Seidene Vorhänge bewegten sich spielerisch in der hereinströmenden Brise.
Ich begann zu begreifen, dass Drachenreiter Menschen waren, die im Freien lebten. Sie lebten, atmeten, bluteten und starben in der freien Natur. Ich war noch nie ein Naturmensch gewesen. Mit meiner Krücke kam ich auf unebenem Boden nicht weit, und die meisten Arbeiten, bei denen ich meiner Familie helfen konnte, erledigte ich drinnen, Dinge, die eher schnelle Hände als einen starken Rücken erforderten, waren mein Element. Die frischen, luftigen Schlafsäle gefielen mir.
Glücklicherweise war ich die Erste, die aufgestanden war, so dass ich Zeit hatte, mich im großen Steinbecken am Ende des Schlafsaals zu waschen. Der Badebereich war unter einer Quelle in den Fels gehauen, und das Wasser plätscherte in einem stetigen Fluss in das Becken. Hinten gab es sogar einen großen Bereich, in dem es von der Decke herabtropfte, als ob es ständig regnete. Hätte ich mehr Zeit gehabt, hätte ich ausprobiert, wie es sich anfühlte, sich unter diesem Regen zu waschen, aber für den Moment reichte mir das Wasser im Waschbecken. Ich hätte nie erwartet, in einem solchen Luxus zu leben, mit warmen Mahlzeiten und Wasser, das direkt im Waschraum entsprang. Wenn ich diese Woche wirklich sterben würde, dann hätte ich davor wenigstens das Paradies kennengelernt. Ich band mein langes schwarzes Haar zurück und schrubbte mir das Gesicht ab. Ich musste heute nicht hübsch sein, mein Haar musste heute nur zweckmäßig und bei der Arbeit nicht im Weg sein. Ich steckte mein schlichtes Hemd in das Seil, das meinen Gürtel darstellte und versuchte, es so eng anzulegen wie die Kleidung der Eingeweihten, die ich am Abend zuvor gesehen hatte. Wir hatten noch keine Drachenreiter-Kleidung erhalten, also musste ich mich mit meiner Bauernkleidung begnügen und hoffen, dass sie mich bei meinen Aufgaben nicht behinderte.
"Du wirst deine Kleidung nicht verbessern können, egal wie sehr du dich bemühst", sagte Savette, ging zum Waschbecken neben mir und bespritzte ihre perfekten, hohen Wangenknochen mit Wasser, so dass sie die Farbe einer Sommerrose annahmen. "Bauernkleider werden nie wie Drachenreiterkleider aussehen."
Sie trug weiche grüne Wolle, die sich fast so gut an ihre Figur anschmiegte wie das Leder der Drachenreiter. Normalerweise beneidete ich niemanden um dessen Reichtum - wozu auch? Ich könnte sie genauso gut um ihre Schönheit beneiden - aber ich beneidete die Funktionalität dieser Kleidung. Es wäre schön, auf das vorbereitet zu sein, was kommen würde.
"Das Frühstück beginnt mit dem nächsten Glockenschlag, aber wenn ich du wäre, würde ich mich beeilen. Wir haben nur bis zur halben Glocke Zeit zum Essen, und wenn wir zu spät zu den Ställen kommen, gibt es eine Strafe." Ihr Gesicht blieb teilnahmslos, aber ich sah ein Aufflackern in ihren Augen. "Warn sie nicht", beschwerte sich die Rothaarige, die ebenfalls in den Waschraum kam und schnell aus ihrem seidenen Nachthemd schlüpfte, um unter den strömenden Wasserfall zu treten. Das Wasser dämpfte ihre Stimme. "Wer zuerst kommt, hat eine bessere Chance!"
Ich sah Savette nicht an, als ich den Waschraum verließ, aber im Vorbeigehen flüsterte ich ihr ein "Danke" zu.
