Todesfalle - Katharina Peters - E-Book + Hörbuch

Todesfalle Hörbuch

Katharina Peters

5,0

Beschreibung

Der tote Callboy und die Staatsanwältin.

Die verdeckte Ermittlerin Emma Klar hat beschlossen, ein wenig kürzerzutreten, als die Staatsanwältin Steiner sie bittet, jemanden zu suchen. Einen Mann namens Rico, der verschwunden ist und als Callboy gearbeitet hat. Wenig später wird Rico tot auf einem Betonschiff gefunden – und eine der Personen, die zuletzt mit ihm gesehen wurden, ist angeblich Ulrike Steiner. Oder lügt der Zeuge? Emma Klar versucht, Licht in das Dunkel zu bringen, doch dann geschieht ein weiterer Mord ... 

Hochspannend und mit viel Lokalkolorit erzählt – der neue Bestseller von Katharina Peters.

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Zeit:11 Std. 6 min

Sprecher:Katja Liebing
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Über das Buch

Emma Klar, die als verdeckte Ermittlerin in Wismar tätig ist, hat schon häufiger mit der Staatsanwältin Ulrike Steiner zusammengearbeitet, doch nun wird sie mit einem heiklen Fall konfrontiert. Die Staatsanwältin bittet sie, nach einem Callboy namens Rico zu suchen, der spurlos verschwunden ist. Emma begreift sehr bald, dass Steiner und der verschwundene Callboy eine Beziehung hatten. Dann wird Rico tot auf einem Betonschiff gefunden – offenbar wurde er gefoltert. Für die Staatsanwältin wird der Fall brisant. Anscheinend möchte jemand sie unter Druck setzen und Ermittlungen in einem anderen Fall behindern.

Über Katharina Peters

Katharina Peters schloss ein Studium in Germanistik und Kunstgeschichte ab. Sie begeistert sich für japanische Kampfkunst und lebt mit ihren Hunden in Schleswig-Holstein. An die Ostsee fährt sie, um zu recherchieren, zu schreiben – und gelegentlich auch zu entspannen.

In der Rügen-Serie mit der Ermittlerin Romy Beccare sind bisher dreizehn Bände erschienen, zuletzt der Bestseller »Wintermord«.

Aus der Ostsee-Serie sind »Todesstrand«, »Todeshaff«, »Todeswoge«, »Todesklippe«, »Todeswall«, »Todesbrandung« sowie »Todesküste« lieferbar.Mit der Kriminalpsychologin Hannah Jakob als Hauptfigur sind »Herztod«, »Wachkoma«, »Vergeltung«, »Abrechnung«, »Toteneis« und »Abgrund« lieferbar.In der Bornholm-Serie sind erschienen: »Bornholmer Schatten«, »Bornholmer Falle«, »Bornholmer Flucht« sowie »Bornholmer Finale«.Mehr zur Autorin unter www.katharinapeters.com

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Katharina Peters

Todesfalle

Ein Ostsee-Krimi

Übersicht

Cover

Titel

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Inhaltsverzeichnis

Titelinformationen

Informationen zum Buch

Newsletter

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Impressum

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Prolog

Wie lange lag das zurück? Viele Jahre. Damals hatte er schon einmal das lukrative Angebot erhalten, an einer speziellen Party auf dem Redentiner Betonschiff teilzunehmen – eine ziemlich wilde Feier in besonderem Ambiente. Das berühmte Wrack war weit über die Wismarer Gegend hinaus bekannt – ein grauer Koloss und ein technisches Denkmal aus den 1940er Kriegsjahren, zudem in der Szene der GPS-Schatzsucher und Abenteurer als »Lost Place« deutschlandweit legendär. Wer Richtung Poel unterwegs war, fuhr direkt an ihm vorbei und konnte das Ungetüm bewundern.

Soweit Philipp sich an seinen Geschichtsunterricht erinnerte, wurde das unvollendete Schiff in den letzten Kriegstagen als leerer Rumpf in Richtung Westen geschleppt, landete später am Dornierhafen in Wismar und schließlich in der Redentiner Bucht, wo es nach einem Sturm im flachen Wasser sank und liegen blieb. Seitdem wachte der Betonklotz unverrückbar als Wahrzeichen vor der Küste – sämtliche Versuche, das Wrack an Land zu schleppen, waren misslungen, und alternative Nutzungen als Partyschiff oder skurriles Ferienobjekt konnten nicht realisiert werden.

Partys wurden auf dem populären Wrack trotzdem immer wieder gefeiert, erinnerte sich Philipp mit leisem Lächeln, und zwar seit Jahrzehnten. Und auch wenn der Zugang inzwischen erschwert worden war, stellte es keine besondere Herausforderung dar, im seichten Wasser zum Klotz zu gelangen oder mit einem Boot längsseitig anzulegen und sich klammheimlich an der Bordwand hochzuhangeln. Philipp war vor einer halben Stunde mit seinem Kajak eingetroffen, und noch war er allein. Er sollte sich auf dem Schiff verstecken – das gehörte zum besonderen Reiz dieses Auftrages – und das Eintreffen eines Trios abwarten. Die Begegnung mit den beiden Männern und der Frau sollte nach abgesprochenen Regeln erfolgen. Die Frau »wünschte« ein wildes Sex-Überredungsspiel mit drei Männern, bei dem die Beteiligten Masken trugen, und das Ganze sollte gefilmt werden. Philipp seufzte. Im Klartext: Seine Auftraggeber hatten den Wunsch, eine Vergewaltigungsphantasie auszuleben. Solche Aufträge gehörten auch zu seinem Geschäft – ob das Szenario nun auf einem Schiff, in einem abgelegenen Haus, am Strand oder wo auch immer stattfand. Philipp hatte nichts gegen diese sexuelle Spielart einzuwenden – Menschen hatten derlei Phantasien, und es war eine gute Idee, solche Vorstellungen mit einem Profi wie ihm zu wagen. Er kannte die Grenzen und Signale, er spürte, wenn es aus dem Ruder zu laufen drohte, und verstand es, eine Situation zu befrieden oder gnadenlos und mit beträchtlichem Gewaltpotenzial auf die Spitze zu treiben, wenn gewünscht – in der Regel jedenfalls. Ausnahmen bestätigten die Regel. Zudem kannte er den Auftraggeber. Die Entlohnung für den Ausflug auf das Betonschiff war übrigens fürstlich – so viel verdiente er in der Regel in einem Monat, wenn überhaupt.

Philipp streckte sich und unternahm einen Rundgang. Ein leichter Wind wehte seewärts. Als er das Motorengeräusch hörte, waren kaum zehn Minuten vergangen. Er kauerte sich am Bug in eine dunkle Ecke. Wenig später hörte er leise Stimmen. Er kniff die Augen zusammen. Es war gar nicht so einfach, die Gestalten in der Dunkelheit zu unterscheiden. Schließlich lief jemand in seine Richtung. Das dürfte die Frau sein, dachte Philipp. Er wartete, bis sie auf seiner Höhe war, dann verließ er seine Deckung und folgte ihr auf leisen Sohlen. Im nächsten Moment drehte sich die Gestalt um – es war keine Frau. Das war deutlich zu erkennen, auch wenn der Mann eine Maske trug. Philipp stutzte. Dann tauchten die beiden anderen auf. Die drei umringten ihn, und sekundenlang herrschte Totenstille, während Philipp nur seinen Atem hörte.

»Was ist los?«, flüsterte er dann. »Habe ich etwas falsch verstanden?« Ein Schauer jagte plötzlich über seinen Rücken, sein Herzschlag beschleunigte abrupt.

»Das kann schon sein«, erwiderte einer der drei in leisem Ton und leuchtete ihm mit einer Taschenlampe ins Gesicht.

Philipp hob einen Arm schützend vor die Augen. Die Angst schwappte wellenartig in ihm hoch. »Was ist hier los?«

»Das wirst du noch früh genug erfahren«, sagte ein anderer. Er trat näher und schlug ihm ansatzlos mit der Faust ins Gesicht.

Philipp ging sofort zu Boden. Er stöhnte leise, während das Blut aus seiner Nase schoss. Zwei Typen packten ihn und zogen ihn wieder hoch. Der dritte stand dicht vor ihm, seine Augen blitzten in den schmalen Schlitzen seiner Maske auf. »Du wirst dir wünschen, dass diese Nacht sehr schnell endet.«

1

Emma Klar konnte durchweg zufrieden sein. Nach den letzten aufreibenden und langwierigen Ermittlungen in den Rostocker Fällen hatte sie sich für einige Zeit aus der aktiven Polizeiarbeit zurückgezogen und vornehmlich ihren Partner Christoph Klausen unterstützt. Die Auftragslage in dessen Sicherheitsfirma hatte sich weiter vielversprechend entwickelt, so dass ihr Lebensgefährte inzwischen einen festen Mitarbeiterstamm sowie etliche Aushilfen beschäftigte, und Jörg Padorn durfte sich als frisch ernannter Leiter der IT ganz in seinem Element fühlen. Auch der Ausbau der Räumlichkeiten in Gadebusch – einschließlich einer Privatwohnung – war abgeschlossen. Christoph wirkte rundweg zufrieden. Zu seinen Kunden gehörten mittlerweile auch überregional tätige Baufirmen und mittelständische Unternehmen, die an individuellen Sicherheitslösungen interessiert waren, Geschäftsleute mit erhöhtem Bedarf an Personen- und Begleitschutz sowie lukrative Aufträge in der Veranstaltungsbranche.

