Tote essen keinen Döner - Osman Engin - E-Book

Tote essen keinen Döner E-Book

Osman Engin

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Beschreibung

Osman alias Sherlock Holmes auf Täterjagd Osman alias Sherlock Holmes auf Täterjagd Die Engins ziehen in die sehr günstige Wohnung eines Kollegen, der diese verlässt, weil er seinen Nachbarn, einen faschistischen Skinhead, nicht länger ertragen kann. Doch schon am Umzugstag erleben die Engins eine böse Überraschung: besagter Nachbar liegt ermordet im Keller. Osman hat sofort seinen linksradikalen Sohn Mehmet im Verdacht, doch der hat ein Alibi. Nun ist Mördersuche auf Osman'sche Art angesagt. Hörprobe: Osman Engin liest »Mord im Karnickelweg«

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Seitenzahl: 256

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Osman Engin

Tote essen keinen Döner

Don Osmans erster Fall

Kriminalroman

Deutscher Taschenbuch Verlag

Originalausgabe 2008© Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, MünchenDas Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist nur mit Zustimmung des Verlags zulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.Rechtlicher Hinweis §44 UrhG: Wir behalten uns eine Nutzung der von uns veröffentlichten Werke für Text und Data Mining im Sinne von §44 UrhG ausdrücklich vor.eBook ISBN 978-3-423-40062- (epub)ISBN der gedruckten Ausgabe 978-3-423-21054-6Ausführliche Informationen über unsere Autoren und Bücher finden Sie auf unserer Website 

www.dtv.de

Inhaltsübersicht

Einstimmig ins Unglück

Kannibalen ziehen um

Mord im Karnickelweg

Breinstorming

Auf frischer Tat

Im falschen Film

Wenn die Nachtigall stört

Typisch deutsch

Kanake, hau doch ab!

Don Osman in Äktschn

Knochenhauer und Beinbrecher

Leiche al dente

Tote essen keinen Döner

Neue Leiche, neues Glück

Tour de Bürgerschreck

Die Wahrsagerin

Don Osman in geheimer Mission

Akte Nowosibirsk

Leichen-Karussell

Big Bradda

Die Mörder werden gefasst

Öko-Glatzen

Don Osman im Kreuzverhör

Omas zu verschenken

Die Mörderparade

Danksagung

Einstimmig ins Unglück

Wenn ich geahnt hätte, dass mir die neue Wohnung zwar weniger Miete und niedrigere Nebenkosten, dafür aber wesentlich mehr Ärger und höhere Leichenzahlen bescheren würde, wäre ich niemals in dieses Horrorhaus gezogen.

Aber eins nach dem anderen, ich meine: eine Leiche nach der anderen. Ich muss meine wahnwitzige Mordsgeschichte von Anfang an erzählen – also bevor die Toten laufen lernten. Von dem Zeitpunkt an, als ich noch richtig glücklich, die Mörder relativ unschuldig, die Leichen ziemlich lebendig und die Schwarzarbeiter noch Weißarbeiter waren…

Eines schönen Morgens rufe ich nach dem Frühstück meine Familie zu einem runden Tisch an unserem eckigen Esstisch zusammen – ein bisschen gelebte Demokratie kann ja schließlich nicht schaden. Und aus langjähriger, leidvoller Erfahrung weiß ich, dass ich am demokratischsten bin, wenn ich mich vorher richtig satt gegessen habe. Dann bin ich manchmal sogar imstande, meinen kommunistischen Sohn Mehmet, den ewigen Studenten, ohne lautes Zähneknirschen zu ertragen.

Das heutige Thema unserer Familienbesprechung ist selbst ihm so wichtig, dass er, entgegen seiner lebenslänglichen Gepflogenheiten, vor zwölf Uhr mittags aufgestanden ist, um am Plenum teilzunehmen. Mit seinem ungewaschenen, zerknautschten Gesicht, seinen fettigen, langen Haaren und den zerknitterten Boxerschorts sitzt er mir im Unterhemd gegenüber. Neben ihm sehen meine Töchter Nermin, Zeynep und Hatice wie drei frisch gepflückte Rosen aus. Aber wie gesagt, da ich gerade gefrühstückt habe, bin ich unglaublich tolerant; ein Bilderbuchdemokrat durch und durch sozusagen.

Nachdem meine Frau allen Anwesenden einen kleinen Verdauungsmokka eingeschenkt hat, eröffne ich den runden Tisch. Mit dem Löffelchen an die Mokkatasse klopfend, verschaffe ich mir Gehör:

»Einen wunderschönen guten Morgen, meine liebe Familie. Wir sind heute hier an unserem heiligen Esstisch zusammengekommen, um über eine weitere glorreiche Epoche im Leben der ruhmreichen Familie Engin zu beraten. Ich danke euch für euer zahlreiches Erscheinen.«

»Vater, mach’s kurz! Lass uns schnell abstimmen, damit ich wieder ins Bett kann, du weißt doch, dass ich heute Abend…«

»Bitte nicht unterbrechen«, unterbreche ich Mehmet und fahre in meiner Rede fort, »liebe Familie, worum es geht, wisst ihr ja…«

»Ja, Vater, wissen wir! Jetzt hau rein. Ich schlaf gleich ein«, meckert mein Sohn schon wieder.