Sie hätte mich nicht warnen müssen, und doch tat sie es. Aber warum? Ich hatte viel Zeit, darüber nachzudenken, als ich die Schlafsäle verließ und begann, die Leitern zum ersten Stockwerk - den Ställen - hinaufzusteigen. Der Fels der Drachenschule glitzerte hell unter der Sonne des wolkenlosen Himmels. Obwohl der Aufstieg schwer war, machte er mir Spaß. Ich steckte meine Krücke in die Rückseite meines Gürtels und nahm die Sprossen der Leiter eine nach der anderen. Als ich die zweite Ebene erreichte, läutete die Glocke zum Frühstück. Ich nahm mir einen Moment Zeit, um Atem zu schöpfen, und blickte über die sanften Hügel und das Flussdelta unterhalb der Klippen. Irgendwo dort draußen begann meine Familie mit der täglichen Arbeit. Vor meinem geistigen Auge konnte ich fast das Lächeln meiner Mutter sehen. Ich spürte einen Anflug von Heimweh, aber ich schluckte ihn hinunter und blinzelte die Tränen zurück. Es würde ihnen gut gehen - sogar besser - ohne mich. Ich musste mich daran erinnern, dass meine Entscheidung das Beste für sie alle war. Außerdem war es jetzt zu spät, meine Meinung zu ändern. Ich gehörte jetzt der Drachenschule.
Ein dröhnendes Geräusch erfüllte die Luft, und ich strich mir hastig mit dem Ärmel über die Augen, um rechtzeitig aufzublicken und den Bauch eines violetten Drachens vor mir auftauchen zu sehen. Seine gewaltigen Flügel verdeckten die Sonne, und ein krächzender Laut erfüllte die Luft. Ich erstarrte, Angst und Faszination kämpften in mir. Wie würde es wohl sein, auf dem Rücken eines solch prächtigen Tieres zu reiten? Das war doch nicht Raolcan, oder?
Sicher nicht, kleiner Mensch.
Er sprach auch zu mir? Würde ich jetzt alle Drachen hören können? Ich hörte ein Kichern in meinem Kopf, und dann raste der Leib des Drachens vorbei, die Schuppen verschwammen in der Geschwindigkeit, und er raste - hoch, hoch, hoch - bis er nur noch eine schwarze Silhouette zwischen mir und der Sonne war. Ich schnappte nach Luft und genoss das Wunder des Augenblicks. Ich lebte in einer Schule, in der Drachen so alltäglich waren wie Wasser. Was könnte noch erstaunlicher sein als das? Ein "Klingeln" - die halbe Glocke - ertönte und ich kletterte zurück auf die Leiter. Ich musste noch zwei weitere Ebenen erklimmen, sonst würde es Konsequenzen geben. Jetzt, wo ich einen Drachen im Flug gesehen hatte - so nah, dass ich seine Gedanken hören konnte, und dann so weit weg, dass er nur ein Fleck am Himmel war - jetzt, wo ich das Rauschen seiner Flügel gespürt und die Kraft seiner geballten Muskeln im Flug gesehen hatte, konnte ich nicht mehr daran denken, nicht zu versuchen, auf einem zu reiten.
Plötzlich tauchte ein Bild in meinem Kopf auf - ich fiel durch die Luft auf die scharfen Felsen unter mir. Ich verdrängte es und stellte mir ein angenehmeres Bild vor: Ich schwebte auf dem Rücken eines Drachens, frei und befreit wie der Drache selbst.
Ich klammerte mich an diesen Gedanken, während ich höher kletterte. Was auch immer von nun an geschah, das musste ich erleben.
Als ich die erste Ebene erreichte, kehrte der violette Drache in einem spektakulären Sturzflug zurück. Mit ausgestreckten Krallen fasste er den Rand der Klippen und blieb dort einen Moment lang. Sein Reiter sprang ab und landete sicher auf der Klippe - nur wenige Zentimeter vom Abgrund entfernt. Der Drache drehte seinen Kopf zu seinem Reiter, als spräche er zu ihm, dann duckte er sich und kroch in eine der Höhlen.
Was hielt sie dort? Blieben sie aus eigenem Antrieb? Lebte Raolcan dort irgendwo? Ich wollte ihn wiedersehen. Vielleicht hatte er ein paar Ideen, wie ich am Leben bleiben könnte.
Der Drachenreiter grüßte mich locker und duckte sich dann in die Höhle hinter seinem Drachen.
"Amel Leaf?" Ich drehte mich um, als ich Grandis Dantriets Stimme hörte. Er lächelte. "Du musst es sehr eilig haben, wenn du hier bist, bevor die Glocke geläutet hat."
