Träume besser verstehen - Michael Schredl - E-Book

Träume besser verstehen E-Book

Michael Schredl

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Beschreibung

Sind Sie schon einmal morgens mit einem Traum aufgewacht und haben sich gewundert, warum Sie sowas geträumt haben? Leider helfen Deutungen zu einzelnen Symbolen, die man früher in Büchern und heute im Internet findet, oft nicht weiter. Hier im Buch wird ein anderer Weg vorgestellt, die eigenen Träume zu verstehen. Die erste Idee ist: Träume sind dramatisierte Darstellungen von den Themen, die uns im Alltag beschäftigten: Sorgen, Nöte, schöne Gefühle usw. Die zweite Idee ist die Frage: "Was kann ich aus den Erlebnissen im Traum lernen?" Ein einfaches Beispiel soll diese Herangehensweise verdeutlichen. Stellen Sie sich vor, es gibt etwas in Ihrem Wachleben, das Sie vermeiden, vor dem Sie "davonlaufen". Die dramatisierte Version von dem Thema ist ein Verfolgungstraum mit Monster und viel Panik. Die erste Erkenntnis, die in einem Verfolgungstraum steckt, ist: "Weglaufen bringt nichts." Der Verfolger bleibt einem immer im Nacken. Viel besser wäre es, sich der Angst zu stellen, am besten mit Helferinnen, die das aktive Konfrontieren unterstützen. So bietet der Verfolgungstraum wertvolle Anregungen für das Wachleben. Mit diesem Ansatz lassen sich Träume besser verstehen, um so die Kreativität der nächtlichen Traumwelt zu nutzen. Das Buch ist sowohl geeignet für Personen, die ihre eigenen Träume besser verstehen wollen, als auch für Personen, die im therapeutischen Kontext mit Träumen anderer arbeiten.

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Inhalt

Einleitung

Ein Traumbeispiel zum Reinschnuppern

1 Was sind Träume?

2 Traumerinnerung

3 Von was träumen wir?

4 Grundlegende Ideen zur Traumarbeit

Wie kann ich aus Träumen lernen? Traumarbeit versus Traumdeutung

Träume als emotionale Darstellung von alltäglichen Themen

Träume nicht wörtlich nehmen

Warum haben wir wiederkehrende Träume?

Ansätze für Lösungsideen

5 Wachthemen – Träume

Thema „Vermeiden“

Thema „Ich fühle mich hilflos“

Thema „Ich komme nicht weiter“

Thema „Grenzen setzen“

Thema „Mir wird alles zu viel“

Thema „Wie bewerten andere meine Leistung?“

Thema „Was denken andere Menschen von mir?“

Thema „Meine Bedürfnisse kommen zu kurz“

Thema „Autonomie“

Thema „Nicht zur Ruhe kommen“

Thema „Die Welt ist böse“

Thema „Das Leben in vollen Zügen genießen“

Thema „Spiritualität“

6 Praktisches Vorgehen – Anleitung

Schritte der praktischen Traumarbeit

Selbständiges Arbeiten

Arbeiten mit anderen

7 Praktisches Vorgehen – Beispiele

Traumarbeit 1: Das Bedürfnis nach Sicherheit

Traumarbeit 2: Selbstfürsorge

Traumarbeit 3: Gemeinsames Entscheiden

Traumarbeit 4: Das Bedürfnis nach Verbundenheit

Traumarbeit 5: Der eigenen Intuition vertrauen

Traumarbeit 6: Das Bedürfnis nach Rückzug

8 Schlussbemerkungen

Quellen

Ressourcen

Einleitung

Träume haben die Menschen schon immer fasziniert, und so ist es nicht verwunderlich, dass die Beschäftigung mit Träumen eine lange Tradition hat. Schon im Altertum wurde Traumdeutung praktiziert, z. B. in der Bibel deutet Joseph die Träume des Pharaos. Das erste Traumdeutungsbuch von Artimedoris von Daldis erschien bereits ca. 200 n. Chr. Heute gibt es sehr viele Ansätze, sich mit Träumen auseinanderzusetzen, ob das Ansätze nach Sigmund Freud oder C. G. Jung sind, oder die vielen moderneren Herangehensweisen. Auch die Wissenschaft hat einiges zum Verständnis von Träumen beigetragen.

