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In 'Transatlantische Reiseskizzen und Christophorus Bärenhäuter', dem Westernroman von Charles Sealsfield, entführt der Autor die Leser auf eine fesselnde Reise in die unbekannte Welt des amerikanischen Westens. Durch seine detaillierten Reiseskizzen und lebendigen Beschreibungen entsteht ein realistisches Bild der Landschaft und der Menschen, die das damalige Leben prägten. Sealsfields literarischer Stil zeichnet sich durch eine fesselnde Erzählweise und eine gelungene Mischung aus Abenteuer und Geschichtsschreibung aus. Der Roman ist ein faszinierendes Zeitdokument, das den Leser in die Vergangenheit eintauchen lässt und ihm einen Einblick in die vielschichtigen Geschehnisse des Wilden Westens bietet. Charles Sealsfield, ein Pseudonym für den österreichischen Schriftsteller Karl Anton Postl, war selbst als Wanderer und Abenteurer in Nord- und Südamerika unterwegs, was seine Expertise in Bezug auf das Thema des Buches unterstreicht. Seine eigenen Erfahrungen spiegeln sich in den authentischen und detailreichen Beschreibungen wider, die dem Roman eine besondere Glaubwürdigkeit verleihen. Für alle Leser, die sich für historische Romane und den amerikanischen Westen interessieren, ist 'Transatlantische Reiseskizzen und Christophorus Bärenhäuter' von Charles Sealsfield ein absolutes Muss. Tauchen Sie ein in die Welt des 19. Jahrhunderts und erleben Sie Abenteuer, Spannung und fesselnde Geschichten, die Sie nicht mehr loslassen werden.
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Seitenzahl: 309
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Books
Baltimore, den 4. November 1833.
»Sie erhalten hiermit, Ihrem Wunsche gemäß, ein zweites Geistesprodukt, aus derselben Feder geflossen, die einige Ihrer literarischen Freunde bereits im Manuscripte in so hohem Grade angesprochen hat. Es sind Skizzen, die zum Theile schon vor mehreren Jahren geschrieben, und von denen einzelne gelegenheitlich ihren Weg in einige der achtungswerthern belletristischen Blätter dieses Landes gefunden haben, die Mehrzahl jedoch noch nicht im Drucke erschienen ist. Wie Sie ersehen werden, so sind diese Reise- oder vielmehr Stationen-Skizzen zugleich Roman. Ein junger Hagestolz, der bereits seinen sechsten Ausflug aus dem tiefsten Südwesten der Vereinten Staaten nach dem Norden, und zwar in Heirathsspekulationen unternommen, erhält während dieses letzten Ausfluges einen neuen Korb, und kehrt in seine Heimath über Tennessee in Begleitung eines Freundes zurück.
»Es war bekanntlich die Gewohnheit Franklins, jedesmal, so oft er in einem von einem Neu-Engländer (Yankee) gehaltenen Gasthofe einkehrte, folgende Erklärung gleich bei seinem ersten Eintritte von sich zu geben: »Ich heiße Benjamin Franklin, bin von Boston gebürtig, in Philadelphia angesessen, meiner Profession ein Buchdrucker, gegenwärtig ein Mitglied der Assembly, Gouverneur, oder was er gerade war, komme von X, hatte daselbst dieses oder jenes zu thun, gehe nach Y in diesem oder jenem Geschäfte, wünsche sehnlich recht bald ein Frühstück, Mittag- oder Abendessen, und noch sehnlicher, mit allen fernern Fragen verschont zu werden.«
»Von dieser weltbekannten und unter keinerlei Umständen zu beschwichtigenden Yankee-Neugierde kömmt auch in der Nacht an den Ufern des Tennessee ein Beleg vor. Die weitere Reise unseres jungen Hagestolzen geht den Missisippi, auf eine der Pflanzungen unter Natchez, hinab, und von da westlich den Red-River hinauf.
»Die ergreifende Wahrheit, mit der die Objekte von dem Autor aufgefaßt, die außerordentliche Lebendigkeit, mit der sie reflectirt werden, vorzüglich aber die unübertrefflich gentlemannische Laune, die durch das Ganze, und besonders den guten Christophorus Bärenhäuter hindurchweht, lassen auch beinahe mit Gewißheit voraussetzen, daß Ihnen dieses Probestück transatlantischen Humors eben so wohl behagen werde, als die frühere ernstere Arbeit dieses Autors.«
»Sissi! Sissi!«1 rief ihre Nachtigallkehle, und ihr Engelsköpfchen guckte zur Thüre, und sie selbst tanzte herein, schnitt einen komischen Kniks, lachte eine gehorsamste Dienerin, und begann: »Nein, es ist nicht mehr zum Aushalten! Pa tobt, rennt an mir vorüber in die Straße hinaus, als ob es auf der Change2 brennte; Ma gähnt, und will von unserm Shopping3 nichts wissen, und brummt, immer Geld, nur immer Geld. Ach! liebe Sissi, aus der Laden-Exkursion wird nun für heute einmal nichts.«
Sissi, an welche die Jeremiade gerichtet war, lag mit ihrer Linken auf die Sophalehne gestützt, mit der Rechten Paul Clifford haltend. Sie warf einen schmachtend-wehmüthigen Blick auf die liebliche Schwester.
»Ach, der arme Staunton wird Trübsal blasen,« fuhr diese fort. »Sieh, so eben macht er die zehnte Tour gegen die Batterie4 zu. Gestern war er eine wirkliche Jammergestalt. Ich hätte es nicht über's Herz bringen können, ihm zu versagen. Wie konntest Du nur so grausam sein, Margareth?«
»Ach!« lispelte diese mit einem schmelzenden Blicke, »wie konnte ich anders? war nicht Ma hinter mir, und stieß mich so unsanft mit ihrem Elbogen in den Rücken? Ma ist zuweilen recht gemein.« Ein tiefer Seufzer entquoll ihrer Brust.