"Ich wollte nicht zu spät kommen, Sir." Er musterte mich einen Moment lang, sein Blick wanderte zu meinem Rücken, an dem noch meine Krücke befestigt war. Errötend zog ich sie hervor und klemmte sie unter meinen Arm.
"Gute Idee", sagte er schließlich. "Der erste Kurs des Tages ist Zaumzeug und Ställe. Dein Ausbilder heißt Anda Elfar."
Ich nickte und folgte seinem Blick zu einer Höhle am Ende der Klippen. Vor dem Eingang wehten rote Vorhänge, und an Haken, Klammern und Stangen hing mehr Lederzeug, als ich je an einem Ort gesehen hatte. Ich machte mich auf den Weg zur Höhle und schaute hinein, um lange Holzbänke und Tische zu sehen, die auf Hochglanz poliert waren. Sie standen vor einem erhöhten Podest, hinter dem verschiedene Landkarten aufgehängt waren. Ich nahm auf der nächstgelegenen Bank Platz und hoffte, dass ich die richtige Wahl getroffen hatte. Nach einem Moment kam eine kleine, muskulöse Frau mit kurzem, grauem Haar und einem freundlichen, aber wettergegerbten Gesicht herein und schritt zum vorderen Teil des Raums. Sie nickte mir zu, schien aber in ihre eigenen Gedanken vertieft zu sein. Angekündigt von einem lauten Stimmengewirr trat eine Traube Drachenschüler ein. Ich erkannte Savette und Daedru sowie den dunkelhaarigen Jungen von letzter Nacht, der mich bemitleidet hatte, und das rothaarige Mädchen, das unter mir schlief und mich definitiv nicht bemitleidete. Nach ihrem Geplapper zu urteilen, waren die meisten von ihnen auf dem besten Weg, Freunde zu werden. Ich konzentrierte mich auf die Lehrerin und wartete darauf, dass der Unterricht begann. Ich war vielleicht nicht die Beliebteste unserer Gruppe, aber ich war hier, um zu lernen.
"Jeden Morgen werden wir mit der Einheit Zaumzeug und Ställe beginnen. Das ist der einzige Unterricht, den ihr mit mir habt, in dem ihr sitzen werdet", schnitt Grandis Anda Elfars Stimme wie eine Klinge durch das Stimmengewirr. "Kommt morgens zum Unterricht und macht euch bereit zu arbeiten. Die Diener putzen und kochen für uns. Wir putzen und füttern die Drachen. Die Diener waschen eure Kleidung. Wir ölen und flicken das Sattelzeug der Drachen. Betrachtet euch als Diener und die Arbeit wird euch leicht fallen. Haltet euch für etwas Besseres und ihr werdet die Woche nicht überstehen."
"Soll das heißen, wir könnten zu Dienern degradiert werden, weil wir am Kurs Zaumzeug und Ställe scheitern?", fragte ein blonder Junge. Die Grandis hob eine Augenbraue und verschränkte die Arme. "Name?"
"Dannil Evermore."
"Als ich hier anfing, war ich wie ihr alle - töricht und naiv. Ein Junge namens Javen Taydon wurde gemeinsam mit mir eingeschult. Er war von hohem Rang und Blut." Anda hielt inne und blickte aus den großen offenen Fenstern auf die aufziehenden Wolken am Horizont. Sah sie den Jungen aus ihrer Vergangenheit vor ihrem geistigen Auge?
"Er passte nicht auf seine Ausrüstung auf. Nach einer Woche Training rutschte er ab, und der mittlere Gurt, der ihn sichern sollte, fing ihn auf - nur war die Naht, die die Schnalle hielt, abgenutzt. Sie riss, und er stürzte zu Tode. Jedes Mal, wenn ich einen mittleren Gurt repariere, erinnere ich mich daran, wie lange er geschrien hat, bevor er auf dem Boden aufschlug."
Wir schwiegen entsetzt.
"Wenn ihr an Zaumzeug und Ställe scheitert, werdet ihr nicht zu Dienern degradiert. Ihr werdet sterben."