Emma bearbeitete an ihrem Wismarer Standort zusätzlich kleinere Anfragen als Privatdetektivin und hatte in den letzten Monaten Recherchen im Auftrag des BKA durchgeführt. Der Nachklang der letzten Ermittlungen war langsam verhallt, und sie hatte begonnen, sich an einen ruhigeren Arbeitsalltag zu gewöhnen. Doch unaufgeregte Routine, gleichmäßige Abläufe und Zufriedenheit im Arbeitsalltag bedeutete tatsächlich nicht alles – auch das stellte sie wieder häufiger fest. Oder wie Christoph kürzlich bemerkt hatte: »Du beginnst, mit den Füßen zu scharren wie ein Rennpferd, dem die Laufkilometer fehlen. Würde mich nicht wundern, wenn du demnächst wieder nach einer neuen Herausforderung Ausschau hältst.«

»Ach, Unsinn«, hatte sie rasch erwidert. Und doch war das keine schlechte Beschreibung ihrer Gefühlslage. Christoph kannte sie inzwischen besser, als ihr manchmal lieb war, und vor allen Dingen durchschaute er sie.

In der Woche darauf blieb sie für mehrere Tage alleine in Wismar, erledigte Bürokram, unternahm ihre geliebten Hafenspaziergänge und wagte sich zum ersten Mal in diesem Frühjahr in die Ostsee – bei äußerst kühlen Temperaturen gut geschützt im Neoprenanzug. Der erste Tauchgang in die Tiefe. Atemloser Einklang mit der kalten Stille. Hoffnung und Sehnsucht. In sich ruhend alles spüren. Als sie wieder auftauchte, waren knapp zwei Minuten vergangen. Kein schlechter Start fürs Apnoetauchen nach der langen Winterpause.

Wenig später kehrte sie in die Stadt zurück und freute sich auf eine heiße Dusche und ein üppiges Frühstück, bevor sie nach Gadebusch aufbrechen wollte. Vor der Detektei wartete eine Frau und studierte das Firmenschild am Schaufenster, wie Emma von Weitem beobachtete. Sie hatte ihr den Rücken zugewandt – eine große hagere Gestalt mit spitzen Schultern und rotem Haar. Ein neuer Auftrag, Kategorie: untreuer Ehemann? Oder eine Geschäftsfrau, die einem Mitarbeiter nicht über den Weg traute? Emma erkannte sie erst, als sie sich umwandte: Ulrike Steiner – die spitzzüngige und energische Rostocker Staatsanwältin, die ihr bei zurückliegenden Ermittlungen so manch riskanten Alleingang verziehen und immer wieder darauf vertraut hatte, dass Emma mit ihrer intuitiven und forschen Art richtig liegen könnte. Interessanter Besuch am frühen Morgen.

Emma parkte den Wagen am Straßenrand, stieg aus und setzte ein Lächeln auf, während sie rasch näher trat. »Guten Morgen, Frau Steiner. Ich hoffe, Sie mussten nicht zu lange warten.«

Die Staatsanwältin fasste sie ins Auge. Ihr üblicherweise scharfer Blick wirkte vergleichsweise milde. »Ich habe keinen Termin vereinbart, also muss ich mich aufs Warten einstellen«, erwiderte sie gewohnt spröde.

Emma schloss auf und ließ Steiner ins Büro treten. »Nehmen Sie doch schon mal Platz. Ich koche uns einen Tee …«

»Nicht nötig.«

»Für mich schon.« Emma lächelte. »Ich muss mich nach dem ersten Bad in der See dringend ein bisschen aufwärmen.«

Steiner blickte sie verblüfft an.

»Ich hoffe, Sie haben ein paar Minuten Zeit.«

»Natürlich.«

Emma zog sich rasch um, kochte Tee und biss nebenbei in ein Brot, dann ging sie mit dem Tablett nach unten und reichte Steiner eine Tasse. »Was kann ich für Sie tun?«, fragte sie dann und blickte die Staatsanwältin an.

Steiner trank einen Schluck. »Ich möchte Sie für einen Auftrag gewinnen – falls Sie genügend freie Kapazitäten haben.«

Emma stellte ihre Tasse ab. »Natürlich. Offizielle Ermittlungen sind gerade nicht angesagt, insofern …«

»Es ist nichts Offizielles, ganz im Gegenteil – darum bin ich hier«, warf Steiner. »Es geht um eine private Angelegenheit. Ich bitte Sie um eine diskrete Personensuche.«

Emma nickte. »Kein Problem.«

Ulrike Steiner sah einen Moment ins Leere, dann fasste sie Emma wieder ins Auge. »Es geht um einen Mann, den ich nur unter dem Namen Rico kenne. Er arbeitet als Callboy in Rostock und wird seit einiger Zeit vermisst. Hinweise auf eine Straftat, die offizielle Ermittlungen rechtfertigen würden, liegen nicht vor, doch ein Freund ist in großer Sorge – er befürchtet, dass ihm etwas zugestoßen sein könnte, und hat mich um Unterstützung gebeten.«

Emma hoffte, dass sich ihre Verblüffung nicht allzu deutlich auf ihrem Gesicht widerspiegelte. Sie griff erneut nach ihrer Tasse.

»Ich bitte Sie, auf Ihre Weise nachzuforschen«, schob Steiner hinterher. Der Blick aus ihren hellgrünen Augen war schwer zu deuten, doch ihre Stimme verriet zumindest Nervosität.

Emma beeilte sich zu nicken. »Selbstverständlich. Ich kann sofort anfangen.«

Steiner zog eine Visitenkarte aus ihrer Tasche und reichte sie Emma über den Tisch, während sie abrupt aufstand. »Bitte benachrichtigen Sie mich über meine private Mailadresse.«

»Verfügen Sie über Informationen zu Rico, die mir den Einstieg bei der Suche erleichtern könnten?«, warf Emma rasch ein und erhob sich ebenfalls.

»Er bietet seine Dienste über eine Website an, die ich vermerkt habe. Mehr kann ich auch nicht …«

»Und der besorgte Freund?«

»Der erreicht ihn seit geraumer Zeit nicht, und das ist so ungewöhnlich, dass er mich gebeten hat nachzufassen.«

»Ich verstehe.« Emma verzog keine Miene. Dass der Auftrag ungewöhnlich war, stand außer Frage. »Sie können sich auf mich verlassen«, fügte sie hinzu, als die Staatsanwältin bereits in der Tür stand.

Steiner drehte sich um. »Sonst wäre ich nicht hier.« Damit fiel die Tür ins Schloss.

Emma blickte aus dem Fenster und sah der Staatsanwältin, die mit steifen Schritten die Straße hinuntereilte, einen Moment nach, bevor sie sich an den Schreibtisch setzte und Ricos Website aufrief. Der vermisste Callboy war Ende dreißig und ausgesprochen attraktiv; er arbeitete seit Jahren als »Begleiter in vielen Lebenslagen«, wie er angab. Dass er eine Vielzahl von möglichen Dienstleistungen anbot, verstand sich von selbst. Was aus nachvollziehbaren Gründen fehlte, waren jegliche Hinweise auf seine tatsächliche Identität. Rico dürfte sein Künstlername sein; auch das angegebene Alter könnte falsch sein.

Emma betrachtete die hervorragend getroffenen Fotos des Mannes – nachdenklich lächelnd mit knapper Bekleidung am Strand sitzend, auf dem Motorrad in Lederkluft, bei einem Spaziergang im Wald, tanzend in einem Club, lachend in einer Bar inmitten einer Gruppe fröhlich feiernder Menschen. Immer wirkte Rico ebenso authentisch wie attraktiv und charmant, und sein Lächeln war ausgesprochen bezaubernd. Selbst der Dreitagebart und der gut definierte Sixpack wirkten natürlich. Emma lächelte. Ein zweifellos hübscher Kerl. Sie schickte Padorn den Link zur Website und bat ihn, genauer nachzuforschen, wo der junge Mann abgeblieben war. Dann ging sie unter die Dusche.

Padorn meldete sich, als sie endlich bei ihrem wohlverdienten Frühstück saß – Rühreier und frisches Brot. Sie stellte die Verbindung her. »Hallo, Kollege.«

»Ähm …«, räusperte sich Padorn zur Begrüßung, und Emma sah ihn förmlich vor sich, wie er sich im Nacken kratzte und verlegen nach den richtigen Worten suchte.

Sie konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. »Hast du schon was entdeckt?«, fragte sie in unschuldigem Tonfall nach.

»Nö … Darf ich fragen …«

Emma lachte. »Bevor du auf ganz dumme Gedanken kommst und dich fragst, wie du Christoph alarmieren könntest – es geht um einen Auftrag, einen überaus diskreten noch dazu. Der hübsche Callboy wird vermisst, und eine gemeinsame Bekannte, deren Name hier keine Rolle spielen sollte, hat mich gebeten, nach ihm zu suchen.«

»Verstehe.« Das klang erleichtert. »Und mehr hast du zu ihm noch nicht entdeckt?«

»Nein, der Knabe versteckt seine Identität sehr geschickt. Allerdings habe ich bislang auch noch keine Tiefenrecherche vorgenommen, sondern dachte sofort …«

»Dass ich das erledigen könnte?«

»Natürlich, und zwar deutlich gründlicher und erfolgreicher als ich.«

»Okay. Ich versuche mal mein Glück«, erwiderte Padorn.