»Nun gut, kommen wir zur Sache. Wie ihr alle wisst, steht die bisherige Wohnung meines lieben Arbeitskollegen Abdullah-Ibrahim zur Disposition. Wollt ihr…«

»Ja, wir wollen! Und damit ist alles geklärt. Gute Nacht!«

»Mehmet, bitte halt die Klappe! Meine liebe Frau Eminanim und meine lieben Töchter Nermin, Zeynep und Hatice, bitte lasst euch von eurem unhöflichen und aufdringlichen Sohn und Bruder nicht bevormunden. Die heute zur Debatte stehende Existenzfrage ist extrem heikel: Wollen wir wirklich in diese große, schöne und außerordentlich preisgünstige Wohnung meines Arbeitskollegen Abdullah umziehen, oder bleiben wir weiter hier in unserem gemütlichen Karnickelweg 7b?«

»Na klar, Leute, wir ziehen um! Macht euch mal keine Gedanken wegen dem blöden Adolf. Darum kümmere ich mich schon«, versucht Mehmet erneut die übrigen Familienmitglieder zu beeinflussen. »Diesen durchgeknallten Skinhääd werde ich schon umerziehen. Oder ich vertreibe ihn genauso aus dem Haus, wie er das mit Onkel Abdullah gemacht hat.«

»Das finde ich ganz toll, mein Sohn, wie du an das Thema herangehst: immer demokratisch. Also, wer ist dafür, dass wir aus dieser Wohnung ausziehen und in die größere Wohnung von Onkel Abdullah-Ibrahim einziehen? Finger hoch!«

Meine siebzehnjährige Tochter Nermin streckt wie eine Erstklässlerin energisch ihren Zeigefinger in die Höhe und kreischt:

»Ich bin dafür, ich bin dafür! Ich schreibe gerade an einer Arbeit über Rechtsradikale in Deutschland. Dann hätte ich immer einen leibhaftigen Nazi ganz in meiner Nähe, den ich ständig für alle meine Forschungszwecke benutzen und interwjuen könnte!«

»Osman, du weißt, was mein Opa, Allah hab ihn selig, immer gesagt hat, ›Finde keine gute Wohnung, sondern finde gute Nachbarn‹«, meldet meine Frau Eminanim Bedenken an.

»Na und? Gute Nachbarn haben wir weder dort noch hier«, setzt Mehmet seine Lobbyarbeit für die neue Wohnung fort.

Ich fange langsam an, mir gewaltige Sorgen um unsere junge, aufstrebende Familien-Demokratie zu machen, da die jüngeren Geschwister der rigorosen Meinungsmache dieses grauenhaften Despoten Mehmet auf Dauer sicherlich nicht gewachsen sein werden.

»Ich will eine Wohnung, in der ich meine Ruhe habe, in der ich mich sicher, wohl und zu Hause fühlen kann«, ruft Eminanim, »und ich weiß, was dieser Adolf und seine unverschämten Freunde mit der armen Familie von Abdullah angestellt haben.«

»Mutter, hör mir doch mal zu. Du musst dir keine Sorgen machen. Darum habe ich mich schon gekümmert. Ich habe mir diesen Adolf erst gestern auf offener Straße vorgeknöpft. Ich habe ihm klar und deutlich gesagt: ›Wenn du deine dämlichen Spielchen auch mit uns treibst, schlage ich dir die Birne ein!‹.«

»Mehmet, sieh dich vor, diese Nazis sind schwer kriminell«, ruft Nermin.

»Ich möchte nicht, dass du mit diesem Adolf auch nur ein Wort wechselst! Ich habe dich nicht großgezogen, damit du im Gefängnis landest!«, meldet sich wieder die besorgte Mutter zu Wort.

»Ach, wäre doch nicht schlecht«, mischt sich meine achtzehnjährige Tochter Zeynep ein, »wenn Mehmet im Knast ist, dann bekomme ich sein Zimmer und brauche mich endlich nicht mehr vor meinem Verlobten Luigi zu schämen, dass ich immer noch ein Zimmer mit meiner Schwester teilen muss!«

»Stopp, stopp«, stoppe ich sie, »noch seid ihr ja nicht verlobt! Noch hat dieser Mafioso nicht um deine Hand angehalten – zumindest nicht bei mir! Und solange kommt mir dieser Rotzlöffel nicht ins Haus; weder in das alte noch in das neue!«

»Wenn Zeynep einen Mann bekommt, dann will ich einen Hund haben«, sagt meine feministische Tochter Nermin. »Seit Jahren erlaubst du es mir nicht, weil die Wohnung angeblich zu klein ist. Aber die neue Wohnung ist ja dann endlich groß genug! Da hat nicht nur ein Hund, sondern auch noch eine Katze und ein Hamster Platz.«

»Warte, warte, nicht so schnell. Lass uns doch in der neuen Wohnung erst mal ein paar Tage selber wohnen, bevor wir sie in einen Zoo umfunktionieren.«

»Lass uns in der neuen Wohnung erst mal selber wohnen, hast du gesagt, Vater«, ruft Mehmet. »Damit ist die Sache beschlossen. Wir ziehen um. Gute Nacht allerseits!«

Kannibalen ziehen um

Nach dreizehn völlig kaotischen Tagen, wobei nicht die Zahl der Tage, sondern die Zahl meiner Kinder für das ständige Kaos verantwortlich war, ziehen wir endlich um. Und das, obwohl die Wohnung noch nicht renoviert worden ist.