Der im Buch vorgestellte Ansatz verlässt die Idee, dass Träume mittels Symbollexika (oder Traumdeutungswebseiten) oder von Expertinnen gedeutet werden können, sondern geht einen anderen Weg. Hier werden die Träume als Erlebnisse gesehen, aus denen man genauso gut lernen kann, wie aus Erlebnissen des Wachlebens: Wenn man was Unangenehmes erlebt hat, ob im Wachen oder im Traum, kann man sich die Fragen stellen: „Wie ist es dazu gekommen?“ und „Was kann ich beim nächsten Mal anders machen?“. Sie werden im weiteren Verlauf des Buches sehen, dass man mit einigen einfachen Schritten diese Fragen beantworten kann. Es gilt einige Traumbesonderheiten (z. B. Träume übertreiben Emotionen) zu berücksichtigen, oder Träume nicht zu wörtlich zu nehmen, weil sie ein allgemeines Thema betreffen und nicht genau die Situation oder die Personen, die im Traum vorkommen. Nach dem Vorstellen der Grundideen zur Traumarbeit werden wichtige psychologische Themen des alltäglichen Lebens angesprochen, z. B. „Vermeidung“ oder „Mir wird alles zu viel.“ Die Träume packen diese alltäglichen Themen in sehr anschauliche und teilweise sehr beeindruckende Geschichten. Häufig ist es so, dass jeder Mensch seine ganz eigenen Bilder für diese Themen hat. Das ist auch der Hintergrund, dass das Buch nicht nach Traumthemen aufgebaut ist, sondern von den Themen ausgeht, die im Wachleben aktuell eine Rolle spielen. Das konkrete Arbeiten mit Träumen wird anhand von vier Schritten so angeleitet, dass Sie es selbständig durchführen können. Noch effektiver kann es sein, die Träume mit Gleichgesinnten zu bearbeiten. Die Beispiele zur Traumarbeit am Ende des ersten Teils des Buches vertiefen diese Schritte und zeigen auf, wie hilfreich die Arbeit mit Träumen sein kann.

Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen dieses Buches.

Anmerkung:

Zur verbesserten Lesbarkeit wird nicht gegendert, sondern vorwiegend die weibliche Form verwendet.

Traumbeispiel zum Reinschnuppern

Die Träumerin (21 Jahre) hat das Manuskript des Buches gelesen und ihre Träume über eine Woche notiert. Wir hatten besprochen, dass es schön wäre zusätzlich zu den ausführlichen Traumgesprächen (Kapitel 7) ein kurzes Beispiel mit ihr zu bearbeiten. Damit soll zu Beginn des Buches ein erster Einblick gegeben werde, wie die vorgestellte Traumarbeit funktioniert.

T: „Meine beste Freundin aus der Schule und ich sind schwimmen gewesen im Rhein, und sie hatte einen Schwimmring um. Wir waren im Wasser und haben gequatscht. Ich bin nahe am Ufer geblieben, und wir haben uns weiter unterhalten. Dann ist sie weiter abgetrieben und relativ nah an der Brücke gewesen. Ich habe irgendwann realisiert, dass sie viel weiter im Wasser ist als ich, eben sehr nah an dieser Brücke, da ist es sehr tief, das bedeutet, sie wird ertrinken. Und ich habe mich dann entschieden, ihr das nicht zu sagen, dass sie dort ertrinken wird, damit sie keine Panik bekommt. Und weil ich sowieso nichts dagegen tun konnte, dass sie dort ertrinken wird. Dann war ich wach.“

MS: „Wie ging es ihnen selbst im Traum?“

T: „Ich habe mich sehr hilflos gefühlt, im Traum, aber irgendwie auch nicht panisch. Ich wusste, dass ich ihr das nicht sagen soll, aber ich hatte, das klingt total böse, keine Angst um sie. Ich habe es akzeptiert, dass sie dort abtreibt.“

MS: „Da gibt es, zumindest im Nachhinein, wenn Sie auf den Traum schauen so ein komisches Gefühl.“

