TOD AUF SYLT - Luisa Ferber - E-Book

TOD AUF SYLT E-Book

Luisa Ferber

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  • Herausgeber: BookRix
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2023
Beschreibung

In Westerland nichts Neues - die Reichen und die Schönen, aber auch die nicht ganz so Reichen und nicht ganz so Schönen geben sich das alljährliche Stelldichein auf Deutschlands Schickeria-Insel. Bis Harry Luke, der Hamburger Pornokönig, entführt wird. Die Kidnapper verlangen ein Lösegeld von drei Millionen DM. Kommissar Friederking steht plötzlich im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit. Und dann findet man den Leichnam eines jungen, hübschen Mädchens, das kurz zuvor einen Aushilfsjob bei der Södersen-Apartment-Vermietung angenommen hatte...   Luisa Ferber, gebürtige Frankfurterin, lebte längere Zeit in Berlin, bevor sie in Ulm ansässig wurde - in jener Stadt, die der Schauplatz dieses spannenden Kriminalromans ist und die sie voll Humor und mit sanfter Ironie porträtiert. Tod auf Sylt erschien erstmals im Jahr 1982 und wurde mit dem Edgar-Wallace-Preis ausgezeichnet. Der Signum-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der deutschen Kriminal-Literatur.

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LUISA FERBER

 

 

Tod auf Sylt

 

Roman

 

 

 

 

 

 

Signum-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

TOD AUF SYLT 

Prolog 

Montag 

Dienstag 

Mittwoch 

Donnerstag 

Freitag 

Samstag 

Sonntag 

 

 

Das Buch

 

In Westerland nichts Neues - die Reichen und die Schönen, aber auch die nicht ganz so Reichen und nicht ganz so Schönen geben sich das alljährliche Stelldichein auf Deutschlands Schickeria-Insel.

Bis Harry Luke, der Hamburger Pornokönig, entführt wird. Die Kidnapper verlangen ein Lösegeld von drei Millionen DM.

Kommissar Friederking steht plötzlich im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit. Und dann findet man den Leichnam eines jungen, hübschen Mädchens, das kurz zuvor einen Aushilfsjob bei der Södersen-Apartment-Vermietung angenommen hatte...

 

Luisa Ferber, gebürtige Frankfurterin, lebte längere Zeit in Berlin, bevor sie in Ulm ansässig wurde - in jener Stadt, die der Schauplatz dieses spannenden Kriminalromans ist und die sie voll Humor und mit sanfter Ironie porträtiert.

Tod auf Sylt erschien erstmals im Jahr 1982 und wurde mit dem Edgar-Wallace-Preis ausgezeichnet.

Der Signum-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der deutschen Kriminal-Literatur.

  TOD AUF SYLT

 

 

 

 

 

 

 

  Ekke Nekkepen

 

Bevor die Menschen Sylt entdeckten, hausten dort Kobolde, Trolle und Zwerge.

Sie stahlen Vogeleier und junge Brut.

Sie waren ein nichtsnutziges Gesindel.

Als die Menschen kamen, trieben sie ihren Schabernack mit Kindern und jungen Mädchen. Ihr übermütigster Anführer war Ekke Nekkepen.

Als die Menschen in Westerland ein riesiges Haus bauten aus Beton, Stahl und Glas und seine Fundamente tief in den Sand gruben, mauerten sie Ekke Nekkepen in das Haus ein und merkten es nicht.

Seither treibt er dort seinen Unfug.

 

 

 

 

 

  Prolog

 

 

Sylt ist keine Insel, Sylt ist eine Weltanschauung. Licht, Wind und Wasser umhüllen sie wie ein Mantel aus Silber, Perlen und Sekt, und Sylt selbst tanzt wie Undine auf den Wogen der See. Eingeschlossen im riesigen Rund des Horizonts ruhen Land und See wie eine schwimmende Scheibe - man begreift, warum die Alten nicht an eine Erdkugel glaubten.

Auf Sylt hausten schon die Seeräuber, als die Ägypter ihre Pyramiden bauten. Und als die Angeln dann aufs benachbarte Albion abwanderten, kamen von der Rheinmündung her die Friesen und betrieben das alte Handwerk weiter. Tausend Jahre lang lebten sie vom Walfang vor Grönland und vom Strandraub vor der Haustür. Wenn ein Schiff strandete, überfielen sie die Schiffbrüchigen, beraubten sie und schlugen sie tot.