Ich komme mit einem riesengroßen Umzugskarton in die neue Wohnung rein und bin völlig kaputt. Mehmet und Zeynep sitzen faul auf einem Stapel Umzugskartons und tippen wie wild auf ihren Händys rum. In der Ecke sehe ich meine Frau etwas auf einen Notizblock kritzeln. Selbst die Möbelpacker sind fleißiger als meine Familie.

»Sagt mal, bin ich der Einzige in der Familie, der hier arbeitet, oder was? Eminanim, was hast du denn ausgerechnet jetzt so Wichtiges zu schreiben?«, keuche ich wie ein halb abgestochener Kampfstier durch die Nase.

»Osman, wie ich dich kenne, wirst du gleich wie ein kleines Bäby anfangen rumzuplärren: Ich habe Hunger, ich kann nicht mehr, ich habe Hunger.«

»Seit wann schreibst du denn erst mal auf, was du kochen willst?«

»Kochen? Wieso kochen? Siehst du hier irgendwo eine Küche? Ich notiere doch nur, was ich bei Luigi bestellen muss: Zeynep will Pizza Hawaii, Nermin möchte grünen Salat mit Keimlingen. Du willst sicherlich eine doppelte Pizza mit allem drauf, was Luigi in der Restaurantküche finden kann, und Mehmet kriegt eine Pizza Kuba.«

In dem Moment kommt meine kleine Tochter Hatice mit einem leckeren, dampfenden Döner in der Hand herein. Mit der anderen Hand und den Füßen schiebt sie ein Skäitbord durch die Tür, auf dem sie ihren Computer und den Monitor transportiert.

Hocherfreut laufe ich sofort zu ihr:

»Meine Tochter, meine Retterin, mein Döner!«

Sie zeigt mir mit vollem Mund einen Vogel, rennt blitzschnell wieder raus und knallt die Tür hinter sich zu.

Ich bleibe mit offenem Mund und völlig verdattert vor der Tür stehen. Kaum habe ich mich umgedreht, kommt Hatice wieder rein und versucht mit weit aufgerissenen Augen den letzten Bissen Döner herunterzuwürgen.

»Wie die Mutter, so die Tochter«, rufe ich enttäuscht.

»Den Zwerg habt ihr zu einer richtigen Kapitalistin erzogen«, lästert Mehmet, »sie lässt sogar ihren eigenen Vater verhungern.«

»Hallo Osman, hallo Eminanim«, ruft mein guter alter Kumpel Abdullah-Ibrahim und kommt mit zwei Tabletts belegter Brötchen herein. »Weil ihr ja mit dem Umzug so beschäftigt seid, hab ich ein paar Brote für euch gemacht. Wo soll ich die hinstellen?«

Noch bevor er sie irgendwo abstellen kann, werden ihm sämtliche Brötchen aus der Hand gerissen.

»Der Einzige, auf den ich mich wirklich verlassen kann, ist mein alter Kumpel Abdullah-Ibrahim«, rufe ich, »danke, Abdullah-Ibrahim, komm her, ich muss dich abknutschen!« Er scheint aber auf meine Küsserei nicht so versessen zu sein und flüchtet sofort.

»Osman, gut, dass wir in diese Wohnung gezogen sind. Endlich mal ein ordentlich großes Wohnzimmer«, strahlt meine Frau.

»Ja, Eminanim, so groß wie ein Fußballstadion«, schaue ich mich stolz um.

»Toll, diese Ecke mit den vielen Steckdosen ist genau richtig für mich«, freut sich Mehmet.»Hier kommt meine Redaktion hin.«

»Nix da«, rufe ich sofort und schmeiße ihn, noch bevor er eingezogen ist, aus den Redaktionsräumen hinaus. »Im Wohnzimmer darfst du dich nicht breitmachen. Außerdem liest deinen Quatsch sowieso kein Schwein.«

»Das hättest du wohl gerne. Aber damit du es weißt: Hier herrscht Pressefreiheit. Schließlich leben wir in einem demokratischen Land.«

»In diesem Haus bin ich das Gesetz«, rufe ich wie ein junger John Wäyn.

»Schatz, ich habe mich wohl verhört?«, sagt meine Frau, »hier entscheide ich, das solltest du eigentlich inzwischen gelernt haben. Ich bin der Diktator!«

»Diktatorin, Mutter, das heißt Diktatorin, bitte schön«, ruft meine feministische Tochter Nermin aus dem Badezimmer.

»Wie, gibt’s so was wirklich? Oder willst du mich auf den Arm nehmen?«, fragt Eminanim.

»Für deine Tochter gibt’s das schon«, sagt Mehmet, »für sie gibt’s keinen Stuhl, sondern eine Stühlin, und keinen Computer, sondern eine Computerin. Und hübsche Frauen darf ich auch nicht auf meine Titelseite nehmen, das ist ja frauenfeindlich – hässliche erst recht!«

»Bääh, Onkel Abdullahs Brötchen schmecken scheiße. Da ist weder Pfeffer noch Salz drauf«, meckert Hatice, schnappt sich von der Fensterbank eine Dose mit schwarzem Pfeffer und streut das scharfe Zeug mit der Hand sehr großzügig auf die gesamten Brötchen.