Ich schluckte und stellte mir einen Jungen vor, der fiel und fiel, nur weil er vergessen hatte, die Naht eines Riemens zu überprüfen. Ich würde mein Zaumzeug sehr ernst nehmen.
Als Grandis Elfar mit einem Vortrag über Öle und Nähte begann, beschlich mich das Gefühl, dass ich beobachtet wurde. Ich versuchte, bei der Sache zu bleiben. Zu wissen, welche Öle man verwenden und worauf man bei unserem Zaumzeug achten musste, konnte den Unterschied zwischen Leben und Tod ausmachen. Ich konnte es mir nicht leisten, mich ablenken zu lassen.
Doch das Gefühl blieb.
"Das Sattelzeug vor euch ist das Sattelzeug eures Drachens. Jeden Morgen, wenn ihr den Stall eures Drachen säubert, werdet ihr euer Sattelzeug inspizieren und reinigen." Die Grandis schien von dem, was mich bedrückte, unberührt zu sein, sie spulte ihren Unterricht ab, als hätte sie ihn schon tausendmal gehalten - vielleicht hatte sie das auch.
Ich warf einen Blick über die Schulter und sah einen Drachenreiter, der neben unserem Klassenfenster lehnte und seinen kahlen Kopf zur Seite neigte. Er schien mich zu studieren. Violette Seidenschals mit verschiedenen Mustern flatterten an seinem Hals, seinen Ellbogen, Knien und seiner Taille. Ich runzelte die Stirn. War das der Drachenreiter, der meine Hand zurückgehalten hatte, als ich nach Raolcan griff? Es war durchaus möglich. Irgendwie hatte ich seine Aufmerksamkeit erregt, und das konnte nichts Gutes bedeuten. Seinem Aussehen nach zu urteilen, war er mindestens fünf Jahre älter als ich, und sein Gesicht und sein Kopf waren sonnengebräunt, sein unrasierter Bart schwarz. Sein Gesichtsausdruck verriet mir nicht, ob er mich verurteilte oder nur neugierig war. Auf jeden Fall unterdrückte ich einen Schauder. Was wollte er?
Ich richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf Grandis Elfar. Sie erklärte, welchen Nutzen die verschiedenen Nähte für die richtige Funktion unseres Sattelzeugs hatten.
"Ihr werdet euch um euer eigenes Sattelzeug kümmern und um das von niemandem sonst, es sei denn, ihr werdet gefragt. Jeden Morgen ist es eure erste Aufgabe, euch um euer Sattelzeug zu kümmern, den Stall eures Drachen auszumisten und ihm Wasser zu bringen. Wenn ihr bei einer dieser Aufgaben versagt, bedeutet das eine Katastrophe. Das sind nicht nur Hausarbeiten, sondern auch lebenswichtige Arbeiten. Vergesst nicht, dass in der Drachenschule selbst die kleinste Aufgabe wichtig ist. Eure Liebe zum Detail und eure Konzentration auf die kleinen Dinge werden eure Fähigkeit bestimmen, größere Dinge zu tun. Niemand hat als Drachenreiter Erfolg, wenn er sich nicht um sein Zaumzeug und seinen Stall kümmert."
Das rothaarige Mädchen vom Morgen hob eine Hand und Grandis Elfar nickte ihr zu. "Wenn wir vollwertige Drachenreiter sind und die Verantwortung für die Angelegenheiten des Reichs tragen, werden sich dann andere um unsere Drachen kümmern?"
Ich warf einen Blick zum Fenster, aber der Drachenreiter war verschwunden. Seltsamerweise war ich enttäuscht, obwohl ich versucht hatte, so zu tun, als ob er mich nicht interessierte. Vielleicht würde ich ihn ja wiedersehen. Grandis Elfar schaute auf eine Liste an der Wand, bevor sie antwortete: "Hohe Kastellanin Astaria Atrelan?"
"Ja", erwiderte das Mädchen.
"Für die Gesundheit deines Drachens bist du immer selbst verantwortlich. Heute wirst du, um die Notwendigkeit der Pflege deines Drachens zu verdeutlichen, sowohl seinen Stall als auch den Stall meines Drachens ausmisten - unter meiner Aufsicht. Wie alle Drachenreiter würde ich eine so wichtige Aufgabe niemals jemand anderem überlassen, ohne sie selbst zu überwachen."
