Totenfluch (Kemet 1) - Jenny Wood - E-Book
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Totenfluch (Kemet 1) E-Book

Jenny Wood

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Beschreibung

Die Ewigkeit kann lang sein, wenn man nicht mehr angebetet wird. Als vergessener, ägyptischer Totengott hat Mafed kein Problem mit dem Sterben. Gut, dass er seine verbliebenen Fähigkeiten als Rechtsmediziner beim NYPD einsetzen kann. Nur Detective Ian Barnell kennt sein Geheimnis. Im Metropolitan Museum of Arts wird ein Sicherheitsbeamter ermordet – ausgerechnet in der ägyptischen Abteilung. Handelt es sich dabei um einen missglückten Raub oder steckt mehr dahinter? Als dann auch noch eine alte Freundin von Mafed auftaucht, gerät seine Welt ins Wanken, und plötzlich muss er sich einer Vergangenheit stellen, mit der er glaubte, längst abgeschlossen zu haben.

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Seitenzahl: 528

Veröffentlichungsjahr: 2025

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JENNY WOOD

TOTENFLUCH

EIN FALL FÜR MAFED UND BARNELL

 

Über das Buch

Die Ewigkeit kann lang sein, wenn man nicht mehr angebetet wird.

Als vergessener ägyptischer Totengott hat Mafed kein Problem mit dem Sterben. Gut, dass er seine verbliebenen Fähigkeiten als Rechts-mediziner beim NYPD einsetzen kann. Nur Detective Ian Barnell kennt sein Geheimnis.

Im Metropolitan Museum of Arts wird ein Sicherheitsbeamter er-mordet – ausgerechnet in der ägyptischen Abteilung. Handelt es sich dabei um einen missglückten Raub oder steckt mehr dahinter? Als dann auch noch eine alte Freundin von Mafed auftaucht, gerät seine Welt ins Wanken, und plötzlich muss er sich einer Vergangenheit stellen, mit der er glaubte, längst abgeschlossen zu haben.

 

 

Über die Autorin

Jenny Wood lebt – seit sie 1985 geboren wurde – im schönen Ruhrgebiet. Ihr Heim teilt sie mit einem verrückten Schlagzeuger und jeder Menge Büchern. Seit sie ein Teenager war, schlägt ihr Herz für Fantasy-Literatur. Da nie ein Brief aus Hogwarts kam und Drachentöter auch nicht mehr gebraucht werden, entschied sie sich nach einer längeren Findungsphase für den öffentlichen Dienst. Die Arbeit mit Menschen bereitet ihr große Freude, und die Literatur ist der perfekte Ausgleich zur harten Realität.

Die Erstausgabe dieses Romans erschien 2022 im Art Skript Phantastik Verlag.

 

© 2022: Jenny Wood

© Verlagsrechte 2025:

Second Chances Verlag, Inh. Jeannette Bauroth

Hammergasse 7–9, 98587 Steinbach-Hallenberg

 

Bei Fragen zur Produktsicherheit wenden Sie sich an

[email protected]

 

Alle Rechte, einschließlich des Rechts zur vollständigen oder auszugsweisen Wiedergabe in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Alle handelnden Personen sind frei erfunden, Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

 

Die Nutzung des Inhalts für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG ist ausdrücklich verboten.

Umschlaggestaltung: Grit Richter

Lektorat & Korrektorat: Melanie Vogltanz

Layout: Judith Zimmer

 

ISBN Taschenbuch: 978-3-98906-078-4

ISBN E-Book: 978-3-98906-077-7

Auch als Hörbuch erhältlich!

 

www.second-chances-verlag.de

Inhaltsverzeichnis

Titel

Über die Autorin

Impressum

Content Notes

Widmung

Zitat

Kapitel 1: Von Mumien und anderen Leichen

1

2

3

4

Kapitel 2: Ein Stück Vergangenheit

1

2

3

4

Kapitel 3: Ruhe bewahren und Tee trinken

1

2

3

4

5

Kapitel 4: Nackte Tatsachen

1

2

3

4

5

6

Kapitel 5: Geld stinkt nicht

1

2

3

4

5

6

Kapitel 6: Pasta, Erinnerungen und ein Verbrechen

1

2

3

4

5

6

Kapitel 7: Zukunftspläne

1

2

3

4

5

6

7

Kapitel 8: Erschütterung

1

2

3

Kapitel 9: Keine Lügen mehr

1

2

3

4

5

Kapitel 10: Erinnerungen hinter Türen

1

2

3

4

Kapitel 11: Silberne Klingen und goldene Äpfel

1

2

3

4

Kapitel 12: Was das Herz begehrt

1

2

3

4

Danksagung

Glossar

Content Notes

 

Die historischen Fakten und Persönlichkeiten in diesem Roman wurden im Sinne der Handlung freier ausgelegt. Ebenfalls erhebt der Roman nicht den Anspruch darauf, in allen historischen oder wissenschaftlichen Aspekten und der Darstellung des amerikanischen Justizsystems korrekt zu sein.

 

Dieses Buch enthält:

die explizite Darstellung von Mord, Leichen, Blut sowie der Leichenschau

physische und psychische Gewalt gegen Erwachsene, Waffengewalt (Dolch, Schwertkampf)

Body Horror (Verwandlung)

Einbruch

Erwähnung von Stalking

Freiheitsberaubung und Geiselnahme

Beleidigungen und Flüche, homofeindliche Slurs

expliziten einverständlichen Sex sowie erotische Szenen

Erwähnung von Inzest

Zwangsouting und Homofeindlichkeit, Othering

Unfruchtbarkeit

Drogenmissbrauch und Einsatz von Medikamenten und Spritzen

Vergiftung

Alkohol und Tabak

Essen

Erbrechen, körperliches Unwohlsein und Verletzungen

Darstellung einer Panikattacke

Ertrinken

Tod, Verlust und Trauer, Tod einer wichtigen Figur

 

Bitte achte beim Lesen auf dich und dein Wohlbefinden.

 

 

Ein Glossar befindet sich am Ende des Romans.

 

 

Für Katharina Fiona Bode, die Evelyn Carnahan unter den Bibliothekarinnen, weil sie mir Mafed und Barnell geschenkt hat.Auch wenn es erst Liebe auf den zweiten Blick war.

 

 

 

»Einer lebt, wenn sein Name genannt wird.«

 

 

Altes ägyptisches Sprichwort

K. Jansen-Winkel, Sentenzen und Maximen

Kapitel 1: Von Mumien und anderen Leichen

1

 

ÄGYPTEN, 1477 vor Christus

 

Der Geruch von heißem Sand mischte sich mit dem Duft von Lotus und Feigen. Mafed spürte die Hitze unter seinen Pfoten, als er im Schutz einiger Palmen zum Palast lief. Die grellen Strahlen der Mittagssonne wurden vom hellen Stein der Gebäude reflektiert und brannten in seinen Augen. Re schenkte seine ganze Aufmerksamkeit an diesen Tagen dem Palast und denen, die darin wohnten.

Zu gerne hätte Mafed sich unter einem der Bäume zusammengerollt und die Wärme auf seinem Fell genossen. Am Brunnen gab es einen idealen Platz geschützt durch Akazien, von dem aus man perfekt das Treiben im Palast beobachten konnte. Und an einem Tag wie heute gab es genug zu sehen.

Mafed.

Die Stimme drang schneidend wie eine scharfe Klinge durch den Verstand des Katers. Augenblicklich erstarrte er und seine Nackenhaare stellten sich alarmiert auf. Die Präsenz anderer Götter lag wie ein schweres Brummen über der Königsstadt. Die Anwesenheit so vieler Unsterblicher hatte es Mafed unmöglich gemacht, zu bemerken, wie sich eine von ihnen angeschlichen hatte.

Nephthys, schnurrte er, als er die Scham, erwischt worden zu sein, überwunden hatte, und setzte sich geduldig auf seine Hinterläufe.

Die Göttin manifestierte sich aus den Schatten der Palastmauern und blickte mit einem milden Lächeln auf Mafed hinab. Dabei erreichte die Freundlichkeit jedoch nicht ihre Augen. Ihre weißen Gewänder blendeten im grellen Licht der Sonne.

»Was führt dich hierher, Kater? Ist einer der Diener tot umgefallen?« In jedem Wort schwang pure Gehässigkeit.

Da Nephthys selbst eine Totengöttin war, kannte sie die Antwort und Mafed zog es vor, nicht auf die Frage einzugehen. Die Feierlichkeiten zur Krönung locken die Unsterblichen an, erklärte er stattdessen und ließ seinen Schwanz durch den Staub peitschen. Der ganze Palast brummt wie ein Hornissennest vor Energie.

Nephthys warf ihre nachtschwarzen Zöpfe zurück, sodass die eingeflochtenen Perlen leise klimperten. Mit einem abschätzigen Laut ging sie in die Hocke. Selbst in dieser Position überragte sie Mafed. Unter dem strengen Blick ihrer dunklen Augen fühlte er sich schwach und unbedeutend. Diese Wirkung hatte sie immer schon auf ihn gehabt.

In der Hierarchie der Götter stand Mafed weit unter ihr. Als Herrin über das Totenreich zählte sie zu den Hohen Gottheiten, während er nur ein kleiner Seelensammler war. Das Volk baute ihr Tempel, opferte ihr edlen Wein, der ihr Blut verkörpern sollte, und Weihrauch aus fernen Ländern. Mafed stand in ihren Diensten und war es gewohnt, ihre Entscheidungen nicht zu hinterfragen. Ohne es zu wollen, duckte er sich und legte die Ohren an. Was nun folgte, würde gewiss nicht angenehm werden.

