Triumph der Lüge - Schweden-Krimi - Ralph Herrmanns - E-Book

Triumph der Lüge - Schweden-Krimi E-Book

Ralph Herrmanns

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  • Herausgeber: SAGA Egmont
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2020
Beschreibung

Ein spannender Fall, der in geheimen Agentenkreisen spielt: Der Stockholmer Polizist Jörgen Blom wird seit seinem Einsatz in der russischen Botschaft in Stockholm von der Sicherheitspolizei überwacht, da man ihn verdächtigt, ein Doppel-Agent zu sein. Um vor der Topagentin des Mossad gut dazustehen, spielt Blom das Spiel mit, doch dann wird plötzlich gefährlich für ihn: Es geschieht ein Mord, der wohl eigentlich Blom galt...-

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Ralph Herrmanns

Triumph der Lüge - Schweden-Krimi

Eckehard Schultz

Saga

Triumph der Lüge - Schweden-Krimi Übersetzt

Eckehard Schultz

Coverbild / Illustration: Shutterstock

Copyright © 1988, 2020 Ralph Herrmanns und SAGA Egmont

All rights reserved

ISBN: 9788726444919

1. Ebook-Auflage, 2020

Format: EPUB 2.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk

– a part of Egmont www.egmont.com

Die Hauptpersonen

Per Olof Holmström alias Santiago Garcia

ist alarmiert, wenn ein Schwede ihn Misha nennt.

Eugen Radek

liebt den Wohlstand und die Kultur, aber lieber in Stockholm als in Moskau.

Arie ‹Memuneh›

hält als Mossad-Chef die Fäden in der Hand.

Tamara Amram

leitet als Rachel Schwarz eine gefährliche Operation.

Britt Winter

belebt als Fotomodell den schwedischen Export und den Kreislauf der Männer.

Valentin Jurtjenko

heißt eigentlich Meir Ben Dov und hat eigentlich nichts in der UdSSR zu suchen.

Tage Petersen

ist Abteilungsleiter bei der Säpo und klagt über den regen Zustrom russischer Agenten.

Jörgen Blom

baut einen grandiosen Pappkameraden auf namens Jörgen Blom.

Jakob Ceder

bildet die neue Regierung und einen sehr eigenen Stil.

Richte dir Wegzeichen auf, setze dir Steinmale und richte deinen Sinn auf die Straße, auf der du gezogen bist!

Kehr zurück . . . kehr zurück zu diesen deinen Städten!

Jeremia 31,

Auf die beste Art und Weise wird man hereingelegt, wenn man fest daran glaubt, daß man alle anderen überlistet.

I

Die erste Meldung an die Zentrale der Küstenwache auf Muskö gab er von Lyckovägen in Bromma aus durch. Es war 4 Uhr 42. Er schrieb die Uhrzeit mehrmals an den Rand der Seekarte. 4 Uhr 42 am Tag vor Mittsommer – seine Frau und seine Tochter schliefen noch. Es dauerte minutenlang, bis auf Muskö jemand den Hörer abhob, vielleicht schlief man dort auch noch.

«Ich rufe von Sandhamn aus an», erklärte Misha. «Mein Name ist Per Olof Holmström, Oberstleutnant Holmström. Ich glaube, ich habe ein U-Boot gesehen vor . . . vor zweiundzwanzig Minuten. Ich kam von Grönskär. Irgend etwas bewegte sich im Wasser, etwa 250 Meter ostwärts von mir, mit schnellerer Fahrt, als ich sie drauf hatte. Ich würde schätzen, daß es sich mit acht Knoten Geschwindigkeit bewegte. Kurs Ostnordost.»

«Beschreiben Sie bitte, was Sie gesehen haben. Ein Periskop? Eine Funkantenne?»

Er war vorbereitet und wußte, was er antworten mußte, um ernst genommen zu werden. Er brauchte nur die Druckwelle eines U-Bootes zu beschreiben.

«Keins von beiden. Was ich gesehen habe, erinnerte mich an einen Buckel auf dem Wasser. Ein Buckel, der sich schneller bewegte als mein Ruderboot.»

«Darf ich wiederholen?» fragte die Zentrale der Küstenwache. «Zeit ungefähr 4 Uhr 20, zwischen Grönskär und Sandhamn mit Kurs Nordost. Vielen Dank für den Anruf.»

Er wußte, was aus seiner Meldung wurde – sie war bereits per Telex unterwegs an den Militärbefehlshaber in Strängnäs. Sie würde vielen Menschen das Mittsommerwochenende verderben, auch weil er vorhatte, einige Stunden später Meldungen über Beobachtungen an anderen Plätzen durchzugeben. Misha hatte in der Seekarte markiert, wo das U-Boot als nächstes und danach in schöner Reihenfolge entdeckt werden sollte, so daß man schließlich auf der Basis der Orte und der angenommenen Geschwindigkeit einen Pfeil zeichnen konnte, der genau auf den Schärengarten von Söderarm wies.

Er wußte auch, wie die Schweden auf dieses Telefongespräch reagieren würden. Es gab einen Offizier, der Holmström hieß und ein Sommerhaus auf Sandhamn hatte. Das Marinepersonal war erfahren in der Auswertung von Hinweisen auf U-Boote, die aus der Bevölkerung kamen. Was am wahrscheinlichsten erschien, zum Beispiel eine Tonne, die sich aufrecht auf der Wasseroberfläche bewegte – der Turm eines U-Boots –, führte seltener zu irgendwelchen Maßnahmen, als man sich im allgemeinen vorstellte. Aber die genaue Beschreibung einer ungewöhnlichen Erscheinung – eines Buckels auf dem Wasser – würde mindestens einen Hubschrauber der Division in Berga in die Luft bringen.

Sie waren eingeladen worden, beim Aufstellen der Mittsommerstange auf der Wiese vor dem Bull-August-Hof auf Arholma dabeizusein. Das Wetter war sagenhaft. Jeder sagte zu jedem, daß man von dieser Mittsommerfeier noch nach Jahrzehnten sprechen würde. Die Frauen und die Kinder hatten im Wäldchen Blumen für ihre Kränze gepflückt: Wiesenkerbel, Margereten, Vergißmeinnicht, Körner-Steinbrech, Sauerampfer, Gemeiner Hornklee, Waldstorchschnabel . . .