Astaria stöhnte und ich hörte ein Kichern hinter mir. Grandis Elfars Miene verfinsterte sich.
"Du glaubst, das ist ein Grund zum Lachen? Name?"
Es war der gut aussehende, dunkelhaarige Junge. "Kastellan Jael Woelran."
"Normalerweise misten wir die Ställe nicht am ersten Tag aus, Jael, aber es sieht so aus, als würde diese Klasse es tun. Die anderen können sich bei dir für dieses Vergnügen bedanken. Wir werden morgen mehr über das Sattelzeug sprechen. Heute misten wir die Ställe aus. Stellt euch in einer Reihe vor der Tür auf."
Ich humpelte dorthin, wo sich die Schlange bildete, und stellte mich direkt hinter Astaria. Sie sah mich an, verzog die Nase und wandte sich ab. Was hatte ich ihr nur getan?
"Es gibt ein verstecktes Flaschenzugsystem für die Eimer", flüsterte eine Stimme in mein Ohr.
Ich drehte mich um und sah Savette, die mit einem gleichgültigen Gesichtsausdruck an die Decke blickte. Für jemanden, der vorgab, sich nicht für mich zu interessieren, schien sie sich wirklich Mühe zu geben, mir zu helfen. Ich versuchte, ihren Blick zu erhaschen, um ihr zu danken, aber Grandis Elfar rief uns bereits zur Ordnung. Wir folgten ihrem zügigen Schritt durch die lange Reihe der Drachenhöhlen. Der Name jedes Drachens war über seiner Höhle in den Fels gemeißelt. Wie alt und beständig mussten sie sein, damit jemand ihren Namen in den Felsen meißelte? Die Höhlen der Drachen, die uns am nächsten waren, waren üppig und rochen nach süßem Heu und etwas Nussigem. Warme Luft wehte von ihnen herüber, und ich glaubte, ein Glühen darin zu sehen. "Dies sind die Reittiere unserer Drachenreiter", sagte Grandis Elfar, als wir weitergingen. "Zollt ihnen Respekt. Sie sind uns ebenbürtig, sie stehen nicht unter euch."
Nach langen Minuten bogen wir um eine Ecke zu einer neuen Reihe von Ställen entlang der Kurve des Bergrückens. "Dies sind die Reittiere der Drachenreiter, die zu Gast sind." Die Grandis rief ihre Erklärungen mit lauter, klarer Stimme. Ich fragte mich, ob sie dafür trainiert hatte, von anderen in der Luft gehört zu werden. Es war vermutlich laut, wenn man auf dem Rücken eines Drachen flog.
Diese Höhlen schienen einheitlicher zu sein, sie trugen keine Namen und waren nicht besonders geschmückt, aber sie waren sauber und frisch. Wir schienen immer weiter zu gehen. Irgendwann begann meine Krücke in der Achselhöhle zu schmerzen. Ich würde mich an diesen Gang gewöhnen müssen. Mein Tempo ließ nach und Dannil Evermore schob sich mit drei anderen Jungen an mir vorbei. "Das sind die Drachen der Vereidigten und Eingeweihten. Passt hier auf und geht nicht zu nah an ihre Eingänge. Denn diese Drachen sind noch nicht vollständig gezähmt."
In den Ställen herrschte reges Treiben. Vereidigte und Eingeweihte säuberten eifrig die Höhlen und schleppten Wasser, riefen und lachten zusammen. Ich beobachtete sie sehnsüchtig. Sie wirkten wie eine Familie oder sehr enge Freunde. Und sie schienen ihr Leben hier als Schüler zu genießen. Vielleicht gab es hier auch ein Leben für mich, wenn ich meinen Platz und Freunde finden würde. Ich warf einen Blick hinter mich. Savette war die Einzige, die sich nicht an mir vorbeigedrängt hatte, aber sie würdigte mich allerdings auch keines Blickes. Sie konzentrierte sich darauf, die fortgeschritteneren Schüler zu beobachten. Wie ich sie mittlerweile kannte, prägte sie sich wahrscheinlich jedes Detail ihrer Arbeit ein, um uns später darüber zu belehren. Was machte eine hochgeborene Dame in hübschen Kleidern so scharf darauf zu verstehen, wie solche Dinge funktionierten? Das war ein bewundernswerter Charakterzug. Wenn Savette nicht so kalt wäre, könnten wir vielleicht Freunde werden.
