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Im dritten Teil der fesselnden Serie »Der Waisenjunge und der Kardinal« folgen wir weiter den Abenteuern von Pierre, einem ehemaligen mittellosen Waisenkind, der inzwischen das Erbe der berühmten Familie de Beauvoir angetreten hat. Pierre hat viele Menschen getroffen - angenehme, aber auch unangenehme -, wurde von der Liebe überrascht und lernte den Wert echter Freundschaft kennen. Dabei entging er zahlreichen Versuchen des Kardinals Richelieu und auch seiner engsten Familienmitglieder, ihn ins Jenseits zu befördern, um sich sein Erbe anzueignen. Im dritten Band geht Pierres Suche nach dem berühmten Schatz der Tempelritter weiter, aber wie immer ist seine Aufgabe nicht einfach. Pierre und sein bester Freund Armand machen sich auf den Weg nach Venedig, nicht ahnend, dass auch andere Weggefährten auf die schöne Stadt zusteuern, manche in der Absicht zu warnen und zu helfen, aber einige mit finsteren Motiven … Während der Karneval in Venedig mit seinen berühmten Maskenfesten dem Höhepunkt zustrebt, wird Pierre auf die Probe gestellt - und das Schicksal nimmt seinen Lauf …
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Seitenzahl: 635
Michael Stolle
Tödlicher Karneval
Im Banne der Serenissima
Historischer Roman
Copyright: © 2021 Michael Stolle
Satz: Erik Kinting – www.buchlektorat.net
Umschlagentwurf: Authordesign
Verlag und Druck:
tredition GmbH
Halenreie 40-44
22359 Hamburg
978-3-347-41360-3 (Paperback)
978-3-347-41361-0 (Hardcover)
978-3-347-41362-7 (e-Book)
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Was bisher geschah …
Wir schreiben das Jahr 1641 und obwohl König Louis XIII auf dem Thron sitzt, ist Kardinal Richelieu der heimliche Herrscher von Frankreich. Es ist die Zeit der Musketiere und spannender Abenteuer.
Pierre, Marquis de Beauvoir, und sein Freund Armand sind auf dem Weg nach Venedig, um das Versprechen einzulösen, den dritten Ring zu finden, der das Geheimnis zu einem alten Schatz lösen soll.
Unterwegs hatten sie Station im Schloss Montrésor gemacht, wo Pierre um Haaresbreite einem Attentat zum Opfer gefallen war.
Wieder einmal war ihm sein mörderischer Cousin Henri auf seinen Fersen. Dank der Hilfe von Armands Cousin François de Toucy konnten die Hintermänner ermittelt und unschädlich gemacht werden, allerdings konnte Henri fliehen.
In Paris – auf der Suche nach etwas Spaß und Ablenkung – tappten die beiden Freunde wie blinde Mäuse in eine Falle, um sich anschließend mit mehr Glück als Verstand endlich auf den Weg nach Italien machen zu können.
Aber auch jetzt ist nicht zu erwarten, dass die weitere Reise ruhig und ohne weitere Abenteuer verläuft. Schließlich ist man jung und möchte etwas erleben …
Eine Burg hoch in den Bergen
»Warum spricht Edo so lange mit diesem dummen Bauern?«
Pierre war gereizt, müde und hungrig, sein Magen knurrte heftig.
»Es sollte doch weiß Gott nicht so lange dauern, um sich nach dem Weg zu erkundigen?«
»Scheint so, als hätten sie viel zu besprechen … Na ja, da die beiden Italiener sind, reden sie halt gerne … wir sollten lieber geduldig sein, das kann noch dauern«, antwortete Armand und kratzte sich nachdenklich am Kopf.
Pierre beobachtete seinen Freund misstrauisch und rückte einen Schritt weiter weg.
»Du hast dir Läuse eingefangen!«
»Kann schon sein«, antwortete Armand unbeirrt, »sieh mich nicht an wie ein Aussätziger, du weißt, dass es fast unmöglich ist, sich auf Reisen kein Ungeziefer einzufangen, hör auf, dumme Grimassen zu schneiden!«
Pierre verspürte plötzlich auch den starken Drang, sich zu kratzen, er konnte fast spüren, wie eine Armee blutdürstiger Läuse über seinen eigenen Körper krabbelte.
Ihn schauderte, aber er musste zugeben, dass Armand recht hatte. Es gab keinerlei Hoffnung, dass sie diesen Biestern entkommen konnten, solange sie auf Reisen in dubiosen Poststationen übernachten mussten.
Endlich schien Edo seine Diskussion beendet zu haben.
»Im Namen aller gesegneten Heiligen, wieso hast du so lange gebraucht, um mit diesem dummen Bauern zu diskutieren?«, rief Pierre aus. »Hat er dir wenigstens den kürzesten Weg nach Verona erklärt?«
Edo lächelte. »Diese Frage habe ich ihm gar nicht gestellt«, antwortete er.
»Du hast ihn nicht gefragt?«, wiederholte Armand überrascht.
»Warum hast du uns dann so lange warten lassen?«, rief Pierre frustriert aus.
»Es könnte sein, dass ich ihn um eine Empfehlung gebeten habe, wo ich einen gastfreundlichen Gutshof oder eine Poststation in unserer Nähe finden kann – irgendwie habe ich eine Ahnung, dass meine Reisegefährten sonst zu Kannibalen werden und mich zum Mittagessen verzehren könnten«, antwortete Edo mit einem Augenzwinkern.
Pierre schaute schuldbewusst. »Tut mir leid, Edo, ich benehme mich wie ein verzogenes Kind, aber mein Magen knurrt furchtbar.«
»Seit er zum Herzog ernannt und sogar vom König geküsst wurde, ist er extrem anspruchsvoll geworden«, kommentierte Armand und ignorierte Pierres wütenden Blick, »seine Lakaien servieren um diese Zeit normalerweise einen Imbiss – und er wird geradezu bösartig, wenn nicht alles genau nach seinen Launen läuft.«
Pierre trat seinen frechen Freund und Edo musste lachen:
»Tut mir leid, so einen Luxus kann ich nicht bieten, aber der Bauer hat mir erzählt, dass es in der Nähe ein Gutshaus gibt, also lasst uns die Pferde anspornen und hoffen, dass man uns dort ein spätes Mittagessen anbietet, ich bin auch so hungrig, dass ich ein ganzes Spanferkel verschlingen könnte!«
»Das klingt gut, ich bin dabei- aber was ist mit Verona?«, fragte Pierre. »Weißt du jetzt, wie wir dorthin kommen, deine Diskussion mit diesem Kerl schien endlos zu sein!«
»Oh, vergiss Verona«, sagte Edo lässig, »wir reiten in den Norden.«
»Aber du hast doch dem Wirt in Bergamo gesagt, dass wir nach Verona reiten, um dort Verwandte zu treffen.«
»Ja, das klang überzeugend«, antwortete Edo zufrieden, »ich muss gestehen, dass ich gestern Abend eine lange Diskussion mit meinem Bruder hatte, als ihr schon zu Bett gegangen wart.«
Zwei neugierige Augenpaare starrten ihn an:
»Ich muss zugeben, dass mein Bruder zwar furchtbar spießig und geizig ist, aber er hat unbestreitbar den besten Verstand der Familie. Er hat mich dazu gebracht, unser Abenteuer in der Taverne in Mailand im Detail noch einmal mit ihm durchzugehen und bei ruhiger Betrachtung der Fakten ist er zu dem Schluss gekommen, dass eine Beteiligung des Kardinals Richelieu eher unwahrscheinlich erscheint – was …«
»… was uns direkt zu meinem Cousin Henri führt«, stöhnte Pierre.
»Genau, das scheint die wahrscheinlichste Lösung des Rätsels zu sein.«
Edo strahlt Pierre an, wie ein Lehrer einen Schüler ermutigen würde, der – endlich – ein schwieriges Thema verstanden hatte.