Misha hatte sich an die Polizei in Norrtälje gewandt, diesmal um mitzuteilen, daß er einen fremden beweglichen Gegenstand entdeckt hätte, der sich auf dem Weg nach Norden befand. Mit seinem Transistorradio hörte er sich nun alle Nachrichtensendungen an. Noch hatte der Rundfunk nichts über einen U-Boot-Alarm gebracht, obwohl er seit dem Telefonat am frühen Morgen mit Muskö drei Beobachtungen gemeldet hatte. Das machte ihn unsicher, das paßte nicht in seinen Plan. Er wollte die Aufmerksamkeit der Allgemeinheit auf den nördlichen Skärgård lenken, aber offenbar wurde der Nachrichtenfluß vom Oberbefehlshaber zensiert. Immerhin mußten inzwischen Hunderte von Stockholmer Freizeitseglern auf die Aktivitäten der Marine aufmerksam geworden sein. Aber vielleicht zuckten die nur mit den Schultern und stellten mit typisch schwedischer Wochenendlaune fest: Was geht mich das an?!

Die schwedische Küstenverteidigung hatte Anfang Juni ihr größtes Manöver seit zwölf Jahren durchgeführt. Die Bezirksverwaltung hatte die Gewässer im nördlichen Skärgård vor Stockholm für die Allgemeinheit gesperrt, und weder Misha noch seinen Mitarbeitern war es gelungen, in die Nähe des Manövergebiets zu gelangen. Ihm war der Zweck einer der wichtigsten Übungen bekannt gewesen: das Probeschießen vom Land aus mit den neuen Seezielrobotern von Saab und Bofors. Moskau hätte die Schießprotokolle gern gelesen, aber Misha war es nicht gelungen, sie in die Hand zu bekommen. Das Mißgeschick mit dem Robot 15 hatte ihn zu dem Plan angeregt, den er jetzt anlaufen ließ: An diesem Mittsommerwochenende sollten die «unsichtbaren Illegalen» des KGB aus Stockholm und Umgebung die Invasion im strategisch wichtigen Skärgård üben. Er hatte die Schweden zum Mitspielen provoziert – das Militär würde in dem Manöver die Rolle des Feindes übernehmen.

Misha diskutierte mit dem Verleger, der Gastgeber dieses Mittsommerfestes war, über die Spielpläne von Dramaten und die des Fernsehspiels mit der hübschen mexikanischen Frau des amerikanischen Kulturattachés, über Frida Kahlo und mit allen anderen über die bevorstehenden Wahlen. Er fand es komisch, daß die eigentlichen Bewohner des Skärgård , wenn sie ihre politische Meinung sagten, sich eher für die Gemäßigten aussprachen, während die Leute, die hier nur im Sommer wohnten, mit Jakob Ceder und seiner Partei sympathisierten. Nachdem alle nach der Melodie Kleine Frösche um die Mittsommerstange getanzt hatten, erledigte er zwei Telefongespräche vom Mickey-Mouse-Apparat des Gastgebers aus. Der Polizei in Norrtälje meldete er ein U-Boot-Periskop westlich von Stora Kålskär, den Nachrichtenredaktionen in Radio und Fernsehen erzählte er von der Suche nach U-Booten im Stockholmer Skärgård , die schon den ganzen Tag über andauerten.

Um achtzehn Uhr wurde ein Presseoffizier des Verteidigungsstabes im «Tagesecho» interviewt. Er bestätigte, daß sich wahrscheinlich ein oder mehrere fremde U-Boote im nördlichen Stockholmer Skärgård aufhielten, mußte aber zugeben, daß keine der Einheiten, die an der Suche beteiligt waren, bisher direkten Kontakt bekommen hatten. Die Mitteilungen, die von der Bevölkerung im Laufe des Tages telefonisch durchgegeben worden waren, hatten allerdings solche Qualität, daß der Verteidigungsstab die Suche wahrscheinlich innerhalb der nächsten Stunden intensivieren würde.

«Im Klartext heißt das, das gesamte schwedische Militär ist unterwegs und tanzt um die Mittsommerstangen», bemerkte der Verleger trocken. «Und es dauert einige Tage, bis alle wieder nüchtern sind und mit der Jagd auf die Russen beginnen können.»

Der KGB-Offizier, der die U-Boote am Morgen erfunden hatte, war geneigt, ihm zuzustimmen, äußerte statt dessen jedoch eine andere Meinung.

«Die strengen sich bestimmt an und tun ihr Bestes», sagte Misha herablassend. «Aber das Ganze ist so sinnlos. Ich meine, wozu hat Schweden überhaupt Streitkräfte? Wir können uns ja doch nicht verteidigen! Die Russen überrennen uns innerhalb von Stunden. Wir finden ja nicht mal in Friedenszeiten deren U-Boote.»

Innerlich mußte er lachen, als alle anderen ihm so eifrig zustimmten. In den Kreisen, in denen er verkehrte, unter den sogenannten Kulturschaffenden, gab es niemanden, der mit ihm zu diskutieren wagte, das war nicht ratsam zu einer Zeit, in der alle anständigen Menschen für die Abrüstung waren. Eigentlich erledigte er die Arbeit des Kollegen Eugen Radek: er verbreitete Desinformation, statt Sabotageakte zu planen. Deshalb die falschen Angaben über ein U-Boot, das es nicht gab. Da die Suche nach etwas, das nicht existierte, zu keinem Ergebnis führen konnte, schwächte er das Vertrauen der Schweden in ihre Küstenverteidigung.

In der Frühe des Mittsommertages führte er sein letztes Telefongespräch mit der Zentrale der Küstenwache und lenkte damit das fremde U-Boot direkt auf Söderarm zu. Auch diese Meldung ging unmittelbar an die Nachrichtenredaktion des Rundfunks, der jetzt seine musikalische Unterhaltung alle zwanzig Minuten unterbrach, um U-Boot-Meldungen zu bringen.

