TONY BALLARD: DIE HÖLLENSCHWERT-TRILOGIE - A. F. Morland - E-Book

TONY BALLARD: DIE HÖLLENSCHWERT-TRILOGIE E-Book

A. F. Morland

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Beschreibung

Der Abend war feucht und nebelig. Es war Frühling, aber die Jahreszeit zeigte sich von ihrer unfreundlichsten Seite.

Ich tippte auf die Bremse und ließ den Wagen ausrollen. Da stand ich nun, vor dem kleinen alten Friedhof im Norden der Stadt, und mir war ehrlich gesagt nicht ganz geheuer, denn der Anruf, der mich hierher geholt hatte, konnte eine Falle sein.

Die Friedhofsmauer sah brüchig aus. An vielen Stellen war der Verputz abgeblättert, und graurote Ziegel kamen zum Vorschein. Ich öffnete die Fahrzeugtür – und spürte sofort die drohende Aura des Bösen...

Misstrauisch ließ ich meinen Blick schweifen, ehe ich den weißen Peugeot verließ. Meine Hand glitt in die Jacke; ich prüfte den Sitz meines Colt Diamondback, der in der Schulterhalfter steckte. Meine Nerven waren zum Zerreißen gespannt...

 

Die legendäre Höllenschwert-Trilogie aus der Horror-Serie TONY BALLARD von A. F. Morland - bestehend aus den Romanen Als der Silberdämon starb, Die Hexe und ihr Henker und Sie wollten meine Seele fressen -, erstmals zusammengefasst und als durchgesehene Neuausgabe in einem Band und ergänzt um ein Vorwort des Autors.

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A. F. Morland

 

 

Die Höllenschwert-Trilogie

 

Drei Romane in einem Band

 

 

 

 

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

Vorwort von A.F. Morland 

DIE HÖLLENSCHWERT-TRILOGIE 

1. ALS DER SILBERDÄMON STARB 

2. DIE HEXE UND IHR HENKER 

3. SIE WOLLTEN MEINE SEELE FRESSEN 

 

 

Das Buch

 

Der Abend war feucht und nebelig. Es war Frühling, aber die Jahreszeit zeigte sich von ihrer unfreundlichsten Seite.

Ich tippte auf die Bremse und ließ den Wagen ausrollen. Da stand ich nun, vor dem kleinen alten Friedhof im Norden der Stadt, und mir war ehrlich gesagt nicht ganz geheuer, denn der Anruf, der mich hierher geholt hatte, konnte eine Falle sein.

Die Friedhofsmauer sah brüchig aus. An vielen Stellen war der Verputz abgeblättert, und graurote Ziegel kamen zum Vorschein. Ich öffnete die Fahrzeugtür – und spürte sofort die drohende Aura des Bösen...

Misstrauisch ließ ich meinen Blick schweifen, ehe ich den weißen Peugeot verließ. Meine Hand glitt in die Jacke; ich prüfte den Sitz meines Colt Diamondback, der in der Schulterhalfter steckte. Meine Nerven waren zum Zerreißen gespannt...

 

Die legendäre Höllenschwert-Trilogie aus der Horror-Serie Tony-Ballard von A. F. Morland - bestehend aus den Romanen Als der Silberdämon starb, Die Hexe und ihr Henker und Sie wollten meine Seele fressen -, erstmals zusammengefasst und als durchgesehene Neuausgabe in einem Band und ergänzt um ein Vorwort des Autors. 

  Vorwort von A.F. Morland

 

 

Als ich im vorigen Jahrhundert meinen ersten Tony-Ballard-Roman schrieb, hätte ich mir nicht träumen lassen, dass sich die Serie zum Dauerbrenner entwickeln würde. Aber es ist so gekommen und dafür bin ich den zahlreichen treuen Lesern, die das ermöglicht haben, unendlich dankbar. Nach vierzehn Jahren dachte ich, für Grusel-, Schauer- und Horror-Storys würde es bald keinen Markt mehr geben. Aufgrund dieser Fehleinschätzung machte ich mit Ballard Schluss und widmete mich vielen anderen Projekten.

Bis sich nach einer mehr als zehnjährigen Pause ein Verleger bei mir meldete und fragte, ob ich mir vorstellen könne, die Serie fortzusetzen. Ich konnte – und fing wieder an, Tony-Ballard-Abenteuer zu verfassen.

Inzwischen schreiben wir das Jahr 2016 und ich tue es noch immer mit Freude und Begeisterung, weil es mir nach wie vor großen Spaß macht, meine Leser spannend zu unterhalten, sie mit immer neuen Ideen zu überraschen und sie, selbst wenn sie noch so abgebrüht sind, stets aufs Neue das Fürchten zu lehren.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen und Euch viel Spaß beim Lesen dieser von Christian Dörge meisterhaft und mit sehr viel Liebe zum Detail neu adaptierten Höllenschwert-Trilogie.

 

Herzlichst,

A. F. Morland 

 

 

 

 

 

 

DIE HÖLLENSCHWERT-TRILOGIE

 

 

 

 

  1. ALS DER SILBERDÄMON STARB

 

 

 

Der Abend war feucht und nebelig. Es war Frühling, aber die Jahreszeit zeigte sich von ihrer unfreundlichsten Seite.

Ich tippte auf die Bremse und ließ den Wagen ausrollen. Da stand ich nun, vor dem kleinen alten Friedhof im Norden der Stadt, und mir war ehrlich gesagt nicht ganz geheuer, denn der Anruf, der mich hierher geholt hatte, konnte eine Falle sein.

Die Friedhofsmauer sah brüchig aus. An vielen Stellen war der Verputz abgeblättert, und graurote Ziegel kamen zum Vorschein. Ich öffnete die Fahrzeugtür – und spürte sofort die drohende Aura des Bösen...

Misstrauisch ließ ich meinen Blick schweifen, ehe ich den weißen Peugeot verließ. Meine Hand glitt in die Jacke; ich prüfte den Sitz meines Colt Diamondback, der in der Schulterhalfter steckte. Meine Nerven waren zum Zerreißen gespannt.

Was erwartete mich hier?

Der Mann am Telefon hatte sich Fred Dawson genannt. »Ich... ich brauche Ihre Hilfe, Mr. Ballard«, hatte er aufgeregt hervorgestoßen.

»Jemand wie Sie musste sich dieser unheimlichen Sache annehmen.«

»Jemand wie ich?«

»Sie sind doch Privatdetektiv für... Horrorfälle, oder bin ich da falsch informiert?«

»Von wem haben Sie das?«, wollte ich wissen.

»Ach, ich hab’s um sieben Ecken herum erfahren, wenn Sie so wollen. Das sollte im Moment nicht wichtig sein. Sie müssen sich sofort in Ihren Wagen setzen und zum St. Barnaby Cemetery kommen. Wissen Sie, wo das ist?«

»Nein. Zum Glück kenne ich nicht jeden Friedhof in dieser Stadt«, gab ich zur Antwort.

Fred Dawson beschrieb mir den Weg von Paddington dorthin.

»Und was erwartet mich da?«, erkundigte ich mich.

»Erst mal ich«, sagte Dawson.

»Und was sonst noch?«

»Auf diesem Friedhof spukt es, Mr. Ballard, und es wird etwas Furchtbares passieren, wenn Sie es nicht verhindern.« Der Mann regte sich während des Sprechens so auf, dass seine Stimme immer lauter wurde, und er brachte alles durcheinander.

Als er etwas von der Rückkehr eines Toten stammelte, war ich alarmiert und sagte mein Kommen zu.

Und nun befand ich mich hier. Fred Dawson schien aber nicht gekommen zu sein. War ich einem idiotischen Streich aufgesessen?

Auch das war nicht auszuschließen.

Wenn ich schon mal hier war, wollte ich mich auch umsehen. Vielleicht war Dawson durch irgendeinen Grund am Kommen verhindert. Sein Telefonat konnte bemerkt worden sein.

In diesem Fall wussten möglicherweise auch andere, dass ich zugesagt hatte, hier zu erscheinen. Sollte es sie geben... wo lagen sie auf der Lauer?

Hier gleich hinter der Friedhofsmauer? Oder zwischen hohen Grabsteinen, finsteren Büschen – oder hinter düsteren Grüften?