"Trödelt nicht!" Grandis Elfars Stimme durchbrach meine Gedanken und ich holte tief Luft und beschleunigte mein Tempo. Ich war bereits außer Atem, aber ich wagte es nicht zu zeigen, dass ich nicht mithalten konnte.
"Wir haben jetzt die Höhlen der kürzlich gefangenen Drachen erreicht. Seid vorsichtig und befolgt die Anweisungen der Grünen Drachenreiter. Frisch gefangene oder geschlüpfte Drachen kommen in ihre Obhut."
Hier bewachten Drachenreiter mit grünen Seidentüchern die Höhlen. Ich konnte nicht erkennen, was sie taten, aber die Arbeit wirkte konzentriert und zielgerichtet.
"Wilde Drachen, die gefangen und dann hier von einem Reiter abgerichtet werden, gehen eine lebenslange Bindung mit diesem Reiter ein. Den in Gefangenschaft aufgezogenen fehlt der Freigeist und das Temperament von wilden Drachen", sagte Savette ohne mich anzusehen. Sie tat, als spräche sie mit sich selbst. Das war also der Grund, warum die neuen Schüler sich einen Drachen aussuchen und pflegen mussten. Wir hatten die Möglichkeit, uns mit unseren Drachen zu verbinden. Es schien eine sehr gefährliche Methode zu sein. Und was hielt sie in ihren Höhlen?
"Siehst du die Drachenreiter, die zwischen den Höhlen stehen? Sie halten Wache, damit die frisch gefangenen Drachen in ihren Höhlen bleiben. Gezähmte Drachen müssen nicht eingesperrt werden, aber wilde Drachen müssen zuerst abgerichtet werden." Savette tat immer noch so, als ob sie nicht mit mir sprechen würde.
Sollte ich ihr eine Frage stellen oder ihr Schauspiel mitmachen? Ich entschied mich für eine Frage. Ich musste mich vergewissern, dass ich sie nicht falsch verstanden hatte.
"Ist das die Aufgabe der Grünen Drachenreiter?"
Sie lachte. "Nein, Amel. Unsere. Unsere erste Aufgabe als Auszubildende ist es, einen Drachen zu zähmen und den ersten Flug zu absolvieren. Wenn wir diesen ersten Flug überleben, haben wir die erste Prüfung bestanden und gelten als Eingeweihte der Drachenschule."
Ihre Worte wurden durch das Knallen einer Peitsche unterbrochen. Einer der grünen Drachenreiter hatte mit der Peitsche zugeschlagen, um einen schnaubenden weißen Drachen zu bändigen.
Ich schluckte. Wir mussten einen wilden Drachen reiten, um als vollwertige Eingeweihte zu gelten? Kein Wunder, dass alle dachten, ich würde nicht überleben. Wenn ich schon dachte, dass es schlimm war, schmale Felspfade und Leitern mit einer Krücke zu bewältigen, wie sollte ich dann einen wilden Drachen reiten - selbst Raolcan, der mich zu mögen schien? Ich würde all meinen Mut brauchen.
Ein Mädchen ohne Mut hätte ich mir nicht ausgesucht.
Ich lächelte über seine Worte in meinem Kopf. Ich war doch nicht allein.
Ich hatte einen Freund.
Raolcan? Er musste in der Nähe sein! Ich konnte mich kaum zurückhalten, zu seiner Höhle zu eilen, aber Grandis Elfar gab gerade Anweisungen.
"Eure Drachen sind noch nicht zahm oder an euch gebunden. Versucht nicht, sie zu berühren. Die Grünen Drachenreiter werden eure Drachen in Schach halten, während ihr sauber macht. Schaufelt den Dreck in den vergitterten Bereich an der Rückseite der Höhle, damit er in die Gruben fällt. Spült dann die Höhlen mit Wasser aus und legt frisches Stroh aus. Füllt die Tränke mit Trinkwasser und die Schale mit Futter. Wenn es Probleme gibt, ruft um Hilfe. Ich bin hier, um euch beizubringen, wie ihr euren Drachen pflegt. Habt ihr das verstanden?"