»Deshalb hat mein Bruder mich angewiesen, extrem vorsichtig zu sein und unsere Spuren zu verwischen. Er hat vorgeschlagen, dass wir zu Freunden in einer abgelegenen Burg im Norden in der Nähe des Gardasees reiten und dort über Weihnachten bleiben. Der Burggraf ist nicht nur ein enger Freund der Familie, sondern er hat auch gute Verbindungen zum venezianischen Adel und könnte dir helfen, den Ring zu finden, den du suchst.«
»Ich fühle mich aber nicht sehr wohl, dass dein Bruder uns euren Freunden aufdrängt, ich wäre zumindest nicht begeistert, wenn sich zwei Fremde zu Weihnachten bei mir einlüden.«
Edo winkte nonchalant ab. »Keine Sorge, der Besitzer ist nicht nur ein enger Freund, er schuldet uns noch einen Gefallen und du wirst sehen, er ist wirklich sehr nett. Wir werden uns gut amüsieren – etwas Ruhe und Erholung wird uns guttun.«
»Das sage ich schon seit zwei Jahren«, kommentierte Armand düster, »aber irgendwie scheinen Ruhe und Frieden nie kommen zu wollen. Ob das an Pierre liegt?«
»Wer von uns beiden wollte unbedingt in diese Spielhölle in Paris?«, antwortete sein Freund aufgebracht. Dann wandte er sich wieder an Edo:
»Nun sag mir endlich, was hast du eigentlich so lange mit diesem Bauern besprochen?«
Edo lachte. »Nun, es war ergreifend. Er hat mir eine lange, traurig Geschichte über das Unglück erzählt, das die Mitglieder seiner Familie in letzter Zeit ereilt hat. Ich glaube, er hat alles Mögliche erwähnt, vom frühen Tod seiner Frau, dem Hinscheiden mehrerer Kinder – oh, ich habe fast die perfide Hexe vergessen, die ihn mit einem bösen Zauber belegt hat.«
Pierre war schockiert. »Aber das ist doch nicht zum Lachen!«
Edo zog eine Grimasse. »Es war zu dick aufgetragen. Er hat unsere teure Kleidung gesehen und wollte uns absahnen. Ich glaube nichts von dem, was er mir erzählt hat, er klang auch ein bisschen zu fröhlich, obwohl er sich redlich Mühe gab, ein paar falsche Tränen zu vergießen, um die Geschichte glaubwürdiger zu machen!«
»Pierre glaubt immer an das Gute im Menschen«, kommentierte Armand trocken, »Das ist eine schlechte Angewohnheit. Und was hast du geantwortet?«
»Oh, ich habe mich revanchiert und ihm von unserem eigenen schrecklichen Unglück erzählt, dass wir auf dem Weg nach Verona sind, aber in Mailand von Räubern überfallen wurden, die uns fast das Leben genommen hätten und daher keinen Scudo mehr für unsere Reise übrig haben – von Almosen ganz zu schweigen.«
»Gut!« Armand strahlte Edo an. »Du weißt, wie man mit solchen Schmarotzern umgeht.«
»Klar weiß ich das«, antwortete Edo. »Lektion Nummer eins habe ich von meinem Bruder eingebläut bekommen: Ein guter Bankier öffnet nie seine Geldbörse, es sei denn, um etwas hineinzulegen.«
***
Während sie sich noch angeregt unterhielten, näherten sich die vier Reiter in gemächlichem Tempo einem stattlichen Anwesen, aus heimischen Steinen und gebrannten Ziegeln gebaut. Der ockerfarbene Putz war vom Alter ausgebleicht, doch die Patina gab dem Gebäude ein besonders ehrwürdiges Flair.
Im Innenhof war nur das hysterische Bellen eines Hundes zu hören, das einzige Geräusch, das den friedlichen Wintertag störte.
»Das muss das Anwesen sein, das mir der Bauer beschrieben hat«, Edo sah sich um und begutachtete wohlwollend das Gebäude, »es sieht auf jeden Fall wohlhabend genug aus, um uns ein anständiges Mittagessen anzubieten!«
Sie betraten den Hof und sofort scharte sich eine kleine Gruppe neugieriger Bediensteter um sie herum. Sie glotzten die kleine Reisegruppe an, als käme sie vom Mond. Offenbar waren Besucher, vor allem Fremde, ein seltenes Ereignis, das man sich auf keinen Fall entgehen lassen durfte.
Jean stieg ab und forderte die Knechte auf, seinem Herrn behilflich zu sein, als die friedliche Szene durch die Ankunft der streitlustigen Dame des Hauses unterbrochen wurde.
Spuren längst vergangener Schönheit waren in ihrem Gesicht zu erkennen, in das sich aber tiefe, mürrische Falten gegraben hatten. Mit meckernder Stimme wandte sie sich an die Fremden:
»Wir haben keine Almosen zu geben und der Herr des Hauses ist beschäftigt, er kann heute niemanden empfangen!«
»Was für eine Hexe«, murmelte Edo zu Armand, »ich frage mich, wie sie es geschafft hat, so schnell aufzutauchen. Sie wird wohl ihre Zeit damit verbringen, ständig hinter ihren Dienern herzuspionieren.«
Pierre schaute sie ungläubig an, mit einer so unhöflichen Ablehnung hatte er nicht gerechnet. Im Gegenteil, er hatte sich schon vorgestellt, an einem Tisch zu sitzen, der mit köstlichen Gerichten gedeckt war.
Jetzt übernahm Armand. Unbeirrt stieg er von seinem Pferd und ging nonchalant auf die Dame des Hauses zu.
Ihren offensichtlichen Unmut ignorierend, schwenkte er seinen Hut. Dann verbeugte er sich so tief, als wäre er am königlichen Hof und begrüßte die Dame des Hauses in seiner charmanten Mischung aus Französisch und Italienisch.
»Signora, bitte entschuldigen Sie tausendmal unser Eindringen. Mein Freund, der edle Comte de Reims, und ich kommen aus Frankreich und sind auf dem Weg, um Freunde in Verona zu besuchen. Wir wollten nur um einen Becher Wasser und ein bescheidenes Stück Brot bitten. Niemals hätten wir uns erdreistet, die Dame des Hauses dafür zu stören – aber bitte lassen Sie mich hinzufügen, dass ich froh bin, dass wir es trotzdem getan haben. Ich bin entzückt, unverhofft eine Dame von solch zeitloser Schönheit und Eleganz zu treffen.«
Er beendete seine Einleitung mit seinem charmantesten Lächeln und – wieder einmal – konnte Pierre die unmittelbare Wirkung der schamlosen Offerte seines Freundes auf das weibliche Geschlecht beobachten.
Die Dame des Hauses errötete wie ein junges Mädchen und intuitiv wanderten ihre Hände zu den Locken ihrer Frisur, während sie sich räusperte.
»Oh, Sie sind aus Frankreich!«, rief sie mit rauer Stimme, »Ich liebe Frankreich, ich habe meine Jugend am Hof der Königin Maria de Medici verbracht. Die Schönheit und Raffinesse des französischen Hofes werde ich nie vergessen. Kennen Sie zufällig Ihre Majestät?«
Ich bin viel zu jung, dachte Armand, biss sich aber schnell auf die Zunge und antwortete: »Ich bedaure, dass ich nie die Gelegenheit hatte, Ihre Majestät kennenzulernen, wie Sie wahrscheinlich wissen, stehen Seine Majestät und seine Mutter nicht mehr auf besten Fuße … es ist wirklich schade, dass wir nicht die Gelegenheit haben werden, uns über den königlichen Hof auszutauschen, zufällig kennen wir den jetzigen König recht gut – und die Verbannung seiner Mutter war ein ziemlicher Skandal, ganz Frankreich hat monatelang nur davon geredet …«
Die Dame des Hauses schien plötzlich zu bemerken, dass sie von ihren gaffenden Dienern umgeben waren. Königlich drehte sie sich um und ermahnte sie scharf: »Hört auf zu starren und untätig herumzustehen, ihr dummes, nutzloses Gesindel. Seht ihr nicht, dass wir edle Gäste empfangen. Kümmert euch um die Pferde, lasst die Köchin ein anständiges Mittagessen zubereiten, und wenn ich anständig sage, dann meine ich anständig!«
***
Kokett lächelnd führte eine völlig verwandelte Gastgeberin Pierre und Armand ins Haus. Armand plauderte weiter über den königlichen Hof und zwinkerte dabei Piere und Edo zu.
Sehr bald fanden sie sich an einem gedeckten Tisch wieder, beladen mit den Köstlichkeiten Italiens, der beste Wein des Hauses schimmerte in teuren Gläsern aus Murano und es wurden fleißig Trinksprüche auf den König und die Königin von Frankreich ausgebracht.
Sogar der Herr des Hauses wurde aus seinem Arbeitszimmer gezerrt, wo er sich wie üblich verschanzt hatte – aber obwohl er vermutlich erstaunt war, drei wildfremde Gäste an seinem Tisch zu finden, waren seine Manieren geschliffen genug, um seinen Unmut Gefühle hinter einer Fassade makelloser Höflichkeit zu verbergen.
Ihre Gastgeberin war indes kaum wiederzuerkennen. Verschwunden waren die tiefen Falten, die Langeweile und Missmut in ihr Gesicht gegraben hatten. Freudestrahlend, lachend und scherzend wie die junge Hofdame, die sie einst gewesen war, saß sie inmitten der fröhlichen Runde und lauschte hingerissen Armands herrlich anrüchigen Geschichten vom französischen Hof.
Erst als die Diener begannen, immer mehr Kerzen anzuzünden, wurde der Gesellschaft bewusst, dass es bereits dämmerte.
»Ich muss mich tausendmal entschuldigen«, rief Armand, »ich habe die Zeit total vergessen. Wir müssen jetzt aber schnell aufbrechen, denn es wird bald dunkel und wir müssen die nächste Poststation erreichen. Es war ein wunderbarer Nachmittag – selten hatten wir eine so charmante Gastgeberin … und Gastgeber«, fügte er pflichtbewusst hinzu.
Aber Armand konnte kaum seinen Satz beenden, als die Dame des Hauses ihm schon ins Wort fiel: »Es kann keine Rede davon sein, dass Ihr heute Abend schon abreist«, rief sie. »Ihr seid selbstverständlich unsere Gäste. Es ist viel zu gefährlich, in der Dunkelheit zu reiten – und …«, sie machte eine Pause.
»Und?«, wiederholte Armand.
»Und Du musst mir unbedingt die Geschichte über Königin und diesen heimtückischen Herzog von Buckingham zu Ende erzählen, ich meine, haben sie wirklich …?« Sie kicherte. »Ich sterbe vor Neugierde! Königin Marie hat ihre Schwiegertochter übrigens nie gemocht, sie hat immer gesagt: Man kann den Spaniern und den Engländern nicht trauen.«
Was die Königin nicht davon abhielt, ihr Gold anzunehmen, sinnierte Pierre, zog es aber vor, seine Gedanken nicht laut auszusprechen, offensichtlich hatte die Dame des Hauses immer noch eine sehr verklärte Einstellung zur früheren Königin.