Diejenigen, die in den Gewässern zwischen Blidö und Björkö sowie zwischen dem Festland und RöderSkärgård en vor Anker gegangen waren, stellten fest, daß sie sich in gefährlichen Gewässern befanden. Viele warfen die Leinen los und nahmen Kurs auf Söderarm, äußerlich nicht viel mehr als ein Felseneiland mit einem Leuchtturm. Nur wenige wußten, daß sich in den Felsen hineingesprengt eine Feuerleitzentrale für den nördlichen Stockholmer Skärgård befand.

Südlich von der Insel mit dem Leuchtturm zwischen den unzähligen Felsen und Schären lagen Boote mit KGB-Offizieren an Bord. Die meisten der knapp sechzig Männer, die zum Manöver über Mittsommer einberufen worden waren, kannten diesen Teil des Skärgård wie ihre Hosentasche. Hier hatten sie viele Male vorher Verteidigungsanlagen beobachtet, manchmal als Fischer, manchmal als Freizeitsegler getarnt. Im großen und ganzen kannte der Sowjetische Geheimdienst, Komitet Gosudarstvennoj Bezopasnosti, Söderarms Skärgård genau. Die Fluglinie von Moskau nach Stockholm führte exakt über den Leuchtturm, die Satellitenüberwachung hatte den Eingang zur Feuerleitzentrale und die vermuteten Feuerstellungen auf Tyvskär und den anderen Felseninseln markiert. Aus schwedischen Segler- und Motorbootzeitschriften hatte der KGB Unterlagen für den Angriff mit Jagdflugzeugen im Tiefflug zusammengestellt. Aber in keinem Land mit moderner Verteidigung gab sich der KGB irgendwann mit dem Informationsstand zufrieden. Was Monate vorher stimmte, konnte sich jetzt bereits als nicht mehr aktuell erweisen. Die Schweden gliederten ihre Küstenbewachung ständig um: neue Feuerstellungen oder Radarstationen, ein neues Leitsystem für Fahrrinnen, neue Minenfelder.

Die Hubschrauber der Marine waren wie die Leithammel – ihnen folgten Scharen neugieriger Freizeitsegler. Am Sonntag befanden sich bereits über tausend Boote in Söderarms Skärgård . Die militärische Führung überlegte, das Gebiet abzusperren, aber der Oberbefehlshaber hatte sich dagegen ausgesprochen. Das sei sinnlos, weil man noch keinen Waffeneinsatz gegen das fremde U-Boot plante, sondern es nur lokalisieren und identifizieren wollte. Unter diesen Umständen würde man nur ohne Not ein unfreundliches Klima gegenüber den Verteidigungskräften provozieren. Warum nicht statt dessen die Gelegenheit wahrnehmen und einen Teil dessen vorzeigen, wofür die Schweden Steuern zu bezahlen hatten?

Zwei Torpedoboote wurden von Hårsfjärden aus in Richtung Norden in Marsch gesetzt. Das waren die schnellsten im Skärgård stationierten Schiffe, und sie imponierten mit ihren Bugwellen. Einheiten der Küstenjäger wurden mit Helikoptern hinausgeflogen, gruben sich ein und gingen in Stellung. Hubschrauber flogen den ganzen Söderarms Skärgård ab, draußen vor den Schären liefen die Torpedoboote und in den Schären Patrouillenfahrzeuge. Reservisten aus dem Skärgård mit MOB-Verwendung in der Feuerleitzentrale wurden diskret über Telefon mobilisiert und kamen mit eigenen Booten nach Söderarm. Es konnte nur noch eine Frage der Zeit sein, bis das fremde U-Boot gesichtet war.

Die KGB-Männer im Skärgård -Manöver beobachteten alles genau wie die Freizeitsegler. Aber sie richteten ihr Augenmerk nicht auf die großen und spektakulären Bewegungen in der Luft und auf dem Wasser, sondern visierten mit ihren Ferngläsern die Schären und Inseln an. Sie entdeckten Radarantennen, die aus den Felsen hochkamen, Kanonenrohre, die enttarnt und gerichtet wurden, Luken, die geöffnet wurden, und wie bestimmte Batterien bemannt wurden. Mit Hilfe eines U-BootPhantoms konnten sie sich ein gutes Bild von der aktuellen Verteidigung im nördlichen Stockholmer Skärgård machen. Drei Tage später berichtete Misha nach Moskau.

II

An dem Montag im September, an dem endgültig klar war, daß der Generalsekretär der UNO, Jakob Ceder, wieder schwedischer Staatsminister geworden war, ging Jörgen Blom in Pension. Diejenigen, die seine politischen Ansichten und seine Meinung über Ceder kannten, sahen einen Zusammenhang, den es nicht gab. Blom hatte das Büro B, den schwedischen Geheimdienst, schon im Juni um seine Entlassung gebeten, aber bereits im Mai hatte er von dem siegessicheren Generalsekretär einen hohen Posten in der zukünftigen sozialdemokratischen Regierung zugesagt bekommen. Blom hatte mit den Schultern gezuckt; Ceder war für voreilige Versprechen bekannt, die dann doch erst eingelöst wurden, wenn die Partei ihre Zustimmung gegeben hatte. Ceder war auch als geschwätziger Kritiker des schwedischen Geheimdienstes und der Spionageabwehr bekannt. Vielleicht fühlte er sich Blom in gewisser Weise zu Dank verpflichtet, denn der hatte ihm in Jerusalem das Leben gerettet und dabei seine eigene Karriere aufs Spiel gesetzt.

Blom wußte, daß er für rücksichtslos und eigenmächtig gehalten wurde, er hatte sich oft über die Anweisungen der Planungsabteilung hinweggesetzt, und er hatte sowohl mit Mossad, dem israelischen Geheimdienst, als auch mit der Spionageabwehr des FBI zusammengearbeitet. So verhielt sich kein schwedischer Geheimdienstmann. Bloms Chef begann in ihm ein Sicherheitsrisiko zu sehen, einen Beamten, der sich weigerte, Anweisungen der Regierung zu befolgen und statt dessen selbständig handelte. So etwas durfte es in Schweden nicht geben, einem Land, in dem die Tätigkeit des Sicherheitsdienstes durch Kapitel achtzehn und neunzehn des Strafgesetzbuches geregelt ist und in dem das Personal des Geheimdienstes wie eine Hebamme arbeitet: nicht mit Kraft, sondern mit Geschicklichkeit. Nur Jörgen Blom hatte The Swedish Way verlassen.