»Ja,« bekräftigte die Schwester, »ich weiß gar nicht, was sie gegen den armen Staunton hat; aber aufrichtig gesagt, Margareth, die Gallopade, hat gar nicht durch sein Wegbleiben verloren. Die erste, die er getanzt; war er doch so steif, wie ein Strohmann. Unser Louisiana-Hinterwäldler da nahm sich viel mehr zu seinem Vortheile aus.« Dabei blickte das schelmische Wesen mich mit einem so schalkhaften Lächeln an, daß ich, trotz des zweideutigen Compliments, ihr nicht böse seyn konnte. »Das ist unedel, Arthurine,« versetzte die bitterböse Margareth.
»Sissi, Sissi,« bat das Schwesterchen, und sie flog an Margareth heran, und schlang ihre Alabasterhände um ihren Nacken, und herzte und schmeichelte so lieblich, daß Margareth mit Thränen im Auge sie umschlang. Wer so das Mädchen sah, wie sie ätherisch hinflog, mit ihren Füßchen den glänzenden Teppich kaum berührend, der hätte schwören sollen, sie sei ein Luftgebilde. Sie war zum Malen schön. Schlank wie ein Rohr und nicht viel dicker. Man konnte sie mit seinen zehn Fingern umspannen. Jedes Gliedchen zuckte wie Quecksilber. Händchen und Füßchen im niedlichsten Ebenmaße und ein Gesicht so zart, von Lilien und Rosen angehaucht, und das lichtblonde Köpfchen, und die hellblauen, runden, klaren Schelmenaugen voll reiner Klarheit. Man hätte sie fressen mögen.
»Ach des Jammers,« seufzte die um zwei Jahre gereiftere Margareth. »Nein, dieser gemeine Mensch, so roh und selbstsüchtig sich zwischen mich und den edeln Staunton einzudrängen! Er wird mir das Herz abdrücken.«
»Nun Sissi, das weiß ich eben nicht,« versetzte Arthurine. »Moreland, du weißt, ist volle fünf Mal hunderttausend Dollars schwer, und Staunton ist federleicht, mit ihm verglichen; kaum zweitausend per annum.«
»Liebe verschmäht das schnöde Gold,« lispelte Margareth.
»Ah bah,« meinte Arthurine, »ich nehme Silber, wenn es in hinlänglicher Quantität vorhanden ist. Denke nur der Partien, der Bälle. Jeden Sommer nach Saratoga5, vielleicht nach London, Paris. Viktorine hat mir den Mund ganz wässerig mit der königlichen Adelaide gemacht.«
»Hinweg, hinweg mit seinem Bilde,« rief Margareth.
»Er ist ja noch nicht da, er kömmt erst zum Thee, und bis dahin haben wir noch sechs lange Stunden,« meinte Arthurine mit wahrer christlicher Ergebung.
»Ach, du Grausame!« lispelte Margareth, »uns dieses kleine Vergnügen zu versagen des elenden Geldes wegen!«
»Ja, wenn wir noch ein Paar Dutzend tüchtige, nagelneue Romane hätten,« meinte Arthurine. »Ich kann nur nicht begreifen, warum Cooper so faul ist. Das Jahr hindurch nicht mehr als einen Roman! Ich könnte, mein' ich, alle Tage einen spielen. Wie wär's Sissi, wenn du zu schreiben anfingest? Ich glaube, so gut wie Mistreß Mitchell triffst du es auch. Bulwer ist ein unausstehlicher Fantast, und Walter Scott wird so alt, und abgedroschen, als wenn er für Tagelohn schriebe.«
»Ach Howard!« seufzte Margareth.
»Geduld, liebe Margareth!« erwiederte ich. »Wenn es möglich ist, so helfe ich Ihnen den Alten ausputzen. Wollen es wenigstens versuchen.«
Klapp, klapp, klapp erschallte es an der Hausthüre. Arthurine horchte. Noch zwei Schläge. Ihre Augen leuchteten vor Freude. »Ein Besuch,« rief sie triumphirend, und tanzte zur Thüre und horchte. »Ach, das sind Damenfußtritte!« Die Thüre öffnete sich, und herein schwebten in's glänzende Drawing-room6 die Misses7 Pearce, so rauschend, so duftend in den violettfarbigen, offenen Ueberröcken und gestickten Roben und in Prunellschuhen! Sie sahen aus, als ob sie auf den Ball gingen.
Wer unsre Mädchen vom sogenannten haut-ton im Morgenkleide zu sehen das Glück hat, ich sage, zu sehen, das Glück hat — denn wir sind bereits ziemlich exclusiv geworden, — dessen Herz muß von Granit oder Quarz geformt sein, wenn es so vielem Zauber widerstehen kann. Diese zarten, leichten Wesen mit ihren intellectuellen und doch so schmachtenden Gesichterchen, ihren schwimmend-feurigen Augen, ihren zarten Körperchen, die man gerne festhalten möchte, damit der Wind sie nicht wegblase; diese zarten Hände und Füßchen, sie sind unwiderstehlich. Die Bostonerinen sind verstandreicher, ihre Gesichtszüge regelmäßiger, aber sie haben etwas Yankeeartiges, das mir nicht zusagt; zu dem ist ihre Taille ein Artikel, an dem ich immer das Wichtigste vermisse, nämlich den Busen. Es ist bekanntlich in der Yankee-Metropolis Mode, keinen zu haben. Dabei sind sie so verwünschte Bluestockings8. Die Philadelphierinnen sind runder, elastischer. Man trifft unter ihnen herrliche Gestalten, die so angenehm plappern; im Small talk9 sind sie unübertrefflich; aber die Newyorkerinnen, besonders wenn so ein letzter Mohikan oder Redrover erschienen, sind ganz unvergleichliche Coras und Alices, zum Malen natürlich. Cooper, ich wette darauf, würde er sie nur sehen, zerrisse seine Manuscripte, und bildete seine Damen weniger hölzern. Er muß ihre Bekanntschaft bloß auf der Batterie oder im Broad-way gemacht haben, wo sie so entsetzlich im Putze vergraben sind, daß der eigentliche Mensch gar nicht herauszufinden ist. Die zwei eintretenden Misses sind sprechende Beweise. Die vier täglichen Metamorphosen einer fashionablen Engländerin oder Französin haben sie mit Einem Male auf sich geladen. Doch mit meinem tête-à-tête ist es für heute vorbei. Ich bin nun überflüssig, und für die Langeweile der zwei holden Geschöpfe ist gesorgt. Ich empfehle mich daher.
