Traumnovelle - Arthur Schnitzler - E-Book + Hörbuch

Traumnovelle E-Book und Hörbuch

Arthur Schnitzler

4,6

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Beschreibung

Die scheinbar harmonische Ehe des Arztes Fridolin und seiner Frau Albertine kränkelt. In einer von sexuellen Fantasien und Geschehnissen aufgeladenen sonderbaren Nacht und dem darauffolgenden Tag werden die unter der Oberfläche liegenden erotischen Begierden beider bloßgelegt. Dies scheint die Kluft zwischen den Ehepartnern aber nur noch mehr zu vergrößern. "Traumnovelle" wurde von 1925 bis 1926 in der Berliner Zeitschrift "die Dame" als Fortsetzungsroman veröffentlicht. Die hier zugrunde liegende Buchausgabe erschien 1926 im S. Fischer Verlag. 1999 verarbeitete der bekannte Regisseur Stanley Kubrick den Stoff der Traumnovelle in seinem Letzten Film "Eyes wide Shut". Den Ort der Handlung verlegte er in das New York der Gegenwart. Die Hauptrollen spielten Tom Cruise und seine damalige Ehefrau, Nicole Kidman. Null Papier Verlag

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Seitenzahl: 134

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Zeit:3 Std. 10 min

Sprecher:Sven Görtz
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Arthur Schnitzler

Traumnovelle

Arthur Schnitzler

Traumnovelle

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected] EV: S.-Fischer-Verlag, 1926 2. Auflage, ISBN 978-3-954183-16-6

null-papier.de/neu

Inhaltsverzeichnis

Das Buch

1

2

3

4

5

6

7

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Ero­tik bei Null Pa­pier

Die 120 Tage von So­dom

Jus­ti­ne

Ero­tik Frü­her

Fan­ny Hill

Ve­nus im Pelz

Ju­li­et­te

Ca­sa­no­va – Ge­schich­te mei­nes Le­bens

Ge­fähr­li­che Lieb­schaf­ten

Traum­no­vel­le

Die Me­moi­ren ei­ner rus­si­schen Tän­ze­rin

und wei­te­re …

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Das Buch

Die schein­bar har­mo­ni­sche Ehe des Arz­tes Fri­do­lin und sei­ner Frau Al­ber­ti­ne krän­kelt.

In ei­ner von se­xu­el­len Fan­tasi­en und Ge­scheh­nis­sen auf­ge­la­de­nen son­der­ba­ren Nacht und dem dar­auf­fol­gen­den Tag wer­den die un­ter der Ober­flä­che lie­gen­den ero­ti­schen Be­gier­den bei­der bloß­ge­legt. Dies scheint die Kluft zwi­schen den Ehe­part­nern aber nur noch mehr zu ver­grö­ßern.

»Traum­no­vel­le« wur­de von 1925 bis 1926 in der Ber­li­ner Zeit­schrift »die Dame« als Fort­set­zungs­ro­man ver­öf­fent­licht. Die hier zu­grun­de lie­gen­de Buch­aus­ga­be er­schi­en 1926 im S. Fi­scher Ver­lag.

Ar­thur Schnitz­ler (1862 - 1931) ist ein ös­ter­rei­chi­scher Er­zäh­ler und Dra­ma­ti­ker. Er gilt als ei­ner der be­deu­tends­ten Ver­tre­ter der Wie­ner Mo­der­ne. Sein li­te­ra­ri­sches De­büt gibt er 1880 mit »Lie­bes­lied der Bal­le­ri­ne«. Schnitz­ler schreibt Dra­men und Pro­sa (haupt­säch­lich Er­zäh­lun­gen), in de­nen er be­son­ders die psy­chi­schen Vor­gän­ge sei­ner Fi­gu­ren schil­dert. Schon seit An­fang des 20. Jahr­hun­dert ge­hört Schnitz­ler zu den meist­ge­spiel­ten Dra­ma­ti­kern auf deutsch­spra­chi­gen Büh­nen.

