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Zehn Träume beantworten die großen Fragen der Menschheit!Die zehn zu dem Band "Träume" zusammengefassten Erzählungen basieren auf die Träume und das Leben der Autorin in Südafrika. Eindringlich und faszinierende beschäftigen sich die Geschichten mit dem Wesen von Glück, Weisheit und Wahrheit. -
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Seitenzahl: 96
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Olive Schreiner
Margarete Jodl.
Mit einer Einleitung von Dr. Friedrich Jodl. Zweite durchgesehene Auflage.
Saga
TräumeCoverbild / Illustration: Historic Collection / Alamy Stock Photo Copyright © 1890, 2020 Olive Schreiner und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726416367
1. Ebook-Auflage, 2020
Format: EPUB 2.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.
SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk
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Möge ihm vergönnt sein zu
erfahren, was wir jetzt nur
ahnen, nicht schauen.
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Leben sass den ganzen Tag am Meerestrand, auf dem die Sonnenstrahlen spielten.
Ein weicher Wind strich kosend durch ihr Haar und das junge, junge Gesicht war dem Wasser zugewandt. Sie harrte — harrte und wusste doch selber nicht auf was.
Den ganzen Tag spülten die Wogen über den Sand und wiegten bei ihrem Hin und Her die rosa Muscheln.
Leben sass und wartete; den ganzen Tag — die Sonne in ihren Augen — sass sie da, bis sie, müde geworden, den Kopf auf die Knie sinken liess und, immer noch harrend, endlich einschlief.
Da knirschte der Sand unter einem Kiel; auf dem Strand wurden Tritte vernehmbar und Leben erwachte. Die Berührung einer Hand liess sie tief erschauern und als sie die Augen aufschlug, sah sie über sich die wunderbaren grossen Augen von Liebe. Nun ward Leben sich bewusst, weshalb sie hier den langen Tag gesessen und gewartet hatte.
Und Liebe zog Leben an sich heran. Dem Bunde entspross ein wunderschönes und eigenartiges Wesen, das sie Glück hiessen. Der Sonnenstrahl, der auf bewegtem Wasser tanzt und glitzert, ist nicht so heiter anzuschauen; die Blättchen der Rosenknospe, die sich der Sonne erstem Kuss erschliesst, sind nicht so rosig! Die winzigen Pulse schlagen schnell. Das kleine Wesen ist so warm, so weich! Es spricht niemals, aber es lacht und spielt im Sonnenschein. Liebe und Leben schwelgten in Wonne. Keines gestand es dem Andern, aber Jedes sagte sich im tiefsten Herzensgrund: „Ewig soll uns Glück zu Eigen bleiben.“
Dann aber kam eine Zeit (war es nach Wochen, war es nach Monaten? — Liebe und Leben messen die Zeit nicht), da das kleine Wesen nicht mehr so war wie ehedem. Wie sonst spielte und lachte es; wie sonst stopfte es sich den Mund voll roter Beeren; zuweilen aber hingen die kleinen Hände müde herab und seine Kinderaugen blickten trübe über das Wasser.
Leben und Liebe aber wagten nicht, sich in die Augen zu blicken und einander zu fragen: „Was fehlt unserm Liebling?“ Im Herzen sprach sich Jedes zu: „Es ist nichts — gar nichts. Morgen schon wird er wieder hell aufjauchzen.“
Doch morgen und wieder morgen kam. Sie wanderten auf ihrem Pfade weiter und das Kind spielte um sie her, matter, immer matter.
Eines Tages legten sich Leben und Liebe zum Schlafe nieder, und als sie erwachten, war Glück verschwunden; jedoch sass nicht weit von ihnen im Grase ein kleiner Fremdling mit weitoffenen sanften und traurigen Augen. Sie bemerkten ihn nicht, sondern gingen jedes für sich und weinten bitterlich: „Ach, unser Glück, unser verlorenes Glück! werden wir Dich niemals wiedcrsehen?“
Der kleine Fremdling mit den milden traurigen Augen aber ergriff verstohlen mit jeder seiner Hände eine der ihren und zog sie näher aneinander. So schritten Leben und Liebe weiter, und er in ihrer Mitte. Und wenn dann Leben kummervoll zu ihm niederblickte, so sah sie den Abglanz ihrer Thränen in seinen milden Augen. Und wenn Liebe, ausser sich vor Schmerz verzweifelnd ausrief: „Ich bin müde, müde; ich kann nicht weiter, denn alles Licht liegt hinter und nur das. Dunkel vor mir!“ dann wies ein kleiner rosiger Finger nach den sonnbeglänzten Bergeshängen in der Ferne. Stets waren die grossen Augen traurig und gedankenvoll, stets schwebte ein stilles Lächeln um den kleinen tapferen Mund. Wenn Leben sich an scharfem Stein den Fuss zerschnitt, trocknete er mit seinem Gewand das Blut und küsste den verlegten Fuss mit seinen kleinen Lippen. Wenn Liebe vor Erschöpfung in der Wüste liegen blieb (denn selbst Liebe kennt Erschöpfung), lief er mit seinen kleinen nackten Füssen über den heissen Sand und fand selbst dort in der Wüste in Felslöchern Wasser, um Liebe’s dürstende Lippen damit zu netzen. Er war keine Last — er beschwerte sie nie; er half ihnen nur allezeit vorwärts auf ihrer Pilgerfahrt. Als sie an dunkle Bergschluchten gelangten, in welchen Eiszapfen von den Felsen hingen — denn der Weg von Leben und Liebe führt durch seltsame öde Gegenden — da fasste er dort, wo die Kälte herrscht und ewiger Schnee sich thürmt, ihre erstarrenden Hände, hielt sie an sein klopfendes kleines Herz und wärmte sie. Sachte zog er sie weiter und weiter mit sich fort.