Als ich vor dem Parlour10 vorbeikam, öffnete sich die Thüre, und Mama Bowsends winkte mir hinein. Auch der Papa war zugegen.
»So zeitlich verlassen Sie uns heute, lieber Howard?« begann die Erstere.
»Die Misses haben Besuch bekommen.«
»Ach, lieber Howard!« seufzte die Ma.
»Die Workies11 haben ihren Canvaß durchgesetzt,« brummte der Pa.
»Der fatale Staunton,« unterbrach ihn seine Ehehälfte. »Stellen Sie sich nur vor«...
»Dem pfiffigen Israeliten12,« fuhr Mister Bowsends fort, »dem hat sein Busenfreund einen herrlichen Streich gespielt. Ha, ha! Alle Tage war er vor der Kirche. Ha, ha! War, zum Todtlachen. Nichts davon gehört, Mister Howard?«
Ich wußte nicht, wo ich die Ohren zuerst hinhalten sollte. Die beiden Eheleute gönnten einander das Wort nicht.
»Ich weiß nicht,« jammerte die Dame, »aber dieser Mister Staunton wird mir jeden Tag mehr zuwider. Denken Sie nur, er hat wirklich die Effronterie, von Margareth nicht lassen zu wollen. Kaum zweitausend per annum.«
»Er soll Anstalt machen, von der Hermitage13 aufzubrechen; die Bankaktien sind ein halbes Prozent gefallen,« schnarrte der Herr Gemahl darein.
Erstaunlich! rief ich. — Das paßte auf den armen Staunton und den neuen Präsidenten.
»Er sollte doch denken, wer er ist, und wer wir sind,« rief sie, sich dehnend.
Freilich, freilich! bekräftigte ich.
»Und die Gouverneurs-Wahl geht auch so verzweifelt schlecht,« meinte hinwieder Mister Bowsends.
»Und dann Margareth, — denken Sie sich nur die Blindheit! — freilich ist sie ein sanftes, gutes Wesen — aber fünf Mal hunderttausend Dollars,« fuhr die Dame fort.
Sind gar nicht zu verwerfen, war meine Meinung.
Die fünf Mal hunderttausend Dollars hatten endlich die Saite berührt, die im Innern des lieben Mannes einen Ton von sich gab. »Fünf Mal hunderttausend Dollars! ja freilich,« bekräftigte er. — »Werden da lange fragen. Alles Narrheit; die Mädchen könnten einen Krösus ruiniren.«
»Ja, deine Wahlen und die Workies!« schmollte die Mistreß Bowsends.
»Das verstehst du wieder nicht,« versetzte er hitzig. »Interessen im Congresse — im Lande — müssen aufrecht erhalten werden. Wer würde das thun, wenn wir...«
Nicht wetteten, dachte ich.
»Bald werden wir keinen Fensterrahmen mehr einsetzen lassen können, so wachsen sie uns bereits über die Köpfe. Und diese Miß Fanny Wright14...«
Die Dame stieß einen Ausdruck des Entsetzens aus; sie faßte sich jedoch wieder, und sprach:
»Nein, Sie sind doch unser alter Hausfreund, und ich hoffe, Sie werden«...
»Apropos,« unterbrach sie ihr liebender Gatte. »Wie ist Ihre Baumwollernte ausgefallen? Sie könnten sie an mich spediren. Wie viele Ballen?«
Hundert und einige Dutzend Fässer Tabak.
»Beiläufig sechstausend per annum,« brummte der Papa. — »Hm, hm.«
Was das betrifft, so habe ich das Capital in Händen, fuhr ich nachlässig fort, die hundert Ballen um noch hundert zu vermehren.
»Zweihundert! zweihundert!« des Mannes Augen funkelten beifällig. »Das ginge, das wäre nicht übel. Ja, Arthurine ist ein liebes Mädchen! Nun, theurer Mister Howard! wollen sehen. Ja, ja! Sie kommen doch jeden Abend — ganz ungenirt — Arthurine, wissen Sie, sieht es gerne.«
Und Mistreß Bowsends und Mister Bowsends? fragte ich.
»Sind es ganz zufrieden,« lächelten die Beiden, »machen Sie nur bald.«
Ich verbeugte mich angenehm überrascht, und ging. Zwar waren mir die vorletzten Phrasen des Trilogs nicht ganz angenehm in den Ohren verklungen. Der lieb sein sollende oder wollende Schwiegerpapa, scheint es, will seine Wettenverluste mit meiner Baumwolle wieder ausgleichen. — Es muß ein Bischen hapern. — Ekelhafte Menschen! konnte ich mich nicht enthalten auszurufen, — so ekelhaft-selbstsüchtig, daß sie sich selbst nicht zu Worte kommen lassen. Die stupideste Unverschämtheit, die je in Schneiderseelen gewohnt, die für nichts Sinn haben, als für ihr eigenes saft- und markloses, schwammiges, verdorbenes Ich! Selbst ihre Kinder sind ihnen bloß — Sachen! — Und diese Menschen gehören nun zum haut-ton. Vor fünf und zwanzig Jahren nahm er noch das Maß. Nun ist er Wortführer auf der Börse und Mitglied von zwanzig Comités. Und Arthurine! Sie, siebzehn Jahre alt, und du acht und zwanzig; — das kostspieligste Zierpüppchen der Stadt, und das will wahrhaftig nicht wenig sagen; aber auch das eleganteste, reizendste, eine wirkliche Sylphide. Gesicht und Hände können nicht zarter sein. Ihr ganzes Wesen so bezaubernd. Es war vor eilf Monaten, daß ich sie kennen gelernt, und angezogen und festgehalten wurde, als wäre ich mit Armida's Banden gefesselt. Sie war just aus der französischen Pensions-Anstalt von St. Johns in's väterliche Haus zurückgekehrt. Dieß ist, im Vorbeigehen gesagt, die Art und Weise, wie sich unsre Mushroom-Aristokratie gestaltet15. Ein Paar Töchter, in fashionable Pensionen gesandt, ziehen bei ihrem Rücktritt in's väterliche Haus mit ihren Gespielinnen ein Paar Dutzend junge Laffen nach, und die Glorie der Töchter strahlt natürlich auf den lieben Papa und die