»Das erklärt aber nicht, wieso du hier bist, Kater.« Streng runzelte sie die Stirn und faltete die Hände im Schoß. Sie strahlte weiterhin Ruhe aus, aber auch Überlegenheit und Dominanz.

Aus demselben Grund wie die anderen, wich Mafed aus. Um der Königin die Aufwartung zu machen.

»Aufwartung … So.«

Sie wusste es. Die Erkenntnis traf Mafed wie ein Schlag. Mit gesenktem Blick legte er sich in den Sand. Zwar war es den Göttern nicht verboten, sich fleischlichen Gelüsten hinzugeben, doch Mafed ging zu weit.

Prüfend lehnte Nephthys sich vor. In ihren Augen brannte das Feuer der Sonne, als wollte es Mafed das Fell versengen. »Hatschepsut wird die Herrscherin des Unteren und Oberen Königreichs. Es ist der Neunheit vorbehalten, sich um sie zu kümmern. Amun selbst wird seiner Tochter zur Seite stehen. Deine Dienste, kleiner Totengott, werden hier nicht benötigt.«

Und wenn es der Wille der Königin ist?, begehrte Mafed in einem Anflug von törichtem Mut auf.

Ein gutturaler Laut drang aus Nephthys’ Kehle. Für einen Lidschlag verzog sich ihr ebenmäßiges Gesicht zu einer zornigen Fratze.

Mafed wich fauchend zurück. Auf eine direkte Auseinandersetzung mit der Totengöttin wollte er es nicht ankommen lassen. Er wusste, dabei würde er den Kürzeren ziehen.

Doch so schnell der Zorn über die Göttin hereingebrochen war, so schnell verflog er wieder. »Ich sage es dir nur einmal im Guten, Kater«, erklärte sie und erhob sich. »Amun wird nicht so nachsichtig mit dir sein, wenn du weiterhin seine Tochter befleckst.« Sie wandte sich zum Gehen, doch Mafed sprang einen Satz vor und hielt sie zurück.

Kann ich mich von ihr verabschieden?

Seufzend hielt Nephthys inne und blickte zu dem Götterwesen hinab. »Sobald die Erste der Damen ihren Thronnamen erhalten hat, hältst du dich fern von ihr.« Damit war die Diskussion beendet und Nephthys verschwand in den Schatten der Palastmauer.

Unruhig trat Mafed von einer Pfote auf die andere. Ein leiser Zweifel hielt ihn zurück. Sollte er es wagen oder der Königin einfach den Rücken kehren und nie wiederkommen? Er war ihr längst zu nichts mehr verpflichtet und wenn Amun ihn erwischte, würde er nicht zögern, ihm das Fell vom Leib zu schneiden. Doch nach all den Jahren, den Besuchen, Gesprächen und Berührungen waren sie mehr als nur ein Gott und eine Sterbliche. Nein, er konnte sie nicht einfach so zurücklassen.

Ich muss mich beeilen, rief sich Mafed zur Konzentration und eilte mit langen Sätzen auf eine hochgewachsene Palme zu. Seine Krallen bohrten sich tief in die raue Rinde. Es fiel ihm leicht, an dem Baum emporzuklettern. Von dort gelangte er mit einem Satz auf den Balkon der königlichen Gemächer.

Angenehme Kühle begrüßte Mafed, als er das Gemäuer betrat und dem unbarmherzigen Blick Res entkam. In den weichen Vorhängen schwebte der Geruch von Weihrauch und kostbaren Salben aus dem fernen Punt – Düfte, die den Göttern vorbehalten waren. Seit Tagen gingen sie im Palast ein und aus, um der zukünftigen Königin des Oberen und Unteren Ägyptens ihren Segen zu erteilen, ergötzten sich an den Opfergaben ihnen zu Ehren und planten eine blühende Zukunft für das Reich. Ehren und Pläne, die Mafed nicht zuteilwurden.

Fauchend zwang er seinem Leib die menschliche Gestalt auf. Das silberne Fell zog sich zurück, wich brauner Haut und schulterlangem, schwarzem Haar. Er trug nur einen Schurz aus schlichtem Leinen und kunstvolle, goldene Reife um die Oberarme. Wie als Kater war auch sein menschlicher Körper schlank und sehnig. Seine Muskeln malten sich deutlich unter der Haut ab. Filigrane hieratische Schriftzüge aus schwarzer Tinte zierten seinen Rücken. Sie beschrieben die Zauberformel, die es ihm erlaubte, zwischen den Welten zu wandeln und den Nebel der Übergangswelt zu kontrollieren. Einzig seine goldenen Augen blieben von seiner wahren Gestalt.

»Ich habe auf dich gewartet, Mafed, der Kater, der die Wege in die Duat erschließt.« Die warme Stimme entfachte ein Kribbeln in Mafeds Bauch und entlockte ihm ein wohliges Schnurren.

Eine zarte Hand schob die Tücher des Baldachins beiseite und gab den Blick auf die Tochter des Gottes Amun frei. In einer fließenden Bewegung erhob sie sich von der gepolsterten Liege und trat die wenigen Stufen zu ihrem Gast hinab.

Ehrfürchtig neigte Mafed den Blick. Obwohl er ein Gott, ein ewiges Wesen war und nur der Neunheit von Heliopolis Rede und Antwort stehen musste, strahlte die Frau vor ihm so viel Macht und Würde aus, dass er sich zusammennehmen musste, nicht auf die Knie zu sinken.

»Hatschepsut, die Erste der Damen, die Amun umarmt, Reich an Ka-Kräften, meine Königin.«

»Genug der Etikette, Totengott«, raunte die Angesprochene. Das unterschwellige Lächeln in ihren Worten ließ auch Mafed schmunzeln.

»Die Gesetze des Throns und der Götter müssen geehrt werden«, erwiderte Mafed mit einer Spur Ironie.

Hatschepsut blieb lachend vor ihm stehen, legte ihm die Hand unters Kinn und zwang den Gott, sie anzusehen. »Du hast mich auf die Laken geworfen und genommen wie ein Tier. Ich finde, du hast mich genug geehrt.«

Mafed zog die Augenbrauen hoch und verschwieg, dass der eine oder andere Priester das vielleicht anders sehen würde. Was sie taten, würden sowohl Götter als auch Sterbliche als anstößig empfinden.

Ausweichend griff er nach der Hand der Herrscherin und küsste ihre Innenfläche. Ihre Miene wurde zärtlich, nachdenklich. Für einen Atemzug verschwand ihr Rang und vor ihm stand eine Frau, die es liebte, in seinen Armen einzuschlafen.

»Ich fürchtete, du kämst nicht mehr«, flüsterte Hatschepsut und überbrückte den letzten Abstand zwischen ihr und Mafed.

Schützend schlang der Gott die Arme um sie und drückte sie an sich. »Die Neunheit ist über den Palast hergefallen wie ein Schwarm Heuschrecken. Es fällt mir schwer, zu dir zu gelangen, ohne gesehen zu werden. Der neugierige Thot hat seine Augen überall.«

»Warum sollten sie dich daran hindern? Selbst gehen sie hier ein und aus wie meine Dienerinnen.«

Mafed schwieg und vergrub sein Gesicht in Hatschepsuts schwarzem Haar. Ihr Duft nach Mandeln und Honig hüllte sie ein. Er wollte nicht an das Gespräch mit Nephthys denken und noch weniger wollte er Hatschepsut davon erzählen.

Obwohl göttliches Blut durch ihre Adern floss und sie die Herrscherin eines unbezwingbaren Landes war, blieb sie am Ende eine Sterbliche mit all ihren Sorgen, Ängsten und Träumen. Ihr Mann war ihr viel zu früh genommen worden, Thutmosis’ Sohn zu jung, um zu herrschen, und sie war nur eine Frau in den Augen vieler. Doch mit ihrem Willen, Stolz und etwas göttlicher Hilfe gelang Hatschepsut das Unmögliche: Am nächsten Morgen würden die Hohen Priester sie als Frau zur Königin des ewigen Reiches ernennen. Eine Tatsache, die selbst Hatschepsut tief verunsicherte. Mafed wollte sie bestärken und ihr nicht noch mehr Angst einjagen. Sie würde ihren Weg gehen und dabei erfolgreich sein – auch ohne ihn, dessen war er sich sicher.

»Sie segnen dich und deine Herrschaft«, antwortete Mafed ausweichend. »Sie werden immer dafür Sorge tragen, dass es dir an nichts mangelt.« Um seine Worte zu untermalen, küsste er sie auf die Stirn.

»Ich bin die Herrscherin vom Nil. Wenn ich etwas will, dann nehme ich es mir. Dazu brauche ich nicht den Segen der Götter«, flüsterte Hatschepsut gegen seine Brust.

»Auch der Einfluss einer Königin hat Grenzen.« Ein leises Lachen begleitete seine Worte, während er ihr liebevoll über den Rücken strich.

»Bisher bekam ich immer, was ich begehrte.« Ihr Raunen wurde verführerisch.

»So?«, hakte Mafed lauernd nach. Selbst ihm entging das Schnurren in seiner Stimme nicht.

Hatschepsuts Hand wanderte seinen Rücken entlang und strich über den Rippenbogen. Wo ihre Finger seine Haut berührten, hinterließen sie eine Gänsehaut. Sie tastete sich weiter, fuhr über seine Brust, den Bauch hinab bis in seinen Schritt.

Erregt stöhnte Mafed auf, als ihre Hand unter den Schurz glitt und sich um seine Mitte schloss.

»Immer«, hauchte Hatschepsut gegen die Lippen des Gottes und begann, ihn zu massieren. Sein Körper reagierte sofort auf die Berührung. Ihre Schönheit, ihr Verstand, ihr Lachen – alles an ihr war begehrenswert. Er wollte diese Sterbliche so sehr, und selbst die Neunheit konnte ihn nicht davon abhalten. Sollte Amun ihn doch niederstrecken. Wenn er in Hatschepsuts Armen starb, war es das wert.

