Traumatisierten Flüchtlingen helfen - Annette Fürst - E-Book

Traumatisierten Flüchtlingen helfen E-Book

Annette Fürst

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Beschreibung

Seit die Flüchtlingswelle Deutschland erreicht hat, bildet ehrenamtliches Engagement einen der Grundpfeiler der Integrationsarbeit. Freiwillige Helfer engagieren sich in Erstaufnahmestationen, in Flüchtlingsheimen und an Schulen. Doch auch Helfer geraten an ihre Belastungsgrenzen. Dieses Buch soll all jenen eine Handreichung sein, die ohne entsprechende psychologische Ausbildung im Ehrenamt oder als Lehrer mit traumatisierten Flüchtlingen zu tun haben: Wie gehe ich als Laie mit jemandem um, der schreckliche Dinge erlebt hat? Was ist sinnvoll? Was sollte ich besser lassen? Und wie kann ich mich als Helfer schützen? Ein wichtiges Buch zur richtigen Zeit!

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Seitenzahl: 154

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Informationen zum Buch

Seit die Flüchtlingswelle im September 2015 Deutschland erreicht hat, sind viele Ehrenamtliche Helfer im Dauereinsatz. Ohne sie wäre eine Versorgung der neu ankommenden Flüchtlinge nicht möglich. Schätzungen zufolge leiden etwa 40 Prozent der nach Deutschland kommenden Flüchtlinge unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung. Doch auch Helfer geraten an ihre Grenzen.

Dieser kompakte Ratgeber richtet sich nicht an Fachkräfte, sondern an Ehrenamtliche ohne entsprechende psychologische Ausbildung und an Lehrer, die mit traumatisierten Flüchtlingen zu tun haben. Er liefert wertvolles Hintergrundwissen und klare Empfehlungen für das eigene Verhalten im Umgang mit traumatisierten Flüchtlingen.

Informationen zur Autorin

Annette Fürst arbeitet als Diplom-Psychologin und Therapeutin in eigener Praxis. In Zusammenarbeit mit Flüchtlingsunterkünften und dem DRK in Mannheim hält sie Seminare und Vorträge für ehrenamtliche Flüchtlingshelfer. Im Rahmen ihrer Workshops für Lehrer zu den Themen Stressmanagement, Kommunikation und Konfliktmanagement geht es oft um den Umgang mit traumatisierten Kindern und Jugendlichen.

http://www.fuerst-class.org

Stimmen zum Buch

„Die Informationen über Trauma werden ebenso wie die Vorschläge zur praktischen Unterstützung ehrenamtlicher Helfer und Lehrer von der Achtung der Menschenwürde getragen. Außerordentlich lesenswert!“ Donata Freifrau Schenck zu Schweinsberg, Vizepräsidentin des Deutschen Roten Kreuzes

„Ich wünsche dem Buch den großen Erfolg, den es zweifellos verdient!“ Dr. med. Gunther Schmidt, sysTelios-Klinik für hypnosystemische Kompetenzentfaltung Siedelsbrunn und Milton-Erickson-Institut Heidelberg

„Ein praktischer Ratgeber für die tägliche Arbeit mit Flüchtlingen. Zukünftig wird dieses Buch für uns ein wichtiger Wegbegleiter in der Schulung von Ehrenamtlichen werden.“ Cigdem Erdis, Kirchliche Fachberatungsstelle Flüchtlinge des Diakonischen Werks

Annette Fürst

Traumatisierten Flüchtlingen helfen

Ein Ratgeber für Ehrenamtliche und Lehrer

Impressum

Titel der Originalausgabe: Traumatisierten Flüchtlingen helfen

Ein Ratgeber für Ehrenamtliche und Lehrer

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2016

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Umschlaggestaltung: Christian Langohr, Freiburg

E-Book-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

ISBN (E-Book): 978-3-451-80868-5

ISBN (Buch): 978-3-451-06933-8

Inhalt

Geleitwort

Vorwort

Einleitung

Trauma und Belastungsreaktionen – viele Puzzleteile ergeben ein Bild

Traumata in Medizin und Psychologie

Mögliche Folgen

Akute Belastungsreaktionen, Anpassungsstörungen und depressive Episoden

Posttraumatische Belastungsstörung und Posttraumatisches Wachstum

Wie verhalte ich mich richtig?