theure Mama zurück. Und die kleine Hexe weiß anzuziehen. Aller Herzen flogen ihr entgegen; doch keiner konnte sich rühmen, auch nur um einen Blick reicher zu sein denn seine zwanzig Mitwerber. Ich war noch der Einzige, der sich einigermaßen gewisser passiven Gunstbezeugungen rühmen durfte, als da sind: sie zu begleiten, zu Fuß und zu Pferd und im Wagen, ihr den Shawl nachzutragen und umzuhängen, ihr bestimmter Tänzer zu sein, wenn kein besserer da war, und derlei beneidenswerthe Dinge mehr. Sie scherzte, sie tändelte, sie flatterte um mich herum, hing sich an meinen Arm, und trippelte mit mir die Broadway hinauf, oder die Batterie hinab. Auch hatte ich das Geschäfte übernommen, sie mit den neuesten Produkten Walter Scott's, Cooper's, Bulwer's etc. zu versorgen, und sie mit unsern Atlantic-Souvenirs und Tokens, so wie den englischen Keepsakes und Amulets zu überraschen, nicht minder die fashionablen Bravour-Arien der hoch geliebten Madame Vestris herbeizuschaffen. Alles das hatte mich schweres Geld gekostet. Der Gedanke jedoch, es gehe zu Handen des schönsten Mädchens von Newyork, hatte mich noch immer getröstet; einmal mußte sie sich doch ergeben! Wirklich hatte mir auch das Glück schon zwei Mal gelächelt; ein Mal nämlich, als wir auf der Niagara-Brücke16 standen, und in die tobenden Gewässer hinabstarrten, da durfte ich meinen Arm um ihren Leib schlingen, um sie vor dem Schwindeln zu bewahren, und wäre darüber beinahe selbst in den Strom hinabgestürzt. Ferner gelang mir dasselbe Wagestück bei den Trentonfällen.17 Das war aber auch Alles seit den eilf Monaten, die ich in Newyork vergeudet, und die wahrlich meinen Beutel nicht schwerer machten. Südländer sind nun schon gewissermaßen hier wie die Gimpel oder Robbins18 betrachtet, die so eben fett gemästet ankommen, zum Frommen heirathslustiger Nordländerinnen, von denen wir ohne viele Mühe umgarnt und eingefangen werden, versteht sich, wenn wir Dollars haben. Es ist Mode, von einer nordländischen Schönheit an unsern Theetischen bedient zu werden, der einzige Dienst, zu dem sie sich in der Regel im lieben Ehejoche verstehen. Und ich war nun zum sechsten Male bereits in diesem wichtigen Geschäfte heraufgekommen. Es war hohe Zeit abzuschließen; wenn ich nicht als verlegene Waare bald außer Concurrenz gesetzt werden sollte. Als ich so sinnend um die Trinity-Kirche in die Wallstraße hinein bog, da kam mir mein Leidensgefährte Staunton entgegen. Das betrübte Gesicht des Yankee hätte mich beinahe zum Lachen gebracht. Auch so eine Art Augur, dachte ich, als er herankam, um mir zu verkünden, daß das Wetter schön sei, und mir zugleich einen Imbiß von seinem Kautabake anzubieten. Ich konnte nicht umhin, ihm meine Verwunderung zu erkennen zu geben, wie die ästhetische, zartfühlende Margareth so etwas vertragen könne.
Ja, versetzte der Gute mit einem seltsamen Gedankensprunge, Moreland kaut ja auch.
Ja, aber der hat fünf Mal hunderttausend Dollars, und die versüßen das Gift.
Ach! seufzte er.
Den Muth nicht verloren! rief ich ihm zu, Bowsends ist reich.
Der Mann schüttelte den Kopf. Zwei Mal hunderttausend sagt die Welt; aber morgen sind es nicht mehr zwanzig. Du kennst unsere Newyorker. Der Aufwand ist groß, und hat er die Töchter los, so fallirt er vielleicht in acht Tagen.
Ersteht aber wieder um desto glorreicher im nächsten Jahre, tröstete ich ihn.
Ja, wenn das noch wäre, meinte der Yankee.
Je nun, mit Hülfe eines so zarten Gewissens, wie das deinige, wird es ihm nicht fehlen, versetzte ich lachend. Unterdessen nimmst du die schmachtende Margareth, und theilst mit deinen Mitbürgern das beneidenswerthe Loos, mit der blechernen Büchse oder dem weiß geflochtenen Korbe dich morgens auf dem Greenwich-Markte zu ergehen, und deiner unterdessen sanft schlummernden Gattin die Kartoffeln und gesalzenen Mackarels vor den Theetisch zu legen, wofür dir dann ihre schöne Hand eine Schale Bohea einzuschenken sich herablassen wird; das ist ein Antidote gegen die Dispepsia.
Du bist boshaft, sprach der arme Staunton.
Und du nicht klug. Einem jungen Advokaten, wie du, stehen hundert Häuser offen.
Und so dir.
Ja, da hast du Recht.
Und dann habe ich den Vortheil, daß mich das Mädchen liebt.
Mich lieben der Pa und die Ma und das Mädchen.
Hast du fünf Mal hunderttausend Dollars?
Nein.
Armer Howard! lachte er.
Hol dich der Teufel! lachte ich dazu.
Wir hatten so ein recht angenehmes Viertelstündchen verplaudert, als von der Greenwichstraße eine Kutsche herauffuhr, in der ein Personnage saß, die ich zu kennen glaubte. So eben war eines der Philadelphia-Dampfboote angekommen. Ich trat vor. Halt! rief es — Halt! rief ich, und stürzte auf den Wagenschlag zu. Es war Richard, mein Jugend-, Schul- und Collegien-Freund und Nachbar obendrein, zwanzig Meilen von mir geboren, hundert und siebenzig von mir wohnend. Ich nahm vom guten Staunton Abschied, setzte mich in den Wagen, und wir rollten durch Broadway hinauf dem American Hotel zu.