Mafed zog die Königin an sich, presste seine Lippen auf ihre und küsste die letzten Zweifel fort. Vorsichtig hob er Hatschepsut hoch und trug sie zurück zu ihrem Bett. Durch den Baldachin vor neugierigen Blicken geschützt, sanken sie in die Laken. Der Duft von wilden Blumen umgab sie und entführte sie, weg vom Palast – an einen weit entfernten Ort, wo es nur sie zwei gab.

Geschickt löste Mafed ihren goldenen Gürtel und schob die zarten Tücher beiseite, die sie verhüllten. Bei ihrem Anblick drang ein wohliges Knurren aus seiner Kehle. Ihre schwarze Haut hob sich deutlich von den hellen Tüchern ab. Ihr Haar floss wie Pech über die Kissen. Katzenhaft räkelte Hatschepsut sich unter dem Blick des Gottes und spreizte einladend ihre Beine.

Mafed beugte sich vor und malte mit dem Zeigefinger die Konturen ihres Körpers nach. Dieses Mal war er es, der die Gänsehaut auf ihrem Hals, ihrer Brust und dem Bauch hinterließ. Er sank tiefer, bedeckte ihren Nabel mit Küssen und tastete sich hinauf bis zu ihrer Brust. Hatschepsut keuchte auf, als er ihr leicht in die Brustwarze biss.

Fordernd nestelten ihre Hände an seinem Schurz und streiften ihn ab. Sie drängte ihre Hüfte gierig an ihn, doch Mafed gefiel es zu sehr, wie sie sich nach ihm verzehrte. Er war ein Gott und er wollte, dass sie ihn anflehte. Mit einem Lächeln wanderten seine Lippen zu ihrem Hals hinauf. Immer wieder grub er seine Zähne in die dünne Haut.

Unter ihm erbebte Hatschepsut. Sie drückte den Rücken durch, um sich enger an ihn zu pressen. Ein Raunen entwich ihrer Kehle, als seine Finger über ihre Scham streichelten. Langsam glitt er mit einer Fingerspitze in sie. Ihr Stöhnen unterdrückte er mit einem leidenschaftlichen Kuss. Hatschepsut keuchte ihre Lust gegen seine Lippen. Als sie kurz davor war, dass die Ekstase sie zerriss, entzog sich Mafed ihr.

Die Königin gab einen protestierenden Laut von sich, was Mafed ein leises Lachen entlockte.

»Macht es dir Freude, mich zu quälen, Kater?« Herrisch grub sie ihre Hände in sein Haar und zog ihn zu sich hinab, bis ihre Nasen sich berührten.

»Du wirkst nicht besonders gequält«, gestand Mafed. »Auch eine Königin muss lernen, dass sie nicht alles haben kann.«

Herausfordernd funkelte Hatschepsut ihren Liebhaber an. »Sicher?« Mit aller Kraft stemmte sie ihre Hände gegen Mafeds Schultern, schob ihn von sich und warf ihn mit einem Ruck auf den Rücken. Keinen Wimpernschlag später war sie über ihm und schwang sich rittlings auf seinen Schoß. Mit den Händen drückte sie ihn weiter in die Laken. Ihr Haar fiel auf ihn hinab, kitzelte ihn im Gesicht und an der Brust.

Lasziv bewegte Hatschepsut ihre Hüften. Nun war es an dem Gott, leise aufzustöhnen. Immer wieder gelang es dieser Frau, ihn um den Verstand zu bringen. Er war ihr verfallen und sie wusste es. Ergeben schloss er die Augen, als sie ihn schließlich in sich eindringen ließ.

Hatschepsut setzte sich auf, schien das Gefühl zu genießen, wie er sie ausfüllte. Langsam begann sie, sich zu bewegen. Mafed legte die Hände an ihre Hüften, doch er wagte es nicht, sie zu dirigieren. Nun war die Zeit, in der die Königin das Sagen hatte.

Aus halbgeschlossenen Augen schaute sie auf ihn hinab. Sie schien sich an seinen Blicken zu weiden. Verführerisch streichelte sie sich selbst, knetete ihre Brüste und legte eine Hand in ihren Schritt. Im Takt zu ihren Bewegungen berührte sie ihre Mitte. Der Anblick brachte Mafed um den Verstand. Sie reizte ihn, verwöhnte sich vor seinen Augen und er ließ es geschehen.

Sein Atem ging stoßweise. Zu ihrem lautlosen Takt presste er seine Hüfte gegen ihre und grub seine scharfen Fingernägel in ihre Schenkel.

Hatschepsut warf den Kopf in den Nacken und schrie in einer Mischung aus Erregung und Schmerz auf. Die Lust spülte sie fort. Mafed spürte, wie sich ihre Mitte um ihn zusammenzog. Mit einem Ruck setzte er sich auf, umschlang die Königin mit den Armen und stöhnte gegen ihre Halsbeuge, als er sich in sie ergoss.

Schwer atmend verweilten sie in dieser Position. Mafed vergrub sein Gesicht zwischen ihren Brüsten. Hatschepsut strich über seinen Rücken und küsste seinen Scheitel.

»Immer«, flüsterte sie und er konnte ihr Schmunzeln hören.

Lachend löste Mafed die Umarmung und ließ sich zurück auf die Ellbogen fallen.

»Ich werde Euch nie wieder unterschätzen, Herrin.«

Hatschepsut strich ihr Haar zurück und stieg von Mafed. Sie griff nach einem der Tücher, aus denen ihr Kleid bestanden hatte, und säuberte sich. Anschließend legte sie sich neben den Gott und schmiegte sich an ihn, ihr Kopf ruhte auf seiner Brust.

Mafed sog den Moment in sich auf. Er wollte sich auf ewig an all das erinnern: an ihre warme Haut, den Geruch nach Honig, Duftölen und Schweiß, das goldene Licht der Nachmittagssonne, das sich in den Vorhängen verfing.

Der Königin schien es ähnlich zu ergehen. Sie sprachen kein Wort, doch das Schweigen zwischen ihnen hatte nichts Unangenehmes. Stattdessen zeugte es von ihrem gegenseitigen Vertrauen.

Als Mafed die Augen schloss, sah er Nephthys’ strengen Blick vor sich. Sobald die Erste der Damen ihren Thronnamen erhalten hat, hältst du dich fern von ihr. Morgen. Nur noch eine Nacht trennte ihn von der Krönungszeremonie. Angespannt riss er die Augen wieder auf, spähte zur Decke und atmete tief aus.

Hatschepsut entging das nicht. Sie richtete sich halb auf, stützte ihren Kopf auf die Handfläche. »Was bedrückt dich, Kater?« Dabei fuhr sie mit den Fingern sanft über seine Brust.

Nachdenklich sah er zu ihr und wog seine Worte ab. Sie hatte es nicht verdient, dass er sie anlog. Und auch nicht, dass er sich still und heimlich aus ihrem Leben stahl. Sie war stark genug, um die Wahrheit zu verkraften und ihr Leben ohne ihn zu gestalten. Sie brauchte ihn nicht.

»Mit dem morgigen Tag ändert sich alles«, erklärte er leise und strich Hatschepsut eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Du wirst Pharaonin. Die mächtigste Frau, die dieses Reich je gesehen hat und vielleicht je sehen wird.«

»Darauf habe ich mein Leben lang hingearbeitet«, verkündete die Königin stolz.

»Ich weiß«, hauchte Mafed und schenkte ihr ein Lächeln. »Du wirst eine große Herrscherin, von der man noch in tausend Generationen spricht. Dein Vater … Amun …«

»Was ist mit ihm?« Hatschepsut legte die Stirn in Falten.

Mafed stieß zischend die Luft aus. »Er wird über dich wachen.«

Die Herrscherin verstand, was er sagen wollte, und ihre Augen weiteten sich empört. »Er will nicht, dass wir uns sehen.«

»Ich denke, es geht ihm nicht um das Sehen«, wandte Mafed ein und lachte trocken, doch Hatschepsut verzog keine Miene.

»Ich werde mit ihm reden«, behauptete sie überzeugt.

Mafed schüttelte den Kopf. »Es steht weder dir noch mir zu, die Entscheidungen der Hohen anzuzweifeln. Amun ist gütig, er will dein Bestes. Du wirst einen Mann finden, der dir und dem Thron eine Stütze ist, dich liebt und verehrt, wie du es verdient hast. Und dir einen Thronfolger schenkt.« Bei seinen Worten glitt ihre Hand zu ihrem Bauch. »Du brauchst mich nicht, um glücklich zu sein, meine Königin.«

Bedrückt wich Hatschepsut seinem Blick aus, rollte sich neben ihm auf den Rücken und betrachtete den Baldachin. Sie war intelligent und Mafed zweifelte keinen Moment daran, dass sie ihn verstand. In den letzten Jahren lag ihr Hauptaugenmerk darauf, die Krone zu bekommen. Für nichts in der Welt würde sie das aufs Spiel setzen – selbst nicht für ihn.

Ihre Finger wanderten über das Laken und schlossen sich um seine Hand. »Versprichst du mir etwas, Totengott?«, flüsterte sie.

Sanft drückte er ihre Hand und drehte sich zu ihr. »Alles.«

»Wenn es so weit ist … wenn ich … diese Welt verlassen muss … begleitest du mich dann?« Sie drehte den Kopf zu ihm, ihre Nasen berührten sich fast. Einen langen Atemzug sahen sie sich tief in die Augen. Dann lächelte Mafed, lehnte sich zu seiner Königin und küsste sie leidenschaftlich. Er hoffte, sie würde darüber hinweg nicht merken, dass er ihr dieses Versprechen nicht geben konnte.