Tränen müssen nichts Schlimmes sein

Fettnäpfchen – so bitte nicht!

Zu viel nachfragen und darüber reden

Den Flüchtlingen alles abnehmen und besser wissen

Ungebetene Ratschläge

Was stattdessen?

Die innere Einstellung wählen

Sich auf der richtigen Ebene verständigen

Normalität unterstützen

Aktiv zuhören

Umgang mit Kindern und Jugendlichen

Traumasymptome bei Kindern und Jugendlichen

Auswirkungen in Kindergarten und Schule

Schutz und Hilfe geben

Sicherheit vermitteln

Geschichten erzählen

Trösten – kulturelle Unterschiede

Ein Notfallkoffer für Helfer

Orientierung im Hier und Jetzt

Wenn nichts mehr geht – klopfen

Atemtechniken

Wie schütze ich mich als Helfer?

Ein Trauma kann ansteckend sein

Das Helfersyndrom und seine Gefahren

Aus Überforderung wird Burn-out

Den eigenen Akku wieder auffüllen

Positive Aktivitäten

Fazit

Anmerkungen

Dank

Anhang

Vorlesegeschichte für den Unterricht: Geo, der Geier

Entspannungstext zum Vorlesen für Ehrenamtliche und Lehrer: Ort der Ruhe

Serviceadressen und weiterführende Links

Literatur

Für meine Mutter Monika

Werde schnell wieder gesund!

Geleitwort

Das Deutsche Rote Kreuz betreut bundesweit mehr als 100.000 Flüchtlinge in Not- und Gemeinschaftsunterkünften. Mit rund 25.000 ehrenamtlichen und hauptamtlichen Helfern unterstützen wir die geflüchteten Menschen rund um die Uhr. Wir sorgen in unseren vielfältigen Einrichtungen und mit Angeboten wie Bildung, Betreuung, Gesundheitsversorgung sowie den Möglichkeiten des freiwilligen Engagements dafür, dass sie ihr Leben in die Hand nehmen können und Teil unserer Gesellschaft werden. Wir setzen uns deshalb für positive, stabilisierende Lebensbedingungen für Geflüchtete ein. Unsere Aufmerksamkeit gilt dabei ganz besonders auch der Situation traumatisierter Kinder.

Unsere Arbeit ist geleitet von den obersten Zielen der Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung: der Menschlichkeit und dem Bestreben, der Menschenwürde Achtung zu verschaffen. Das DRK erachtet den Ratgeber von Annette Fürst „Traumatisierten Flüchtlingen helfen“ als außerordentlich hilfreich und lesenswert. Die darin enthaltenen Informationen über Trauma werden ebenso wie die Vorschläge zur praktischen Hilfe von der Achtung der Menschenwürde getragen.

Ich danke allen, die den geflüchteten Menschen zur Seite stehen, und ermutige sie, auch sich selbst gegenüber achtsam zu sein. Wir als Deutsches Rotes Kreuz wissen, wie wichtig dies ist, um gerade belasteten Menschen langfristig helfen zu können.

Donata Freifrau Schenck zu Schweinsberg Vizepräsidentin des Deutschen Roten Kreuzes

Vorwort

Die politische und ökonomische Situation im Nahen Osten und Afrika hat sich in den letzen Jahren rapide zugespitzt. Unzählige Menschen werden auf entwürdigende Weise aus ihrer Heimat vertrieben. Dies stellt uns in Mitteleuropa vor ganz neue, herausfordernde Aufgaben. Auf der Suche nach einer neuen, sicheren Heimat sind die Vertriebenen unvorstellbaren Gefahren und großem Leid ausgesetzt. Doch auch für uns, die wir bislang in beschaulicher Sicherheit lebten, wirken die neuen Situationsbedingungen verwirrend. Es gibt noch keine altbewährten Strategien, damit konstruktiv umzugehen. Beide Seiten brauchen hier Rat und Unterstützung.