Armand gab vor, die Einladung aus Höflichkeit abzulehnen zu wollen, aber er gab bald nach, da die Dame des Hauses kein weiteres Gerede über ihre Abreise hören wollte.
So verbrachten sie auch einen angenehmen Abend, der erneut mit einem üppigen Essen gekrönt wurde, und sanken nach Mitternacht gut genährt und beschwipst von zu viel Wein in ihre Betten.
***
Armand sollte aber recht schnell feststellen, dass die großzügige Einladung nicht ganz ohne Hintergedanken erfolgt war. Kaum lag er im Bett, als ihn die Herrin des Hauses in seinem Zimmer aufsuchte. Nur mit einem fast durchsichtigen Nachthemd bekleidet, erklärte sie wortreich, dass sie sich vergewissern müsse, ob sein Zimmer auch gut geheizt und nach seinem Geschmack sei.
Armand behielt sich meisterhaft unter Kontrolle und es überraschte ihn dann nicht mehr, als sie Schwindel vortäuschte und theatralisch auf sein Bett sank. Als wahrer Gentleman wusste Armand, was von ihm erwartet wurde und tapfer erfüllte er die Pflichten, die ihr Ehemann offenbar schon seit geraumer Zeit vernachlässigt hatte.
Am nächsten Morgen bestieg ein erschöpfter Armand sein Pferd. Pierre sah seinen müden Freund überrascht an, doch als er ihre vor Glück strahlende Gastgeberin heftig winken sah, zog er sofort die richtigen Schlüsse.
»Anstrengende Nacht?«, fragte er seinen Freund mit einem Zwinkern in den Augen.
»Anstrengend …«, flüsterte Armand zurück, »das ist die Untertreibung des Jahres. Sie konnte einfach nicht genug bekommen. Ich bin total ausgelaugt.«
»Vielleicht hatte sie Angst, dass es das letzte Mal sein könnte«, kommentierte Pierre lächelnd mit Blick auf ihren älteren Mann, der steif neben ihr stand.
***
Sie ritten weiter in Richtung des Gardasees, aber das Wetter änderte sich. Die helle Sonne, die sie fast hatte vergessen lassen, dass sie sich schon mitten im Winter befanden, verschwand hinter dicken Wolkenschleiern und es wurde schlagartig unangenehm kalt.
Je weiter sie nach Norden in die Berge ritten, desto näher schienen ihnen die Wolken zu kommen. Der leichte Nieselregen verwandelte sich in einen dichten Vorhang aus Regen, der sich von nun an unerbittlich über die unglücklichen Reisenden ergoss. Triefend nass setzten sie ihre Reise fort, frierend und elend, denn selbst die dicksten Mäntel und Decken aus Leder und Filz konnten dieser Sintflut nicht standhalten.
»Hattest du uns nicht versprochen, dass wir zu einem der schönsten Orte in Italien reisen würden?« Armand sah skeptisch auf den Gardasee, der sich unter ihnen grau im Nebel verlor.
»So ist es – meistens zumindest«, antwortete Edo, der durch einen heftigen Niesanfall daran gehindert wurde, einen längeren Kommentar abzugeben.
Die Freunde blickten ungläubig auf den See, der zu ihren Füßen lag. Nahtlos verschmolz das dunkle Wasser am Horizont mit den dichten Wolken. Der bleifarbene See, der ihnen als blaues Juwel inmitten üppigen Grüns angepriesen worden war, entsprach so ganz und gar nicht ihren Erwartungen.
»Wir werden die Burg unserer Gastgeber noch vor Sonnenuntergang erreichen, es sind nur noch etwa drei bis vier Stunden Ritt von hier«, sagte Edo und versuchte, eine optimistischere Note in das Gespräch zu bringen.
»Hoffen wir, dass unser Empfang dort wärmer sein wird als der, den Mutter Natur für uns reserviert hat.«
Pierre seufzte, er fühlte sich immer noch höchst unwohl, Wildfremde uneingeladen zu überfallen.
Der Weg führte noch weiter steil bergauf und schon bald verstummte ihr Gespräch, da sie ihre ganze Aufmerksamkeit auf den engen und rutschigen Pfad richten mussten, der der einzige Zugang zur Burg war, die wie ein Adlernest auf dem Gipfel des Berges thronte.
»Wir sind jetzt ganz nah!«, rief Edo aufgeregt, in der Hoffnung, seine Mitreisenden aufzumuntern.
»Nahe woran?«, murmelte Armand. »Ich kann nur Wolken sehen, nichts als Wolken.«
Edo blieb die Mühe einer Antwort erspart, denn der dunkle Schleier der Wolken zerriss und in der Ferne schimmerte die Silhouette eines Turms umgeben von hohen Burgmauern.
Die Vision trockener Kleidung und eines Bechers mit dampfenden Glühwein spornte die Freunde an und freudig nahmen sie den letzten steilen Hang in Angriff.
»Der Torwächter ist etwas speziell«, rief Edo gut gelaunt, »ich kenne ihn schon seit meiner Kindheit, also wundere dich nicht, wenn er den einen oder anderen Witz reißt, er hat eine recht seltsame Art von Humor!«
»Das macht mir nichts aus«, antwortete Pierre. »Solange er das Tor schnell öffnet, sind mir alle Witze recht, es dürfen gerne auch ein paar schlechte dabei sein.«
Pierre fühlte sich inzwischen elend. Seine Kleidung war komplett durchnässt, er war müde und es wurde schon dunkel. Bäume und Sträucher, die ihren Weg säumten, lösten sich in graue Schatten auf, die ganze Welt um ihn herum wirkte farblos und unwirklich. Der dampfende Atem der Pferde ließ kleine Wölkchen aufsteigen. Es war still um sie herum, nur das Schnaufen der Pferde und das Geräusch ihrer Hufe waren zu hören, ein monotoner Rhythmus, der ihren langsamen und ermüdenden Aufstieg zur Burg begleitete.
Als das Tor der Burg schließlich über ihnen aufragte, hellte sich ihre Stimmung auf. Auch wenn Edo ein fröhliches Gesicht aufgesetzt hatte, war er doch äußerst besorgt gewesen, dass die dichten Wolken jedes weitere Vorankommen unmöglich machen könnten.
Erleichtert läutete er die Glocke des Tores und hörte erfreut, wie das helle Scheppern der Glocke durch die Burgmauern hallte.
Sekunden wurden zu endlosen Minuten des Wartens – aber nichts rührte sich.
Wütend und frustriert riss Edo mehrmals an der Schnur der Glocke, doch diesmal war das Scheppern nicht mehr fröhlich, sondern die Glocke übermittelte getreu die Botschaft, dass ein wütender Besucher sofortige Aufmerksamkeit erwartete.
Es dauerte dann noch einige Minuten, bis das schlurfende Geräusch von Füßen zu hören war und eine kleine Klappe in der massiven Eichentür geöffnet wurde.
»Was wollt ihr?«, dröhnte eine Stimme durch das Eisengitter. »Wir geben nichts.«
Die einladende Rede wurde von einem durchdringenden Geruch nach Fusel begleitet, der ihnen durch das kleine Loch entgegenströmte. Edo konnte nur die Lippen und einen roten Schal erkennen – doch es reichte, um zu begreifen, dass dies unmöglich der Torwächter sein konnte, den er gut kannte. Er runzelte die Stirn und flüsterte Armand zu: »Hier stimmt etwas nicht.«
Armand war ebenfalls todmüde und hatte keine Lust, in der schnell einbrechenden Dunkelheit auf dem gefährlichen Pfad in das Tal zurückzukehren. Ungeduldig schob er Edo zur Seite und griff kurzerhand nach den Zipfeln des Schals. Er zog schnell und fest und presste das Gesicht des völlig überraschten Torwächters mit eisernem Griff gegen das Gitter:
»Entweder du Hurensohn öffnest uns sofort das Tor oder mein Dolch findet seinen Weg direkt in deine verdammte Kehle!«
Das gurgelnde Geräusch von der anderen Seite konnte als eine Art Zustimmung gedeutet werden, und das Tor öffnete sich. Armand hielt ihn in seinem eisernen Griff, bis die Gruppe sicher den Innenhof betreten hatte und den seltsamen Torwächter aus der Nähe betrachten konnte.
Er war schon alt, gebeugt und schwitzte vor Angst. Fackeln brannten im Innenhof und spendeten Licht. Sobald der Wächter merkte, dass er von vier kräftigen Männern mit dem unverkennbaren Auftreten von adligen Herren umgeben war, fiel er wimmernd auf die Knie:
»Habt Erbarmen, edelste Signori, ich habe nur die Anweisung des Butlers befolgt, keine Besucher einzulassen!«
Fehlende Zähne und ein breiter Dialekt machten seine Sprache schwer verständlich, aber Edo hatte keine Probleme, ihn zu verstehen. Er brüllte ihn an:
»Du hirnloser Idiot, beweg deinen nutzlosen Hintern und führe uns sofort zum Butler oder wir zeigen dir den direkten Weg ins Paradies.«
Mit dem verängstigten Mann in ihrer Mitte, marschierten sie durch den Innenhof und betraten eine große Halle, wo verblüffte Dienstboten die Neuankömmlinge neugierig anstarrten.
Der Wächter forderte nervös einen der Diener auf, den Butler zu holen, da unerwartet edle Gäste eingetroffen seien.
Sie warteten inzwischen in der großen Eingangshalle, wo im großen Kamin ein einladendes Feuer brannte. Der imposante Kamin war ein veritables Kunstwerk aus Sandstein, in den ein unbekannter Meister seines Fachs nicht nur das gräfliche Wappen, sondern auch allerlei kunstvolle Ornamente und sogar Vögel gemeißelt hatte.
Pierres Füße und Hände begannen aufzutauen und seine Laune stieg, vielleicht war ja dieser seltsame Empfang nur ein dummes Missverständnis?
Pierre hatte gerade ein Vogelnest samt hungrigem Nachwuchs entdeckt, das der Künstler geschickt in den gemeißelten Ranken versteckt hatte, als er hörte, dass jemand die Halle betrat. Er hob den Kopf und sah, wie ein Dienstbote, vermutlich der Butler näherkam. Er machte seine mangelnde Körpergröße durch seine Persönlichkeit wett. Mit aufrechter Haltung schritt er majestätisch auf die Gäste zu – doch seine Haltung änderte sich, sobald er Edo erblickte.
»Oh, Signore Edoardo!«, rief er, »ich muss mich für diesen unwürdigen Empfang entschuldigen, aber dieser Kretin muss meine Anweisungen völlig missverstanden haben.«
Während er weitersprach, machte er mit seiner Hand eine vielsagende Geste, die den Pförtner unmissverständlich in den Rang der niederen Tierwelt verwies, wahrscheinlich auf die Stufe einer Kakerlake.
Edo lächelte ihn erleichtert an: »Ich bin froh, dich wiederzusehen, Giuseppe, ich habe mich wirklich gefragt, was hier los ist. Ich habe diesen seltsamen Torwächter noch nie gesehen und ich erkenne auch keinen der anderen Diener, die hier stehen und uns anglotzen, haben die nichts zu tun?«
Sofort klatschte der Butler in die Hände und rief: »Seht ihr nicht, dass wir edle Gäste hier haben, bewegt euch und bereitet den Speisesaal vor, sofort!«
Er verbeugte sich entschuldigend vor seinen Gästen:
»Ich muss euch um Verzeihung bitten und mein tiefes Bedauern ausdrücken, dass ich euch unter so unwürdigen Umständen empfangen muss, aber ich habe schlechte Nachrichten. Mein Herr und sein Sohn mussten unerwartet abreisen, weil die geliebte Schwester des Burgherren erkrankt ist, und er hat die meisten seiner Diener mitgenommen. Ich stehe also ohne Dienstboten da, zumindest Dienstboten, die diesen auch Namen verdienen. Das heißt, meine Herren, ich muss mich mit einem Haufen von nutzlosen Idioten herumschlagen.«
Edo sah niedergeschlagen aus: »Oh, bei allen Heiligen, was ist denn den mit der Schwester passiert? Wir hatten eigentlich vor, Weihnachten hier mit der Familie Eures Herrn zu verbringen! Mein Bruder Giovanni hat auch vor, nachzukommen.«
Ein Schatten schien über das Gesicht des Butlers zu huschen, aber er verschwand so schnell, dass Pierre zweifelte, ob es nicht nur eine Täuschung gewesen war.
»Ich bedaure zutiefst, Signore Edoardo, aber das wird unmöglich sein. Sie müssen uns sicher die Ehre erweisen, heute Nacht hierzubleiben, denn es ist zu spät, um weiter zu reisen, aber ich fürchte, ich überbringe noch weitere schlechte Nachrichten. Nicht nur ist mein Herr abwesend, sondern auch seine Gemächer sind wegen Renovierungsarbeiten geschlossen. Ich kann Ihnen und ihrer Begleitung nur eine Unterkunft im Nordflügel anbieten.«
Der Butler sah jetzt äußerst unangenehm berührt aus, aber das war nichts im Vergleich zu Edo, der geradezu empört aussah.
»Der Nordflügel!«, rief er, »aber der ist doch eine Ruine.« Edo war außer sich vor Wut: »Was ist mit dem Burgherrn geschehen? Niemals würde er akzeptieren, dass die Familie Piccolin so behandelt wird!«
»Wie ich bereits erwähnte, musste mein Herr in aller Eile abreisen, um sich um seine älteste Schwester, zu kümmern. Da ihm aber bewusst war, dass er längere Zeit abwesend sein würde, gab er den Auftrag, in der Zwischenzeit den Flügel mit den Apartments der Familie renovieren zu lassen. Ich werde aber mein Möglichstes tun, um den Nordflügel herzurichten, während ich Sie, edelste Signori, einlade, hier in der großen Halle zu speisen.«
***
Es gab also keine Alternative, als die Situation zu akzeptieren, sie würden eine andere Bleibe über Weihnachten finden müssen. Pierre war todmüde von dem anstrengenden Ritt und genoss die Wärme, die der Kamin ausstrahlte und die sich langsam in seinem Körper ausbreitete. Mehrere Gläser eines ausgezeichneten Weins trugen zu einem Gefühl der Leichtigkeit bei, sodass ihn selbst die Aussicht, in einem alten und zugigen Flügel der Burg schlafen zu müssen, nicht mehr stören konnte.
Der Butler ließ es sich nicht nehmen, die Gäste persönlich bei Tisch zu bedienen. Es herrschte allerdings eine seltsame Stimmung. Edo war außergewöhnlich wortkarg, und Armands Versuche, seine Begleiter mit ein paar schlüpfrigen Witzen aufzuheitern, verpufften schnell.
Als das Abendessen beendet war, bestand der Butler höflich, aber bestimmt darauf, dass sie sich nunmehr sofort in den Nordflügel begeben sollten. Edo öffnete den Mund – offenbar, um ein letztes Mal zu protestieren -, schloss ihn aber wieder, als der Butler ihn mit einem sprechenden Blick ansah.
Sie überquerten einen gepflasterten Hof, um in den Nordflügel zu gelangen. Der Regen hatte sich abgeschwächt, ein leichter Nieselregen ließ das Kopfsteinpflaster im Licht der Fackeln schwach schimmern, aber die Dunkelheit und der feuchte Schleier aus feinem Regen ließen die Burg, die Mauern, Fenster und selbst die wenigen Menschen draußen seltsam farb- und konturlos erscheinen, Teil einer düsteren Welt aus grauen Schatten. Zügig erreichten sie den Nordflügel, wo der Butler schon den Auftrag gegeben hatte, eines der Turmzimmer für die drei Freunde und ihren Kammerdiener vorzubereiten.
Fröstelnd stiegen sie die unebene und vom Alter gezeichnete Treppe hinauf, bis sie ein großzügig geschnittenes Turmzimmer erreichten, das seit Jahren, wenn nicht sogar seit Generationen nicht mehr bewohnt gewesen sein musste.
Behelfsmäßige Betten waren aufgestellt worden und in einem verrußten Kamin brannte tapfer ein armseliges Feuer. Der Raum stank nach Rauch, die Diener mussten versucht haben, ein anständiges Feuer zu entfachen, aber das Ergebnis waren nur ein paar magere, bläuliche Flammen. Wärmende Pelzdecken waren auf die Betten gelegt worden, aber auch diese hatten schon bessere Zeiten gesehen.
Edo war sprachlos, als er ihr Zuhause für diese Nacht musterte – zumindest blieb er stumm, als der Butler ihn förmlich ansprach:
»Signore Edoardo Salvatore, darf ich Ihnen und den edlen Herren trotz allem eine angenehme Nacht wünschen. Ich schlage vor, Sie morgen früh zu einem herzhaften Mahl abzuholen, bevor Sie die Burg leider wieder verlassen müssen. Gute Nacht!«
Zu ihrer großen Überraschung schüttelte er Edo rasch die Hand – als wolle er sich durch diese Geste für die miserable Unterkunft entschuldigen, die er ihnen zu bieten hatte.
»Gute Nacht«, erwiderte Edo, »aber ich fürchte, sie wird leider nicht sehr angenehm sein!«
Seine Worte waren vergeblich, denn der Butler war bereits gegangen und um allen die Krone aufzusetzen, hörten sie das knirschende Geräusch, als sich ein Schlüssel im Schloss drehte.
Armand stürmte zur Tür und rüttelte kräftig daran – aber vergeblich, die Tür war verschlossen.
»Das ist eine unglaubliche Frechheit, deine angeblichen Freunde haben uns eingesperrt!«, rief er Edo anklagend zu – doch überraschenderweise antwortete Edo nur laut:
»Beruhige dich, eigentlich kenne ich das Schloss ein wenig aus der Vergangenheit, es ist viel zu gefährlich, den Raum zu verlassen, das Gebäude hier ist eine Ruine. Ich nehme an, man will uns nur beschützen! Lass uns jetzt ins Bett gehen, ich bin todmüde, ich glaube der Wein und die lange Fahrt waren zu viel. Schau dir Pierre an, er ist schon eingeschlafen!«
Edo machte Armand und Pierre ein Zeichen, still zu sein, dann ging er auf Zehenspitzen zur Tür. Pierre war immer noch leicht beschwipst vom Wein und hielt es für angebracht, ein paar Schnarchgeräusche zu imitieren, was bei Armand fast einen Kicheranfall auslöste.
Edo ermahnte sie scharf, leise zu sein, und drückte sein Ohr an die Tür. Erst nach einiger Zeit konnten die Freunde ein zufriedenes Lächeln auf seinem Gesicht sehen. Schnell schlich er auf Zehenspitzen zurück auf die andere Seite des Zimmers und machte den anderen ein Zeichen, zu ihm zu kommen.
»Keine Erholung für uns heute Nacht«, flüsterte er aufgeregt, »wir sind direkt in einem neuen Abenteuer gelandet!«
»Ich wusste es«, stöhnte Armand, »warum zum Teufel erwischt es uns immer wieder? Ich will schlafen.«
»M. de Saint Paul ist anscheinend unpässlich«, flüsterte Pierre, der sich plötzlich hellwach fühlte, »aber mach dir keine Sorgen um Armand, viele Mitglieder der älteren Adelsgeschlechter sind ein wenig träge. Sag uns lieber, was geht hier vor?«
Edo grinste und flüsterte: »Ich habe keinen Schimmer, aber der Butler zwinkerte mir zu, als er den Raum verließ, und sprach mich mit 'Signore Edoardo Salvatore' an – und gab mir einen Schlüssel.«
»Schöner Name«, grummelte Armand, »ich glaube, ich habe nicht weniger als zwölf Taufnamen, keine Ahnung, warum meine Eltern so kreativ waren, ich bin nur ein jüngerer Sohn.«
»Sei nicht so dumm«, protestierte Pierre, »Edo heißt doch gar nicht 'Salvatore', oder? Der Butler macht eine Anspielung darauf, dass du sein Retter sein sollst?«
»Genau das ist es, du hast einen schnellen Verstand«, Edo war beeindruckt.
Armand schlug sich vor den Kopf: »Das ist wirklich clever, Pierre! Ja stimmt, Salvatore bedeutet Retter, jetzt verstehe ich es – aber was hat das alles zu bedeuten?«
»Ich kann nur raten«, Edo runzelte nun die Stirn, »die Geschichte mit der Renovierung der Wohnräume ist totaler Blödsinn, der Flügel der gräflichen Familie wurde letztes Jahr renoviert, und ich kann dir sagen, das hat ihn ein Vermögen gekostet.«
»Natürlich weißt du das … als sein Bankier …«, murmelte Armand.
»Ich habe außerdem kein einziges Gesicht der männlichen Bediensteten erkannt, nur einige der Dienstmädchen kamen mir bekannt vor – auch das ist sehr seltsam. Irgendetwas stimmt hier nicht, und wir müssen der Sache auf den Grund gehen. Ich kann einen der besten Freunde meines Bruders nicht in Schwierigkeiten lassen – und alles deutet darauf hin, dass er in einem großen Schlamassel steckt.«
»Ja, das riecht stark nach Problemen«, fügte Armand hinzu.
»Also schieß los, was gedenkst du zu tun?«
»Wir werden den Grafen natürlich retten«, Edo schien entschlossen, zur Tat zu schreiten – aber sich nicht allzu viele Gedanken darüber zu machen, wie er sein hehres Ziel erreichen konnte.
»Wie stellst du dir das vor? Wenn ich diese einfache Frage stellen darf?«, wollte Pierre wissen.
»Ich kenne die Burg in- und auswendig, ich habe hier als Kind mehrere Sommer verbracht. Ich kann überall ein-und ausgehen«, fuhr Edo prahlerisch fort.
»Toll«, Pierre wurde sarkastisch, »wir klettern also in völliger Dunkelheit gut hundert rutschige Treppen in einer Turmruine hinunter, laufen in aller Ruhe über den Hof, kämpfen notfalls mit einer Überzahl von bis zu den Zähnen bewaffneten Gegnern und haben in der Zwischenzeit keine Ahnung, wo wir deine Freunde finden können – oder ob sie überhaupt noch hier sind! Klingt fabelhaft! Ist hier jemand, dem ich mein Testament diktieren kann?«
»Gibt es einen besseren Plan als den von Euer Gnaden, Edos Freunde einfach im Stich zu lassen und wie ein Feigling zu verschwinden?« Armand schlug sich auf die Seite von Edo, was Pierre noch wütender machte. Sahen diese Einfaltspinsel nicht, dass sie direkt in eine gigantische Falle liefen?
***
Während sich die drei Kontrahenten noch immer gegenseitig anstarrten, räusperte sich Jean. »Darf ich vielleicht einen Vorschlag machen?«
Drei neugierige Augenpaare sahen Jean an, in der Hitze des Streits hatten sie seine Anwesenheit völlig vergessen.
»Natürlich«, antwortete Pierre, »solange dein Vorschlag sinnvoller ist, als uns direkt ins Unglück zu stürzen.«
»Ich schlage vor, dass ich hinunter in die Küche laufe und vorgebe, dass mein Herr Glühwein braucht, weil es hier oben so kalt ist. Das wird glaubwürdig genug sein und ein einfacher Diener wird sie nicht stören. Während ich herumschnüffle, werde ich versuchen, einige Informationen darüber zu sammeln, was hier wirklich vor sich geht. Das könnte uns eine wertvolle Hilfe sein, um einen Plan zu entwickeln, sobald ich zurück bin.«
»Ausgezeichnet«, nickte Pierre begeistert und strahlte seinen Diener stolz an.
»Ich werde nie verstehen, warum du deine Talente wegwirfst, und Pierre dienst, während du bei mir bleiben und einen anständigen Herrn haben könntest«, sprach Armand – allerdings mit einem Augenzwinkern, denn jeder wusste, dass es keine Möglichkeit gab, Jean von seinem Herrn wegzulocken.
Edo probierte währenddessen den Schlüssel aus – und in der Tat, die Tür öffnete sich.
Jean trat sofort in Aktion, zündete eine Fackel an, doch bevor er den Raum verließ, drehte er sich noch einmal um und bemerkte: »Danke, Monsieur Armand, für dieses großzügige Angebot, aber ich ziehe es vor, einem Herrn zu dienen, der nicht nur bescheiden ist, sondern meine Dienste auch wirklich benötigt.«
Die Tür schloss sich, bevor Armand etwas erwidern konnte. Pierre lachte: »Das war die richtige Antwort, mein lieber Freund.«
»Dieser Kerl wird langsam arrogant«, brummte Armand.
»Und ich hätte gerne einen Diener wie Jean, ich habe noch nie einen Diener wie ihn getroffen. Pierre ist ein Glückspilz!«, fügte Edo mit einem Seufzer und einem Anflug von Eifersucht hinzu.
***
Währenddessen stieg das ahnungslose Objekt ihrer Bemerkungen die rutschigen Stufen der Wendeltreppe des Turms hinunter in den Innenhof. Jean fröstelte, denn es wehte ein kalter Wind durch das baufällige Gebäude.
Am Ausgang zum Innenhof war eine Wache postiert worden, aber sie schluckte Jeans Erklärungen, dass sein Herr ihn auf die Suche nach Glühwein geschickt hatte – Herrschaften, besonders Franzosen, waren ja bekannt dafür, anspruchsvoll und schwierig zu sein!
Jean bedankte sich herzlich für sein Mitgefühl, und sie trennten sich im besten Einvernehmen. Jean war insgeheim erstaunt, dass sich die Wache nicht gewundert hatte, wie sie die Tür oben hatten öffnen können, aber offenbar wurde ihr Besuch eher als Belästigung denn als Bedrohung empfunden.
Er überquerte den nur spärlich beleuchteten Hof, etwas langsamer, als er es normalerweise getan hätte, und versuchte, in den Ecken oder Türöffnungen versteckte Diener und bewaffnete Männer zu erspähen. Zu seiner großen Überraschung konnte er niemanden entdecken. Wer auch immer der unbekannte Feind war, er war sicher nicht mit einer ganzen Armee in die Burg eingedrungen.
Jeans Laune hellte sich auf, vielleicht gab es ja doch eine realistische Chance, Edos Freunden heute Abend zu helfen. Er kannte Armand und Pierre inzwischen gut genug – sie würden keine Gelegenheit auslassen, um sich in Schwierigkeiten zu bringen!
In der großen Küche herrschte normalerweise reger Betrieb – aber da es schon recht spät war, war nur noch die Köchin mit zwei Küchenmädchen anwesend. Die Holztische standen schon geschrubbt und verlassen da, Tassen und Teller waren bereits gespült und weggeräumt worden. Kupferne Pfannen und Töpfe glänzten warm im Licht der Kerzen und des hohen Kamins, in dem ein lustiges Feuer brannte und dessen eiserne Spieße auf den morgigen Braten warteten.
Doch die friedliche Atmosphäre war trügerisch. Die beiden Küchenmägde waren mit Soldaten beschäftigt, die sie unter den missbilligenden Augen der Köchin betatschten, und Jean konnte an dem Zorn, der in ihren Augen brannte, erkennen, dass sie die Szene, die sich vor ihren Augen abspielte, verabscheute.
Jean wandte sich entschuldigend an sie:
»Beste Meisterin, seien Sie so nett und bereiten Sie mir einen Glühwein für meinen Herrn – er ist im Nordturm untergebracht und dort oben ist es eiskalt, haben Sie etwas Mitleid mit uns armen Reisenden.«
Als die Köchin merkte, dass Jean nicht zu den verabscheuten Soldaten gehörte, nickte sie und begann, in einem großen Kupfertopf Wein zu erhitzen, dem sie mit geübten Händen großzügig Honig und Gewürze hinzufügte.
Die Soldaten hatten einen kurzen Blick auf Jean geworfen – aber ein einfacher Diener war nicht weiter interessant, zumal es ihnen gelungen war, die Miederbänder einer der Mägde zu lösen.
Die Köchin explodierte vor Wut: »Ihr Schlampen verschwindet sofort aus meiner Küche, oder ich nehme den Schürhaken und mache kurzen Prozess«, wütend wedelte sie mit dem glühenden Schürhaken unter der Nase der Mägde.
»Lass sie in Ruhe«, schnauzte sie einer der Soldaten an und dann zu den Mägden: »Die Alte ist nur eifersüchtig! Es muss schon Jahre her sein, dass es jemand mit ihr getrieben hat.«
Und mit einer vielsagenden Geste griff er sich in den Schritt und zerrte das kichernde Dienstmädchen aus der Küche – das zweite Paar folgte ihm sofort.
Sie waren nun allein in der großen Küche und Jean sah, dass die Köchin Tränen in den Augen hatte. Sanft nahm er ihre Hand und flüsterte: »Sag mir, was hier los ist! Vielleicht können wir dir helfen?«
Die Köchin schaute misstrauisch auf die Tür, die sich hinter den Soldaten geschlossen hatte, und dann in Jeans Augen. Jean konnte sehen, dass sie mit sich kämpfte, nicht sicher, ob sie sprechen sollte oder nicht.
Jean drückte sanft ihre Hand und plötzlich brach es aus ihr heraus:
»Ich weiß, ich darf eigentlich nicht darüber reden, aber wenn ich in deine Augen schaue, sehe ich die Augen meines lieben Mannes, möge er in Frieden ruhen!«, sie tupfte sich schnell die Augen mit ihrer Schürze ab und bekreuzigte sich.
»Der Burgherr wurde durch einen Boten an das Krankenbett seiner Schwester gerufen. Er ließ die Burg in der Obhut des jungen Herrn und ritt mit den meisten unserer bewaffneten Männer davon – er erwartete keinen Ärger hier zu Hause. Es schien alles so friedlich. Nur einen Tag später, nachdem der Herr die Burg verlassen hatte, tauchte plötzlich unser Nachbar auf, um, wie er es nannte, einen Höflichkeitsbesuch zu machen.« Sie machte eine vielsagende Pause.
»Wir hatten noch nie ein gutes Verhältnis zu ihm, da er mit den spanischen Bastarden verbündet ist, aber – was sollten wir tun? Er betrat die Burg mit einem guten Dutzend seiner Männer, alles sah normal und friedlich aus. Der junge Herr empfing sie im Speisesaal des Grafen und bot ihnen einen Becher unseres besten Weins an, als diese Schufte plötzlich ihre versteckten Waffen hervorholten und ihn und seine Diener als Geiseln nahmen. Sie drohten damit, unseren jungen Herrn zu töten, und zwangen unsere Diener, ihre Waffen abzulegen, dann sperrten sie alle Männer in das alte Gefängnis.«
Sie begann zu schluchzen: »Mein armer Neffe ist unter ihnen!«
***
»Aber mit diesem Angriff werden sie doch nichts erreichen«, überlegte Jean laut, »sie werden nur eine weitere Familienfehde anzetteln, die über Generationen dauern wird.«
»Dieser verfluchte Nachbar hat aber einen perfiden Plan«, antwortete die Köchin, noch immer etwas undeutlich, da sie wieder angefangen hatte, zu schluchzen.
»Er ist mit seiner Tochter Lucrezia gekommen und erpresst nun den jungen Herrn, sie zu heiraten – wenn er nicht zustimmt, wird er anfangen, die Geiseln unten im Kerker zu foltern. Er wird auch dafür sorgen, dass seine Tochter die Nacht heute allein mit dem jungen Herrn verbringt.«
»Ich denke aber, der junge Herr wird sie nicht anrühren, auch wenn sie umwerfend schön wäre – so dumm kann er doch nicht sein.« Jean war empört.
»Darum geht es nicht, du musst wissen, dass wir hier im Norden ein Gesetz haben, das besagt, dass ein junger Mann, der bei einer Jungfrau übernachtet, sie heiraten muss – weigert sich der junge Mann, ist die Ehre der Familie beschmutzt und sie hat das Recht, ihn zu töten und seinen Besitz als Entschädigung zu fordern.«
»Das ist wirklich hinterhältig«, rief Jean aus, »also entweder er heiratet sie – und sie haben durch die Heirat sein Land in der Hand – oder er weigert sich und nach dem Gesetz ist er ein toter Mann – und sie können sein Erbe einfordern.«
Die Köchin nickte nur zustimmend, sie war nicht mehr fähig, weiterzusprechen.
»Gut, dass wir angekommen sind«, sagte Jean in der Hoffnung, optimistisch zu klingen, »Das klingt nach einer Aufgabe für meinen Herrn und seine Freunde.«
»Glaubst du, es gibt noch Hoffnung?«, die Köchin tauchte hinter ihrer Schürze auf, mit der sie ihre Tränen getrocknet hatte.
»Sicherlich«, antwortete Jean, vielleicht ein wenig prahlerisch, denn in Wahrheit hatte er keine Ahnung, was zu tun war.
»Wo sind sie jetzt?«
»Sie sind oben in den Privaträumen des Grafen.«
»Und wie viele sind es?«
»Die letzten Worte wurden nur geflüstert, denn sie hörten das Geräusch von sich nähernden Stiefeln.
»Nicht viele, ein gutes Dutzend.«
Einer der Soldaten kam zurück, sein Gesicht verräterisch gerötet. Er bemerkte Jean, der noch immer in der Nähe der Köchin stand, und knurrte:
»Was lungerst du hier noch herum, verschwinde aus der Küche oder ich zeige dir, wie ein Stock auf deinem faulen Hintern tanzen kann.«
Jean spielte sofort den verängstigten und unterwürfigen Diener.
»Oh, habt Erbarmen, edelster Herr,«, wimmerte er. »Mein Herr wird schon wütend genug sein, weil es so lange dauert. Aber die Köchin hat mir erklärt, dass der Wein langsam erhitzt werden muss, sonst taugt er nichts.«
Der Soldat trat näher und schnupperte: »Der riecht aber gut … gib mir etwas von dem Zeug du alte Schachtel, verschwende das gute Zeug nicht an dumme Ausländer.«
Jean sah, dass die Köchin sich wehren wollte. Schnell beugte er sich vor, so als wolle er selbst den köstlichen Duft einatmen. Schnell flüsterte er: »Bereite eine gute Portion für sie zu und gib reichlich Grappa dazu.«
»Wenn ich eine alte Schachtel bin, bist du ein nichtsnutziger Trunkenbold«, brummte die Köchin, »aber es ist auf jeden Fall zu wenig für euch Männer. Gib mir den großen Topf da drüben, und ich mache dir noch mehr Glühwein – aber versprich mir, dass du den jungen Herrn gut behandelst!«
Der Soldat spuckte verächtlich auf den Boden: »Gib uns lieber das Zeug, sonst könnte es dein kleiner Liebling bereuen«, aber er ging bereitwillig zu dem Haken, an dem der größte Topf aus glänzendem Kupfer hing und stellte ihn auf den Tisch.
»Ich komme gleich mit meinen Kameraden zurück, und du solltest besser den Wein bis dann für uns fertig haben«, drohte er noch, bevor er die Küche verließ.
»Vergiss nicht: Viel Grappa und jede Menge Honig«, wies Jean sie an, doch die Köchin hängte den Topf bereits mit flinken Händen an den Haken, der über dem Herdfeuer hing, und begann, ihn mit einer üppigen Portion Wein zu füllen.
»Mach dir keine Sorgen«, erwiderte sie grimmig, »ich habe dich schon verstanden, die werden schon noch viele Sterne sehen! Du hast selbst gesehen, was hier vor sich geht, helft uns bitte, dieses Ungeziefer loszuwerden.«
Sie drückte Jean einen Krug mit Glühwein in die Hand und Jean begann seinen Rückweg über den eiskalten Hof in Richtung des Nordturms. Nach der gemütlich warmen Küche traf ihn die Kälte draußen wie ein Schock.
Vor dem Turm grüßte er den Wächter, der immer noch den Eingang bewachte. Die Nase des Wächters war rot von der Kälte und er schnäuzte sich immer wieder in die Hände, wobei weiße Schwaden aus seinem Mund nach oben schwebten.
»Scheußlich kalt, nicht wahr?«
»Scheißkalt, das ist es«, antwortete der Wächter mit klappernden Zähnen.
»Ich bin froh, dass ich eine Kanne mit Glühwein auftreiben konnte, der wird uns da oben guttun und meinen Herrn hoffentlich in bessere Stimmung bringen«, vertraute Jean ihm an, »aber ein kleiner Tipp: Die Köchin bereitet gerade einen großen Topf mit einem Schuss Grappa speziell für euch Soldaten zu.«
»Bist du dir da sicher?«, fragte der Wächter argwöhnisch.
»Ganz sicher!«, antwortete Jean genüsslich, »ich habe einen dicken Kerl mit einem dunklen Schnurrbart gesehen, der hat geschlürft wie ein Schwein.«
»Das muss unser Hauptmann sein, aber ich darf mich nicht wegbewegen, mir wurde befohlen, hierzubleiben.«
»Klar musst du das.« Jean sah ihn mitfühlend an, »Allerdings, denke drüber nach, ob es Sinn macht, hier in der Kälte zu bleiben und dir ein tödliches Fieber einzufangen. Ich persönlich denke, ein Schluck von dem Zeug würde dir echt guttun – du siehst schrecklich aus. Aber ich muss mich beeilen, mein Wein ist schon fast kalt und mein Herr wird mich schlagen, wenn ich trödele, er hat ein höllisches Temperament.«
Er zwinkerte dem Wächter verschwörerisch zu, der zurückzwinkerte. Sie brauchten keine weiteren Worte, um ihre Meinung über die Marotten anspruchsvoller Vorgesetzter auszutauschen.
Jean stieg die Treppe hinauf und betrat das Zimmer, wo die drei Freunde bereits gespannt auf ihn warteten. Pierre war voller Gewissensbisse, dass er Jean allein hatte ziehen lassen und hatte sich schon alle möglichen Katastrophen ausgemalte, die ihm wohl widerfahren könnten.
Daher wurde Jean mit großer Erleichterung begrüßt, die in Begeisterungsstürme umschlug, als die Freunde entdeckten, dass er sein Wort gehalten und einen Krug Glühwein mitgebracht hatte. Das Turmzimmer war immer noch eiskalt und das asthmatische Feuer kurz davor, seinen Geist aufzugeben.
Der Glühwein wurde brüderlich geteilt und breitete sich wie flüssiges Feuer in ihren Adern aus – dabei hinterließ er ein Gefühl der beschwingten Behaglichkeit und ihre Stimmung hob sich beträchtlich.
Jean fasste schnell zusammen, was im Schloss vor sich ging, und es kostete Pierre und Armand einige Mühe, Edo davon abzuhalten, sofort aufzubrechen, um Rache zu nehmen.
»Wir brauchen zuerst einen vernünftigen Plan«, beharrte Armand, »auch wenn die Anzahl der Feinde nicht beängstigend groß ist, Jean spricht einem guten Dutzend, so dürfen wir nicht vergessen, dass sie den Sohn des Grafen als Geisel haben.‘
‚Und sie tragen Schusswaffen!«, fügte Pierre hinzu.
»Wir können sie ausspionieren«, sagte Edo und grinste verschmitzt, »und ich weiß auch genau, wie wir das hinbekommen.«
Drei neugierige Augenpaare sahen ihn an.
»Ich habe früher mit dem Sohn des Grafen hier im Schloss Verstecken gespielt, ich kenne das Schloss in- und auswendig. Wir können den Südturm hinaufklettern und dort gibt es eine Tür, die zum Dachboden über den gräflichen Gemächern führt. Die Eichendielen sind dünn genug, man kann jedes Wort mithören, das dort unten gesprochen wird – und niemand wird je erfahren, dass wir dort waren!«
Pierre lachte: »Klingt, als hättet ihr das häufiger gemacht.«
Edo zuckte nur mit den Schultern und grinste: »Klar haben wir ein bisschen gelauscht, vor allem, als sie darüber diskutierten, wie man diese unartigen Jungs fangen und bestrafen kann … Aber lasst uns keine Zeit vertrödeln, wir müssen jetzt zuerst die Wache da unten loswerden!«
»Oh, das dürfte recht einfach sein«, Armand sah liebevoll auf seinen Dolch.
»Ich hoffe, das wird nicht nötig sein«, meinte Jean. »Wenn wir Glück haben, hat sich der Kerl zum Rest der Bande gesellt, denn die Köchin wird alle auf einen Becher Glühwein einladen – und sie hat versprochen, viel Honig und einen großzügigen Schuss Grappa hinzuzufügen.«
»Dann dürfte die Stimmung bald recht ausgelassen sein – bis alle plötzlich müde werden«, kommentierte Armand trocken, »clevere Idee!«
»Morgen werden sie höllische Kopfschmerzen bekommen«, warf Pierre ein, »aber mein Mitleid ist begrenzt, hoffentlich tut es recht weh.‘
»Falls sie den Morgen überhaupt noch erleben«, fügte Edo grimmig hinzu, »sicher nicht, wenn es nach mir geht!«
***
Vorsichtig öffneten sie die Tür, aber nichts rührte sich und ermutigt durch die Stille, schritten sie vorwärts, immer vorsichtig, um jedes verräterische Geräusch zu vermeiden. In der Dunkelheit mussten sie den Weg eher ertasten und so kamen sie nur langsam die tückische Treppe hinunter.
Nach einer gefühlten Ewigkeit näherten sie sich den letzten Stufen, die von einem einsamen Windlicht beleuchtet waren und zu Jeans großer Erleichterung hatte sein Trick funktioniert: Der Platz des Wächters war verlassen, durch die offene Tür konnten sie einen Blick auf den leeren Hof werfen.
»Jetzt kommt der schwierige Teil«, flüsterte Edo, »wir müssen den Hof überqueren, ohne Aufmerksamkeit zu erregen.«
»Ich weiß nicht, vor wem du eigentlich Angst hast«, flüsterte Armand zurück, »das sieht doch ziemlich leer aus.«
Und in der Tat, als sie aus der Tür des Nordturms schlichen, schien niemand in der Nähe zu sein, sie hörten nur einige scheppernde Geräusche und Fetzen von Gelächter und angeregten Gesprächen, die aus der Küche herüberwehten.
»Gleich holt noch einer die Fidel raus und spielt auf,«, flüsterte Pierre, »die machen gleich ein Festgelage daraus.«
Trotz seiner flapsigen Bemerkung waren seine Nerven angespannt – jedes Geräusch, das aus dem Küchengebäude kam, schien in Pierres Ohren zu vibrieren und sich zu verstärken – obwohl diese Geräusche für den unvoreingenommenen Zuhörer harmlos genug klangen – das metallische Klappern von Töpfen und Bechern, das gelegentliche Lachen und angeregte Gespräche – nichts Ungewöhnliches für eine normale Winternacht.
Weiter ging es im Schatten der Burg bis zur massiven Tür des Südturms. Armand drückte auf die Verriegelung der Tür. Nichts rührte sich, und sie sahen sich an – sprachlos. Würde ihre Mission heute Nacht hier kläglich enden – die edlen Ritter, die zur Rettung aufgebrochen waren – aufgehalten durch eine dumme, verschlossene Tür?
Nur Edo war nicht erschüttert. Er ging zu einem kleinen Fenster neben der Eingangstür. Dort zögerte er kurz, dann zerrte er einen Ziegelstein aus dem Fensterbrett. Unter dem losen Ziegel lag ein rostiger Schlüssel.
Unglaublich, wie sich Gewohnheiten über Jahre und Jahrzehnte halten«, kommentierte er mit leiser Stimme, während er den Schlüssel in das Schloss steckte, »ich glaube, dieses Geheimversteck wird schon seit Adam und Eva benutzt.«
Der rostige Schlüssel quietschte protestierend, aber er gab unter dem Druck nach und das Schloss drehte sich, die Tür öffnete sich – der Weg war frei!
Armand trat zuerst ein, drehte sich aber sofort wieder um:
»Ich kann da drinnen meine Hand nicht vor Augen sehen. Vielleicht schaffen wir es, nach oben zu klettern – aber auf dem Dachboden werden wir uns so nicht bewegen können – wir brauchen eine Kerze oder Fackeln! Hat jemand eine gute Idee?«
»Lasst mich zu Küche gehen und etwas organisieren, die kennen mich ja schon«, schlug Jean vor.
Bevor Pierre etwas dagegen sagen konnte, hatte er die Gruppe bereits verlassen – sie hatten ohnehin keine bessere Idee.
»Verstecken wir uns lieber hier drinnen, es hat keinen Sinn, draußen zu bleiben und noch entdeckt zu werden«, schlug Pierre vor.
***
Jean betrat die Küche, aber die Stimmung dort hatte sich komplett verändert. Ein gutes Dutzend Soldaten standen um einen Topf Glühwein herum, lachten und prahlten. Jean konnte sehen, dass die Köchin schon eine neue Portion heißmachte, dabei spielte ein grimmiges Lächeln auf ihren Lippen.
Die Männer hatten die Kragen geöffnet und ihre roten Gesichter glänzten vor Schweiß.
Jeans Auftritt wurde mit lautem Beifall begrüßt: »Da ist ja schon wieder der dreckige Diener! Seht euch seine Haut an, seine Mutter muss eine ordentliche Ladung Kohlen geschluckt haben, bevor sie ihn gemacht hat.«
Der dicke Mann, der der Hauptmann zu sein schien, schaute Jean herausfordernd an und dann zu seinen Männern, ihren Applaus für seine geistreiche Bemerkung erwartend.
Jean ballte seine Faust in der Tasche, du fettes Schwein, das wirst du mir büßen, dachte er, aber gab vor, die Bemerkung nicht gehört zu haben.
»Was brauchst du denn diesmal für deinen Herrn, ein paar schöne Bettdecken oder lieber ein Küchenmädchen, das ihn schön warm hält?«, fuhr der Hauptmann fort, »richte deinem Herrn aus, dass alle Mädels hier für uns reserviert sind, sie wollen auf jeden Fall echte Kerle, keine ausländischen Weicheier.«
Jean hielt es für das Beste, diese Bemerkung ebenso zu ignorieren wie die erste und antwortete ängstlich: »Mein Herr ist wütend. Das Feuer und die Kerzen sind ausgegangen. Er hat mich geschickt, um eine Kerze und Fackeln zu holen.«
Bevor der Hauptmann antworten konnte, antwortete die Köchin bereits kurzangebunden:
»Ich kenne diese Sorte. Immer nur jammern und die Dienerschaft in Trab halten. Folg mir, ich gebe dir eine Kerze und eine Fackel, aber das muss für heute Nacht reichen und wagt es nicht, noch einmal wiederzukommen. Zumindest ich bin eine anständige Frau und ich gehe jetzt ins Bett.« Sie zwinkerte Jean zu und winkte ihm, ihr zu folgen.
Die Soldaten machten sich fast in die Hosen vor Lachen. »Eine anständige Frau«, japste einer der jüngeren Männer, »du bist so alt und fett, dass dir gar nichts anderes übrig bleibt!«
Mit Schwung nahm er einen großen Schluck. »Aber eins muss ich dir lassen, Weib, dein Wein ist vorzüglich. Keine Schlafenszeit, ich will noch eine Runde.«
Die Köchin zuckte nur mit den Schultern und ging an der Gruppe vorbei. Draußen reichte sie Jean schnell Fackeln und eine Kerze und flüsterte: »Hier, nimm auch ein Windlicht, das könnte euch noch nützlich sein. Unser Plan funktioniert bestens – sie sind bald sturzbetrunken, der letzte Topf war nur noch Grappa mit etwas Wein. Jetzt beeilt euch. Der junge Graf ist da oben mit einem weiteren halben Dutzend dieser Bestien – dazu der Nachbar mit seiner schrecklichen Tochter.«
Jean drückte ihre Hand. »Danke, gute Frau, keine Sorge, bis morgen früh haben wir diesen Abschaum vertrieben.«
Er sah, dass sie sich schnell die Tränen aus den Augen wischte: »Ich vertraue dir, du hast mir wieder Hoffnung gegeben. Ich werde jetzt zurückgehen und ihnen eine weitere Ladung servieren. Noch eine gute Stunde und sie schlafen wie Babys.«
Die brennende Kerze sorgfältig gegen den Wind schützend, lief Jean zurück zum Südturm und wollte gerade den Türriegel herunterdrücken, als er hinter sich ein pfeifendes Geräusch hörte. »Hey, was machst du denn hier? Deine Herren warten unten im Nordturm! Das ist auf der anderen Seite.«
Jeans Herz begann zu rasen – das war genau die Komplikation, die er unbedingt vermeiden musste. Der Wächter kam näher, leicht schwankend. Es war der gleiche Mann, der zuvor im Nordturm Dienst gehabt hatte.
»Ich – hoppla – habe wohl zu viel von dem Glüh- hicks – wein getrunken«, antwortete Jean. »Aber ich schwöre, ich habe nur ein kleines Schlückchen getrunken. Nur zum Probieren!«
Der Wachmann war jetzt so nahe, dass Jean seinen alkoholgeschwängerten Atem riechen konnte.
»Bist du dir sicher, dass es der andere Turm ist? Kannst du mir zeigen, welcher es ist, ich k-kann nicht so genau sehen.«
»Dein Herr wird dich heute Abend ordentlich verprügeln«, antwortete der Wächter gut gelaunt, »du bist total hinüber – du hast ein wohl bisschen zu viel probiert, Kumpel! Natürlich ist es dieser Turm dort drüben, schau!« Er drehte sich um und zeigte mit schwankendem Finger auf den Nordturm.
Jean verlor keine Zeit, hob die Fackel und ließ sie auf den Kopf des ahnungslosen Wächters niedersausen. Ein kurzes Stöhnen und er sackte direkt zu Jeans Füßen zusammen.
»Traue niemals einem Fremden, hat meine Mutter immer gesagt«, kommentierte Jean, »und sie hatte immer recht!«
***
Schnell schaute Jean sich im Hof um – aber anscheinend hatte niemand Lust, in die feuchtkalte Nacht hinauszugehen, solange die Köchin freigiebig Glühwein ausschenkte. Dann betrat Jean den Turm, wo er drei frierende und sehr nervöse Herren vorfand, die äußerst erleichtert waren, ihn wohlauf zu finden.
»Hast du keine Fackel gefunden?«, fragte Pierre.
»Habe ich, Monsieur, aber sie ist noch draußen, ich musste sie etwas zweckentfremden und jetzt brauche ich Hilfe, um den Wächter loszuwerden, der mich zurück zu dem Nordturm schicken wollte.«
»Du hast die Wache getötet?«, fragte Armand neugierig.
»Nein, Monsieur Armand, er ist nur bewusstlos, wir müssen ihn irgendwo sicher unterbringen, bevor er aufwacht und Alarm schlägt!«
»Kein Problem, ich weiß schon wo«, antwortete Edo, »lasst uns das schnell erledigen.«
Sie schlichen aus der Tür, sammelten die Fackeln ein, die Jean mitgebracht hatte, und schleppten den bewusstlosen Wächter ins Innere des Turms.
»Oh mein Gott, ist der schwer«, beschwerte sich Armand, »an Essen scheint es hier in Italien nicht zu mangeln.«
Edo führte sie hinunter in die Kellerräume und entriegelte dort eine mit Eisen beschlagene Tür, die sich unter kreischendem Protest öffnete.
»Was machen wir jetzt?«, fragte Pierre keuchend, der Wachmann war wirklich schwer gewesen.
»Wir lassen ihn da drinnen und verriegeln die Tür, da kann ihn keiner hören«, antwortete Edo fröhlich.
»Was ist da unten?«, fragte Armand neugierig: »Ich hoffe für ihn, dass es die Weinkeller sind.«
»Keine Ahnung!« Edo antwortete: »Wir haben uns nie getraut, da hinunterzugehen, weil die Haushälterin uns immer erzählt hat, dass es dort vor Ratten wimmelt und noch Knochen herumliegen, aus der Zeit, als diese Keller noch als Kerker benutzt wurden – aber vielleicht ist das nur ein Ammenmärchen, weil sie uns Kinder fernhalten wollte.«
»Nun, jetzt hat der gute Mann die einmalige Gelegenheit, die Wahrheit herauszufinden«, kommentierte Jean sachlich und gab dem unglücklichen Wachmann einen letzten Stoß. Sie sahen den Körper in der Dunkelheit verschwinden, als er die Treppe hinunterpolterte und im Keller verschwand. Jean schloss die dicke Tür und verriegelte sie sorgfältig.
»So, das wäre erledigt«, stellte Edo zufrieden fest, »er kann um Hilfe schreien, aber niemand wird ihn hören. Aber jetzt müssen wir endlich auf den Dachboden klettern, und ich befürchte, dass die nächste Aufgabe etwas schwieriger sein wird.«
»Wir kennen keine Probleme, wir kennen nur Herausforderungen, so sagt man doch«, fügte Armand optimistisch hinzu. »Bis jetzt sind wir gut vorangekommen, vor allem dank Jean. Es ist an der Zeit, dass wir ins Spiel kommen und ich hätte, ehrlich gesagt, nichts gegen einen netten Kampf.«
Eifrig stürmten sie die Wendeltreppe hinauf und konnten mit eigenen Augen sehen, dass Edo recht gehabt hatte: Dieser Teil des Gebäudes war erst vor Kurzem renoviert worden. Während der Nordturm fast zerfiel, war die Treppe hier in tadellosem Zustand.
Edo öffnete die Riegel der Tür, die zum Dachboden führte, und machte ein Zeichen, jetzt leise zu sein:
»Wie ich dir gesagt habe, sind ein paar Bretter der Decke ziemlich dünn. Das bedeutet, dass wir sie hören können – so wie sie uns natürlich auch hören würden. Also bloß nicht reden! Wir ziehen unsere Stiefel besser aus und gehen auf Strümpfen. Wichtig Leute: Achtet darauf, neben den Streben zu gehen, die das Dach stützen, an diesen Stellen sind die Bohlen viel dicker und können leicht unser Gewicht tragen. Das Wohnzimmer sollte gut sechzig Fuß von hier entfernt sein – in etwa dort, wo man die Stütze auf dem Dachboden sieht. Sobald wir genug gehört haben, lasst uns hierher zurückkommen und beraten, wie wir diese Plage loswerden können.«
Sie nickten und zogen ihre Stiefel aus. Jean bekam fast einen Anfall und Armand musste einen Lachanfall unterdrücken, als Pierre seine Stiefel auszog und ein großes Loch im linken Strumpf sichtbar wurde. »Monsieur le Marquis mit Strümpfen wie ein Bettler«, flüsterte Armand breit grinsend, –. »Das ist doch mal ein guter Witz!«
Pierre grinste nur kurz, aber alle seine Sinne waren darauf konzentriert, zu lauschen – und selbst keine verräterischen Geräusche zu machen. Wie zu erwarten, war der Dachboden völlig dunkel – und eiskalt.
Das Licht der Kerze konnte die Dunkelheit kaum durchdringen, doch nun entzündete Edo die erste Fackel mit seiner Kerze und mit ihr Aufflackern erweckte den Dachboden aus seinem Schlummer. Ein hohes Gewölbe mit uralten hölzernen Spitzbögen tauchte aus der Dunkelheit auf. Feuchte, grünliche Flecken schimmerten auf dem Boden, dort wo das Dach undicht war und Regenwasser seinen Weg ins Innere gefunden hatte.
Wie Edo vorausgesagt hatte, konnten sie Geräusche hören – und je näher sie auf Zehenspitzen an die von Edo angegebene Stelle schlichen, desto besser gelang es ihnen, Fetzen der lebhaften Unterhaltung unter ihnen zu verstehen.
***
»Ich werde dieser schändlichen Erpressung nicht nachgeben«, rief eine junge, wütende Stimme, »ich muss die Ehre unseres Hauses verteidigen, egal, was ihr mir androht!«
»Ehre, habe ich Ehre gehört?«, antwortete eine schrille Frauenstimme, »Vater, hast du das auch gehört? Wir wissen doch alle, dass heute Abend meine Ehre auf dem Spiel steht – die Ehre einer hilflosen Jungfrau …« Der Rest des Satzes ging im Klang ihres hysterischen Lachens unter, zu dem sich ein tiefes, brüllendes Lachen des Mannes gesellte, der wohl dicht neben ihr stand.