2

 

NEW YORK, heute

 

»Bei Hathors verdammten Hörnern!«

Hastig zog Mafed seinen Fuß zurück ins Auto und schüttelte ihn. Regenwasser perlte von dem teuren Leder des Schuhs und durchtränkte die Fußmatte.

»Versau mir nicht meine Karre, Alter.« Der asiatisch aussehende Taxifahrer, den seine Plakette als Feng auswies, drehte sich mit einem verärgerten Blick um.

»Entschuldigung«, knurrte Mafed. »Ich konnte leider nicht ahnen, dass Sie zielgenau die einzige Pfütze auf der Fifth Avenue finden.«

»Regnet doch schon seit Tagen«, murmelte der Taxifahrer und wandte sich wieder nach vorne.

Genervt stieß Mafed die Luft aus, steckte ein paar Scheine durch die Scheibe und stieg aus – dieses Mal darauf bedacht, nicht wieder in der Pfütze zu landen. Kaum, dass er die Autotür zugeschlagen hatte, zog Feng aus der Parklücke, ohne den Blinker zu setzen. Augenblicklich quietschten Reifen kreuzender Autos und ein Hupkonzert setzte ein.

Mafed legte die Stirn in Falten. Es gab auch Nachteile, wenn man in der Stadt lebte, die niemals schlief. Hauptsächlich waren es der Lärm und der Gestank, aber auch der andauernde Stress, dem sich die Menschen ständig aussetzten, war Mafed zuwider.

Der kalte Januarregen zauberte ein Meer aus funkelnden Lichtern auf die Straßen und Fenster. Überall brach sich der Schein der Laternen, als wären die Sterne vom Himmel gefallen. Trotz der Abendstunde drängten sich noch viele Autos durch den Verkehr. Selbst zu Fuß hetzten die Menschen mit Schirmen über die Bordsteine. Der Rhythmus dieser Stadt hatte etwas Einnehmendes, dem man sich nicht entziehen konnte.

Doch diesen Anblick konnte Mafed auch sehr gut von seinem warmen Apartment aus genießen. Genau aus diesem Grund hatte er beschlossen, an seinem freien Abend eine Flasche Wein zu öffnen, das teure Filet vom Blauflossenthunfisch in etwas Olivenöl und Knoblauch zu braten und zu sanften Jazzklängen vorm Kamin zu entspannen. Bis sein Handy geklingelt hatte – mehrmals.

Nun stand er im kalten Nieselregen vor dem Metropolitan Museum of Art, mit einem durchnässten Schuh, und sein Fisch war mittlerweile bestimmt dröge.

»Totendoc! Da sind Sie ja endlich!«

Mafed wandte sich der aufgeregten Stimme zu.

Ian Barnell, Detective des dreizehnten Reviers und Nervensäge vom Dienst, sprang die Stufen vom Eingang zu ihm hinab. Dabei grinste er wie ein Schuljunge, der den perfekten Streich ausgeheckt hatte. Ein Teil in Mafed wollte sich von dem Lächeln anstecken lassen, der Rest trauerte dem gemütlichen Abend nach und machte sich in einem verärgerten Schnauben Luft.

»Wie konnte ich widerstehen? Sie waren ja sehr hartnäckig«, kommentierte Mafed und zog den Kopf zwischen den Schultern ein.

Als hätte Barnell jetzt erst den Regen bemerkt, öffnete er den schwarzen Schirm, den er bei sich trug, und hielt ihn schützend über ihre Köpfe. Dabei trat er auf dieselbe Stufe wie Mafed und kam ihm sehr nah. Der Detective überragte ihn um einen Kopf und Mafed musste zu ihm aufschauen. Unter normalen Umständen wäre solch eine Nähe unter Kollegen vielleicht ungewöhnlich gewesen, aber Mafed und Barnell hatten das Gewöhnliche bereits weit hinter sich gelassen.

Seit einigen Monaten kannte Ian Barnell sein Geheimnis: Er wusste, dass Mafed ein Gott, der Kater, der Wächter über die Pfade ins Jenseits war und die Seelen der Verstorbenen in die Duat führte. Eine Fähigkeit, die sich bei der Mordkommission des NYPD als nützlich herausstellte. Doch leider war Mafed nicht die einzige mythische Kreatur, die sich nach New York verirrt hatte.

Erstaunlicherweise verkraftete der Sterbliche all diese Informationen ausgezeichnet – was vielleicht auch daran lag, dass sie nicht häufig darüber sprachen und der menschliche Geist gut im Verdrängen war.

Mafed witterte einen Hauch Zigarettenqualm, der Barnell umgab. Wahrscheinlich hatte der Detective eine geraucht, während er auf ihn gewartet hatte. Barnell strich sich das feuchte, dunkelblonde Haar zurück. Das Funkeln wich aus seinen grünen Augen, als er Mafeds mürrischen Blick bemerkte.

»Entschuldigung, dass ich Sie um Ihren freien Abend gebracht habe, aber …« Er fuhr sich erneut durchs Haar – ein Zeichen, dass er nervös war.

Der Anblick erweichte Mafed und ließ ihn leise seufzen. Barnell neckte den Gott häufig ohne Angst vor möglichen Konsequenzen durch den Unsterblichen, aber seine Arbeit nahm er mittlerweile sehr ernst. »Was ist so dringend?«

Mit einem Schlag war das freche Grinsen zurück. »Glauben Sie mir, Totengott, das wird Ihnen gefallen.«

Bevor Mafed verwundert auf die Anrede reagieren konnte, griff Barnell nach seinem Oberarm und zog ihn die Treppe hinauf durch den Eingang. Wenigstens entkamen sie so endlich dem Regen.

Während Barnell seinen Schirm ausschüttelte und schloss, sah Mafed sich um. Er hatte längst aufgehört zu zählen, wie oft er diese gewaltige Halle durchquert hatte. An schönen Tagen flutete das Sonnenlicht jeden Winkel, jetzt lag sie in einer mysteriös wirkenden Dämmerung da, nur die Notbeleuchtung brannte. Gewaltige Säulen stützten die Rundbögen, die in eleganten Kuppeln endeten. Schon beim Betreten bekam der Besucher einen Eindruck davon, wie riesig dieses Museum war. Mafed atmete tief ein. Er hatte stets das Gefühl, an diesem Ort könnte er Wissen, Geschichte und Kreativität riechen.

Obwohl das Met längst hätte geschlossen haben müssen, tummelten sich in der Eingangshalle viele Menschen. Mafed entging nicht, dass der Großteil davon Polizisten waren, aber er erkannte auch Frauen und Männer in anderen Uniformen. Er schätzte, dass es sich dabei um den Sicherheitsdienst handelte. Die Spurensicherung nahm bereits ihre Arbeit auf und verschwand im rechten Hauptgang.

Mafed hielt inne und runzelte die Stirn. Er kannte das Met wie seine Jackentasche. Außerhalb Kairos befand sich hier die größte Sammlung ägyptischer Kunst. Nirgendwo in den ganzen Vereinigten Staaten konnte er seiner Heimat näher sein. Wenn ihn das Heimweh plagte, dann verbrachte er Stunden in Betrachtung des Tempels von Dendur. Genau diese Ausstellung befand sich in dem Flügel rechts vom Eingang.

Ein ungutes Gefühl breitete sich in Mafeds Magengegend aus und hinterließ einen bitteren Geschmack auf seiner Zunge. Seine Haut prickelte vor Nervosität. Die jahrtausendealte Erfahrung warnte ihn, dass hier etwas nicht stimmte, dass er gehen, diesen Ort verlassen sollte – vielleicht sogar New York. Aber er war auch nicht in der Lage, dem Geheimnis nicht nachzugehen. Seine Neugierde trieb ihn an herauszufinden, was dort geschehen war.

Barnell war längst weitergegangen, aber ihm fiel auf, dass Mafed zurückblieb. Mit fragender Miene drehte er sich um und machte eine auffordernde Geste.

»Sie machen sich über mich lustig«, zischte Mafed eine Spur zu harsch, als er auf den Detective zu schritt. Überrascht über seinen eigenen emotionalen Ausbruch räusperte er sich und reckte das Kinn.

Barnell hob nur unschuldig die Hände. »Sie glauben gar nicht, wie schwer es mir fällt, keine Witze über Mumien zu reißen.« Das Zucken seiner Mundwinkel konnte er dabei nicht unterdrücken. »Aber ich will mich nicht über Sie oder Ihre Kultur lustig machen, glauben Sie mir.«

Da er Mafeds prüfendem Blick standhielt, ohne mit der Wimper zu zucken, straffte der alte Gott die Schultern und folgte der Spurensicherung in die Ausstellung über ägyptische Kunst.

Bereits der Anblick der Überreste des Grabes von Perneb sorgte für eine schmerzende Gänsehaut auf Mafeds Rücken. Nur mit Mühe unterdrückte er ein aufgebrachtes Knurren. Gedanken wirbelten unruhig in seinem Kopf. Die Magie schien greifbar. Selbst die Sterblichen mussten es spüren. Die Menschen vor ihnen schwiegen und beschleunigten ihre Schritte, sogar Barnell sah sich unsicher um und beeilte sich, an den Überresten und diversen Sarkophagen vorbeizukommen.

Mafed wusste von der Macht, die von den alten Relikten ausging, doch gewöhnlich schlummerte sie, ähnlich wie seine Kraft tief in ihm. Etwas hatte sie geweckt. Jemand.

Ein anderer Gott? Ist das möglich?, fragte sich Mafed, doch er verwarf den Gedanken sofort wieder. Außer ihm weilten zwei weitere Götter in der Stadt und von denen entsprang keiner dem ägyptischen Pantheon. Die Ägypter waren seit Jahrtausenden verschollen. Nur Mafed war zurückgeblieben. Zudem hätte er die Energie eines neuen Unsterblichen in der Nähe gespürt.

