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Katharina Peters

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Beschreibung

Die Toten am Salzhaff.

Die verdeckte Ermittlerin Emma Klar soll einen Mann beschatten, der wegen Totschlags zehn Jahre im Gefängnis saß, dessen Tatmotiv jedoch unklar geblieben ist. Christoph Klausen verhält sich zunächst völlig unauffällig, doch dann werden in einer Ferienanlage an der Ostsee zwei grausam zugerichtete Leichen gefunden. Emma glaubt, in Klausens Vergangenheit eine Verbindung zu den Toten zu erkennen. Sie heftet sich eigenmächtig an seine Fersen – und kommt ihm dabei gefährlich nahe ...

Ein spannender Ostseekrimi mit verdeckter Ermittlerin und Inselflair von der Autorin der Bestseller "Hafenmord", "Fischermord" und "Todesstrand".

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Über Katharina Peters

Katharina Peters, Jahrgang 1960, schloss ein Studium in Germanistik und Kunstgeschichte ab. Sie begeistert sich für Aikido, ist passionierte Marathonläuferin und lebt im südlichen Berliner Umland.

Aus der Reihe mit Romy Beccare sind lieferbar: »Hafenmord«, »Dünenmord«, »Klippenmord«, »Bernsteinmord« sowie »Leuchtturmmord«.

Mit der Kriminalpsychologin Hannah Jakob als Hauptfigur sind lieferbar: »Herztod«, »Wachkoma«, »Vergeltung« und »Abrechnung«.

Informationen zum Buch

Die Toten am Salzhaff

Die verdeckte Ermittlerin Emma Klar soll einen Mann beschatten, der wegen Totschlags zehn Jahre im Gefängnis saß, dessen Tatmotiv jedoch unklar geblieben ist. Christoph Klausen verhält sich zunächst völlig unauffällig, doch dann werden in einer Ferienanlage an der Ostsee zwei grausam zugerichtete Leichen gefunden. Emma glaubt, in Klausens Vergangenheit eine Verbindung zu den Toten zu erkennen. Sie heftet sich eigenmächtig an seine Fersen – und kommt ihm dabei gefährlich nahe ...

Ein spannender Ostseekrimi mit verdeckter Ermittlerin und Inselflair

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Katharina Peters

Todeshaff

Ein Ostsee-Krimi

Inhaltsübersicht

Über Katharina Peters

Informationen zum Buch

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Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Impressum

Prolog

Irgendwo hatte er gelesen, dass Rache den Schmerz nicht auflöste und nur für einen lächerlich kurzen Zeitraum Erleichterung und Befriedigung an seine Stelle trat, wenn überhaupt. Von Erlösung ganz zu schweigen. Vergeltung und Rache stellten Illusionen dar, hieß es weiter, ein fataler Irrtum mit schalem Bei- und üblem Nachgeschmack, der alles nur noch schlimmer machte. Er lächelte. Schwachsinn – nach allem, was er dazu wusste und sich vorzustellen vermochte. Wer das geschrieben hatte, wusste nicht, wie vielschichtig, weitgreifend und komplex der Akt der Rache sein konnte.

Sie hatten ihn beide verdient – diesen Tod und keinen anderen. Immerhin hatte er beiden Männern einen Ausweg angeboten, ihr scheußliches Ende abzuwenden. Doch weder der eine noch der andere hatte begriffen, wie misslich ihre Lage und wie ernst es ihm war. Beide widerstanden der Verlockung. Ein Geständnis ihrer Untaten kam nicht in Frage. Welche Untaten? Hätte er sein Versprechen gehalten? Natürlich nicht. Darum ging es doch gar nicht.

Vielleicht war ihnen das klar geworden.

Der erste Tod kam mit dem Stolpern des Herzens, man sah es dem Gesicht förmlich an, und es endete im Zerreißen. Qualvoll. Er sah sich die Videoaufnahme in Ruhe an, bevor er sein Versteck verließ und den kleinen Bungalow betrat, um sich davon zu überzeugen, dass es tatsächlich vorbei war. Fahle Gesichtsfarbe, vor Schreck geweitete Pupillen, in denen kalte Leere zu sehen war. Die Enge im Fuchsbau hatte eine Panikattacke ausgelöst und ihm den Garaus gemacht. So kann es kommen. Dieses Sterben passte perfekt zu dem Mann.

Er lauschte minutenlang in sich hinein, fast verblüfft, wie gut es ihm ging, wie entspannt sein Herz schlug, sobald er sich vorstellte, welche Konsequenzen diese Tat nach sich ziehen, welchen Aufruhr sie auslösen würde. Dann streifte er Handschuhe über und schlang einen Fuchsschwanz um den Hals des Toten. Es machte ihm nicht das Geringste aus, ihn zu berühren. Anschließend entfernte er die Kamera und tilgte sämtliche Spuren.

Den anderen Mann erwischte es kurze Zeit später. Er musste sich erbrechen und erstickte an seiner Kotze. Auch er bekam den Fuchsschwanz, wie eine Trophäe.

Im Schutz der Dunkelheit verließ er das Gelände – ein einsam gelegenes Ferienlager am Salzhaff mit einigen sanierungsbedürftigen Blockhäusern und Bungalows, in denen der Duft des letzten Sommers nur noch eine melancholische Erinnerung war. Nun roch es nach salzigem Tod. Nach Angst und Kotze. Wie passend.

Es war still in ihm, er spürte Zufriedenheit, mehr noch: Erfüllung, ein bisschen Häme und Vorfreude, zugegeben. Er war zutiefst davon überzeugt, zum perfekten Zeitpunkt genau das Richtige, das Notwendige getan zu haben. Sie würden in alle möglichen Richtungen ausschwirren und den Mörder suchen, und wenn sie auf ihn stießen, hatte er bereits die richtigen Antworten. Und ohnehin würden ihm die meisten verzeihen und heimlich danken.