Ich näherte mich dem Friedhofstor und schaute zwischen den Gitterstäben hindurch auf den Totenacker. Nebelschwaden fanden sich auf den Gräbern zu einem gespenstischen Reigen.

Der Ruf eines Käuzchens gellte unheimlich durch die Dunkelheit.

Das junge, hellgrüne Laub eines hohen Strauches raschelte leise. Es hörte sich wie das Wispern meines Schutzengels an, der mir riet, umzukehren, den Friedhof auf keinen Fall zu betreten, doch er hätte mich besser kennen sollen.

Ich mache keine halben Sachen, und ich wollte wissen, was hier gespielt wurde. Meine Finger legten sich um die dicken Gitterstäbe des Friedhofstores.

Ein leichter Druck genügte, das Tor gab nach und öffnete sich einen Spaltbreit. Während es sich bewegte, ächzte es leise. Meine Spannung wuchs. Ich rief mir Dawsons Worte in Erinnerung und zog in Erwägung, dass den Mann der Mut verlassen hatte.

Vielleicht hatte er Angst vor der eigenen Courage bekommen und sich möglicherweise gedacht, es würde auch genügen, wenn sich Tony Ballard allein auf dem St. Barnaby Cemetery umsah.

Nun, ich war im Begriff, ihm diesen Gefallen zu erweisen, und hoffte, dass ich nicht umsonst hierhergekommen war. Meine knapp bemessene Freizeit ist für mich etwas Kostbares, das ich nicht gern vergeude.

Als ich meinen Fuß in den Friedhof setzen wollte, legte sich eine Hand auf meine Schulter. Meine Kopfhaut spannte sich, ich riss den Revolver aus dem Leder und fuhr herum. Meine Schnelligkeit verblüffte den Mann, dem ich den Lauf meiner Waffe in den Bauch rammte.

»Uff!«, machte er und starrte mich groß an.

Er war hässlich wie die Nacht, hatte ein fliehendes Kinn, wulstige Lippen, buschige Augenbrauen, die über der Nasenwurzel zusammengewachsen waren, und seine Ohren standen so weit ab, dass er sie fast zum Segeln verwenden konnte.

»Ich bin Fred Dawson!«, beeilte er sich heiser zu sagen.

»Ich mag es nicht, wenn sich jemand von hinten an mich heranschleicht.«

»Tut mir leid, wenn ich Sie erschreckt habe.«

»Sie brachten sich damit unnütz in Gefahr!«, sagte ich und steckte meinen Revolver weg.

Dawson atmete erleichtert auf. Er grinste verlegen. »Mann, sind Sie schnell.«

»Denken Sie, sonst würde ich noch leben?«

»Ich habe mich verspätet.«

»Ist mir aufgefallen. Erzählen Sie mir noch mal, was hier läuft. Sie sprachen von der möglichen Rückkehr eines Toten.«

»Damit hab’ ich Ihr Interesse geweckt, wie?«

»War es etwa nur ein Vorwand, um mich hierherzulocken?«, fragte ich scharf.

Dawson hob abwehrend die Hände. »Himmel, nein! So etwas würde ich mir nie erlauben. Ich habe große Achtung vor Ihnen, Mr. Ballard. Sie müssen ein äußerst mutiger Mann sein.«

»Sparen Sie sich Ihre Komplimente und kommen Sie zur Sache, Mr. Dawson.«

Der Hässliche ließ seine Zunge über die wulstigen Lippen huschen.

Er war so groß wie ich, breitschultrig und bestimmt kräftig. Aber er hatte Angst, das sah ich an seinen Augen. Nervös stach sein Blick in den Nebel.

»Auf diesem Friedhof geht es nicht mit rechten Dingen zu, Mr. Ballard«, sagte er gepresst. »Meine Stammkneipe ist nicht weit von hier. Als ich vorgestern Abend nach Hause ging, war mir, als würde ich ein giftgrünes Licht auf dem Friedhof leuchten sehen. Ich hatte ein paar Gläser über den Durst getrunken, und da hab’ ich die Sache nicht so recht geglaubt. Sie wissen ja... wenn man blau ist...«

Fred Dawson leckte sich wieder die Lippen. Sie glänzten unansehnlich feucht. Er erzählte von einem Freund, der Geburtstag gefeiert und sich das einiges hatte kosten lassen.

»Er wäre stinkbeleidigt gewesen, wenn ich ihm einen Korb gegeben hätte«, sagte der Hässliche.

»Na schön, Sie hatten was über den Durst getrunken, um Ihrem Freund einen Gefallen zu tun, und auf dem Heimweg glaubten Sie dann ein grünes Licht zu sehen. Und weiter?«

»Na ja... ich blieb stehen und habe versucht, Genaueres zu erkennen.«

»Und haben Sie Genaueres erkannt?«, seufzte ich.

»Nein, Mr. Ballard. Mir kam nur so vor, als würde dieses Licht aus einem der Gräber kommen. Verrückt, was?« Er hustete und spuckte aus. »Dann hab’ ich mir gedacht: Fred, hab’ ich mir gedacht, du bist ja total besoffen. Du siehst Gespenster. Tja, und dann bin ich nach Hause gegangen. Aber die Sache ließ mir keine Ruhe.«

Dawson kratzte sich den Hinterkopf und rümpfte die Nase. »Ein Mann wie Sie glaubt doch an Geister und Dämonen?«, sagte er nach einer Weile.

»Das Wissen um die Existenz solcher Wesen ist die Basis meines Jobs«, erwiderte ich. »Es ist lange her, dass ich zum großen Heer der Zweifler gehörte.«

Ja, es hatte tatsächlich eine Zeit gegeben, da wollte auch ich mich nicht damit abfinden, dass es Geister und Dämonen gibt. Man erzählte mir zwar von einem Ahnen, der den Beruf des Henkers ausgeübt und sieben Hexen auf dem Galgenbaum aufgeknüpft hatte; man sprach auch davon, dass die Hexen Rache geschworen hätten und alle hundert Jahre über unser Dorf herfielen, wobei unter ihren Opfern immer ein Ballard war – aber das alles war mir lange Zeit zu unglaublich erschienen.

Bis... ja, bis die sieben Hexen tatsächlich wieder auftauchten und mir das Leben nehmen wollten. Seit damals weiß ich nur allzu genau, dass an den Geschichten über Geister und Dämonen sehr wohl etwas dran sein kann.

»Es gibt unheimliche, gefährliche Zauberer unter uns«, sagte Fred Dawson mit gedämpfter Stimme. »Sie arbeiten im Verborgenen, und keiner weiß, wer und was sie wirklich sind.«

»Woher haben Sie das?«, fragte ich.

»Es kursieren so Gerüchte in meiner Stammkneipe. Niemand sagt was, dass Hand und Fuß hat. Jeder macht nur so gewisse Andeutungen...«

»Und was meinen Sie?«, fragte ich. Dem Kerl musste man wirklich jede Information einzeln aus der Nase ziehen.

»Ich glaube, dass hier in der Gegend ein Zauberer sein Unwesen treibt. Ich weiß nicht, wo er wohnt und was er so alles anstellt, aber es heißt, dass er Schüler hat, denen er Zaubersprüche und so’n Zeugs beibringt.«

»Wie heißt der Mann?«, fragte ich.