T: „Ja.“

MS: „Dass Sie im Wachzustand anders reagiert hätten als jetzt im Traum.“

T: „Ja. Ich hoffe, dass ich im Wachzustand nicht einfach akzeptiert hätte, dass sie abtreibt.“

MS: „In der Regel hätte man auch im Traum irgendwas versucht. Das deutet möglicherweise darauf hin, dass der Traum sich nicht darauf bezieht, wie Sie handeln, wenn jemand in Not ist, sondern ein anderes Thema hat. Wenn Sie das Thema so anschauen, was ist das Grundthema von dem Traum? (Sie haben schon ein bisschen mehr Erfahrung mit den Themen.)“

T: „Tatsächlich finde ich es schwer, es in die vorgestellten Themen in dem Buch gut einzuordnen. Ich hatte es, als ich aufgewacht bin, spontan mit Auseinanderleben, was ja mit emotionaler Distanz zusammenhängt, sich auseinanderleben, assoziiert. Aber nicht auf meine beste Freundin bezogen, sie eher als „Stand-In“ gesehen, mit ihr lebe ich mich gerade gar nicht auseinander.

MS: „Das Thema ist also Auseinanderleben. Dass die emotionale Distanz immer größer wird.

T: „Ja.“

MS: „Und es ist auch ein Thema, dass Sie dem hilflos gegenüberstehen.“

T: „Ja, und gleichzeitig auch okay finde, dass es so ist. Ich habe ja nicht versucht, sie zu retten.

MS: „Sie können eh nichts tun, also geht es auseinander. Und sie sagen, dass die Frau, die im Traum diese Rolle eingenommen hat, die beste Freundin von früher, mit der jetzt noch Kontakt da ist, nicht die Person ist, mit der das tatsächlich im Wachzustand stattfindet. Gibt es eine andere Person, bei der Sie den Eindruck haben, dass es in die Richtung geht?“

T: „Ja, tatsächlich schon, meine Mitbewohnerin, mit der ich jetzt drei Jahre zusammengelebt habe, die ist ausgezogen, und wir haben tatsächlich, seit sie ausgezogen ist, eigentlich gar keinen Kontakt mehr. Und ich melde mich sehr häufig bei ihr, aber sie meldet sich sehr selten zurück. Das beschäftigt mich in letzter Zeit schon viel. Weil wir uns drei Jahre lang jeden Tag gesehen haben.“

MS: „Sie waren auch emotional in Kontakt?“

T: „Ja, von meiner Seite aus zumindest. Ich hatte immer das Gefühl, dass es eine Beziehung ist, die ihr viel gibt. Aber, es ist eine Person, mit der ich zurzeit emotional auseinanderdrifte.“

MS: „Wie ist Ihr Erleben im Wachleben, eher traurig, oder …?“

T: „Lustigerweise ähnlich wie in dem Traum, manchmal, wenn ich darüber nachdenke, bin ich traurig, aber die meiste Zeit denke ich mir, ich es nicht erzwingen kann.“

MS: „So ist es.“

T: „Es ist okay.“

Das Beispiel macht zwei Elemente der Herangehensweise deutlich. Das erste Element ist die Kreativität der Träume, ein abstraktes Thema (auseinanderdriften, größere emotionale Distanz) wird bildhaft dargestellt, d.h., im Traum ist es ein sichtbares Auseinanderdriften. Es ist auch spannend, dass die Wachsprache auch diese Metapher des Auseinanderdriftens verwendet. Der zweite Punkt ist die Idee des „Stand-in“, das bedeutet, dass der Traum eine „Schauspielerin“ verwendet, die für die Rolle gut passt, im Wachzustand ist es jedoch eine ganz andere Person, mit der solche Gefühle, wie sie im Traum erlebt wurden, verbunden sind.

Obwohl im Buch viele Themen (siehe Kapitel 5) dargestellt werden, um den Zusammenhang zwischen Traum und Wach besser zu verstehen, wird es immer Themen geben, die nicht aufgelistet sind. Doch die kurze Traumarbeit zeigt, dass das kein Problem ist, weil die Idee nach Grundmustern zu suchen und diese mit dem Wachleben in Beziehung zu setzen auch selbständig umgesetzt werden kann.