1

Der Mann wirkte entschlossen und unnahbar, fast ein wenig finster. Der Blick seiner grauen Augen richtete sich in die Ferne – abwesend und aggressiv zugleich. Er trug das Haar raspelkurz, das Kinn war kräftig wie seine gesamte Statur. Sein Alter war schwer zu schätzen.

»Christoph Klausen ist fünfzig und hat bis vor kurzem zehn Jahre wegen Totschlags gesessen«, führte Johanna mit Blick in die Runde aus und griff nach ihrer Kaffeetasse. »Die Aufnahmen sind relativ aktuell«, erläuterte sie weiter und ließ eine Reihe Fotos über den Wandmonitor laufen.

Es war früh am Morgen, der Nebel hatte sich nur zögerlich aufgelöst, als Emma von Wismar zur Besprechung in die Detektei nach Rostock gefahren war. Wenn sie Johanna am Telefon richtig verstanden hatte, gab es einen neuen BKA-Auftrag. Und warum guckst du so brummig, Kollegin, dachte Emma und gönnte sich ein kleines Lächeln. Das sind doch ausgesprochen gute Nachrichten.

Als ehemalige LKA-Beamtin hatte Emma sich vor einigen Monaten dazu überreden lassen, unter neuer Identität als Wismarer Privatermittlerin zu arbeiten, gemeinsam mit BKA-Kommissarin Johanna Krass und mit Unterstützung einer Rostocker Detektei, die von Florian Kirch und Jens Bormer geführt wurde. Als es darum ging, Jagd auf den Menschenhändler Bruno Teith und seine Organisation zu machen, hätte sie kaum zu träumen gewagt, dass die Zusammenarbeit tatsächlich gelingen würde. Bevor sie in jenem Einsatz mit Teith zu tun hatte, hatte sie sich zwei Jahre vor dem Mann versteckt, der sie in ihrer Vergangenheit eine Nacht lang in seiner Gewalt hatte und dem es beinahe gelungen war, sie zu zerstören.

Sie spürte, dass Florian sie vom anderen Ende des Tisches ansah und blickte auf, tauchte für einen Moment in die Tiefe seiner dunklen und warm schimmernden Augen. Seine Lippen formten einen zarten Kuss und in seinem Mundwinkel zuckte ein Lächeln. Das ist wohl das eigentliche Wunder dieses Sommers, dachte Emma. Ich vertraue wieder einem Mann, auch wenn mich die alte Angst manchmal packt, im Traum überfällt oder unvermutet aus dem Nichts anspringt – diese Furcht wirkt jetzt fast klein und mickrig … Groß ist dagegen mein Begehren, meine Sehnsucht, meine Lust.

»Klausen stammt aus Schwerin, war Berufssoldat, zunächst bei der NVA und später bei der Bundeswehr, und wir sollen ihn im Auge behalten«, drang Johannas Stimme plötzlich wieder an Emmas Ohr.

»Was hat er denn angestellt?«, fragte Florian.

»Er ist in das Haus von Michael Krüger eingedrungen, einem bayerischen Fachhochschullehrer, seinerzeit einundsechzig Jahre alt, und wurde von dem Mann überrascht. Es kam zu einer Auseinandersetzung, bei der Klausen Krüger so schwer verletzte, dass er einige Zeit später starb. Klausen konnte zunächst entkommen, wurde jedoch ein paar Tage später gefasst.«

»Totschlag also.«

»Ja.«

Emma überlegte, warum Krass’ Stimme derart gelangweilt klang. »Was wollte er von dem Typen?«, ergriff sie das Wort.

»Das ist der springende Punkt.«

»Und?«

»Das weiß niemand, bis heute nicht, zumindest gibt es nichts Offizielles zu seinem Motiv.« Johanna hob kurz die Hände. »Klausen verweigerte jede Aussage, ein Tatmotiv ließ sich nicht herleiten, und was Krüger noch schwer verletzt dazu beitragen konnte, war auch herzlich wenig. Die einzige Parallele zwischen den beiden ergibt sich aus der Tatsache, dass Krüger auch aus Mecklenburg-Vorpommern stammt, doch der Aspekt brachte keine weiterführenden Erkenntnisse. Die beiden sind sich – angeblich – nie zuvor begegnet.«

Emma runzelte die Stirn. »Und weiter?«

Johanna warf Jens einen auffordernden Blick zu. »Gibt es noch Kaffee?«

Der blonde, meist gutgelaunte Hüne mit den freundlichen Augen, der sich ganz hervorragend darauf verstand, säumige Schuldner aufzutreiben und zum Begleichen ihrer offenen Rechnungen zu bewegen, wandte sich rasch zum Sideboard um und griff nach der Kanne. »Klar doch.«

»Johanna – wie viele Liter trinkst du eigentlich am Tag von dem Zeug?«, warf Emma ein.

»Keine Ahnung. Spielt auch keine Rolle mehr in meinem Alter.«

»Ach komm …«

»Danke für die Blumen, aber ich war schon eine ganze Weile auf der Welt, als die Mauer gebaut wurde.«

»Die chinesische?«

Immerhin: Die Kollegin grinste.

»Na schön. Also was steckt deiner Ansicht nach hinter diesem Auftrag?«

»Das BKA geht davon aus, dass Klausen – immerhin ein Exsoldat – seinerzeit im Auftrag handelte. Sie erwarten, dass die Hintermänner sich früher oder später mit ihm in Verbindung setzen werden und wollen mehr dazu wissen.«

Emma ließ sich in die Lehne zurückfallen. »Ein Auftragsmord an einem bayerischen Lehrer? Du liebe Güte, was hat er angestellt? Und warum sollten diese Hintermänner nach all den Jahren Kontakt zu Klausen aufnehmen, und zwar so, dass Außenstehende davon etwas mitbekommen?«

»Gute Frage. Keine Ahnung.«

»Sie sagen uns nicht einmal ansatzweise, worum es geht, stimmt’s?« Florian verschränkte die Arme vor der Brust.