Wir nickten gemeinsam, und die Grandis führten uns die Reihe der Höhlen entlang und gab jedem von uns mit einem Nicken zu verstehen, wenn wir unsere Höhle erreicht hatten. Die Drachen waren nicht nach Farben geordnet wie in den anderen Bereichen. Ich ging weiter und weiter und fragte mich, warum Raolcan immer in der letzten Höhle zu sein schien. Savettes roter Drache wartete lange vor Raolcan auf sie, und sie betrat seine Höhle mit ihrer gewohnten Anmut und ließ mich mit Grandis Elfar allein.
"Das ist dein Drache?", fragte sie, als wir endlich seine Höhle erreichten. Hier war es ruhig, weit weg von der Hektik der übrigen Ställe. Ich konnte die Vögel am Himmel zwitschern hören und das Meer weit draußen am Horizont sehen. Es musste schwer sein, hier eingesperrt zu sein, so nahe an der Freiheit, wo er doch gewohnt war, überall hinzufliegen, wohin er wollte.
Du hast keine Ahnung, wie schwer.
"Ja." Ich brauchte nicht einmal hinzusehen. Seine Stimme wurde mir immer vertrauter.
"Du hast dir einen violetten Drachen ausgesucht. Sie sind sehr selten." Sie presste die Lippen zusammen und ihr Blick verhärtete sich. "Ein violetter Drache ist ein Schatz für uns alle. Behandle ihn mit äußerster Sorgfalt."
Ihre Miene verwirrte mich. Sie wurde abwertend und verurteilend, als beschuldigte sie mich eines Verbrechens.
"Ist etwas nicht in Ordnung?", fragte ich.
Sie schüttelte den Kopf und schloss mit "Behandle ihn einfach gut.".
Bevor ich noch etwas sagen konnte, schlenderte sie davon und ließ mich verlegen und mit rotem Kopf zurück. Was hatte ich getan, dass sie so wütend geworden war?
Du hast mich gewählt. Oder zumindest denkt sie das. Sie weiß nicht, dass violette Drachen selbst die Entscheidung treffen. Sie ist schwarz. Beim Turmbau geht es um Beständigkeit.
Das war es also? Sie war wütend, dass ich Violett gewählt hatte? Hatte sie gewollt, dass ich, wie sie, Schwarz wählte?
Nein, sie hat Angst, dass du mich verschwendest, und sie hält mich für wertvoll. Wenn du mich nicht reitest, wird es kein anderer tun können. Ich hätte dann meinen Wert verloren.
Ich betrat Raolcans Höhle und sah, dass er an der Wand stand, so dass der größte Teil der Höhle frei war. An der Rückseite der Höhle hingen eine Schaufel und eine Mistgabel. Mit der Krücke in der einen und dem Werkzeug in der anderen Hand musste ich vorsichtig arbeiten, um den Stall zu säubern. Ich konzentrierte mich und richtete die Schaufel so aus, dass ich sie über den Boden gleiten lassen und den Mist nach hinten schieben konnte, wo sich das Gitter befand, das zu den Gruben führte. Ich arbeitete still und erlaubte mir, mich in der ungewohnten Arbeit zu verlieren.
Es wird leichter werden.
Ich musterte Raolcan. Hatte er mich ausgewählt, weil er wieder frei sein wollte und er dachte, dass ich von meinem Jahrgang am wenigsten Aussicht auf Erfolg hatte?
Du misstraust mir?
Ich seufzte. Es würde schwer sein, mit jemandem befreundet zu sein, der meine Gedanken lesen konnte.
Ich richtete meine Gedanken direkt auf Raolcan.
„Warum hast du mich ausgewählt?", fragte ich.
Ich hoffte, du würdest mich verstehen. Keinem von uns fällt es leicht, zu vertrauen. Keiner von uns beiden mag Menschen besonders gern. Wir sind beide gefangen - du an ein Bein, das dich zurückhält. Ich durch magische Fesseln, die mich gefangen halten. Und keiner von uns hat eine Chance zu entkommen. Ich dachte, wir könnten einander vielleicht gegenseitig helfen. Habe ich mich geirrt?