Oft sind wir hilf- und ratlos, wie wir uns diesen „Flüchtlingen“ gegenüber angemessen verhalten sollten. Viele Menschen neigen angesichts von Terroranschlägen, entsprechenden Medienberichten und politischen Aktivitäten einzelner Gruppierungen dazu, verallgemeinernd allen zu misstrauen, die in unser Land kommen. Statt pauschalen Vorurteilen brauchen wir hier alltagsnahe Ideen, um wieder Sicherheit, Gelassenheit, Neugier und angemessene Anteilnahme zu ermöglichen. Dieses Buch von Annette Fürst bietet erfreulicherweise sehr erdende praktische Hilfen dafür.

Der Begriff „Flüchtlinge“ ist derzeit allgegenwärtig. Daher ist es sinnvoll, dass Frau Fürst ihn in diesem Buch als Schlüsselbegriff verwendet. Er ist aber inzwischen auch mit vielen verschiedenen Konnotationen besetzt. Daher sollten wir uns fragen: Sehen wir in diesen „Flüchtlingen“ noch gleichrangige, würdige Menschen, die ein schweres Schicksal erlitten haben, die oft mehr als ihre wertvolle Heimat verloren haben? Sehen wir sie als Menschen, die unter großen Schwierigkeiten versuchen, für sich und ihre Kinder wieder ein sinnvolles, erfüllendes Leben aufzubauen? Nicht selten löst die Verwendung des Begriffs „Flüchtling“ in individuellen Situationen mit ihnen Fokussierungen aus, die ein Begegnen auf Augenhöhe verhindern. Gerade sie verdienen diese Augenhöhe besonders. Für mich sind sie darum am besten zu bezeichnen als „Menschen, die wie wir das Recht auf eine sichere Heimat und ein würdiges Leben haben, das sie bei uns suchen, die wir bessere Umstände genießen.“

Dieses Buch stellt sich der Aufgabe – und löst sie sehr gut – gerade denjenigen hilfreiche, praktische Anleitungen zu geben, die „Flüchtlingen“ helfen wollen. Wie wir Hilfe gestalten, wird intensiv davon beeinflusst, mit welchen Konzepten und Theorien wir die Phänomene erklären, mit denen wir es zu tun haben. Auch im Bereich der Traumatherapie wird in vielen Publikationen vor allem auf die schweren, schmerzlichen Erfahrungen fokussiert, die zu Traumatisierungs-Erleben führen können. Dies ist auch wichtig. Denn wer so etwas Schlimmes erlebt hat, braucht unbedingt Anteilnahme und empathische, unterstützende Begleitung für das, was er oder sie erlitten hat. Dafür kann es sehr stützend sein, ausführlich von dem Schlimmen erzählen zu können. Die Erkenntnisse der neurobiologischen Forschung, der Hypnotherapie und der hypnosystemischen Arbeit zeigen eindeutig, dass durch die Fokussierung von Aufmerksamkeit das Erleben immer wieder neu erzeugt wird. Durch einseitigen Blick auf die leidvollen Ereignisse können allerdings auch und gerade diese wieder reaktiviert werden. Und zwar so stark, dass Retraumatisierungen auftreten können, gerade wenn aus einer ähnlichen Haltung darüber erzählt wird wie der ursprünglich erlebten.

