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Keine Bestands-, sondern vielmehr eine Momentaufnahme der Lyrik in Rheinland-Pfalz abzubilden, ist das Ziel der vorliegenden Anthologie. Dreißig Autorinnen und Autoren, der älteste 1914 geboren, die jüngste 1986, sind mit Gedichten vertreten, die unterschiedlichste Themen, Formen und Traditionen kaleidoskopartig widerspiegeln – jedes von ihnen ein 'Trugbild des Himmels'. Eine bunt schillernde Einladung zum Schauen, Spüren und Nachdenken. Lassen Sie sich überraschen!
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Seitenzahl: 53
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Printausgabe gefördert durch das Ministerium für Wissenschaft, Weiterbildung, Forschung und Kultur Rheinland-Pfalz
Die Edition Schrittmacher wird herausgegeben von Marcel Diel, Sigfrid Gauch, Arne Houben und Thomas Krämer.
© 2005 eBook-Ausgabe 2011RHEIN-MOSEL-VERLAGZell/Mosel Brandenburg 17, D-56856 Zell/Mosel Tel.: 06542-5151 Fax: 06542-61158 Alle Rechte vorbehalten ISBN: 978-3-89801-764-0 Umschlag: Arne Houben
Marcel Diel (Hrsg.)
Trugbild des Himmels
Neue Gedichte aus Rheinland Pfalz
Edition Schrittmacher Band 5
RHEIN-MOSEL-VERLAG
Inhalt
»das Blaue an den Himmel schwören«»immer wieder verworfenes Ich«»Länderspielkulisse«»vom Verlieren und Finden der Sprache«»ich bin überhaupt nie angekommen«Die AutorInnen
***
Horst Saul
Neujahr
Das Jahr beginnt
wie jeder Tag beginnt:
die Nacht zerfließt im
Grau der frühen Stunde
und langsam malen Dinge
ihre Farben neu.
Das Herz erwacht und sieht
es ist wie immer:
die Menschen, Räume
auch des Nachbarn Haus
und auch die Katze wartet
hungrig vor der Türe.
Wir sagen uns
ein gutes Jahr
erfreut und doch erschreckt
das neue zu betreten.
Es sieht uns an mit
rätselhaften Zügen
und nur das Lächeln
um den strengen Mund
verführt die Hoffnung
auf ein gutes Ende.
Michael Rumpf
Früh
Den Morgen
gerade sein lassen,
nichts drauf geben, zuwarten,
zusehen, wie er betastet.
Nachtwärme zittert aus.
Lassen, loslassen, pflichtlos,
der Laut umschließt in sich
flammblau eine Stil-
le,
die sich nicht dehnt.
Lösen, loslösen,
jeder Schein birgt
Nachklang.
Schnell ein Zeichen
gelöscht, nichts drauf geben.
Der Morgen verrät die Dinge.
Gerd Forster
Der alte Frühling
Zuerst, als er merkt, dass es höchste Zeit ist,
findet er sein blaues Band nicht gleich.
Dann beim Versuch, es flattern zu lassen,
verheddert er sich fortwährend in den Schlingen.
Rentner stehen herum mit eingefrorenen Knien
und blicken ungeduldig in die Luft.
Schallendes Gelächter vorbeirennender Kinder.
Doch das hat mit all dem nichts zu tun.
Heinz G. Hahs
.
zum hüpfseil geflochten
all die geraden Silben all
die ungeraden aus primzahlwörtern
eine geschichte gedreht
die tritt sich fest im leeren
die queratmung trainieren etwa
etwa das blaue an den himmel schwören
für dieses bißchen leuchtstoff in den venen
für diesen rest verdreckten schnees
Lutz Stehl
[Aus dem Zyklus »Diderots Nonne« (Arbeitstitel)]
oder die frischgekämmten weizen
halme in grastarnung einladend aber unbetretbar
von zahnscharfen scheiteln allseitig umzogen
ab durch die mitte des felds
die narbe der traktorfurche vom märz
dahinter längs säumiger straßen in gropiushäusern
nicht bauern werktätige : stadtrandfrisöre mit doktortiteln
die die saat bis zur schur augurisch bewachen
den kulturen die grüße entzückter spaziergänger
inlineskater pflegebedürftiger vom umland ausrichten
mit teueren messern klingen den ufern des eiligen flüsschens
den biegsamen nacken ausrasieren
den tag und die nacht färben und föhnen
und küssende männer auch bedienen
nach acht uhr dulden unter einzelnen stämmigen weiden
ein seitenblick dem zur vielfalt des lebens
nur dessen unordnung einfällt in aller bukolischer stille
über verrupften baumperücken
die tulpenzwiebel des kirchturms
von aufgeklärten despoten der launige einfall
eines italienischen Salats
Garten- und Küchenarchitektur
darüber die streng geheime
blau verschlossene
freimaurerloge des himmels
schöner elfter maimittwochnachmittag
Olaf n. Schwanke
Beim Sommersonnenuntergang am Boulevard
Gelöst, die meisten schlenkern mehr vorbei,
denn schön zu schreiten.