Fast am Ende des Flügels, kurz bevor der Rundgang zum Tempel von Dendur führte, lag rechts der Ausstellungsraum 126, aus dem grelles Licht und aufgeregtes Gemurmel drangen. Der kleine Raum wirkte überfüllt mit Menschen und Scheinwerfern. Schützend hob Mafed die Hand, als er aus dem dämmrigen Flur trat. Er brauchte einen Moment, bis er sich einen Überblick verschaffen konnte.

Zwei Kolleginnen der Spurensicherung bereiteten ihre Ausrüstung vor. Ein weiterer verteilte bereits Marker und machte Fotos. Wie stumme Wächter harrten zwei Polizeibeamte am Durchgang.

Eine junge Frau mit streng gebundenem Pferdeschwanz und randloser Brille auf der Nase drehte sich immer wieder unschlüssig um sich selbst. »Bitte fassen Sie nichts an! Achten Sie darauf, nicht mit Blitz zu fotografieren. Die empfindlichen Malereien …«

Rasch trat Mafed vor und legte der Sterblichen eine Hand auf die Schulter. »Verzeihen Sie …« Sein Blick glitt prüfend über ihre Gestalt und blieb an dem Namensschild an ihrem Jackett hängen. »Beth.«

Die Angesprochene blickte nervös zu ihm auf. Ihre Wangen zeigten bereits hektische rote Flecken. Sie wirkte zu jung für eine Kuratorin, weswegen Mafed schätzte, dass es sich bei ihr um eine studentische Hilfskraft handelte, die nach den Öffnungszeiten noch Papierkram erledigte, um einen guten Eindruck zu hinterlassen.

Mafed bemühte sich um ein beruhigendes Lächeln, was seiner inneren Unruhe widersprach. »Ich verspreche Ihnen, mein Team und ich werden sehr vorsichtig sein und alle Artefakte mit dem gebührenden Respekt behandeln. Nichts wird zu Schaden kommen.«

Das Knirschen von Scherben unter Schuhsohlen strafte seine Worte Lügen, doch er flehte inständig, dass es sich dabei nur um das zerstörte Panzerglas der Vitrine handelte.

Beth entging das ebenfalls nicht. Eine tiefe Falte zeichnete sich zwischen den perfekt gezupften Augenbrauen ab. »Und wer zur Hölle sind Sie?«

Mafed zog seine Brieftasche hervor und zeigte ihr seinen Ausweis, der ihn als Rechtsmediziner des NYPD auswies. »Doctor Jahi Mafed. Ich werde diesen Fall untersuchen.«

»Glauben Sie mir«, mischte sich Barnell hinter ihm ein. »Es gibt keinen Besseren, um dieses Geheimnis zu lüften. Und er wird ganz vorsichtig vorgehen.«

Barnell strahlte den Charme eines beliebten Quarterbacks einer High School-Footballmannschaft aus – was er unter Garantie mal gewesen war. Für seine warme Art war Beth sehr empfänglich. Sie entspannte sich sichtbar und zeigte ein schüchternes Lächeln. »Wenn Sie das sagen.«

Mafed verdrehte innerlich die Augen, achtete aber darauf, sich nichts von seinen Gedanken anmerken zu lassen. Wie immer gelang es Barnell, die sterblichen Frauen um den Finger zu wickeln.

»Ich verrate Ihnen was«, raunte Barnell und lehnte sich verschwörerisch vor, sodass er Mafed etwas zur Seite drängte. Nun entwich dem Gott doch ein leises Stöhnen.

»Doctor Mafed ist ein Experte, wenn es um ägyptische Kunst und Geschichte geht.«

Beths Augen weiteten sich vor Überraschung. Ungläubig musterte sie Mafed. Sein mittelöstliches Äußeres – das dunkle Haar, die scharfen Gesichtszüge und die braune Haut – schien sie nicht zu überzeugen. »Und warum arbeiten Sie dann für die Polizei?«

»Mein historisches Interesse entspringt meinen Familienbanden, wenn Sie so wollen«, antwortete Mafed ausweichend. »Warum machen Sie nicht Ihre Aussage bei Detective Barnell und ich verschaffe mir einen Eindruck von dem, was hier vorgefallen ist?«

Beth sah sich zweifelnd um, nickte dann aber scheu. Barnell bat sie mit einer Geste in den Flur, doch sie hielt kurz inne. »Ich habe direkt unsere Kuratorin Ms. Hill informiert. Sie ist bereits auf dem Weg und kann Ihnen mehr zu den Artefakten in diesem Raum sagen.«

Mafed nickte dankend und ließ sich von einer Forensikerin ein paar Latexhandschuhe reichen. »Also, was haben wir hier?«, murmelte er mehr zu sich selbst.

»Ich würde auf Raubmord tippen. Aber wir wissen noch nicht, ob irgendetwas fehlt«, antwortete die Kollegin, biss sich aber schleunigst auf die Unterlippe, als Mafed ihr einen finsteren Blick zuwarf. Wollten diese Sterblichen ihn heute alle verarschen?

Mafed stellte fest, dass das Gespräch mit Beth zumindest seine innere Unruhe etwas besänftigt hatte. Er spürte immer noch die Magie, die in seinen Adern sang und auf die Artefakte reagierte, aber es war nicht mehr so schmerzhaft und angsteinflößend wie zuvor. Irgendwie erinnerte es den Gott an alte Zeiten, an etwas, das er damals vielleicht als Heimat bezeichnet hätte.

In gewohnten Abläufen streifte Mafed sich Schuhschoner und Handschuhe über. Die routinierten Bewegungen klärten seinen Geist weiter, halfen ihm, sich zu fokussieren. Erst jetzt nahm er die Leiche im Raum wahr. Sie lag gebeugt über einem geöffneten Sarkophag. Die Uniform wies den Toten als Sicherheitsbeamten des Museums aus. Jemand hatte mit großer Gewalt das Sicherheitsglas zerstört, den Steinsarg herausgezerrt und geöffnet. Sowohl das eine als auch das andere gestaltete sich für eine einzelne Person als sehr schwierig, wenn man nicht richtig vorbereitet war und wusste, was man tat.

Ungewollt zuckten Mafeds Mundwinkel. Es gab hunderte von Geschichten darüber, dass die Totenstätten der Ägypter verflucht wären und das Öffnen ihrer Gräber und Sarkophage den Tod der Grabräuber bedeutete. In Wahrheit waren die Gründe für damalige Todesfälle unspektakulär gewesen, doch hielt sich der Glaube daran selbst heute noch in aufgeklärten Zeiten.

Vielleicht hatte der Sicherheitsbeamte gedacht, er könne ein paar schnelle Dollar machen, indem er etwas entwendete, und war dann seiner eigenen Gier zum Opfer gefallen. Diese Vorstellung wäre zumindest amüsant, aber für so dumm hielt selbst Mafed die Sterblichen nicht – obwohl sie ihn immer wieder überraschten.

Bedacht darauf, nur Glasscherben zu zertreten, bahnte er sich einen Weg zu der Leiche. Der typische Geruch von Blut fehlte, stattdessen witterte Mafed Urin. Wahrscheinlich hatte der Kerl sich bei seinem Ableben eingenässt. Der scharfe Gestank mischte sich mit Weihrauch, Salböl und altem Papyrus.

Auffällig war die eigenwillige Kopfhaltung des Mannes. Der Oberkörper lag über den Rand des Sarkophags gebeugt und sein Kopf schien nicht zu Nacken und Schultern passen zu wollen.

Genickbruch, folgerte Mafed. Das würde auch das fehlende Blut erklären.

»Haben Sie Fotos gemacht?«, fragte er laut in den Raum hinein. »Kann ich den Mann bewegen?« In dieser Haltung war es ihm kaum möglich, weitere Untersuchungen durchzuführen.

»Wir sind gleich so weit«, kam als Antwort.

»Lassen Sie eine Trage holen. Ich könnte gleich Hilfe brauchen, diesen Kerl umzudrehen«, erklärte Mafed weiter, ohne sich an jemand Bestimmtes zu wenden. An den schnellen Schritten hinter ihm merkte er, dass man seinen Anweisungen folgte.

Wenige Minuten später hob Mafed mit zwei Forensikern die Leiche hoch, um sie auf einer Trage abzulegen. Dabei wies er die Anwesenden mehrfach streng darauf hin, bloß nicht den Sarkophag oder dessen Inhalt zu beschädigen.

Mafed überprüfte routiniert die Augenlider, den Kiefer und die Fingergelenke des Toten. Die Muskulatur begann bereits zu erstarren. Er vermutete eine Raumtemperatur von knapp zwanzig Grad und überschlug die Zeit im Kopf. Rasch blickte er auf seine Armbanduhr. »Geschätzter Todeszeitpunkt vor knapp zwei Stunden. Demnach gegen … 19:30 Uhr. Da hatte das Museum schon seit zwei Stunden geschlossen.«

Eine Forensikerin trat neben ihn und notierte seine Angaben auf einem Tablet.

Vorsichtig öffnete Mafed das Hemd des Wachdienstmitarbeiters und legte Brust und Bauch frei. Die ersten Leichenflecken hatten sich dort bereits gebildet und färbten das Fleisch bläulich und rot. Sie bestätigten seine Vermutung. Auf einen Wink hin reichte man ihm eine Kamera, damit er die Entdeckung festhalten konnte. Durch die Umlagerung würden die Flecken wieder verschwinden.

Zuletzt nahm Mafed die Körpertemperatur – 35,2 Grad. Da man davon ausging, dass die Temperatur nach dem Tod je nach äußeren Umständen um 0,8 Grad die Stunde sank, untermauerte auch dies seine These.