»Das hatte ich gehofft zu hören.«

»Kommst du heute noch nach Gadebusch?«

»Hatte ich vor. Vielleicht kannst du mir nachher schon mehr zu ihm berichten.«

Doch die Hoffnung erfüllte sich nicht. Auch Padorn entdeckte keine Anhaltspunkte, weder an diesem noch in den nächsten Tagen. Emma befürchtete, dass die Suche ohne offizielle Recherchemöglichkeiten ins Leere laufen würde, und sie vermutete, dass die Staatsanwältin sich an dem Punkt kaum sehr weit aus dem Fenster lehnen konnte – und zwar unabhängig davon, was Steiner mit Rico verband.

Staatsanwältin Ulrike Steiner blickte aus dem Bürofenster in die Tiefe. Sie hatte ein ungutes Gefühl. Auf Emma Klar war Verlass, daran zweifelte sie keinen einzigen Moment. Die Tatsache, dass Steiner sich dazu hatte hinreißen lassen, ihrer Unruhe und zunehmenden Sorge nachzugeben und etwas zu unternehmen, ließ tief blicken – natürlich existierte der angebliche Freund, der sich an sie gewandt hatte, gar nicht. Eine Notlüge, zu der sie sich entschlossen hatte, denn sie war mittlerweile fest davon überzeugt, dass etwas passiert war.

Rico gehörte zu den zuverlässigsten Menschen, mit denen sie je zu tun gehabt hatte – und zu den attraktivsten. Er sah aus wie Viggo Mortensen in seinen besten Jahren, das war damals ihr erster Gedanke gewesen, war charmant, klug, witzig und unkompliziert, darüber hinaus ein Liebhaber mit einem Repertoire, das keine Wünsche unerfüllt ließ. Dass sie ihn vermisste wie einen guten Freund, einen zärtlichen Vertrauten, ging natürlich zu weit, zumindest für eine Frau in ihrer Position. Das musste ihr niemand sagen. Ändern ließ sich daran jedoch nichts.

Das Arrangement mit Rico bestand seit einigen Jahren, und sie hielt es nach wie vor für eine ihrer besten privaten Entscheidungen, nachdem sie festgestellt hatte, dass sie zwar an keiner festen Beziehung interessiert war, doch ihre erotischen Bedürfnisse nicht zu kurz kommen sollten. Der Verzicht auf jegliche sexuelle Aktivitäten machte sie übellaunig – und sie galt ohnehin nicht unbedingt als unbeschwerte Frohnatur. Der Entschluss, eine ebenso diskrete wie einvernehmliche Lösung zu finden, bei der weder Fragen noch Sehnsüchte offengeblieben waren, hatte sich als Garant für Ausgeglichenheit und unbekümmerte Lebensfreude entpuppt – zumindest zeitweise. Rico hatte ihr sämtliche Bedenken und Ängste genommen, die ihrem ersten Treffen vorausgegangen waren, und es war ihm gelungen, sie zum Lachen zu bringen. Das konnten nicht viele Menschen von sich behaupten.

Inzwischen hatten sie einander ganz gut kennengelernt, wussten um die Ecken und Kanten des anderen. Eine offene, vertrauensvolle Freundschaft war natürlich nicht denkbar, nicht einmal die Klarnamen hatten sie ausgetauscht. Sie trafen sich ein-, manchmal zweimal im Monat in einem Hotel am Rande von Rostock, und Steiner ging es anschließend viele Tage überragend gut. Ein perfekt eingespieltes Ritual, auf das sie sich immer freute und das jäh unterbrochen worden war. Zu ihrem letzten verabredeten Treffen war Rico nicht gekommen – ohne abzusagen oder eine Nachricht im Hotel zu hinterlegen, und sie konnte ihn nicht erreichen. Das lag jetzt etliche Tage zurück, und Steiner hatte sofort gewusst, dass etwas nicht stimmte. Nun würde sich Emma Klar darum kümmern. Niemand sonst kam für diese Aufgabe infrage.

Steiner war auch viele Stunden nach ihrem Besuch in Wismar davon überzeugt, die richtige Entscheidung getroffen zu haben, trotz eines unbestrittenen Restrisikos, das nicht wegzudiskutieren war. Die BKA-Frau und private Ermittlerin überspannte oftmals den Bogen, sorgte gerne ohne jegliche Absprache für Dynamik in brenzligen Ermittlungen, was Steiner bereits so manches graue Haar gekostet hatte. Doch der Erfolg gab ihr immer wieder recht – sofern man Erfolg daran bemaß, dass die Hintergründe eines Tatgeschehens offenkundig wurden, Verdächtige sich als Schuldige entlarvten und genügend Beweismaterial für eine Anklage zusammenkam. Ging es jedoch ausschließlich darum, Ermittlungsabläufe streng nach juristischen Regeln und Vorgaben durchzuführen, war Emma keine gute Partnerin – in welchem Team auch immer.

Nach den letzten Fällen hatte sie sich eine ganze Weile zurückgezogen. Das Geschehen um den Kindermörder Rolf Pallner, der von betroffenen Eltern monatelang gefangen gehalten und gefoltert worden war, bevor er am Strand von Graal-Müritz einen eisigen Tod starb, hatte auch Emma Klar nachhaltig verstört.

Steiner wandte sich um, als das Telefon klingelte, machte aber keine Anstalten, das Gespräch anzunehmen. Nach vier Rufzeichen blieb es still. Mitten im Pallner-Fall hatte es einen Erpressungsversuch gegeben, erinnerte sie sich plötzlich. Jemand hatte sie beschattet und Fotos hinter die Windschutzscheibe geklemmt – in der Tiefgarage des Hotels, in dem sie sich immer mit Rico traf. Die Bilder erzählten die süffisante Geschichte einer Staatsanwältin, die erotische Dienste käuflich erwarb – von Rico, einem jungen und höchst attraktiven Callboy. Süffisant? Die Darstellung entsprach den simplen Tatsachen, doch der Täter hatte sich mit den Bildern natürlich ein geeignetes Druckmittel erhofft, mit dem sie im laufenden Ermittlungsverfahren eingeschüchtert werden sollte. Das war nicht gelungen. Sie hatte seinerzeit einen LKA-Beamten im Verdacht gehabt, der tief in die Fälle verstrickt gewesen war. Der Mann hatte seine Beteiligung nicht zugegeben, doch entscheidend war in diesem Zusammenhang etwas anderes: Wer ihr schaden wollte und sich auf die Suche machte, würde früher oder später auf Rico stoßen. Das sollte sie nicht verwundern.

Derlei Erpressungsversuche waren nichts Neues, schon gar nicht in ihrer Behörde. Die Frage lautete darüber hinaus lediglich, ob es für Ricos Verschwinden ein Motiv gab, das mit ihr persönlich zu tun hatte. Es war viel zu früh für einen derartigen Verdacht – noch ließ sich nicht einmal ausschließen, dass Rico womöglich schlicht verreist oder plötzlich erkrankt war, ohne sie zu kontaktieren. Diese Variante klang nach ihren bisherigen Umgangsformen wenig überzeugend, völlig verwerfen konnte sie diese Möglichkeit dennoch nicht. Vielleicht wollte er sie als Kundin loswerden und blockierte ihre Nachfragen – auch das hörte sich eher lächerlich, zumindest unwahrscheinlich an. Er verdiente hervorragend an ihrem Arrangement. Warum sollte er von einem Date zum nächsten darauf verzichten? Darüber hinaus verlebten sie vergnügliche Stunden … Wirklich? Nun, zumindest empfand Steiner es so.

Die Staatsanwältin drehte sich wieder um und starrte in den Hinterhof. Für ihn war das Ganze ein Job. Nicht mehr, nicht weniger. Ein Job, den man auch wieder kündigen konnte. Natürlich. Doch ohne ein Wort der Erklärung in der Versenkung zu verschwinden – neudeutsch: Ghosting –, traute sie ihm nicht zu. Und vielleicht spiegelte sich daran nichts anderes als ein romantischer Impuls und die lächerliche Sehnsucht, sie möge für Rico mehr sein als ein gut bezahlter Job. Vielleicht war er ihrer überdrüssig geworden und hatte keine Lust, sich mit behutsamen Formulierungen von einer alternden Frau zu verabschieden, deren Privatleben von Eintönigkeit und Einsamkeit durchdrungen war. Könnte sie ihm das verübeln? Der Callboy, der keine Lust mehr hatte. Das klang – bitter, gemein. Ihre Feinde würden sich die Hände reiben.

Immerhin durfte sie wohl schlussfolgern, dass ein etwaiger Zusammenhang seines Verschwindens mit ihrem Amt als Staatsanwältin wenig wahrscheinlich war. Unter diesen Umständen hätte man sie längst kontaktiert und den Versuch unternommen, sie unter Druck zu setzen, dachte Steiner. Oder etwa nicht? Sie atmete tief durch und setzte sich schließlich wieder an ihren Schreibtisch, um einen beachtlichen Aktenstapel in Angriff zu nehmen. Es blieb zu hoffen, dass Emma Klar schnell etwas entdeckte.