Mit Be­ginn des Ers­ten Welt­krie­ges geht das In­ter­es­se an sei­nen Wer­ken zu­rück. Schnitz­ler lehnt die Be­geis­te­rung Ös­ter­reichs für einen Kriegs­ein­tritt ab. 1921 wird ihm an­läss­lich der Ur­auf­füh­rung des Thea­ter­stücks »Rei­gen« ein Pro­zess we­gen Er­re­gung öf­fent­li­chen Är­ger­nis­ses ge­macht. Wäh­rend der Zeit des Na­tio­nal­so­zia­lis­mus wer­den die Wer­ke des Ju­den Schnitz­ler ver­bo­ten. Erst seit den 1960er Jah­ren fin­det sein Werkt wie­der ver­mehrt Le­ser.

1999 ver­ar­bei­te­te der be­kann­te Re­gis­seur St­an­ley Ku­brick den Stoff der Traum­no­vel­le in sei­nem Letz­ten Film »Eyes wide Shut«. Den Ort der Hand­lung ver­leg­te er in das New York der Ge­gen­wart. Die Haup­trol­len spiel­ten Tom Crui­se und sei­ne da­ma­li­ge Ehe­frau, Ni­co­le Kid­man.

»Ich habe mich oft ver­wun­dert ge­fragt, wo­her Sie [Schnitz­ler] die­se oder jene ge­hei­me Kennt­nis neh­men konn­ten, die ich mir durch müh­se­li­ge Er­for­schung des Ob­jekts er­wor­ben, und end­lich kam ich dazu, den Dich­ter zu be­nei­den, den ich sonst be­wun­dert. So habe ich den Ein­druck ge­won­nen, daß Sie durch In­tui­ti­on -- ei­gent­lich aber in­fol­ge fei­ner Selbst­wahr­neh­mung -- all das wis­sen, was ich in müh­sa­mer Ar­beit an an­de­ren Men­schen auf­ge­deckt habe.« [Sig­mund Freud]

1

»Vier­und­zwan­zig brau­ne Skla­ven ru­der­ten die präch­ti­ge Ga­lee­re, die den Prin­zen Am­giad zu dem Palast des Ka­li­fen brin­gen soll­te. Der Prinz aber, in sei­nen Pur­pur­man­tel gehüllt, lag al­lein auf dem Ver­deck un­ter dem dun­kelblau­en, stern­be­sä­ten Nacht­him­mel, und sein Blick --«

Bis hier­her hat­te die Klei­ne laut ge­le­sen; jetzt, bei­na­he plötz­lich, fie­len ihr die Au­gen zu. Die El­tern sa­hen ein­an­der lä­chelnd an, Fri­do­lin beug­te sich zu ihr nie­der, küß­te sie auf das blon­de Haar und klapp­te das Buch zu, das auf dem noch nicht ab­ge­räum­ten Ti­sche lag. Das Kind sah auf wie er­tappt.

»Neun Uhr«, sag­te der Va­ter, »es ist Zeit schla­fen zu ge­hen.« Und da sich nun auch Al­ber­ti­ne zu dem Kind her­ab­ge­beugt hat­te, tra­fen sich die Hän­de der El­tern auf der ge­lieb­ten Stirn, und mit zärt­li­chem Lä­cheln, das nun nicht mehr dem Kin­de al­lein galt, be­geg­ne­ten sich ihre Bli­cke. Das Fräu­lein trat ein, mahn­te die Klei­ne, den El­tern gute Nacht zu sa­gen; ge­hor­sam er­hob sie sich, reich­te Va­ter und Mut­ter die Lip­pen zum Kuß und ließ sich von dem Fräu­lein ru­hig aus dem Zim­mer füh­ren. Fri­do­lin und Al­ber­ti­ne aber, nun al­lein ge­blie­ben un­ter dem röt­li­chen Schein der Hän­ge­lam­pe, hat­ten es mit ei­nem­mal ei­lig, ihre vor dem Abendes­sen be­gon­ne­ne Un­ter­hal­tung über die Er­leb­nis­se auf der gest­ri­gen Re­dou­te wie­der auf­zu­neh­men.