»Davon gehe ich aus.« Johanna nickte. »Es geht wahrscheinlich um eine von diesen unerfreulichen und häufig genug auch unappetitlichen Nachwendegeschichten, bei denen alle möglichen Leute und Dienste genügend Dreck am Stecken haben dürften – den sie bis heute nicht losgeworden sind und der plötzlich wieder anfangen könnte zu stinken. So was in der Art vermute ich. Darum strecken sie ihre Fühler auch über eine externe Ermittlungsgruppe aus. Wir sind unauffällig und effizient. Das haben wir unter Beweis gestellt.«

»Und auf all das hast du keine Lust?«

»Merkt man das etwa?«

Emma blies die Wangen auf. »Ein bisschen. Um ehrlich zu sein, klingst du, als würde dich das Ganze ziemlich anöden, um keine härteren Ausdrücke zu verwenden.«

Johanna winkte ab. »Observierungsjobs haben mich noch nie vom Hocker gerissen, und alte Nachwendegeschichten – sorry – kotzen mich an.«

»Immerhin scheint man unsere Arbeit zu schätzen.«

Johanna lächelte ironisch.

»Oder etwa nicht?«

»Doch, doch.« Johanna nickte langsam. »Sie wollen unbedingt, dass wir weitermachen – und zwar genau in dieser Konstellation: Auf der einen Seite Rostock mit Florian und Jens, die darüber hinaus ihren ganz normalen Detekteibetrieb aufrechterhalten sollen, und auf der anderen Seite deine Außenstelle Wismar, unterstützt durch meine Wenigkeit. Das BKA will sich diesbezüglich auch noch mal persönlich an dich wenden, wenn ich das richtig verstanden habe.«

Emma stutzte. »Warum? Du bist hier unsere BKA-Frau und …«

»Eine von vielen, die zudem noch nicht mal großartig was zu sagen hat.« Johanna räusperte sich. »Kurzum, sie möchten, dass du hinter deiner Deckung als Emma Klar in Wismar bleibst, bis auf weiteres, und nicht etwa als Josefine Emma Rupert ins LKA nach Dresden zurückkehrst. Das wäre ja durchaus möglich – jetzt, da die entscheidenden Leute geschnappt sind, das dreckige Nest nach und nach ausgehoben wird und Dutzende von Akten abgearbeitet werden können.«

Ich will nicht zurück, dachte Emma. Nicht heute, nicht morgen. Dresden kann warten. »Schauen wir uns den Knaben doch mal genauer an«, schlug sie vor. »Vielleicht ist der Job in einer Woche ohne großes Getöse erledigt, ohne dass sich auch nur eine deiner Befürchtungen bestätigt hat.«

Johanna warf ihr einen skeptischen Blick zu. »Würdest du darauf wetten?«

»Nicht unbedingt.«

Das Gespräch mit Magdalena Grimich lag wenige Tage zurück. Johanna war mit gemischten Gefühlen nach Berlin gefahren. Der Job in Wismar und Rostock war erledigt, und so überaus befriedigend das Ganze auch verlaufen war, machte Johanna sich doch keine Illusionen darüber, dass das BKA auf persönliche Vorlieben Rücksicht nehmen oder gar Karrierewünsche in den Vordergrund stellen würde, sondern ganz sachlich und kühl abwägte, ob und wie es mit der Außenstelle Ostsee weitergehen sollte, wie das Team intern genannt wurde. Dabei gab es nur zwei Möglichkeiten: Emma und Johanna kehrten in ihre jeweiligen Dienststellen zurück, unter Umständen war eine kleine Beförderung vorgesehen oder auch eine Wunschversetzung, die sie dankend annehmen würden, und die Rostocker Detektei konzentrierte sich wieder zu hundert Prozent auf ihr Alltagsgeschäft. Oder das BKA fand eine weitere Verwendung für das gut eingespielte Quartett. Die Idee gefiel Johanna nicht, was weder etwas mit der Ostsee noch mit Emma in Wismar und den Rostocker Privatermittlern zu tun hatte.

Als Grimich ihr dann noch einmal nahezu überschwänglich zum Ermittlungserfolg gratulierte, schwante Johanna, dass die Entscheidung längst gefallen war – ein neuer Auftrag und eine wunderbare Gelegenheit für ihre Vorgesetzte, Johanna weiterhin auf einem Abstellgleis weitab vom BKA zu parken, gerne bis zum Erreichen des Pensionsalters oder auch hundert Jahre darüber hinaus. Viele nervige Fliegen mit einer Klappe.

Grimich begann ohne großartige Einleitung keine Minute später, über den Klausen-Fall zu referieren, der so wenig hergab, dass selbst gutgläubige Frohnaturen und Grimich-Anhänger, die es im BKA ja auch vereinzelt geben sollte, skeptisch geworden wären. »Vier Leute sollen einen Exhäftling im Auge behalten, weil der vor zehn Jahren nichts zu seinen Beweggründen ausgesagt hat und auch ansonsten eher ein schweigsamer Zeitgenosse ist?«, fragte Johanna verblüfft nach. Den Nachsatz, ob man sie verarschen wollte, schluckte sie im letzten Moment hinunter, ebenso die Frage, ob ein solcher Job tatsächlich geeignet war, eine fünfundfünfzigjährige BKA-Sonderermittlerin zu beschäftigen. Die Antwort auf die zweite Frage hätte sie womöglich ihre Selbstbeherrschung gekostet.