Blom hatte sich achtundvierzigjährig vorzeitig pensionieren lassen, bevor man ihn zu einer anderen Aufgabe überreden konnte, zum Beispiel in einer der offenen Abteilungen in der Reichspolizeileitung. Nun würde die Sicherheitspolizei ihn wahrscheinlich gelegentlich beobachten und alle Ausländer, mit denen er in Kontakt war, genau durchleuchten. Er hoffte, daß Sven Åke Hjälmroth weibliche Überwacher auf ihn ansetzen würde. Im siebten Stock des Polizeihauses auf Kungsholmen gab es einen Flur, auf dem hinter jeder Tür Frauen saßen, Reeperbahn wurde der genannt. Die Königin der Reeperbahn hieß Monika Hasselgren, war 38 Jahre alt, blond, schlank, ging gern tanzen. Auf dem Parkett verschwieg sie ihren Partnern allerdings ihren Beruf.

Blom hatte die Schule nach der mittleren Reife verlassen und war Matrose auf der Sunnanland geworden, wo er im Maschinenraum arbeitete. In Alexandria hatte er sich zwei Propeller auf das Gesäß tätowieren lassen. Er hängte die Seefahrt an den Nagel, wurde Taucher in einem Bergungsunternehmen und im Laufe der Zeit Ombudsmann im Stockholmer Jugendverband der bürgerlichen Partei. Nach einer Wehrübung 1964 auf Järvafältet hatte er eine Anstellung im Büro B bekommen. Sowjetische Froschmänner hatten mit Übungen in der schwedischen Küstenregion begonnen und GRU, der Geheimdienst des russischen Militärs, bildete Sabotageeinheiten auf der schwedischen Seite der Zwölfmeilenzone aus, kontrollierte die Minenfelder im Skärgård und übte Landungsunternehmen mit kleinen Verbänden. Gleichzeitig arbeitete der KGB, der staatliche Geheimdienst der Sowjets, in Schweden. Jörgen Blom wurde beauftragt, eine Bestandsaufnahme aller dieser Aktivitäten anzufertigen. Häufig übte der KGB zielstrebigen, raffinierten und unmenschlichen Druck auf Leute aus, die von den Geheimdiensten als wertvoll eingestuft waren. Seit 1979 wurde diese Arbeit von Eugen Radek geleitet, der Kulturattaché an der sowjetischen Botschaft in Marieberg war. Radek und andere KGB-Offiziere vermieden den Kontakt zu den linken Gruppen in Schweden. Statt dessen suchten sie sich ihre Objekte unter den gelangweilten Bürgern in der Verwaltung, im Verteidigungsbereich, in der Industrie, bei Pfingst- oder Baptistengemeinden.

Bloms Aufgabe im Büro B war es gewesen, ein weiteres Vorgehen zu verhindern und zum Gegenangriff überzugehen. Seine Erfolge waren als streng geheim eingestuft worden und die Ergebnisse, unter anderem zwei Morde, waren von geringem Nutzen bei der Suche nach einer neuen Arbeit. In fast allen anderen Berufen hätte Blom durch freundschaftliche Beziehungen innerhalb der Branche bald eine neue Anstellung gefunden – die meisten Jobs werden über solche Verbindungen besetzt. Blom mußte allerdings feststellen, daß er keine Freunde hatte, lediglich frühere Kollegen. Dafür machte er den Beruf verantwortlich: seit er im Büro B angestellt worden war, hatte er nie mit jemandem über seine Arbeit sprechen können, wie es sonst vorkommt, wenn Männer sich in ihrer Freizeit treffen. Und bei Treffen mit Frauen, in der Absicht, mit ihnen ins Bett zu gehen, lassen sie die Frauen erzählen.

Blom kannte viele Frauen. Des öfteren machte er sich Hoffnungen, die er dann selbst wieder zerstörte. Er glaubte nicht, daß auch nur eine einzige seinen eigentlichen Berufgeahnt hatte. Seine Anstellung als Bürochef bei der Einwanderungsbehörde gab ihm durch ihre absolute Langeweile einen effektiven Schutz.

Blom wußte, daß er eine Art emotionales Motel war, wo Frauen eher zufällig eine oder zwei Nächte verbrachten. Damit hatte er sich beinahe abgefunden, als die Jakob-Ceder-Affäre ihn zwang, mit einem der Operationschefs des israelischen Geheimdienstes zusammenzuarbeiten, mit Tamara Amram. Einige Monate danach trafen die Israelin und er sich wieder, diesmal in New York anläßlich der vom Generalsekretär Jakob Ceder einberufenen Konferenz über den internationalen Terrorismus. Wieder arbeiteten sie zusammen, Tamara hatte ihm geholfen, einen Terroranschlag auf Zigtausende von Menschen zu verhindern. Während dieser Aktion war ihr Verhältnis zueinander enger geworden. Beide wünschten sich eine gemeinsame Zukunft, auch wenn keiner von ihnen sich vorstellen konnte, wie das zu bewerkstelligen war.

Tamara begann über Möglichkeiten zu spekulieren, Blom für den israelischen Geheimdienst anzuwerben. Blom ahnte ihre Absicht, die ihm nicht völlig abwegig erschien. Natürlich war so etwas in Schweden rechtswidrig, aber Moral und Recht waren auch früher schon auf Kollisionskurs gegangen. Ein erfahrener schwedischer Geheimdienstmann mit direktem Kontakt zu einem leitenden Mitarbeiter von Mossad würde einen verstärkten Nachrichtenfluß für Schweden bedeuten. Israel war gezwungen worden, sowohl den KGB als auch den GRU zu unterwandern, denn die Russen rüsteten seine Gegner in der arabischen Welt aus. Aber nach der Wahl des neuen Staatsministers war es mit einem Austausch von Informationen vorerst vorbei – Ceder war kein Freund Israels. Blom konnte sich vorstellen, daß Jakob Ceder die Informationen der Israelis an die PLO weitergab und damit direkt nach Moskau, nur um seine Neutralität zu beweisen.