Wenn alles doch so einfach wäre: Wolken, kleine Weißigkeiten,
versuchen es uns vor: durch Apricot, dann Pink, dann durch
Rosé zu gleiten,
begleitet von Musik das volle Laub: Geschwalbenschrei.
Den Boulevardcafés stehn vor Erstaunen
die Münder offen: alles Draußen, gelbe Hast, dringt ein.
Der pralle Straßenabend zwingt sein Heitersein,
hat Launen.
Wen jetzt allein die Straße treibt, wird Zwielicht zart zerstören.
Vielleicht birgt Schutz vorübergehend ein Café.
Verspricht wem was, und was aus Boxen leckt ist leis und
leicht zu hören.
Der Abend, kaum mit Mensch garniert, zieht sich in
Schneckenkalk zurück.
Der Tag, gerauchte Kippe, wird zerdrückt.
Und ist passé.
Andreas Noga
Französischer Abend
nach dem vierten glas vin rouge der unser gespräch benetzte
nannten wir den küstennebel christennebel gereicht an hohen
feiertagen zur vergebung der sünden den mageninhalt eine
andere art die schmalen spalten zwischen den dielen zu füllen
wir stießen aneinander ohne zu zerbrechen wünschten das
allerbeste zumindest an diesem tag den wir auf seinen abend
reduzierten sollte es gelingen etwas mehr leichtigkeit zu
erzielen da kein recht zu behalten war und kein un
recht sich verschenkte zwischen all den zeilen die niemand
aufschrieb blieb etwas haften gelächter schäumte von den
wänden in den gläsern die getränke viel durcheinander
zwischen den gängen nur das eifelbier neben dem cidre war
ein irrtum der halb geleert zurückblieb zwischen trou normand
und mousse als einziger verlierer des frühen morgens an dem
auch die stühle ihre standfestigkeit nicht mehr glaubten
Francisca Ricinski-Marienfeld
Gegen Mittag die Lehmbeine
Die Karpatenwölfe
kommen nur nachts:
Schatten auf den schwach beleuchteten
Wänden der Dachwohnung
manchmal
sieht man an der weißen Decke eine alte
Braunbärin
sie tanzt als hörte sie noch den Zigeunerdudelsack
und tanzt auf zwei Pfoten wie auf den verschneiten
Strassen am Silvesterabend
mit der Eisenkette um den Hals
ich strecke die Hand nach ihr die Kette lässt sich
nicht mehr lösen
nach fünfundzwanzig Wintern haben sie mich
aufgespürt wo
Nebenflüsse
in den Rhein münden
manchmal
sieht man an der Decke des blauen
Holzhauses eine Spur von Himbeersaft
nein ich feiere meine
Geburtstage nicht mehr allein
dem Bärengott sei Dank
in den Mondnächten wollen meine Wölfe mit mir
heulen und die Beute teilen
ich bin immer noch schön ich
verstumme und verhungere nicht
bei Tagesanbruch verschwinden sie alle
unter der Kruste der Raufasertapeten
der Spiegel zeigt mir die Krater eines einzigen
Gesichts und ein aufgeblähtes Sonnengeflecht
gegen Mittag verfärben sich die Lehmbeine
Sinnlos gegen den Tag zu klagen
Andreas Noga
Lightshow
mit dem pointer zeigte er
eine sonne sagte wega
drehte die kuppel nach norden
wo der große wagen rollte
der polarstern festgefroren schien
das licht sei ein übel
aber er komme zurecht
gerade in diesen nächten
wenn die milchstraße sich so
spendabel zeige oder wenn ein strom
ausfall den ort verfinstere
was vorgekommen sei
aber er könne nichts
dafür!
Astrid Dinges
Herbst (aus dem Zyklus »Land-Inwärts«)
Pilz- und Schneckenmorast
im Fleisch
»ja« sagst du immer noch
die Blumen wässern
»ach ja«, der Hochsommer
mit seinen Rosen ich
am Verdursten
Pillen
verdächtigt an Ausfahrten
gewartet auf Anhalter
mitgenommen von Sirenen
angemacht auf Zwischen
stationen du gebettet
»nein«, deinen Namen
wusstest du nicht
mehr im Körper Schrecken
morast und welke Blätter nicht
leicht Teig zu kneten
alte Träume in Spitzenkleidern
über Heckenzäunen schwarz
Karolina Rakoczy
flächensammlung
die farbe des korbes
dringt