»Der Mann war bei der NVA und diente später in der Bundeswehr«, erwiderte Grimich und verzog keine Miene. »Wir gehen davon aus, dass weder der Einbruch noch der Totschlag von ihm inszeniert wurden. Er kehrt nach Schwerin zurück, wie wir wissen, und da sich Ihr Team ganz in der Nähe aufhält, drängt sich die Möglichkeit einer umfassenden Observierung förmlich auf.«

Natürlich, dachte Johanna. Ihr Team …

»Wir wollen wissen, mit wem er Kontakt hat und was er treibt, rund um die Uhr – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Halten Sie jede noch so unwichtig erscheinende Begegnung mit wem auch immer fest, und selbstverständlich müssen Sie dabei hochprofessionell vorgehen. Der Mann ist nicht blöd. Noch Fragen?«

Ungefähr zwei Dutzend. »Was war dieser Krüger für ein Typ? Hatte er Kontakt zu anderen Diensten?«

»Das muss Sie nicht interessieren.«

»Nein?«

»Nein.«

»Wir können besser agieren, wenn wir umfassend über die Ausgangslage in Kenntnis gesetzt werden.«

»Die Ausgangslage lautet: Observieren Sie Klausen und teilen Sie uns die Ergebnisse mit. Alles andere ist bedeutungslos für Sie.«

Johanna gab sich Mühe, keine Miene zu verziehen. »Ich nehme an, dass wir bei der Wahl der Observierungsmittel relativ freie Hand haben, so lange wir uns geschickt anstellen.«

»Das haben Sie gesagt.«

Wer sonst. Noch ein Vorteil, den eine externe Gruppe mit sich brachte. Man musste es mit den Vorschriften und Gesetzen nicht hundertprozentig genau nehmen, weil ihnen in der Regel weder die Presse noch ein Vorgesetzter oder Staatsanwalt unmittelbar auf die Finger sah, und das BKA konnte dennoch die Früchte ernten, wenn es so weit war. Und falls etwas schiefging, konnte man sich bedeckt halten. Aber der Aspekt war ihr schon im Teith-Fall bekannt gewesen.

»Alles, was Sie zu Klausen und dem Fall Krüger wissen müssen, habe ich zusammenstellen lassen«, erklärte Grimich abschließend. »Und mit der Kollegin Rupert setzen wir uns noch persönlich in Verbindung.«

»Emma. Sie heißt Emma Klar und möchte auch weiterhin so heißen.«

Grimich setzte ein dünnes Lächeln auf, das knapp über der Oberlippe endete. Dann schob sie einen schmalen Hefter über den Schreibtisch. »Ich verstehe.«

Du verstehst gar nichts.

Die Unterlagen gaben bemerkenswert wenig her, wie Johanna kurz darauf feststellte, als sie bei Kaffee und Kuchen in der Cafeteria saß und die Infos durchging. Den Ordner hättet ihr euch sparen können. Der Mist passte auf ein einzelnes DI N-A4-Blatt. Alles, was Sie wissen müssen. Grimich genoss es immer wieder, Johanna in die Schranken zu weisen.

Sie blieb einen Tag in Berlin, frischte ein paar alte Kontakte im Amt auf und bat eine Recherchekollegin aus dem Innendienst, Hintergrundmaterial zu Klausen und Krüger zusammenzutragen. Obwohl die Kollegin einiges draufhatte und auch den einen oder anderen unsauberen Trick anwandte, verdiente das Ergebnis ihrer Schnüffelei diese Bezeichnung nicht.

Der ganze Auftrag stinkt zum Himmel, dachte Johanna. Einen Moment lang war sie versucht, alles hinzuschmeißen. Aber dann hätte Grimich gewonnen, endgültig und auf ganzer Linie. Das gab den Ausschlag.

2

Klausen lebte nach seiner Entlassung völlig unspektakulär. Er kehrte in seine Geburtsstadt Schwerin zurück und schuftete als Fahrer und Lagerarbeiter in einem Transportunternehmen. Der Exhäftling schien nichts anderes im Sinn zu haben, als sich ins Leben außerhalb von Gefängnismauern zurückzukämpfen. Neben seiner Arbeit betrieb er Kampfsport, besuchte einen Computerkurs, war häufig Gast in einer Kneipe, in der er Sportveranstaltungen auf einer Großleinwand verfolgen konnte, und suchte hin und wieder in einschlägigen Bars in Rostock die Nähe zu Prostituierten. Es fand sich nicht der geringste Hinweis darauf, dass Kontakte zu kriminellen Kreisen bestanden oder Klausen sich mit der Vergangenheit und dem Fall Krüger auseinandersetzte – zumindest nicht auf den ersten oder zweiten Blick, aber das musste gar nichts besagen. Falls er richtig gut war, müsste er sie längst bemerkt haben, doch es fand sich kein Anhaltspunkt dafür, dass er seinerzeit als Profi angeheuert worden war.

Emma teilte Johannas Meinung, dass der neue Auftrag vielschichtiger war, als es den Anschein hatte. Sie ging lediglich entspannter damit um, jedenfalls zu Beginn der Observation. Nach gut zwei Wochen öder Beschattungsarbeit begann sie sich allerdings zunehmend zu langweilen.