Jörgen legte Bull Frog Blues mit Muggsy Spanier auf den Plattenteller und dachte über seine Zukunft nach. Wirtschaftlich war er abgesichert, dafür sorgten die Steuerzahler. Wer behauptete denn, daß man arbeiten mußte, um zufrieden zu sein? Es gab vieles, zu dem er früher nie gekommen war. Hinausfahren zu Thore Jederby und sich dessen Jazz-Memoiren aus dem Stockholm der dreißiger Jahre anhören. Die SchallplattenAntiquariate rund ums Rathaus und auf Folkungagatan durchstöbern. Einen Jugendtraum verwirklichen, nämlich auf dem roten Samtsofa vor der Liljeforskulisse im Biologischen Museum eine hübsche Besucherin verführen. Oder sollte er, wie etliche Kollegen der CIA, seine Erinnerungen schreiben: «JÖRGEN BLOM – SPION»? Der eine oder andere würde dann in die nächste Buchhandlung laufen, vor lauter Angst, darin nicht erwähnt worden zu sein.

Er ging in seine Kleiderkammer und packte die schmutzige Wäsche in ein Laken. Als er aus der Waschküche heraufkam, klingelte das Telefon.

«Blom», meldete sich Jörgen Blom.

«Shalom, Jorgen!» sagte Tamara.

Jörgen war nicht sehr gesprächig. Tamara wußte, wie mißtrauisch er war, er war überzeugt, daß alle Telefone in Israel abgehört wurden. Das war natürlich Unsinn. Nicht alle – ihres jedenfalls nicht.

«Ich kann Urlaub nehmen. Möchtest du, daß wir uns treffen?»

«Nicht in Israel», antwortete er spontan.

«Daran habe ich auch nicht gedacht. In Schweden. Bei dir.»

«Im Herbst regnet es hier meistens.»

«Regnet es auch in die Wohnungen hinein? Ist das Dach deines Schlafzimmers undicht?»

Jetzt lachte er. Was ihre sexuelle Beziehung betraf, so waren sie aneinander gewöhnt und sehr vertraut, in allen übrigen Dingen verhielten sie sich eher zurückhaltend. In New York im Mai hatte er ihr erzählt, daß er die Absicht hätte, dem Geheimdienst den Rücken zu kehren. Tamara fragte sich, ob er unter Depressionen litt, isoliert wie er war und ohne eine sinnvolle Aufgabe. Mossads Psychologen in Tel Aviv hatten darüber spekuliert, wie lange es dauern würde, bis Jörgen sich ausgestoßen fühlte und einsah, daß er sie brauchte. Tamara war dagegen nicht sicher, ob sie ihn überhaupt brauchte.

«Mein Schlafzimmer ist wasserdicht», antwortete er, «und mein Bett ist breiter als deins und schöner.»

«Na, dann ist es ja gut. Oder hast du eine andere Beziehung?»

«Ich will dir was sagen: Mir ist gerade klargeworden, daß ich keine Freunde habe.»

Beide schwiegen. Tamara fragte sich, ob der schwedische Geheimdienst mithörte.

«Wie viele, außer dir, sollen denn bei mir wohnen?» fragte er.

Das war natürlich ein Scherz, denn Jörgen wußte, daß leitende Mitarbeiter des israelischen Geheimdienstes nicht ohne Leibwächter ins Ausland reisen durften, weil sich überall in den USA und in fast allen europäischen Großstädten palästinensische Terroristen aufhalten. Schweden war zu einem Erholungsheim geworden, in dem sowohl die Palästinenser als auch die Israelis planten und infiltrierten.

Sie lachte. «Was tust du jetzt gerade?»

«Ich stehe am Fenster, schaue in den Park und beobachte drei Krähen. Jetzt trage ich das Telefon in das Schlafzimmer und überlege, ob du dich hier wohl fühlen würdest. Ich habe grüne Bettwäsche.»

«Kauf weiße. Ich komme am 21. Oktober.»

«Das hast du prima gemacht!» lobte Memuneh, der Chef des Mossad.

«Leicht war es nicht», zischte Tamara. «Du scheinst nicht zu verstehen, daß ich Jorgen wirklich mag.»

Die schlechte Laune übertrug sich auf den Geheimdienstchef. Er gehörte zu der Generation der Juden, die in den dreißiger Jahren aus Deutschland nach Palästina geflohen waren. Er hatte Steine gehauen, um fruchtbares Land zu schaffen, war freiwillig in die achte englische Armee eingetreten, um die Nazis zu besiegen und gleichzeitig zu lernen, wie man später die Engländer aus Eretz Israel vertreiben konnte. Sein einer Sohn war im Krieg 1956, der andere im Krieg 1973 gefallen. Eine Enkelin hatte er verloren, als die Palästinenser in Ma'alot mordeten, und einen Enkel vor Tyrus im Libanon im Juli des Vorjahres.

«Du bist dir wohl zu schade für einen Israeli! Blom ist nicht mal Jude, trotz des Namens.»

«Misch dich da bitte nicht ein, Arie. Aber du kannst mich natürlich rauswerfen, wenn du der Meinung bist, daß ich ein Sicherheitsrisiko darstelle.»

«Red kein dummes Zeug!» brummte Memuneh. Dann lächelte er und sah plötzlich erstaunlich milde aus. «Das darf nämlich nur ich tun. Willst du mir nicht etwas mehr über Jörgen Blom erzählen?»

Tamara fiel ein, was der vorherige Mossad-Chef über seinen Nachfolger gesagt hatte: «Arie ist sehr höflich. Es gelingt ihm, sowohl die gute Meinung, die er von sich selbst hat, zu verbergen, als auch die schlechte, die er sich über alle anderen gebildet hat. Ein typischer yecke.»

Yecke ist der Spitzname der Israelis für deutschstämmige Juden, die so korrekt auftreten, daß sie auch noch im heißesten Sommer ein Jackett, auf jiddisch yecke, tragen. Tamara war in Irkutsk in der Sowjetunion geboren.