Aber um's Himmels willen, George! rief mein Freund, als wir uns in dem ihm so eben angewiesenen Zimmer befanden, was machst du hier? Hast du deine Freunde, dein Haus, deinen Hof so ganz vergessen? Eilf Monate sitzt er da.
Und macht die Cour, und ist keinen Schritt weiter, als am ersten Tage, fiel ich ein.
Also ist es wahr, was das Gerücht sagt, daß du bei Bowsends geangelt bist? Armer Junge! sage mir um aller T....l willen, was du wohl mit dem Püppchen machen willst, die nicht einmal Geduld hat, einen Roman von Cooper durchzulesen, die schon in ihrem zwölften Jahre Tom Moore und Byron, Don Juan, vielleicht ausgenommen, auswendig wußte? Die Geographie und die Globen, Astronomie und Cuvier und die Cartons von Raphael bis über den Hals studirt, und, so wahr ich lebe, nicht weiß, ob ein Hammels-Cotelette vom Rinde oder Schweine herrührt; die den Thee wie Blumenkohl absieden, und die Eier im deutschen Sauerkraut einmachen wird.
Und vor jeder Nadel Zuckungen bekömmt; — das rührt aber vom Geblüte her, setzte ich hinzu. Aber das Kochen und Absieden wird sie bleiben lassen.
Die nicht weiß, fuhr er fort, ob die Wäsche gekocht oder gebraten werden muß.
Und singt, wie ein Engel, wenn sie nämlich nicht den Schnupfen hat, und spielt wie der Teufel, und tanzt wie besessen.
Ja das wird dich fett machen, meinte er. Ich kenne die Familie; Vater und Mutter sind die Erbärmlichsten.
Halt ein! rief ich, sie sind um kein Haar besser, noch schlechter, als der Rest.
Ja, da hast du Recht.
Wohl denn! Um sechs Uhr habe ich versprochen, zum Thee zu kommen. Willst du mit? Ich führe dich auf.
Kenne sie — kenne sie. Ich gehe unter der Bedingung, daß du nach drei Tagen mit mir Newyork verläßt.
Wenn ich nicht heirathe, bemerkte ich.
Verdammter Narr! rief er.
Ich muß gestehen, der Spott meines Freundes, selbst mein eigener, hatte mich ein wenig stutzig gemacht, aber nur ein wenig. Wer könnte auch in dem tollen Newyork, dem lebensfrohen, amerikanischen Paris zum Nachdenken kommen, wo es für das liebe Volk, zwar nicht wie in dem Transatlantischen, heute Wein aus Springbrünnen und Würste von den Bäumen, und den nächsten Tag Kartätschen aus Feuerschlünden regnet; wo es sich aber eben so heiter und froh lebt, nur mit dem Unterschiede, daß man hier ein bischen mehr auf seinen Beutel hält? Das ist eigentlich unser großes, politisches Arcanum, das zuverlässigste gegen alle Wein- und Kartätschenregen, die es gibt. Probatum est. Ja, es ist ein sanguinisch-durchgreifendes Völkchen das Newyorker, das lebt und leben läßt, Geld in Scheffeln gewinnt, und in Büscheln wieder verthut. Zur Besinnung läßt sich's hier nicht kommen. Selbst der kalkulirende Yankeeism von Boston und der Philadelphi-Quakerism arten hier aus, und zwischen der flachen, platten, schweigsamen Bruderstadt, wo die Nachtwächter Schaffellsohlen auf ihren Schuhen tragen müssen, um die Nachtruhe der lieben Bürger und noch liebern Bürgerinnen nicht zu stören, und dem lustigen Newyork, sollte man denken, müssen ganze Welttheile liegen. Die letzten acht Tage war es nun über die Maßen bunt hergegangen. Bachelors-Ball19 und Präsidentenwahl und Gouverneurswahl und Sheriffswahl hatten die zwei Mal hunderttausend Seelen, aus denen die liebe hohe und niedrige Welt zusammengesetzt ist, in solche Bewegung versetzt, daß es unmöglich war, einen neuen Rock oder Inexpressibles20 auf seinen Leib zu bekommen, so waren die ehrsamen Zünfte vom Gemeinbesten in Anspruch genommen. Mein Schuhmacher sah mich so wichtig an; ich dachte nicht anders, als er habe auch die fünf und zwanzig tausend Dollars21 im Kopfe, und wirklich etwas hatte der Gute erjagt; er war zum Mitlenker des Staatsruders in Albany erkohren. Selbst die so schmählich hintangesetzte Kunst hatte zur Verherrlichung des politischen Drama beitragen müssen, und alle Hauptquartiere der siegenden und besiegten Parteien waren mit klafterlangen Transparenten behangen, in denen der Sieger von Neworleans mit seinen Streithengsten goliathmäßig, und hinwieder bescheiden als schlichter Cincinnatus, hinter dem Pfluge einherwandelnd, dargestellt ist, allen Adamsmännern zum Trotz, die ihrer Seits zu seinem Ruhme nicht versäumt hatten, ein Gegenstück in ächter Nürnberger Manier zu liefern, den alten Hickory mit Dolch und Pistole repräsentirend, wie er so eben ein Paar Dutzend freie Bürger in die andere Welt expedirt.