Sie werden bei Flut geboren und sterben bei Ebbe. Sie glauben heimlich heute noch an die Unterirdischen, an Zwergkönig Finn und Ekke Nekkepen, den Wassermann. Ran, die Todesgöttin der See, ist in Rantum zu Haus, und unter der Marsch liegen die goldenen Anker, mit denen die Königshügel angekettet sind.

Sie sind verschwiegen wie ihre Vorfahren, diese Strandgänger und Seeräuber Sie sind immer noch ein raues Volk, wenn sie die Fremden, die an ihre Küste kommen, auch nicht mehr erschlagen. Sie haben den Strandraub verfeinert, wie es sich nach tausendjährigem Fortschritt geziemt. Sie haben gelernt, die Hühner nicht mehr zu schlachten, die ihnen die goldenen Eier legen. Aber dass man ihnen das Gold abnehmen muss, darüber hegen sie keinen Zweifel.

Die Maler und die Poeten entdeckten als erste den glitzernden Charme des rauen Landes. Sie hausten am Watt in den Scheunen der schweigsamen Seefahrer und durchtobten die Sommernächte in Munkmarsch mit trunkener Lebensfreude und wilden Räuschen.

Dann kamen der Kaiser und sein Hofstaat, und die Prinzen entdeckten Munkmarsch und die diskrete Toleranz der Friesen.

Die Bankiers und die Reichen bauten reetgedeckte Villen hinter die Dünengebirge und setzten sie mitten hinein in den riesigen Friedhof des Nordens mit seinen Hünengräbern und haushohen Totenhügeln von Leuten, die vermutlich nur halb so groß gewesen sind wie wir heute.

Die Touristen kamen. Die Eingeborenen entdeckten, dass Zimmervermieten und Toleranz einträglicher waren als Krabbenfang und Schafzucht.

Nach dem Wirtschaftswunder des letzten Krieges explodierte auf der Insel die Bauwut des Maurergewerbes. Haus an Häuschen duckte sich zwischen die Dünen, überflutete die Blidselbucht mit Reetdächern und Friesenwällen, setzte sich wie Pilze in den Sand von Hörnum Odde, und in der Goldgräberstadt Westerland schossen die Türme aus Glas und zierlichen Balkonen in die Höhe, schwerelos schwebend in der prickelnden Luft. Winzige Apartments entstanden mit den mühsam zusammengetragenen Bausparverträgen der Kleinbürger vom Festland, und ihre Besitzer deckten die Unterhaltskosten und Steuern durch Vermieten an die Besucher der Insel im Sommer.

Von Mai bis September ist Saison auf Sylt; dann mischen sich am Strand und in den Dünen die berüchtigten Reichen und Schönen, die Jungen und die Nichtmehrjungen, die Abenteurer und die Asthmatiker, die Nackten und die teuer Gekleideten, die Armen mit nur einem Hund und die Reichen mit mindestens fünf an der Leine. Am Morgen ergießt sich eine Welle von benzingetriebenem Blech nach dem Norden und Süden der Insel. Das Volk verläuft sich zwischen Brandung und Sand. Und was es in den Dünen treibt, kümmert keinen. Man kommt nach Sylt, um sich zu amüsieren, und zu Hause sagt man später, man habe sich erholt. Braun geworden sind sie alle.

Ein Dorado mit so viel Sinn für Leben und Lebenlassen ist natürlich auch ein gelobtes Land der Homosexuellen beiderlei Geschlechts, und so wandern sie Hand in Hand durch die Dünen, diese Paare des gleichen Geschlechts, und sind ein Verlust fürs Familienministerium. Sie sind in ihrer Zuneigung diskreter als die »normalen« Liebesleute. Aber sie tragen die neueste und die verrückteste Eleganz zur Schau, wenn sie in der Westerländer Friedrichstraße flanieren oder im Café Orth frühstücken. Auf Sylt ist jeder willkommen, der Farbe auf die Insel bringt und Geld ausgibt.

Wenn irgendwo in Deutschland eine Stadtverwaltung ihre Stadtbäume mit einem Mäuerchen umgibt, damit sie Luft und Regen kriegen, dann sorgt sie dafür, dass ihre Bürger auf diesen Mäuerchen sitzen können und spart dabei Bänke.