»Wenn der Mann tatsächlich etwas zu verbergen hat und eine Kontaktaufnahme vorbereitet, dürfte der Zeitpunkt demnächst nahezu perfekt sein«, erklärte sie Johanna in einem Telefonat während ihrer Abendschicht und gähnte herzhaft. »Ich penne hier bald ein.«

»Kann ich gut nachvollziehen. Rufst du an, damit ich dich mit ein paar schmutzigen Witzen wachhalte?«

Emma grinste. »Keine schlechte Idee, aber ich wollte auf etwas anderes hinaus. Wir sollten das Ganze beschleunigen. Ich habe langsam die Nase voll davon, im Auto herumzusitzen oder nichtssagende Mails zu lesen, die mich nichts angehen.«

»Definiere beschleunigen?«

»Wir kennen seine Tourenpläne und seinen Tagesrhythmus inzwischen mindestens so gut wie er – vielleicht sogar besser. Vielleicht sollten wir mal eine günstige Gelegenheit nutzen und uns in seiner Wohnung umsehen.«

Stille.

»Johanna?«

»Hm.«

»Sag nicht, dass dir die Idee nicht auch schon längst gekommen ist. Wir überwachen sein Telefon, den spärlichen E-Mailverkehr und wissen, wann er Touren wohin fährt und welche Prostituierte er bevorzugt – warum nicht gleich Nägel mit Köpfen machen? Vielleicht kriegen wir dann auch mit, worum es hier wirklich geht.«

Weiterhin Stille.

»Nun mach es uns doch nicht so schwer!«

»Sein E-Mailverkehr ist logischerweise spärlich, weil er ja gerade erst angefangen hat, seine Computerkenntnisse aufzufrischen und zudem nach zehn Jahren Knast keine großartigen Freundschaften pflegt.«

Emma verdrehte die Augen. »Tolles Argument. Das kann auch ein Fake sein, so wie der ganze Typ. Womöglich macht der sich längst lustig über uns. Also ich …«

»Wir warten noch bis Ende der Woche«, entschied Johanna.

»Warum?«

»Ist so ein Gefühl.«

»Was für ein Gefühl?«

»Dass wir noch ein bisschen warten sollten mit forschen Vorstößen. Und falls er sich über uns lustig macht, werden wir auch in seiner Wohnung nichts finden.«

»Irgendeine Spur hinterlässt jeder.«

»Trotzdem.«

»Na gut. Hast du mal darüber nachgedacht, Kontakt zu seiner Familie aufzunehmen?«

»Habe ich.«

»Und?«

»Das ist nicht unser Job. Das BKA will eine Liste seiner aktuellen Aktivitäten und Kontakte. Ende.«

»Und daran halten wir uns?«

»Zumindest vorerst.«

»Definiere vorerst.«

Keine Antwort.

Emma ließ sich drei Stunden später von Jens ablösen, der gutgelaunt neben ihr Platz nahm und erst mal seine ordentlich gefüllte Snackbox verstaute.

»Nein, es ist nichts Besonderes vorgefallen«, ergriff Emma eilig das Wort, bevor er fragen konnte. »Ausnahmsweise nicht.«

Jens grinste. »Verstanden. Schönen Feierabend.«

Emma verließ den kleinen Lieferwagen durch die Seitentür, streckte sich und lief ein paar Schritte, um sich die Beine zu vertreten. Ihren eigenen Wagen hatte sie zwei Straßen weiter geparkt. Sie umrundete das Mehrfamilienhaus, das im Schweriner Süden an ein Gewerbegebiet grenzte und in dem Klausen unter dem Dach eine preiswerte Wohnung bezogen hatte. Sie blickte hoch zum hell erleuchteten Wohnzimmer.

Zehn Jahre hat der Mann im Knast gesessen und nicht ein einziges Wort zu seiner Verteidigung hervorgebracht, überlegte Emma zum wiederholten Mal. Vielleicht sollte ich klingeln und ihn einfach fragen, was damals los war, warum er Krüger überfallen und niedergestreckt hat. Sie schüttelte den Kopf über ihre seltsamen Gedanken. Ihr Handy summte. Florian hatte ihr eine Nachricht geschickt: Sehen wir uns heute noch?

Als Emma einige Minuten später an Klausens Haus vorbeifuhr, hielt gerade ein Mofa vor der Tür. Der Fahrer stieg ab und öffnete die große rote Transportbox, die auf dem Rücksitz befestigt und mit dem Logo eines bekannten Pizzalieferanten bedruckt war. Emma fuhr langsamer. Wenn sie nicht alles täuschte, belieferte der Service Klausens Haus nicht zum ersten Mal. Sie stülpte im Weiterfahren ihr Headset über den Kopf und rief Jens an, der sich sofort meldete.

»Da sollten wir nachhaken«, sagte sie ohne Einleitung.

»Ja. Ich kümmere mich darum.«

»Okay.«

Jens meldete sich eine Viertelstunde später. »Klausen hat eine Pizza bestellt. Vier Jahreszeiten.«

»Lecker.«

»Ja – hätte ich auch nichts gegen einzuwenden.«

Diesmal lag kein Notizzettel mit einer Nachricht für ein heimliches Treffen, sondern ein uraltes Handy in einem Stück Folie verpackt unter der Pizza. Eine einzige Nummer war darin gespeichert. Jörg meldete sich nach dem ersten Klingeln. »Falls du bereits Pläne geschmiedet haben solltest – begrab sie.«

»Ich weiß, dass ich immer noch unter Beobachtung stehe«, erwiderte Christoph leise. »Aber irgendwann werden sie mich in Ruhe lassen, und dann ist immer noch Zeit …«

»Verschaff dir für das nächste Wochenende ein absolut wasserdichtes Alibi, und sei in nächster Zeit besonders vorsichtig.«

»Warum?«

»Ich habe eine Nachricht erhalten. Sie kann eigentlich nur von unserem Freund stammen oder von jemandem, der ihm nahesteht.« Jörgs Stimme klang plötzlich hell.

