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Ein literarischer Thriller, der einen nicht mehr loslässt!
Susan Morrow hat gelernt, immer ja zu sagen. Nicht aufzubegehren, mitzuspielen, die Dinge hinzunehmen, wie sie sind: den Ehemann, der Herzchirurg ist, nur seine Karriere im Blick hat und sie wahrscheinlich mit einer Arzthelferin betrügt. Die Ehe, die unbemerkt immer mehr in die Brüche geht. Ihre Pflichten als Hausfrau und Mutter.
Da erhält sie eines Tages Post von ihrem Exmann Edward, von dem sie seit zwanzig Jahren nichts mehr gehört hat. Als sie ihn damals verließ, war er ein angehender Schriftsteller, voller hochfliegender Pläne. Jetzt hat er ihr das Manuskript eines Romans geschickt, und widerstrebend beginnt sie, es zu lesen. Es ist die zutiefst verstörende Geschichte des Mathematikprofessors Tony Hastings, dessen Frau und Tochter auf der gemeinsamen Fahrt in den Urlaub entführt und grausam ermordet werden. Es ist die Geschichte eines Mannes, dessen ganzes Leben zerbricht, weil er gelernt hat, immer vernünftig zu bleiben. Weil er verlernt hat, sich zu wehren. Und weil er nicht glauben will, dass seine schlimmsten Ängste wirklich wahr werden könnten. Unaufhaltsam gerät Susan in den Sog dieses beklemmenden Romans. Und je weiter sie liest, desto mehr beginnt sie zu ahnen, dass Edward vielleicht gar nicht ihre Meinung über sein Manuskript einholen will. Dass er vielmehr auf raffiniert verschlüsselte Weise von ihr selbst erzählt …
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Seitenzahl: 498
Austin Wright
Tony & Susan
Roman
Aus dem Amerikanischen von
Sabine Roth
Luchterhand
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Die Originalausgabe erschien 1993 unter dem Titel Tony & Susan bei Baskerville Publishers, Fort Worth und wurde 2010 wiederaufgelegt von Atlantic Books, London.
Copyright © der Originalausgabe 1993 Austin Wright
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2012 Luchterhand Literaturverlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München.
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
ISBN 978-3-641-06901-8V002
www.luchterhand-literaturverlag.de
VORHER
Angefangen hat alles mit dem Brief, den Susan Morrow im September von ihrem Exmann Edward bekam. Er habe ein Buch geschrieben, einen Roman, ob sie es vielleicht lesen wolle? Für Susan war es ein Schreck, denn bis auf Weihnachtskarten von seiner zweiten Frau, die immer »lieb« grüßt, hat sie seit zwanzig Jahren nichts mehr von Edward gehört.
Also hat sie ihre Erinnerung konsultiert. Er hatte um jeden Preis schreiben wollen, Erzählungen, Gedichte, Skizzen, Worte in jeder Form, wer wüsste das besser als sie. Es war die Hauptursache ihrer Probleme. Aber sie hat gedacht, seit er im Versicherungsgeschäft ist, wäre er vom Schreiben abgekommen. Offenbar nicht.
In den unwirklichen Tagen ihrer Ehe gab es die Frage, ob sie lesen sollte, was er schrieb. Er war Anfänger und sie eine strengere Kritikerin als beabsichtigt. Eine heikle Sache, ihre Befangenheit, seine Verbitterung. Aber dieses Buch jetzt ist gut, schrieb er in seinem Brief. Ich habe viel dazugelernt, übers Schreiben und über die Menschen. Er wollte, dass sie das sah, sie sollte es lesen und sich selbst überzeugen. Sie sei die beste Kritikerin, die er je gehabt habe, schrieb er. Und sie könne ihm helfen, denn ihm schien, dass dem Buch, so gut es auch war, etwas fehlte. Sie würde es wissen, sie würde es benennen können. Lass dir Zeit, schrieb er, einfach nur ein paar Zeilen, was dir spontan einfällt. Unterschrieben: »Dein alter Edward, der nicht alles vergessen hat.«
Die Unterschrift irritierte sie. Sie rührte zu viel in ihr auf, sie gefährdete den Frieden, den sie mit der Vergangenheit geschlossen hatte. Susan hatte keine Lust, zurückzudenken, sich wieder einholen zu lassen von den unguten Gefühlen von damals. Aber sie schrieb zurück, ja, schick es nur. Sie schämte sich für ihr Misstrauen und ihre Vorbehalte. Warum gerade sie, warum nicht irgendein neuerer Bekannter? Die Zumutung auch, als wären spontane Äußerungen einfacher als durchdachte. Ablehnen mochte sie trotzdem nicht, es sollte nicht aussehen, als klebte sie an der Vergangenheit. Das Päckchen kam eine Woche später an. Ihre Tochter Dorothy brachte es in die Küche, wo sie bei ihren Erdnussbuttersandwiches saßen, sie, Dorothy, Henry und Rosie. Es war dick mit Paketband umwickelt. Sie zog das Manuskript heraus und las die Titelseite:
NACHTTIERE
Roman
von Edward Sheffield
Professionell getippte, saubere Seiten. Was es wohl mit dem Titel auf sich hatte? Ihr gefiel Edwards Geste, versöhnend, schmeichelhaft. Eine kleine Stimme riet ihr, auf der Hut zu sein, weshalb sie, als abends ihr richtiger Mann Arnold heimkam, beherzt verkündete: Ich hab heute von Edward gehört.
Welchem Edward?
Also komm, Arnold.
Ach, der Edward. Und, was hat er so vorzubringen, der alte Halunke?
Das ist drei Monate her. Etwas nagt an Susan, es kommt und vergeht wieder und lässt sich nicht greifen. Wenn es nicht da ist, sorgt sie sich trotzdem, sie könnte ja irgendeine Gefahr übersehen haben. Und wenn eine Sorge konkret ist – ob Arnold vorhin verstanden hat, was sie meint, beispielsweise, oder ob er das heute früh wirklich so gemeint hat, wie es bei ihr ankam –, bleibt immer das Gefühl, ihre eigentliche Sorge sei etwas anderes, Wichtigeres. Derweil hält sie den Haushalt in Schuss, bezahlt die Rechnungen, putzt und kocht, versorgt die Kinder, unterrichtet dreimal die Woche am Junior College, während ihr Mann im Krankenhaus Herzen flickt. Abends liest sie, das liegt ihr mehr als fernsehen. Sie liest, um sich von sich selbst abzulenken.
Sie freut sich auf Edwards Buch, weil sie gern liest und bereit ist zu glauben, dass er besser geworden ist, aber jetzt schiebt sie es schon drei Monate vor sich her. Nicht vorsätzlich. Sie hat das Manuskript in den Schrank gelegt und es dann vergessen, und wenn es ihr wieder einfiel, dann immer zur Unzeit, beim Einkaufen oder Klausurenkorrigieren oder wenn sie Dorothy zum Reiten fuhr. Wenn sie Zeit hatte, waren ihre Gedanken woanders.
Zwischendurch hat sie versucht, den Kopf freizubekommen, um Edwards Buch so lesen zu können, wie sie es ihm schuldig ist. Das Problem waren die alten Erinnerungen, die zum Leben erwachten wie ein alter Vulkan, brodelnd und rumpelnd. All die verbrauchte Intimität, das ausrangierte Wissen, das er über sie hat und sie über ihn. Seine Selbstverliebtheit, seine Eitelkeit, seine Ängste, sein Kleinmut – das alles muss sie ausblenden, wenn ihr Urteil fair sein soll. Sie ist entschlossen, fair zu urteilen. Dafür muss sie ihre Erinnerungen verleugnen und so tun, als wäre sie eine Fremde.
Sie kann nicht recht glauben, dass er einfach nur ihre Meinung zu seinem Buch will. Es muss etwas Persönliches sein, ein neuer Dreh in ihrer erloschenen Romanze. Was dem Buch wohl aus Edwards Sicht fehlt? Sein Brief klang, als wüsste er es nicht, aber vielleicht steckt ja eine Botschaft zwischen den Zeilen. Susan und Edward, ein verkapptes Liebeslied? Lies mich, dann siehst du: Was mir fehlt, ist Susan.
Oder Hass, was wahrscheinlicher ist, auch wenn sie darüber seit Ewigkeiten hinaus sind. Sie als die Böse, das Buch das verführerische Gift, Schneewittchens rotbackiger Apfel. Sie wüsste zu gern, wie ironisch Edwards Brief wirklich gemeint ist.
Aber trotz aller Einstimmungsversuche war das Vergessen hartnäckiger, sie hat nicht gelesen und ihr Versagen immer mehr als unausweichlich hingenommen. Das hat sie trotzig gemacht und zugleich beschämt, bis wenige Tage vor Weihnachten Stephanies Karte kam, mit ein paar beigefügten Zeilen von Edward. Er komme nach Chicago, stand da, nur für einen Tag, am 30. Dezember, und übernachte im Marriott, wäre nett, wenn wir uns sehen. Erschrecken bei Susan, denn natürlich wird er mit ihr über sein ungelesenes Manuskript reden wollen, dann Erleichterung – noch ist ja Zeit. Nach Weihnachten: Arnold, ihr Mann, fährt zu einem Kardiologenkongress, drei Tage. Da kann sie es immer noch lesen. Sie wird beschäftigt sein, eine gute Ablenkung von Arnolds Reise, und sie muss kein schlechtes Gewissen haben.
Im Vorgriff überlegt sie, wie Edward jetzt aussehen mag. Sie kennt ihn nur blond, vogelartig, unfassbar dürr, mit Adlernase und hochmütigem Blick, die Arme wie Drähte, Ellbogen spitz, Geschlechtsteile riesig gegen den Rest des Gestells. Leise Stimme, die Sprechweise abgehackt, ungeduldig, so als fände er fast alles, was es zu sagen gab, zu stupide für Worte.
Ist er würdevoller als früher oder nur wichtigtuerischer? Wahrscheinlich hat er zugenommen, und sein Haar, sofern er noch welches hat, wird grau sein. Sie fragt sich, was er von ihr denken wird. Hoffentlich merkt er, um wie viel toleranter, entspannter und großzügiger sie geworden ist, wie viel mehr sie weiß. Sie fürchtet, ihm wird die Kluft zwischen vierundzwanzig und neunundvierzig zu groß sein. Sie hat eine neue Brille, aber zu Edwards Zeiten brauchte sie noch gar keine Brille. Sie ist molliger, vollbusiger, ihre Wangen sind rosig statt blass wie früher, das vormals Konkave konvex. Ihr Haar, das zu Edwards Zeit lang, glatt und seidig war, ist jetzt kurzgeschnitten und mit Grau durchzogen. Sie ist rund und gesund geworden, und Arnold sagt, sie sieht aus wie eine schwedische Skifahrerin.
Jetzt, wo sie es tatsächlich lesen wird, fragt sie sich, was für ein Buch es wohl ist. Wie vor einer Reise in ein Land, in dem man noch nie war. Das Schlimmste wäre, wenn es schlecht geschrieben wäre, was sie zwar rückwirkend exkulpieren würde, im Hier und Jetzt aber in Verlegenheit brächte. Und selbst wenn es nicht schlecht geschrieben ist, lauern Gefahren: eine Expedition in ein fremdes Inneres, in Gesellschaft von Leuten, die sie sich nicht ausgesucht hat, konfrontiert mit fremden Sitten und Gebräuchen, umgeben von Symbolen, die anderen mehr sagen als ihr. Mit Edward als Führer, dessen Dominanz sie seinerzeit mit allen Mitteln abzuschütteln versucht hat.
Die Negativmöglichkeiten sind gigantisch: Es könnte fade sein, unappetitlich, süßlich oder niederschmetternd düster und depressiv. Was interessiert Edward mit neunundvierzig? Sie ist sich nur sicher, was für ein Buch es nicht sein wird. Wenn Edward kein völlig anderer Mensch geworden ist, wird es kein Krimi sein, kein Baseballroman und auch kein Western. Es wird nicht um Blut und um Rache gehen.
Was bleibt damit übrig? Das wird sich zeigen. Sie beginnt Montagabend, nach den Weihnachtsfeiertagen, am Tag von Arnolds Abreise. Sie wird drei Abende brauchen, bis sie durch ist.
DIE ERSTE SITZUNG
Eins
Als sich Susan Morrow an diesem Abend mit Edwards Manuskript hinsetzt, durchfährt Furcht sie wie eine Gewehrkugel. Ein Moment äußerster Anspannung, der zu schnell vergeht, um zu haften, aber zurück bleibt ein Bodensatz vager Angst. Gefahr, Bedrohung, Desaster, sie weiß nicht, was. Sie versucht zu rekonstruieren, woran sie gedacht hat, vorhin in der Küche, Töpfe, Kochzubehör, Geschirrspüler. Dann das plötzliche Herzrasen auf der Wohnzimmercouch, wo der bedrohliche Gedanke sie überfallen hat. Drüben im Arbeitszimmer sitzen Dorothy und Henry mit Henrys Freund Mike auf dem Boden und spielen Monopoly. Ihre Einladung mitzuspielen lehnt sie ab.
Vor ihr der Christbaum, Weihnachtskarten auf dem Kaminsims, die Couch übersät mit Spielen, Anziehsachen, Geschenkpapier. Ein Chaos. Der Fluglärm von O’Hare klingt immer mehr ab, Arnold ist inzwischen in New York. Sie kommt nicht darauf, was die Angst ausgelöst hat, also versucht sie sie zu ignorieren, legt die Füße auf den Couchtisch, haucht ihre Brille an und wischt sie sauber.
Das Beklommenheitsgefühl hält an, so stark, dass es in keinem Verhältnis steht. Arnolds Reise, wenn es das ist, erfüllt sie mit abgrundtiefem Grauen, aber sie weiß keine logische Begründung dafür. Flugzeugabsturz, aber Flugzeuge stürzen nicht ab. Gegen die Tagung ist nichts einzuwenden. Die Leute werden ihn erkennen oder auf sein Namensschild linsen. Er wird wie immer hochzufrieden entdecken, wie wichtig er ist, und entsprechend blendend gelaunt sein. Das Chickwash-Gespräch kann nichts schaden, auch wenn es zu nichts führt. Und sollte es wider Erwarten doch zu etwas führen, dann erwartet sie ein neues Leben und die Chance, nach Washington zu ziehen, falls sie das will. Er ist unter Kollegen und alten Mitarbeitern, Menschen, denen sie eigentlich trauen sollte. Wahrscheinlich ist sie einfach nur müde.
Trotzdem wagt sie sich noch nicht an Edward heran. Sie liest kürzere Sachen, die Zeitung, Leitartikel, Kreuzworträtsel. Das Manuskript sträubt sich noch, oder sie sträubt sich, mag nicht recht beginnen, aus Angst, über dem Buch ihre Gefahr zu vergessen, worin immer die Gefahr besteht. Bücher kosten sie anfangs immer Überwindung, weil sie ihr so viel Zeit abverlangen. Weil sie möglicherweise verschütten, was sie gedacht hat, manchmal endgültig. Bis Susan mit einem Buch durch ist, könnte von ihrem alten Ich nichts mehr übrig sein. Diesmal ist es schlimmer als sonst, denn Edwards Auftauchen aus der Versenkung bringt neue Ablenkungen mit sich, die nichts mit Susans Gedanken zu tun haben. Auch er ist eine Gefahr, wenn er hier sein Hirn entlädt, seine inneren Bomben abwirft. Egal. Wenn sie ihrem Unbehagen nicht auf die Spur kommt, soll doch das Buch es übertünchen. Bald wird sie nicht mehr aufhören wollen. Sie klappt den Karton auf, betrachtet den Titel – Nachttiere. Im Geist kommt sie aus dem Tunnel in das Haus im Zoo, sieht trüb-violett beleuchtete Glaskäfige, in denen seltsame emsige kleine Geschöpfe mit übergroßen Ohren und Augenbällen den Tag für die Nacht halten. Schluss jetzt, fang einfach an.
Nachttiere 1
Ein Mann, Tony Hastings, seine Frau Laura und seine Tochter Helen fuhren nachts im nördlichen Pennsylvania auf der Autobahn nach Osten. Ihr Urlaub begann, und sie fuhren in ihr Ferienhaus in Maine. Sie fuhren nachts, weil sie spät losgekommen waren und noch einen neuen Reifen gebraucht hatten. Es war Helens Idee gewesen, als sie nach dem Abendessen irgendwo in Ohio wieder ins Auto stiegen. »Was wollen wir mit einem Motel«, sagte sie, »fahren wir einfach die Nacht durch.«
»Meinst du das ernst?«, fragte Tony Hastings.
»Klar, wieso nicht?«
Der Vorschlag widersprach seinem Ordnungssinn und rüttelte an seinen Gewohnheiten. Er war Mathematikprofessor und stolz auf seine Zuverlässigkeit und Vernunft. Seit einem halben Jahr rauchte er nicht mehr, steckte sich aber manchmal noch eine Pfeife in den Mund, weil sie etwas Stetiges ausstrahlte. Seine erste Reaktion, red keinen Unsinn, unterdrückte er, weil er ein guter Vater sein wollte. Er hielt sich für einen guten Vater, guten Lehrer, guten Ehemann. Für einen guten Mann. Trotzdem fühlte er auch etwas von einem Cowboy und Baseballspieler in sich. Er war zwar nie geritten und hatte seit der Kindheit nicht mehr Baseball gespielt, und sonderlich groß oder stark war er auch nicht, aber er trug einen schwarzen Schnurrbart und sah sich als legeren Typ. Die Ferienstimmung und die Ungebundenheit des nächtlichen Unterwegsseins machten ihn übermütig, es war ein befreiendes Gefühl, Verantwortung abzugeben, nicht nach einer Unterkunft suchen zu müssen, bei keinem Schild halten, zu keiner Rezeption gehen und nach Zimmern fragen zu müssen, und die Vorstellung, auf dem Highway in die Nacht zu brausen und seine Gewohnheiten einfach hinter sich zu lassen, beschwingte ihn.
»Und du löst mich nachts um drei ab?«
»Wann immer du willst, Daddy, wann immer du willst.«
»Was meinst du, Laura?«
»Bist du dann morgen früh nicht zu müde?«
Er wusste, dass er die exotische Nacht mit einem grauenhaften Tag würde büßen müssen, dass er heftig zu kämpfen haben würde, damit er am Nachmittag nicht einschlief und wieder in den normalen Rhythmus zurückzufand, aber er war ein Cowboy auf Urlaub, und wann sollte er leichtsinnig sein, wenn nicht jetzt?
»Okay«, sagte er. »Dann mal los.«
Also fuhren sie weiter, schnurrten in der herabsinkenden Junidämmerung an großen Industriestädten vorbei, sausten um Kurven, die kein Ende nehmen wollten, schnitten auf langen Steigungen und Gefällen durch Ackerland zu beiden Seiten, während die letzten Sonnenstrahlen in den Fenstern der Farmhäuser auf den hochgelegenen Wiesen vor ihnen blinkten. Eltern wie Tochter waren wie berauscht von diesem neuen Erlebnis, konnten sich gar nicht beruhigen über den Zauber der Landschaft in diesem Licht, das in flachem Winkel von hinten kam und die gelben Felder, grünen Waldstücke und Häuser verwandelte und in trügerischen Glanz tauchte, und auch der Asphalt der Straße war trügerisch, silbern im Rückspiegel und schwarz vor ihnen.
In der Dämmerung tankten sie, und als sie in die Auffahrt zur Autobahn einbogen, sah der Vater, Tony, am Straßenrand einen zerlumpten Anhalter stehen. Er beschleunigte. Der Anhalter hatte ein Schild: bangor me.
Die Tochter, Helen, rief ihm ins Ohr: »Schau, der will auch nach Maine, Daddy. Nehmen wir ihn mit.«
Tony Hastings drückte das Gaspedal durch. Der Anhalter trug einen Overall, der die Schultern freiließ, einen langen blonden Bart und ein Haarband. Ihre Blicke trafen sich, als Tony vorbeifuhr.
»Mann, Daddy!«
Er sah über die Schulter und fuhr auf die Autobahn.
»Er wollte nach Bangor«, sagte sie.
»Möchtest du ihn zwölf Stunden hier im Auto haben?«
»Nie nimmst du irgendwelche Tramper mit!«
»Fremde«, sagte er, zur Warnung an Helen, dass die Welt ein gefährlicher Ort war, aber es klang mehr moralinsauer als sonst irgendwas.
»Manche Leute haben es einfach nicht so gut wie wir«, sagte Helen. »Hast du kein schlechtes Gewissen, wenn du sie so stehenlässt?«
»Schlechtes Gewissen? Keine Spur.«
»Wir haben ein Auto. Wir haben Platz. Wir fahren in seine Richtung.«
»Ach, Helen«, sagte Laura. »Jetzt sei nicht kindisch.«
»Meine Freunde, die von der Schule heimtrampen. Was würden die machen, wenn jeder so wäre wie du?«
Kurze Stille. Dann sagte Helen: »Der war total nett. Das hat man gleich gesehen.«
Belustigt dachte Tony an den zerlumpten Aufzug des Mannes. »Er wollte gebangort werden!«
»Daddy!«
Er fühlte sich ausgelassen in dem dichter werdenden Dunkel, auf der Schwelle zum Unbekannten.
»Er hatte ein Schild«, sagte Helen. »Das war sehr höflich und rücksichtsvoll von ihm. Und er hatte eine Gitarre dabei. Hast du die Gitarre nicht gesehen?«
»Das war keine Gitarre, das war eine Maschinenpistole«, sagte Tony. »Alle Gangster packen ihre Maschinenpistolen in Instrumentenkästen, damit man sie für Musiker hält.«
Er spürte die Hand seiner Frau, die ihm über den Hinterkopf strich.
»Er sah aus wie Jesus, Daddy. So edle Züge.«
Laura lachte. »Mit einem wallenden Bart sieht jeder wie Jesus aus«, sagte sie.
»Sag ich doch«, sagte Helen. »Wenn er einen wallenden Bart hat, heißt das, er ist in Ordnung.«
Lauras Hand an seinem Hinterkopf, und zwischen ihnen Helen, die sich vom Rücksitz vorbeugte und das Kinn auf die Lehne stützte.
»Daddy?«
»Ja?«
»War das ein unanständiges Wortspiel vorhin?«
»Ich hab keine Ahnung, was du meinst.«
Nichts. Schweigend fuhren sie in die Dunkelheit. Später sang die Tochter, Helen, Lagerfeuerlieder, und die Mutter, Laura, fiel ein, und sogar der Vater, Tony, der nie sang, brummelte dazu, und so nahmen sie ihre Lieder auf der weiten leeren Autobahn mit hinein nach Pennsylvania, während die Farben sich verdickten und zu Nacht gerannen.
Dann war draußen nur noch Schwärze, und Tony Hastings fuhr allein, keine Stimmen jetzt, nur das Rauschen des Fahrtwinds, das das Rauschen von Motor und Reifen überlagerte, während seine Frau Laura stumm im Dunkeln neben ihm saß und seine Tochter Helen auf der Rückbank außer Sicht gerutscht war. Es war nicht viel Verkehr. Ab und zu flackerten entgegenkommende Scheinwerfer durch die Bäume auf dem Mittelstreifen. Wenn die Fahrbahnen auseinanderliefen, sah es wie ein Steigen oder Fallen aus. Auf seiner Seite überholte er ab und zu ein Paar roter Rücklichter, und vereinzelt tauchten in seinem Rückspiegel die Lichter eines aufholenden Wagens auf, aber die meiste Zeit war er das einzige Auto. Auch sonst erhellte kein Licht die Landschaft, die er nicht sah, sich aber als reine Waldlandschaft vorstellte. Er war froh, das Auto zwischen sich und der Wildnis zu wissen, er summte vor sich hin, dachte, Kaffee in einer Stunde, und genoss dieses gute Gefühl: hellwach und zuverlässig in seiner dunklen Pilotenkanzel, während seine Passagiere schliefen. Er war froh, dass kein gammeliger Anhalter mit im Wagen saß, froh um die Liebe seiner Frau und den drolligen Humor seiner Tochter.
Er war ein selbstbewusster Autofahrer mit einem kleinen Schuss Hochmut dabei. Er versuchte, möglichst gleichmäßig die hundert zu halten. An einer langen Steigung schloss er zu zwei Paar Rücklichtern auf, die nebeneinanderfuhren und beide Spuren blockierten. Das eine Auto versuchte das andere zu überholen, konnte aber nicht an ihm vorbeiziehen, und er musste abbremsen. Er wechselte auf die linke Spur, hinter den Wagen, der zu überholen versuchte. »Jetzt mach schon«, murmelte er, denn er konnte auch ein ungeduldiger Autofahrer sein. Dann schien ihm, dass der Linke gar nicht überholen wollte, sondern dass zwischen den beiden etwas im Gange war, und richtig, alle zwei wurden sie noch langsamer.
Herrgott noch mal, hör auf, die Straße zu blockieren. Er hupte aus Prinzip nicht, das war unter seiner Würde, aber jetzt drückte er die Hupe doch, ganz kurz nur. Das linke Auto schoss vorwärts. Er stieg aufs Gas, zog an dem anderen vorbei, wechselte wieder nach rechts, ein bisschen beschämt. Das langsame Auto blieb hinter ihm zurück. Das vor ihm, das beschleunigt hatte, wurde wieder langsamer. Er nahm an, dass der Fahrer das Geplänkel von vorhin wiederaufnehmen wollte, und setzte zum Überholen an, aber der Wagen scherte nach links aus, so dass er jäh bremsen musste. Mit einem flauen Gefühl begriff er, dass der Kerl jetzt mit ihm Spielchen spielte. Der Wagen bremste weiter ab. Die Scheinwerfer des dritten Autos in seinem Rückspiegel waren ein ganzes Stück weg. Er verkniff sich das Hupen. Sie fuhren keine fünfzig mehr. Er beschloss, rechts zu überholen, aber der vor ihm scherte wieder aus und versperrte ihm den Weg.
»Oh-oh«, sagte er.
Laura regte sich.
»Da sucht einer Ärger«, sagte er.
Der Wagen vor ihm fuhr jetzt eine Spur schneller, aber immer noch zu langsam. Das dritte Auto war weit zurückgefallen. Er hupte.
»Nicht«, sagte Laura. »Darauf legt er’s doch an.«
Er schlug mit der Faust auf das Lenkrad. Er zögerte einen Moment und atmete durch. »Okay«, sagte er dann, stieg hart aufs Gas und zog nach links rüber. Diesmal kam er vorbei. Das andere Auto hupte, und er blieb auf dem Gas.
»Jugendliche eben«, sagte Laura.
Vom Rücksitz kam Helens Stimme. »Arschlöcher sind das.« Er hatte gedacht, sie würde schlafen.
»Haben wir sie abgehängt?«, fragte Tony. Das andere Auto blieb ein Stück zurück, er sah es voller Erleichterung.
»Helen!«, sagte Laura. »Nein!«
»Was?«, fragte Tony.
»Sie hat ihnen den Finger gezeigt.«
Das andere Auto war ein großer alter Buick mit verbeultem linkem Kotflügel, dunkelfarbig, blau oder schwarz. Er hatte nicht darauf geachtet, wer darin saß. Es holte wieder auf. Er beschleunigte, hundert, hundertzwanzig, aber die Scheinwerfer blieben dran, rückten so eng auf, dass sie ihn fast berührten.
»Tony«, sagte Laura unterdrückt.
»Mann!«, sagte Helen.
Er versuchte noch schneller zu fahren.
»Tony«, sagte Laura.
Sie ließen sich nicht abschütteln.
»Vielleicht, wenn du wieder normal fährst?«, sagte sie.
Das dritte Auto lag inzwischen weit zurück, seine Lichter verschwanden in den Kurven und tauchten auf den Geraden erst nach langer Zeit wieder auf.
»Irgendwann werden sie schon die Lust verlieren.«
Er kehrte zu seinen hundert Stundenkilometern zurück, und das andere Auto fuhr so dicht hinter ihm, dass er die Scheinwerfer nicht mehr im Rückspiegel sehen konnte, nur noch ihre Helligkeit. Das Auto fing an zu hupen, setzte dann zum Überholen an.
»Lass ihn vorbei«, sagte Laura.
Das Auto fuhr neben ihm her, schneller, wenn er zu beschleunigen versuchte, langsamer, wenn er vom Gas ging. Es waren drei Männer, er konnte sie nicht gut sehen, bis auf den auf dem Beifahrersitz, der einen Bart hatte und zu ihm herübergrinste.
Also beschloss er, die hundert einfach zu halten. Nach Möglichkeit nicht auf sie zu achten. Die Männer schnitten ihn und bremsten dann, so dass er auch bremsen musste. Als er überholen wollte, scherten sie nach links aus und hinderten ihn daran. Er zog wieder nach rechts rüber, und sie ließen ihn herankommen. Sie gaben Gas, schwänzelten zwischen den beiden Spuren hin und her. Sie fuhren ganz nach rechts, wie um ihn zum Überholen aufzufordern, aber als er es versuchte, drängten sie wieder auf seine Spur hinüber. In jäh aufschießender Wut weigerte er sich auszuweichen, ein scharfes, metallisches Krachen, ein Schlag, und er wusste, er hatte sie gerammt.
»Scheiße!«, sagte er.
Wie vom Blitz getroffen fiel das andere Auto zurück und ließ ihn vorbei. Geschieht ihnen recht, dachte er, selber schuld, aber er dachte auch, ach du Scheiße, und er fuhr langsamer, ratlos, während das andere Auto hinter ihm herschlich.
»Was machst du da?«, fragte Laura.
»Wir sollten anhalten.«
»Daddy!«, sagte Helen. »Wir können nicht anhalten.«
»Wir haben sie gerammt, wir müssen halten.«
»Die bringen uns um!«
»Bleiben sie stehen?«
Er dachte über Fahrerflucht nach, fragte sich, ob der Schaden an ihrem Auto ihnen wohl eine Lektion erteilt hatte – ob er da sicher sein konnte.
Dann hörte er Laura. So viel er sich sonst auf seine Kompetenzen zugutehielt, in heikleren moralischen Fragen verließ er sich für gewöhnlich auf sie, und sie sagte: »Tony, bitte halt nicht an.« Ihre Stimme war leise und beherrscht, und sie sollte ihm noch lange nachgehen.
Also fuhr er weiter.
»Du kannst ja bei der nächsten Ausfahrt rausfahren und es der Polizei melden«, sagte sie.
»Das Kennzeichen hab ich«, sagte Helen.
Aber das andere Auto machte wieder Jagd auf ihn, von links hinten kamen sie angeröhrt, der Bärtige reckte den Arm aus dem Fenster, winkte oder drohte mit der Faust oder zeigte auf etwas, und er schrie zu ihm herüber, und das Auto zog an ihm vorbei und schwenkte nach rechts, wollte ihn von der Fahrbahn abdrängen.
»Um Gottes willen«, sagte Laura.
»Fahr ihnen rein«, schrie Helen. »Zeig’s ihnen, zeig’s ihnen!«
Er konnte es nicht verhindern, wieder krachte es, nicht ganz so heftig diesmal, ein Knirschen links vorne, er spürte den Aufprall und dazu ein Rattern, ein Schlingern an seinem Lenkrad, während das andere Auto ihn zum Abbremsen zwang. Der Wagen zitterte, als wäre er tödlich verwundet, und Tony gab auf, fuhr auf den Seitenstreifen und hielt an. Das andere Auto stellte sich vor ihn. Das dritte Auto, das Auto, das hinter ihnen hergezuckelt war, kam in Sicht und schoss an ihnen vorbei.
Tony Hastings wollte die Tür aufmachen, aber Laura berührte ihn am Arm.
»Nicht«, sagte sie. »Bleib im Wagen.«
Zwei
Damit endet das Kapitel, und Susan Morrow hält im Lesen inne. Es wirkt ernster als erwartet, und sie ist angenehm überrascht, mit welcher Sicherheit Edward schreibt, wie gut er sein Handwerk gelernt hat. Etwas braut sich zusammen, und sie sorgt sich um Tony und seine Familie auf diesem einsamen Highway, in solcher Gefahr. Reicht es aus, wenn er die Türen verriegelt? Die Frage, macht sie sich klar, ist nicht, was er tun kann, um sie zu beschützen, sondern was die Geschichte mit ihm vorhat. Sprich, es hängt von Edward ab. Von Edwards Gutdünken.
Ihr gefällt die Ironie, mit der Edward Tony zeichnet, weil daraus Reife spricht, eine heilsame Distanz zu sich selbst. Aber sie hat auch eine Menge unerlaubter Fragen, etwa ob die Hand, die sich Tony so liebevoll in den Nacken legt, der Weihnachtskarten-Stephanie gehört oder ob Helen dem Familienfundus entnommen ist. Sie darf Tony nicht mit Edward verwechseln, ermahnt sie sich, Fiktion bleibt Fiktion, aber sie überlegt doch, ob es etwas zu bedeuten hat, dass Tony wie die Stadt heißt, in der Edward und sie aufgewachsen sind.
Wie wohl Stephanie mit Edward-dem-Schriftsteller zurechtkommt? Susan hat sich damals durch Edwards Plan, sein Studium abzubrechen und zu schreiben, verraten gefühlt, sich aber geschämt, es zuzugeben. Und nach der Scheidung hat sie über ihre Mutter mitverfolgt, wie Edward sich Schritt für Schritt von seinem Traum verabschiedete. Sie hat ihre eigenen Schlüsse gezogen – die allmähliche Verwandlung von Edward-dem-Dichter in Edward-den-Kapitalisten – und sich in ihrer Skepsis bestätigt gesehen. Vom Lyriker zum Sportjournalisten. Vom Sportjournalisten zum Journalismus-Lehrer. Vom Journalismus-Lehrer zum Versicherungsmakler. Wir sind, was wir sind, nicht, was wir nicht sind. Geld macht verlorene Träume allemal wett. Immer mit Stephanie als treuer Weggefährtin. So hat sich Susan das gedacht, aber offenbar lag sie falsch.
Sie muss sich erst sammeln, ehe sie weiterliest. Sie stellt die Schachtel neben sich aufs Sofa und schaut hoch zu den beiden Bildern an der Wand, versucht sie mit neuen Augen zu sehen, den abstrakten Strand, die braune Geometrie. Aus dem Arbeitszimmer Monopoly-Gefeilsche. Henrys Freund Mike hat eine fiese Lache. Auf dem grauen Läufer zu ihren Füßen zuckt Jeffrey im Schlaf. Martha nähert sich ihm, schnuppert, springt auf den Couchtisch, wo sie Dorothys Kamera in Gefahr bringt. Was?
Dieses namenlose Ungeheuer in ihrem Hinterkopf, bevor sie mit dem Lesen begann – hat das Buch es eingeschläfert? Egal, lies weiter. Absätze und Kapitel auf einem einsamen Highway bei Nacht. Sie denkt an Tony, an das lange, schmale Gesicht mit der Adlernase, der Brille, den melancholischen Augen mit den Tränensäcken. Nein, das ist Edward. Tony hat einen schwarzen Schnurrbart. Merk dir den schwarzen Schnurrbart.
Nachttiere 2
Die Fahrertür des alten Buick öffnete sich, und ein Mann stieg aus. Tony Hastings spürte die Hand seiner Frau Laura, die sich ihm auf den Arm legte, beschwichtigend oder ermutigend. Er wartete. Die anderen Männer im Auto schauten durch ihre Fenster zu ihm heraus. Er konnte sie nur undeutlich sehen.
Der Mann schlenderte auf sie zu, gemächlich. Er trug eine Baseballjacke, den Reißverschluss fast ganz heruntergezogen, die Hände in den Taschen. Seine Stirn war hoch, die vordere Schädelhälfte kahl. Er besah sich die Motorhaube von Tony Hastings’ Wagen und kam dann zum Fenster.
»Abend«, sagte er.
In Tony Hastings stieg Wut hoch, weil er alldem hier ausgesetzt war, aber stärker als seine Wut war die Angst. »Guten Abend«, sagte er.
»Wenn man ’nen Unfall gebaut hat, hält man normalerweise an.«
»Ich weiß.«
»Warum haben Sie’s dann nicht getan?«
Tony Hastings wusste nicht, was er sagen sollte. Er hatte nicht angehalten, weil er sich gefürchtet hatte, aber er fürchtete sich davor, das zuzugeben.
Der Mann beugte sich vor und schaute ins Auto, zu Laura und zu Helen auf der Rückbank.
»Na?«
»Was?«
»Warum Sie nicht angehalten haben.«
Aus der Nähe hatte der Mann große Zähne in einem zu kleinen Mund über einem kleinen, fliehenden Kinn. Die Augen über den schmalen Wangen quollen vor, und hinter der hohen Stirn stand das Haar in einer Schmalzlocke hoch. Sein Kiefer vollführte Kaubewegungen, aber der Mund schloss sich nicht. In die linke Seite seiner Jacke war ein verschnörkeltes Ypsilon eingenäht. Tony Hastings war dünn, er hatte keine Muskeln, nur seinen schwarzen Schnurrbart, sein weiches, sensibles Gesicht. Er behielt die Hand am Zündschlüssel. Das Fenster war zur Hälfte heruntergelassen, die Tür verriegelt.
Laura antwortete, ihr Ton war fest. »Wir wollten es der Polizei melden.«
»Der Polizei? Und sich vom Unfallort entfernen? Das dürfen Sie nicht. Steht so im Gesetz. Das ist strafbar.«
»Wir haben allen Grund, Ihnen auf dieser einsamen Straße mit Vorsicht zu begegnen«, sagte Laura. Ihre Stimme klang lauter als sonst, mit einer Schärfe darin, die Tony von ihr kannte, wenn sie etwas ungewohnt Drastisches oder Aufsässiges sagte oder wenn sie Angst überspielen wollte.
»Das hab ich jetzt nicht verstanden.«
»Ihr Verhalten im Straßenverkehr –«
Der Mann rief: »He, Turk!« Die Türen rechts am Wagen öffneten sich, und zwei Männer stiegen aus. Sie hatten es nicht eilig.
»Ich warne Sie«, sagte Laura. »Halt dich bereit«, flüsterte sie Tony zu.
Der Mann legte die Hände auf die Fensterkante, steckte den Kopf ins Auto und grinste. »Was hör ich da? Sie warnen mich?«
»Lassen Sie uns in Ruhe.«
»Aber, Lady, wir haben doch einen Unfall zu melden.«
Die beiden anderen Männer hatten eine Taschenlampe und inspizierten die Vorderseite von Tonys Auto, Hände auf der Motorhaube, gebückt und außer Sicht.
»Schön«, sagte Tony, womit er meinte: Schön, wenn’s jetzt plötzlich nach den Regeln gehen soll, von mir aus gern. »Tauschen wir Angaben aus.«
»Angaben wollen Sie austauschen?«
»Namen, Adressen, Versicherungsnummern.« Er bekam einen Rippenstoß von Laura, die es für eine schlechte Idee hielt, diesen Gangstern ihre Namen zu verraten, aber Regeln waren Regeln, er kannte es nicht anders.
»Versicherungsnummern, wie?« Der Mann lachte.
»Sind Sie denn nicht versichert?«
»Haha.«
»Ich melde das der Polizei«, sagte Tony. Er fand selbst, dass es kläglich klang.
»Genau, wir melden’s den Bullen. Genau«, sagte der Mann.
»Gut, fahren wir hin«, sagte Tony. »Jederzeit.«
»Super Plan, Mann. Alle zusammen, oder wie? Und was ist, wenn ihr abhaut? War schließlich eure Schuld, Mann.«
»Das werden wir noch sehen«, sagte Laura.
»He, Ray«, sagte einer von den Männern vorn am Auto. »Er hat ’nen Platten.«
»Sehr witzig«, sagte Tony.
Ray ging sich die Sache ansehen. Die Männer begannen zu lachen. »Tja, was sagt man dazu?« »Dumm gelaufen.« Einer trat gegen den Reifen, sie spürten es im ganzen Auto.
»Glaub ihnen kein Wort«, sagte Helen vom Rücksitz.
Jetzt kamen alle drei Männer zum Fahrerfenster. Der eine hatte einen schwarzen Bart und sah wie ein Filmbandit aus. Der andere hatte ein rundes Gesicht und trug eine silbern eingefasste Brille.
»Stimmt, Sir«, sagte Ray. »Der rechte Vorderreifen ist platt, aber gleich wie.«
»Platt wie ein Pfannkuchen«, sagte der Mann mit dem Banditenbart.
»Tja«, sagte Ray. »Muss ihn zerrissen haben, wie Sie uns von der Straße abdrängen wollten.« Jemand lachte meckernd.
»Das war nicht ich, Sie haben –«
»Lass«, sagte Laura.
»Glaub ihnen nicht, Daddy, glaub ihnen kein Wort, das ist eine Lüge, ein Trick.«
»Was redest du da?«, fragte Ray sie, in schärferem Ton als vorher. »Glaubst du mir nicht? Denkst du, ich lüge? Scheiße, Mann!«
Er scheuchte die anderen ein Stück weg. »Wenn ihr keinen Platten habt, dann fahrt doch. Startet und fahrt los. Fahrt damit, verdammt, fahrt schon. Niemand hindert euch.«
Tony zögerte. Jetzt begriff er, was das vibrierende Gefühl und dieses Schlingern im Lenkrad zu bedeuten gehabt hatten, bevor er nach dem zweiten Zusammenprall stehen geblieben war. Er lehnte sich in seinem Sitz zurück und murmelte: »Verfluchter Mist!«
»Wissen Sie was?«, sagte Ray. »Wir machen euch das.« Er drehte sich um. »Oder, Jungs?«
»’kay«, sagte einer.
»Wir wechseln euch das Ding, dann seht ihr, dass wir sauber sind. Ihr müsst keinen Finger rühren. Und dann können wir alle zusammen zu den Bullen fahren, Sie und ich, und unseren Unfall melden.«
Von Helen ein unterdrücktes: »Glaub ihnen nicht.«
»Haben Sie Werkzeug?«, fragte der Bärtige.
»Steig nicht aus«, warnte Laura.
»Braucht’s nicht«, sagte Ray. »Wir nehmen unsres. Los, Jungs, macht schon.«
Die drei gingen zu ihrem Kofferraum, und Tony, seine Frau und seine Tochter beobachteten sie hinter verriegelten Türen hervor, sahen zu, wie sie ihre Werkzeuge auspackten, den Wagenheber, den Kreuzschlüssel.
»Ersatzreifen haben Sie?«, fragte der mit der Brille. Die Männer lachten, nur Ray nicht. »Reifenwechseln ohne Ersatzreifen ist schwierig.« Ray lachte nicht mit. Er grinste auch nicht. Er schaute zum Fenster herein und schwieg. Dann sagte er: »Geben Sie mir den Kofferraumschlüssel?«
»Mach’s nicht!«, zischte Helen.
Der Mann fasste sie ins Auge, lange.
»Ganz schön hohes Ross, auf dem du da sitzt«, sagte er.
Tony Hastings seufzte und öffnete die Tür. »Ich mach Ihnen auf«, sagte er. Von hinten hörte er Helens Aufstöhnen: »Daddy!«
Und Laura, die leise sagte: »Ganz ruhig, das wird schon.«
Er stieg aus und sperrte den Kofferraum auf, und im Schein der Taschenlampe, die der Bärtige hielt, hob er die Koffer und Taschen heraus, bis der Ersatzreifen freilag. Er schaute zu, wie die beiden Männer ihn herauswuchteten, während Ray danebenstand. Sie schoben den Wagenheber unter den Rahmen, und der Bärtige sagte: »Die Frauen müssen aber raus da.«
»Los«, sagte Ray. »Holen Sie sie raus.«
»Ist das denn wirklich nötig?«, fragte Tony Hastings.
»Holen Sie sie raus. Wir wechseln euch den Reifen, da können sie ja wohl aussteigen.«
Tony beugte sich hinein zu seiner Frau und seiner Tochter. »Alles in Ordnung«, sagte er. »Ihr sollt nur aussteigen, solange sie den Reifen wechseln.« Also stiegen sie aus und standen dicht bei Tony neben der Autotür. Wenn diese Männer gefährlich waren, dachte er, war es nahe beim Auto noch am sichersten. Die Männer lockerten die Schrauben an dem kaputten Reifen und bockten den Wagen auf.
»He, Sie«, sagte Ray. »Kommen Sie mal.« Als Tony keine Anstalten machte, kam er selber. Er sagte: »Ihr haltet euch wohl für das Tollste vom Tollen, wie?«
»Wovon reden Sie?«
»›Wovon reden Sie?‹ Die halten sich für das Tollste vom Tollen, stimmt’s?«
»Wer?«
»Die. Ihre Weiber. Die beiden Zicken da. Und Sie ganz genauso. Ihr denkt, ihr seid so was Besonderes, ihr könnt andern Leuten einfach reindonnern und dann Fahrerflucht begehen und zu den Bullen spazieren.«
»Also, hören Sie mal, diese Spielchen vorhin …«
»Tja.«
Vereinzelt brauste, während der Reifen gewechselt wurde, ein Auto oder Lastwagen vorbei. Tony Hastings wünschte, irgendwer würde anhalten, irgendjemand Zivilisiertes als Barriere zwischen ihm und diesen wilden Männern, die weiß Gott was mit ihnen anstellen konnten. Einmal wurde ein Auto langsamer, er dachte schon, es würde anhalten, und machte einen Schritt nach vorn, aber etwas packte ihn am Arm, zog ihn zurück. Ray stellte sich vor ihn und verdeckte die Sicht, und das Auto fuhr weiter. Etwas später tauchte das Blaulicht eines Polizeiautos auf und kam rasant näher. Die Rettung, endlich, dachte er, und er rannte darauf zu. Es drosselte seine Geschwindigkeit nicht, und ihm wurde klar, dass es nicht anhalten würde. Trotzdem winkte er und versuchte zu rufen, während es an ihnen vorbeischoss. Er hörte die Stimmen der Frauen, die ebenfalls schrien, doch da entschwand es schon mit Tempo hundertfünfzig den Blicken, ein bloßer Lichtpunkt.
»Da fahren eure Bullen«, sagte Ray. »Hättet sie anhalten sollen.«
»Ich hab’s probiert«, sagte Tony. Mutlosigkeit erfasste ihn, während er sich fragte, welcher Notfall die Aufmerksamkeit der Polizei erregt haben konnte, während sein eigener im Dunkeln unentdeckt blieb.
Die Männer hatten sichtlich Spaß bei ihrer Arbeit. Er hörte sie lachen; der eine, schien es, hatte früher in einer Autowerkstatt gearbeitet. Nur Ray lachte nicht. Der abwartende Ausdruck in seinem verkniffenen, kinnlosen Gesicht wollte Tony Hastings nicht gefallen. Der Mann ist wütend, sagte er sich – seine eigene Wut war über der Absonderlichkeit des Ganzen allmählich verraucht. Sie wollen mir beweisen, dass der Schein trügt, dachte er. Sie wollen mir beweisen, dass sie doch anständige Menschen sind. Er hoffte, dass es so war.
Drei
Susan Morrow legt die Seite weg. Stille kehrt wieder ein, hier bei ihr, nur der Kühlschrank brummt, und die Monopoly spielenden Kinder nebenan murmeln und lachen. Hier, in der waldigen Enklave dieser Wohngegend mit ihren verwinkelten Straßen, ist alles ruhig, alles friedlich. Man ist sicherer hier. Sie streckt das Kreuz, dehnt sich, will hinüber in die Küche, sich noch einen Kaffee holen, bleibt standhaft und nimmt sich stattdessen ein Minzbonbon, das auf dem Tisch liegt, unter Marthas Schwanz.
Einmal ist auch Susan eine Nacht durchgefahren, mit Arnold und den Kindern nach Cape Cod. Arnold ist gewiefter als Tony Hastings – in diese Patsche wäre er gar nicht erst geraten, oder? Er ist ein wichtiger Mann, er könnte diesen Männern zum Dank fürs Reifenwechseln Bypässe legen, würde ihn das beschützen? Er ist außerdem ein grinsender Junge mit sandfarbenem Haar, der mit fragwürdigen Witzen angibt. Heute Abend ist Arnold in einem Hotel, fast hätte sie das in ihrer Sorge um den erfundenen Tony vergessen – betrinkt sich mit seinen Medizinerkollegen in einer schummrig-tropischen Bambus-Lounge. Schön wegschauen.
Martha, die Katze, beobachtet sie und denkt sich ihren Teil. Jeden Abend sitzt Susan im Lampenlicht und belauert das flache weiße Blatt, als würde sie dort etwas sehen, von dem Martha ganz deutlich sieht, dass es nicht da ist. Martha ist Expertin im Lauern, aber wie kann man seinen eigenen Schoß belauern, und das mit so entspanntem Gesicht? Auch Martha lauert manchmal stundenlang, und nur ihre Schwanzspitze zuckt dabei, aber wenn sie lauert, ist immer etwas da, eine Maus oder ein Vogel, und sei es nur als Illusion.
Nachttiere 3
Ray mit dem dreieckigen Gesicht, dem Mund, der zu klein für sein Kinn war, und der Halbglatze mit der Schmalzlocke darüber stand mit den Händen in den Taschen da und sah den anderen bei der Arbeit zu. Seine Füße klopften auf den Boden wie zu einer Musik. Ich darf nicht vergessen, dass das der Mann ist, der mich von der Straße abgedrängt hat, sagte sich Tony Hastings, weit davon entfernt zu vergessen. Der Mann murmelte: »Fuck you«, rhythmisch wie eine Art Lied. Klopfte mit den Füßen und murmelte: »Fuck you«, den Blick erst auf Tonys Frau und Tochter gerichtet, die eng beisammen neben der hinteren Wagentür standen, als würde er sie damit meinen, und dann auf Tony, den Blick im Murmeln auf Tony gerichtet, als meinte er ihn. In einem Singsang, der gerade laut genug war, dass man ihn hörte: »Fuck you, fuck you, fuck you.«
»Was glotzen Sie so?«, sagte der Mann.
»Was wollten Sie eigentlich erreichen mit Ihrer Fahrweise vorhin?«, fragte Tony.
Ein Laster näherte sich, dröhnte an ihnen vorbei. Falls der Mann etwas antwortete, hörte Tony es nicht. Es kamen alle drei, vier Minuten Fahrzeuge vorbei, vielleicht öfter. Solange hier Autos vorbeifahren, sind wir sicher, dachte Tony und fragte sich gleichzeitig, sicher vor welcher Gefahr?
»Bildet sich wunder was ein.«
»Was?«
»Ein vorbildlicher Verkehrsteilnehmer.«
»Was?«
»Können Sie noch irgendwas andres sagen außer ›was‹?«
»Schauen Sie …«
»Ich schau ja.«
Er konnte nicht weiterreden, hilflos; er hatte keine Worte für seine Gefühle parat.
»Was wollten Sie erreichen mit Ihrer Fahrweise vorhin?«, fragte der Mann nach einer Weile.
»Einfach nur, dass wir vielleicht irgendwann ankommen.«
»Wohin wollt ihr denn?«
Tony zögerte.
»Wo ihr hinwollt.«
»Wir wollen nach Maine. Wir wollen einfach nur nach Maine.«
»Und was wollt ihr in Maine?«
Tony mochte nicht antworten.
»Was gibt’s in Maine Schönes?«
Er kam sich vor wie ein Schulbub, der von den großen Jungen drangsaliert wird.
Der Mann machte einen Schritt auf ihn zu. »Was es in Maine Schönes gibt, hab ich gefragt.«
Er stand so nahe, dass die Zwiebeln in seinem Atem zu riechen waren, vermischt mit etwas Süßlich-Alkoholischem, sein Gesicht auf einer Höhe mit dem von Tony, und obwohl er dünn war, wusste Tony, dass ihn der Mann vernichten konnte. Er wich ein Stück zurück, aber der Mann rückte nach. Es ist der Altersunterschied, sagte sich Tony. Er vermied es, hinzuzufügen, dass er seit der Schulzeit an keiner Rauferei mehr beteiligt und ohnehin immer der Schwächere gewesen war. Ich lebe in einer anderen Welt, hätte er fast zu sich gesagt.
Er hatte keine Lust, ihr Ferienhaus in Maine zu erwähnen.
Der Mann beugte sich vor, so dass Tony sich hintenüberlehnen musste. Wehe, er fasst mich an, sagte er zu sich. Der Mann packte Tony an seinem Pullover und schubste ihn leicht. »Was war gleich wieder in Maine?«, sagte er.
Lassen Sie mich los, hätte Tony jetzt sagen müssen. »Lassen Sie mich los«, sagte er. Es klang kieksig wie bei einem verängstigten kleinen Kind.
Ihre Stimme gellte laut durch die Dunkelheit: »Lassen Sie meinen Vater in Ruhe!«
»Fuck you, Baby«, murmelte der Mann. Mit einem Auflachen ließ er Tonys Pullover los und schlenderte zu den Frauen hinüber. Zitternd, ängstlich bemüht, sein feiges Blut auf die erforderliche Temperatur hochzuheizen, folgte ihm Tony. »Was ist in Maine? Dein Daddy rückt nicht mit der Sprache raus, also erzähl du’s mir. Wohin fahrt ihr in Maine?«
»Was geht Sie das an?«, sagte sie.
»Komm schon, Süße, wir sind nette Jungs. Wir wechseln euch den Reifen. Du kannst mir ruhig erzählen, was in Maine ist.«
»Unser Ferienhaus«, sagte sie. »Jetzt zufrieden?«
»Dein Daddy denkt, er ist was Besseres als ich. Was sagst du dazu?«
»Na, ist er doch auch«, sagte sie.
»Dein Daddy hat Angst vor mir. Er hat Angst, dass ich ihm in die Eier trete.«
»Sie miese kleine Ratte«, sagte sie. »Sie Dreckschwein, Sie … Abschaum.« Ihre Stimme war hoch und hysterisch, fast ein Schreien.
Der Mann machte einen wütenden Schritt auf sie zu. Als Laura dazwischengehen wollte, schob er sie weg. Er drückte die Schultern des Mädchens gegen das Auto, und Laura stürzte sich von hinten auf ihn, schlug auf ihn ein, kratzte und zerrte an ihm, bis er herumfuhr und ihr einen Stoß versetzte, dass sie hinfiel. »Blöde Kuh!«, murrte er. Irgendwie musste Tony sich in einem Anfall von Mut auch in den Kampf geworfen haben, ehe der Arm des Mannes ausschwang wie ein Brecheisen und ihn nach hinten schleuderte. Seine Nase brannte wie Feuer. Der Mann sah von einem zum anderen und knurrte: »Passt bloß auf, ihr Scheißbande, so redet keiner mit mir!«
Die Männer an dem Reifen hatten sich aufgerichtet und schauten zu.
Als Tony Hastings Laura, seine Frau, stolpern sah, als er ihren kurzen, erschrockenen Schmerzensruf hörte, mit dieser kleinen Stimme, die er so gut kannte, als er sie in ihrer Reisehose und dem dunklen Pullover auf dem Boden sitzen und sich mühsam hochrappeln sah, dachte er, schlimm, etwas Schlimmes geschieht, wie die Nachricht vom Ausbruch eines Kriegs. Als wäre sein ganzes bisheriges Leben nur gut gewesen und ihm nie etwas wirklich Schlimmes widerfahren. In dem Moment, als sein feiges Blut in seinem Kopf explodiert war, so dass er sich dazwischenwarf und vom Arm des Mannes zurückgestoßen wurde wie mit einer Brechstange – in dem Moment hatte er gedacht: Das ist keine Schulhofrauferei. Hier geht es gegen echte Menschen.
Der Mann sah anklagend zu ihm herüber. »Verdammt, wir richten euch euren Scheißreifen«, sagte er. Er ging zurück zu den beiden anderen. Sie waren fast fertig, sie zogen schon die Schrauben an. »Und wenn das gemacht ist, melden wir den Bullen diesen Unfall, den Sie gebaut haben.«
»Wir müssen ein Telefon suchen«, sagte Tony.
»Wieso, sehen Sie irgendwo eins?«
»Was ist die nächste Stadt auf der Strecke?«
Die anderen setzten die Radkappe auf den Reifen. Sie rollten den geplatzten Reifen zu Tonys Kofferraum und bugsierten ihn mit dem Wagenheber hinein.
»Zu was brauchen Sie eine Stadt?«
»Um zur Polizei zu gehen.«
»Aha«, sagte der Mann. »Und wie wollen Sie das anstellen?«
»Wir fahren einfach hin.«
»Entfernung vom Unfallort?«
»Was sollen wir sonst machen – warten, bis der nächste Streifenwagen vorbeikommt?« Wo ihr schon einen zum Teufel geschickt habt, ergänzte er im Stillen.
»Daddy«, sagte Helen, »an der Straße stehen Telefone. Notruftelefone. Ich hab sie gesehen.«
Ja, jetzt erinnerte er sich auch.
»Die gehn nicht«, sagte der Mann.
»Kaputtgehen«, sagte der mit der Brille, »das ist alles, was die können.« Der Bärtige grinste.
»Wir müssen nach Bailey fahren, alles andre hat keinen Sinn«, sagte Ray. »Über diese Straßentelefone kriegt ihr die Bullen eh nicht.«
»Also gut«, sagte Tony entschlossen. »Dann fahren wir nach Bailey und melden es dort.«
»Und wie wollen Sie da hinkommen?«, fragte der Mann.
»Mit dem Auto.«
»Ach ja? Mit welchem?«
»Beiden.«
»Nichts da, Mister. Verarschen kann ich mich auch alleine.«
»Was ist jetzt wieder verkehrt?«
»Wer sagt mir, dass Sie nicht abhauen, und ich darf die Suppe auslöffeln?«
»Denken Sie, wir würden nicht zur Polizei gehen?«
»Was weiß ich.«
»Ich hab vor, das zu melden, keine Angst.«
»Sie wissen ja nicht mal, wo Bailey ist.«
»Sie fahren voraus, wir folgen Ihnen.«
»Hah!« Der Mann lachte. Dann schien er eine Zeitlang zu überlegen, schaute in den nächtlichen Wald, als wäre ihm eben etwas eingefallen. Er überlegte noch ein bisschen länger, eine Weile schien er die anderen völlig zu vergessen und irgendwelchen Privatträumereien nachzuhängen. Er ist verrückt, dachte Tony, und es kam ihm wie eine ganz neue Entdeckung vor. Dann war der Mann wieder da. »Wer hindert Sie daran, klammheimlich zurückzufallen und sich dann auf die Gegenfahrbahn zu verdrücken?«
»Sie scheinen ziemlich gut darin, an Leuten dranzubleiben«, sagte Tony. Der Mann lachte wieder. »Dann fahren eben wir vor, und Sie folgen uns. Abschütteln können wir Sie ganz bestimmt nicht.« Jetzt grinsten sie alle, als würde er Witze machen, und selbst Tony grinste ein bisschen.
»Verdammt«, sagte der Mann. »Sie fahren in meinem Wagen.«
»Was?«
»Sie fahren mit uns.«
»Kommt nicht in Frage.«
»Lou kann Ihr Auto fahren. Er ist ein gesetzestreuer Bürger. Es ist in guten Händen bei ihm.«
Helen stöhnte. »Nein.«
»Das wird nicht gehen«, sagte Tony.
»Und warum nicht?«
»Schon deshalb, weil ich Ihnen meinen Wagen nicht anvertraue.«
Der Mann heuchelte Überraschung. »Echt? Wieso, haben Sie Angst, wir könnten ihn klauen?« Dann sagte er: »Wie Sie wollen. Sie fahren mit Ihrem Wagen, die Kleine fährt mit uns.«
Ein Schreckensruf von Helen. Sie wollte zum Auto laufen, aber der Mann versperrte ihr den Weg.
»Auf keinen Fall«, sagte Tony.
»Klar fährt sie mit uns«, sagte der Mann. »Oder, Süße?« Er legte die Hand auf ihr Karohemd, über dem Busen, und sie rangelten.
»Tony«, sagte Laura. Sie sah ihn an, und der Mann sah sie beide an. Dann schrie sie: »Lassen Sie sie in Ruhe!«
»Hören Sie auf damit«, sagte Tony und versuchte das Beben in seiner Stimme zu unterdrücken.
»Sie mag das«, sagte der Mann.
»Tu ich nicht«, sagte sie.
»Und ob du’s magst, Süße, du weißt es nur nicht.«
»Tony«, sagte Laura noch einmal leise. Er spannte die Muskeln an, ballte die Fäuste und machte einen Schritt auf den Mann zu, aber der Bärtige hielt ihn am Arm fest. Er versuchte den Arm wegzuziehen. Der Mann, der Ray hieß, sah es und drehte sich zu Tony um. Helen riss sich los und rannte die Straße entlang.
»Helen!«, rief Tony.
»Wer hat bei euch die Hosen an?«, fragte Ray.
Das geht dich einen Dreck an, schoss es ihm durch den Kopf, aber er sagte nichts. Er starrte seiner Tochter nach, wie sie auf dem Bankett davonrannte. »Helen, Helen.« Ray feixte mit seinen zu großen Zähnen in dem zu kleinen Mund. Nach etwa fünfzig Metern ließ sie sich auf einen Stein am Straßenrand fallen. Tony konnte sehen, dass sie weinte. Einen Moment lang schwiegen alle.
Ray nickte den anderen zu, und sie gingen zu seinem Auto und steckten die Köpfe zusammen. Tony nahm sehr stark die Nacht wahr, die Kühle und den sternenklaren Gebirgshimmel. Hinter ihm fiel das Gelände ab, schwarzer Wald, in dem er nichts erkennen konnte. Die Gegenfahrbahn ein Stückchen hangaufwärts war durch Bäume verdeckt. Wenn dort drüben ein Auto vorüberkam, strich weißes Licht durch die Bäume wie ein Geist im Geäst. Die Männer berieten gestikulierend, angeregt, lachend, und Helen vorne auf ihrem Stein vergrub das Gesicht in den Händen.
Ein Auto näherte sich. Wild winkend lief Helen zur Straße zurück. Es beschleunigte und fuhr vorbei.
Jetzt kam Leben in Laura. »Komm«, sagte sie zu Tony, »wir sammeln sie da vorn ein.« Sie stieg ins Auto. Aber als Tony zur Fahrertür hinüberging, sah er Helen zurückkommen, und zwischen ihr und dem Wagen standen die drei Männer.
Sie hielt einen Stock in der Hand.
Wieder näherte sich ein Auto. Sie hatte den Wagen der drei fast erreicht, und als die Scheinwerfer herankamen, rannte sie auf die Fahrbahn und schwenkte beide Arme und den Stock über dem Kopf. Das Auto wurde langsamer. Es war ein Pick-up, und er blieb ganz knapp vor ihr stehen. Der Fahrer lehnte sich auf die rechte Seite hinüber und schaute heraus. »Bist du lebensmüde, oder was?«
Es war ein alter Mann mit Baseballmütze. Sie gingen alle zu ihm, außer Laura, die im Auto saß. »Diese Männer –«, begann Helen.
»Alles in Ordnung«, schaltete Ray sich ein. »Sie ist ein bisschen durch den Wind.«
»Gar nichts ist in Ordnung, fragen Sie meinen Vater.«
»Was?«, krächzte der alte Mann.
»Wir brauchen Hilfe«, sagte Tony.
»Was?«
»Reifenpanne«, sagte Ray. »Wir haben ihnen geholfen.« Er nickte und lächelte ein raffzähniges Lächeln. »Alles bestens.«
»Was?«, sagte der alte Mann. »Ist sie lebensmüde, oder was?«
Ray rief ganz laut: »Alles in Ordnung! Alles bestens.«
Tony trat vor. »Verzeihung –«, setzte er an. Er hörte Helens Aufschrei: »Helfen Sie uns, bitte!« Der alte Mann sah Ray an, der lachte und mit dem Kreuzschlüssel winkte.
»Wie?« Er hielt sich die Hand hinters Ohr.
»Alles im Griff«, sagte Ray mit erhobener Stimme.
»Nein, nein«, versuchte Tony zu rufen. Jemand zog ihn am Arm zurück. Der alte Mann sah von einem zum anderen. Sein Gesicht war ratlos und unglücklich, aber vielleicht war es das immer. Er sah auf Rays Werkzeug und zögerte. »Dann ist’s ja gut«, sagte er plötzlich. Seine Stimme klang unwirsch, und er verschwand vom Fenster, legte den Gang ein und fuhr weg.
Hinter sich hörte Tony Helen schreien: »Aber Sie können doch nicht –«
»Was denn, Süße?«, sagte Ray. »Was willst du mit so einem tauben alten Knacker?«
Ein jäher Ausfall, die Männer fuhren zusammen, und Helen stürmte an ihnen vorbei zum Auto, warf sich auf den Rücksitz, schlug die Tür zu. Dann erneut Schweigen, Rays Hand an Tonys Ellbogen, nicht fest, Laura und Helen wartend im Auto.
»Okay«, sagte Ray schließlich. »Wir fahren mit zwei Autos.«
Endlich. Der Alptraum war vorbei, das Spiel ausgereizt, ihnen musste klar geworden sein, dass mehr einfach nicht drin war. Zur Polizei würden sie nicht gehen, so viel stand fest, aber das war ihm egal, Hauptsache, sie wurden sie los.
Nur hatte Ray ihn am Ellbogen gefasst. Er machte eine Bewegung auf das Auto zu, und der Griff verstärkte sich, hielt ihn zurück.
»Sie nicht«, sagte Ray.
»Was?«
Kalte Angst jetzt, die erste Atomwarnung im Krieg.
»Wir teilen uns auf«, sagte Ray. »Sie fahren in meinem Wagen mit.«
»Bestimmt nicht.«
Hektik auf einmal an seinem Auto, als der Mann mit der Brille zur Fahrertür rannte und sie aufriss, eine Sekunde bevor Laura, die zu spät schaltete, vom Beifahrersitz herüberlangen und den Knopf hinunterdrücken konnte, und nun hielt der Mann sie auf, einen Fuß ins Auto gestemmt, und Ray sagte: »Wird Ihnen nichts andres übrigbleiben.«
»Ohne meine Familie gehe ich nirgendwohin.«
»Wie gesagt, Mister, wird Ihnen nichts andres übrigbleiben.«
Jetzt war es also offene Nötigung. Und beide Kumpane, einer von ihnen mit dem Fuß in der Tür, sahen Ray an und warteten auf eine Entscheidung, einen Befehl, wie es weiterzugehen hatte. Ray überlegte ein Weilchen. Er ließ Tony los und sagte: »Sie fahren mit Lou.«
Als er auf Tonys Auto zuging, wollte Tony ihm folgen, aber der Bärtige berührte ihn. »Tät ich nicht machen«, sagte er. Er hielt etwas in der Hand, was, konnte Tony nicht erkennen. Er schüttelte ihn ab und lief Ray nach. Er sah den Mann mit der Brille zur Fahrertür hineinlangen, um die hintere Tür zu öffnen, während Helen auf dem Rücksitz ihn daran zu hindern versuchte. Er sah, wie Helen nach der Hand des Bebrillten biss, als der die Tür aufbekam und hinten einstieg. Er rannte Ray nach, dachte, ich schlage ihn nieder und steige selbst ein, aber etwas Schweres peitschte ihm quer vors Schienbein, so dass er strauchelte und auf den Asphalt schlug, erst mit Händen und Knien, dann mit dem Kinn, und er schaute hoch und sah, wie Ray sich hinters Steuer setzte.
Mit einem Aufheulen sprang der Wagen an, fuhr reifenquietschend auf den Highway auf und brauste davon. Tony sah noch die schreckerfüllten Gesichter seiner Frau und seiner Tochter zu ihm herausstarren, ehe das Motorengeräusch in Sekundenschnelle schwächer wurde und die kleinen roten Lichter schrumpften und immer näher zusammenrückten, bis auch sie verschwunden waren.
Einige Augenblicke lang war da nichts als das Schweigen der Wälder und das ferne Dröhnen eines Lasters, das sich kaum von dem Schweigen abhob, während Tony die unsichtbare Straße entlangschaute, die alles verschluckt hatte, was er liebte, und nach irgendeinem Weg suchte, das abzuleugnen, was die Wörter in seinem Kopf so hartnäckig behaupteten.
Der Bärtige, Lou, schaute auf ihn herab. Er hielt den Kreuzschlüssel in der Hand. »Na los«, sagte er. »Steigen Sie ein.«
Vier
Susan ist erschüttert. Die Kerle haben Tonys Familie entführt, und sie hat alles vorausgeahnt, hilflos. Sie wehrt sich dagegen, sie hätte es verhindern müssen. Wieso sind sie nicht ins Auto gesprungen, sobald Helen davonrannte, wieso haben sie nicht Gas gegeben, ehe die Männer reagieren konnten, und sie im Vorbeifahren eingeladen? Die Männer haben Tony niedergeschlagen, zu Boden gestreckt. Ihn ausmanövriert, genauso wie Edward Susan. Sie sieht dem Auto nach, wie es mit seiner kostbaren Fracht ins Dunkel entschwindet, und teilt Tonys Scham und Entsetzen.
Sie taucht wieder auf in dem kleinen warmen Wohnzimmer mit den Spielern nebenan, weit weg von der Wildnis am Straßenrand. Sie spürt eine Lücke, jemand fehlt. Nicht Arnold, wo Arnold ist, weiß sie. Es ist Rosie, wo steckt mein Kind? Die Nacht ist kalt, ein Eiszapfen der Panik sticht ihr ins Herz, warum ist Rosie nicht hier? Aber Susan Morrow weiß, wo Rosie ist, sie übernachtet bei Carol. Das kann es also nicht sein. Und Arnold erholt sich in seiner Bambus-Lounge (nicht mit Marilyn Linwood) mit Dr. Altfreund und Dr. Hochberühmt und Dr. Nassforsch und Dr. Medprotz von einem Tag der Vorträge und Podiumsdiskussionen.
Ob so schreckliche Dinge wirklich passieren? Sie hört Edwards Antwort: Man liest es doch jeden Tag in der Zeitung. Ihr lieber Exmann hat etwas vor mit uns. Ihr graut vor Edwards Plänen, aber Angst hat sie nicht.
Nachttiere 4
»Sie fahren«, sagte der Mann, der Lou hieß.
»Ich?«
»Ja, Sie.«
Das Ungewohnte eines fremden Autos: die Tür ächzend, ihr Metall eingedrückt, der Fahrersitz mit der zerfledderten Lehne viel zu nah an den Pedalen. Der Mann gab ihm den Schlüssel. Tony Hastings zitterte, fahrig vor Eile, er traf die Zündung nicht. »Weiter rechts«, sagte der Mann. Das Auto wollte nicht anspringen, und als Tony endlich den Gang eingelegt hatte, würgte er den Motor ab, weil er so lange nicht mehr mit Schaltung gefahren war.
Lou neben ihm, der Mann mit dem schwarzen Bart, sagte kein Wort. Als Tony den Buick schließlich am Laufen hatte, fuhr er, so schnell er konnte, holte alles aus ihm heraus, bis er im Fahrtwind klapperte und pfiff, aber er wusste dabei mit verzweifelter Gewissheit, dass bloße Geschwindigkeit die Rücklichter des anderen Autos mit seinem gewaltigen Vorsprung nicht herbeizaubern würde.
Ein grünes Ausfahrtschild leuchtete auf. Er ging vom Gas. Das nächste Schild zeigte Bear Valley und Grant Center an. »Hier raus?«, fragte er.
»Weiß nicht. Meinetwegen.«
»Geht es hier nach Bailey? Warum steht Bailey nicht auf dem Schild?«
»Bailey?«
»Fahren wir da nicht hin? Wollten wir da nicht den Unfall melden?«
»Ach ja, stimmt«, sagte Lou.
»Und? Ist das der richtige Weg?« Sie hatten die Mündung der Ausfahrt erreicht und standen nun fast.
»Glaub schon.«
Ein Stoppschild. »Links oder rechts?« Es war eine Landstraße. Man sah eine unbeleuchtete Tankstelle und schwarze Felder, die in Wald übergingen.
Der Mann brauchte eine Weile, um sich zu entscheiden. »Probieren wir’s mit rechts«, sagte er.
»Ich denke, Bailey ist die nächste Stadt hier«, sagte Tony. »Wieso steht auf dem Schild Bear Valley und Grant Center und nicht Bailey?«
»Ja, komisch, was?«, sagte der Mann.
Die Straße war schmal, sie schlängelte sich zwischen Feldern und Waldstücken hindurch, bergauf und bergab, vorbei an vereinzelten dunklen Farmhäusern. Tony fuhr so schnell, wie er nur konnte, jäh bremsend, wenn unverhofft eine Kurve kam, auf der Jagd nach einem Auto, das er nicht sah, weiter und immer weiter. Und die ganze Zeit nicht ein anderes Fahrzeug. Ein Schild befahl ihm, Tempo wegzunehmen, dann kam noch ein Schild, caspar, und ein kleiner Ort, alles schwarz, nichts geöffnet. »Da ist eine Telefonzelle«, sagte er.
»Stimmt«, sagte Lou.
Er wurde langsamer. »Hören Sie«, sagte er. »Wo zum Teufel ist Bailey?«
»Fahren Sie weiter«, sagte der Mann.
Eine Kreuzung, eine etwas breitere Straße, ein Ortsschild, white creek, eine Handvoll Autowerkstätten, Imbissstuben und Läden, alle geschlossen. »Links«, sagte Lou, und sie ließen auch diese Siedlung hinter sich. Ein gerades Stück, dann eine Gabelung, eine Straße führte bergab, sie folgten der anderen, kurvten neuerlich durch Hügel und Wälder. »Da ist die Kirche«, murmelte Lou.
»Was?« Auf einer Lichtung stand eine kleine Kirche mit einem schmalen weißen Turm. Dann wieder beidseits der Straße nur Wald. In einer Ausweichbucht in einer Kehre parkte ein hellfarbiges Auto. Es sah aus wie seins, ja, natürlich, es war seins! »Da ist mein Auto«, sagte er, und er bremste dahinter scharf ab.
»Verdammt, doch nicht mitten in der Kurve.«
»Das ist mein Auto.«
In jedem Fall war es leer. Ein Fahrweg führte in den Wald, weiter oben zwischen den Bäumen stand ein Trailer, und in einem der Fenster brannte ein trübes Licht.
»Das ist nicht Ihres«, sagte der Mann.
Tony Hastings versuchte zurückzustoßen, um das Kennzeichen sehen zu können, aber er brachte den Rückwärtsgang nicht hinein.
»Nicht in der Kurve zurückstoßen, Herrgott noch mal!« Tony dachte bei sich, dass sie noch keinem einzigen Auto begegnet waren, seit sie den Highway verlassen hatten. »Das ist nicht Ihr Auto. Ihrs ist ein Viertürer.«
Er sah hin. »Und das hier nicht?«
»Was ist los, haben Sie keine Augen im Kopf?«
Wieder sah er hin, versuchte an dem Mann vorbeizuspähen, der rechts von ihm saß und ihm sagte, dass das hier kein Viertürer war, der ihn aufforderte, hinzuschauen und sich selbst zu überzeugen, und er merkte, dass die Panik sein Urteil verzerrte und vielleicht auch seine Wahrnehmung, und er fuhr weiter.
Die Straße wand sich in langsamen Serpentinen bergauf durch den Wald, mündete dann nach kurzem Gefälle in eine andere, unausgeschilderte Straße, wo sie nach rechts abbogen, wieder bergauf. Der Mann fragte: »Wie kommen Sie drauf, dass das Ihr Auto sein soll?«
»Es sah aus wie meins.«
»Saß keiner drin. Denken Sie, die feiern in dem Trailer ’ne Party, oder was?«
»Ich weiß überhaupt nicht mehr, was ich denken soll.«
»Haben Sie Schiss, Mister?«
»Ich wüsste einfach gern, wo wir hinfahren.«
»Denken Sie, meine Kumpel tricksen Sie aus?«
»Ich möchte wissen, wo Bailey ist.«
»Tja, mein Kumpel Ray, dem funkt man besser nicht dazwischen, wissen Sie.«
»Was soll das heißen?«
»Da, jetzt runter vom Gas.«
Die Straße führte geradeaus, mit einem tiefen Graben und Wald auf beiden Seiten.
»Langsam, wir biegen gleich ab.«
»Wie abbiegen, hier ist doch nichts.«
»Da, jetzt da rein.« Eine unbeschilderte Schotterstraße, ein Weg nach rechts in den Wald. Tony Hastings brachte den Wagen zum Stehen. »Was geht hier vor?«, fragte er.
»Ich sag doch, wir biegen hier ab.«
»Ich denk nicht dran. Da fahr ich nicht rein.«
»Hören Sie, Mister, wenn jemand gegen Gewalt ist, dann ich.«