«Gern», antwortete Tamara. «Jorgen ist recht konservativ und ein Patriot. Ausländer sollten möglichst in ihren Ländern bleiben, findet er, aber er hat nichts gegen die Einwanderer in Schweden, solange die sich ordentlich aufführen. Er reagiert eher gefühlsmäßig als intellektuell. Er weiß, daß er ein geschickter Geheimdienstmann ist. Trotzdem ist er unsicher im außerberuflichen Bereich. Daher analysiert er jede Situation, ehe er entscheidet, ob er sich gefühlsmäßig engagieren soll oder nicht. Die Frauen sind hinter ihm her, aber das führt selten zu einer dauerhaften Beziehung. Jorgen glaubt, daß das an seinem Beruf liegt, und behauptet, daß die Frauen ihm vorwerfen, er würde sie verachten. Ich sehe das anders, aber ich kenne natürlich nicht die anderen, mit denen er zu tun hatte.»

«Ich habe ein paar Nachforschungen anstellen lassen, seit du deine Denkschrift über die Operation Wegweiser geschrieben hast», gab Memuneh verlegen zu. Er war für seine Prüderie bekannt und er verabscheute sexuelle Vertraulichkeit. Tamara brachte ihn mit ihrem Lachen etwas aus der Fassung.

«Má passion predominante é la giovin principiante. Bist du jetzt Leporello, der eine Opernarie singen will?»

«Dazu fehlt mir die Gesangsstimme», sagte der Geheimdienstchef. «Aber ich muß sichergehen, daß wir keinen Fehler machen. Ich muß mich überzeugen, daß deine Beurteilung von Blom richtig ist. Und wenn du privat an ihm interessiert bist . . .»

«Ich bin nicht mehr und nicht weniger an ihm interessiert als an dem Tag, als wir uns um den neuen schwedischen Staatsminister zu kümmern begannen. Bisher ist weder dir noch den Operationsanalytikern etwas Besseres eingefallen, als Jorgen Blom zu kompromittieren.»

Kadar – Mossad-Chef in Skandinavien – rief dreimal von Stockholm aus an. Tamara mochte ihn nicht und war der Ansicht, daß das Institut – die Bezeichnung der Israelis für ihren Geheimdienst – ihn überschätzte. Sie hatte eine Theorie über Männer im Geheimdienst: diejenigen, die nicht genau wußten, wie sie sich verhalten mußten, um eine Frau auf sich aufmerksam zu machen, taugten nichts. Jörgen war der beste Beweis dafür, daß sie recht hatte.

Die Israelis pflegten ihren Aktionen biblische Kode-Namen zu geben: die Befreiung in Entebbe war Operation Jonatan genannt worden. Das Vorhaben, bei dem sie jetzt die Initiative ergriffen hatte, hieß nach Jeremia Operation Wegweiser. Ein Jahr zuvor hatte Jörgen sie ausgenutzt, sie belogen und betrogen. Jetzt war er die Marionette in ihrem Spiel, an dem er niemals freiwillig teilnehmen würde.

Innerhalb der Geheimdienste waren Ehre, Aufrichtigkeit, Vertrauen, Offenheit, Ehrlichkeit sowie alle konventionellen Moralbegriffe negative Eigenschaften. Nur im Ausnahmefall, überlegte Tamara, war man einem Menschen gegenüber loyal.

Jörgen war nervös, als er in der Ankunftshalle von Arlanda auf Tamara wartete. Er hatte nicht angerufen und die SAS-Information nach der Ankunftszeit gefragt und war deshalb eine halbe Stunde zu früh eingetroffen. Am liebsten hätte er sich die Zeit damit vertrieben, in dem Gebäude umherzustreifen, aber er wollte vermeiden, daß jemand von der Fahndung ihn erkannte und sich Gedanken darüber machte, auf wen er da wartete. Er setzte sich in einen kunststoffbezogenen Sessel gegenüber von Freys Stand und sah sich die aus Oslo ankommenden Passagiere an.

Das rote Licht neben der Ankunftstafel begann zu blinken, und die Lautsprecher gaben bekannt, daß SK 414 aus Kopenhagen mit Anschluß aus Tel Aviv und halb Europa gelandet war. Das hieß also mindestens weitere zwanzig Minuten Warterei. Blom ging pinkeln und bestellte dann einen Wagen mit Fahrer zur Heimfahrt nach Söder. Er bezahlte für drei Sitzplätze, um mit Tamara allein sein zu können.

Die Schiebetüren öffneten sich für eine KLM-Besatzung. Dann kam ein Kinderchor durch den grünen Zollausgang, danach eine Offenbarung und dann Tamara. Blom entdeckte die Offenbarung, während er mit Riesenschritten auf sie zuging: schwarzer Borsalino auf langem blondem Haar, schlanke Beine in schwarzen Strümpfen mit Naht und kurze rote Stiefel. Kurzer, enger, schwarzer Lederrock, mexikanischer Gürtel mit Silberschnalle, schwarze Seidenbluse und rote Jacke aus Antilopenfell. Wer immer das war, sie war schön und eine lebendige Anschlagtafel, die für sich selbst warb. Hinter dieser auffallenden Person verbarg Tamara diskret ihre dunkle Schönheit. Ein Grund dafür war vielleicht Israels wirtschaftliche Lage, dort hatten nur wenige Frauen das nötige Geld, um sich der Mode entsprechend zu kleiden.

Für Blom, der immer noch für die Frauenmode der fünfziger Jahre schwärmte, Twinset, Tweedrock und Perlenhalskette, war Tamara in einem klassischen, grünen Hemdblusenkleid, beigen Pumps und leicht getönter weißer Leinenjacke, die sie über die Schulter geworfen hatte, der Gipfel der Eleganz. Er drängte sich vor, um Tamara in den Arm zu nehmen, aber die Blondine stand im Weg.

«Entschuldigen Sie!» sagte Blom.

Konnte ein Mann vor den Augen einer solchen sexuellen Herausforderung eine andere Frau umarmen und küssen?

Er versuchte es jedenfalls, und es gelang eher halbherzig. Tamara trug auch nicht gerade dazu bei, seine Glut zu entfachen.

«Endlich!» rief Blom und nahm sie in den Arm.

Tamara streichelte seine Wangen, glitt dann aus seinen Armen und nahm ihn an die Hand. Blom bückte sich nach dem kleinen Koffer, Kartons oder Plastiktüten hatte sie nicht.