Christoph atmete scharf ein. »Wirklich? Wir hatten befürchtet, dass es ihn längst erwischt haben könnte …«

»Ich weiß. Was immer das zu bedeuten hat – es klingt irgendwie … aufregend.«

»Aufregend?«

»Mir fehlen gerade die richtigen Worte.«

»Und das aus dem Munde eines Journalisten.«

»Egal. Kümmere dich um ein Alibi, an dem es nichts zu rütteln gibt. Zerstör das Handy. Und pass auf dich auf. Mit den Leuten ist nicht zu spaßen.«

Wie oft will er noch darauf hinweisen? Christoph verzichtete auf eine Entgegnung und kappte die Verbindung. Er löschte Anruf und Nummer, entfernte SI M-Karte und Akku und verzichtete nach kurzem Überlegen darauf, das Telefon zu zerstören, sondern schob es in seine Hosentasche. Dann starrte er minutenlang regungslos aus dem Fenster.

Pläneschmieden. Wenn er etwas gelernt hatte in den letzten zwölf Jahren, dann war es die schlichte Wahrheit, dass Pläne, Zielsetzungen, all der Kram, in seinem Leben nichts verloren hatten und das Schicksal kaum eine Gelegenheit ausließ, um ihn zu erschüttern, ihm den Boden unter den Füßen wegzureißen – auch wenn es sich manchmal sehr viel Zeit ließ. Keine Wendung, die nicht möglich schien, so unwahrscheinlich sie sich zunächst auch anfühlen mochte.

Er war ein Vorbild für viele gewesen, damals in der NVA, in diesem Staat, in dem er bis zum Schluss nur wenig in Frage gestellt hatte, weil es immer einen sinnvollen Platz für ihn gegeben hatte und schlüssige Antworten oder Erklärungen zur Genüge. Und doch war es ihm danach gelungen, sich erstaunlich schnell zu orientieren – neue Fragen und Antworten zu entwickeln, Lösungen zu finden –, sich anderen Gegebenheiten und Bedingungen geschmeidig anzupassen, könnte man auch sagen. Warum auch nicht? Er war Soldat. Eine Uniform war eine Uniform war eine Uniform. Das Land war größer und vielfältiger geworden, aber die Aufgaben, die er zu erfüllen hatte, waren die gleichen, und mehr hatte er im Grunde nie gewollt: bereit zur Verteidigung sein, in einer Gemeinschaft seine Pflicht erfüllen, so banal und kitschig das auch klang. Und gefährlich unkritisch obendrein.

Bis eines Nachts dieser abgerissene, dürre, hohlwangige Kerl vor ihm gestanden hatte, als er an einem freien Wochenende auf dem Heimweg von seiner Stammkneipe war.

»Ich muss mit dir reden.« Seine Stimme war ein heiseres Flüstern, und einen Moment lang war Christoph davon überzeugt gewesen, dass der Mann krank war oder ein besonders heruntergekommener Bettler. Auf entfernte Weise hatte er Ähnlichkeit mit diesem Rapper Eminem, auch wenn seiner Ausstrahlung Härte und Trotz fehlten. Christoph konnte sich noch genau erinnern, wie er zum ersten Mal Songs von Eminem gehört hatte und von der Intensität sofort fasziniert gewesen war.

Er schob den Mann nach kurzem Taxieren beiseite. »Lass gut sein, Kumpel. Ich bin müde und will nach Hause.«

»Aber ich muss mit dir reden. Wenn ich es heute nicht tue, tue ich es vielleicht nie, und der feige Hund in mir hat auf ewig gewonnen. Irgendwann muss ein feiger Hund besiegt werden, endgültig. Verstehst du das?«

Christoph blieb stehen und drehte sich langsam um.

»Du bist Christoph, der Jüngere. Bert war zwei Jahre älter.« Die Stimme des Mannes zitterte, aber er kam langsam näher. »Verdammt aber auch, ihr seid euch nicht die Spur ähnlich.«

»Sprichst du von meinem Bruder?«

Der Mann nickte. »Ich muss mit dir reden.«

»Mein Bruder ist längst tot.«

»Ich weiß. Darüber will ich mit dir reden.«

»Er hatte einen Unfall, Anfang 89.«

Der Mann starrte ihn mit fiebrigen Augen an.

»Was willst du? Kanntest du meinen Bruder?«

»Ja. Er hat versucht, mich zu beschützen.«

Christoph runzelte die Stirn. »Ich glaube, du verwechselst etwas. Mein Bruder war Lehrer und Betreuer …«

»Er versuchte, einer zu sein.«

»Wir waren uns nie sehr nah.« Was rede ich hier mit diesem Kerl, der mich ausgerechnet an Eminem erinnert?

»Ich weiß.« Er strich sich mit langen Fingern über den Nacken. Plötzlich füllten sich seine Augen mit Tränen. »Ich hätte eher kommen müssen. Aber besser spät als nie«, flüsterte er.

Christoph atmete tief ein. »Wer bist du?«

»Darüber können wir reden, darüber müssen wir reden. Hast du Zeit heute Nacht? Ich habe viel zu erzählen.«

Johanna hatte zwei klammheimliche Versuche unternommen, Kontakt zu Klausens Familie aufzunehmen, war aber in beiden Fällen bemerkenswert rüde abgeschmettert worden. Der Vater lebte nicht mehr, aber seine ebenso hochbetagte wie forsche Mutter hatte Johanna nicht einmal ausreden lassen, sondern sie mit einem an Deutlichkeit kaum zu überbietenden »Verpiss dich!« aus der Leitung geworfen. Einen weiteren Versuch erachtete Johanna für überflüssig. Die alte Frau wusste offenbar sehr genau, was sie wollte und was sie nicht wollte. Ein wenig erinnerte sie Johanna an ihre eigene Mutter, aber den Gedanken schob sie rasch beiseite. Lass die Toten ruhen. Klausens Exfrau hatte ein zweites Mal geheiratet und lebte inzwischen auf Rügen, wo sie in einem großen Ferienzentrum in Binz Yoga- und Entspannungskurse anbot. Sie wartete immerhin Johannas Erklärung ab, bevor sie ihr in gelassenem und höflichem Ton einen schönen Tag wünschte und dann auflegte. Namasté.