Nach diesem „Aufwärmen“ geht es jetzt ganz konkret zum Stoff des Buches über.

1 | Was sind Träume?

Das Träumen lässt sich am einfachsten als subjektives Erleben im Schlaf beschreiben. Damit ist gemeint, dass wir während des Schlafes Dinge sehen, handeln, Gedanken und Gefühle haben, Empfindungen wahrnehmen, obwohl wir ganz entspannt im Bett liegen. Bei dieser Definition wird sofort klar, dass es wichtig ist, zwischen der Gehirnaktivität und dem Erleben zu unterscheiden. Es ist auch im Schlaf so, dass die Sprachzentren im Gehirn aktiv sind, wenn wir im Traum sprechen oder zuhören. Diese von außen messbare Aktivität sagt aber nur, dass diese Aktivität im Traum vorkommt, nicht jedoch, was gesprochen wird. Die einzige Möglichkeit an diese Erfahrungen heranzukommen, besteht daran, dass die träumende Person sich nach dem Aufwachen an das erinnern kann, was sie vor dem Aufwachen erlebt hat (siehe Kapitel 2 zur Traumerinnerung). Diese Unterscheidung zwischen Bewusstsein (das subjektive Erleben) und dem Gehirn als komplexes Organ mit sehr vielen Nervenzellen ist auch wichtig, wenn es um die Funktion von Träumen geht. Das Gehirn „schläft“ während des Schlafes nicht, sondern hat viele Aufgaben, die für uns sehr wichtig sind, vom „Großputz“ (Abtransport von Abfallprodukten aus dem Gehirn) bis hin zur Gedächtniskonsolidierung. Gedächtniskonsolidierung meint, dass Informationen, die tagsüber aufgenommen wurden, während des Schlafes noch einmal bearbeitet werden, so dass sie später besser erinnert werden können. Das sind Prozesse, die in den Nervenzellen „automatisch“ ablaufen, das ist in der Regel nicht der Inhalt der Träume. Heute kann die Forschung klar sagen, dass der Schlaf sehr wichtige Funktionen hat. Ob das Träumen zusätzliche Funktionen hat, die darüber hinausgehen, ist bis heute noch eine offene Frage. Es ist durchaus denkbar, dass die Natur sich nicht die Mühe gemacht hat, das subjektive Erleben (das im Wachzustand für das Überleben der Menschheit extrem wichtig war und ist) nachts abzuschalten. Aber das heißt nicht, dass es nicht sehr hilfreich sein kann, sich mit den Träumen zu beschäftigen, an die man sich erinnern kann – selbst wenn dem Träumen während des Schlafes keine biologische Funktion zukommt.

Es gibt Autorinnen, die bezeichnen Träume als Symbolsprache, als Ausdruck des Unbewussten usw. Dabei werden die Träume von außen betrachtet, und natürlich eine bestimmte Herangehensweise an das Träumen damit verbunden. Wenn man sich allerdings in die Perspektive des Traum-Ichs versetzt, sind Träume ganz einfach Erlebnisse, die genauso intensiv erlebt werden wie im Wachzustand. In den allermeisten Träumen denken wir im Traum, dass wir wach sind und alles, was sich abspielt „real“ ist. Diese Sichtweise hilft auch beim Verständnis der Träume, da man keine Symboldeutungen oder komplexe Modelle braucht, wie das Unterbewusstsein funktioniert, sondern aus den Träumen genauso gut lernen kann wie aus den Wacherlebnissen.

Es gibt tatsächlich Träume, in denen sich die Träumerin während des Traumes bewusst ist, dass sie träumt. Diese Träume werden als luzide Träume oder auch Klarträume bezeichnet. Dieser sehr spannende Bewusstseinszustand ist sowohl für die Forschung interessant als auch für die Person, die träumt. Geübte Klarträumerinnen können alles machen, was ihnen Spaß macht, wie Fliegen, durch Wände gehen, aber auch sportliche Fähigkeiten trainieren oder Alpträume bewältigen. Eine gute Einführung in das Thema bietet das kleine Büchlein „Anleitung zum Klarträumen – Die nächtliche Traumwelt selbst gestalten“ von Daniel Erlacher. Hier im Buch liegt der Schwerpunkt auf den „normalen“, nicht-luziden Träumen.