Ein kräftiges Hurrah für Jackson, das so eben von der Murraystraße heraufschallt, verkündet etwas Neues. Die Scene ist wahrlich neu und ganz in ihrer Art. An die vierzig Lohnkutschen kamen gegen den Park heraufgezogen, zu beiden Seiten mit der wunderlichsten Cavalcade flankirt, die je ein menschliches Auge gesehen. Wettergebräunte, rührige Männer baumeln zu zwei und drei auf einem Pferde herum und herunter. Jeder Fall der unbeholfenen Cavallerie wird mit einem Hurrah begrüßt, das die Fenster zittern macht. Alle möglichen Trachten sind an den fahr- und reitlustigen Theers zu sehen; mit Pech geschwängerte Hüte und Hütchen und Jacken und Inexpressibles. Der Eine ist mit einem neumodischen Fracke angethan, der Andere prangt in einer Redingotte, die so eben von Chatham-Place ihren Weg auf seinen Leib gefunden; ein Dritter erglänzt in seiner rothflammenden Jacke, der tollste, buntscheckigste Haufe, der je gesehen wurde. Es sind die Matrosen, die Bemannung der Fregatte Constitution, die einberufen und diesen Morgen ausbezahlt worden war, und die nun aus Leibeskräften bemüht ist, die fünf oder sechshundert Dollars so geschwind wie möglich wieder los zu werden, die jedem von ihnen während des dreijährigen Kreuzzuges auf den Hals gewachsen waren. Wer so das lustige Völkchen hinziehen sieht, im Jubel, Saus und Braus, mit vollen Flaschen, jeder eine Schöne neben sich, und brüllend, daß einem die Ohren gellen, der muß sich von unserer polizeilichen Ordnung einen saubern Begriff machen. Thut jedoch nichts. Das sind Männer, die zwar nicht den Julius Cäsar und Cornelius Nepos gelesen; die aber für ihr Vaterland so heiß glühen, als die Helden Plutarchs. Zeigt ihnen eine Fregatte Brittaniens, und sie werden darauf losstürzen und sie brechen, wie der feste, freie Mann den Uebermuth des stumpfen Herrendieners bricht. Und laßt den Sturm über sie hereintoben, und sie werden wie Felsen dastehen, im Gebrülle des Orkans, und hängen draußen am gefrornen Segeltuche, ihre Hände und Füße erstarrend am Taue; oder sie werden sinken unter den krachenden Balken und hereinstürmenden Wogen in den bodenlosen Abgrund, und ihr letzter Gedanke wird auf das Vaterland gerichtet sein. Solche Männer verdienen, daß man ihnen ihre Lust nach ihrer eigenen Weise gönne. Sie werden schon wieder nüchtern werden ohne Polizei, Gendarmes und Wachhaus. Ihr rohes Treiben ist nicht den zehnten Theil so verderblich für des Volkes Sitten, als euer raffinirte bon ton. In drei Tagen hat das Drittel dieser Vierhundert und Fünfzig keinen Cent mehr in der Tasche, in sechs das zweite Drittel, und in zehn Tagen sind sie so ziemlich alle wieder flott, und in der rothen Jacke und auf der Reise nach allen Weltgegenden; die wenigen ausgenommen, die sich einen eigenen Herd suchen, oder sich in gewissen Affairen verspätet haben. Ein Paar Mal treiben sie das Wesen mit, und dann werden sie klüger, nehmen sich Weiber und setzen sich hin, um tüchtige Hauswirthe zu werden; anfangs ein wenig quer und verschroben, wie es Seemännern zu gehen pflegt; aber allmälig lehrt sie gesunder Menschenverstand, sich in die neue Lage fügen. Es ist in diesen Männern ein fröhlich-freier, selbstständiger Sinn, ein tüchtiger und trotziger Muth, der, über die Nation zerstreut, herrlichen Samen getragen, der im letzten Kriege unser Vertrauen in uns selbst erkräftigt, und so unsern Feind bezwungen hat. Diese Männer haben den Neuseeländer und Chinesen, den Türken und Brasilianer und Franzosen kennen, und auf ihn stolz herabblicken gelernt; den See-Bezwinger Aller — den Britten — haben sie bezwungen. Der brittische Matrose kehrt immer dümmer unter seine Zuchtruthe zurück, als er ausgezogen; der amerikanische immer aufgeklärter, weil Knechtschaft immer zurück, Freiheit immer vorwärts schreitet. Der Eine weiß, daß Lebensweisheit für das Ziel seiner Laufbahn — das Greenwich-Hospital — überflüssig oder gefährlich ist; der Andere muß sie sammeln für's thätige Bürgerleben, in das er ehrenvoll eintritt. Und John Bull wundert sich in seiner Dummheit, daß wir ihm mit unsern fünf Fregatten zehn genommen, und ihn in zwei Haupttreffen von unsern Seen verjagten; er, der seine armen Wichte von Matrosen mit fünfzehn Schillingen abfertigt, und wenn sie ein bischen über die Schnur hauen, auf ein Paar Monate in's Loch steckt. — Wir haben so manche Fehler, und Engel sind wir wahrhaftig nicht — aber eine Tugend haben wir, die der Sünden viele bedeckt: sie ist Achtung für Menschenwürde und Bürgerrecht, und diese hat uns vom größten Tyrannen das Größte errungen, wornach der Mensch je gestrebt hat: Freiheit in unserm Lande und auf unsern Meeren.
Es war sechs Uhr, als ich mit Richard in das Drawingroom meiner künftigen Schwiegermama eintrat. Die gute Dame hatte mich beinahe erschreckt in ihrem nagelneuen, so eben mit dem Henri IV. angekommenen grauen, Gaze-Turban, der ihr das Ansehen einer unserer Missisippi-Nachteulen gab. Auch Richard schrak sichtlich zurück, und der gute Moreland schaute so starr nach dem hehren Kopfputze hin, als wäre er ein Zifferblatt gewesen. Miß Margareth im grün seidenen Kleide, die Haare glatt zu beiden Seiten der Stirne hinabgekämmt à la Margarethe, — wir haben eine eigene Modenphraseologie — war, wie die Tochter Jephtas, blaß und resignirt; ein leichtes Zittern bebte durch die anziehende Gestalt, und in ihrer Begrüßung war süßer Schmerz und schmachtende Sehnsucht nach dem fernen Geliebten unverkennbar. Der Abstand war allerdings grell zwischen dem fünfzigjährigen Moreland, der kalt und zäh und breit und roth da saß, und dem windigen Staunton, der von Austern und Rosinen lebte, und sich höchstens in Bullwer's Novellen betrank. Ich hatte dem zarten, so eben beschriebenen Gebilde die Tales of my Grandfather22 mitgebracht.
Walter Scott! rief sie mit lieblich verschmelzender Stimme. Ach! der gemeine Mensch weiß auch nicht ein Wort zu sagen, flüsterte sie mir nach einer Weile zu.