Und als sie das Reich der Blumen und des Sonnenscheins erreichten, da brach ein wunderbares Leuchten aus seinen grossen Augen und Grübchen spielten auf seinen Wangen. Fröhlich lachend lief er über das weiche Gras, sammelte Honig aus hohlem Baum und brachte ihn in seinen Handtellern; trug ihnen Wasser zu in den Blättern der Lilie und pflückte Blumen, mit denen er ihre Köpfe bekränzte, all sein Thun mit stillem Lächeln begleitend und schmückend.
Er berührte sie, wie ihr Glück sie berührt hatte — nur schmiegten seine Finger sich fast noch zärtlicher an.
So pilgerten sie weiter durch das dunkle und das lichte Reich und der kleine Tapfere immer heiter zwischen ihnen.
Zuweilen geschah es, dass sie sich des ersten strahlenden Glücks erinnerten, dann flüsterten sie wohl: „Oh könnten wir es nur auch wiederfinden!“
Endlich gelangten sie auf ihrer Pilgerfahrt dahin, wo Denken haust; ein seltsames altes Weib, das stets einen Ellbogen auf sein Knie und das Kinn auf die Hand gestützt hat und der Vergangenheit das Licht abstiehlt, welches es über die Zukunft ausgiesst.
Und Leben und Liebe riefen aus: „O, Du Weise, lehre uns! Als wir uns verbunden hatten, besassen wir ein liebliches strahlendes Wesen: Freude ohne Thränen, Sonnenschein ohne Schatten. Ach, wie vergingen wir uns, dass wir es verlieren mussten? Wohin denn sollen wir uns wenden, um dasselbe wiederzufinden?“
Sie aber, die weise alte Frau, antwortete: „Wollt Ihr, um es zurück zu haben, den, der jetzt neben Euch wandelt, aufgeben?“
Doch angstvoll riefen Liebe und Leben: „Nein!“
„Diesen lassen!“ sprach Leben. „Wer wird mir das Gift aussaugen, wenn Dornen mich ritzen? Wer seine kleinen Hände auf den hämmernden Kopf legen und sein Klopfen lindern? Wer wird mein in Kälte und Finsterniss erstarrendes Herz erwärmen?“
Und Liebe rief aus: „Lieber lass mich sterben! Ohne Glück kann ich leben, ohne dies Wesen nicht. Besser sterben, als es verlieren!“
Und die weise Alte versetzte: „Oh, über Euch Thoren und Blinde! Was Ihr einst hattet, ist das, was Ihr jetzt habt! Wenn Liebe und Leben sich verbinden, erblüht ihnen ein Etwas, das ganz Licht, ganz Klarheit ist. Wenn dann die Pfade rauher und die Schatten tiefer werden, wenn die Tage schwer und die Nächte lang und kalt sind — dann beginnt es allmählich sich umzugestalten. Liebe und Leben wollen es nicht sehen, wollen es nicht wissen — bis sie eines Tages plötzlich aufschrecken und rufen: ,Oh, Gott, Gott, wir haben es verloren, wo geriet es hin?‘ Sie begreifen nicht, dass sie das sonnige, lachende Wesen nicht in die Wüste, nicht in Frost und Schnee führen konnten, ohne dass es sich veränderte. Sie wissen nicht, dass jenes Wesen, welches jetzt an ihrer Seite geht, noch immer ,Glück‘ ist — nur älter geworden. Du ernstes, süsses, zärtliches Ding — warm bei den kältesten Schneestürmen, tapfer in der ödesten Wüste — Dein Name ist Seelengemeinschaft; — du bist die vollkommene Liebe.“
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In fernen Thälern lebte ein Jäger. Tag für Tag durchstreifte er die Wälder nach Federwild und gerieth dabei einmal an die Ufer eines grosses Sees. Als er nun da im Schilfe stand und auf den Strich der Vögel wartete, fiel ein mächtiger Schatten auf ihn und auf dem Wasser gewahrte er ein Spiegelbild. Er blickte auf; aber die Erscheinung war verschwunden. Da ergriff ihn brennendes Verlangen, dies Bild im Wasser noch einmal zu sehen und er harrte und wartete den ganzen langen Tag. Aber die Nacht brach herein und es kam nicht wieder. Da trat er mit leerer Jagdtasche, traurig und in sich gekehrt den Heimweg an. Seine Genossen befragten ihn wegen seiner Verstimmung, aber er antwortete ihnen nicht, sondern sass allein und brütete. Erst als sein Freund zu ihm kam, sprach er.