»Tüten Sie seine Hände ein«, wandte er sich an die Mitarbeiterin neben ihm. »Ich bezweifle zwar, dass er eine Chance hatte, sich zu wehren, aber vielleicht finden wir doch etwas.«

Die Frau nickte knapp und holte das dafür benötigte Material. Während sie der Aufforderung nachkam, tastete Mafed die Leiche ab. Er fand die Geldbörse, ein Smartphone, eine kleine Taschenlampe und einen Taser.

»Der Elektroschocker hat dir wohl nichts gebracht«, murmelte Mafed und tütete ihn als Beweismittel ein. Dann schlug er das Portemonnaie auf und zog den Führerschein heraus. Der Name des Opfers war Nickolas Mourne. Zur Identifizierung des Leichnams übertrug er die Informationen vom Ausweispapier in ein Tablet. Außerdem zog er die Fotos von der Kamera direkt mit in die Datei. Danach verstaute und katalogisierte er die Fundsachen.

Seufzend wischte Mafed sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn und trat von dem Toten zurück. Da die Leiche nun aus dem Weg war und wohl vorerst auch nicht wegrennen würde, beschloss Mafed, einen Blick in das Innere des Sarkophags zu werfen. Zum einen trieb ihn die Neugierde, zum anderen die Furcht, dass doch etwas Schaden genommen haben könnte.

Im Vorbeigehen nahm Mafed sich eine kleine Taschenlampe aus der Ausrüstung des forensischen Teams und lehnte sich über den Rand des Steinsarges. Eingewickelt in alten Leinenbinden lag eine zierliche Silhouette im Halbschatten.

Mafeds scharfen Augen reichte das wenige Licht, um zu erkennen, dass die Mumie – wenn man von alterstypischen Beeinträchtigungen absah – unbeschädigt war. Es handelte sich der Gestalt nach um eine Frau, doch mehr konnte der Gott ohne genauere Untersuchung nicht ausmachen. Sie hielt keine Insignien, weswegen sie keinen besonders hohen Stand gehabt haben dürfte. Dennoch war sie wichtig genug gewesen, um eine rituelle Bestattung zu erhalten. Weitere Grabbeigaben im Inneren fehlten. Entweder hatte es keine gegeben oder sie waren fort.

»Wer warst du nur?«

»Das fragen die Kollegen aus Kairo und wir uns auch.«

Die Antwort ließ Mafed aufschauen.

»Jesus Christus!« In der Mitte des Raumes stand eine ältere Frau und schlug erschrocken die Hände vors Gesicht. Ihre kinnlangen, grauen Locken waren feucht vom Regen und auch auf dem schwarzen Mantel schimmerten Tropfen. In ihren Augen glänzten Tränen. »Wie soll ich das nur Kairo erklären?«

»Doctor Hill«, begrüßte Mafed sie und erhob sich. Er trat auf sie zu, zog die Handschuhe aus und reichte ihr die Hand.

Wie in Trance griff die Kuratorin danach und schüttelte sie.

»Es tut mir leid, dass wir uns unter diesen Umständen begegnen.«

»Doctor Mafed!« Hill blinzelte die Tränen fort. »Gut zu wissen, dass Sie hier sind.«

»Sie kennen sich?« Barnell gesellte sich zu ihnen und schaute verwundert von Mafed zu Hill und wieder zurück.

»Doctor Mafed ist ein wichtiger Mäzen unseres Museums«, erklärte Hill ohne Umschweife. »Und einer unserer liebsten Stammgäste.«

Barnell bedachte den Rechtsmediziner mit einem vielsagenden Blick, den dieser wohlwissend ignorierte. In Anwesenheit von Betroffenen mussten sie nicht ihre Sticheleien austragen.

»Kannten Sie den Mann, Doctor Hill?«, kam Mafed auf das eigentliche Thema zurück.

Die Gefragte nickte und rieb sich fahrig über die Augen. »Nick, ich meine, Nickolas Mourne. Er arbeitet seit fast fünf Jahren für uns.« Sie hielt kurz inne. Mafed hätte es nicht für möglich gehalten, aber dem Gesicht der Wissenschaftlerin entwich noch mehr Farbe. »Er hat eine Frau und zwei Kinder.«

»Darum werde ich mich kümmern, Ms. Hill«, versprach Barnell und legte ihr beruhigend eine Hand auf den Oberarm. »Können wir vielleicht irgendwo in Ruhe sprechen?«

Hill nickte und auf ein Zeichen von Barnell hin verließen sie zu dritt den Tatort.

3

 

Doctor Hill führte die beiden Ermittler zurück in die Eingangshalle. Von dort stieg sie die Treppe nach oben bis in die zweite Etage, wo sich unter anderem die Büros der Mitarbeitenden befanden.

Ihr persönliches Arbeitszimmer war hell und modern eingerichtet und zeigte hinaus auf die Fifth Avenue. Rechts auf einem glänzenden, weißen Sideboard standen alte Kanopen aufgereiht und durch einen Glaskasten geschützt. Darüber hing ein Kunstdruck mit Wandmalereien aus der Grabkammer von Tutanchamun. An der linken Wand reihten sich Bücherregale voller Schriften, Dokumente und Antiquitäten. Der lange Schreibtisch stand vor dem Fenster und wirkte ordentlich strukturiert. Alles hatte seinen Platz. Mafed entdeckte noch nicht einmal eine dreckige Kaffeetasse. Er vermutete, dass die Kuratorin nicht viel Zeit hier verbrachte.

»Bitte«, murmelte Hill immer noch ganz gedankenverloren und deutete auf die zwei Sessel vor dem Schreibtisch. Dankend nahmen die beiden Männer Platz und warteten, bis sich Hill ebenfalls gesetzt und etwas gefasst hatte.

Gewappnet drückte sie die Schultern durch. »Also, wie kann ich helfen? Was können wir tun?«

Barnell zog einen Notizblock und einen Kugelschreiber aus seiner Manteltasche. »Als Erstes benötigen wir einen Plan, wer alles zur Tatzeit noch im Gebäude war. Sicherheits- und Reinigungspersonal, Angestellte, eventuell Lieferanten. Außerdem müssten Sie unserem technischen Team Zugang zu den Überwachungsaufnahmen verschaffen.«

Hill griff ebenfalls nach einem Stift und machte sich auf einem Klebezettel Notizen. »Das sollte kein Thema sein. Die Informationen werden auf dem Server im Keller gespeichert, die Zugangsdaten lasse ich Ihnen sofort zukommen.«

»Bestens«, kommentierte der Detective und schlug seinen Notizblock auf. »Eine Liste aller Mitarbeitenden wäre auch noch wichtig. Namen, Eintrittsdatum, Einsatzgebiet.«

Hill nickte die Forderung nur ab.

»Kommen wir zu Mr. Mourne«, fuhr Barnell fort. »Was können Sie uns über ihn sagen?«

Seufzend lehnte Hill sich zurück und deutete ein Kopfschütteln an. »Nicht mehr, als ich bereits sagte. Er ist seit knapp fünf Jahren bei uns, verheiratet, Vater. Es gab keine Auffälligkeiten. Er war stets höflich, pünktlich, kaum krank.«

»Also ein beispielhafter Mitarbeiter«, hakte Mafed nach.

Unsicher zog Hill die Schultern hoch. »Ich gebe zu, dass ich nicht viel mit ihm geredet habe. Und wenn, dann war es nur Smalltalk. Für die Einstellung des Sicherheitspersonals bin ich ebenfalls nicht verantwortlich.«

»Wer macht das?«, fragte der Detective.

»Mr. Bolton, unser Sicherheitsexperte.«

Barnell notierte sich den Namen. »Gut, mit dem müssen wir reden.«

»Das sollte kein Problem sein.«

»Was meinten Sie vorhin damit, dass es sowohl Sie als auch Kairo interessieren würde, wer die Mumie war?«, warf Mafed ein und lehnte sich neugierig vor. Dabei stützte er die Unterarme auf seine Knie und faltete die Hände.

»Genau das«, erwiderte Hill. »Die Mumie ist eine Unbekannte. Außer, dass sie weiblich, zum Todeszeitpunk etwa Mitte vierzig war und offensichtlich nicht zur Herrscherfamilie gehörte, wissen wir aktuell noch nichts über sie. Sie wurde bei Ausgrabungen vor drei Jahren in der Nähe von TT353 in einer versteckten, schmucklosen Kammer gefunden.«

Ein kalter Hauch streifte Mafed und ließ ihn erzittern. Erinnerungen stiegen in ihm auf – von warmem Stein, kaltem Metall und rotem Blut. Wieder sang die Magie in seinen Adern, als reagierte sie auf die gesprochenen Worte. Er hatte das Gefühl, sein Körper hätte sich statisch aufgeladen. Die Geschehnisse lösten dieses Empfinden aus, weil es seine eigene Geschichte war.

Ratlos zog Barnell die Augenbrauen hoch. »Bitte, was ist … TT353?«

»Theban Tomb Nummer 353. Das Grab Senenmuts«, raunte Mafed tonlos. Wie erstarrt saß er da und blickte auf seine zitternden Finger.

Hill warf Mafed einen anerkennenden Blick zu. »Ich wusste, dass Ihr ägyptologisches Wissen umfassend ist, aber so?« Sie tippte immer wieder unruhig mit dem Stift auf den Block mit den Klebezetteln.