«Komm, wir gehen.»

«Warte einen Moment, Jorgen. Das hier ist Britt. Britt Winter, Jorgen Blom», stellte sie vor. «Britt und ich haben uns in Kastrup kennengelernt.»

«Und seitdem haben wir uns die ganze Zeit lang unterhalten», lächelte die Blondine. «Übrigens, heißt du wirklich Jorgen?»

Sie war nicht nur hübsch, sie hatte auch Charme. Aber auch Blom konnte Ausstrahlung vorweisen, wenn ihm danach zumute war. Seine Schwester Kerstin behauptete, daß er immer schon geschickt gewesen war, wenn es darum ging, bei jungen hübschen Frauen Eindruck zu erwecken, und daß er sich dann wie ein emotionell retardierter Dreiunddreißigjähriger benahm. Vielleicht sah Tamara das genauso, und die Blondine war ein raffinierter Anlaß, ihn auf die Probe zu stellen.

«Nein. Natürlich nicht. Tamara hat die Tüpfelchen wegrationalisiert. Nett, dich kennenzulernen, Britt. Komm jetzt, Tamara.»

«Britt hat niemanden, der sie abholt, Jorgen.»

Was ist mit den schwedischen Männern los, wunderte sich Blom, daß sie nicht Schlange stehen, um Britt Winter zu begleiten, wo immer sie auch hinfahren will. Etliche machten einen Umweg, um sie bestaunen zu können, zwei Milchgesichter von der Fahndung standen da und starrten sie an. Blom lächelte bei dem Gedanken, sie heranzuwinken und zu bitten, die blonde Frau in die Stadt zu fahren. Dann nahm er Tamara in die Arme und küßte sie, wie man küßt, wenn man zu zweit allein ist, ordentlich und lange. Tamara erwiderte seinen Kuß ausgiebig. Er ließ sie los und lachte und sie lachte ebenfalls, Britt lachte. Blom ging hinaus zu dem Mietwagen, in jeder Hand einen Koffer und an jeder Seite eine Schönheit.

Er war höflich und bot sich an, vorn beim Fahrer zu sitzen, eine Geste, die den Mann von «Frey-Mietwagen» bis hinein nach Norrtull zu der Überlegung veranlaßte, ob Blom nun geistigzurückgeblieben oder schwul sei. Aber Tamara bestand darauf, daß sie sich alle drei auf dem Rücksitz zusammendrängten, und so saß er zwischen ihr und Britt. Er spürte die Körper der Frauen bei jedem Überholmanöver und in jeder Kurve.

Sie setzten Britt Winter in Heleneborgsgatan ab. Blom machte einen halbherzigen Versuch, ihr den Koffer an die Tür zu tragen, wurde aber durch einen wütenden Blick des Fahrers daran gehindert.

«Ich ruf dich an, Tamara», versprach Britt. «Wir müssen uns bald Wiedersehen.»

«Ja, das möchte ich auch gern.»

«Ist sie nicht nett? Und so schön!» schwärmte Tamara, als der Wagen in Lundagatan einbog.

«Ach, na ja», stimmte Blom gelassen zu, «sie ist ja nur eine shikseh. Ich ziehe süße jüdische Mädchen vor.»

«Mehr als eine?»

«Nur eine!»

«Welche denn?»

Er zeigte ihr, wen er meinte, bis sie vor dem Haus in Krukmakargatan ankamen.

Der SAS-Flug SK 414 aus Kopenhagen war, wie Blom festgestellt hatte, der Anschlußflug für Passagiere aus dem Nahen Osten und aus halb Europa. Unter den Reisenden aus Paris befand sich Nabeela Rahman, offiziell Sekretärin im Stockholmer Büro der PLO in Tulegatan, tatsächlich aber verantwortlich für die Informations- und Geheimdiensttätigkeit der Palästinenser in Schweden. Trotz ihrer nur 38 Jahre war sie eine von Yassir Arafats Veteranen, hatte unter anderem unter Zehdi Lahib Terzi bei den Vereinten Nationen Dienst getan.

Nabeela zog selten die Aufmerksamkeit auf sich. Männer blickten ihr nicht nach, und sie kleidete sich auch nicht so, daß Frauen sich nach ihr umdrehten. In der Lounge 17 in Kastrup, dem Kopenhagener Flughafen, wo sie darauf wartete, an Bord der Maschine nach Stockholm gehen zu dürfen, hatte sie fasziniert Britt Winter betrachtet. Aus der Träumerei war abrupt haßerfüllte Unruhe geworden, als sie Tamara Amram in den Saal hineinkommen und die Blondine begrüßen sah. Nabeela Rahman hatte Mossads Operationschef sofort erkannt – die Israelin stand an vierzehnter Stelle auf der Todesliste der PLO.

Nabeela war als allerletzte an Bord der Maschine gegangen, und in Arlanda hatte sie unter den ersten zehn Passagieren das Flugzeug eiligst verlassen. Sie hatte nicht auf ihren Reisekoffer gewartet, sondern war nach der Paßkontrolle sofort durch den Zoll in die Ankunftshalle gegangen, wo ihr Kollege Farah Shirdon auf sie wartete. Während er seinen Golf holte, bewachte sie den Ausgang. Danach hatten beide im Wagen gesessen und auf die Frau von Mossad gewartet. Sie hatten gesehen, wie ein Mann sie und die Blonde zu einem Mietwagen begleitete, dem sie dann bis Krukmakargatan gefolgt waren. Dort hatten sie gewartet und gesehen, wie in zwei Fenstern das Licht anging. Shirdon identifizierte die Wohnung an Hand der Namen neben den Knöpfen des Haustürtelefons.

Sie fuhren zum PLO-Büro in Tulegatan und begannen, einen Plan zu entwerfen.

Tamara fühlte sich in Bloms Wohnung wohl. Sie legte sich gleich erst mal probeweise auf das Bett, saß Probe auf den Sesseln und dem Sofa. Sie warf einen Blick in das Bücherregal und entdeckte fast nur Fachliteratur ihres Berufs. In zwei von den Büchern wurde sie erwähnt, das wußte sie, aber im Text wurde sie nicht Tamara Amram genannt. Die Erinnerung drückte auf ihre Stimmung. Blom sah es und ahnte den Zusammenhang.