Viel hilfreicher ist es – zusätzlich zu der empathischen Begleitung – die Betroffenen darin zu stärken, wie sie diese Ereignisse gut bewältigen, indem sie den Blick in die Gegenwart und die gewünschte Zukunft richten. Dafür sollte der Fokus der Aufmerksamkeit auf hilfreichen Kräften und Kompetenzen gelenkt werden, die die Betroffenen in sich tragen, beginnend damit, wie sie das Furchtbare überlebt und überstanden haben. Auch führen nicht nur die Ereignisse allein zu belastendem Erleben im Jetzt. Die schlimmen Situationen sind ja äußerlich überwunden. Insbesondere wird wichtig, den Betroffenen wieder zu zeigen, mit welchen Reaktionen sie bei erneuten Erfahrungen (z.B. Erinnerungen, Flashbacks, usw.) handlungsfähig bleiben und wie sie damit umgehen können.

Auch für Menschen, die bereit sind zu helfen und zu unterstützen, kann gerade die Helfertätigkeit sehr belastend und verwirrend sein. Sie haben oft teil an Begegnungen mit intensiven Wechselwirkungen, je nachdem, wie das jeweilige Gegenüber wahrgenommen wird.

Die „Flüchtlinge“ selbst sind hier Situationen ausgesetzt, die zu massiver Konfusion, Angst und Orientierungslosigkeit führen. Damit verbunden sind viel Trauer, Schmerz, Sehnsucht, Heimweh und sehr oft dunkle Zukunftsfantasien. Diese lösen, wie Ergebnisse der neurobiologischen Forschung und der Traumatherapie zeigen, massive quasi-hypnotische Prozesse aus. Beispiele dafür sind Altersregression (man fühlt sich klein und hilflos wie ein Kind), Überflutung mit verwirrenden Emotionen, Ohnmachtserleben… Dann scheinen Menschen nur über wenige oder gar keine Kompetenzen zu verfügen. In Helfern löst dies oft Impulse aus, die Hilfsbedürftigen ebenfalls so zu sehen und zu behandeln, als ob sie kleiner und schwächer und womöglich inkompetenter wären als die Helfer selbst. Dann werden Hilfsangebote gemacht, die eher für schwache Kinder angemessen wären. Keineswegs böswillig oder missachtend gemeint, kann jedoch genau diese Wirkung bei den Empfängern ankommen. Hilfsbedürftige haben meist extrem belastende, oft lebensgefährliche Situationen bewältigt. Helfer waren selbst meist nicht annähernd solchen Situationen ausgesetzt. Und das ist auch gut so. Es heißt aber auch, dass gerade diese schwach wirkenden Menschen über enorme Stärken und Bewältigungskompetenzen verfügen müssen, um diese kaum vorstellbaren Strapazen bewältigen zu können. Um sie zu stärken, und ihnen ihre Selbstwirksamkeit, ihre autonome Eigenkompetenz in der unvertrauten Umgebung zurückzugeben, fokussiert man auf diese längst vorhandenen Stärken, gerade dann, wenn sie von den Betroffenen selbst kaum noch wahrgenommen werden. Dabei kann es den Helfern helfen, sich immer wieder Bilder von diesen Menschen vorzustellen, nicht davon, was sie erlitten haben, sondern vor allem, was sie in beeindruckender und würdiger Weise geleistet haben. Dies hilft auch den Helfern, sich nicht zu verausgaben oder eventuell im Burn-out zu landen.

Annette Fürst findet für all diese wichtigen Aspekte und Schritte anschauliche, gut nachvollziehbare Beispiele, Fallgeschichten und ermutigende Anekdoten, die Betroffenen und Helfern gutes praktisches Handwerkszeug bieten. Sie zeigt in für mich beeindruckender Weise, wie man einen kompetenzfokussierenden, Ressourcen aktivierenden Umgang miteinander gestalten kann, und wie auch Helfer dabei nicht nur helfen, sondern zugleich gut für sich sorgen können. Ich bin sicher, dass dies nicht nur für Ehrenamtliche und andere interessierte „Laien“ anregend und sehr nützlich sein wird, sondern sicher auch für viele professionelle Betreuer. Ich hatte die Ehre, mit Annette Fürst als Teilnehmerin in verschiedenen meiner Weiterbildungsangebote arbeiten zu können. So ist es mir eine besondere Freude, dass dieses Buch genau den Geist und die praktische Gestaltung achtungsvoller Begegnungen widerspiegelt, für die ich seit vielen Jahren ebenfalls Beiträge leiste. Dafür möchte ich ihr persönlich danken.