Auf Sylt setzen sie die Ziegelsteine spitzkantig nach oben, so dass auf der Kante bestenfalls noch ein Vogel sitzen kann. Sitzmäuerchen würden umgehend von Haschbrüdern und Gammlern belegt sein, und die »Hell’s Angels« würden dort ihre Motorräder abstellen. Wer hat so etwas schon gern in seiner Fußgängerzone?

Natürlich gibt es diese Brüder dennoch auf Sylt, erst recht auf Sylt. Aber sie sitzen notgedrungen auf den Treppenstufen der Ladengeschäfte und müssen es sich gefallen lassen, dass diese Stufen alle Augenblicke mit einem kräftigen Wasserstrahl abgespritzt und gereinigt werden von allem, was nicht dahin gehört. Mit Wasser wissen die Sylter umzugehen!

Auf der Insel wohnen die gediegenen Reichen in Rantum im Süden, die amüsanten Reichen in Kämpen im Norden, die prominenten Reichen auf Morsum im Osten, und in Westerland vergnügen sie sich alle: die Reichen, die Gediegenen und die Unsoliden.

Westerland ist wie eine schöne, nicht mehr ganz junge Frau mit einer interessanten Vergangenheit. Die Front ist erfreulich und gelegentlich sogar kostbar dekoriert, aber den Blick hinter die Fassade unterlässt man lieber.

Westerland ist auch das Paradies der Gebrechlichen und Alten, der längst von der Bühne abgetretenen, die ihren Erinnerungen leben und nur Zuschauer sein wollen. Selbst die Kurkapelle in der rotgelben Musikmuschel auf der Promenade hat sich auf dieses Publikum eingestellt. Sie spielen den Schwerhörigen und Verkalkten die Weisen von der Moldau und das Viljalied, denn die Musikanten stammen überwiegend aus der Tschechoslowakei und halten sich eisern an ihr nationales Programm.

 

Wer über den Hindenburgdamm vom Festland herüberkommt auf dieses riesige Schiff aller sündigen Verheißungen, sucht zunächst eine der zahlreichen Zimmer- und Wohnungsvermietungen auf. Der Erfahrene fährt mit seinem Auto unmittelbar vom Bahnhof zur Andreas-Dirks-Straße und landet vor dem vielstöckigen Bau des Kurzentrums und bei Hanny Runne in Södersens Apartment-Vermietung.

Natürlich hat der Erfahrene sein Quartier bereits im Januar bestellt, und der Stammgast wird von Hanny Runne persönlich an der Theke des Empfangsbüros begrüßt.

Winzig, mollig und blondgelockt, stets grün und braun und honigfarben gewandet, kommt sie aus ihrem grün-braun-honigfarbenen Büro auf turmhohen Stöckeln angetrippelt, ganz und gar die ehemalige Soubrette beim Flensburger Stadttheater. Ihr Lachen perlt noch in zwei Oktaven, und die winzige Soubretten- Nase verleiht dem rundgewordenen Gesicht die naive Kindlichkeit der früheren Jahre. Aber Mund und Augen verraten die Härte eines erfahrenen Lebens und den Verlust aller Illusionen.

Man wohnt auf Sylt in Häusern, Apartments, in Pensionen und möblierten Zimmern. Södersens Apartment-Vermietung hat für jeden das Richtige anzubieten. Ganz arm darf man natürlich nicht sein, dafür sorgen schon Kurtaxe und Einzelhandel.

Auf Sylt darf man alles tun, was Spaß macht und was das Gesetz nicht verbietet. Es gibt sogar eine Spielbank, wo man sein Geld verjeuen kann. Vierzig Kilometer Strand im Westen bieten Sand, Brandung und Dünen, Wind, Wellen, Himmel und unendliche Weite. Stürmt oder regnet es, sucht man den Windschatten des Watts und läuft im gelben Regenzeug, den Friesennerzen, und Gummistiefeln über Wiesen von Grasnelken, Strandschwingel und grausilbernen Beifuß. Auf Sylt ist es selbst im Regen schön.