»Osman, alle unsere Freunde und Bekannten werden vor Neid zerplatzen, wenn sie diese super Wohnung sehen«, freut sich Eminanim.

»Und die neuen Nachbarn erst! Hoffentlich merken die nicht, dass wir die teuren Leihmöbel die ganze Zeit vorne rein und zur Hintertür wieder raus tragen.«

»Osman, das war meine Idee. Du hast ja nie so geniale Einfälle.«

»Frau, was soll das denn jetzt heißen? Und was ist mit dem tollen Außenlift und den zwei zusätzlichen LKWs mit Anhänger?«

»Ach, ich weiß ganz genau, dass die Umzugsfirma selber dir dieses ›Angeber-Paket‹ vorgeschlagen hat.«

»Ja, aber ich wollte es auch haben, damit die Nachbarn nicht denken, wir gehören zur Unterschicht, nur weil wir viele türkische Kinder haben.«

»Ich glaub’s einfach nicht! Wir ziehen doch nur vom Karnickelweg 7b in den Karnickelweg 57c um. Vater, wie viel hast du denn für diesen schwachsinnigen Zirkus bezahlt?«, ruft Mehmet und schlägt seinen Kopf gegen die weiche Polsterung des neuen Sofas.

»Pass auf, das Sofa ist doch nur für den Umzug ausgeliehen. Mach es bloß nicht kaputt. Das geht heute noch zurück.«

»Mit der Kohle könnte ich sicher zwei Ausgaben meiner Zeitschrift ›Wahrheit, nichts als die Wahrheit‹ finanzieren.«

»Und ich hätte von dem Geld noch einen Computer kriegen können, um zwei Spiele gleichzeitig zu spielen«, meckert Hatice.

»Und ich hätte sie endlich bekommen, meine zwei öh eh…«, ruft Zeynep und formt vor ihrer Brust zwei Rundungen mit ihren Händen.

»Zwei Silikon-Titten, nicht wahr? Oh Gott, gibt’s denn in diesem Haus keinen einzigen vernünftigen Menschen? Ich drehe gleich durch«, schimpft Nermin.

Mit meinem Brötchen in der Hand gehe ich zum Fenster und beobachte das Treiben der Möbelpacker auf der Straße. Mit einem Außenlift werden ständig Möbel in die erste Etage hochgeschickt und über die Außentreppe hinten wieder in den Garten runtergetragen, um dann erneut von vorne über den Außenlift hochgefahren zu werden.

Eminanim ist auch sehr erfreut über diesen Anblick und stößt mich mit dem Ellbogen an:

»Osman, siehst du, wie die ganzen Nachbarn hinter ihren Gardinen stehen und unseren Hausrat voller Neid anglotzen?«

Plötzlich springt Mehmet auf, rennt auf die Straße und brüllt:

»Leute, damit ihr Bescheid wisst, diese Umzugsmöbel haben wir nur für euch ausgeliehen. Das ist alles Lug und Trug. Die Enthüllungsstory darüber könnt ihr nächsten Monat in meiner Zeitschrift ›Wahrheit, nichts als die Wahrheit‹ lesen.«

Dann springt er auf das weiße Sofa, das gerade zum vierten Mal mit dem Außenlift in die Wohnung befördert wird. Für seinen Mut bekommt er selbst von den Möbelpackern Beifall zu hören.

In dem Moment taucht Nermin mit einem Tablett Teegläser aus dem Badezimmer auf und hält mir das übel riechende Zeug stolz vor die Nase.

»Kind, was ist das denn für ein Tee? Willst du mich vergiften?«

»Hab keine Angst. Das ist was ganz Gesundes. Das ist Brennnessel- und grüner Tee, gemischt mit einer Prise Schnittlauch und Ingwer.«

»Muss jetzt auch noch der Tee zu deiner Haarfarbe passen?«, stöhne ich.

»Dieser Tee ist super! Ganz Deutschland trinkt das zurzeit.«

»Nermin, das glaubt dir aber keiner«, mischt sich Mehmet ein. »Du musst in meiner Zeitschrift eine ganzseitige Farbanzeige dafür schalten. Und das ein paar Monate lang. Anders wirst du das Volk hier nicht davon überzeugen können.«

Wütend schnappt sich Nermin das Tablett und geht wieder zurück.

»Nicht wegkippen«, ruft Eminanim, »wenn die Deutschen so was mögen, dann verfüttern wir es doch einfach an unsere netten Möbelpacker.«

»Genau, die Jungs sind so müde, die merken gar nicht, was das für ein Tee ist«, sage ich.

»Und was ist, wenn alle Männer hier vor unseren Augen abkratzen?«, fragt Mehmet.

»Das nennt man halt Berufsrisiko.«

»Wie ihr wollt. Dann trinke ich eben meinen Tee alleine«, zischt Nermin eingeschnappt.