«Ich habe überlegt, den ganzen Kram wegzugeben», sagte er. «Wie du siehst, brauche ich noch mehr Platz für meine Schallplatten. Aber irgendwie scheue ich mich, all die Bücher in den nächsten Container zu werfen.»

War das ein Hinweis darauf, daß er mit ihr über seine Zukunft diskutieren wollte? Tamara entschloß sich, erst einmal abzuwarten.

«Deine Plattensammlung ist wirklich imponierend. Da hast du wohl Jahre gebraucht, um sie zusammenzutragen.»

Stolz zeigte er ihr den Katalog mit über siebentausend Platten und erzählte von dem Anruf der Rechnungsprüfer. Die hatten gerüchteweise erfahren, daß Blom den Rechner des Geheimdienstes benutzte, um Ordnung und System in seine Plattensammlung zu bekommen.

«Ich war ziemlich empört», lachte Blom, als er sich daran erinnerte, «und der Revisor entschuldigte sich. Dem habe ich natürlich nicht erzählt, daß ein Oberst im Verteidigungsministerium das für mich getan hat, nachdem er seine eigene Sammlung katalogisiert hatte. Jetzt ist er pensioniert, sitzt in Norrland und importiert Rotwein aus Deutschland. An ihn kommen sie nicht mehr heran.»

Sie gingen spazieren: hinauf zu Skinnarviksberget mit der Aussicht über ganz Stockholm. Rund um Långholmen. Rund um Årstaviken. Rund um Djurgården. Blom, der Jerusalem nicht mochte, wollte Tamara zeigen, daß Stockholm die schönste Hauptstadt auf der ganzen Welt ist. Sie bestand nachdrücklich darauf, daß Jerusalem noch schöner sei.

«Unsinn!» Blom hörte sich beleidigt an.«Nimm doch nur Jesus, Salomon und David weg und all die anderen, dann sind da nur eine Mauer, zwei Moscheen und Kirchen übrig. Zwischen Jerusalem und Damaskus ist kein großer Unterschied.»

«Nach Damaskus darf ich nicht fahren.»

«Frag doch einen deiner Freunde bei Mossad, der dagewesen ist.»

Das war ihr erster kleiner Streit.

Sie gingen in die Oper und sahen Othello mit Ulfvung und Asker. Während des zweiten Aktes entdeckte Blom Rainer Axerell von der Fahndung, an diesem Abend als Leibwächter für Israels Botschafter eingesetzt. Er zeigte Tamara den Diplomaten.

«Willst du ihn begrüßen?»

«Sei nicht kindisch, Jorgen.»

Das war naiv, Blom sah es ein. Wäre er selbst in die Oper in Moskau gegangen, hätte er dem schwedischen Botschafter sofort den Rücken zugewandt, sofern Torsten Örn überhaupt in die Oper ging. Den Leuten vom Geheimdienst wird kein Privatleben zugestanden. Daher nickte er Tage nicht mal zu, als sie sich später an der gleichen Garderobe drängten, um ihre Mäntel in Empfang zu nehmen. Aber Tage, der einen Blick für schöne Frauen hatte, begrüßte sie.

«Was für eine herrliche Vorstellung!» sagte er zu der Israelin.

«Ich habe gemerkt, daß sie dir gefallen hat. Ich hab gesehen, wie begeistert du geklatscht hast.»

«Ja, ich applaudiere gern, rufe Bravo und Da capo. Das spornt das Publikum an, die Stimmung wird besser, und die Solisten werden motiviert. Wollt ihr nicht zusammen mit mir und Ulla-Britt einen Drink nehmen, Jörgen?»

«Heute abend nicht», wehrte Blom ab.

«Wer war das?» fragte Tamara. «Er machte einen netten Eindruck.»

«Abteilungschef beim Geheimdienst. Kommissar Tage Pettersson.»

«War das hier eingeplant, Jorgen?» Tamara hörte sich irritiert an.

«Jedenfalls nicht von mir. Vielleicht von der Sicherheitspolizei. An wem von uns beiden sind die interessiert? Aber das war wahrscheinlich ein zufälliges Treffen. Tage geht häufig in die Oper.»

Sie fingen an, sich gegenseitig anzuöden. Beide waren es nicht gewohnt, mit jemand anderem zusammenzuleben und nur freie Zeit zu haben. Sie waren isoliert von den Aufgaben, die ihnen zur zweiten Natur geworden waren – wer behauptet denn, daß man seine zweite Natur gern haben muß, um von ihr fasziniert zu sein? Britt Winter rief täglich bei Tamara an. Sie sagte jedesmal etwas Freundliches und Positives zu Blom, ehe er den Hörer an Tamara weitergab. Danach führten die beiden Frauen lange Gespräche.

«Hat Britt denn keinen Mann, dem sie sich anvertrauen kann?»

«Nicht alle haben in der Hinsicht so viel Glück wie ich. Da ist keiner, der zu ihr paßt, sagt sie. Vor denen, die nicht zu ihr passen, nimmt sie sich in acht.»

«Das muß schwierig sein, bei dem Gesicht und mit dem Körper.»

«Sehr schwierig, Jorgen, sehr schwierig!» stimmte Tamara nachdrücklich zu.

Die Palästinenser in Stockholm wußten jetzt, wie sie vorgehen wollten, um den Operationschef von Mossad auszuschalten. Als Antwort auf die zionistische Terroraktion im Libanon im letzten Sommer waren sie mit großem Eifer dabei, dies alles zu organisieren. Der Mann, der Chef des israelischen Geheimdienstes hatte werden sollen, war vor Beirut gefallen. Hier in Stockholm sollte nun Tamara Amram sterben.

Niemand würde die PLO verdächtigen, denn es würde keine Verbindung zwischen dem Attentäter und den Palästinensern geben. Nabeela Rahman hatte die Hinrichtung so geplant, daß Jörgen Blom als Hauptziel erscheinen mußte. Die Polizei sollte glauben, daß die Jüdin eher nebenher zufällig mit ums Leben kam.