Der Festungsturm der Keitumer Kirche beherrscht die Küste im ganzen Osten. Am Morsumkliff blöken die Schafe. Bei Braderup werfen bei Ebbe die Kinder mit Kieseln nach den schwarzen Planken des Wracks der alten Mariann, dem Windjammer, der schon vor dem ersten Weltkrieg nicht mehr jung war und noch immer im Schlick jeder Sturmflut trotzt. Im Licht des Tages erinnert sie romantisch an Große Fahrt, an Stürme über dem Atlantik und an die Geborgenheit des Hafens. Doch in der Nacht, im Mondlicht, hüllt sie sich in den Mantel dunkler Geheimnisse. Der zerbrochene Mast, das verrottete Deck raunen gespenstisch von Tod und Gefahr.

Und wenn dann die Sonne scheint, der Himmel über dem Sand wie zartblaue Seide schimmert, sind alle an der Küste im Westen, in den Strandkörben mit den bunten Markisen, den Sandburgen und in der strudelnden Brandung, die sie hochreißt, umwirft und eintauchen lässt in das Ferienglück aus Wasser, Wellen und Licht.

 

 

 

 

  Montag

 

 

Hanny Runne leitete seit fünfzehn Jahren Södersens Apartment-Vermietung. Hübsch und füllig, heiter und energisch dirigierte sie all die Jahre hindurch geschickt und geschäftstüchtig den Stab im Empfangsraum und regierte mit nie erlahmender Höflichkeit Apartment-Besitzer und Apartment-Mieter. Nur faule Kunden und das häufig wechselnde Personal erfuhren vom eisernen Kern hinter der süßen Front von Södersens Büro Vorsteherin.

»Hatten Sie eine gute Reise?« begrüßte Hanny Runne das Ehepaar Krause aus Berlin und winkte einem der athletischen jungen Männer an den Seitentischen. »Emmo, bringen Sie das Gepäck der Herrschaften auf 327!«

Das Personal bei Hanny Runne wechselte zwar oft, aber die männlichen Arbeitskräfte waren immer athletische junge Männer, und die weiblichen waren von den Sekretärinnen bis zu den Putzfrauen jung und hübsch.

Hanny Runne goss den Willkommensschluck in niedrige Gläser. Wer abreiste, beglückte das Büro mit übriggebliebenen Flaschen voller Alkoholika, und wer ankam, wurde damit begrüßt.

Der gutgewachsene Emmo Anderson erhielt Zimmer- und Autoschlüssel mit einem wohlgefällig abschätzenden Blick aus den Augen von Frau Krause aus Berlin.

Am Nachbartisch buchte eine Familie mit drei Kindern bei Antje Weber eine Inselrundfahrt, und eine energische Frauenstimme. machte Uwe Jensen die Hölle heiß.

Die Ehefrau eines kahlen, kleinen Mannes drückte verärgert ihren grauen Pudel an die flache Brust. »Das Apartment ist zu klein, und der dreizehnte Stock ist mir zu hoch. Die Landseite passt mir erst recht nicht. Wenn ich schon am Meer gemietet habe, will ich auch das Meer sehen!«

Die Stimme der Frau in mittleren Jahren wurde schriller. Uwe Jensen warf seiner Chefin einen hilflosen Blick zu.

»Und außerdem hat vor uns ein Pfeifenraucher dort gewohnt. Es wurde nicht richtig gelüftet! Ich vertrage keinen Pfeifenrauch!«

Der kahle, kleine Ehemann nickte bestätigend. Ihm hatte sie das Rauchen schon lange abgewöhnt.

Hanny Runne stellte ihr Glas hin, sagte »einen Augenblick, bitte«, kam herüber und hörte sich die Klage an.

Eigentlich brauchte sie gar nicht hinzuhören. Sie bekam solche Klagen seit fünfzehn Jahren, jedes Jahr von Mai bis Oktober in allen Varianten zu hören. Sie hätte ein Klagen-Lexikon schreiben können, Klagen über die Luft, das Salzwasser, den Wind vom Osten, den Wind vom Norden, vom Süden, vom Westen, Klagen über zu viel Sonne, zu viel Schatten, zu viel Regen, Wärme, Kälte, Lärm von Kindern, von Jugendlichen, von Erwachsenen, Lärm der Hubschrauber von der Bundeswehr, zu laute Musik der Kurkapelle, Flecken auf dem Fußboden, Haare im Waschbecken, Hundegebell, unfreundliches Personal - sie hätte für jeden Buchstaben des Alphabets drei Seiten Klagen aus dem Handgelenk schütteln können.

Das Kapitel der Lobpreisungen wäre mager ausgefallen.