2 | Traumerinnerung

Heute geht die Forschung davon aus, dass das Träumen als subjektives Erleben während des Schlafes immer vorhanden ist, beim Einschlafen, im normalen Schlaf, im Tiefschlaf und im so genannten REM-Schlaf (Schlafstadium mit schnellen Augenbewegungen unter den geschlossenen Augendeckeln). Es gibt bisher keine Daten, die zeigen, dass dieses Erleben, das im Wachzustand auch immer vorhanden ist, irgendwann abreißt. Die einzige Möglichkeit, an das Traumerleben heranzukommen, besteht daran, dass die träumende Person sich nach dem Aufwachen an das erinnern kann, was sie vor dem Aufwachen erlebt hat. Dass dieses Erinnern nicht immer einfach ist, wissen viele Menschen aus eigener Erfahrung. Selbst, wenn ein Traumbild da ist, ist es nach einmal Umdrehen wieder vergessen, d.h., die Traumerinnerung ist sehr flüchtig. Woran liegt das? Anschaulich lässt sich das so erklären, dass das Gehirn – als biologisches Organ – vom Schlafzustand in den Wachzustand umschalten muss. Gerade die Gedächtniskonsolidierung erfordert, dass das Gehirn im Schlaf ganz anders arbeitet als im Wachzustand. Die Information, die tagsüber aufgenommen wurde, wird hervorgeholt und verbessert abgespeichert. Im Wachzustand hat das Gehirn ganz andere Aufgaben: Aktuelle Information wird aufgenommen und bewertet; man muss reagieren, handeln, Pläne schmieden und vieles mehr. Dazu kommt noch, dass das Gehirn keine Maschine, sondern ein biologisches Organ ist. Das Umschalten geht nicht schlagartig wie bei einem elektrischen Schalter (auch wenn man den Eindruck hat, von einem Moment zum nächsten wach zu werden), sondern das Gehirn braucht seine Zeit. Je nachdem, wie lange und wie tief man geschlafen hat, kann das einige Minuten dauern, bis die „Maschine“ auf Hochtouren läuft. Wir haben beispielsweise Gedächtnisaufgaben sofort nach einer Weckung in der Nacht (Schlaflaborstudie) präsentiert, da waren die Leistungen alles andere als gut, weil in dem Übergang vom Schlaf zum Wachen das Gedächtnis nicht so gut funktioniert wie im normalen Wachzustand tagsüber. Dieses Umschalten erklärt, warum es so schwierig sein kann, Träume (das Erleben während des Schlafes) mit in den Wachzustand hinüberzunehmen. Weiter unten werden Sie erfahren, dass diese Fähigkeit – trotz aller Schwierigkeiten – trainiert werden kann. Der Unterschied zwischen Schlaf- und Wachmodus des Gehirns bietet auch eine gute Erklärung, dass unser Gedächtnis für Träume, auch wenn wir sie am Morgen erinnert haben, nicht so gut ist wie für Wacherlebnisse. Das scheint die Natur auch gut eingerichtet zu haben, weil es ein furchtbares Chaos erzeugen könnte, wenn wir uns an alle Träume genauso gut erinnern könnten wie an unsere Wacherlebnisse. Da könnten Fragen auftauchen wie: „Habe ich tatsächlich den Termin beim Arzt abgesagt, oder es nur geträumt.“ Oder „Habe ich die Aufgabe erledigt, z. B. eine Überweisung, oder war das Teil eines Traumes.“ Es kann tatsächlich, besonders bei sehr realistischen Träumen, zu Verwechslungen kommen, doch bei den allermeisten Menschen ist das extrem selten.