Es war in die­sem Jahr ihr ers­tes Ball­fest ge­we­sen, an dem sie ge­ra­de noch vor Kar­ne­valschluß teil­zu­neh­men sich ent­schlos­sen hat­ten. Was Fri­do­lin be­traf, so war er gleich beim Ein­tritt in den Saal wie ein mit Un­ge­duld er­war­te­ter Freund von zwei ro­ten Do­mi­nos be­grüßt wor­den, über de­ren Per­son er sich nicht klar zu wer­den ver­moch­te, ob­zwar sie über al­ler­lei Ge­schich­ten aus sei­ner Stu­den­ten- und Spi­tal­zeit auf­fal­lend ge­nau­en Be­scheid wuß­ten. Aus der Loge, in die sie ihn mit ver­hei­ßungs­vol­ler Freund­lich­keit ge­la­den, hat­ten sie sich mit dem Ver­spre­chen ent­fernt, sehr bald, und zwar un­mas­kiert, zu­rück­zu­kom­men, wa­ren aber so lan­ge fort­ge­blie­ben, daß er, un­ge­dul­dig ge­wor­den, vor­zog, sich ins Par­terre zu be­ge­ben, wo er den bei­den frag­wür­di­gen Er­schei­nun­gen wie­der zu be­geg­nen hoff­te. So an­ge­strengt er auch um­her­späh­te, nir­gends ver­moch­te er sie zu er­bli­cken; statt ih­rer aber hing sich un­ver­se­hens ein an­de­res weib­li­ches We­sen in sei­nen Arm: sei­ne Gat­tin, die sich eben jäh ei­nem Un­be­kann­ten ent­zo­gen, des­sen me­lan­cho­lisch-bla­sier­tes We­sen und fremd­län­di­scher, an­schei­nend pol­ni­scher Ak­zent sie an­fangs be­strickt, der sie aber plötz­lich durch ein un­er­war­tet hin­ge­wor­fe­nes, häß­lich-fre­ches Wort ver­letzt, ja er­schreckt hat­te. Und so sa­ßen Mann und Frau, im Grun­de froh, ei­nem ent­täu­schend ba­na­len Mas­ken­spiel ent­ron­nen zu sein, bald wie zwei Lie­ben­de, un­ter an­dern ver­lieb­ten Paa­ren, im Bü­fett­raum bei Aus­tern und Cham­pa­gner, plau­der­ten sich ver­gnügt, als hät­ten sie eben erst Be­kannt­schaft mit­ein­an­der ge­schlos­sen, in eine Ko­mö­die der Galan­te­rie, des Wi­der­stan­des, der Ver­füh­rung und des Ge­wäh­rens hin­ein; und nach ei­ner ra­schen Wa­gen­fahrt durch die wei­ße Win­ter­nacht san­ken sie ein­an­der da­heim zu ei­nem schon lan­ge Zeit nicht mehr so heiß er­leb­ten Lie­bes­glück in die Arme. Ein grau­er Mor­gen weck­te sie all­zu­bald. Den Gat­ten for­der­te sein Be­ruf schon in frü­her Stun­de an die Bet­ten sei­ner Kran­ken; Haus­frau- und Mut­ter­pflich­ten lie­ßen Al­ber­ti­ne kaum län­ger ru­hen. So wa­ren die Stun­den nüch­tern und vor­be­stimmt in All­tags­pflicht und Ar­beit hin­ge­gan­gen, die ver­gan­ge­ne Nacht, An­fang wie Ende, war ver­blaßt; und jetzt erst, da bei­der Ta­ge­werk vollen­det, das Kind schla­fen ge­gan­gen und von nir­gend­her eine Stö­rung zu ge­wär­ti­gen war, stie­gen die Schat­ten­ge­stal­ten