»Dieses Apartment nehmen wir auf gar keinen Fall!« zeterte die Frau, und der kleine Mann im Hintergrund schrumpfte unter Hanny Runnes abschätzendem Blick in sich zusammen.

Hanny Runne studierte die Vormerktafeln an den Seitenwänden. »Nein«, sagte sie lächelnd, »Sie können dieses Apartment sowieso nicht haben. Die Eigentümer wollen keine Hunde!«

Die Frau reckte sich auf. »Unglaublich! Und welches Apartment bekommen wir?«  .

»Keines«, entschied Hanny Runne freundlich und wandte sich wieder ihren Gästen zu. »Es ist nichts mehr frei!«, sagte sie über die Schulter und verabschiedete sich mit einem freundlichen Nicken. Sie hatte genug von dieser Sorte. Sie steckten bis zum Hals voller Bosheit und reagierten diese an Leuten ab, die sich ihrer Meinung nach nicht wehren durften. Bei den Jungen heißt es, ihre Aggressionen kommen vom Übermaß an Hormonen. Woher aber kommen die Aggressionen der Alten? Jeder Fleck an der Wand stört sie. Wenn sie bezahlen, glauben sie, alles müsse vollkommen sein. Selbst normal erzogene Leute werden maßlos in ihren Ansprüchen, wenn  sie meinen, der andere habe sie zu bedienen. Man könnte glauben, sie äßen zu Hause von goldenen Tellern und hätten hinter jedem Stuhl drei Diener!

Hanny Runne machte es Vergnügen, der Person die Unterkunft zu verweigern - jetzt in der Hochsaison war jedes Loch ausgebucht; sollten sie doch im Strandkorb schlafen!

Uwe Jensen hob bedauernd die Hände. Flachbrüstige Ehefrauen in mittleren Jahren, deren Gefühle bis auf die Liebe zum Hund eingetrocknet waren, fanden keinen Anklang bei der gutgewachsenen Jugend in Södersens Apartment-Vermietung, es sei denn, sie waren sehr reich.

Ein silbergrauer Cadillac glitt über die Rampe zur Tiefgarage. Hanny Runne verabschiedete souverän ihre Gäste und räumte die Gläser fort. »Herr de Fries«, sagte sie, »eben kommen Bartholomaes aus Düsseldorf an.«

Der weißblonde Holländer schaute durch die großen Bürofenster dem Wagen nach und stand dann auf. »Ich bringe sie rauf«, erklärte er und holte aus dem Schlüsseldepot die Schlüssel für die Wohnung vierhundertsechzehn, dem teuersten Penthouse-Apartment, das Hanny Runne anzubieten hatte, und verließ den Raum.

Hanny Runne sah ihm beifällig nach. Hellmut de Fries war ihr apartestes Stück. Groß, schlank, jeder Muskel durchtrainiert, außerdem gebildet - etwas, was man im Allgemeinen ihren athletischen jungen Männern nicht nachsagen konnte -, spielte er den Empfangschef in Södersens Apartment-Vermietung, und er machte es mit Stil. Er gab dem Büro ein wenig das Flair eines guten Hotels. Hanny Runne hatte nichts dagegen, wenn er sich aufspielte, solange er auch das noch tat, wofür er bezahlt wurde.

Wenn Herr de Fries den Herrschaften die teure Wagentür öffnete und dabei bescheiden erwähnte, dass er ein arbeitsloser Architekt war, dem das teuerste Apartment dieses Hauses gehörte, erwarteten die Herrschaften natürlich nicht, dass er ihre Koffer trug. Sie wagten auch nicht, ihm ein Trinkgeld anzubieten. Sie luden ihn stattdessen gelegentlich zu einem Abendessen in die »Stadt Hamburg« ein, wo er sich als höflicher, gebildeter und unterhaltsamer Gast erwies. Zu den Damen war er »ganz reizend«, aber er trat ihnen nie zu nahe.

Neue Gäste waren zu begrüßen, neue Wünsche zu befriedigen, neue Klagen zu bedauern.

»Wir wohnten ja lieber in Kämpen, da ist das Publikum besser«, räsonierte ein Paar in modischer Pracht.

»Dort ist es aber teurer!«, gab Hanny Runne zu bedenken.