»Wenn du schlau bist, dann gibst du vorher dein Testament bei mir als ganzseitige Anzeige auf. In dem Fall bestehe ich aber auf Barzahlung im Voraus«, schlägt ihr Bruder vor.

Die Tür geht erneut auf und mein Kumpel Abdullah-Ibrahim tritt wieder ins Zimmer:

»Hallo Fäns, ich hatte gerade eine Eingebung. Mehmet, ich habe wieder ein wundervolles Gedicht für deine Zeitung verfasst. Absolut genial!«

»Abdullah-Ibrahim, muss das denn unbedingt jetzt sein, wir haben noch so viel zu tun«, flehe ich ihn an.

»Osman, mein neues Gedicht beschreibt aber deine grandiose Karriere! Von deiner ruhmreichen Auswanderung aus unserem wunderschönen Dorf in Anatolien bis hin zu dem Einzug in diese Prachtvilla, die ich leider räumen musste. Setzt euch alle hin, so was Schönes habt ihr noch nie gehört!«

»Leute, setzt euch doch endlich hin«, rufe ich, »wann schreibt schon mal jemand ein Gedicht über mich!«

»Danke, Osman, du Stolz unseres Heimatdorfes! Mein Künstlerherz weiß dein Interesse zu schätzen. Also, hört zu:

Beim Morgengrauen machte er sich auf den Weg,

Die Wurzeln in der Hand …«

»Stopp mal, stopp mal«, ruft Eminanim, »ich war ja dabei, Osman hatte nur einen Koffer in der Hand und keine Möhren.«

»Aber Eminanim, das ist doch nur eine Metapher. Das nennt man künstlerische Freiheit. Wir Dichter dürfen das. Mit Wurzeln meine ich, dass er nur seine Vergangenheit dabeihatte und sonst gar nichts. Ich fang noch mal von vorne an. Also, hört doch mal zu:

Beim Morgengrauen machte er sich auf den Weg,

Die Wurzeln in der Hand…

Seine Berge, seine Felder, sein Weib, sein Leid,

Winkten ihm hinterher, ohne einen Funken Neid …«

»Abdullah, das stimmt nun schon wieder nicht! Osman hat kein einziges Stück Land gehabt«, protestiert meine Frau erneut.

»Das ist Tatsachenfälschung, Onkel Abdullah, das geht nicht. So darf ich dieses Gedicht nicht in meiner Zeitung veröffentlichen«, meckert auch Mehmet.

»Du Banause«, rufe ich. »Du hast doch gehört, das nennt man künstliche Freiheit. Und jetzt seid doch endlich mal alle ruhig. Abdullah-Ibrahim, mein lieber Freund, du Stern meines Dorfes, lies weiter, was du über mich so Schönes geschrieben hast.«

Abdullah steht erneut auf, macht eine große Geste, so wie jeder bedeutende Schriftsteller, der kurz vorher den Literatur-Nobelpreis gewonnen hat, und fährt fort:

»Der Zug fuhr immer weiter, immer weg …«

»Abdullah-Ibrahim, ich will dir in deine künstliche Freiheit ja nicht reinreden, aber in Wirklichkeit bin ich mit dem Ford-Transit von meinem Arbeitskollegen Hasan hierhergekommen.«

»Das ist nicht so wichtig, Osman, das weiß doch kein Schwein mehr. Aber wenn du willst, kann ich es sofort ändern. Also, jetzt pass auf:

Der Ford-Transit fuhr immer weiter, immer weg …«

Plötzlich knallt Abdullah die Haustür in den Rücken und die Möbelpacker rufen:

»Nicht im Weg herumstehen, Leute! Sonst werden wir nie fertig.«

Abdullah beobachtet mit großen Augen, wie die Möbelpacker mit einer Kommode zur Balkontür reinkommen, um sie dann über die Hintertreppe wieder in den Garten rauszutragen.

»Ich will mich ja nicht einmischen, aber ist das normal, was die da machen?«, fragt er irritiert.

»Das ist die künstlerische Freiheit der Möbelpacker«, sagt Mehmet, »Packer-Metapher nennt man so was.«

In diesem Moment stürmt unsere neue Nachbarin Frau Weißbrot vom Dachgeschoss in unser Wohnzimmer. Als die alte Dame meine Familie erblickt, bleibt sie erschrocken stehen und fängt an zu brüllen:

»Hilffeee, Hilfeee, Einbrecher, Mördeeerrrrr!«

»Aber nicht doch, gnädige Frau«, versucht Eminanim sie zu beruhigen.

»Hilfeee, Einbrecher, Mördeeerrrrr, Ausländeeerrrr!«

»Nermin, gib ihr eine volle Tasse von deinem komischen Tee«, ruft Mehmet.

»Oma Elfriede, das sind doch nur die neuen Mieter«, stellt Abdullah-Ibrahim uns vor.

»Gute Frau, wir tun Ihnen nichts. Wir wohnen ab heute nur hier«, sage ich.

»Hilfeee, Einbrecher, Ausländer, Hausbesetzer!«

»Oma Elfriede, hören Sie mir mal zu. Ich habe ein neues Gedicht geschrieben. Sie finden doch meine Gedichte immer so schön«, sagt mein Arbeitskollege sanft.

»Hey, weg da!«

Wieder knallt meinem Kumpel die Tür in den Rücken.