Aus Erfahrungen mit vielen eigenen Publikationen weiß ich, wie schwierig es ist, praxisnahe, sinnvolle Interventionsmaßnahmen und Konzepte so anschaulich zu vermitteln, dass Leser sie in ihre Arbeit übertragen können. Annette Fürst ist es nicht nur meisterhaft gelungen, ihre wertvollen Interventionsideen und guten Anregungen für eine respektvolle, würdigende Art der Begegnung mit Hilfsbedürftigen nachvollziehbar darzulegen. Sie weckt in uns richtiggehend Lust, in diesem anspruchsvollen Feld selbst als Helfer aktiv zu werden.

Ich wünsche dem Buch den großen Erfolg, den es zweifellos verdient.

Dr.med. Gunther Schmidt sysTelios-Klinik für hypnosystemische Kompetenzentfaltung Siedelsbrunn und Milton-Erickson-Institut Heidelberg

Einleitung

„Wie sind Sie auf die Idee gekommen, sich um die Ehrenamtlichen zu kümmern?“, wurde ich letztens bei einem Interview im Nationaltheater Mannheim gefragt. „Wieso kümmern Sie sich als Diplom-Psychologin nicht direkt um Flüchtlinge? Sie haben doch die entsprechenden therapeutischen Qualifikationen.“ – Ja, stimmt. Ich habe als Therapeutin Ausbildungen in Systemischer Therapie, in Hypnotherapie und auch in Traumatherapie. Mein Beruf als selbstständige Therapeutin und Führungskräftetrainerin lässt jedoch eine regelmäßige Betreuung von Flüchtlingen zeitlich nicht zu. Viel zu oft bin ich in ganz Deutschland auf Reisen. So habe ich mich gefragt, welchen Beitrag ich leisten kann und wer am meisten von meiner Doppelqualifikation als Trainerin und Therapeutin profitieren könnte.

Schnell war klar, dass es einen Bereich in der Flüchtlingshilfe gibt, der bisher vernachlässigt wird: die Betreuung der ehrenamtlichen Helfer. Zu Tausenden engagieren sie sich. Manche haben eine entsprechende Ausbildung mit pädagogischem Wissen, andere nicht, da ihr Beruf mit Pädagogik oder Psychologie nichts zu tun hat. Sie kümmern sich, setzen sich ein und gehen oft weit über ihre Grenzen hinaus. Ohne die Helfer ginge nicht viel. Das wird vor allem in den Städten und Gemeinden auch von offizieller Seite anerkannt. Die ehrenamtlichen Helfer haben in Eigenregie, teilweise auch mit der Hilfe von Behörden und kirchlichen Institutionen, eine Infrastruktur aufgebaut, ohne die die Betreuung der Flüchtlinge und Asylbewerber vielerorts zusammenbrechen würde. Seit September 2015 wurden ca. 880.000 Flüchtlinge aus Kriegs- und Krisengebieten im EASY-System in Deutschland registriert,1 etwa 40 bis 50 Prozent der Flüchtlinge leiden unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung.2 Viele Flüchtlinge bräuchten dringend therapeutische Hilfe, im Asylbewerberleistungsgesetz ist jedoch festgehalten, dass das zuständige Sozialamt nur die Kosten für „die notwendige Behandlung akuter Erkrankungen“ übernimmt, was eine Kostenübernahme für eine Psychotherapie oftmals ausschließt.3 Anlaufstellen für Flüchtlinge, die therapeutische Hilfe brauchen, ist die Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer.4