Bevor es zu den Tipps geht, mit denen man die Traumerinnerung verbessern kann, soll ein Mythos angesprochen werden, der sich hartnäckig hält, aber schlichtweg falsch ist. Gerade in der Anfangszeit der Traumforschung (1950er Jahre), als die ersten Studien in Schlaflaboren durchgeführt wurden, wurde behauptet, dass wir nur während der REM-Schlafphasen träumen. REM steht für Rapid Eye Movements (schnelle Augenbewegungen) und diese kennzeichnen dieses Schlafstadium, das in ca. 4 bis 6 Phasen über die Nacht auftritt und ca. 20% des Gesamtschlafes ausmacht. Das Gehirn ist in diesem Zustand sehr aktiv, vor allem die emotionalen Zentren, und bei gezielter Weckung aus diesem Schlafstadium (Studien, die im Schlaflabor durchgeführt werden) erhält man fast immer einen Traumbericht, während die Ausbeute bei Weckungen aus anderen Schlafstadien geringer ist. Doch spätere Studien zeigen, dass auch in anderen Schlafphasen geträumt wird, beim Einschlafen, im normalen Schlaf und sogar im Tiefschlaf. Die Annahme ist, dass das Gehirn länger braucht zum Umschalten, weil es in den anderen Schlafphasen nicht so aktiv ist, um ganz wach zu sein. Das macht es plausibel, warum es noch schwieriger ist, einen Traum zu erinnern, wenn man aus dem Tiefschlaf oder dem normalen Schlaf geweckt wird. Da die REM-Phasen am Anfang der Nacht eher kurz sind (ca. 10 bis 15 Minuten) und im Verlauf der Nacht länger werden (bis zu 45 Minuten), erleben viele Menschen, dass sie sich besser an Träume erinnern können, wenn sie länger schlafen (8 Stunden plus).

Merke

Wir haben immer subjektives Erleben, ob wir schlafen oder wach sind. So ist unser Gehirn gebaut, d.h., wir träumen immer und in jedem Schlafstadium. Das Bewusstsein schläft nicht.

Trotz der Tatsache, dass unser Bewusstsein in jeder Nacht aktiv ist, ist die Traumerinnerung von Mensch zu Mensch oder auch in verschiedenen Lebensphasen bei einer Person sehr unterschiedlich.

Info-Kasten: Traumerinnerung in Deutschland

Repräsentative Studien zeigen, dass die mittlere Traumerinnerung in Deutschland bei ca. einem Morgen pro Woche mit Traum liegt. Allerdings gibt es große Unterschiede, es gibt Menschen, die jeden oder fast jeden Morgen Träume erinnern können, andere haben schon seit Jahren keinen Traum erinnert. (Quelle: Schredl, 2008).

Die Forschung zeigt, dass es viele Faktoren gibt, die mit der Traumerinnerung zusammenhängen, wie beispielsweise die oben erwähnte Schlafdauer. So erinnern sich Frauen etwas häufiger an Träume als Männer, kreative Menschen etwas mehr als weniger kreative Menschen. Personen mit Schlafstörungen erinnern sich etwas mehr an Träume, weil sie nachts häufiger aufwachen. Doch insgesamt muss man festhalten, dass all diese Faktoren nur einen ganz kleinen Teil dieser Unterschiede in der Traumerinnerung aufklären, d.h., den Großteil der Unterschiede kann man nicht so einfach erklären. Dass solche stabilen Faktoren relativ wenig Einfluss auf die Traumerinnerung haben, liegt wahrscheinlich daran, dass die Traumerinnerung durch sehr einfache Methoden verbessert werden kann, also nicht am Geschlecht oder der Kreativität, sondern an der Aufmerksamkeit, die man den eigenen Träumen schenkt. In wissenschaftlichen Studien zeigt sich, dass eine einfache Ermunterung durch die Versuchsleiterin oder die Aufgabe, für zwei Wochen ein Traumtagebuch zu führen, die Traumerinnerung massiv steigern kann. Und hier können Sie auch ansetzen, wenn Sie sich mehr an Ihre eigenen Träume erinnern wollen.