»Abdullah, geh doch endlich von der Tür weg.«

»Der liebe Abdullah-Ibrahim hat früher auch schöne Gedichte geschrieben«, sagt die Oma plötzlich ruhig.»Besonders die, die er über mich und meinen Alois verfasst hat, waren herrlich. Und viel früher, noch vor Abdullah-Ibrahim und seiner Familie, da habe ich mit meinem Mann Alois in dieser Wohnung gewohnt. Aber danach sind wir nach oben in die etwas kleinere Dachgeschosswohnung gezogen. Und dieses Fenster war früher der Lieblingsplatz meines verstorbenen Mannes. Hier saß er den ganzen Tag und hat die Straße beobachtet. Als die Wohnung frei wurde, habe ich ihn wieder an seinen Lieblingsplatz gestellt«, sagt sie, geht zur Fensterbank, nimmt vorsichtig die Dose mit dem schwarzen Pfeffer, den Hatice eben großzügig über die Brötchen gestreut hat, und streichelt sie liebevoll und zärtlich.

»Darf ich bekannt machen? Das hier ist mein Mann Alois Weißbrot. Als vor ein paar Wochen sein gutes Herz plötzlich aufgehört hat zu schlagen, habe ich ihn sofort einäschern lassen. Wenn Sie es mir erlauben, würde ich ihn noch eine Weile hier am Fenster verweilen lassen, damit er wie früher glücklich die Straße beobachten kann.«

Ich spüre, wie sich mein Magen zu drehen beginnt. Alle im Raum laufen grün an und geben Würgegeräusche von sich. Eine Sekunde später fängt die große Rennerei an. Nermin schaltet am schnellsten, deshalb ist das Badezimmer leider schon besetzt. Auf die Gefahr hin, das Treppenhaus zu versauen, laufe ich in den Keller und versuche mein Glück in der Waschküche. Vorher entschuldige ich mich noch bei meinem Kumpel:

»Abdullah-Ibrahim, wir haben uns alle irgendwie den Magen verdorben, aber mach dir keine Sorgen, weder deine Brötchen noch deine Gedichte sind daran schuld!«

Mord im Karnickelweg

Auf halbem Wege in die Waschküche höre ich meine Frau im Keller kreischen.

»Hiiiilfeee, Hiiiiiiiiilllfeeeeee!«, schreit sie so laut, als würde nicht sie den Opa, sondern er sie aufessen – und das bei lebendigem Leibe.

»Frau, brüll doch nicht das ganze Haus zusammen«, rufe ich unten angekommen, »du bist nicht die Einzige, die Herrn Weißbrot mit viel Käse runtergeschlungen hat.«

»Osman, ich… ich… ich bin eine Mörderin!!«

»Eminanim, übertreib doch nicht so! Der Mann war schon tot«, rufe ich in die Plastiktüte vor meinem Mund und laufe auch in die Waschküche rein.

»Ich bin eine Mörderiiiinn!«

»Ich würde sagen, du bist eine Kannibalin, so wie wir alle.«

»Da, da, da«, stottert meine Frau und zeigt mit riesengroßen Augen auf einen regungslosen Körper, der auf dem Kellerboden liegt. »Ich habe ihn umgebracht! Mein Gott, ich habe diesen armen Adolf umgebracht!«

»Wie hast du das denn so schnell geschafft?«, frage ich genauso schockiert.

»Die Kellertür ging nicht auf! Ich habe gerüttelt und gerüttelt! Dann habe ich ihr einen Tritt gegeben und es hat gekracht. Ich habe ihm die schwere Stahltür an den Kopf gehauen! Der ist bestimmt tot!«

»Du hast recht! Der sieht wirklich tot aus.«

»Sage ich doch! Ich bin eine Mörderin! Aber ich wollte das ganz bestimmt nicht! Die Tür hat geklemmt! Da habe ich mich mit voller Kraft dagegengeworfen. Und der arme Mann hat wohl dahinter gestanden!«

»Kann sein, Eminanim, aber daran ist er nicht gestorben. In seinem Schädel stecken drei Kugeln! Kein Mensch kann mit drei Kugeln im Kopf lange hinter einer Kellertür stehen!«

»Das fängt ja gut an, es sieht so aus, als hätte die neue Wohnung uns gute Nachbarn beschert. Den einen haben wir gerade gemütlich vernascht, und der zweite liegt gleich neben der Tiefkühltruhe. Ich glaube, hier werden wir so schnell nicht verhungern«, sagt Mehmet, der den Schock scheinbar am schnellsten überwunden und seine normale Gesichtsfarbe zurückgewonnen hat.

»Mehmet, ich will schwer hoffen, dass das Notwehr war!«, zische ich.

»Was soll das denn heißen, Vater? Ich hab damit nichts zu tun. Ich sehe ihn hier, mit den drei Löchern im Kopf, zum ersten Mal, genauso wie ihr.«

»Osman, was macht dich so sicher, dass ich den Mann nicht mit der Tür erschlagen habe?«, fragt meine Frau, immer noch am ganzen Körper zitternd.

»Ganz einfach, schau dir doch diese drei großen Löcher in seinem Kopf an.«

»Nein, das will ich nicht sehen! Mir ist so schlecht!«

»Außerdem sieht es so aus, als wenn bei ihm auch noch mehrere Knochen gebrochen wären.«

»Also bin ich’s doch gewesen!«, fängt Eminanim erneut an zu jammern. »Ich habe genau gehört, wie alle seine Knochen zersplittert sind.«

»Der hat aber davon nichts mehr gehört, mach dir mal keine Gedanken. Die Toten merken nicht mal, wenn man sie mit Brötchen und Käse verspeist.«

»Ööööööhhh!!«, Eminanim kriegt schon wieder einen Würganfall.

»Bitte, geh nach oben, bevor die anderen auch hierherkommen. Und erzähl bloß nicht, dass wir eine Leiche im Keller haben!«

Eminanim lässt sich das nicht zweimal sagen und flüchtet schluchzend aus der Waschküche.

Da ich noch nicht so geübt darin bin, die genaue Todeszeit bei Leichen zu diagnostizieren, frage ich Mehmet ganz pauschal mit einem treuherzigen Augenaufschlag wie Colambo:

»Wo waren Sie von letzte Woche Donnerstag bis jetzt?«

»Vater, geht’s dir noch gut? Ich bin’s nicht gewesen! Eine Leiche im eigenen Keller verstecken, sag mal, für wie blöd hältst du mich eigentlich?«

»Wo verstecken Sie denn sonst Ihre Leichen?«, dränge ich ihn mit meinen raffinierten Fragen in die Ecke.

»Warum siezen wir uns eigentlich plötzlich? Du bist nicht Colambo, auch wenn dein Gesicht wie sein ungebügelter Mantel aussieht.«

»Du bist hochgradig verdächtig, Mehmet. Schließlich hast du dem Mann in der letzten Zeit auf der Straße mehrfach vor allen Leuten gedroht, dass du ihn kaltmachen willst.«

»Mensch, Vater, das ist doch nur so ’n Spruch. Das habe ich in meinem Leben schon mindestens hundert Leuten gesagt, aber nur der eine liegt hier. Außerdem war ich, wie du weißt, gerade eine Woche lang bei meiner Freundin. Unsere beiden Wohnungen sind ja völlig unbewohnbar.«

»Ich nehme dein Alibi erst mal zur Kenntnis. Obwohl ich mir sicher bin, dass deine Freundin dich zwischendurch öfters rausgeschmissen hat. Kein Mensch kann dich eine Woche lang ununterbrochen ertragen. Aber was machen wir jetzt mit ihm hier?«

»Die Polizei anrufen, was denn sonst?«

»Bist du wahnsinnig? Die würden dich auf der Stelle verhaften. Und als Zugabe mich gleich noch dazu.«

»Wieso sollen sie mich denn verhaften?«

»Halloooo, Mehmet, tickst du nicht mehr richtig? Du warst doch derjenige, der überall rumgetönt hat, du wirst ihn kaltmachen. Und jetzt liegt er ziemlich kalt in unserem Keller!«

Da kommt Eminanim wieder völlig außer sich in den Keller gerannt.

»Die Mädchen da oben sind immer noch mit ihrer Kotzerei beschäftigt. Zum Glück hat Oma Elfriede überhaupt nicht gemerkt, dass wir die Hälfte von ihrem Mann vernascht haben. Nermin hat gleich schwarzen Pfeffer nachgefüllt. Aber was passiert jetzt mit ihm?«

»Gar nichts, ich habe ihn schon verdaut«, sage ich.

»Nein, ich meine, mit dem Kerl hier im Keller. Wir müssen die Polizei rufen.«

»Nein, wir können das unmöglich der Polizei melden. Die stecken Mehmet sofort für zwanzig Jahre in den Knast! Warten wir ein paar Tage ab, vielleicht bekommt der Mörder ja ein schlechtes Gewissen und stellt sich selbst. Ansonsten können wir die Leiche ja immer noch irgendwie verschwinden lassen.«

»Wenn wir schon dabei sind, lasst ihn uns auch aufessen. Viel schlimmer als Opa Weißbrot kann der doch nicht schmecken«, sagt Mehmet.

»Kommt, wir stecken ihn in die Tiefkühltruhe. Wir können die Leiche ja nicht hier rumliegen lassen«, rufe ich.

»Osman, du kannst mir doch keine Leiche in die Tiefkühltruhe legen, das ist doch ekelhaft«, sagt Eminanim.

»Hast recht, am besten, wir verstauen ihn zuerst in einer anständigen Plastiktüte, dann kann er nichts einsauen.«

»Und bekommt auch keinen Gefrierbrand«, gibt Mehmet wieder einen seiner überflüssigen Kommentare ab.

Eminanim kommt mit einer Plastikplane an, die ich für die Malerarbeiten gekauft habe. Mehmet und ich rollen die Leiche ordentlich ein und stecken sie in die Tiefkühltruhe. Und die beiden Hammelköpfe packen wir als Tarnung obendrauf.

Mit angewidertem Gesicht und Tränen in den Augen wischt Eminanim die Spuren vom Fußboden weg.

»So, jetzt können wir nach oben gehen. Aber lasst euch ja nichts anmerken«, sage ich, während ich das Licht im Keller ausmache und die Treppen erklimme.

»Oh, es hört sich so an, als wären die Möbelpacker mit ihrer Arbeit schon fertig«, wundert sich Mehmet auf dem Flur.

»Ich habe denen vorhin gesagt, die können mit der Schow aufhören und nach Hause gehen. Und Abdullah-Ibrahim ist zum Glück auch schon weg«, sagt Eminanim.

»Da seid ihr ja endlich! Keine Angst, Frau Weißbrot ist schon gegangen«, empfängt uns Zeynep oben.

»Wer zum Teufel ist das denn jetzt?«, flippe ich aus.

Nun ja, so bin ich halt. Wenn ich Stress habe, reagiere ich leicht reizbar. In der letzten Zeit hatte ich auch relativ selten Leichen im Keller. Ich vermute, dass meine Reizbarkeit ein bisschen damit zusammenhängt.

»Mensch, Papa, Frau Weißbrot ist doch die ältere Dame von oben, deren Alten wir vorhin runtergeschlungen haben. Ein bisschen blöd hat sie schon geguckt. Ich glaube, sie hat geahnt, dass ihr Alois etwas abgenommen hat. Ich hab ihr gesagt, dass es bei älteren Menschen häufiger vorkommt, dass der Knochenschwund erst nach dem Tod einsetzt«, ruft Nermin aus dem Badezimmer.

»Hauptsache, die Leiche ist weg«, sage ich.

»Osman, so wie es aussieht, wirst du als Erster den Mord ausplaudern«, zischt mir meine Frau vorwurfsvoll ins Ohr.

»Ich wollte nur die Reaktionen von Zeynep und Nermin testen, wenn sie das Wort ›Leiche‹ hören«, flüstere ich oberschlau zurück.

»Du spinnst ja wohl!«, schimpft sie und zerrt mich ins Schlafzimmer oder vielmehr in den Raum, der mal unser Schlafzimmer werden soll.

»Osman, wie kannst du nur so was denken? Unsere Töchter haben mit dem Mord nichts zu tun, hast du verstanden!«

»Frau, mit Mördern kenne ich mich ganz gut aus – ich habe genügend Krimis gesehen! Eins ist doch klar: Am Ende ist immer derjenige der Mörder, bei dem man es am allerwenigsten vermutet. Was meinst du wohl, warum ich vorhin im Keller Mehmet sein Alibi einigermaßen abgenommen habe? Denkst du, weil er gesagt hat, dass er den Mann nicht umgebracht hat? Nein, ganz im Gegenteil, eigentlich weil er wie der leibhaftige Mörder aussieht. Zum Schluss, am Ende des Films, sind die wahren Mörder immer diejenigen, die völlig harmlos aussehen – so wie deine Töchter.«

»Halloo, Osman, komm zu dir! Wir sind hier nicht im Fernsehen. Das ist nicht ›Derrick‹, was hier abläuft. Wir haben im Keller eine richtige, echte Leiche! Ich werde noch verrückt!«

»Ich auch, Eminanim, hoffentlich ist das alles nur ein böser Traum. Kneif mich mal… Auaaa, bist du bescheuert! Schau dir das an, das wird ein riesengroßer blauer Fleck. Die Polizei wird denken, dass ich mich vorher mit Adolf geprügelt habe.«

»Ach, Osman, zum Schluss bleibt es sowieso an mir hängen.«

»Also, Eminanim, wenn überhaupt, dann bist du bestenfalls Mörderin dritten Grades. Vorher haben ihn ein paar Leute in die Zange genommen und ihm jeden zweiten Knochen gebrochen. Und dann hat ein anderer ihm drei Kugeln in den Kopf geschossen. Von mir aus hast du ihn zum Schluss noch mit der Kellertür erschlagen. Aber das ist unwichtig, weil du es ja nicht absichtlich getan hast und dieser Adolf schon längst tot war. Verstehst du, was ich sagen will? Das Einzige, was sie dir vorwerfen können, ist: fahrlässiges Erschlagen einer toten Leiche im Affekt. Vermutlich nicht mal das. Denn in keinem meiner Krimis habe ich jemals von so einer Straftat gehört. Weder bei ›Colambo‹ noch bei ›Derrick‹, noch im ›Tatort‹. Du kommst also als Mörderin noch weniger in Frage als deine Töchter.«

»Danke, dann kann ich ja gleich meine Sachen packen und für immer in den Knast wandern.«

»Wieso das denn?«

»Du hast doch gerade gesagt, dass zum Schluss immer derjenige der Mörder ist, von dem man es am wenigsten erwartet.«

»Also gut, Frau Engin, wo waren Sie von Donnerstag bis jetzt?«

»Osman, nerv mich nicht! Du weißt genau, wo ich war, du Idiot!«

»Sie können gehen, Frau Engin, Sie haben ein hieb- und stichfestes Alibi, was man von Ihrem Sohn nicht unbedingt behaupten kann.«

»Genau, Mehmet ist sehr tatverdächtig. Und deshalb kann er nicht der Mörder sein. Hast du eben auch gesagt.«

»Da bin ich mir mittlerweile nicht mehr ganz so sicher. Wir gucken uns ja keinen Krimi an, sondern wir stecken mittendrin.«