von der Re­dou­te, der me­lan­cho­li­sche Un­be­kann­te und die ro­ten Do­mi­nos, wie­der zur Wirk­lich­keit em­por; und jene un­be­trächt­li­chen Er­leb­nis­se wa­ren mit ei­nem­mal vom trü­ge­ri­schen Schei­ne ver­säum­ter Mög­lich­kei­ten zau­ber­haft und schmerz­lich um­flos­sen. Harm­lo­se und doch lau­ern­de Fra­gen, ver­schmitz­te, dop­pel­deu­ti­ge Ant­wor­ten wech­sel­ten hin und her; kei­nem von bei­den ent­ging, daß der an­de­re es an der letz­ten Auf­rich­tig­keit feh­len ließ, und so fühl­ten sich bei­de zu ge­lin­der Ra­che auf­ge­legt. Sie über­trie­ben das Maß der An­zie­hung, das von ih­ren un­be­kann­ten Re­dou­ten­part­nern auf sie aus­ge­strahlt hät­te, spot­te­ten der ei­fer­süch­ti­gen Re­gun­gen, die der an­de­re mer­ken ließ, und leug­ne­ten ihre ei­ge­nen weg. Doch aus dem leich­ten Ge­plau­der über die nich­ti­gen Aben­teu­er der ver­flos­se­nen Nacht ge­rie­ten sie in ein erns­te­res Ge­spräch über jene ver­bor­ge­nen, kaum ge­ahn­ten Wün­sche, die auch in die klars­te und reins­te See­le trü­be und ge­fähr­li­che Wir­bel zu rei­ßen ver­mö­gen, und sie re­de­ten von den ge­hei­men Be­zir­ken, nach de­nen sie kaum Sehn­sucht ver­spür­ten und wo­hin der un­faß­ba­re Wind des Schick­sals sie doch ein­mal, und wär’s auch nur im Traum, ver­schla­gen könn­te. Denn so völ­lig sie ein­an­der in Ge­fühl und Sin­nen an­ge­hör­ten, sie wuß­ten, daß ges­tern nicht zum ers­ten­mal ein Hauch von Aben­teu­er, Frei­heit und Ge­fahr sie an­ge­rührt; bang, selbst­quä­le­risch, in un­lau­te­rer Neu­gier ver­such­ten sie ei­nes aus dem an­dern Ge­ständ­nis­se her­vor­zu­lo­cken und, ängst­lich nä­her zu­sam­men­rückend, forsch­te je­des in sich nach ir­gend­ei­ner Tat­sa­che, so gleich­gül­tig, nach ei­nem Er­leb­nis, so nich­tig es sein moch­te, das für das Un­sag­ba­re als Aus­druck gel­ten, und des­sen auf­rich­ti­ge Beich­te sie viel­leicht von ei­ner Span­nung und ei­nem Miß­trau­en be­frei­en könn­te, das all­mäh­lich un­er­träg­lich zu wer­den an­fing. Al­ber­ti­ne, ob sie nun die Un­ge­dul­di­ge­re, die Ehr­li­che­re oder die Gü­ti­ge­re von den bei­den war, fand zu­erst den Mut zu ei­ner of­fe­nen Mit­tei­lung; und mit et­was schwan­ken­der Stim­me frag­te sie Fri­do­lin, ob er sich des jun­gen Man­nes er­in­ne­re, der im letzt­ver­flos­se­nen Som­mer am dä­ni­schen Strand ei­nes Abends mit zwei Of­fi­zie­ren am be­nach­bar­ten Tisch ge­ses­sen, wäh­rend des Abendes­sens ein Te­le­gramm er­hal­ten und sich dar­auf­hin ei­lig von sei­nen Freun­den ver­ab­schie­det hat­te.