»Keine Ahnung.«

»Und Sie nehmen an, dass er für die unheimlichen Dinge verantwortlich ist, die Sie auf diesem Friedhof gesehen haben.«

»Davon bin ich überzeugt, Mr. Ballard. Der dicke Hund kommt aber noch! Vor kurzem kam nämlich ein gewisser Peter Redgrave bei einem Autounfall ums Leben!«

»Leider sterben auf den Straßen dieser Welt täglich viel zu viele Menschen«, sagte ich. »Was ist das Besondere am Tod von Peter Redgrave?«

»Er soll ein heimlicher Schüler des Zauberers gewesen sein. Angeblich sogar sein Lieblingsschüler! Na, dämmert’s Ihnen?«

»Ich glaube ja. Der Zauberer möchte auf seinen Lieblingsschüler nicht verzichten und versucht, Peter Redgrave aus dem Totenreich zurückzuholen.«

»Ich erzählte Ihnen von diesem Licht, Mr. Ballard. Tags darauf bin ich auf den Friedhof gegangen und habe versucht, die Stelle zu finden, wo es so giftgrün geleuchtet hatte. Was glauben Sie, wessen Grab ich dabei entdeckt habe?«

»Redgraves.«

»He – stimmt genau!«

»War nicht schwer zu erraten.«

»In der nächsten Nacht legte ich mich stocknüchtern auf die Lauer, und da sah ich dieses komische Licht wieder. Mir war auch, als würde ich eine unheimliche Stimme hören. Konnte aber nichts verstehen.«

»Haben Sie einen Mann beim Grab gesehen?«

»Nein, in dieser Nacht nicht, aber in der nächsten, also gestern. Ich sah ihn nur ganz kurz. Lautlos, fast wie ein Schatten, huschte er durch den Nebel und plötzlich war er verschwunden.«

»Versuchten Sie ihm zu folgen?«

Dawson schüttelte den Kopf. »Nein, Mr. Ballard, soviel Mut hab’ ich nun auch wieder nicht.«

»Sahen Sie wenigstens das Gesicht des Mannes?«

»Leider nein.«

»Mit anderen Worten, er könnte Ihnen morgen in Ihrer Stammkneipe gegenübertreten, und Sie würden ihn nicht erkennen.«

»So ist es«, bestätigte Fred Dawson. »Kurz nachdem er weg war, leuchtete wieder dieses giftgrüne Licht.«

»Peter Redgrave liegt noch in seinem Grab?«, erkundigte ich mich.

»Heute Vormittag hab’ ich mir den Erdhügel genau angesehen. Ich glaube, Redgrave liegt noch drin.«

Mein Blick versuchte die gespenstische Nebelwand zu durchdringen. »Wo befindet sich das Grab?«

»Ich führe Sie hin.«

»Woher nehmen Sie auf einmal den Mut dazu?«, fragte ich.

»Mir war nur allein nicht geheuer, aber mit Ihnen hält sich meine Furcht in erträglichen Grenzen.«

»Okay, Mr. Dawson, dann kommen Sie.«

Wir betraten den finsteren Totenacker, und mir kam vor, als ob es hier etwas kühler als draußen wäre, doch das bildete ich mir sicherlich nur ein.

Der Friedhof war eine unheimliche Kulisse für unseren kleinen Spaziergang. Ich blickte mich immer wieder um, damit uns niemand überraschen konnte.

Ein klein wenig behielt ich auch Fred Dawson im Auge, denn ich kannte den Mann nicht. Es war durchaus möglich, dass er ein Spiel mit gezinkten Karten spielte.

Es war gesünder, ihm zu misstrauen, als ihm allzu großes Vertrauen entgegenzubringen. Man wird mit der Zeit sehr vorsichtig. Die Erfahrung zwingt einen geradezu dazu. Oft schon hatten meine Gegner mich zu täuschen versucht.

Wir näherten uns einer kleinen, düsteren Kapelle, deren spitzer Glockenturm schlank zum schwarzen Himmel emporragte. Rechts davon sah ich die Aufbahrungshalle, deren große Holztore jetzt geschlossen waren.

Knapp vor dieser stillen, dunklen Halle schwenkte Fred Dawson links ab. »Hier geht’s lang, Mr. Ballard.«

Ich folgte dem Mann und hätte viel darum gegeben, wenn es mir gelungen wäre, den geisterhaften Nebel zu durchdringen. Als Dawson neben mir zusammenzuckte, ballte ich meine Hände blitzschnell zu Fäusten und glaubte einen Moment lang, der Mann wolle mich angreifen.

Doch Dawson verzog das Gesicht, zerbiss einen Fluch zwischen den Zähnen und humpelte die nächsten fünf, sechs Schritte. Er war gegen einen Stein getreten.

Ich entspannte mich und versuchte, dem Mann ein bisschen mehr Vertrauen entgegenzubringen. Leider war es mir noch nicht möglich, mit absoluter Sicherheit herauszufinden, auf wessen Seite Fred Dawson stand.

»Stopp!« entfuhr es ihm urplötzlich.

Er nagelte mich damit auf der Stelle fest.

»Da!«, flüsterte mein Begleiter und streckte die Hand aus. »Das Licht, Mr. Ballard. Da ist es wieder. Sehen Sie es?«

Ich hätte blind sein müssen, um es nicht zu sehen. Giftgrün färbte es den Nebel über Peter Redgraves Grab!

 

*

 

Der Mann hatte vor wenigen Augenblicken den dunklen Friedhof betreten. Es gab einen unscheinbaren Nebeneingang, durch den er auf den finsteren Gottesacker gelangt war.

Er passte mit seiner Kleidung nicht so recht ins zwanzigste Jahrhundert, war groß und schlank, und ein langer schwarzer Umhang umwehte ihn, während er zielstrebig an den Gräbern vorbeieilte.

Sein Name war Angelo d’Alessandro. Angelo... Engel – Ja, er fühlte sich als Engel... Als schwarzer Engel! Es hatte sehr lange gedauert, bis die schwarze Macht ihn akzeptierte.

Jahrzehntelang hatte er auf sein großes Ziel hingearbeitet, hatte Reisen in ferne Länder unternommen und sich auf allen fünf Erdteilen mit Männern getroffen, die ihn in der Zauberei unterwiesen.

Aber es genügte ihm nicht, seine Mitmenschen mit irgendwelchen Kunststücken zu verblüffen. Er wollte mehr erreichen. Er wollte mit seinem Wissen der schwarzen Macht dienen, denn er wusste, dass sie ihm das eines Tages reich lohnen würde.

Und er schaffte es, wurde von den Mächten der Finsternis zum schwarzen Priester geweiht. Seither verbreitete er ihre Lehren. Einer seiner begabtesten Schüler war Peter Redgrave gewesen.

Er hatte nicht verhindern können, dass ihm der Tod diesen Lieblingsschüler entriss, aber als schwarzer Priester hatte er die Macht, Redgrave von den Toten zurückzuholen.

Natürlich hatte Angelo d’Alessandro nicht die Kraft, Redgrave mit einem einzigen Machtwort auferstehen zu lassen, aber er kannte wirksame Formeln und Zaubersprüche, die den Schüler aus dem Totenreich zurückholen würden.

Lautlos huschte der schwarze Priester durch den Nebel. Er wähnte sich allein auf dem Gottesacker, und das war ihm mehr als recht. Bei Tag bekamen die Toten Besuch von ihren Freunden und Hinterbliebenen. Am Tag hätte der Zauberer so gut wie keine Wirkung erzielt.

Deshalb kam Angelo d’Alessandro immer erst hinterher, wenn es dunkel war, denn im Schutz der Finsternis konnten seine schwarzen Beschwörungen besser wirken.

An der Bretterhütte des Friedhofsgärtners vorbei, erreichte der schwarze Priester wenig später das Grab seines Schülers. Angelo d’Alessandro fühlte, dass er mit seinem heutigen Versuch Erfolg haben würde.

Er hatte bereits gestern gespürt, dass Peter Redgrave nahe daran war, sich zu erheben.

»Von nun an wirst du nicht nur mein bester Schüler, sondern auch mein gefährlichstes Werkzeug sein«, knurrte der schwarze Priester.

»Du wirst mir blind gehorchen, und niemand wird dich töten können. Wie auch – du bist ja schon tot.«

Angelo d’Alessandro warf den Umhang mit einer raschen Bewegung über die rechte Schulter zurück, griff in die Tasche seines schwarzen Gewandes und holte eine gläserne Phiole heraus.

Er bückte sich und drückte das Glasröhrchen in das lockere Erdreich des frischen Grabes. Dann hob er die Hände und sprach einen kurzen Satz.

Patschend zerplatzte das Glasröhrchen, und die Flüssigkeit, die sich darin befand, sickerte zu Peter Redgrave hinunter. Sie würde einen Weg in den verschlossenen Sarg finden und den Toten auf geheimnisvolle Weise stärken.

Dämpfe stiegen zwischen den Erdkrumen hoch, verbanden sich über dem Grab und wurden zu einem giftgrünen Schein, von dem Angelo d’Alessandros schmales Gesicht geisterhaft beleuchtet wurde.

Ein böses Lächeln umspielte die Lippen des unheimlichen Zauberers. Er fühlte, dass der große Moment nahe war. Langsam senkten sich seine Lider, und er begann zu sprechen.

Monoton kamen die Worte über seine Lippen. Er verflocht schwarze Gebete mit magischen Beschwörungsformeln und zeichnete mit den Händen dämonische Symbole in die Luft.

Damit versuchte er die Totenstarre aufzuheben und die Gesetze von Leben und Tod zu durchbrechen. Was tot ist, musste tot bleiben, so steht es geschrieben; erst am Jüngsten Tag kann es sich wieder erheben.

Doch so lange wollte Angelo d’Alessandro nicht warten. Es gab Möglichkeiten, die Gesetze außer Kraft zu setzen, sie zu umgehen, und das tat der schwarze Priester in diesem Augenblick.

 

*

 

Wir schlichen auf das grüne Licht zu. Jeden Grabstein nützten wir als Deckung. Fred Dawson verstand es glücklicherweise, sich ebenso lautlos vorwärtszubewegen wie ich.

So kamen wir an das grüne Licht heran, ohne auch nur das geringste Geräusch zu verursachen. Ich war gespannt, was uns bei Peter Redgraves Grab erwartete.

Als ich die monotonen Worte vernahm, bedeutete ich Fred Dawson mit Handzeichen, stehenzubleiben. Er hielt sofort an und ging hinter einem schlanken Grabstein in die Hocke.

Allmählich begann ich ihm zu trauen. Dawson schien in Ordnung zu sein. Er schien rückhaltlos auf meiner Seite zu stehen, und das war beruhigend. Ich war noch nie versessen darauf, einen Zweifrontenkrieg führen zu müssen.

Ich konzentrierte mich auf die Stimme, die gedämpft durch den Nebel an mein Ohr drang. Die Worte waren zwar zu hören, aber ich verstand sie nicht.

Nur eines verstand ich: »Baphomet!«

Diesen Namen flocht der Zauberer immer wieder ein.

Baphomet! Es war eine von vielen Bezeichnungen für den Teufel.

»Bleiben Sie hier«, raunte ich Fred Dawson zu und schlich geduckt weiter.

Ich tastete mich an der rauen Rückseite eines Grabsteins entlang und erkannte Augenblicke später die vagen Umrisse jenes Mannes, der den Teufel um Hilfe anflehte, weil seine Kraft allein nicht ausreichte, um den Toten aus seinem Grab zu holen.

Unheimlich wirkte dieser nächtliche Friedhofsbesucher, und mein Puls tickte bei seinem Anblick etwas schneller. Diesem Mann musste das Handwerk gelegt werden, da hatte Fred Dawson völlig Recht.

Der Kerl durfte Peter Redgrave nicht aus dem Grab holen! Ich musste den Beschwörungsakt unterbrechen und dafür sorgen, dass der Zauberer ihn nicht wiederholen konnte.

Ich würde den Mann der Polizei übergeben. Tucker Peckinpahs weitreichender Einfluss würde genügen, den Zauberer bis an sein Lebensende gesiebte Luft atmen zu lassen, und mein Freund, der Ex-Dämon Mr. Silver, würde ihm seine Zauberkraft nehmen.

Langsam richtete ich mich auf. Da zerfaserte der Nebel mit einem Mal vor mir, und ich konnte deutlich den Grabhügel sehen, der in seiner Gesamtheit giftgrün leuchtete.

»Peter! Peter Redgrave!«, sagte der Mann mit erhobener Stimme.

»Ich, Angelo d’Alessandro, dein Herr und Meister, rufe dich! Erhebe dich!«

Und das, was ich verhindern wollte, geschah!

Plötzlich bewegten sich die Erdkrumen, und im nächsten Moment stieß eine bleiche Totenhand aus dem Grabhügel! Die Finger zuckten und verkrampften sich. Es schien für sie noch ungewohnt zu sein, dass sie sich wieder bewegen konnten.

Es war ein schauriger Anblick, und ich hätte fast laut geflucht, weil ich das Tun dieses gefährlichen Zauberers nicht mehr rechtzeitig unterbinden konnte.

Das Grab brach auf, das grüne Leuchten erlosch, und von einem knirschenden Geräusch begleitet, verließ Peter Redgrave seine letzte Ruhestätte.

Sein fahles Gesicht war schmutzig. Erde fiel aus seinem Mund, als sich die Lippen öffneten. Lehmverschmiert war seine Kleidung.

Redgrave stieg vollends aus dem Grab und der Hügel sackte hinter ihm zusammen und schloss sich wieder.

Angelo d’Alessandro breitete die Arme weit aus und befahl seinem Schüler, zu ihm zu kommen. Redgrave gehorchte, und der Zauberer umarmte ihn.

Peter Redgrave lebte wieder.

Angelo d’Alessandro hatte einen Zombie geschaffen!

Ich merkte nicht, dass die Neugier meinen Begleiter hinter mir hergetrieben hatte, und zum ersten Mal war Fred Dawson unvorsichtig. Anstatt Deckung zu suchen, richtete er sich verstört auf, als er sah, wie der Zombie dem Grab entstieg, und als sich d’Alessandro von seinem Schüler löste, entdeckte er Dawson.

Für einen Sekundenbruchteil war der Zauberer wie gelähmt, aber dann wusste er, was zu tun war. Jemand hatte sein Treiben mitbekommen! Wenn es geheim bleiben sollte, musste Dawson sterben.

Angelo d’Alessandro wies auf Fred Dawson: Dass auch ich hier war, ahnte der Zauberer nicht. Er schickte den Zombie los, den Neugierigen zum Schweigen zu bringen.

Als sich Peter Redgrave mit ungelenken Bewegungen meinem Begleiter zuwandte, griff ich ein – und von diesem Moment an überschlugen sich die Ereignisse.

Angelo d’Alessandro stieß einen Wutschrei aus und prallte überrascht zurück. Nicht so sein Zombie, der griff uns beide an. Redgrave wuchtete sich uns entgegen.

Ich griff zum Revolver, doch ehe ich die Waffe ziehen konnte, zog der Untote ein massives eisernes Grabkreuz aus dem Boden und schlug damit nach mir. Ich federte zur Seite; das Kreuz schwang waagerecht durch die Luft und verfehlte meinen Kopf um Haaresbreite.

Erst als das eiserne Kruzifix zurückschwang, traf es mich – zwar nicht voll, aber doch so hart, dass es mich rücklings über ein Grab warf.

Kaum lag ich auf dem Boden, war ich für den Zombie nicht mehr interessant. Er wandte sich dem Mann zu, der noch auf den Beinen stand: Fred Dawson.

In seiner Aufregung dachte dieser nicht daran, dass Flucht die beste Lösung für ihn gewesen wäre.

Benommen sah ich, was passierte. In meinem Kopf schienen riesige Glocken zu dröhnen. Ich hatte Gleichgewichtsstörungen und wohl auch eine Gehirnerschütterung.

Dennoch versuchte ich mich hoch zu kämpfen, denn Fred Dawson brauchte Hilfe. Der Mann warf sich mit falsch verstandenem Heldenmut gegen den Untoten.

Der lebende Leichnam stieß ihn zurück, schüttelte unwillig den Kopf, als ihn ein Faustschlag traf, und hieb mit dem Kreuz zu.

Der Treffer fällte Fred Dawson. Ich erkannte, dass sein Leben nur noch an einem seidenen Faden hing. Mit beiden Händen zielte ich auf den Untoten, konnte ihn nicht ganz klar sehen, bekam aber deutlich mit, dass Redgrave das Eisenkreuz zum Schlag hob.

Bevor er es auf Dawson niedersausen lassen konnte, zog ich den Stecher durch.

Der Colt Diamondback krachte laut, eine Feuerblume platzte vor der Mündung auf, und dem Zombie wurde geweihtes Silber entgegengeschleudert.

Der lebende Leichnam brüllte auf, wölbte seinen Brustkorb vor.

Das Eisenkreuz fiel hinter ihm zu Boden, er torkelte vier, fünf Schritte weit und brach zusammen.

Peter Redgraves neues, schwarzes Leben hatte zum Glück nur wenige Minuten gedauert. Mich schauderte bei dem Gedanken, was passiert wäre, wenn Fred Dawson mich nicht angerufen hätte. Dann hätte ich von Angelo d’Alessandros gefährlichem Treiben nichts erfahren.

D’Alessandro! Wo war er?

Ich drehte mich um. Meine Waffe machte die rasche Bewegung mit. Ich wollte den Zauberer mit dem Diamondback in Schach halten, doch d’Alessandro hatte es vorgezogen, Fersengeld zu geben.

Jetzt war guter Rat teuer. Ich hätte mich verdoppeln müssen. Mein Freund, Mr. Silver, konnte das. Er war in der Lage, einen Doppelgänger aus Ektoplasma zu schaffen, einen zweiten Silver. Aber Mr. Silver war ein Ex-Dämon...

Einerseits hätte ich Angelo d’Alessandro folgen müssen, andererseits erachtete ich es als meine Pflicht, mich um den verletzten Fred Dawson zu kümmern.

Der Mann stand umständlich auf. Blut rann ihm über das hässliche Gesicht. Er stöhnte und lehnte sich an einen Grabstein. Mit glasigen Augen starrte er auf den erledigten Zombie.

»Lassen Sie sehen«, verlangte ich. »Sind Sie schwer verletzt?«

Er winkte mit einer fahrigen Handbewegung ab und sagte schleppend, er wäre froh, noch am Leben zu sein. »Wenn Sie nicht eingegriffen... hätten...«

»Sie hätten hinter mir bleiben sollen!«

»Ich weiß... Tut mir leid...« Allmählich kam sein Denkapparat wieder in Schwung, das bewies er mit seiner Frage: »Wo ist d’Alessandro?«

»Abgehauen.«

»Sie müssen hinterher, Mr. Ballard. Machen Sie sich um mich keine Sorgen, ich komme allein zurecht. Schnappen Sie sich diesen Teufel! Er ist gefährlich! Wer weiß, was er noch alles anstellt, wenn Sie ihn nicht unschädlich machen!«

»Okay. Gibt es einen Nebeneingang zum Friedhof?«, fragte ich.

»Äh... ja. In östlicher Richtung...« Dawson erklärte mir den Weg.

»Rufen Sie mich morgen an!«, sagte ich hastig.

»Okay.«

»Verlassen Sie den Friedhof und gehen Sie nach Hause oder zu einem Arzt.«

»Darauf können Sie sich verlassen«, gab Fred Dawson zurück.

»Viel Glück, Mr. Ballard!«

Ich nickte und stürmte los. Wertvolle Zeit war verstrichen, die für den Zauberer zu Buche schlug. Wenn er den Friedhof verlassen hatte, boten sich ihm viele Fluchtrichtungen an.

Vielleicht stand am Nebeneingang auch ein Auto, mit dem sich Angelo d’Alessandro aus dem Staub machen konnte. Ich gab mein Bestes, um den gefährlichen Mann noch auf dem Friedhof abzufangen.

Die Bewegung tat mir gut und die Kopfschmerzen verflogen schnell. Ich war wieder fast der alte, und das musste ich auch sein, wenn ich den Zauberer stellen wollte.

Die Nebelschwaden, durch die ich rannte, wirbelten aufgeregt zur Seite. Ich hielt mich nicht auf dem Weg, sondern schlug die kürzeste Strecke zum Friedhofstor ein, sprang über Dutzende von Gräbern und spürte kalten Schweiß auf meiner Stirn.

Flatterte vor mir etwas Schwarzes durch die Dunkelheit? Möglich.

Vielleicht hatte ich für einen Augenblick den Umhang des Fliehenden gesehen. Ja, jetzt konnte ich ihn deutlich erkennen!

Ich mobilisierte meine Kraftreserven, legte noch einen Zahn zu.

Während ich lief, fragte ich mich, wie innig dieser Mann mit der Hölle verbunden war.

Es gibt auf der Welt viele Menschen, die mit der schwarzen Macht sympathisieren, die mit ihr paktieren, die von ihr für Dienstleistungen herangezogen und mit mehr oder weniger verblüffenden Kräften ausgestattet werden.

Wozu war Angelo d’Alessandro fähig? Wieweit war die Unterwelt bereit, ihm beizustehen, wenn er in Not geriet? Er hatte vorhin Baphomet angerufen, und die Kraft der Hölle hatte ihm geholfen, Peter Redgrave aus dem Grab zu holen. Würde der Teufel für diesen Zauberer mehr zu tun bereit sein?

Es wird sich herausstellen, sagte ich mir und sah, wie Angelo d’Alessandro hinter dem dicken Stamm einer alten Eiche verschwand.

Zwischen dem Baum und dem Friedhofstor lagen schätzungsweise fünfzig Meter.

Mit wehendem Umhang legte d’Alessandro diese Entfernung zurück. Er blieb mit dem Cape an der Gittertür hängen, warf es ab wie die Schlange ihre alte Haut und rannte weiter.

Keuchend erreichte ich den Baum, lief zur Gittertür, beachtete den schwarzen Umhang nicht, sah den Fliehenden in einer schmalen Gasse verschwinden und blieb ihm auf den Fersen.

Angelo d’Alessandro hatte sich bisher kein einziges Mal umgesehen. Vermutlich glaubte er nicht, dass er verfolgt wurde. Deshalb gelang es mir auch, mehr und mehr aufzuholen.

Als er ein altes Backsteinhaus, das einem Miniatur-Spukschloss glich, erreichte und darin verschwand, lief ich nicht mehr, denn das war nun nicht mehr nötig.

Ich wusste, wo ich den Zauberer finden würde.

Mein Brustkorb hob und senkte sich wie ein großer Blasebalg. Ich legte den Rest der Strecke zügig zurück. Im Backsteinhaus flammte Licht auf.

Das Gebäude hatte schummrige Nischen und vorspringende Erker. Es gab drei kleine Türme und ein steil aufragendes, schwarzes Dach. Das Haus stand auf einem kleinen Grundstück. Rechts davon sah ich eine Silbertannengruppe, die es mir erlaubte, ungesehen an das Gebäude heranzukommen.

Im ersten Stock fiel mir ein offenes Fenster auf. Mein Entschluß stand sofort fest. Ich versuchte mich als Fassadenkletterer. Da die Backsteinmauer gut gegliedert war, fiel es mir nicht schwer, für Hände und Füße immer wieder Halt zu finden.

Flach an die Mauer gepresst, schob, stemmte und zog ich mich Meter um Meter nach oben. Als ich das Fensterbrett ertastete, befand ich mich schon so gut wie im Haus.

Behutsam rutschte ich über die Fensterbank, und wenig später schlich ich durch einen Raum, in dem es so finster war, dass ich kaum die Hand vor meinen Augen sehen konnte.

Ein weicher Teppich schluckte meine Schritte. Ich stieß gegen ein Hindernis, ohne dabei ein Geräusch zu verursachen, wich aus, setzte meinen Weg fort. Meine Finger glitten über eine glatte Tapetenwand und schlossen sich wenig später um das kalte Metall einer Klinke.

Langsam drückte ich sie nach unten. Die Tür bewegte sich lautlos.

Ich sah in einen düsteren Flur. Vom erleuchteten Erdgeschoß kam hier oben nur noch spärlich Licht an.

Ich verließ den Raum und schloss die Tür sorgfältig hinter mir, damit kein unverhofft aufkommender Luftzug sie zum Klappern brachte und meine Anwesenheit verriet.

Von Angelo d’Alessandro sah und hörte ich nichts. Dennoch brannte ich darauf, ihm gegenüberzutreten. Ich erreichte ein dickes, hölzernes Geländer, beugte mich darüber und konnte die Halle unter mir sehen.

Jetzt war mir auch, als würde ein leises Geräusch an mein Ohr dringen. Während ich mich am Geländer entlangschob und die Treppe ansteuerte, dachte ich an Fred Dawson, der hoffentlich den Friedhof schon verlassen hatte.

Es war nicht zu befürchten, dass Peter Redgrave noch einmal aufstand, das geweihte Silber machte das unmöglich, aber Angelo d’Alessandro konnte mit seinem Hokuspokus irgendetwas anderes ausgelöst haben.

Eine Nebenwirkung, mit der er vielleicht selbst nicht rechnete. Es war jedenfalls besser, nicht auf dem finsteren Totenacker zu bleiben.

Bevor ich meinen Fuß auf die erste Stufe der Treppe setzte, verharrte ich einen Augenblick. Das leise Ticken einer Uhr geisterte durch das Haus, und jetzt hörte ich gedämpfte Schritte. Eine Tür fiel zu, dann herrschte Stille.

Langsam stahl ich mich die Treppen hinunter, wandte mich nach rechts und durchquerte die Halle. Da war ein großer Raum mit nachtschwarzen Wänden, der mich fast magisch anzog.

Ich sah helle Striche, die sich bei genauerem Hinsehen als schwarzmagische Zeichen entpuppten. Mir fiel ein kleiner Altar auf.

Utensilien für schwarze Messen standen darauf, und ich sah einen stilisierten Ziegenkopf über all dem, was so viel hieß, als dass der Teufel in diesem Hause willkommen war.

Ein Geräusch veranlasste mich, zur Waffe zu greifen, und mich umzudrehen.

Zum ersten Mal stand ich ihm Auge in Auge gegenüber, doch obwohl ich meinen Colt Diamondback auf ihn richtete, zeigte Angelo d’Alessandro keine Furcht.

War er so sicher in seinem Haus? Genoss er in diesem Raum den Schutz des Teufels?

 

*

 

Fred Dawson schüttelte fassungslos den Kopf. Er hätte nicht geglaubt, dass auf diesem Friedhof etwas so Grauenvolles passieren würde.

Angelo d’Alessandro hatte tatsächlich eine Leiche aus dem Grab geholt. Peter Redgrave war auferstanden, hatte wieder gelebt.

Es war Dawson unbegreiflich, dass d’Alessandro diese Macht besaß, und er schauderte bei dem Gedanken, dass der unheimliche Zauberer zu noch viel mehr fähig sein könnte.

Es war richtig gewesen, Tony Ballard anzurufen. Zuerst hatte Fred Dawson damit gezögert. Er hatte befürchtet, Ballard würde sich verschaukelt fühlen. Irgendwie hatte er auch nicht ganz glauben wollen, dass der Privatdetektiv tatsächlich einen so ausgefallenen Job hatte.

Doch nun wusste er, dass Tony Ballard ein Dämonenjäger war, er hatte ihn kämpfen sehen, und der Beweis dafür, dass Ballard gut war, lag hier zwischen den Gräbern: der erledigte Zombie.

Vor Dawsons geistigem Auge lebte der Untote noch einmal. Er sah den Zombie mit dem eisernen Kreuz auf sich losstürmen, und sein Mund wurde trocken.

Wenn Tony Ballard nicht eingegriffen hätte, wäre er verloren gewesen. Der Privatdetektiv hatte ihm das Leben gerettet. Dawson beschloss, sich morgen gebührlich dafür zu bedanken.

Doch jetzt wollte er tun, was ihm Ballard geraten hatte. Ohne den Zombie eines weiteren Blickes zu würdigen, kehrte Fred Dawson um und eilte davon.

Er betastete seinen Kopf und nahm sich vor, zu Hause gleich etwas gegen die Blutung zu unternehmen.

Ein Wagen fuhr am Friedhofstor vorbei. Dawson wartete einige Augenblicke. Erst als das Auto nicht mehr zu hören war, verließ er den Gottesacker und lief an der Friedhofsmauer entlang.

Zu Hause angekommen, begab er sich unverzüglich ins Bad. Er bekam einen mächtigen Schreck, als er sich im Spiegel sah.

»Meine Güte, ich sehe ja zum Fürchten aus!«, stieß er heiser hervor.

Mit flinken Fingern durchstöberte er den Erste-Hilfe-Kasten und richtete alles für das Verarzten der Wunde her. Dann griff er nach einem weichen Schwamm, tauchte ihn in lauwarmes Wasser und wusch sich die dunklen Blutkrusten ab.

Das Zeug, mit dem er die Blutung stillte, brannte höllisch. Dawson stöhnte, sein hässliches Gesicht verzerrte sich, doch sobald der brennende Schmerz abgeebbt war, betupfte er die Wunde erneut, dann bestrich er sie mit einer gelblichen Heilsalbe, schnitt einen breiten Pflasterstreifen ab, überlappte die Wundränder und sorgte dafür, dass das Pflaster sie festhielt.

Erledigt.

Aufatmend betrachtete sich Dawson im Spiegel. Ein schöner Mann war er trotz allem nicht geworden.

Alles, was von dem gefährlichen Erlebnis auf dem St. Barnaby Cemetery zurückgeblieben war, war ein fleischfarbener Pflasterstreifen.

Und nun einen doppelten Scotch! Dawson öffnete die Hausbar im Wohnzimmer.

Als er sein Glas vollgoss, merkte er, wie seine Hand zitterte. So schnell würde er über das Erlebte nicht hinwegkommen. Mit dem Glas in der Hand sank er in einen Sessel.

Der erste Schluck brannte in seiner Kehle. Er konnte den Weg des Schnapses genau verfolgen, und er spürte, wie sich Wärme in seinem Magen ausbreitete. Allmählich wurde er ruhiger.

Jeder einzelne Schluck tat ihm gut. Als das Glas leer war, stellte er es vor sich auf den Tisch. Nachdenklich starrte er das sandfarbene Telefon an.

Sollte er die Polizei anrufen und melden, dass auf dem Friedhof ein Toter lag? Ein Toter, der kürzlich begraben worden war! Nein, man würde ihn für verrückt erklären. Das gab nur Ärger.

Tony Ballard wird sich darum kümmern, sagte sich Fred Dawson.

Er weiß, was in solchen Fällen zu tun ist. Bestimmt kennt man ihn und glaubt ihm, was er meldet. Außerdem hätte mir Ballard aufgetragen, die Polizei zu verständigen, wenn er das gewollt hätte.

Diese Überlegungen veranlassten Fred Dawson, nichts zu unternehmen. Er nahm sich stattdessen noch einen Scotch und trank darauf, noch am Leben zu sein.

 

*

 

Der Blick des Zauberers war durchdringend und stechend. Wenn es ihm möglich gewesen wäre, hätte er mich mit den Augen erdolcht.

Da er unbewaffnet war und seine Hände in den Hosentaschen steckten, ließ ich meinen Colt Diamondback langsam sinken. Die Distanz, auf die wir uns gegenüberstanden, war so groß, dass ich nicht zu befürchten brauchte, Angelo d’Alessandro könnte mich mit einem Blitzangriff überraschen.

»Wer sind Sie?«, fragte er mich eiskalt.

»Mein Name ist Ballard. Tony Ballard. Ich bin Privatdetektiv.«

»Müssen sich Privatdetektive nicht mehr an die Gesetze halten?«

»Oh, deswegen bekomme ich keine grauen Haare.«

»Nennt man das, was Sie getan haben, nicht Hausfriedensbruch?«

»Für gewöhnlich schon«, erwiderte ich. »Aber in diesem Fall liegen die Voraussetzungen anders, Mister d’Alessandro! Ich glaube nicht, dass Sie die Frechheit besitzen, mich anzuzeigen.«

»Vielleicht tue ich es doch.«

»Sie können sicher sein, dass mir das keinerlei Unannehmlichkeiten einbringt.«

»Tucker Peckinpah, wie? Er ist der Mann im Hintergrund, der Ihnen alle Schwierigkeiten aus dem Weg räumt.«

Mit diesen Worten überraschte mich Angelo d’Alessandro.

Er lachte. »Ich sehe, Sie sind erstaunt.«

»Ein wenig«, gab ich zu.

»Weil ich über Sie Bescheid weiß«, sagte der Zauberer. »Es kursieren viele Gerüchte über Sie. Man musste nur richtig hinhören, dann kann man über den Dämonenjäger Tony Ballard eine Menge Interessantes erfahren. Ich stehe auf dem Standpunkt, dass ein Feind, den man kennt, nur noch halb so gefährlich ist, deshalb habe ich mich über Sie ausreichend informiert. Natürlich hoffte ich, dass mir eine solche Begegnung erspart bleiben würde. Man sagt Ihnen nach, Sie wären gefährlich. Kerle wie Sie müssen sich überall einmischen. Der geringste Geruch nach Schwefel alarmiert Sie schon. Ist es nicht ermüdend, sein Leben dem Kampf gegen die Mächte der Finsternis geweiht zu haben?«

»Ich komme zu Rande!«, sagte ich hart. »Und es ist mir jedes Mal eine ungeheure Genugtuung, Männern wie Ihnen das Handwerk zu legen.«

»Sie haben Peter Redgrave getötet!«, rief d’Alessandro anklagend.

»Dazu haben Sie kein Recht!«

»Das sehe ich anders!« hielt ich dem Zauberer entgegen. »Es ist umgekehrt: Sie hatten nicht das Recht, ihn aus dem Grab zu holen!«

Angelo d’Alessandro sah mich überheblich an. »Kein Gericht kann mich dafür verurteilen. Die Gesetze reichen nicht aus...«

»Lassen Sie mich nur machen, Mister d’Alessandro. Ich erreiche schon, dass Sie hinter Schloss und Riegel kommen.«

»Mit Hilfe Peckinpahs.«

»Genau.«

»Meine Güte, was wären Sie ohne ihn?«, fragte der Zauberer höhnisch.

»Ich denke, dass ich auch ohne Peckinpahs Unterstützung jederzeit mit Ihnen fertigwerde, d’Alessandro.«

»Ich werde Sie für das, was Sie Peter Redgrave angetan haben, bestrafen!« geiferte Angelo d’Alessandro. »Ich bin ein schwarzer Priester, und Redgrave war mein bester Schüler. Ich hatte große Pläne mit ihm...«

»Die ich zum Glück vereiteln konnte«, unterbrach ich ihn.

»Das soll Sie teuer zu stehen kommen, Mr. Ballard.«

»Ich mache Ihnen einen Vorschlag«, sagte ich gleichmütig. »Wir unterhalten uns auf dem Polizeirevier weiter, okay?«

Der Zauberer kniff die Augen zusammen. »Ich gedenke nicht, Sie dorthin zu begleiten!«, entgegnete er schrill.

»Ich kann die Polizei auch in Ihr Haus holen, wenn Ihnen das lieber ist.«

»Sie werden nichts mehr tun, Ballard, denn Ihr Schicksal wird sich hier und heute erfüllen.«

»Sie müssen verrückt sein«, sagte ich kopfschüttelnd. »Denken Sie daran, wie es Ihrem Zombie auf dem Friedhof erging.«

»Ich glaube nicht, dass Sie Ihre Waffe auch auf mich abfeuern würden, Mr. Ballard.«

»Wenn Sie mich angreifen, zwingen Sie mich, zu schießen. Und wenn ich keinen anderen Ausweg sehe, drücke ich sehr wohl ab. Meine Nächstenliebe hat ihre Grenzen.«

Meine Nervenstränge strafften sich. Würde d’Alessandro so wahnsinnig sein, mich trotz des Colts anzugreifen? Ich hoffte es für uns beide nicht, denn es widerstrebte mir in der Tat, auf ihn zu schießen.

Egal, was er an Schuld bereits auf sich geladen hatte, er war ein Mensch, irregeleitet vom Bösen. Vielleicht konnte er wieder auf die richtige Seite geholt werden. Hin und wieder war das möglich.

Der Zauberer nickte langsam. »Na schön, Sie wollen, dass ich Sie zur Polizei begleite. Ich werde es tun.«

»Sie sind sehr nett zu mir«, spottete ich. »Dann wollen wir mal.«

Ich wedelte mit dem Revolver.

Angelo d’Alessandro schien mit einem wehmütigen Blick von seiner gewohnten Umgebung Abschied zu nehmen. Es blitzte kurz in seinen Augen, als er den stilisierten Ziegenkopf ansah, der sich über dem kleinen Altar befand.

Suchte er bei Baphomet Rat, Mut oder Hoffnung?

»Abmarsch!« Mit diesem Kommando wollte ich den Zauberer veranlassen, sich umzudrehen und den Raum mit den schwarzen Wänden zu verlassen.

Er zog die Hände aus den Hosentaschen, und ich hörte, wie etwas auf den Boden fiel. Es war eine Glaskugel, etwa hühnereigroß. Die dünne Glaswand zerplatzte in unzählige Splitter, und als der Sauerstoff mit der klaren Flüssigkeit in Berührung kam, die sich in der Kugel befunden hatte, schoss Dampf zischend hoch.

Die Wolke erreichte meine Größe, und eine Gestalt schälte sich aus ihr hervor: ein Vampir!

Hinter dem Blutsauger stand Angelo d’Alessandro, der mit schriller Stimme schrie: »Töte ihn, Boram! Töte Tony Ballard!«

Und Boram griff mich an.

 

*

 

Zuerst hatte Metal die Hexe aus dem Jenseits in die weite Unendlichkeit des schwarzen Kosmos entführt. Sein Racheplan war grausam und sollte Mr. Silver schmerzhaft treffen. Die Verzweiflung sollte den Ex-Dämon schwächen und für die Niederlage bereit machen, denn nichts wünschte sich Metal, der Silberdämon, sehnlicher, als Mr. Silver den Todesstoß zu versetzen.

Wenn der Ex-Dämon geschlagen war, würde sich Metal seiner Freunde annehmen, bis nicht einmal mehr ein schäbiger Rest vom Ballard-Team übrig war.

Sehr lange und sehr gründlich hatte sich Metal überlegt, wie er sich für das revanchieren konnte, was ihm diese Leute angetan hatten.

Sie waren es gewesen, die ihm die Zauberin Arma, seine Geliebte, genommen hatten. Arma starb im Sarg der tausend Tode, doch Metal wusste, wie er sie wieder an seine Seite stellen konnte.

Er hatte sich mit dem Shlaaks zusammengetan, und Roxane, Mr. Silvers Freundin, entführt.

Draußen im schwarzen Kosmos gab er Roxane den Höllennektar zu trinken. Er reichte ihn ihr in einem silbernen Kelch und zwang sie, die rubinrote Flüssigkeit zu schlucken.

Anfangs wehrte sich Roxane dagegen, und sie wollte nicht auf ihren neuen Namen hören. Ein Name, der einer Toten gehörte. Denn Metal wollte sie zu einer zweite Arma machen!

Immer wieder nannte Metal sie Arma. Sie lehnte sich wütend dagegen auf, schrie: »Ich heiße Roxane! Ich gehöre zu Mr. Silver. Nie werde ich deine Geliebte! Niemals!«

Doch Metal lachte nur mitleidig, denn er wusste es besser. Er kannte die unwiderstehliche Kraft des Höllennektars und war gewiss, dass Roxane ihm nicht widerstehen konnte.

Die rubinrote Flüssigkeit veränderte Roxanes Inneres. Sie spürte, dass sie im Begriff war, zu Arma zu werden, und je mehr sie sich dagegen sträubte, desto schneller schien die Verwandlung fortzuschreiten.

Eines Tages würde sie so fühlen und denken wie Arma, und Mr. Silver, der ihr so viel bedeutet hatte, würde einer ihrer größten Feinde sein.

Kurze Zeit würde Roxane noch ihr Aussehen beibehalten, bis die innerliche Verwandlung abgeschlossen war. Dann aber würde sich Metal mit ihr in das Tal der fremden Gesichter begeben und dafür sorgen, dass sie Armas Aussehen annahm.

Einen Schritt in diese Richtung hatte Metal bereits getan. Er befand sich mit seiner Gefangenen nicht mehr in der Unendlichkeit des schwarzen Kosmos, sondern auf Protoc, der Welt der Paviandämonen.

Er war nicht zum ersten Mal hier, erinnerte sich noch gut an die Kämpfe, die es hier gegeben hatte. Damals hatte Arma noch gelebt, und hier waren sie zum ersten Mal auf Tony Ballard, Mr. Silver und Pakka-dee, den Mann aus der Welt des Guten, gestoßen.

Dieses Affenreich war von Raghoora beherrscht worden, und Metal und Arma hatten zusammen mit Tony Ballard und seinen Freunden gegen den Affenkaiser gekämpft.

Doch sie standen nur dieses eine Mal auf derselben Seite...

Heute waren sie erbitterte Todfeinde.

Roxane saß im Staub und stierte vor sich hin. Sie befand sich in einer düsteren Höhle. Irgendwo tropfte Wasser in ein steinernes Becken, doch die Hexe aus dem Jenseits nahm die Geräusche der fallenden Tropfen nicht wahr.

Sie wusste, wie es um sie stand. Der Höllennektar hatte sie so sehr ausgehöhlt, dass sie sich ihrem Schicksal kaum noch widersetzen konnte.

Traurig stellte sie manchmal fest, dass Erinnerungen, an denen sie lange Zeit festgehalten hatte, zu verschwimmen begannen. Sie fühlte sich innerlich seltsam zerrissen. Während die eine Hälfte noch an Mr. Silver hing, fühlte sich die andere Hälfte zu Metal hingezogen.

Sie war nicht imstande, das eine oder das andere zu beeinflussen, konnte nur geschehen lassen, was passierte. Als sie noch stärker gewesen war, als noch mehr von Roxanes Kraft in ihr wohnte, hatte sie versucht, telepathischen Kontakt mit Mr. Silver aufzunehmen, doch Metal hatte es gemerkt und die Versuche zunichte gemacht.

Er hatte sie außerdem mit einem magischen Abwehrschild versehen, damit Mr. Silver nicht herausfinden konnte, wo sie gefangen gehalten wurde.

Jetzt brauchte Metal keine Sorge mehr zu haben, dass Roxane auf geistiger Ebene Kontakt mit dem Ex-Dämon herzustellen versuchte, denn das hätte Armas Hälfte nicht zugelassen.

Roxane/Arma... Die beiden Namen überschlugen sich hin und wieder in der Hexe, wurden zu einem Konglomerat, das sich kaum trennen ließ, und in diesen Stunden wusste das schwarzhaarige Mädchen mit den traurigen grünen Augen nicht mehr, wer sie nun eigentlich wirklich war.

Ein Geräusch lenkte ihre Aufmerksamkeit auf sich. Metal erschien, groß, mit gewelltem Silberhaar, breitschultrig und muskulös.

Roxane sah ihn an. Irgendetwas habe ich über dich herausgefunden, dachte sie. Deshalb kehrte ich nach London zurück und ging den Shlaaks in die Falle.

Und nun war diese Erinnerung weg – wie ausradiert. Roxane zerbrach sich oft stundenlang den Kopf, doch es wollte ihr nicht mehr einfallen.

»Warum siehst du mich so an, Arma?«, fragte der Silberdämon.

Roxane hob die Schultern. »Aus keinem besonderen Grund.«

»Stellst du Vergleiche zwischen mir und Mr. Silver an?«

»Manchmal. Ihr seid euch sehr ähnlich.«

»Das ist nicht verwunderlich. Seine wie auch meine Heimat war die Silberwelt, die es heute nicht mehr gibt. Der Affenkaiser Raghoora wiegelte damals Asmodis auf, und der Höllenfürst schickte einen Taifun, der die Silberwelt verwüstete.«

»Ich weiß«, sagte Roxane. »Glaubst du, dass es außer dir und Mr. Silver noch andere Silberdämonen gibt, die irgendwo in den Dimensionen verstreut leben?«

Metal schüttelte den Kopf. »Asmodis’ Höllensturm war sehr gründlich.«

Roxane hob den Kopf. »Gib mir zu trinken.«

Auch das war anders geworden. Sie verlangte nun schon selbst nach dem Höllennektar. Es war manchmal wie eine Sucht; ihr Körper forderte den Trank. Sie glaubte, ohne ihn nicht mehr leben zu können, sah in ihm eine Art Lebenselixier. Dass er das, was noch von Roxane vorhanden war, mit jedem Schluck mehr aus ihr herausschwemmte, machte ihr nichts aus, daran hatte sie sich gewöhnt.

Metal brachte den Silberkelch und reichte ihn der Hexe aus dem Jenseits mit einem zufriedenen Lächeln.

»Dieser Höllennektar bringt uns einander näher, Arma«, sagte der Silbermann. »Er ist köstlich, nicht wahr?«

»Ja, er gibt mir neue, fremde Kräfte.«

»Er bringt dir Armas Kräfte.«

Roxane setzte den Kelch an ihre vollen Lippen und trank. Den halbleeren Silberkelch setzte sie ab und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund, eine Bewegung, die Metal stark an Arma erinnerte. Sie hatte das oft getan, nachdem sie getrunken hatte.

»Du wirst immer mehr zu Arma«, stellte der Silberdämon fest.

Roxane hatte nichts dagegen. Sie trank den restlichen Höllennektar, lehnte sich an die Felswand, gab Metal träge den Silberkelch zurück und schloss die Augen.

Metal betrachtete sie wohlgefällig. Sie war sehr schön und hatte einen formvollendeten Körper – wie Arma. Er würde dieses Mädchen an sich binden und nicht mehr freigeben.

Roxane/Arma sollte ein Teil von ihm werden, sollte so denken wie er, so fühlen wie er, so handeln wie er. Bald schon würden sie sich ergänzen.

»Wie früher«, kam es leise über die Lippen des Silberdämons.

»Wie früher...«

Sie würden vielleicht schon in naher Zukunft gemeinsam Mr. Silver angreifen. Die Situation würde es ergeben, wie sie gegen den Ex-Dämon vorgehen würden. Eines aber stand fest: dass Mr. Silver dann keine Schonung von der neuen Arma zu erwarten hatte.

Zufrieden grinsend wandte sich Metal um. Er ließ Roxane allein.

Eigentlich dachte er sehr oft an Mr. Silver. Er hasste niemanden mehr als diesen abtrünnigen Dämon, und er freute sich auf den Tag der Rache, den er genießen würde. Es gab nichts Erhebenderes für ihn, als den Ex-Dämon leiden und sterben zu sehen, denn Mr. Silver hatte allein schon dadurch, dass er sich vom Bösen abkehrte, sein Leben verwirkt.

Er war auch zum Tode verurteilt worden, aber das Urteil konnte nicht vollstreckt werden.

»Nun«, sagte Metal gedehnt, »dann werde ich dein Henker sein, Mr. Silver!«

Er beschloss, den Ex-Dämon wissen zu lassen, wie es um Roxane stand, denn er wusste, dass Mr. Silver dadurch Höllenqualen litt. Der Ex-Dämon hing an Roxane mehr als an seinem eigenen Leben. Er hätte alles getan, um sie retten, wäre bereit gewesen, das größte Risiko bedenkenlos auf sich zu nehmen.

Aber er hatte keine Ahnung, wo sich die Hexe aus dem Jenseits befand.

Ein Geräusch alarmierte den Silberdämon. Ein silbriges Flirren entstand auf seiner Haut, das war ein deutlicher Beweis innerer Anspannung.

Vorsichtig näherte er sich dem Höhleneingang, der zu einem Drittel von Büschen verdeckt war. An diese pirschte sich Metal heran, während sich seine sehnigen Hände zu Fäusten ballten.

Jemand befand sich dort draußen, und da Metal auf Protoc keinen Freund hatte, konnte es sich nur um einen Feind handeln. Es war nicht ungefährlich auf Protoc, denn die Paviandämonen duldeten in ihrer Welt keine anderen Wesen.

Trotzdem hatte sich Metal mit Roxane hierher begeben, weil in direkter Fortsetzung dieses Weges das Tal der fremden Gesichter lag, das der Silberdämon mit seiner Gefangenen bald aufzusuchen gedachte.

Metal erreichte die Büsche und richtete sich langsam auf. In seinen perlmuttfarbenen Augen tanzten kleine rote Glutpunkte. Er war imstande, mit den Augen Feuerlanzen zu verschießen, eine Fähigkeit, die alle Silberdämonen besaßen.

Sollte Gefahr drohen, würde sich Metal mit dem Feuerblick verteidigen.

Er nahm in einer Entfernung von etwa hundert Metern eine Bewegung wahr. Die Landschaft war hier sehr karstig. Gewaltige Lavafelsen lagen verstreut umher. Und dann sah Metal einige Paviankrieger vorbeiziehen.

Ihre Körper waren gedrungen, und das Fell, das einer Löwenmähne glich, glänzte silbrig. Sie hatten gefährlich lange Reißzähne und dolchartige Krallen an den Fingern.

Als Metal zum ersten Mal auf Protoc gewesen war, waren die Affen, gegen die er gekämpft hatte, unbewaffnet. Diese hier schienen zu einem anderen Volksstamm zu gehören. Sie besaßen Dolche und trugen lange Speere bei sich.

Metal schätzte, dass es etwa zwanzig Paviandämonen waren. Sie ahnten nicht, dass es hundert Meter von ihnen entfernt eine Höhle gab, in der zwei Wesen, die auf Protoc nichts zu suchen hatten, lebten.

Sie hätten Metal und Roxane angegriffen, wenn sich der Silbermann durch eine Unvorsichtigkeit verraten hätte.