»Oh, auf das Geld kommt es nicht an!«

Hanny Runne nahm den Schlüssel für das gebuchte Apartment zurück. Sie vermachte ihnen das Teuerste, was sie in Kämpen noch hatte, zwei Kilometer Fußweg zum Strand, und schlug noch fünf Mark pro Tag drauf. So waren diese Leute, denen es aufs Geld nicht ankam, die für jede Handreichung Trinkgelder gaben und sich dann wunderten, wenn ohne Trinkgeld überhaupt nichts mehr ging. Sie nahmen nie ein Staubtuch in die Hand und muteten denen, die hinter ihnen her putzen mussten, einfach alles zu. Aber sie klauten die Kleiderbügel und die Aschenbecher und glaubten, das wäre ihr gutes Recht.

In der Tiefgarage wies Herr de Fries den Düsseldorfer Riesenschlitten auf den Stellplatz ein und öffnete in untadeliger Haltung der hübschen Frau Bartholomae die Wagentür. Er enthielt sich sachverständig jeder Art von Anbiederungsversuchen an die beiden silbergrauen Chow-Chows, die mit asiatischer Arroganz abwarteten, dass Juwelier Bartholomae das Zeichen zum Aufbruch gab.

Wie durch Zauberei tauchten der Garagenmeister Brodersen und sein Gehilfe auf und griffen bereitwillig beim Gepäckausladen zu. Herr de Fries nahm das Kosmetikköfferchen aus Krokodil, den silbergrauen Nerz und den Aquascutum-Mantel und überließ das schwere Gepäck den niedrigeren Chargen. Er führte die Herrschaften zum Fahrstuhl und brachte sie hinauf zum vierzehnten Stockwerk. Er schloss ihnen die Apartment-Tür auf und ließ ihnen und den Hunden höflich den Vortritt, wartete einen Augenblick und freute sich.

Die Herrschaften zeigten sich beeindruckt von den gelben Leinentapeten, den weißen Regalen, dem schwarzweiß gekachelten Fußboden und den weiß-samtenen Polstern der verchromten Halbkugeln, in denen man auf dem Rücken liegen und auf dem Boden schaukeln konnte. Immerhin wiesen die beiden Schlafzimmer richtige Betten auf. An dekorativ leeren florentinischen Tonkübeln auf der Terrasse ging der Blick vorbei in die flirrende Unendlichkeit des Sylter Himmels. Die Herrschaften bewunderten Eleganz, Ausstattung und Ausblick.

»Es ist mein Apartment«, sagte Herr de Fries bescheiden. »Ich habe es selbst eingerichtet. Ich bin Architekt. Ich musste mein Büro auflösen und überbrücke bei Södersen. Die Zeiten werden sich wieder ändern.«

Herr Bartholomae ließ die Münzen, die er bereits in der Hand hatte, in die Hosentasche zurückgleiten. Die hübsche Frau Bartholomae zeigte liebenswürdig ihre hübschen Zähne. Herr de Fries ließ Pelz, Aquascutum und Kosmetikköfferchen auf den Stuhl im Vorraum gleiten und verabschiedete sich. Die beiden Chow-Chows begleiteten ihn zur Tür, wo sie dann artig auf Befehle ihres Herrn warteten.

Brodersen und Gehilfe brachten das schwere Gepäck. Niemand erwartete, dass Herr de Fries Hand anlegte.

»Wie schrecklich, Leo, der arme Kerl! Ein arbeitsloser Architekt!«, rief die junge Frau Bartholomae, als sie gegangen waren. »Findest du das Zimmer hübsch?«

Herr Bartholomae wiegte den Kopf und betrachtete seine Umgebung. »Der Fußboden gehört in den Vatikan. Die komischen Sessel stünden besser im Schaufenster eines Möbelgeschäfts, und florentinische Kübel auf einer Terrasse aus Beton und rostfreiem Stahl - wenn das das Beste ist, was er kann, wundert es mich nicht, dass er arbeitslos ist.«

»Die Sessel sind aber doch wirklich lustig, Leo! Man kann darin schaukeln!« Sie setzte sich hinein und schaukelte.

Er sah ihr lächelnd zu. »Ich sitze lieber auf einem anständigen Stuhl. Ich nehme mir den aus dem Vorraum. Es ist ja nur für eine Woche!«

Herr de Fries wäre über diese Unterhaltung nicht erbaut gewesen, und Hanny Runne hätte sie nicht verstanden. Sie war von diesem Apartment begeistert und von den großen schwarzweißen Fußbodenkacheln hingerissen, so oft sie sie sah. Hanny Runne hätte am liebsten ebenfalls große, schwarzweiße Fußbodenkacheln gehabt. Aber die hatte ihr Inken Strandvogt, bei der sie wohnte, ausgeredet. »Weißt du, Hanny«, sagte sie, »für große schwarzweiße Fliesen ist dein Zimmer zu klein, und im Winter ist so was sehr kalt. Bleib lieber bei deinem Spannteppich!«

 

»Kann ich ein Einzimmer-Apartment haben?«, fragte ein dunkelhaariger junger Mann am Empfangstisch, als die blonde Antje Webern sich ihm zuwandte und ihre blauen Kinderaugen fragend auf ihn richtete.

Sie überflog die Wandtafeln mit den Vormerkungen. »Im sechsten Stock, Landseite«, sagte sie zögernd und warf einen Blick auf die bescheidene Kleidung des jungen Mannes. »Siebzig Mark die Nacht, und nur für eine Woche!«

»Wunderbar«, erklärte der junge Mann erfreut. »Das nehme ich!« Er sagte, er heiße Maximilian Stettner und käme aus Hannover.

Antje Webern trug dies gewissenhaft in ihr Anmeldebuch ein und ließ es ihn unterschreiben. Dann gab sie dem jungen Mann Zimmerschlüssel und Wäschepaket und bat Emmo Anderson, den Herrn auf Apartment einhunderteinundfünfzig zu führen und ihm das Klappbett zu erklären. Anschließend wandte sie sich liebreich der nächsten Kundschaft zu.

Der junge Mann schaute ihr mit einem bedauernden Blick nach. Er hätte sich einhunderteinundfünfzig sichtlich lieber von Antje Webern zeigen lassen. Jetzt wandte er sich ab, um Emmo Anderson zu folgen, und stieß dabei unter der Eingangstür mit einer Erscheinung in Schwarz und Gold zusammen, die nach allen orientalischen Wohlgerüchen duftete.

Herr Maximilian Stettner sagte »Pardon«, trat zur Seite, ließ die schwarze Erscheinung an sich vorüberwehen und vergaß darüber das flachsblonde Kind der Insel. Er folgte Emmo Anderson zum Fahrstuhl.

Die schwarzgoldene Dame wehte an den Empfangstisch zu Uwe Jensen hin und legte eine lange, weiße Hand, geschmückt mit mindestens sechs Solitären, auf den Tisch. »Ach bitte«, hauchte sie mit ungewöhnlichem Wohllaut in der weichen Stimme, »ich habe ein Apartment bestellt.«

Uwe Jensen betrachtete die üppige Schönheit in schwarzem Batist, der zwar durchsichtig, aber in zahllosen Lagen vom Hals bis zu den Knöcheln herabwallte, und mit rotbraunen Locken, die ein leidenschaftliches Antlitz mit dunklen Augen und hinreißenden Lippen umrahmten.

Uwe Jensen hatte den Eindruck, dass Edelsteine, Haare und Zähne der Dame echt waren. Er legte seinen ganzen Charme in sein Lächeln. »Auf welchen Namen, bitte?« Er war überzeugt, dass unter der wogenden Stoffhülle alles echt war.

»Lieselotte Kiepenträger«, antwortete die duftende Erscheinung und legte eine zweite Hand mit noch mehr Solitären zu der ersten. Schon der Name klang reich. Arme Leute heißen nicht so!

»Zweihundertsechsunddreißig im achten Stock, gnädige Frau«, erklärte Uwe Jensen überwältigt. Er holte Schlüssel und Wäschepaket herbei, um das wunderbare Geschöpf zu begleiten.

»Mein Wagen steht vor der Tür«, flötete sie. Sie reichte ihm den Schlüssel. »Kann man ihn in die Garage fahren und mein Gepäck nachbringen?«

»Selbstverständlich, gnädige Frau«, sagte Uwe und reichte den Schlüssel weiter an den zurückkommenden Emmo Anderson. »Es ist ein weißer Jaguar«, erklärte das Wesen aus der großen Welt und übersah den armen Emmo vollkommen.

Sie ließ sich von Uwe Jensen die Tür aufhalten. In den sepiabraunen Tiefen ihrer Augen blitzte ein Licht auf, und ein fernöstliches Lächeln spielte um ihren Mund. Ihre Augen versenkten sich tief in die des jungen Mannes, dann schritt sie an ihm vorüber.

Uwe zog die Schultern zurück und lächelte stärker. Er wusste, was solche Blicke bedeuteten. Der selige Herr Kiepenträger war schon zu lange selig. Sie war eine Witwe mit viel Geld. Er würde sich den Abend freihalten.

»Herr Hansen«, sagte Direktor Mollenhauser aus Duisburg zu dem stämmigen Hausmeister, »ich schenke Ihnen den Hund. Sie müssen ihn nehmen! Sehen Sie, wie zutraulich er ist! Er liebt Sie, man sieht es gleich. Es ist ein Wachtelhund, beste Rasse! Ich schicke Ihnen noch den Stammbaum! Ich muss ihn hergeben. Meiner Frau ist es zu viel Arbeit. Und ich bin immer unterwegs!«

Es war ein sehr edler Hund. Sein braunes Fell glänzte, Schwanz und Ohren waren einwandfrei. Er hatte keinen weißen Fleck am Körper. Hausmeister Hansen kraulte ihn am Hals.

»Sie heißt Agathe«, fuhr Direktor Mollenhauser fort. »Eine Seele von Hund, ein Hund wie Gold, beißt nie, bellt nie, hat überhaupt keine Unarten! Bei Ihnen hätte sie genügend Auslauf. Sie brauchen sie nie an die Leine zu nehmen. Wissen Sie, diese Hunde finden immer an ihrer eigenen Spur zurück. Tun Sie mir den Gefallen, behalten Sie ihn. Ich weiß Agathe dann in guten Händen!«

 

Eine Frau war mit dem Fahrstuhl hängengeblieben.

Es gibt viele Leute, die in seelische Verwirrung geraten, wenn man sie in winzige Räume einsperrt. Die Frau verlor die Nerven. Sie hämmerte gegen die verschlossene Tür, sie weinte, sie schrie, sie betete. Sie fluchte Westerland, der Kurverwaltung, der Insel, dem Hausmeister, dem lieben Gott.

Hausmeister Hansen versuchte, sie über den Lautsprecher zu trösten, und arbeitete fieberhaft daran, den Fehler zu finden. »Das Ding muckt«, erklärte er ratlos, »es muckt vom ersten Tag an! Regen Sie sich nicht auf. Es ist noch immer in Ordnung gekommen.«

Sie regte sich aber weiter auf. Sie raufte sich die Haare. Sie hockte am Boden und weinte. Sie zitterte, schluchzte, schimpfte und jammerte. Sie flehte Gott und alle Heiligen an, man möge ihr da heraushelfen. Sie versprach dem Hausmeister goldene Berge, um ihm im nächsten Augenblick die Pest an den Hals zu wünschen, ihm, seiner Familie, dem Haus, dem ganzen Kurzentrum.

Es dauerte zwanzig Minuten, bis der Fahrstuhl sich wieder bewegte. Hausmeister Hansen half der Frau heraus. Er brachte sie zurück in ihre Wohnung, zu Fuß, zwölf Stockwerke hoch. Sie war eine Eigentümerin. Und sie schwor, nie wieder einen Fahrstuhl zu betreten.

Sie trank Kaffee und nahm Beruhigungstabletten, beruhigte sich tatsächlich. Dann ging sie zum Telefon und rief Hanny Runne an. »Ich verkaufe das Apartment«, sagte sie, beruhigt, aber bitter. »Ich will es nicht mehr haben. Ich verkaufe es so, wie es ist, mit allem Drum und Dran und mit dem letzten Putzlappen.«

»Gut«, sagte Hanny Runne, »ich will sehen, was ich dafür bekommen kann.«

Sie legte den Hörer auf und blätterte im Telefonbuch, rief dann in Hamburg an. »Ich habe ein Apartment für Sie. Dreißig Quadratmeter, Seeseite, zwölfter Stock, mit voller Einrichtung. Hunderttausend Mark!«

 

In seinem Büro jenseits der Passage telefonierte Herr Södersen ebenfalls mit Hamburg. »Wir mussten den großen Fahrstuhl stilllegen. Der ist jetzt schon zum dritten Mal in diesem Monat hängengeblieben. Es ist wie verhext. Wenn ihr nicht sofort jemand herüberschickt, der das Ding in Ordnung bringt, kündige ich den Wartungsvertrag!«