Fri­do­lin nick­te. »Was war’s mit dem?« frag­te er.

»Ich hat­te ihn schon des Mor­gens ge­se­hen«, er­wi­der­te Al­ber­ti­ne, »als er eben mit sei­ner gel­ben Hand­ta­sche ei­lig die Ho­tel­trep­pe hin­an­stieg. Er hat­te mich flüch­tig ge­mus­tert, aber erst ein paar Stu­fen hö­her blieb er ste­hen, wand­te sich nach mir um, und un­se­re Bli­cke muß­ten sich be­geg­nen. Er lä­chel­te nicht, ja, eher schi­en mir, daß sein Ant­litz sich ver­düs­ter­te, und mir er­ging es wohl ähn­lich, denn ich war be­wegt wie noch nie. Den gan­zen Tag lag ich traum­ver­lo­ren am Strand. Wenn er mich rie­fe -- so mein­te ich zu wis­sen --, ich hät­te nicht wi­der­ste­hen kön­nen. Zu al­lem glaub­te ich mich be­reit; dich, das Kind, mei­ne Zu­kunft hin­zu­ge­ben, glaub­te ich mich so gut wie ent­schlos­sen, und zu­gleich -- wirst du es ver­ste­hen? -- warst du mir teu­rer als je. Gera­de an die­sem Nach­mit­tag, du mußt dich noch er­in­nern, füg­te es sich, daß wir so ver­traut über tau­send Din­ge, auch über un­se­re ge­mein­sa­me Zu­kunft, auch über das Kind plau­der­ten, wie schon seit lan­ge nicht mehr. Bei Son­nen­un­ter­gang sa­ßen wir auf dem Bal­kon, du und ich, da ging er vor­über un­ten am Strand, ohne auf­zu­bli­cken, und ich war be­glückt, ihn zu se­hen. Dir aber strich ich über die Stir­ne und küß­te dich aufs Haar, und in mei­ner Lie­be zu dir war zu­gleich viel schmerz­li­ches Mit­leid. Am Abend war ich sehr schön, du hast es mir sel­ber ge­sagt, und trug eine wei­ße Rose im Gür­tel. Es war viel­leicht kein Zu­fall, daß der Frem­de mit sei­nen Freun­den in un­se­rer Nähe saß. Er blick­te nicht zu mir her, ich aber spiel­te mit dem Ge­dan­ken, auf­zu­ste­hen, an sei­nen Tisch zu tre­ten und ihm zu sa­gen: Da bin ich, mein Er­war­te­ter, mein Ge­lieb­ter, -- nimm mich hin. In die­sem Au­gen­blick brach­te man ihm das Te­le­gramm, er las, erblaß­te, flüs­ter­te dem jün­ge­ren der bei­den Of­fi­zie­re ei­ni­ge Wor­te zu, und mit ei­nem rät­sel­haf­ten Blick mich strei­fend, ver­ließ er den Saal.«

»Und?« frag­te Fri­do­lin tro­cken, als sie schwieg.

»Nichts wei­ter. Ich weiß nur, daß ich am nächs­ten Mor­gen mit ei­ner ge­wis­sen Ban­gig­keit er­wach­te. Wo­vor mir mehr bang­te -- ob da­vor, daß er ab­ge­reist, oder da­vor, daß er noch da sein könn­te --, das weiß ich nicht, das habe ich auch da­mals nicht ge­wußt. Doch als er auch mit­tags ver­schwun­den blieb, at­me­te ich auf. Fra­ge mich nicht wei­ter, Fri­do­lin, ich habe dir die gan­ze Wahr­heit ge­sagt. -- Und auch du hast an je­nem Strand ir­gend et­was er­lebt, -- ich weiß es.«