Warten Sie nur, tröstete ich sie; Sie wissen ja, daß derlei Affairen zuerst immer Jampartien23 sind. — Furcht, Bescheidenheit versperren ihm den Mund.
Das Mädchen sah mich an. Sie war bitterböse. Kalter, herzloser Spötter, sagte sie.
Wie konnte ich anders? sie war so empfindsam-albern.
Richard hatte unterdessen mit Bowsends die Conversation begonnen. Der arme Junge, der nicht wußte, daß der Theegeber Adamsmann war, und fünftausend Dollars in Wetten und Beiträgen zur Umstimmung des souveränen Volkswillens verloren, hatte sich beeilt, ihn wissen zu lassen, daß der alte Hickory24 nächstens die Hermitage verlassen werde.
Der blutdurstige Backwoodsman25, halb Pferd, halb Alligator26, unterbrach ihn Mister Bowsends.
Kostet Sie schwer Geld, versetzte Moreland lachend.
Und raucht aus einer Tabakspfeife, wie die vulgären Deutschen, fügte Mistreß Bowsends hinzu.
Nun das könnte ich eben nicht so vulgär nennen; der Tabak hat wirklich einen ganz andern Geschmack, sprach der unglückselige Moreland.
Ich stieß ihn mit dem Elbogen in den Rücken.
Sie rauchen aus einer Tabakspfeife, Mister Moreland? flötete Margareth.
Der Mann stutzte; die unerwartete Frage hatte ihn aus dem Concepte gebracht; sein gutes Gewissen ließ jedoch keine Prevarication zu, und er antwortete mit einem:
Es schmeckt so gut!
Ich hatte die Erschütterung der empfindsamen Seele vorhergesehen, und legte meinen Arm über die Sessellehne, eben als Arthurine eintrat. Sie blickte einen Augenblick umher; es war jedoch zu spät, sich zurückzuziehen. Sie schien es nicht zu bemerken, grüßte leicht und fröhlich die Gesellschaft, tanzte dann auf Moreland zu, bot ihm einen guten Abend, fragte ihn nach seinen Wetten, seinen Schiffen, seinem alten Tom, plauderte an die zehn Minuten in Einem Athem. Ehe sich's Moreland versah, war seine Hand in den beiden ihrigen. Freilich waren sie alte Bekannte, und er konnte füglich ihr Großvater sein.
Margareth hatte sich inmittelst von ihrem Schrecken erholt. Er raucht aus einer Pfeife, lispelte sie im dumpfen Schmerze Arthurinen zu.
Der alte Hickory ist sehr populär in Pensylvanien, fing Richard wieder an, ohne von dem Unheil, das er angerichtet, auch nur eine Ahnung zu haben. So eben hat ihm ein Farmer27 von Bedford-County28 ein Faß Monongehala29 zum Geschenke gemacht.
Um das beneide ich ihn, platzte Moreland heraus. Ein Glas alter Monongehala ist nicht mit Geld zu bezahlen.
Der Stoß war zu heftig; der zarte Nervenbau Margareths konnte ihn nicht aushalten; sie sank. Glücklicher Weise hatte ich sie erfaßt. So eben war der Thee angekommen. Mit Hülfe der Dienstmädchen und Bedienten wankte sie aus dem Zimmer.
Haben Sie ihr ein Buch gebracht? fragte Arthurine.
Ja, einen neuen Roman Walter Scott's.
Ach dann erholt sie sich schon, meinte das liebe Schwesterchen gleichmüthig.
Mit der nervenschwachen Schönheit war auch unsre Schweigsamkeit gewichen. Capitain Moreland war ein fröhlicher Theer, der zehn Reisen nach China, fünfzehn nach Constantinopel, zwanzig nach St. Petersburg und unzählige nach Liverpool gemacht, und sich ein artiges Vermögen erworben hatte, das er nach Kräften zusammenhielt, und vermehrte. Ein jovialer Lebemann mit gesundem Menschenverstande, einen Punkt ausgenommen, die Weiber nämlich, die er gerade so gut kannte, wie die Bewohner des Mondes. Die Aufmerksamkeit, mit der ihn Arthurine behandelte, die mädchenhafte Verschämtheit, der liebliche Reiz, mit dem sie sich an ihn anschmiegte, schien dem Gaumen des alten Junggesellen recht wohl zu behagen. Es lag etwas leicht Fröhliches, Spottendes und zugleich unendlich Anziehendes im Wesen des süßen, liebreizenden Mädchens; selbst der kalte Richards hing mit unverholener Bewunderung an ihr. Das ist wirklich ein bezauberndes Mädchen, wisperte er mir zu.
Habe ich dir es nicht gesagt? erwiederte ich. Sieh nur, mit welcher Zartheit sie in die Launen des Alten einzugehen weiß.
Die Stunden waren wie Minuten verflogen. Das Souper war lange abgedeckt, und wir machten Miene zum Aufbruche. Arthurine drückte mir bedeutsam die Hand, und ich war in neun und neunzig Himmeln.
Nun Freunde, sprach der ehrliche Moreland, als wir aus der Thüre waren, es wäre wirklich schade, an diesem herrlichen Abend uns so bald zu trennen. Was meint ihr, wie wäre es? ihr geht mit mir, und wir brechen noch einem halben Dutzend die Hälse.
Wohlan! Es ist ohnedem grimmig kalt, und der Sherry und Port30 des alten Bowsends sind nicht halb so geistig...
Wie seine Mädchen, versetzte der schmunzelnde Moreland, der denn doch ein wenig zu tief in's Glas geguckt zu haben schien.
Wir nahmen den alten Kumpan in die Mitte, und steuerten seiner Kajüte zu, wie er sein wirklich prachtvolles Haus nannte.
Nun ist das nicht eine herrliche liebe Familie, die Bowsends, eröffnete Moreland die Sitzung an der mit Lafitte und East-India Madeira besetzten Tafel. Und die Mädchen sind prachtvoll. — Ja, ja ich habe auch gedacht, — du kömmst allmälig in die Jahre; — bist aber doch noch frisch, rührig und munter, gesund wie ein Delphin — Damn! — Ich könnte noch ein halbes Dutzend Mädchen...