„Ich sah heute,“ sagte er, „etwas was ich bisher nie gesehen habe — einen grossen weissen Vogel, der mit ausgebreiteten silbernen Schwingen in dem unendlichen Blau dahinsegelte, und seitdem ist mir als ob in meiner Brust ein grosses Feuer entflammt wäre. Es war nur ein Glänzen und Schimmern, ein Widerspiel im Wasser; aber dies nochmals zu schauen, ist mein sehnlichster Wunsch.“ Sein Freund lachte und sagte:
„Es waren nur Lichtstrahlen, die auf dem Wasser tanzten und der Schatten Deines eignen Kopfes. Morgen wirst Du alles vergessen haben.“
Aber morgen, übermorgen und wieder morgen kam und der Jäger zog einsam umher. Er durchforschte Wald und Gehölz, er suchte an den Seen und im Schilfe, jedoch er fand nichts. Er schoss keine wilden Vögel mehr; was fragte er noch nach ihnen.
„Was bedrückt ihn?“ sagten seine Gefährten.
„Er ist von Sinnen“, meinte Einer.
„Nein, schlimmer als das“, sagte ein Anderer; „er will etwas gesehen haben, was Keiner von uns jemals sah und sich zum Wundertier machen.“
„Kommt lasst uns die Gemeinschaft mit ihm aufgeben.“
Und so ging er hinfür allein.
Eines Abends, als er weinend und wunden Herzens im Dunkeln ging, stiess er auf einen alten Mann, der mächtiger und grösser erschien, als die Söhne der Menschen.
„Wer seid Ihr?“ fragte der Jäger.
„Ich bin Weisheit“, antwortete der alte Mann; „Manche aber nennen mich Wissen. Mein ganzes Leben habe ich in diesen Thälern zugebracht; aber kein Mensch gewahrt mich eher, als bis meine Frau Sorge sich zu ihm gesellt hat. Die Augen, denen ich erscheine, müssen feucht von Thränen sein und was ich in den Menschen verkünde, hängt davon ab, wie viel sie gelitten haben.“
Und der Jäger rief:
„Ach, wenn Ihr so lange hier lebt — sagt mir doch, was ist’s mit diesem grossen wilden Vogel, den ich im Himmelsäther ziehen sah? Sie wollten mich glauben machen, es sei nur ein Traum gewesen; der Schatten meines eigenen Kopfes.“
Der alte Mann lächelte.
„Das war die Wahrheit! Wer sie einmal erschaute, der ruht nicht mehr. Er begehrt ihrer bis an sein Ende.“
Da rief der Jäger:
„Oh sagt, wo kann ich sie finden?“
Der Greis aber erwiderte: ,,Du hast noch nicht genug gelitten,“ und damit verliess er ihn.
Der Jäger aber verbrachte die ganze Nacht am Webestuhl der Phantasie und Faden um Faden schlang sich zum Netz.
Und als der Morgen kam, breitete er dies güldene Gewebe auf dem Boden aus und streute einige wenige Körner Leichtgläubigkeit, die ihm sein Vater hinterlassen hatte und die er in seiner Brusttasche bewahrte, hinein. Sie glichen den weissen Pilzchen, aus denen brauner Staub aufwirbelt, wenn man auf sie tritt. Dann sass er und wartete, was sich nun wohl ereignen würde.
Das erste was sich im Netze fing, war ein schneeweisser Vogel mit Taubenaugen, der ein schönes Lied sang. — ,,Ein Gott-Mensch! Ein Gott-Mensch! Ein Gott-Mensch!“ so sang er. Der zweite, der kam, war schwarz und geheimnissvoll, mit dunkeln, lieblichen Augen, deren Blick in die Tiefe der Seele drang und er zwitscherte nur — „Unsterblichkeit!“ Beide nahm der Jäger in seine Arme, denn er sagte — „Sicher gehören sie zu der schönen Familie der Wahrheit.“