Fri­do­lin er­hob sich, ging ein paar­mal im Zim­mer auf und ab, dann sag­te er: »Du hast recht.« Er stand am Fens­ter, das Ant­litz im Dun­kel. »Des Mor­gens«, be­gann er mit ver­schlei­er­ter, et­was feind­se­li­ger Stim­me, »manch­mal sehr früh noch, ehe du auf­ge­stan­den warst, pfleg­te ich längs des Ufers da­hin­zu­wan­dern, über den Ort hin­aus; und, so früh es war, im­mer lag schon die Son­ne hell und stark über dem Meer. Da drau­ßen am Strand gab es klei­ne Land­häu­ser, wie du weißt, die, je­des, da­stan­den, eine klei­ne Welt für sich, man­che mit um­plank­ten Gär­ten, man­che auch nur von Wald um­ge­ben, und die Ba­de­hüt­ten wa­ren von den Häu­sern durch die Land­stra­ße und ein Stück Strand ge­trennt. Kaum daß ich je in so frü­her Stun­de Men­schen be­geg­ne­te; und Ba­den­de wa­ren über­haupt nie­mals zu se­hen. Ei­nes Mor­gens aber wur­de ich ganz plötz­lich ei­ner weib­li­chen Ge­stalt ge­wahr, die, eben noch un­sicht­bar ge­we­sen, auf der schma­len Ter­ras­se ei­ner in den Sand ge­pfähl­ten Ba­de­hüt­te, einen Fuß vor den an­dern set­zend, die Arme nach rück­wärts an die Holzwand ge­sprei­tet, sich vor­sich­tig wei­ter­be­weg­te. Es war ein ganz jun­ges, viel­leicht fünf­zehn­jäh­ri­ges Mäd­chen mit auf­ge­lös­tem blon­den Haar, das über die Schul­tern und auf der einen Sei­te über die zar­te Brust her­ab­floß. Das Mäd­chen sah vor sich hin, ins Was­ser hin­ab, lang­sam glitt es längs der Wand wei­ter, mit ge­senk­tem Auge nach der an­dern Ecke hin, und plötz­lich stand es mir ge­ra­de ge­gen­über; mit den Ar­men griff sie weit hin­ter sich, als woll­te sie sich fes­ter an­klam­mern, sah auf und er­blick­te mich plötz­lich. Ein Zit­tern ging durch ih­ren Leib, als müß­te sie sin­ken oder flie­hen. Doch da sie auf dem schma­len Brett sich doch nur ganz lang­sam hät­te wei­ter­be­we­gen kön­nen, ent­schloß sie sich in­ne­zu­hal­ten, -- und stand nun da, zu­erst mit ei­nem er­schro­cke­nen, dann mit ei­nem zor­ni­gen, end­lich mit ei­nem ver­le­ge­nen Ge­sicht. Mit ei­nem­mal aber lä­chel­te sie, lä­chel­te wun­der­bar; es war ein Grü­ßen, ja ein Win­ken in ih­ren Au­gen -- und zu­gleich ein lei­ser Spott, mit dem sie ganz flüch­tig zu ih­ren Fü­ßen das Was­ser streif­te, das mich von ihr trenn­te. Dann reck­te sie den jun­gen schlan­ken Kör­per hoch, wie ih­rer Schön­heit froh, und, wie leicht zu mer­ken war, durch den Glanz mei­nes Blicks, den sie auf sich fühl­te, stolz und süß er­regt. So stan­den wir uns ge­gen­über, viel­leicht zehn Se­kun­den lang, mit halb­of­fe­nen Lip­pen und flim­mern­den Au­gen. Un­will­kür­lich brei­te­te ich mei­ne Arme nach ihr aus, Hin­ge­bung und Freu­de war in ih­rem Blick. Mit ei­nem­mal aber schüt­tel­te sie hef­tig den Kopf, lös­te einen Arm von der Wand, deu­te­te ge­bie­te­risch, ich sol­le mich ent­fer­nen; und als ich es nicht gleich über mich brach­te zu ge­hor­chen, kam ein sol­ches Bit­ten, ein sol­ches Fle­hen in ihre Kin­derau­gen, daß mir nichts an­de­res üb­rig­b­lieb, als mich ab­zu­wen­den. So rasch als mög­lich setz­te ich mei­nen Weg wie­der fort; ich sah mich kein ein­zi­ges Mal nach ihr um, nicht ei­gent­lich aus Rück­sicht, aus Ge­hor­sam, aus Rit­ter­lich­keit, son­dern dar­um, weil ich un­ter ih­rem letz­ten Blick eine sol­che, über al­les je Er­leb­te hin­aus­ge­hen­de Be­we­gung ver­spürt hat­te, daß ich mich ei­ner Ohn­macht nah fühl­te.« Und er schwieg.