Zwei Stunden später hatte sie mehrere Vorgänge erledigt, außerdem zahlreiche E‑Mails beantwortet und etliche Telefonate geführt. Sie war müde, sah auf die Uhr und beschloss, Feierabend zu machen. Auf dem Rückweg änderte sie spontan die Route und bog ab in Richtung Hotel. Sie brauchte zwanzig Minuten. Sie stoppte am Haupteingang, sah einen Moment zum Seitenfenster hinaus und fuhr schließlich langsam weiter. Was führe ich für ein armseliges Leben, dachte sie plötzlich, und ein leises Zittern durchfuhr sie. Ich sorge dafür, dass genügend Beweismaterial zusammenkommt, so dass Kriminelle sich vor Gericht verantworten müssen, mache mich dabei Jahr für Jahr immer wieder höchst unbeliebt, und zu den wichtigsten privaten Highlights gehört ein attraktiver Callboy, der mir sexuellen Genuss schenkt, sein Lächeln leiht und das Gefühl der Wertschätzung vermittelt. Nun ist er ohne ein Wort oder den kleinsten Hinweis verschwunden, und mein gesamtes emotionales Gerüst gerät ins Wanken. Was für eine grausame Bilanz!

Auf dem Heimweg kaufte sie in einem teuren Spezialitätengeschäft ein – Fisch in allen möglichen Variationen, französischen Käse, Weintrauben, knuspriges Baguette und Wein. Zwei Stunden später fiel sie betrunken und tieftraurig ins Bett.

2

Emma hörte die Meldung in den Frühnachrichten, kurz nachdem sie aus der Dusche gestiegen war. Das Radio plärrte durch alle Räume, während Christoph gut gelaunt und laut pfeifend das Frühstück zubereitete – Eier und Speck gehörten, dem Geruch nach zu urteilen, dazu.

»Jugendliche Touristen haben heute Nacht eine grausige Entdeckung gemacht«, erklärte der Nachrichtensprecher, während Emma sich aufs Bett setzte und konzentriert lauschte. »Das Redentiner Betonschiff sollte als Partylocation dienen, doch damit war schnell Schluss, als die Gruppe auf eine Leiche stieß. Die polizeilichen Maßnahmen sind eingeleitet. Noch kennt niemand die Identität des Toten und die Hintergründe des Geschehens. Einzelheiten werden heute im Laufe einer PK bekanntgegeben, wie der Wismarer Kommissariatsleiter uns erklärte. Wir halten Sie auf dem Laufenden.« Der Sprecher verstummte, Musik erklang.

Emma stellte das Radio leiser und zog sich an. Eine gute Woche war vergangen, seit die Staatsanwältin sie in Wismar aufgesucht hatte. Ihre bisherigen Bemühungen hatten keinerlei Ergebnisse zutage gefördert; auch Padorn war ratlos, wie sie ohne offiziellen Ermittlungsspielraum weiterkommen konnten, zumal Rico kein Typ war, der in den sozialen Netzwerken unterwegs war. Er betrieb sein Gewerbe auf höchst diskrete Weise. Seine Kundinnen nahmen Kontakt auf, und alles Weitere hatte er dann in der Hand. Seit gut zehn Jahren war er auf diese Weise im Geschäft. Und möglicherweise lebte er gar nicht mehr. Emma wusste, dass die Schlussfolgerung verfrüht war, doch zugleich lag der Verdacht nahe.

Kurz nach dem Frühstück rief sie Torsten Friedmann an, den Leiter der Wismarer Dienststelle, mit dem sie bereits in etlichen Fällen erfolgreich zusammengearbeitet hatte. Er war auf dem Weg in die Rechtsmedizin, wie er sofort erklärte. »Was kann ich für dich tun, Emma?«

»Wer ist der Tote?«, fiel sie direkt mit der Tür ins Haus.

Schweigen.

»Ich bin seit einer Woche mit einer Vermisstensuche beschäftigt«, fügte sie schließlich hinzu. »Und habe nicht das Geringste entdeckt. Gut möglich, dass es sich um den Toten handelt.«

»Verstehe. Und was weißt du über ihn?«

»Ende dreißig, gut aussehend, seit vielen Jahren als Callboy unter dem Namen Rico unterwegs.«

Friedmann räusperte sich. »Der Name sagt mir nichts.«

»Das ist mit Sicherheit nicht sein Klarname.«

»Der Tote trug den Ausweis eines Fitnessstudios bei sich«, erklärte Friedmann. »Bevor ich dir den Namen nenne, musst du …«

»Die Vermisstenanfrage war rein privat. Ein Freund hat ihn nicht erreicht und mich eingeschaltet, weil der Mann als absolut zuverlässig gilt. Nichts Offizielles.«

»Aber jetzt wird es ziemlich offiziell. Es geht um ein Tötungsdelikt, Emma.«

Sie hielt kurz inne. Hinter ihr klappte eine Tür. Padorn war eingetroffen und rumorte in der Teeküche, draußen fuhr Christoph vom Hof. Er sah zum Fenster und winkte ihr mit breitem Lächeln zu. Ihr Partner war glücklich und ging völlig in seinem Tun auf.

»Emma?«

»Du erfährst mehr, sobald es nötig wird.«

»Hast du ein Glück, dass wir uns schon so lange kennen«, meinte Friedmann leise.

»Und du außerdem ein Fan von mir bist.«

»Auch das. Ich schicke dir ein Foto von dem Ausweis. Bevor du damit durch die Gegend rennst …«

»Ich stimme mich mit dir ab – das ist hiermit hoch und heilig versprochen!«

»Soweit ich weiß, hast du mit Heiligkeiten nicht allzuviel am Hut.«

»Aber mit dir.«

Seufzen. »Na schön. Ich hoffe, dass ich das nicht bereuen muss.«

Augenblicke später traf das Foto auf ihrem Handy ein. Philipp Schöhne, achtunddreißig Jahre alt, wohnhaft in Rostock. Das verblichene Foto war mindestens fünf Jahre alt, vielleicht sogar zehn, aber die Ähnlichkeit mit Rico war unverkennbar.

Emma atmete tief durch. Sie wählte die Nummer der Staatsanwältin. Steiner ging zunächst nicht ans Telefon, rief aber ein paar Minuten später zurück.

»Ich fürchte, ich habe etwas entdeckt.«

Steiner blieb zunächst still. »Es gibt einen Fall?«, fragte sie dann leise.

»Ja. Auf dem Redentiner Betonschiff wurde eine Leiche entdeckt, und ich denke, dass es sich um Rico handelt.«

Erneutes Schweigen. »Wie sicher sind Sie?«, fragte Steiner schließlich.

»Zu neunzig Prozent. Die Wismarer Kollegen haben den Ausweis eines Fitnessstudios bei ihm gefunden – mit Foto. Der Mann heißt Philipp Schöhne.«

»Was ist passiert?«

»Es handelt sich um Mord.«

Emma spürte das Entsetzen, mit dem Steiner zu kämpfen hatte. Sekunden später klickte es. Die Staatsanwältin hatte wortlos aufgelegt. Eine knappe Stunde später traf eine E‑Mail von ihr ein, in der sie Emma um eine Unterredung unter vier Augen bat – in Wismar. Emma sagte sofort zu und machte sich wenig später auf den Weg.

Ulrike Steiner wartete bereits vor der Detektei, als Emma vorfuhr – wie vor einigen Tagen. Aber nun ging es um den Mord an einem Menschen, der Steiner nicht unbekannt war – diese Schlussfolgerung war aufgrund ihrer Reaktion mehr als wahrscheinlich. Emma hatte während der Fahrt ein weiteres Mal mit Friedmann telefoniert und ihm Einzelheiten zur Todesursache entlocken können. Die Umstände würden die Unterredung mit Steiner erheblich erschweren.

»Ich habe eine Bitte«, ergriff die Staatsanwältin das Wort, kaum dass sie das Büro betreten hatten. Steiner setzte sich. Sie war bleich, die großen Hände fanden keine Ruhe, ihre Haltung war steif und ungelenk.

»Natürlich«, erwiderte Emma. »Kann ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?«

Energisches Kopfschütteln. »Nein, danke.« Steiner sah zur Seite, suchte nach Worten. »Ich kannte Rico«, sagte sie dann und fasste Emma ins Auge. »Das haben Sie sich wahrscheinlich längst gedacht. Und ich muss Sie bitten, diese Verbindung so lange wie möglich aus den Ermittlungen herauszuhalten. Den Hintergrund können Sie sich vorstellen. Wenn das herauskommt …« Sie winkte ab. »Man wird sich vergnüglich johlend das Maul zerreißen. Wie die Menschen nun mal so sind.«

Emma nickte. Das würde eine hässliche Schlammschlacht geben, davon war auch sie überzeugt. Andererseits war es nicht ungefährlich, wenn später herauskam, dass Ulrike Steiner den Callboy kannte, wahrscheinlich eine Kundin von ihm war und die Verbindung verschwiegen hatte. Die Staatsanwältin hob das Kinn. »Es wird so oder so eine unschöne Geschichte, die wohl früher oder später auch zu mir führen wird. Später ist mir im Augenblick wesentlich lieber. Wissen Sie genauer, was geschehen ist?«

»Kommissariatsleiter Torsten Friedmann hat berichtet, dass der Mann schwer misshandelt wurde, bevor er starb. Zeugen gibt es bislang noch nicht. Falls niemand zufällig beobachtet hat, wie Leute auf das Betonschiff geklettert sind, wird es schwer. Der Todeszeitpunkt liegt wohl mehrere Tage zurück – so lautete der erste Eindruck, den die Rechtsmedizin gewinnen konnte.«

Steiner wandte den Blick ab. »Könnte ich doch ein Glas Wasser bekommen?«, fragte sie einen Moment später und sah Emma wieder an.

»Natürlich.« Emma eilte nach oben in die Küche und kehrte kurz darauf ins Büro zurück.

Steiners Hände zitterten, als sie das Glas ergriff.

»Darf ich fragen, wann Sie ihn das letzte Mal gesehen haben?«

»Anfang des Monats«, entgegnete Steiner, ohne zu zögern. »Und er war wie immer. Mir ist nichts aufgefallen, was sich jetzt im Nachhinein als Hinweis gewichten ließe. Ich muss allerdings hinzufügen …« Sie zögerte einen Moment, dann nickte sie. »Wir haben nie so viel Persönliches ausgetauscht, dass sich darin der jeweilige Lebenshintergrund widerspiegelte. Ich bin sicher, dass er nichts über meinen beruflichen Hintergrund wusste. Vielleicht täusche ich mich auch, aber …« Sie hob die Hände. »Es war unwichtig.« Sie räusperte sich leise. »Er war ein feiner Mensch. Warmherzig, lebenslustig und witzig. Er konnte mich zum Lachen bringen.«

Emma ließ die Worte so stehen. Eine fröhlich lachende Steiner war schwer vorstellbar. Doch eine beinharte und scharfzüngige Staatsanwältin mit vielen Ecken und Kanten, die sich ihre freie Zeit von einem Callboy versüßen ließ, war ebenfalls ein Bild, das Emma ehrlicherweise Mühe hatte, vor ihrem inneren Auge zusammenzufügen. Fest stand, dass Steiner zutiefst berührt war.

»Da Rico … Philipp Schöhne gebürtiger Rostocker war, könnte der Fall zusammen mit den Kollegen aus Wismar bearbeitet werden«, erklärte Steiner plötzlich bemüht sachlich. »Und ich möchte, dass Sie dem Team angehören«, fügte sie nach kurzem Überlegen hinzu. »Sie haben sich aufgrund eines anonymen Hinweises mit seinem Verschwinden bereits beschäftigt. Es wäre nicht das erste Mal, dass Sie aufgrund eines solchen Zusammenhangs zu Ermittlungen hinzugezogen werden. Ich spreche mit Ihrer BKA-Chefin und kläre das mit den Dienststellenleitern.« Das klang gewohnt energisch. Steiners Tatendrang war erwacht. »Oder spricht irgendetwas aus Ihrer Sicht dagegen?«

Emma schüttelte den Kopf. »Nein …« Sie zögerte.

»Ich werde den Fall selbstverständlich nicht selbst übernehmen. Abgesehen davon, dass ich mit anderen Ermittlungen mehr als genug zu tun habe, wäre eine solche Vorgehensweise fatal.«

Emma nickte erleichtert.

Steiner trank ihr Glas aus und stand abrupt auf. »Danke. Sie haben was gut bei mir.« Sie sah auf die Uhr. »Ich leite noch während der Rückfahrt alles in die Wege. Und Sie halten mich auf dem Laufenden?«

»Selbstverständlich.«

Emma blickte der Staatsanwältin einen Moment nach. Sie hatte sich wieder etwas gefangen, so wirkte es zumindest äußerlich. Die Frau hatte einen guten Freund verloren, einen Geliebten. Nichts anderes war Rico für sie gewesen. Doch wenn das herauskam, standen ihr üble Zeiten bevor.

Emma rief Padorn an und brachte ihn auf den neuesten Stand, bevor sie sich kurz mit Moritz Tambach, dem Rostocker Kommissariatsleiter, austauschte – in beiden Fällen ließ sie Steiners Rolle außen vor –, dann machte sie sich auf den Weg in die Wismarer Dienststelle. Dort herrschte eine ziemliche Hektik. Friedmann hatte gerade die weitere Vorgehensweise im Team besprochen und sah ihr mit hochgezogenen Brauen entgegen.

»Das ging ja schnell«, meinte er flapsig. »Und du willst mir nicht verraten, warum du mit im Boot sitzt?«

»Wir sind ein gut eingespieltes Team, oder? Ich bin eine wertvolle Unterstützung und betätige mich als Springer zwischen Wismar und Rostock, nicht zum ersten Mal. Du bist hier der Chef, Tambach in Rostock – wie gehabt. Außerdem suche ich schon eine Weile nach dem Mann«, erwiderte sie gelassen.

»Ja, ja. Das ist die offizielle Version. Aber ich traue dem Frieden nicht«, murrte er.

»Es steckt tatsächlich nichts Besonderes dahinter«, betonte Emma. »Lass uns den Täter suchen. Darin sind wir nicht schlecht.«

»Es werden wohl mehrere sein. Davon geht die Rechtsmedizin schon mal aus.«

Emma kniff die Augen zusammen.

»Lass uns in mein Büro gehen«, meinte Friedmann. »Ich zeige dir die Tatortfotos.«

Die Leiche war kein schöner Anblick, stellte Emma wenig später fest. Philipp Schöhne war halb nackt und gefesselt aufgefunden worden. Massive Spuren von Schlägen und Tritten übersäten seinen Oberkörper und das Gesicht. Emma atmete tief aus, während sie die einzelnen Bilder betrachtete. Dass der Mann einmal sehr attraktiv ausgesehen hatte, war nicht mal mehr im Ansatz zu erkennen.

»Das ist die Ausgangslage«, erklärte Friedmann mit einem schnellen Blick in Richtung Fotos. »Er starb an inneren Verletzungen. Was die Spurenlage vor Ort angeht – damit lässt sich auf dem alten Wrack kaum etwas anfangen, wie du dir denken kannst. Außerdem liegt das Geschehen viele Tage zurück.« Er wischte sich über die Stirn. »Wir werden die Gegend abklappern, und die üblichen Routineüberprüfungen – Stichwort: Verkehrsüberwachung und so weiter – laufen gerade an. Die Tiefenrecherche zu dem Mann übernimmt Rostock. Wenn ich richtig informiert bin, kümmert sich der Kollege Tambach bereits um die Wohnungsdurchsuchung. Mehr haben wir noch nicht.« Er warf ihr einen scharfen Blick zu. »Oder kannst du möglicherweise schon mehr zu ihm sagen?«

»Wie ich schon erwähnte: Er war auch als Callboy Rico bekannt.«

Friedmann wartete ab, dass sie weitersprach.

»Doch es gibt nichts zu ihm – das haben wir bereits bei der Vermisstensuche festgestellt …« Sie hielt inne, als ihr Handy klingelte. »Das ist Padorn. Ich geh mal kurz ran.«

Friedmann deutete eine zustimmende Geste an.

»Und? Was gibt es zu Philipp Schöhne?«, fragte Emma ohne Begrüßung.

»Nicht gerade berauschend viel«, erwiderte Padorn. »Gebürtiger Berliner. Eltern leben mittlerweile in einem kleinen Kaff in Brandenburg, ein jüngerer Bruder ist Arzt geworden und hat eine Praxis in Friedrichshain. Schöhne hat als Model und in Bars gearbeitet und ist vor ungefähr fünfzehn Jahren, also mit Anfang zwanzig nach Rostock gekommen. Mit seiner Callboy-Karriere dürfte es wenig später losgegangen sein. Offizielle Informationen zu seinen Finanzen und Ähnliches müsste Rostock wohl bald vorliegen haben. Ich mach mich mal schlau, ob ich in anderen Kreisen was zu ihm entdecke.«

»Rotlichtmilieu?«

»Ja. Die ersten Kontakte dürfte er wohl in der Szene geknüpft haben.«

»Alles klar. Bis später.« Emma legte auf.

Friedmann beäugte sie mit skeptischem Blick.

»Kollege – ich weiß nicht mehr als du. Ich hatte nur ein paar Tage früher mit ihm zu tun, weil sich jemand Sorgen um seinen Verbleib gemacht hat. Das ist auch schon alles.«

»Und wer ist dieser Jemand?«

»Ein Freund, der sich …«

Friedmann winkte ab. »Sorgen gemacht hat, ja, ich weiß. Du kennst seine Identität?«

Emma schüttelte den Kopf. »Ein anonymer Anrufer. Wie du weißt, reagiere ich auf solche Hinweise nicht zum ersten Mal.« Das war auf der einen Seite richtig, doch in dem Fall eine schlichte Lüge, die ihr nicht leichtfiel, aber zu diesem Zeitpunkt war sie vertretbar. Dass Friedmann sie ihr womöglich nicht abkaufte, stand auf einem anderen Blatt.

»Na schön. Machen wir uns an die Arbeit.«

Damit war Emma entlassen. Sie fuhr direkt nach Rostock. Philipp Schöhne hatte in der Südstadt in der Nähe des Kringelgrabenparks gewohnt. Als Emma dort eintraf, war Moritz Tambach mit einem Technikteam vor Ort. Er winkte ihr zu. »Es war jemand vor uns hier«, erklärte er.

»Einbruch?«

»Die Spurenlage dazu ist nicht eindeutig, aber wie es aussieht, hat sich jemand an seinem Laptop zu schaffen gemacht …«

Emma ließ ihre Blicke schweifen, während Tambach vorausging. Die Wohnung wirkte insgesamt unauffällig, die Einrichtung entsprach mittlerem bis leicht gehobenem Standard. Lediglich bei seiner TV- und Musikausstattung hatte Schöhne einen exklusiven Geschmack bewiesen, Ähnliches galt für die PC‑Ausrüstung seines Büros, das in einem kleinen Zimmer direkt neben dem Wohnraum untergebracht war. Einer der Technikleute saß vor einem Laptop der neuesten Generation, der Monitor hatte beachtliche Ausmaße, und auch der Schreibtisch stammte nicht aus dem Möbeldiscounter. Der Mann sah auf, als Emma und Tambach an die Tür traten.

»Ich bin sicher, dass hier vor Kurzem jemand dran war«, erklärte der Techniker nach beiläufiger Begrüßung. »Es sind etliche Dateien gelöscht worden.«

»Könnte Schöhne das nicht selbst gemacht haben?«, fragte Emma.

»Theoretisch schon, aber praktisch wäre ich da sehr skeptisch«, warf Tambach ein. »Der Löschvorgang erfolgte zu einem Zeitpunkt, als Schöhne bereits vermisst wurde. Darüber sprach ich gerade schon mit dem Kollegen.«

Der Techniker nickte. »Betroffen sind vor allem Einträge aus seinem Kalender – soviel kann ich sagen, weil der Zugriff auf die App zum selben Zeitpunkt erfolgte.«

Das war interessant. Emma tauschte einen schnellen Blick mit Tambach. »Besteht eine Chance, die Daten wiederherzustellen?«

»Das werde ich selbstverständlich noch genau prüfen. Allzuviel Hoffnungen würde ich mir allerdings nicht machen.«

»Besteht die Möglichkeit, die vorhandenen Kalenderdaten vorab …«

»Klar. Ich speichere den ganzen Kram und schicke sie schon mal dem Chef. Vielleicht könnt ihr was damit anfangen.«

»Danke.« Tambach legte dem Kollegen kurz eine Hand auf die Schulter, dann verließen sie das Büro. »Du kriegst später alle Infos und Unterlagen zu ihm«, versicherte er Emma, als sie im Flur stehen blieben. »Wir sollten das Team hier zunächst mal in Ruhe seine Arbeit machen lassen.«

Emma nickte und trat beiseite, als sich eine Kollegin von der Spurensicherung an ihr vorbeidrängte. »Ja, wir stehen uns hier nur gegenseitig auf den Füßen herum.«

»Womit haben wir es zu tun?«, überlegte Tambach, als sie wenig später vor dem Haus standen. »Milieumord? In der Wohnung haben wir bislang keinen einzigen Hinweis auf Schöhnes Tätigkeit entdeckt. Ganz sicher hat er seine Kundschaft nicht hier empfangen. Das Schlafzimmer wirkt völlig unspektakulär.«

Emma warf ihm einen ironischen Blick zu. »Also – die Ausstattung des Zimmers allein sagt wohl noch nichts darüber aus, wie aktiv und erfolgreich der Mann als Callboy Rico war. Meiner Erfahrung nach kann man sich auf einem schmalen Autositz ganz prächtig miteinander amüsieren.« Sie lächelte. »Und in so mancher Luxussuite passiert herzlich wenig …«

»Schon gut – so genau wollte ich es gar nicht wissen.«

»Nein? Ach übrigens – die gelöschten Kalendereinträge dürften wohl ein Hinweis darauf sein, dass es um seinen Job ging«, fügte Emma hinzu. »Der oder die Täter wollen verhindern, dass wir einen Zusammenhang herstellen.«

»Gut möglich. Wir werden sehen.« Tambach blickte auf sein Handy, auf dem gerade eine Nachricht eingegangen war, dann sah er Emma wieder an. »Hattest du eigentlich schon mal mit dem zuständigen Staatsanwalt zu tun?«

Sie schüttelte den Kopf. »Ich kenne noch nicht mal seinen Namen. Gibt es etwas zu beachten?«

»Tim Kramer ist inzwischen der zweite Mann nach Steiner«, erläuterte Tambach. »Er kam vor einiger Zeit aus Niedersachsen. Gilt als scharfer Hund, der sich selbst an vorderster Linie einbringt und gerne mal über die Stränge schlägt, um schneller zu Ergebnissen zu kommen.«

Gefällt mir, dachte Emma, behielt den Gedanken allerdings für sich.

»Steiner und er liegen manchmal im Clinch, aber ich finde, sie ergänzen sich ganz gut. Sie hat ihm den Fall sofort zugewiesen. Sie selbst hat mit einer größeren Wirtschaftssache wohl genug zu tun – und das Callboy-Milieu dürfte ihr ohnehin nicht liegen.« Er deutete ein süffisantes Lächeln an.

Wenn du wüsstest, dachte Emma und setzte eine gleichmütige Miene auf.

»Wie auch immer – du dürftest keine Probleme mit ihm haben. Und Steiner hat ganz bestimmt ein gutes Wort für dich eingelegt – falls das überhaupt nötig war.«

»Mein Ruf eilt mir voraus?«

»So ähnlich.«

Emma lächelte.

»Was hast du jetzt vor? Bis wir verlässliche Daten vorliegen haben, vergehen sicherlich noch mal ein paar Stunden.«

»Ich könnte schon mal in das Fitnessstudio fahren – während du den Kollegen Dampf machst«, erwiderte Emma.

»Gut – wir tauschen uns später wieder aus.«

Padorn hatte Emma die Kontaktdaten aufs Handy geschickt. Als sie bei der angegebenen Adresse an der Unterwarnow am Stadthafen eintraf, steckte ein Kärtchen an der Tür: »Bin gleich zurück. Robert.«

Seit dem Frühstück war mehr als ein halber Tag vergangen, wie Emma feststellte, und ihr Magen knurrte. Sie besorgte sich einen Imbiss und schlenderte am Wasser entlang. Nach einer guten halben Stunde kehrte sie zum Studio zurück. Am Empfang saß nun ein breitschultriger Typ in knappem Shirt. Tätowierungen zogen sich über Nacken und Schultern. Das Angebot des Fitnessstudios richtete sich eher an Kampfsportler und Bodybuilder der ersten Stunde, und zwar hauptsächlich an Männer, wie Emma mit einem raschen Blick in die Runde feststellte – das war eine schlichte Muckibude und kein hübscher Fitnessladen mit den neuesten Lifestyle-Ertüchtigungsangeboten Richtung Bauch, Beine, Po, während im Hintergrund flotte Beats den Rhythmus vorgaben. Hier würde sich Christoph auch wohlfühlen, dachte sie.

Der tätowierte Robert blickte hoch, als sie näher trat. »Was kann ich für dich tun?«, fragte er in sonorem Ton.

Emma zeigte ihm das Foto von Philipp Schöhnes Ausweis. »Ich habe ein paar Fragen zu diesem Mann«, fügte sie hinzu und zog ihren Dienstausweis aus der Jackentasche.

Robert betrachtete Schöhnes Profilbild eine ganze Weile, dann sah er hoch. »Hat er was angestellt?«

»Er ist ermordet worden.«

»Oh.«

»Finde ich auch.«

Robert drehte sich zu einem geöffneten Laptop um – ein Modell, das sicherlich etliche Generationen auf dem Buckel hatte – und gab Schöhnes Namen ein. »Der war schon länger nicht mehr hier«, meinte er dann.

»Wie lange genau?«

»Mehr als sechs Monate.« Robert klappte den Laptop wieder zu. »Das war aber nicht ungewöhnlich. Der hat nicht regelmäßig trainiert, sondern tauchte immer nur dann wieder auf, wenn er sich ein bisschen in Schwung bringen wollte.«

»Irgendwelche Auffälligkeiten?«

Kopfschütteln.

»Wann war er das erste Mal hier?«

»Vor gut fünf Jahren. Damals ist er verprügelt worden. Er wollte lernen, sich zu wehren.«

Interessant, dachte Emma. »Weißt du mehr zu ihm? Hat er mal erwähnt, was er macht?«

»Irgendwas mit Internet und Beratung. Genauer weiß ich es nicht, der Job ist bei uns auch völlig unwichtig. Hier trainieren Unidozenten und Straßenarbeiter, Verkäufer und Taxifahrer, Journalisten und Arbeitslose. Völlig egal.«

»Ich verstehe. Würdest du mich anrufen, wenn dir noch was zu ihm einfällt?«, fragte Emma und reichte ihm eine Visitenkarte.

Robert nickte beiläufig. Es wirkte nicht so, als hätte er großes Interesse, die Polizeiarbeit zu unterstützen.

»Er ist übrigens totgeschlagen worden – von mehreren Leuten. Man fand ihn auf dem Redentiner Betonschiff. Er hatte keinen leichten Tod. Aber vielleicht ist es ihm gelungen, sich zu wehren – dank des Trainings hier – und ein paar Treffer anzubringen.«

Robert hob den Blick und musterte sie aufmerksam.

»Ich würde gerne herausfinden, was da passiert ist.«

Nicken. »Alles klar. Ich höre mich mal um.«

»Das klingt gut. Danke.«

Emma wählte Tambachs Nummer, kaum dass sie den Fitnessclub verlassen hatte. »Habt ihr schon irgendwas zu seinem offiziellen beruflichen Hintergrund entdeckt?«, fragte sie nach kurzem Update. »Internet und Beratung klingt ja mehr als allgemein.«

»Wie es aussieht, hat Schöhne tatsächlich freiberuflich als Berater gearbeitet. Das zumindest ist seinen Steuerunterlagen zu entnehmen, soweit sie bislang zugänglich sind. Die angegebenen Einkünfte sind nicht schlecht, aber auch nicht überragend. Die offizielle Bestätigung vom Finanzamt bleibt natürlich noch abzuwarten. Übrigens sind die Unterlagen im Büro nicht auf dem aktuellen Stand. Möglicherweise hat er seinen Buchhaltungskram digital erledigt und sich das Ausdrucken gespart. Das heißt, wir wissen erst mehr, sobald die Festplatte ausgelesen ist.«

»Vielleicht hat er seinen Verdienst als Callboy hinter den offiziell steuerlich relevanten Einkünften versteckt«, überlegte Emma. »Und der Beratungskram ist Fake.«

»Hm. Aber bei seinem Internetauftritt wird nichts versteckt.«

»Es gibt nur diese Website und sonst nichts zu ihm«, erwiderte Emma. »Und man findet ihn nur dann, wenn man seinen Namen kennt. Er ist auch nicht mit irgendwelchen anderen einschlägigen Seiten verlinkt. Das hat Padorn schon festgestellt.«

»Worauf willst du hinaus?«

»Dass er bemüht war, nicht ins Blickfeld zu geraten und seine Tätigkeit verdeckt auszuüben. Womöglich hat das auch familiäre Gründe. Ich wette, niemand ahnt etwas von dieser Karriere. Der jüngere Bruder ist Arzt geworden. An der Stelle könnte die Kollegin in Berlin und Brandenburg mal nachforschen.«

Tambach schwieg einen Moment. »Das sollten wir im Hinterkopf behalten.«

»Sind die Eltern informiert worden?«

»Natürlich. Ich habe einen Brandenburger Kollegen gebeten, sich persönlich zu kümmern. Wie das Gespräch verlaufen ist, weiß ich noch nicht.«

»Okay. Bis später.«

»Eher bis morgen. Mein freies Wochenende hat sich dann damit auch erledigt«, gab Tambach seufzend zurück.

Emma telefonierte während der Fahrt nach Gadebusch mit Kommissarin Johanna Krass. Ihre BKA-Vorgesetzte ließ sich zunächst umfänglich ins Bild setzen, bevor sie einen Augenblick schwieg und schließlich das Wort ergriff. »Die Staatsanwältin war ganz wild darauf, dich im Team zu haben. Mal was Neues.«

»Vielleicht ist sie der Meinung, dass mir das Umfeld liegt – Callboy und so weiter«, gab Emma trocken zurück.

»Unbedingt.« Johanna lachte leise. »Na schön – schick mir euer Material. Dann mach ich mich hier mal schlau. Ich wollte am Wochenende ohnehin einen Ausflug nach Brandenburg unternehmen – eine erste Kajaktour steht auf dem Programm.«

»Viel Vergnügen.«

»Werde ich haben, denn ich bin alleine unterwegs, muss auf niemanden Rücksicht nehmen oder gar meinen Proviant teilen. Schreckliche Vorstellung, dass sich jemand an meinen Keksen vergreifen könnte …«

»Kekse beim Sport?«

»Natürlich – und starker Kaffee selbstverständlich. Was sonst? Irgendwelche Müsliriegel, isotonische Getränke oder Bioreiswaffeln? Soll ich mich etwa vergiften?«

Emma lachte. »Schon gut – ich ziehe die Frage zurück.«

»Dein Glück. Ach, sag mal – was denkst du, was da abgelaufen ist?«

»Man hat ihn auf das Wrack gelockt oder entführt, um ihn dort fertigzumachen. Ob tatsächlich ein Mord geplant war, lässt sich zu diesem Zeitpunkt nicht mal abschließend sagen …« Emma überlegte einen Moment. »Er starb an inneren Verletzungen. Vielleicht sollte er lediglich einen Denkzettel erhalten.«

»Und das Ganze ist eskaliert?«

»Ich schätze, die Täter haben gar nicht mitbekommen, dass er tödlich verletzt war. Bei einer geplanten Tötung hätten sie seine Leiche in der Ostsee entsorgt, oder? Die Vermisstensuche hat zu keinerlei Erkenntnissen geführt – und bei dem Ergebnis wäre es wohl geblieben, wenn es keine Leiche gäbe.«

»Na ja – wie häufig klettern denn Leute auf dieses seltsame Betonschiff?«

»Viel zu oft – frag gerne Friedmann. Das ist in der Gegend ein beliebter Spaß.«

»Verstehe.«

»Und nun haben wir seinen Klarnamen und einiges mehr. Ich bin gespannt, in welche Richtung das läuft.«

»Ja, ich auch.« Johanna gähnte und klang alles andere als wissbegierig oder gar aufgewühlt. »Ich melde mich.«

Als Emma in Gadebusch eintraf, hatte Padorn bereits Feierabend gemacht, und Christoph war noch unterwegs. Es war still auf dem Gelände. Mitarbeiter hatten entweder noch zu tun oder sich ins Wochenende verabschiedet. Auf ihrem Schreibtisch lag eine Notiz von Padorn. Hab dir ein paar Infos zusammengestellt. Alles wenig aufschlussreich für einen Mordhintergrund. Falls du morgen meine Hilfe benötigst, melde dich.

Padorn hatte detaillierte biographische Daten erfasst, den Lebenslauf an einigen Stellen vertieft und eine Liste mit möglichen Kontakten aus der Schul- und Ausbildungszeit hinzugefügt sowie um Fotomaterial aus dem beruflichen Hintergrund ergänzt. Philipp Schöhne war zwei Semester für BWL an der Technischen Universität eingeschrieben gewesen, hatte das Studium jedoch abgebrochen und eine kaufmännische Ausbildung bei einem Eventmanager absolviert. Schnappschüsse der Firma von mehreren Veranstaltungen zeigten einen jungen Schöhne beim Bühnenaufbau und im Kollegenkreis. Mit Anfang zwanzig hatte er den Betrieb verlassen, in Bars und als Model gejobbt, bevor er schließlich seinen Lebensmittelpunkt nach Rostock verlegt hatte. Ob zuvor Kontakte in die Hansestadt bestanden hatten, erschloss sich nicht – bislang jedenfalls nicht.

Ein unstetes Leben, dachte Emma. Philipp Schöhne hatte seine Familie und Berlin hinter sich gelassen und in der Hansestadt ein verdecktes Leben als Callboy geführt. So wirkte es bei genauerem Hinsehen.

»Er war ein feiner Mensch. Warmherzig, lebenslustig und witzig. Er konnte mich zum Lachen bringen.« Mit diesen Worte hatte Ulrike Steiner ihn beschrieben.

3

Johanna hatte sich eine Tour auf der Strecke Spree und Dahme Richtung Seddinsee herausgesucht, von wo sie dann nach Zeuthen zu den Eltern von Philipp Schöhne weiterfahren wollte. Doch am Samstagmorgen regnete es in Strömen, und es blieb ihr nichts anderes übrig, als umzudisponieren. Kekse und Kaffee konnte man allerdings auch hinterm Steuer genießen.

Ella und Konrad Schöhne waren am Vortag von einem Beamten über den Tod ihres ältesten Sohnes in Kenntnis gesetzt worden. Johanna hatte vor ihrem Aufbruch kurz mit dem Kollegen telefoniert. »Hochgradig entsetzt haben die nicht gerade reagiert«, hatte der Beamte auf Johannas Nachfrage erwidert. »Vielleicht der Schock – ich kann es schwer einschätzen.«

Natürlich war es der Schock, dachte Johanna. Auf die Ermordung des eigenen Sohnes folgten nur drei mögliche Reaktionen: Schockstarre, lautes, verzweifeltes Entsetzen oder komplette Verweigerung. Dazwischen gab es nichts. Johanna hatte entschieden, ihren Besuch nicht anzumelden. Als sie in Zeuthen eintraf, war es kurz nach zehn Uhr. Das Ehepaar wohnte in einem schmucken Bungalow am Wald. Konrad Schöhne war Mitte sechzig und seit Kurzem Rentner – nach einem langen Arbeitsleben in einem Baubetrieb. Seine Frau war noch halbtags in einer Kita beschäftigt. Auf ihr Klingeln bewegte sich die Gardine, einen Augenblick später trat eine hochgewachsene Frau mit vollem grauem Haar aus der Tür. Sie musterte Johanna mit stummem Blick und sah nur kurz auf den gezückten Dienstausweis, dann wandte sie sich um und ging mit langsamen Schritten voraus durch die Diele ins Wohnzimmer.

»Mein Mann ist nicht da – er ist heute früh losgejoggt. Das macht er täglich, und wenn ihn etwas bedrängt, ist er auch mal zwei Stunden unterwegs«, erklärte sie leise und wies auf einen Sessel. »Nehmen Sie doch Platz.«

Johanna setzte sich und atmete tief durch. Die Frau dürfte in dieser Nacht kein Auge zugemacht haben.

»Er ist sogar schon Marathon gelaufen. Können Sie sich das vorstellen?«

»Nein. Ich kann nicht mal ansatzweise nachvollziehen, wie Menschen auf die Idee kommen, stundenlang durch die Stadt zu rennen, noch dazu gemeinsam mit zigtausend anderen«, erwiderte Johanna.

Ella Schöhne verzog den Mund. »Tja … Sie sehen übrigens nicht aus wie eine Kommissarin«, fügte sie schließlich hinzu.