»Wegen des Fundorts sind die Kolleginnen und Kollegen aus Kairo der Meinung, dass es sich um eine der Schwestern Senenmuts handeln könnte, finden aber keine ausreichenden Belege. Also schickte man sie für weitere Untersuchungen hierher.«

Um ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen, hob Barnell kurz die Hand. »Können wir mal so tun, als wären nicht alle Anwesenden außergewöhnliche Ägyptenexperten?«

»Senenmut war ein erfolgreicher Beamter und Baumeister während der achtzehnten Dynastie«, erklärte Hill. »Er war sehr einflussreich am Hofe der Pharaonin Hatschepsut und um ihn ranken sich viele Mythen.«

»Dann … sind die Sachen sehr wertvoll«, folgerte Barnell.

»Historisch sowie monetär unbezahlbar«, stimmte Hill zu.

Grübelnd lehnte sich Barnell zurück und fuhr sich über den Bartschatten. »Also eventuell Raubmord«, murmelte er mehr zu sich selbst.

Angespannt massierte Hill sich die Schläfen. »Ob etwas fehlt oder beschädigt wurde, werde ich Ihnen erst im Laufe des morgigen Tages sagen können.«

»Wir müssen mit dem Team sprechen, das an dem Sarkophag gearbeitet hat«, schaltete sich Mafed wieder ein. Ihm selbst entging nicht, wie gehetzt er klang. Sein Herz hämmerte fest gegen seinen Brustkorb.

Das muss Zufall sein, redete er sich selbst ein. Und irgendwie hatte er doch zu jedem ägyptischen Artefakt eine Verbindung, oder nicht? Aber musste es ausgerechnet in Verbindung mit Hatschepsut stehen? Es gab nicht viele Passagen in seinem langen Leben, die er am liebsten ausblenden würde, doch diese Jahre gehörten dazu. Die Erinnerungen an eine beinahe glückliche Zeit schmerzten zu sehr.

»Ich werde dafür sorgen, dass sie morgen früh alle anwesend sind«, schlug Hill vor.

Barnell musterte Mafed kritisch. Dem Detective entging das eigenartige Verhalten des Rechtsmediziners nicht. Mafed befürchtete, dass noch ein Haufen Fragen auf ihn warteten. Irgendwie musste er dem zuvorkommen.

»Dann will ich Sie bei der weiteren Organisation nicht stören, Doctor Hill. Wenn Sie mich entschuldigen, ich muss in der Rechtsmedizin sein, wenn die Leiche eintrifft.« Eilig stemmte er sich hoch, nickte der Wissenschaftlerin zu und wandte sich zum Gehen.

»Warten Sie, ich begleite Sie.«

Mafed unterdrückte ein Stöhnen, als Barnell aufsprang und an den Schreibtisch herantrat. Aus seiner Brieftasche zog er eine Visitenkarte und legte sie für Hill auf den Tisch. »Wir kommen morgen früh gegen elf, um mit den Mitarbeitenden zu sprechen. Das Museum muss vorläufig geschlossen bleiben, bis alle Ermittlungen am Tatort abgeschlossen sind. Sollte Ihnen irgendwas einfallen oder Sie einfach nur reden wollen, können Sie sich jederzeit bei mir melden«, sprach er beruhigend auf die Kuratorin ein.

Sie antwortete mit einem knappen Lächeln und griff nach der Karte. »Danke, Detective.«

Als Barnell Mafed erreichte, gab er ihm das Zeichen, weiterzugehen. Sie verließen das Büro. Mafed machte sich auf das nun drohende Gespräch gefasst.

Erst im schummrig erleuchteten Treppengang berührte Barnell den Mediziner am Arm, um ihn zurückzuhalten. »Hey, Totendoc, was war los da drin?«

Mafed beschloss, sich unwissend zu stellen, und setzte eine ahnungslose Miene auf. »Was meinen Sie?« Er blieb auf dem Absatz stehen. Barnell hingegen trat eine Stufe weiter hinab und war so auf Augenhöhe mit ihm.

»Tun Sie nicht so, Mafed. Dieses TT-was-auch-immer hat Sie ordentlich aus der Bahn geworfen.«

Verärgert verzog Mafed das Gesicht. »Sie wollten doch, dass ich hier ermittle, und jetzt wundert es Sie, dass ich mich mit dem Fall verbunden fühle?« Er schnaubte und trat an dem Detective vorbei. Für ihn war das Thema erledigt.

»Moment«, wandte Barnell ein. »Die Verbundenheit geht aber nicht so weit, dass Sie irgendwas mit diesem Mord zu tun haben, oder?«

Mafed zögerte und das entging dem Sterblichen nicht. Es wäre gelogen, wenn Mafed behaupten würde, er hätte nicht auch schon daran gedacht. Aber wie wahrscheinlich war das? Niemand wusste, dass er existierte, geschweige denn, dass er in New York lebte.

»Machen Sie sich nicht lächerlich, Barnell.«

4

 

Als Kater mit silbernem Fell und schwarzen Flecken hockte Mafed auf der Brust der Leiche von Nickolas Mourne. Die Seele – durchschimmernd wie ein Geist – stand am Kopfende des Obduktionstisches und sah traurig auf den leblosen Körper hinab. Das kalte Licht der Neonröhren und der scharfe Geruch des Desinfektionsmittels ließen die Szene steril wirken.

Mafed hatte dem Verstorbenen einen Moment gegeben, um sein plötzliches Ableben verarbeiten zu können. Doch nun hatte er Fragen an ihn und musste seine Aufgabe erfüllen.

Nick, schnurrte der Totengott sanft. Wir müssen gehen.

Der Angesprochene hob den Blick, schluckte schwer und nickte schließlich.

Geschmeidig sprang Mafed von dem Tisch und lief auf die leere Wand des Autopsiesaals zu. Ohne sich umzusehen, wusste er, dass die Seele ihm folgte. Das taten sie immer.

Auf Mafeds bloßen Wunsch hin öffnete die Welt des Nebels ihre Pforten und hieß den Gott und seine Begleitung mit leisem Wispern willkommen. Unsichtbare, kalte Finger glitten durch Mafeds Fell, liebkosten ihn.

Der Kater schüttelte sich kurz, ehe er sich wieder auf seine Aufgabe konzentrierte.

Nick, kannst du mir ein paar Fragen beantworten?

Der ehemalige Sicherheitsbeamte nickte leicht.

Kannst du mir sagen, was passiert ist? Mafed ließ sich etwas zurückfallen, um neben ihm zu gehen.

Grübelnd hob Nick den Blick und sah in die Ferne. Er legte die Stirn in Falten, als fiele es ihm schwer, sich zu erinnern.

»Die Kameras hatten eine Störung. Foster ging in den Serverraum, während ich die Ausstellung überprüfen wollte. Dann war da dieser Lärm.«

Das zerstörte Sicherheitsglas, vermutete der Kater.

Nick hob eine Hand und fuhr sich nervös über den Nacken, als könnte er seine Todesursache noch spüren.

»Der Sarkophag lag einfach so da. Irgendwer hatte ihn geöffnet. Ich weiß doch, wie vorsichtig Doctor Hill immer bei diesen Sachen ist.«

War außer dir noch jemand in dem Raum?, hakte Mafed nach und strich vorsichtig um die nackten Beine des Mannes, damit er sich auf ihn konzentrierte.

»Ich … Nein, ich glaube nicht. Zumindest zuerst nicht.«

Weiter. Entgegen seiner Aussage blieb der Kater stehen und setzte sich auf seine Hinterläufe.

Nick blieb ebenfalls stehen, verlagerte sein Gewicht aber immer wieder unruhig von einem Fuß auf den anderen. Er spürte, dass etwas nach ihm rief – die andere Seite. Mafed blieb nicht viel Zeit.

»Ich bemerkte ihn erst, als er hinter mir stand. Dann hatte ich eine Hand am Kinn und es wurde dunkel.«

Zweifelnd legte Mafed den Kopf auf die Seite. Du hast nichts gehört oder gerochen?

Der Gefragte schüttelte den Kopf.

Mafed gab ein enttäuschtes Knurren von sich. Menschen waren so blind. Ihre verkümmerten Sinne machten sie hilflos. Manchmal fragte der Totengott sich, wie sie es überhaupt schafften, die Volljährigkeit zu erreichen.

Weißt du, wer sonst noch im Museum war? Gab es Personen mit auffälligem Interesse an dem Raum? Ist dir irgendwas aufgefallen?

Fast schien es, als wollte Nick schon wieder den Kopf schütteln, dann runzelte er die Stirn. »Ich hab mich eigenartig gefühlt in der Ausstellung. Als … kribbelte Strom über meine Haut.«

Die Magie. Mafed hatte vorher schon bemerkt, dass es den Sterblichen auffiel. Der Verdacht, dass es im Museum nicht mit rechten Dingen zuging, verstärkte sich. Vielleicht war es doch nicht so verkehrt vom Detective gewesen, Mafed dazu zu rufen.

Plötzlich drehte Nick sich um. Sein Blick fixierte etwas in weiter Ferne. »Was ist das?«

Mafed spähte an den Beinen des Menschen vorbei. Er sah das Licht, den Weg, den die Seele nehmen musste, um ins Jenseits zu gelangen.

Geh, schnurrte er leise. Leb wohl, Nick. Alles Gute auf deinen Wegen.

Der Sterbliche schien die Worte des Katers kaum noch wahrzunehmen. Wie in Trance steuerte er auf das Licht zu, gefangen von dem ewigen Frieden, der dort auf ihn wartete. Mafed blieb noch eine Weile sitzen, beobachtete, wie die Seele heimkehrte, ehe er aufstand und zurückging.

Das Ziehen im Bauch verriet Mafed, dass er die Nebel der Zwischenwelt hinter sich gelassen hatte. Kaum berührten seine Pfoten die kalten Fliesen des Obduktionssaals, zwang er seinen Körper zurück in die menschliche Gestalt. Er zupfte die Ärmel seines Hemdes zurecht und bewegte die verspannten Schultern. Tatsächlich hätte er den freien Abend gut gebrauchen können, statt wieder Stunden gebeugt über eine Leiche zu verbringen.