Es war nicht ungewöhnlich, dass Familienangehörige unwirsch reagierten und keinerlei Entgegenkommen zeigten, wenn jemand versuchte, alte Wunden aufzureißen; und ihre eher schwammig klingende Erklärung, dass der alte Fall noch Fragen aufwarf, löste auch nicht unbedingt spontane Offenheit und Mitteilungsfreude aus. Dennoch – die ablehnende Haltung in dieser massiven Form gab ihr zu denken.

Sie wollen nie wieder etwas mit der Polizei zu tun haben. Oder man hat sie aufgefordert, die Klappe zu halten, dachte Johanna. Aber wer war man, und was genau steckte dahinter? Und was hätte sie davon, wenn sie Grimichs Anweisung ignorierte und ihre Fühler ausstreckte? Wahrscheinlich jede Menge Ärger. War es auch nur ansatzweise sinnvoll, in der Familie des Opfers auf größeres Entgegenkommen zu hoffen? Wohl kaum.

3

Es war ein öder Job für wenig Geld, aber immerhin gab es den Lohn bar auf die Hand und ohne dass irgendeine Agentur davon erfuhr. Müll wegräumen, putzen, einfache Reparaturarbeiten, acht Euro die Stunde, für ungefähr drei Tage. Oliver konnte die Knete gut gebrauchen, um es vorsichtig auszudrücken. Er war mit der Miete im Rückstand, sein Handy gab gerade den Geist auf, und der ewig gleiche Billigkram in seinem Kühlschrank kotzte ihn allmählich an. Er hatte Lust auf Leberwurst vom Metzger, zum Beispiel, und auf das gute Bier, wenigstens vorübergehend, aber bis dahin war noch einiges zu tun.

Oliver gehörte einem Putztrupp mit sechs Leuten an, drei Frauen, drei Männer, die wohl allesamt in einer ähnlichen Situation steckten wie er. Warum sonst sollte man einen solchen Job übernehmen?

Die kleinen Bungalows und Hütten lagen verlassen wie ein längst vergessener Rummelplatz unter der trüben Herbstsonne am Haff, wo das Schilf sanft im salzgetränkten Wind schaukelte. Die letzten Sommergäste waren schon vor Wochen abgereist, und ein Großteil hatte sich nicht mal die Mühe gemacht, seinen Müll rauszubringen, geschweige denn abzuwaschen oder die Toilette halbwegs vertretbar zu hinterlassen. Es stank nach Schimmel und Feuchtigkeit, verbranntem Essen, dreckiger Kleidung und verstopftem Klo. Auf den Terrassen wuchs Unkraut, Grillkohle verkümmerte in rostigen Schalen, ein Kinderrad mit platten Reifen lag mitten auf dem Weg.

»Wenn ihr euch nicht allzu blöd anstellt, hab ich noch andere nette Jobs für euch«, hatte der Vorabeiter versprochen, als er die Gruppe absetzte und das Lagerhaus aufschloss, in dem sich Gerätschaften und Putzkram befanden. Sein Name war Oliver entfallen.

»Einige der Hütten müssen von Grund auf saniert werden. Legt los! Ich komme in zwei Stunden wieder, und dann will ich Ergebnisse sehen.«

Er fand die Bemerkung wohl ziemlich witzig, denn er schlug sich auf die Oberschenkel und lachte wiehernd. Eine junge Frau lächelte schüchtern, ein Typ mit geschätzten dreißig Kilo Übergewicht verzog den Mund zu einem schiefen Grinsen, der Rest der Gruppe starrte Richtung Wald oder hob die Nase in die Luft.

»Na ja, ihr wisst wohl, was ich meine.« Zwei Minuten später hatte er sich aus dem Staub gemacht.

»Leck mich am Arsch, Alter«, bemerkte ein kleiner drahtiger Typ in Latzhose und spuckte aus. »Lasst uns anfangen, bevor der ganze Kram hier endgültig verrottet.«

Wäre eigentlich nicht die schlechteste Idee, dachte Oliver, behielt den Gedanken allerdings für sich. Er griff sich einen Staubsauger, Eimer und Schrubber sowie eine Handvoll Mülltüten, und stiefelte in den erstbesten Bungalow. Er brauchte vier Stunden, um ihn halbwegs herzurichten. Der Vorarbeiter ließ sich nicht blicken. Manchmal hörte er aus den anderen Hütten die Schimpftiraden seiner Putzkollegen. Der Typ in der Latzhose hatte die lauteste Stimme. Irgendwann fragte jemand in die Runde, wie es denn mal mit einer Pause wäre, aber niemand antwortete.

Als Oliver das zweite Haus betrat, war er bereits hundemüde und hatte Kreuzschmerzen. Das sprach nicht gerade für seine Fitness. Er nahm sich zuerst Küche und Bad vor, aber so sehr er auch schrubbte, der miese Geruch ließ sich kaum vertreiben. Er ging weiter in den abgedunkelten Wohnraum. Hier stank es noch stärker. Die Rolläden waren heruntergelassen, und das Licht funktionierte nicht. Er hielt sich leise stöhnend die Nase zu und tastete sich in Richtung Fenster voran. Der Griff war schmierig. Oliver drehte ihn hastig herum, zog die Fensterflügel auf und kurbelte den Rolladen hoch. Gierig atmete er die frische Luft ein. Eine sanfte Nachmittagssonne hatte inzwischen die trüben Wolkenfetzen vertrieben. Oliver hielt sein Gesicht einen Moment mit geschlossenen Augen in die Wärme, dann wandte er sich um – und erstarrte.