Die Flüchtlingswelle bringt auch Helfer an ihre Belastungsgrenzen. Viele Helfer sind überfordert. In meinem Bekanntenkreis zeigte sich das schon vor eineinhalb Jahren. Freundinnen engagierten sich lange vor der Öffnung der Grenzen, und ich begann, sie im Umgang mit Flüchtlingen zu coachen. Lange Gespräche über den Umgang mit Traumatisierten folgten. Im Einzelcoaching konnte ich jedoch zu wenige Menschen erreichen. Ganz bewusst habe ich mich dann dafür entschieden, die Ehrenamtlichen anhand von Seminaren und Vorträgen zu unterstützen. Gemeinsam mit den Organisatoren der Flüchtlingsunterkünfte in Mannheim und Karlsruhe überlegte ich, welche Themen hilfreich sein könnten. Anfangs dachten wir, dass besonders Kommunikation und interkulturelle Kompetenzen wichtig seien. Doch schnell kristallisierte sich noch ein ganz anderes Thema heraus: Der Umgang mit traumatisierten Flüchtlingen.

„Können Sie mir sagen, wie ich damit umgehen soll, wenn Menschen in der Nähstube plötzlich in Tränen ausbrechen? – Ich kenne mich mit Nähmaschinen und Stoffen aus, aber was ich tun soll, wenn ein weinender Flüchtling vor mir steht, das weiß ich nicht.“ Solche und ähnliche Fragen bekomme ich oft gestellt, wenn ich für ehrenamtliche Helfer Seminare zum Thema Kommunikation gebe. In meinen Workshops für Lehrer zu den Themen Stressmanagement, Kommunikation und Konfliktmanagement, die ich im Rahmen von pädagogischen Tagen an Schulen halte, ist das Thema traumatisierte Flüchtlinge, in diesem Fall natürlich Kinder und Jugendliche, oft ein Thema.

Vielleicht haben auch Sie sich gefragt, wie man als Laie mit einem Menschen umgeht, der schreckliche Dinge erlebt hat. Oft sind wir schon damit überfordert, wenn trauernde Angehörige nach dem Tod eines nahestehenden Menschen aus der Bahn geworfen sind. Ratlosigkeit und Unsicherheit breiten sich in vielen Menschen aus. Wie ist es dann erst, wenn wir Menschen begegnen, die Folter, Krieg und Flucht hinter sich haben? Wie sollen wir mit ihnen und dem, was diese Menschen erlebt haben, umgehen?

Jeder kennt das Wort Trauma, doch was verbirgt sich wirklich hinter diesem Begriff? Sind alle Menschen, die Krieg oder Folter hinter sich haben, traumatisiert, oder gibt es auch Menschen, die weniger Auswirkungen nach schrecklichen Erlebnissen spüren? Was ist der richtige Umgang mit diesen Menschen? Sollte man sie am besten in Ruhe lassen oder ist es noch besser, sie auf ihre Erlebnisse anzusprechen?

Gibt es Dinge, die ich unterlassen sollte? Was schadet einem Menschen, der ein Trauma hinter sich hat, mehr, als es nutzt? Wie geht es mir selbst dabei? Sind Traumata ansteckend? Ist es wichtig und hilfreich, wenn ich mich als Helfer selbst auch schütze? Wie genau kann ich das tun?

Auf all diese Fragen möchte dieses Buch Antworten geben. Antworten, die Ihnen mehr Sicherheit geben sollen, wenn Sie mit Menschen zu tun haben, die Schlimmes erlebten.