Maunzend gähnte er und hob rasch die Hand vor den Mund, als er Schritte vor der Tür vernahm. Er durchquerte den Saal, um nachzusehen, wer sich zu dieser späten Stunde zu den Toten verirrte.

Jill schob die Tür mit dem Fuß zu und balancierte in den Händen ihre Tasche, zwei To-Go-Kaffeebecher und eine kleine Pappschachtel. Hilfsbereit trat Mafed auf sie zu und nahm ihr die Getränke und die Schachtel ab.

»Was machen Sie denn hier? Es ist mitten in der Nacht.« Er stellte die Sachen auf den nächsten Labortisch und warf einen Blick auf die Armbanduhr – kurz nach drei.

Jill unterdrückte ein Gähnen und machte eine wegwischende Geste. »Nach Ihrem Anruf, dass ich nicht kommen müsse, konnte ich eh nicht mehr schlafen. Da dachte ich, etwas Zucker und Koffein könnten Ihnen nicht schaden.«

Ein warmes Lächeln stahl sich auf Mafeds Züge. »Das ist sehr freundlich von Ihnen. Barnell schuldet uns beiden was dafür, dass er uns den Abend kaputtgemacht hat.«

Schmunzelnd ging Jill ins Büro, um ihren Mantel abzulegen. Ihr gemeinsamer Arbeitsplatz unterteilte sich in drei Bereiche. Vom Flur des Präsidiums aus gelangte man in das Labor. Die meisten Untersuchungen übernahmen die Forensiker, aber für schnelle Bluttests oder Extraktionen nutzten Mafed und Jill ihre Einrichtung. Erst recht, wenn es dabei um genauere Tests an den Organen oder Proben ging.

Vom Labor aus führte eine doppelflügelige Schwingtür in den Obduktionssaal mit seiner überschaubaren Ausstattung. Abgesehen von zwei Metalltischen, den in der Wand eingelassenen Schubfächern für die Überreste und einem Tisch mit Werkzeug war dieser Raum leer.

Eine weitere Tür führte vom Labor zum Büro, das sich Mafed mit Jill teilte. Neben ihren Schreibtischen befand sich dort ein durchgesessenes Sofa und eine kleine Küchenzeile, um die Pause zu überstehen.

Der Geruch von frisch frittiertem Teig und Schokolade kitzelte Mafed in der Nase. Neugierig öffnete er die mitgebrachte Pappschachtel und entdeckte ein halbes Dutzend Donuts mit Schokoglasur und bunten Streuseln. Mit einem wohligen Schnurren wählte er einen mit Zartbitterschokolade und biss herzhaft hinein.

Als Jill wieder zurückkam, hatte sie bereits ihren weißen Kittel angezogen. »Sagen Sie mal, Jahi, was ist das mit Ihnen und Barnell eigentlich?«

Mafed leckte sich genüsslich die Finger ab und zog die Augenbrauen hoch. »Was soll da sein?« Müde kramte er in seinem Gedächtnis. Die zwei hatten sich schon lange nicht mehr gestritten, erst recht nicht vor Jill. Und von dem eigenartigen Gespräch im Museum konnte sie noch nichts wissen.

Nachdenklich wiegte Jill den Kopf. »Das ist jetzt der zweite Fall, bei dem Barnell explizit nach Ihnen fragt, obwohl Sie nicht zuständig waren oder frei hatten. Bis vor Kurzem war der Detective noch froh, so viel Abstand wie nur möglich zwischen ihn und Sie zu bringen. Verstehen Sie mich nicht falsch, aber es ist doch etwas überraschend. Sie haben sich sonst wie Hund und Katz verhalten.« Während sie sprach, griff sie nach den Kaffeebechern, kontrollierte die Beschriftung und reichte einen ihrem Vorgesetzten.

Der Vergleich ließ Mafed erneut lächeln. Jill wusste ja gar nicht, wie nah sie an der Realität war. Dankend nahm er das Getränk entgegen und drehte den Deckel ab. »Sagen wir einfach, wir haben uns ausgesprochen und begriffen, dass wir beide auf derselben Seite kämpfen.«

»Das freut mich zu hören.« Zufrieden prostete Jill ihm zu und nippte an ihrem Kaffee. »Ich sehe das immer pragmatisch. Es ist schön, wenn Sie gut zusammenarbeiten. Sie wollen sich schließlich nicht heiraten.«

»Wer will heiraten?« Barnell schob die angelehnte Tür auf und betrat das Labor. In der Hand hielt er zwei gestapelte Kaffeebecher.

»Wir zwei«, antwortete Mafed mit ernster Miene, was Barnell stutzen ließ. »Und Jill ist meine Brautjungfer.«

Der Detective gab ein gedankenverlorenes Brummen von sich. »Also sind Sie die Frau in unserer Beziehung?«

Mafed zog die Augenbrauen zusammen. Es war nicht die Tatsache, als Frau bezeichnet zu werden, die ihn verärgerte. Im Gegenteil, er hatte in seinem Leben unfassbare Damen kennengelernt, die die Geschicke der Welt lenkten und sie zu einem besseren Ort machten. Aber dass Menschen stets in diesen Schubladen und Rollenbildern denken mussten, ging ihm immer wieder auf die Nerven. »Ich hätte nicht gedacht, dass Sie so engstirnig sind.«

»Was habe ich denn jetzt schon wieder falsch gemacht?« Verwirrt blickte Barnell zu Jill, die nur seufzte und sich theatralisch an die Stirn fasste. »Und da sind die alten Muster wieder. Ich hätte einfach meine Klappe halten sollen.«

Protestierend öffnete Barnell den Mund, doch Jill winkte herrisch ab. »Wir sollten uns auf die Arbeit konzentrieren. Also, worum geht es?«

»Genickbruch. Ein Wachmann im Met überraschte vermutlich einen Einbrecher und der sah sich gezwungen, den Störenfried auszuschalten«, nahm Mafed den Faden auf und leerte seinen Kaffee. Geschickt warf er den Becher in den Mülleimer und ging zurück in den Obduktionssaal. Jill folgte ihm auf dem Fuße. Als Barnell den Raum betreten wollte, gab Mafed einen warnenden Laut von sich.

»Keine Nahrungsmittel bei den Leichen!«, rief er schneidend. »Wie oft muss ich Ihnen die Regeln noch erklären, Detective?«

Wie angewurzelt blieb Barnell an der Schwelle stehen. »Fein, ich wollte eigentlich auch nur fragen, ob Sie schon was für mich haben, und Sie mit Kaffee bestechen. Aber Sie sind ja versorgt.« Seine Worte klangen beleidigt.

»Oh bitte«, warf Jill ein. »Ich nehme offiziell alles zurück, was ich gerade gesagt habe.« Mit dem Blick einer verärgerten großen Schwester schnappte sie sich die Akte und begann die Fakten zu studieren.

Wortlos trat Barnell zurück, stellte Mafeds Kaffee auf den schmalen Sims vor den Fenstern zum Untersuchungssaal und verschwand.

»Sie beide sind einfach unfassbar«, nuschelte Jill in die Akte hinein.

Mafed nahm zwei Handschuhe aus der Schachtel und zog sie über. »Ich fasse das als Kompliment auf. Wollen wir?«

Jill tat es ihm gleich und griff sich Handschuhe. Professionell überprüfte sie das Aufnahmegerät, startete es und reichte Mafed ein Skalpell.

Die Autopsie ergab nichts, was Mafed nicht vorher schon gewusst hatte, außer dass Nick ein leicht vergrößertes Herz aufwies und bei weiterer schlechter Ernährung in der Zukunft einen Herzanfall erlitten hätte. Knapp zwei Stunden später wusch Mafed sich gründlich Hände und Arme und warf den Kittel in eine Box, in der sie verdreckte Wäsche sammelten.

Er ging ins Labor, nahm sich den Kaffee vom Sims und nippte daran. Angewidert verzog er das Gesicht. Es gab nichts Schlimmeres als den Kaffee aus dem Morddezernat. Wenn er dann auch noch kalt war, sträubte sich bei Mafed alles.

Suchend schaute er sich um. Im Büro brannte kein Licht, sodass er vermutete, dass Barnell wieder gegangen war. Doch als er die Tür zum Arbeitszimmer öffnete, hörte er leise, tiefe Atemzüge. Im Halbschatten sah er Barnell ausgestreckt auf dem Sofa liegen. Da er größer als Mafed war, ragten seine Beine über die Lehne hinaus. Anstatt in die Kneipe oder nach Hause zu gehen, wie es sonst seine Art war, hatte sich der Detective offensichtlich entschieden, zu bleiben und neue Ergebnisse abzuwarten. Vielleicht färbte Mafeds Arbeitsmoral langsam auf ihn ab.

Bemüht leise ging Mafed zu dem Schlafenden und berührte ihn vorsichtig an der Schulter. Barnell zuckte zusammen und öffnete blinzelnd die Augen. Murrend streckte er sich und rieb sich übers Gesicht.

»Wie spät haben wir?«

»Gleich halb sechs«, antwortete Mafed und setzte sich auf den Beistelltisch, der vor dem Sofa stand. »Sie sollten nach Hause fahren und sich noch etwas ausruhen, bis Sie ins Museum müssen.«

»Schon gut«, wehrte Barnell ab und setzte sich auf. Stöhnend massierte er sich den Nacken. »Haben Sie was für mich, Doc?«

Entschuldigend schüttelte Mafed den Kopf. »Nichts, was wir nicht schon ahnten. Weder medizinisch noch göttlich. Ich tendiere zu Raubmord und befürchte, dass der arme Kerl einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort war und den Einbrecher störte.«