Er benötigte gefühlte fünf Minuten, um zu begreifen, was er sah. Als er es verstand, stieß er einen entsetzten Schrei aus.

Hauptkommissar Torsten Friedmann von der Wismarer Polizei war immer noch fassungslos. Auch als die Techniker den Fundort längst akribisch untersucht und dokumentiert hatten und der Leichnam aus dem Loch im Boden befreit und auf dem Weg in die Gerichtsmedizin war, hatte er Mühe, sich von dem bizarren Bild zu lösen und so sachlich wie möglich seine Arbeit zu machen. In zwanzig Jahren Kripoarbeit hatte er schon so manches gesehen und erlebt, doch der Tote vom Salzhaff stach daraus hervor.

Die Identität des Toten konnte bislang noch nicht geklärt werden. Es waren weder Kleidungsstücke noch Schlüssel oder Ähnliches gefunden worden, geschweige denn ein Fahrzeug. Es handelte sich um einen Mann, ungefähr Mitte bis Ende sechzig, wahrscheinlich vor drei, vier Tagen infolge eines Herzversagens gestorben – soweit die knappe und vorläufige Einschätzung des gerichtsmedizinischen Assistenten. »Aber nagel mich nicht darauf fest. Warte ab, was der Chef später dazu sagt. Auf jeden Fall ist es nicht gesund, tagelang regungslos auf einem Fleck zu stehen und sich nicht befreien zu können.«

»Was du nicht sagst.«

Der Assistent runzelte die Brauen. »Er musste ihn nicht mal umbringen, verstehst du?«

»So in etwa.«

Friedmann schüttelte zum wiederholten Male den Kopf und ließ erneut den Blick über den Fußboden gleiten. Er bezweifelte, dass er für die Beschreibung dessen, wie sie die Leiche aufgefunden hatten, in seinem Bericht die richtigen Worte finden würde.

Jemand hatte sich die Mühe gemacht, an der rückwärtigen Wand die Bodendielen zu lösen, die darunterliegende Betonschicht zu entfernen und ein knapp ein Quadratmeter großes und zirka anderthalb Meter tiefes Loch zu graben, in dem der Mann bis zum Hals gestanden hatte – bis auf die Unterhose entkleidet. Hände und Füße waren gefesselt gewesen, über seinem Kopf hatte sich eine Art Käfig befunden, als hätte ihm der Täter einen Vogelkäfig ohne Boden übergestülpt. Man musste nicht unter Klaustrophobie leiden, um diese Situation als zutiefst angsteinflößend zu empfinden und eine Panikattacke zu erleiden. Und der Merkwürdigkeiten nicht genug, war sein Hals mit einem Fuchsschwanz umwickelt worden.

Ein Irrer, dachte Friedmann, ein Irrer, der sich ausgerechnet in die Nähe von Wismar verlaufen hatte – oder auch nicht. In dem verlassenen Ferienlager am Salzhaff war er völlig ungestört gewesen. Der Mann in dem seltsamen Kopfkäfig hätte sich die Lunge aus dem Hals schreien können, ohne dass eine Menschenseele etwas davon mitbekommen hätte. Zwischen Rerik, Boiensdorf und Alt Bukow tobte nicht gerade das Leben. Oder man hätte sein Gebrüll für Fuchsschreie gehalten … Der Klang ihrer Stimmen erinnerte fatal an menschliche Schreie.

Friedman stutzte kurz und wandte sich ab, als sein Handy klingelte. Er verließ den Bungalow, um mit Wismar zu telefonieren. Techniker, Spusi und diverse Beamte hatten inzwischen das Gelände weiträumig abgesperrt. Die Leute von der Putzkolonne wurden vernommen, Schwerin war informiert, und die Presse dürfte längst unterwegs sein. Friedmann sah bereits die Schlagzeile vor sich: Ritualmord im Salzhaff. Der Tote mit dem Fuchsschwanz. Polizei fischt im Trüben. Oder so ähnlich.

Er nahm den eingehenden Anruf an. »Was gibt’s, Sybille?«

»Eine Vermisstenmeldung.« Die junge Kollegin hatte erst vor vier Wochen ihre Stelle in Wismar angetreten. Ihre Stimme klang angespannt. »Sie könnte zu dem Opfer passen.«

»Ich höre.«

»Erich Bauer, siebenundsechzig Jahre alt, ein pensionierter Schulleiter aus Rostock. Seine Frau hat ihn vor einigen Tagen als vermisst gemeldet. Er befand sich in seinem Ferienhaus in Nienhagen und war plötzlich nicht mehr erreichbar …«

»Wie sicher ist das?«

»Das Gesicht vom Opfer ist zum Abgleich ja nicht hundertprozentig geeignet …« Leises Räuspern. »Aber es gibt eine Narbe im Schulterbereich, die ziemlich eindeutig ist. Die Ehefrau hat außerdem angegeben, dass ihr Mann Besuch von einem Freund erwartet hatte, den sie auch nicht erreichen kann …«

»Schalte die Rostocker ein. Es müsste jemand nach Nienhagen rausfahren. Ansonsten brauchen wir Verstärkung aus den anderen Dienststellen, um das gesamte Areal gründlich zu durchsuchen.«

»Wird erledigt. Noch was?«

Gute Frage. Bald würde das LKA vor der Tür stehen, so viel war sicher. Es galt also, gute Vorarbeit zu leisten, um eine saubere Übergabe mit vollständigen Berichten hinzulegen. »Haltet euch zurück, wenn die Presse anfragt – keinerlei Tatort- und Opferbeschreibungen.«

»Natürlich nicht.«

»Gut, bis später.«