Tipps zur Traumerinnerung

Etwas zum Schreiben (oder ein Aufzeichnungsgerät) bereitlegenVor dem Einschlafen den Vorsatz wiederholen, sich an Träume erinnern zu wollenBeim Aufwachen (nachts oder morgens) sich etwas Zeit nehmen, um sich zurückzuerinnern.Falls eine Erinnerung da ist (sei sie noch so kurz), diese gedanklich durchgehen (wie ein Gedicht, das Sie auswendig lernen wollen), um die Gedächtnisspur zu verfestigenAufschreiben oder Aufzeichnen (Audio) des Traumes

Die zwei Tipps, die sich auf den Abend beziehen (etwas bereitlegen, Vorsatz fassen), dienen dazu, sich auf den Moment des Aufwachens vorzubereiten, denn dieser Zeitpunkt ist relevant. Ideal wäre es, wenn man sofort nach dem Aufwachen den Traumbericht, zumindest in Stichworten, aufschreibt. Doch wenn man im warmen Bett liegt, möchte man nicht sofort aufspringen und aufschreiben. Da hilft der „Trick“, den Traum in Gedanken ein paar Mal durchzugehen, z. B. die Personen, die vorgekommen sind, die Handlungen und die Gefühle. Dieses Wiederholen im Halbwachzustand verfestigt die Erinnerung und man kann den Traum dann später aufschreiben, oder ins Smartphone sprechen. Bei regelmäßigem Aufschreiben verbessert sich die Traumerinnerung immer mehr und man kann auf das Problem stoßen, dass man morgens gar nicht so viel Zeit hat, alle Träume festzuhalten. Das ist jedoch kein Problem, da die nächste Nacht wieder eine Fülle von neuen Träumen bringen wird. Eine kleine Anekdote aus meinem eigenen Erleben verdeutlicht, wie wichtig es ist, Träume so bald wie möglich aufzuschreiben: Eines Morgens habe ich mich gewundert, dass es einen Eintrag in meinem Traumtagebuch gab, ein kurzer Traum. Diesen hatte ich in einer kurzen nächtlichen Wachphase notiert und morgens keine Erinnerung mehr an den Traum und daran, dass ich den Traum aufgeschrieben habe.

Info-Kasten: Ist es gut oder schlecht, sich an Träume zu erinnern?

Es gab früher in Fachkreisen zwei Lager: Die einen haben gesagt, dass die Personen, die sich fast nie an Träume erinnern, Verdränger sind, also alles unter den Teppich kehren. Die andere Seite behauptete, dass die Menschen, die sich viel an Träume erinnern, im wahrsten Sinne des Wortes „Träumer“ sind und nicht so gut mit dem realen Leben zurechtkommen. Heute wissen wir, dass beide Lager nicht recht haben, die Traumerinnerung hat nichts mit der psychischen Gesundheit zu tun, sondern mit dem Interesse an Träumen.

Das Phänomen, dass man während des Tages etwas sieht oder erlebt, das dazu führt, dass man sich an einen Traum der letzten Nacht erinnert, stellt die Forschung noch vor Rätsel. Das wird in der Fachsprache als „cued recall“ bezeichnet, also eine Erinnerung, die durch einen Hinweisreiz erleichtert wird. Ich selbst kenne das aus eigener Erfahrung, z. B. habe ich ein bestimmtes Auto gesehen und dieses hat mich an einen Traum erinnert. Natürlich kann man sich nicht hundertprozentig sicher sein, dass das Gehirn einem nicht einen Streich spielt und man denkt, dass es ein Traum gewesen ist, obwohl das Bewusstsein diesen „Traum“ gerade in dem Augenblick erzeugt hat. Aber wenn es so ist, dass Hinweisreize die Traumerinnerung verbessern, heißt das, dass Träume nicht wirklich ganz vergessen werden, sondern nur, dass es dem Wachbewusstsein sehr schwerfällt, sich an Träume zu erinnern.

3 | Von was träumen wir?

Wie im vorangegangenen Kapitel ausgeführt, werden Träume als Rückerinnerung an das Träumen definiert, dem subjektiven Erleben während des Schlafes. Weil es immer da ist, also bei jedem Menschen jede Nacht abläuft, stellt sich natürlich die Frage, warum wir träumen. Bevor es an diese Frage geht, an der sich die Wissenschaftlerinnen bisher die Zähne ausgebissen haben, wird in diesem Abschnitt die einfachere Frage beleuchtet: Was kommt im Traum alles vor? Zur Veranschaulichung sind in Graphik 1 einige wichtige Einflüsse auf den Trauminhalt dargestellt.

Graphik 1: Einflussfaktoren Trauminhalt