Begraben; setzte ich hinzu.
Ja, das könnte ich bei Jingo; hoffe aber Margareth wird Stich halten. Sie gefällt mir, und so habe ich denn...
Ja, aber lieber Moreland, ob Sie auch ihr gefallen?
Pah! fünf Mal hunderttausend Dollars. Hör' einmal, Junge, das findet sich nicht alle Tage.
Fünfzig Jahre — setzte ich hinzu.
Ja freilich, aber gesund und rüstig, keiner euerer Spindeljungen, kein Staunton...
Ja, der raucht aber Cigarren, und nicht aus deutschen Pfeifen.
Das lasse ich wohl bleiben; werde mir da wegen der Miß das Maul und die Nase mit den verdammten Stümpchen verbrennen!
Auch trinkt er nicht Whisky. Er ist Präsident einer Temperanz-Gesellschaft!
Hol' ihn der Henker! brummte Moreland. Den Whisky wollte ich um aller Mädchen willen nicht lassen.
Dann werden sie in Ohnmacht fallen, lachte ich.
Und Margareth! fuhr er heraus. Ah! dem Monongehala galten also die Achs und Ohs, und das Sinken und Verschwinden? Ist es um diese Zeit! Nein, meine Miß, da wird nichts daraus. Darauf können Sie sich gefaßt machen; und zur Bekräftigung leerte er sein Glas, und wir die unsrigen. Wir lachten und jubelten bis nach Mitternacht, und ich hatte mir viel auf meine diplomatische Geschicklichkeit eingebildet. Als wir nach Hause gingen, meinte Richard, daß ich dem alten Junggesellen etwas hart zugesetzt hätte. Habe ich doch die arme Margareth von dem lästigen Menschen befreit, war meine Antwort. Der kalte Richard jedoch schüttelte den Kopf. »Was daraus werden wird, weiß ich nicht,« versetzte er; »doch darfst du für deine unberufene Mediation eben keine sehr glänzende Erkenntlichkeit erwarten.«
Der nächste Morgen verging in Geschäften, deren Besorgung Richards Ankunft nöthig gemacht hatte. Zehn Mal wollte ich Arthurine sehen; aber immer war ich durch etwas, das dazwischen kam, abgehalten worden. Es war nach der Theezeit, als ich in's Haus trat. Im Drawing-room saß Margareth, eine frische Novelle verdauend. Wo ist Arthurine? fragte ich.
Im Theater mit Mama und Mister Moreland, war die Antwort.
»Im Theater mit Mama und Mister Moreland«! Man gab Tom und Jerry31, ein horribles Lieblingsstück der aufgeklärten Kentukier. Ich hatte die erste Scene in Caldwells Theater zu New-Orleans gesehen, und daran genug gehabt.
Fürwahr! das heißt sich aufopfern, sprach ich ärgerlich.
Die Edle! versetzte Margareth. Mister Moreland kam zum Thee, und drückte ein so lebhaftes Verlangen aus...
Daß sie nicht umhin konnte, mit ihm zu gehen, und ein Paar Stunden sich zu ärgern und zu gähnen.
Ihrem süßen Zauberreize wird es vielleicht gelingen, Mister Moreland beizubringen — lispelte sie.
Ja, das ist's, dachte ich. Eine Anwandelung von Eifersucht wäre lächerlich gewesen. Er fünfzig Jahre, sie siebzehn. Ich empfahl mich, und eilte zu Richard.
So zeitlich? frug er lachend.
Sie ist mit Moreland und Mama im Theater.
Richard schüttelte den Kopf. — Du hast dem Alten gestern ein Wespennest in den Kopf gesetzt. — Sieh' zu!
Ich möchte gerne sehen, wie sie sich an seiner Seite ausnimmt, sprach ich.
Wohl! ich begleite dich. Je eher du geheilt bist, desto besser. Aber nicht länger als zehn Minuten.
Wer hätte es auch länger aushalten können in diesen Whiskydünsten und Tabaksqualm! Es war im Bowery-Theater. Die Lichter schwammen, als ob sie im Nebel hingen, und von der Gallerie regnete es Orange- und Aepfelschalen auf uns herab, andere Dinge zu verschweigen. Der liebe Tom war so eben in seiner Forcepartie begriffen. Ich blickte auf, da saß die liebreizende Arthurine, so gemüthlich mit dem alten Moreland plappernd, daß mir Hören und Sehen verging. Eine dreißigjährige Ehefrau hätte nicht anständiger ihren Platz einnehmen können.
Das ist ein gescheidtes Mädchen, versicherte Richard, die sieht auf die Dollars, und würde den alten Hickory nehmen, wenn er Lust und mehr Geld hätte, trotz Tabakspfeife und Whisky.
Ich erwiederte kein Wort.
Wenn du kein solcher Hasenfuß wärest, meinte Richard, so würde ich sagen: Lasse sie fahren, und übermorgen gehen wir ab.
Noch acht Tage, versetzte ich mit schwerem Herzen.
Wieder betrat ich am folgenden Abend, Schlag sieben Uhr, mein Elysium, das mir allmälig zum Tartarus wurde. Wieder saß Margareth einsam über einem Roman.
Und Arthurine? fragte ich mit zitternder Stimme.
Ist mit Mama und Mister Moreland gegangen, Miß Fanny Wright zu hören.
Miß Fanny Wright zu hören, die Atheistin, die Revolutionistin? Das war doch wirklich toll. Wer hätte so etwas auch nur träumen sollen? Diese Miß Fanny Wright war gescheut von unsrer fashionablen Welt, wie eine Pestkranke.
Mister Moreland, lispelte Margareth, sprach mit so vielem Lobe von ihrem entzückenden Vortrage, daß Arthurines Neugierde geweckt wurde.
Ja, ja; versetzte ich.
O, Sie kennen nicht das edle Mädchen. Für ihre Schwester würde sie das Leben aufopfern. Sie ist meine einzige Hoffnung.
Schön, schön! sprach ich, indem ich meinen Hut zerkneipte, und mich nach der Thüre umsah.