Trauma und Belastungsreaktionen – viele Puzzleteile ergeben ein Bild

Jeder von Ihnen hat sicherlich schon das Wort „Trauma“ gehört. Doch was genau verbirgt sich dahinter? Ist es das, was wir im Alltag damit verbinden? – Dieses Wort wird so oft verwendet, dass man schon fast von einem inflationären Gebrauch sprechen könnte. „Im Urlaub ist alles schiefgegangen. Der Flug wurde verschoben, wir mussten 15 Stunden auf den Anschlussflug warten. Jetzt bin ich total traumatisiert von der Airline XY.“ Viele Menschen bezeichnen Dinge, die sie als schlimm erleben, als traumatisch, um zu verdeutlichen, dass ein Ereignis für sie besonders ärgerlich, traurig oder nervig war. Das jedoch hat mit dem Begriff des Traumas in Medizin oder Psychologie nichts zu tun.

Lassen Sie uns genau ansehen, welche einzelnen Puzzleteile zusammen ein besser verstehbares Bild von einem Trauma ergeben. Dazu gehören sowohl die medizinischen als auch die psychologischen Hintergründe. Ergänzt wird das Puzzle durch die Auswirkungen, die ein Trauma haben kann, und die sogenannte Resilienz, die „Krisenfestigkeit“, die Menschen in schwierigen Situationen schützt.

Traumata in Medizin und Psychologie

Ursprünglich stammt das Wort Trauma aus dem Griechischen und bedeutet Wunde oder auch Verletzung. Das passt sehr gut zur medizinischen Verwendung des Begriffes Trauma: Medizinisch gesehen ist ein Trauma die Verletzung lebenden Gewebes, entstanden durch Einwirkung von außen. Das kann ein Schlag sein, der zum Beispiel auf ein Bein trifft und einen Knochenbruch verursacht, eine Verbrennung oder auch eine Verätzung durch die Einwirkung von Chemikalien. Neben der direkten Verletzung bezeichnet Trauma auch die Auswirkungen in der Folge, wie etwa einen Blutverlust.5

Würden Sie auf dem Wochenmarkt eine Umfrage machen und die Menschen dort fragen, was sie unter einem Trauma verstehen, bekämen Sie vermutlich Antworten wie diese: Ein Trauma ist ein schlimmes Ereignis wie Krieg, Folter, ein Überfall oder eine Vergewaltigung. – Aber ist das wirklich so? Ist die Ursache eines Traumas in solchen Ereignissen zu suchen? Nicht unbedingt. Für manche Menschen ist der Krieg der Auslöser eines Traumas, für andere nicht. Für manche Menschen ist ein Skiunfall traumatisch, für andere nicht.

Was genau macht denn nun ein Trauma aus, wenn es nicht nur am Ereignis selbst hängt? Im Lehrbuch zu Psychiatrie und Psychotherapie findet sich folgende Erklärung: „Unter einem Trauma wird ein Ereignis verstanden, das von jedem Menschen als extrem belastend oder katastrophal erlebt werden würde. Der Betreffende erfährt eine oder mehrere Situationen, in denen er lebensbedrohlichen Ereignissen oder Handlungen ausgesetzt war, durch die er körperlich schwer verletzt wurde oder die seine psychische Integrität bedrohten. Ebenso wird darunter das Miterleben der genannten Situationen als Zeuge verstanden, wenn primär andere Personen davon betroffen sind. Als Beispiel für traumatische Situationen werden … Naturereignisse, von Menschen verursachte Katastrophen, Kampfhandlungen, schwere Unfälle oder die Beobachtung eines gewaltsamen Todes anderer und das Erleben von Folter, Terrorismus, Vergewaltigung oder anderer Verbrechen genannt.“6

Wie kann es dann sein, dass manche Menschen nicht traumatisiert sind, obwohl sie ähnlich schlimme Erlebnisse überstanden haben?

Um zu verstehen, wann ein Ereignis für den einzelnen Menschen tatsächlich zu einem Trauma wird, ist es hilfreich, verschiedene Puzzleteile getrennt voneinander zu betrachten.

Die Ereignisse, auf die sich der Begriff Trauma bezieht, haben wir bereits genannt. In ihrer Mehrzahl sind dies äußerlich vorliegende Umstände. Doch was genau passiert im Körper?