»Das höre ich nicht zum ersten Mal. Ich bin wohl eher der saloppe Typ.«

»Ich finde das angenehm. Mögen Sie etwas trinken? Ich habe gerade Kaffee gekocht.«

»Sehr gerne.«

Der Kaffee war ziemlich gut – und fast so stark, wie Johanna ihn bevorzugte. Sie nickte anerkennend. »Wunderbar.« Sie hielt den Blick der Frau fest. »Darf ich Ihnen ein paar Fragen stellen?«

»Darum sind Sie ja hier. Der Beamte, der uns gestern die Nachricht überbrachte, hat uns bereits darauf vorbereitet, dass die Polizei noch einmal kommen wird.« Ella Schöhne blickte auf ihre Hände und schüttelte den Kopf. »Ich habe wohl noch gar nicht verstanden, was passiert ist. Ich spüre nur eine große Leere in mir und eine dunkle Fassungslosigkeit …« Sie wandte den Kopf abrupt zur Seite.

Johanna ließ die Stille zu. Als Schöhne sie wieder ansah, war mindestens eine Minute vergangen. »Wir hatten nicht viel Kontakt«, erklärte sie, und ihre Stimme klang schwer und dumpf. »Ein-, höchstens zweimal im Jahr tauchte er auf, hin und wieder telefonierten wir. Er hatte immer viel zu tun. Und Rostock ist ja nicht gerade um die Ecke.«

»Hat er mal von seinem Job erzählt?«

»Er war als Berater tätig.« Ella Schöhne zuckte mit den Achseln. »Für kleinere und mittlere Unternehmen. Was genau zu seinen Aufgaben gehörte, kann ich nicht sagen. Ich denke, es ging um Veranstaltungen und PR‑Kram – das hat er ja auch gelernt.«

Johanna verzog keine Miene. Die Eltern wussten nichts zum tatsächlichen beruflichen Hintergrund, und es stellte sich die Frage, ob es nötig war, sie mit einer höchstwahrscheinlich schmerzhaften Wahrheit zu konfrontieren, die sie zusätzlich belasten würde.

»Er hat sich wohl mit den falschen Leuten eingelassen«, fügte Schöhne in leisem Ton hinzu.

»Neigte er dazu, Menschen zu vertrauen, die ihm nicht guttaten?«

»Ich weiß es nicht. Vielleicht. Aber wir bekamen ja nicht viel mit, was sein Leben anging.«

»Und Ihr Mann? Oder auch der Bruder? Gab es einen engeren Kontakt?«

»Mein Mann sicher nicht. Und Oliver sollten Sie selbst fragen.« Sie blickte hoch, als jemand am Fenster vorbeilief. »Da kommt mein Mann«, sagte sie und stand auf. »Ich sag ihm, dass Sie da sind – dann beeilt er sich mit der Dusche.«

»Er soll sich Zeit lassen. Schließlich ist Wochenende.«

Konrad Schöhnes Miene war unbewegt, als er einige Minuten später ins Wohnzimmer trat und Johanna begrüßte. Er wirkte nicht wie ein Langstreckenläufer – er war groß, schwer und athletisch wie ein Zehnkämpfer, und die Mitte sechzig sah man ihm an. Sein Händedruck war kraftvoll. Er setzte sich und wandte sich dann seiner Frau zu. »Könntest du mir eine Kleinigkeit zu essen bringen?«

»Natürlich. Erst mal ein Müsli mit Obst?«

Er nickte, und seine Frau verschwand in der Küche. Konrad Schöhne wandte sich sofort Johanna zu. »Ich bin durchaus in der Lage, mich selbst um mein Essen zu kümmern«, erklärte er in leisem Ton. »Ich wollte lediglich kurz mit Ihnen alleine sein. Was genau ist passiert?«

Johanna stutzte nur einen Moment. »Ihr Sohn wurde bereits vor etlichen Tagen getötet«, erwiderte Johanna. »Er ist nach schwerer Misshandlung verstorben. Die Kollegen in Wismar und Rostock gehen davon aus, dass man ihn auf das Schiffswrack gelockt hat.«

Schöhne blinzelte. »Hängt es mit seinem … Job zusammen?« Er hob das Kinn. »Ich weiß Bescheid«, fügte er nach einem schnellen Blick zur Küchentür hinzu. »Ich kenne den Hurenjob, den er macht.« Schöhne knetete seine Hände und schloss kurz die Augen. »Entschuldigen Sie die Ausdrucksweise, aber so ist das nun mal für mich. Eine grausige Vorstellung.«

»Meinetwegen müssen Sie kein Blatt vor den Mund nehmen. Lieber geradeheraus. Damit kann ich wesentlich mehr anfangen.«

»So wirken Sie auch.« Schöhne nickte. »Ich wundere mich jedenfalls nicht, dass er auf diese Weise ums Leben gekommen ist. So was passiert, wenn man sich in dieses Milieu begibt.«

Woher weißt du das eigentlich so genau?, dachte Johanna, behielt die Frage allerdings für sich. »Seit wann wissen Sie, dass Ihr Sohn als …«

»Das hat sich schon damals angedeutet.«

»Damals?«

»Während seiner Ausbildung, mit Anfang zwanzig. Ich habe mal zufällig ein Telefonat mitbekommen, dann wurde mir alles klar …« Schöhne winkte ab. »Wäre er jünger gewesen, hätte ich ihn verdroschen, aber …« Er wischte sich über die Nase. »Letztlich ist es ganz einfach: Er war schon immer ein hübscher Kerl, und er hat damit Geld verdient, viel Geld.« Er zuckte mit den Achseln, dann hob er den Kopf und legte kurz den Zeigefinger über die Lippen.

Ella Schöhne trat ein und reichte ihrem Mann eine Schüssel. »Reicht dir das?«

»Danke, sieht wunderbar aus.«

Sie strich ihrem Mann durchs Haar. Ihre Hand zitterte. »Lass es dir schmecken. Nachher koche ich dir etwas Schönes.« In ihrer Stimme schwang liebevolle Wärme und abgrundtiefe Traurigkeit.

Johanna neigte nicht zu Melancholie, und sie ließ sich selten von ihren Emotionen treiben, doch die Szene berührte sie zutiefst. Ein älteres Paar, das sich in einer schwarzen Stunde ihres gemeinsamen Lebens aneinander festhielt und Trost spendete.

Konrad Schöhne suchte Johannas Blick. »Unser Jüngster ist auf dem Weg zu uns. Wenn Sie warten möchten«, er sah kurz auf die Uhr, »könnten Sie auch gleich mit ihm sprechen. Da er immer ausgesprochen pünktlich ist, müsste er in der nächsten Viertelstunde eintreffen.«

»Das ist eine gute Idee«, stimmte Johanna zu. »Wie war eigentlich das Verhältnis der Brüder Ihrer Einschätzung nach?«

»Distanziert«, meinte Schöhne.

Diese Viertelstunde könnte sich ziehen, dachte Johanna und wollte gerade vorschlagen, im Wagen zu warten, als Ella plötzlich aufstand und einen Fotoband aus dem Wohnzimmerschrank zog. »Als Kinder haben die beiden zusammen gerudert. Wir haben damals tolle Aufnahmen gemacht. Möchten Sie einen Blick darauf werfen?«

»Gerne.«

Johanna blätterte sich durch die Kindheit und frühe Jugend der Brüder – sehr sportliche Kinder, die im Ruderclub aktiv waren, aber auch Fußball und Hockey gespielt hatten. Die beiden waren sich äußerlich ausgesprochen ähnlich, stellte die Kommissarin fest. Als sie im letzten Drittel des Bandes angekommen war, traf Oliver ein. Die Eltern gingen gemeinsam zur Tür, und Johanna hörte leise Stimmen im Flur, das Weinen der Mutter, tröstende Worte von Oliver. Kurz darauf trat die Familie gemeinsam ins Wohnzimmer, und Oliver Schöhne begrüßte Johanna. Er war höflich und wirkte ernst, und die Brüder sahen sich immer noch sehr ähnlich. »Sie sind vom BKA – habe ich das richtig verstanden?«, fragte Oliver und setzte sich zu ihr.

»Ja, ich bin zuständig für überregionale Ermittlungen – da Ihr Bruder gebürtiger Berliner war, liegt es nahe, dass ich den Kontakt zur Familie suche. Darf sich Sie fragen, wann Sie das letzte Mal …«

»Weihnachten«, warf er sofort ein. »Wir haben telefoniert. Ich war hier bei den Eltern, und wir haben ihn gemeinsam angerufen. Alles war wie immer.« Oliver blickte hoch, als seine Mutter ihm eine Tasse Kaffee reichte. Einen Augenblick später zogen sich die Eltern in die Küche zurück.

Johanna fasste Oliver ins Auge. »Ihr Bruder hat als Callboy gearbeitet. Wussten Sie davon?«

Er nickte sofort. »Mein Vater hat es mir erzählt. Ich wollte es nicht glauben, aber …« Er hob eine Braue. »Es steht mir nicht zu, ihn zu verurteilen. Doch … Na ja, er hätte viele berufliche Möglichkeiten gehabt. Ich verstehe nicht …« Er sah auf. »Muss ich vielleicht auch gar nicht. Fest steht allerdings, dass ich mich distanziert habe.« Er strich eine Strähne zurück.

»Warum genau?«