»Und wie oft«, frag­te Al­ber­ti­ne, vor sich hin­se­hend und ohne jede Be­to­nung, »bist du nach­her noch den­sel­ben Weg ge­gan­gen?«

»Was ich dir er­zählt habe«, er­wi­der­te Fri­do­lin, »er­eig­ne­te sich zu­fäl­lig am letz­ten Tag un­se­res Auf­ent­halts in Dä­ne­mark. Auch ich weiß nicht, was un­ter an­de­ren Um­stän­den ge­wor­den wäre. Frag’ auch du nicht wei­ter, Al­ber­ti­ne.«

Er stand im­mer noch am Fens­ter, un­be­weg­lich. Al­ber­ti­ne er­hob sich, trat auf ihn zu, ihr Auge war feucht und dun­kel, leicht ge­run­zelt die Stirn. »Wir wol­len ein­an­der sol­che Din­ge künf­tig­hin im­mer gleich er­zäh­len«, sag­te sie.

Er nick­te stumm.

»Ver­sprich’s mir.«

Er zog sie an sich. »Weißt du das nicht?« frag­te er; aber sei­ne Stim­me klang im­mer noch hart.

Sie nahm sei­ne Hän­de, strei­chel­te sie und sah zu ihm auf mit um­flor­ten Au­gen, auf de­ren Grund er ihre Ge­dan­ken zu le­sen ver­moch­te. Jetzt dach­te sie sei­ner an­dern, wirk­li­che­rer, dach­te sei­ner Jüng­lings­er­leb­nis­se, in de­ren man­che sie ein­ge­weiht war, da er, ih­rer ei­fer­süch­ti­gen Neu­gier all­zu wil­lig nach­ge­bend, ihr in den ers­ten Ehe­jah­ren man­ches ver­ra­ten, ja, wie ihm oft­mals schei­nen woll­te, preis­ge­ge­ben, was er lie­ber für sich hät­te be­hal­ten sol­len. In die­ser Stun­de, er wuß­te es, dräng­te man­che Erin­ne­rung sich ihr mit Not­wen­dig­keit auf, und er wun­der­te sich kaum, als sie, wie aus ei­nem Traum, den halb­ver­ges­se­nen Na­men ei­ner sei­ner Ju­gend­ge­lieb­ten aus­sprach. Doch wie ein Vor­wurf, ja wie eine lei­se Dro­hung klang er ihm ent­ge­gen.

Er zog ihre Hän­de an sei­ne Lip­pen.

»In je­dem We­sen -- glaub’ es mir, wenn es auch wohl­feil klin­gen mag --, in je­dem We­sen, das ich zu lie­ben mein­te, habe ich im­mer nur dich ge­sucht. Das weiß ich bes­ser, als du es ver­ste­hen kannst, Al­ber­ti­ne.«

Sie lä­chel­te trüb. »Und wenn es auch mir be­liebt hät­te, zu­erst auf die Su­che zu ge­hen?« sag­te sie. Ihr Blick ver­än­der­te sich, wur­de kühl und un­durch­dring­lich. Er ließ ihre Hän­de aus den sei­nen glei­ten, als hät­te er sie auf ei­ner Un­wahr­heit, auf ei­nem Ver­rat er­tappt; sie aber sag­te: »Ach, wenn ihr wüß­tet«, und wie­der schwieg sie.

»Wenn wir wüß­ten --? Was willst du da­mit sa­gen?«

Mit selt­sa­mer Här­te er­wi­der­te sie: »Un­ge­fähr, was du dir denkst, mein Lie­ber.«

»Al­ber­ti­ne -- so gibt es et­was, was du mir ver­schwie­gen hast?«

Sie nick­te und blick­te mit ei­nem son­der­ba­ren Lä­cheln vor sich hin.

Un­faß­ba­re, un­sin­ni­ge Zwei­fel wach­ten in ihm auf.

»Ich ver­ste­he nicht recht«, sag­te er. »Du warst kaum sieb­zehn, als wir uns ver­lob­ten.«

»Sech­zehn vor­bei, ja, Fri­do­lin. Und doch --« sie sah ihm hell in die Au­gen -- »lag es nicht an mir, daß ich noch jung­fräu­lich dei­ne Gat­tin wur­de.«

»Al­ber­ti­ne --!«

Und sie er­zähl­te: