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Die Regeln waren so einfach. Hätten wir doch nur unsere Herzen besser beschützt ...
Es sollte ein One-Night-Stand sein - schmutzig, schnell und vor allem eins: einmalig. Als Gillian Taylor und Jake Weston sich in New York begegnen und die heißeste Nacht ihres Lebens miteinander verbringen, rechnen sie nicht damit, dass sie sich wenig später erneut gegenüberstehen - in einem Flugzeug, tausend Meter über dem Boden. Wie beim ersten Mal ist die Anziehungskraft zwischen ihnen überwältigender als alles, was sie je zuvor erlebt haben. Doch Jake ist der erfolgreichste Pilot bei Elite Airlines - und Gillian seine Stewardess. Eine Beziehung zwischen ihnen ist verboten. Und was noch viel schwerer wiegt: Sie beide verbergen ein düsteres Geheimnis, das es ihnen unmöglich macht, andere nahe an sich heranzulassen. Nur dass ihnen ihre Herzen jetzt keine Wahl zu lassen scheinen ...
"Dieses Buch ist HEISS, HEISS, HEISS!" Aestas Book Blog
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Der neue Roman von New-York-Times-Bestseller-Autorin Whitney G. endlich auf Deutsch!
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Seitenzahl: 514
WHITNEY G.
Turbulence
Mit dir um die Welt
Roman
Ins Deutsche übertragen von Janine Malz
Es sollte ein One-Night-Stand sein – schmutzig, schnell und vor allem eins: einmalig. Als Gillian Taylor und Jake Weston sich in New York begegnen und die heißeste Nacht ihres Lebens miteinander verbringen, rechnen sie nicht damit, dass sie sich wenig später erneut gegenüberstehen – in einem Flugzeug, tausend Meter über dem Boden. Wie beim ersten Mal ist die Anziehungskraft zwischen ihnen überwältigender als alles, was sie je zuvor erlebt haben. Doch Jake ist der erfolgreichste Pilot bei Elite Airlines – und Gillian seine Stewardess. Eine Beziehung zwischen ihnen ist verboten. Und was noch viel schwerer wiegt: Sie beide verbergen ein düsteres Geheimnis, das es ihnen unmöglich macht, andere nahe an sich heranzulassen. Nur dass ihnen ihre Herzen jetzt keine Wahl zu lassen scheinen …
Das ist für dich.
Nur für dich.
TURBULENZ, die; –, -en
Zustand enormer Unruhe oder Aufregung.1 Chaotische oder unruhige Bewegung in der Atmosphäre.2
Alles, was uns ausmacht.3
Wie oft werde ich mich an dir verbrennen?
Drei, vier, fünf, vielleicht zehn Mal …
Oder bist du es, der sich an mir verbrennt?
Ja, »das mit uns« muss ein Ende haben.
Wenn du den ersten Schritt machst und gehst, gehe ich auch.
Das habe ich dir bereits gesagt, und doch hast du nichts getan …
Als ich das erste Mal schwere Turbulenzen erlebte, schwor ich mir, nie wieder in ein Flugzeug zu steigen.
Es geschah auf einem Nachtflug von Seattle nach London, als wir nach drei Stunden in ein Sommergewitter gerieten. Plötzlich wurde das Flugzeug heftig durchgeschüttelt. Die Passagiere schrien und standen Todesängste aus und meine beruhigenden Rufe »Festhalten! Es ist gleich vorbei!« stießen gänzlich auf taube Ohren.
Der Pilot war jung und unerfahren und vermochte es mit seiner leisen Stimme nicht im Geringsten, die Menschen zu beruhigen. Als schließlich auch noch die Gläser in der Kabine der First Class inmitten herumpolternden Gepäcks klirrend zu Boden fielen, schwor ich mir, dass meine Tage an Bord gezählt wären, falls wir je heil und sicher landen würden.
Natürlich brach ich diesen Schwur nur Stunden später, aber immerhin konnte ich endlich von mir selbst behaupten, die schlimmstmöglichen Turbulenzen bereits erlebt zu haben.
Zumindest dachte ich das.
»Miss?« Ein Passagier der First Class riss mich aus meinen Gedanken und berührte mich am Ellenbogen, als ich den Gang entlanglief. »Miss?«
»Ja?«
»Wie lange dauert es noch, bis wir in Paris sind?«
»Acht Stunden, Sir.« Ich unterdrücke den Drang, ihm zu sagen, dass er mich dasselbe erst vor einer Viertelstunde gefragt hat. »Möchten Sie noch etwas trinken?«
»Bitte noch mal von dem Weißwein.«
Mit einem Nicken komme ich eilig seiner Bestellung nach, hole Wein aus dem Kühlfach in der Bordküche und gieße das Glas randvoll ein. Ich muss ihn schnellstmöglich abfertigen, damit ich mich endlich allein hinsetzen und mich um den unerträglichen Schmerz in meiner Brust kümmern kann.
»Könnte ich noch eine Decke haben?«, fragt der Mann, ehe ich mich davonstehlen kann.
Ich ringe mir ein Lächeln ab und hole eine aus dem Gepäckfach über seinem Sitz, packe sie für ihn aus und lege sie ihm auf den Schoß. »Möchten Sie noch irgendetwas?«
»Nein, aber …« Er bricht mitten im Satz ab und hebt eine Augenbraue. »Ihr Gesicht ist ja ganz rot. Weinen Sie etwa?«
»Nein, nein«, lüge ich. »Es ist nur gerade Allergie-Saison.«
»Allergie? Hier im Flugzeug?«
»Kann ich Ihnen noch irgendetwas bringen, Sir?« Ich spüre, wie mir eine Träne die Wange hinunterrollt. »Falls nicht, schaue ich gerne später noch einmal vorbei.«
Er antwortet mir nicht. Stattdessen zieht er ein Taschentuch aus seiner Brusttasche und reicht es mir.
»Was auch immer der Grund ist«, sagt er und mustert mich von unten bis oben. »Ich hoffe nur, es ist nicht wegen eines Kerls. Sie sind viel zu hübsch, um irgendwem hinterherzuweinen … Warten Sie. Es ist wegen eines Mannes, stimmt’s?«
Doch diesmal gebe ich keine Antwort, nehme sein Taschentuch und gehe wortlos davon.
Ich laufe zum Heck des Flugzeugs – vorbei an einer Kabine voller schlafender Passagiere – und schließe mich in der Toilette ein. Während mir die Tränen nun in Strömen hinunterrinnen, ziehe ich mein Handy aus der Tasche und logge mich in meinen privaten Blog ein, um noch einmal jene Zeilen zu lesen, die ich vor Monaten verfasst hatte. Damit ich mir die schmerzhafte Erfahrung in Erinnerung rufen kann, wie es ist, wenn man nicht auf sein Gefühl hört.
– BLOGEINTRAG –
Das ist das letzte Mal, dass ich mir das selbst sage.
Das allerletzte Mal.
Mein Herz kann keinen weiteren Streit ertragen, keine weitere Runde in diesem gefährlichen Spiel des »Werden wir es hinkriegen? Sollten wir es überhaupt hinkriegen?« und keine weitere Runde dieser nie endenden Berg-und-Tal-Fahrt mit lauter Aufs und Abs.
Ja, es ist unbeschreiblich, wie dieser Mann mich vögelt, und wie ich mich augenblicklich nach mehr sehne, sobald er sich aus mir herauszieht. Und ja, es ist einfach unvergleichlich, wie er mich mit dem Mund verwöhnt und mir über Stunden einen Orgasmus nach dem anderen beschert. Aber so sehr wir auch zusammenpassen (beziehungsweise nicht zusammenpassen), nun ist das Maß voll.
Ich werde nicht zu ihm zurückgehen.
Ich werde nicht zu ihm zurückgehen.
Ich. Werde. Nicht. Zu. Ihm. Zurückgehen.
Ein Klopfen ertönt an der Tür, ehe ich den Rest lesen kann, und ich seufze.
»Besetzt!«, rufe ich. »Das ›Besetzt‹-Licht ist an.«
Es klopft erneut, diesmal lauter, sodass ich stöhnend die Tür öffne.
»Das ›Besetzt‹-Licht war doch eindeutig …« Mir stockt der Atem, als ich jenen Mann erblicke, den ich momentan hasse, jenen Mann, den ich den gesamten Flug über zu meiden versucht habe. Den Piloten. Den Kiefer aufeinandergepresst, bohren sich seine bildschönen blauen Augen in meine, und egal wie sehr ich wünschte, ich würde mich nicht zu ihm hingezogen fühlen, komme ich nicht dagegen an.
Mit seinen perfekt gemeißelten, kantigen Gesichtszügen, seinen vollen, wohldefinierten Lippen, die wie gemacht sind für lange, verführerische Küsse, und seiner Großspurigkeit, die er schon von Weitem ausstrahlt, hat er mich schon immer mit nur einem Blick völlig atemlos gemacht und angetörnt.
Hinter ihm in der Kabine werden ein paar Leselichter ausgeknipst und hier und da beginnt auf den Bildschirmen der zweite Bordfilm.
»Wir müssen reden, Gillian«, sagt er mit angespannter Stimme. »Jetzt gleich.«
»Danke, ich passe.« Ich versuche ihm die Tür vor der Nase zuzuschlagen, doch er schubst mich zurück in die Toilette und zieht die Tür hinter sich zu.
Sekundenlang sagt keiner von uns auch nur ein Wort. Wir starren einander einfach nur an, wie so viele Male zuvor, während Schmerz und Enttäuschung unausgesprochen in der Luft liegen.
»Ich habe dir nichts mehr zu sagen, Jake.« Meine Stimme brach. »Gar nichts mehr.«
»Gut«, faucht er. »Dann werde ich das Reden übernehmen.«
»Das ist ja mal etwas ganz Neues. Normalerweise ist Reden nicht dein Ding.«
»Vögelst du einen anderen?« Er poltert mit der Frage so barsch und abrupt heraus, dass ich im ersten Moment nicht sicher bin, ob ich mich verhört habe.
»Was?«
»Muss ich die Frage wirklich wiederholen?« Wütend blickt er mich an und kommt auf mich zu. »Vögelst du einen anderen?«
»Wir haben seit Wochen nicht mehr miteinander gesprochen«, bemerke ich zähneknirschend. »Ich habe dich wochenlang nicht gesehen, und das ist das Erste, was du von mir wissen willst? Wie wäre es denn mit: ›Hallo, Gillian. Wir haben uns lange nicht gesehen. Wie geht es dir?‹«
»Hallo, Gillian«, macht er mich nach und seine Augen bohren sich in meine. »Wir haben uns lange nicht gesehen. Wie geht es dir?« Ohne eine Antwort abzuwarten, fährt er fort: »Vögelst du einen anderen?«
»Nein.«
»Bist du mit einem anderen zusammen?«
»Das ist genau dieselbe Frage, verdammt.«
»Dann gib mir dieselbe Antwort, verdammt.«
»Nein.« Ich verschränke meine Arme vor der Brust. »Nein, ich habe niemand Neues. Aber bald werde ich jemand Neues haben. Und weißt du was? Es wird jemand sein, der mich nicht alle paar Wochen im Stich lässt; jemand, der nicht so krank ist, dass es ihm offenbar Vergnügen bereitet, manchmal einfach wochenlang zu verschwinden oder mich die ganze Nacht lang im Ungewissen zu lassen, nur weil er sich mir nicht öffnen will. Vor allem aber wird es jemand sein, der mich respektiert und mir nicht das Gefühl gibt, dass er die Liebe zu mir als Last empfindet.«
»Ich habe nie gesagt, dass ich die Liebe zu dir als Last empfinde.«
»Weil du überhaupt nie gesagt hast, dass du mich liebst.«
Stille.
»Gillian …« Seufzend fährt er sich mit einer Hand durch sein dunkelblondes Haar. »Hör mal.«
»Leck mich. Und jetzt lass mich, bitte.« Ich schubse ihn gegen die Brust und versuche zu entkommen, doch er hält mich fest. »Jetzt lass mich endlich gehen, Jake.«
»Nein.« Er hat den Arm um meine Taille geschlungen und zieht mich an sich, während er mit der Fingerspitze seiner freien Hand meine Tränen wegwischt. Er streichelt mir über den Rücken und küsst meine Mundwinkel, wobei er sanft auf meine Unterlippe beißt, wie er es immer tut, kurz bevor er mich vögelt. »Du weißt, dass ich dir nie wehtun wollte.«
»Weiß ich das?«
»Das solltest du auf alle Fälle.« Erneut beißt er neckend in meine Unterlippe, diesmal sehr viel fester, und flüstert dann an meinem Mund: »Gib uns noch eine Chance.«
»Was bringt dich dazu zu glauben, ich wäre derart blöd?«
»Weil ich nicht der Einzige von uns beiden bin, der Fehler begangen hat.« Seine Finger fahren durch mein Haar, während er mit den Lippen meine streift. »Ich erinnere mich, dass es am Anfang ziemlich verkorkst begonnen hat.«
»Es ist immer noch verkorkst.« Ich blicke ihm in die Augen. »Du lässt mich noch immer nicht an dich ran, du redest noch immer nicht mit mir und erzählst mir die einfachsten Dinge nicht. Ich war vollkommen offen und ehrlich zu dir, und trotzdem, nach all der Zeit …« Der Rest meines Satzes wird verschluckt von seinen Lippen und seiner Zunge, die meine umschlingt – mich anbettelt, mich betört, mich überwältigt.
Ich versuche, ihn wegzuschubsen, doch es hat keinen Zweck. Sein Kuss versetzt mich sofort in jenen Rausch, den ich so vermisst hatte, und der mich daran erinnert, wie gut es sich anfühlen konnte, wenn wir zusammen waren. Allmählich gebe ich nach und beginne, Fragen an seinen Lippen zu flüstern, während sein Mund immer und immer wieder meinen sucht.
Ich frage, ob er mit einer anderen Frau Sex hatte, was er verneint. Ich frage, ob er eine andere datet, worauf er mich mit einem Kniff in den Hintern bestraft und mit einem groben, abrupten »Nein« antwortet. Ich will ihn fragen, wo er die letzten Wochen gewesen ist, wieso er sich immer wieder von mir davonstiehlt, doch er bringt mich mit einem noch tieferen Kuss, bei dem mir ein Schauer über den Rücken läuft, zum Verstummen.
»Wir können heute Abend reden«, flüstert er. Dann nimmt er meine Hand und drückt sie gegen seinen Schoß, um mich spüren zu lassen, wie hart sein Schwanz ist. »Heute Abend können wir über alles reden, worüber du unbedingt reden willst.«
»Heute Abend im Sinne von ›morgen früh‹, wenn wir endlich in Paris landen, oder ›heute Abend‹ im Sinne von jetzt gleich?«
»Heute Abend im Sinne von, sobald wir die Toilette verlassen haben, im Sinne von, sobald ich dich umgedreht, gegen die Tür gepresst und dich daran erinnert habe, dass du mir gehörst.« Er legt seine Hand auf meine und bedeutet mir, seine Hose zu öffnen. »Genügt dir das als Antwort?«
Ich nicke, als er erneut meinen Mund mit seinem erobert und einen weiteren Argumentationsstrang abreißt – Wortfetzen, die bald schon wie alle anderen in Vergessenheit geraten sein werden. Und als seine Hand an meinem Rock nach oben gleitet und es feucht zwischen meinen Schenkeln tropft, weiß ich, dass wieder einmal alles verloren ist.
Alles, das sind in Wirklichkeit wir.
Alles ist eine einzige Turbulenz.
Wie viele Male habe ich mich an dir verbrannt?
Drei, vier, fünf, zehn Mal vielleicht?
Oder war ich es, an der du dich verbrannt hast?
Du warst es, immer und immer wieder.
Ich hätte gehen sollen, dann hättest auch du gehen können.
Aber ich glaube, du hast von Anfang an gewusst, dass ich das nie wollte …
Dallas (DAL) --> Singapur (SIN) --> New York (JFK)
Es gab nur drei Dinge auf der Welt, die ich noch mehr hasste als meinen grausamen Familienzirkus: Die Neuerungen in der Luftverkehrsbranche. Die Tatsache, dass die Luftverkehrsbranche die einzige Branche war, in der ich mir vorstellen konnte zu arbeiten. Und die Tatsache, dass »Nicht stören«-Schilder an Hotelzimmertüren offenbar inzwischen einen Dreck galten.
Zweimal heute Morgen hatte es in den denkbar schlechtesten Momenten an der Tür geklopft. Das erste Mal mitten beim Sex, als die Frau, die ich auf mein Zimmer eingeladen hatte, gerade mit hochgestrecktem Po über den Couchtisch gebeugt dastand – und mein Schwanz rhythmisch in sie stieß. Das zweite Mal, als ich durch die Zeitung blätterte und mit der glühenden Spitze meiner letzten Zigarre die verlogenen Seiten durchbrannte.
Und jetzt klopfte es innerhalb der letzten drei Stunden schon zum dritten Mal an die Tür.
»Mr. Weston!« Diesmal erklang eine Frauenstimme. »Mr. Weston, sind Sie da drin?«
Doch statt zu antworten, blieb ich unter dem warmen Wasserstrahl der Dusche stehen und überlegte, wie ich aus der Geschichte herauskam.
»Mr. Weston, ich bin’s. Dr. Cox!« Zehn Minuten später ertönte die schrille Stimme von Neuem. »Ich weiß, dass Sie da drin sind! Wenn Sie nicht bald aufmachen, muss ich davon ausgehen, dass etwas nicht stimmt und die Polizei rufen!«
Meine Güte …
Ich drehte den Hahn ab und stieg aus der Dusche. Ohne mir die Mühe zu machen, ein Handtuch umzuwickeln, lief ich durch die Schlafzimmersuite und öffnete die Tür, wo ich einer rothaarigen Dame in einem komplett weißen Kostüm gegenüberstand.
»Was zum Teufel wollen Sie von mir?«, fragte ich.
»Wie bitte? Was erlauben Sie sich? Es kann ja wohl nicht angehen, dass Sie mich einfach so igno−« Plötzlich verstummte sie und trat einen Schritt zurück. Sie riss ihre großen braunen Augen auf und wurde knallrot.
»Ihr Penis …« Ihre Stimme war nur mehr ein Flüstern. »Sie sind ja vollkommen nackt.«
»Das haben Sie scharfsinnig erkannt«, entgegnete ich trocken. »Was wollen Sie?«
Ihr Blick ruhte noch einige Sekunden auf meinem Schwanz, dann räusperte sie sich. »Ich bin Dr. Cox von der Abteilung Personalangelegenheiten von Elite Airways.«
»Das ist mir bekannt.«
»Ich weiß, dass Sie dieses Wochenende Ihren letzten Flug bei Signature Air absolvieren, aber da Elite und Signature vom kommenden Montag an als eine Fluggesellschaft firmieren, müssen Sie noch ein paar unserer Formulare ausfüllen«, erklärte sie. »Sie hatten zehn Monate dafür Zeit und sind der einzige Pilot, der das Persönlichkeitsprofil noch immer nicht ausgefüllt hat. Damit nicht genug, denn ich könnte schwören, dass wir Ihnen mitgeteilt hatten, dass wir extra zu Ihrem Zwischenstopp in Dallas kommen würden, um das zu erledigen, Mr. Weston. Wir sind extra für Sie hierher geflogen und haben die ganze Zeit über vergeblich im Konferenzraum auf Sie gewartet. Fällt es Ihnen wirklich so schwer, diese Sache ernst zu nehmen?«
»Ich wäre in der Lage, Sie ernst zu nehmen, wenn Sie mir in die Augen, nicht auf den Bereich unterhalb meiner Gürtellinie blicken würden.«
Ertappt errötete sie erneut und sah endlich zu mir hoch. »Wir hatten Sie gebeten, um sieben herunterzukommen.«
»Und ich hatte Ihnen gesagt, dass ich um acht da wäre.«
»Tja«, sagte sie und sah auf ihre Armbanduhr hinab, »jetzt ist es halb acht, und es gab einen Grund, weshalb wir darauf bestanden haben, dass Sie sich eine Stunde früher zu uns bequemen. Denn wir möchten, dass Sie genug Zeit haben, sich unsere neuen Richtlinien in Ruhe durchzulesen.«
»Nein, Sie haben es mir lediglich nahegelegt. Zwei völlig verschiedene Begrifflichkeiten mit zwei völlig verschiedenen Erwartungshaltungen.«
»Sieht so aus, als könnte ich in Ihrem Profil bei einzigartigen Fähigkeiten ›wandelndes Wörterbuch‹ eintragen.« Sie verdrehte die Augen. »Das nächste Mal wäge ich meine Worte sorgfältig ab, wenn ich Ihnen eine E-Mail sende.«
»Das sollten Sie auch.«
»Dann sehen wir Sie um acht unten?«
»Halb neun. Jemand hat mich mit seinem Unfug beim Duschen gestört, sodass ich eine halbe Stunde wiedergutmachen muss.«
»Mr. Weston, ich schwöre Ihnen, wenn Sie nicht innerhalb der nächsten Stunde herunterkommen, werde ich meinen Vorgesetzten nahelegen, dass wir unsere Sachen packen und verschwinden. Und ich kann Ihnen versprechen, dieses Wochenende wird das letzte Mal sein, dass Sie ein Flugzeug betreten haben.«
»Ich bin kein Fan leerer Drohungen, aber nur zur Info: die Formulierung darauf bestehen hätte sich in dem Satz eindeutig besser gemacht. Ich komme runter, sobald ich verdammt noch mal zu Ende geduscht habe.« Damit knallte ich die Tür zu, ehe sie antworten konnte.
Noch einmal lief ich durch meine Suite – wobei ich ein paar leere Kondompackungen auflas und sie in den Müll warf. Dann nahm ich meine Pilotenmütze und meine marineblaue Uniform aus dem Kleiderschrank und legte beide aufs Bett.
Mehr als zehn Jahre lang war ich für renommierte Fluglinien und Unternehmen geflogen und hatte mir die auf meinen Schultern aufgenähten vier Goldstreifen redlich verdient, und ich hatte ehrlich geglaubt, dass ich den Rest meiner beruflichen Laufbahn damit verbringen würde, für meine geliebte Fluggesellschaft Signature Air zu fliegen. Aber in dem Moment, da Elite Airways mit seinem »Klau sämtliche Ideen aus den glorreichen Tagen von Pan Am und gib es als neu aus«-Konzept zur Fluggesellschaft Nummer eins im Lande wurde, wusste ich, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis sie meine Lieblings-Airline schlucken würden. Wie so viele andere Airlines zuvor.
Ich griff nach meinem Handy auf dem Nachttisch, in der Hoffnung, einen positiven Bescheid von einer der Charter-Airlines erhalten zu haben, bei denen ich mich letzte Woche beworben hatte, aber nichts. Nur eine SMS von der Frau, die ich vorhin gevögelt hatte, Emily.
In meiner Kontaktliste war sie aufgeführt als »Dallas-Emily« – erst die Stadt, dann der Name. Dadurch konnte ich sie nicht mit »San-Fran-Emily« oder »Vegas-Emily« verwechseln und behielt den Überblick über die Frauen, mit denen ich in anderen Städten geschlafen hatte.
Dallas-Emily: Kann es sein, dass ich meine Ohrringe bei dir im Zimmer vergessen habe?
J. Weston: Hast du. Ich habe sie an der Rezeption hinterlegt. Du kannst sie jederzeit dort abholen.
Dallas-Emily: Du hättest mir einfach Bescheid geben können, dass ich sie bei dir vergessen habe, Jake …
J. Weston: Habe ich doch gerade.
Dallas-Emily: Du weißt, was ich meine. Vielleicht habe ich sie ja mit Absicht liegen lassen, damit ich noch mal zurückkommen und mit dir reden kann.
J. Weston: Genau deshalb habe ich sie an der Rezeption abgegeben.
Dallas-Emily: Darf ich dich etwas Persönliches fragen? Es gibt da etwas, das ich dir noch sagen wollte.
J. Weston: Ich kann dich schlecht davon abhalten, mir zu schreiben.
Dallas-Emily: Wäre es zu viel verlangt, wenn ich dich bitten würde, das nächste Mal, wenn wir uns treffen, den Abend nicht mit den Worten einzuleiten: »Knie dich hin« oder »Mach schön den Mund auf«?
J. Weston: Ich habe kein Problem damit, künftig zuerst »Hallo« zu sagen.
Dallas-Emily: Das meinte ich nicht, Jake! Ich meine, dass ich spüre, dass da zwischen uns etwas ist. Dass da echte Gefühle sind … Und ich wollte nur …
J. Weston: Stehen deine Auslassungspunkte (…) für etwas Bedeutsames oder macht es dir einfach Spaß, völlig grundlos die Grammatik zu missbrauchen?
Dallas-Emily: Ich möchte mehr von dir, Jake. Mehr für uns.
J. Weston: Mehr Zeit zum Vögeln?
Dallas-Emily: Mehr von DIR. Ich mag dich SEHR. Ich weiß, dass du aufgrund deines Berufs viel allein bist (genau wie ich), und ich habe das Gefühl, dass es zwischen uns klickt.
J. Weston: Zwischen uns klickt es nicht, Emily.
Dallas-Emily: Und wie kommt es dann, dass wir uns das letzte Mal, als du in der Stadt warst, STUNDENLANG unterhalten haben und du mich zu einem Fünf-Gänge-Menü ausgeführt hast?
J. Weston: Wir haben uns zwanzig Minuten unterhalten und ich habe dir einen Taco gekauft.
Dallas-Emily: Das läuft aufs Selbe hinaus … Jedes Mal, wenn wir uns treffen, selbst wenn wir uns nur ein paarmal pro Monat sehen, spüre ich eine besondere Verbindung zwischen uns, und ich weiß, du spürst sie auch. Ich glaube, das zwischen uns könnte gut funktionieren, wenn wir beschließen würden, eine Beziehung einzugehen … Was meinst du?
Ich schaltete das Handy aus und erinnerte mich selbst daran, sie später zu blockieren. Es gab unzählige andere Optionen in Dallas, unzählige andere Frauen, die nichts mehr von mir wollten, als eine heiße Nummer und einen kurzen, bedeutungslosen Smalltalk. In der Sekunde, da sie von »Verbindung« schrieb, hätte ich das Gespräch beenden sollen.
In meiner Welt war eine Verbindung nicht mehr als eine Strecke mit vorübergehenden Aufenthalten, kurzen Zwischenstopps auf dem Weg zu einem Endziel. Somit war das Wort an sich flüchtig, niemals endgültig und ganz sicher keine Grundlage für eine »Beziehung«.
Auf dem Weg ins Wohnzimmer suchte ich nach meiner Krawatte – und hielt inne, als ich die Schlagzeile las, die unten auf dem Fernseher durch das Bild lief.
Am Montag startet die neue Nr. 1 Elite Airways in eine neue, strahlende Zukunft.
Eine blonde Moderatorin interviewte einen der perfekt gepflegten und roboterartigen Mitarbeiter von Elite. Er trug die standardmäßige blau-weiße Krawatte, einen Anstecker mit der Aufschrift »Ich liebe Elite« an seiner rechten Brusttasche und ein Dauerlächeln im Gesicht. Egal wie viel Schwachsinn er von sich gab, seine Mundwinkel zeigten stets nach oben.
»Wir sind nicht ohne Grund landesweit die Nr. 1 unter den Fluggesellschaften, Clara.« Der Elite-Pressesprecher war nicht älter als fünfundzwanzig. »Deshalb freuen wir uns sehr über die Übernahme von Signature Air und Contreras Airways.«
»Sie sagen es!«, klatschte die Blondine in die Hände. »Heute Morgen erst ging die Nachricht ein, dass Contreras Airways ebenfalls aufgekauft wird. Glückwunsch, es läuft gerade ja wirklich prächtig für Elite!«
»Danke, Clara. Wie unser Teammotto besagt: Wir werden alles daransetzen, die Besten der Branche zu sein. Um jeden Preis.«
Um jeden Preis …
Während die Schlagzeile erneut durchs Bild lief, spürte ich, wie mein Blut zu kochen begann. Für die meisten Zuschauer waren dies sicher einfach nur Wirtschaftsnachrichten, ein großer Tag für die Luftfahrtbranche und den amerikanischen Traum, aber für mich markierten diese Worte mehr als nur das Ende einer Ära. Sie standen für etwas, das ich nie vergeben oder vergessen würde.
Wutgeladen zwang ich mich, mich abzuwenden, und ging zur Dusche. Ich drehte das Wasser auf die höchste Stufe und versuchte mich auf irgendetwas anderes zu konzentrieren, doch vergeblich. Ständig spukte mir diese hässliche Schlagzeile im Kopf herum.
Scheiß drauf. Ich gehe erst runter, wenn ich mich danach fühle.
Drei Stunden später …
»Danke, dass Sie so pünktlich eintreffen, Mr. Weston.« Dr. Cox warf mir wütende Blicke zu, als sie die Tür zum Konferenzraum öffnete. »Sind Sie absichtlich so spät gekommen, damit Ihnen nicht mehr viel Zeit bis zu Ihrem Flug nach Singapur bleibt, oder ist das reiner Zufall?«
»Sagen wir, ein willkommener Zufall.«
»Da bin ich mir ganz sicher.« Sie stöhnte und bat mich hinein. »Nehmen Sie doch bitte da drüben am Tisch Platz.«
Als ich den kleinen Raum betrat, bemerkte ich, dass sie den spärlichen Raum so umgebaut hatten, dass es wie bei einer echten Orientierungsveranstaltung aussah. An den Wänden hingen Poster mit den Elite-Richtlinien, eine Beamer-Leinwand und auf einem verwaisten Stuhl stapelten sich Gesetzestexte zum Luftfahrtrecht in die Höhe. In der Ecke standen zwei Kartons mit dem Vermerk »J. Weston« und der Tisch war übersät mit riesigen Aktenordnern, Notizbüchern und Stiften.
Als ich mich hinsetzte, erblickte ich zwei Wassergläser mit der Aufschrift »Für Mr. Weston«, die Wasserringe auf dem Holztisch hinterließen.
Sekunden später setzte sich Dr. Cox mir gegenüber hin und ein anderer Elite-Mitarbeiter, ein grauhaariger Mann mit der typischen blau-weißen Krawatte, nahm neben ihr Platz.
»Das ist mein Kollege, Lance Owens«, sagte sie und stellte ein digitales Aufnahmegerät auf den Tisch. »Da Sie sich etwas Zeit gelassen haben, herunterzukommen, ist unser Kameramann wieder gefahren. Deshalb werde ich das Gespräch mit dem Diktiergerät aufzeichnen und Mr. Owens fungiert als Augenzeuge. Außerdem konnten wir die Wartezeit dazu nutzen, schon die meisten fehlenden Daten in Ihrer Akte auszufüllen, sodass es nicht zu lange dauern dürfte. Haben Sie irgendwelche Fragen, bevor wir anfangen?«
»Nein, keinerlei Fragen.«
»Gut.« Sie drückte auf den Startknopf des Aufnahmegeräts. »Dies ist das letzte Mitarbeitergespräch mit Mitarbeiter Nr. 67 581, Senior Pilot Jake Weston. Mr. Weston, könnten Sie uns bitte der Vollständigkeit halber Ihren vollen Namen nennen?«
»Jake C. Weston.«
»Wofür steht das ›C‹?«
»Kann mich nicht erinnern.«
»Mr. Weston …«
»Es steht für nichts. Es ist einfach nur ein C.«
»Danke.« Sie schob mir einen blauen Ordner entgegen. »Mr. Weston, könnten Sie bitte bestätigen, dass die Angaben Ihrer vorhergehenden Arbeitsstellen in diesem Ordner stimmen?«
Ich öffnete den Ordner und sah meine berufliche Laufbahn in wenigen Zeilen zusammengefasst. United States Air Force, American Airways, AirAsia, Air France. Signature. Keine Unfälle, keine Verstöße, keine einzige Verspätung.
»Ja, sie stimmen.« Ich schloss den Ordner und gab ihn ihr zurück.
»Hier steht, dass Sie bislang dreißig Auszeichnungen erhalten haben, seit Sie die Pilotenausbildung absolviert haben. Stimmt das?«
»Nein, es sind sechsundvierzig.«
»Wie Sie sicherlich wissen«, sagte sie und las von einem Blatt Papier ab, »erhalten die meisten Piloten diese speziellen Auszeichnungen erst mit fünfzig, sechzig Jahren, wenn sie mindestens fünfundzwanzig bis fünfunddreißig Jahre Berufserfahrung auf dem Buckel haben. Sie haben knapp zwanzig Jahre Berufserfahrung, wenn ich Ihre Zeit an der Luftfahrtschule mitzähle, und werden in wenigen Wochen achtunddreißig Jahre alt.«
Ich blinzelte.
»Möchten Sie sich zu dem äußern, was ich soeben gesagt habe, Mr. Weston?«
»Ich habe eigentlich auf die Frage gewartet. Normalweise steigt bei einer Frage die Stimme am Ende des Satzes an. Sie haben lediglich Fakten aufgezählt.«
Der Beisitzer an ihrer Seite lächelte kaum merklich.
»Fahren wir fort.« Sie klickte an ihrem Stift. »Wir hatten ein paar Schwierigkeiten, Ihre Angaben zu Ihren nächsten Angehörigen zu verifizieren. Ruft man unter den Telefonnummern an, die Sie angegeben haben, kommt man bei öffentlichen Münztelefonen in Montreal heraus. Wir benötigen die aktuellen Daten, okay? Mein ›okay‹ impliziert übrigens eine Frage, Mr. Weston.«
»Okay.«
»Lassen Sie uns mit Christopher Weston beginnen, Ihrem leiblichen Vater. Was ist seine aktuelle Arbeitsstelle und Kontaktnummer?«
»Er ist Zauberer. Er taucht alle paar Jahre in meinem Leben auf und taucht dann wieder ab. Das nächste Mal, wenn ich ihn sehe, frage ich ihn nach seiner Nummer.«
»Was ist mit Evan Weston, Ihrem leiblichen Bruder?«
»Ebenfalls Zauberer. Er besitzt die besondere Fähigkeit, Dinge verschwinden zu lassen und Dinge anders erscheinen zu lassen als sie sind.«
»Keine Telefonnummer?«
»Keine Telefonnummer.«
»Ihre Mutter?«
»Keine Ahnung.«
»Ihre Frau?«
»Exfrau. Wo auch immer sie gerade steckt, macht sie bestimmt noch immer anderen Menschen das Leben zur Hölle. Am besten Sie schlagen die Telefonnummer für die Hölle nach.«
Sie nahm ihre Lesebrille ab. »Jeder Elite-Mitarbeiter muss mindestens vier nahe Verwandte als Kontaktpersonen angeben. JEDER.«
»Dann bin ich eben die erste Ausnahme.«
»Glaube ich kaum.« Sie sah zu ihrem Beisitzer hinüber. »Da Mr. Weston offenbar Spielchen spielen will, werden wir unser Rechercheteam bitten müssen, seine Familienmitglieder ausfindig zu machen. Und teilen Sie der Einstellungskommission mit, wie unkooperativ er war.«
Der Beisitzer nickte, aber ich sagte nichts weiter dazu. Stattdessen nahm ich einen großen Schluck aus einem der Wassergläser, denn ich wusste genau, dass sie außer meiner Exfrau niemanden finden würden. Die Spuren hatten sich vor Jahrzehnten verloren und waren für immer unauffindbar.
»Würde es Ihnen etwas ausmachen, in der Zwischenzeit Ihre nahen Angehörigen danach zu sortieren, wie nah Sie sich stehen, damit wir wissen, wen wir in einem Notfall zuerst kontaktieren?«
»Klar.«
»Okay, dann mal los. Auf einer Skala von eins bis zehn, wobei zehn ein sehr enges Verhältnis bedeutet – wie nah stehen Sie Ihrem leiblichen Vater?«
»Minus achtzig.«
Sie riss ihre braunen Augen auf. »Wie bitte? Was haben Sie gerade gesagt?«
»Minus achtzig«, sagte ich und betonte jede Silbe einzeln. »Oder müssen Sie Ihr Band zurückspulen und es sich erneut anhören?«
Sie schüttelte den Kopf und eine Sekunde lang schien es, als bereue sie ihre Frage und würde zu einer anderen übergehen, doch das tat sie nicht.
»Immer noch auf derselben Skala, wie nah stehen Sie Ihrem leiblichen Bruder?«
»Minus sechzig.«
»Ihrer leiblichen Mutter?«
»Kein Kommentar.«
»Mr. Weston«, sagte sie nun streng. »Könnten Sie bitte die Frage in Bezug auf Ihre leibliche Mutter beantworten?«
»Können schon, aber ich will nicht.«
»Mr. Weston …«
»Das war ein Nein.«
»Ich habe Ihnen aber gar keine Ja- oder Nein-Frage gestellt.« Sie wurde lauter. »Alle Fragen sind verpflichtend, insbesondere, da Sie bis zur letzten Minute gewartet haben, bis Sie sich dazu bequemt haben, uns Ihre wertvolle Zeit zu widmen. Wenn Sie nach Ihren letzten Flügen an diesem Wochenende weiterhin für Signature fliegen möchten, dann müssen Sie mir schon antworten. Ansonsten brechen wir an dieser Stelle sofort ab.«
»Undefinierbar«, stieß ich zähneknirschend hervor. »Das Verhältnis zu meiner Mutter ist undefinierbar, verdammt.«
»Danke.« Sie stieß einen Atemzug aus. »Die letzte Frage in diesem Abschnitt. Auf einer Skala von eins bis zehn, wie nah stehen Sie Ihrer Frau?«
»Exfrau«, korrigierte ich sie erneut. »Sie sollte überhaupt nicht in meinen Akten vermerkt sein, aber sie rangiert zwischen meinem Vater und meinem Bruder bei minus siebzig.«
»Dann klären Sie mich doch bitte auf.« Sie sah hoch und kratzte sich am Kopf. »Falls Ihnen etwas zustoßen sollte, wen sollen wir zuerst benachrichtigen?«
»Ein Bestattungsinstitut.«
Stille.
Sie sah weg, als ob sie nicht wüsste, was sie als Nächstes sagen sollte. Sekunden später schob sie mir einen Standardmitarbeitervertrag und einen Stift zu. »Sie haben den Vertrag zwar bereits unterschrieben, aber ich möchte, dass Sie ihn noch einmal unterschreiben, sodass ich es bezeugen kann … Warten Sie. Ich habe noch eine letzte Frage. Ist Ihnen bewusst, dass Ihre Akte bei uns den Vermerk ›FCE‹ trägt?«
»Nein.«
»Möchten Sie wissen, wofür ›FCE‹ steht?«
»Ich nehme an, es bedeutet, dass ich besser rechnen kann als Sie. Sie hatten gesagt, die vorherige Frage sei die letzte.«
»War es auch«, entgegnete sie mit finsterem Blick. »Haben Sie noch Fragen an mich?«
»Nicht, dass ich wüsste.«
»Tja, damit wäre das Profil von Jake C. Weston für Elite Airways abgeschlossen.« Sie drückte die Stopptaste auf dem Aufnahmegerät und steckte es in eine weiße Schachtel mit der Aufschrift »aktive Piloten«. »Sie können jetzt gehen, Mr. Owens. Danke für Ihre Hilfe.«
»Gern geschehen«, sagte er und stand auf. »Alles Gute für Ihren Start bei unserer Airline, Mr. Weston.«
»Danke.« Ich wollte ebenfalls aufstehen, aber Dr. Cox bedeutete mir, sitzen zu bleiben.
»Ich dachte, wir seien fertig.« Ich sah sie an. »Ich habe kein Interesse daran, länger mit Ihnen zu reden als unbedingt nötig.«
»Dann sind wir schon zwei«, sagte sie mit deutlich finsterer Stimme. »Ich habe nur noch eine letzte, inoffizielle Frage, und dann können Sie gehen und zu dem traurigen Konstrukt zurückkehren, das Sie für ein Leben halten.«
Sie wartete, bis Mr. Owens den Raum verlassen hatte und klatschte dann einen dicken roten Aktenordner auf den Tisch und sah mich wütend an. »Verraten Sie mir, wie zum Henker Sie vor sechs Wochen Ihren psychologischen Test bestanden haben.«
»Ich habe dafür gelernt.«
»Verkaufen Sie mich nicht für dumm, Mr. Weston.« Ihr Gesicht war rot angelaufen. »Der Durchschnittswert für einen kompetenten und geistig gesunden Piloten beim PILA-Test ist eine Fünf. Sie haben eine Neun erzielt.«
»Vielleicht hat der Test andere Aspekte meiner Person gemessen.«
Ohne auf meinen Kommentar einzugehen, fuhr sie fort: »Eine Neun heißt, dass man quasi verhaltensgestört ist. Mit einem solchen Ergebnis hätten Sie die restlichen Psychotests gar nicht bestehen dürfen. Und dennoch hat Sie die Ärztin auf wundersame Weise mit Bravour bestehen lassen.«
»Wie großzügig von ihr.«
»Ein bisschen zu großzügig, wenn Sie mich fragen.« Sie zog eine Visitenkarte aus ihrer Tasche und warf sie mir hin. »Ich kann nicht leugnen, dass Sie bislang eine tadellose Laufbahn hingelegt haben, aber … tja … ich sage es Ihnen ganz offen und ehrlich. Sie haben die verkorkstesten Psychotestergebnisse, die ich je gesehen habe.«
»Welche Ehre, danke.« Ich blickte auf meine Uhr. »Könnten Sie mir meine Auszeichnung bitte per E-Mail schicken?«
»Ich glaube, Sie begreifen den Ernst der Lage nicht. Laut den echten Testergebnissen – nicht jenen, die Sie irgendwie getürkt haben – liegen Sie erheblich unter dem Durchschnitt in drei von vier emotionalen Kategorien. Sie sind ihrer Umwelt sozial entfremdet, schaffen es aber irgendwie, in einem sozialen Kontext zu funktionieren.« Sie verschränkte ihre Hände ineinander. »Ich habe Sie zwar nicht persönlich getestet, aber ich glaube, Sie benutzen Ihren Beruf, um vor irgendetwas zu fliehen, um mit irgendwelchen seelischen Problemen fertigzuwerden. Außerdem weisen Ihre Schlaftests auf ein hohes Level von …«
Ich blendete ihre Stimme aus, während sie weiterredete, und schnappte lediglich ein paar Wortfetzen wie »Psychotherapie« und »Grenzwerte« auf, aber mit jedem weiteren Satz, den sie von sich gab, schwand meine Aufmerksamkeit.
Leicht vorgebeugt schlug ich die Akten auf, die am Schreibtischrand lagen, und blätterte durch den dicken Seitenstapel. Ich hob die Aktenkisten und die Notizbücher an und stellte sie wieder ab, als ich feststellte, dass sich nichts darunter befand.
Immer noch ihre Stimme ignorierend, stand ich auf und lief hinüber zu der Wand mit den Postern der Airline-Richtlinien. Ich stand vor dem Poster, das ein »hundertprozentiges Verbot persönlicher Beziehungen zwischen Mitarbeitern« propagierte und griff nach den Papierecken. Langsam zog ich das Poster von der Wand und warf einen Blick auf die Trockenwand dahinter.
Nichts …
Ich brachte es wieder an und sah hinter einer anderen Richtlinie nach, dann hinter noch einer. Ich überprüfte gerade die Wand hinter der vierten Richtlinie, als ich hinter mir ihre klackernden Absätze hörte, die näher kamen.
»Mr. Weston?« Sie wartete, bis ich mich umdrehte, und beendete damit endlich ihren langatmigen Monolog. »Was zum Teufel machen Sie da?«
»Ich suche nach dem Sinn dieses Gesprächs, da er ja offensichtlich aus Ihrem Munde nicht zu erwarten ist.«
Ihre Kinnlade klappte herunter.
»Hat er vor, vielleicht jetzt herauszukommen? Oder wie lange muss ich noch hier stehen und darauf warten?«
Sie trat einen Schritt zurück und funkelte mich durch Augenschlitze an. »Die Sache ist die, da Sie einen ›FCE‹-Vermerk in Ihrem Profil haben, kann ich Sie nicht zu der vorgeschriebenen Therapie zwingen, die wir unseren Piloten im Rahmen der Gesundheitsvorsorge anbieten. Aber angesichts Ihrer Testergebnisse denke ich, dass es Ihnen enorm helfen würde, wenn Sie mindestens zwei- oder dreimal pro Monat zum Therapeuten gehen würden. Oder sogar fünf- bis zehnmal, wenn Sie das hinkriegen.«
»Sehen Sie? Geht doch! Schön kurz und knackig.« Ich lief zur Tür. »Damit hätten sie sich den kompletten Schwachsinn der letzten zehn Minuten sparen können.«
»Ich werde herausfinden, wie Sie den Test bestanden haben, Weston.« Sie folgte mir. »Ich weigere mich, die Ergebnisse so wie sie sind einfach zu schlucken, und ich verspreche Ihnen, wenn ich herausfinde, wie Sie es geschafft haben, von unserer besten Ärztin eine Tauglichkeitsbescheinigung zu bekommen …«
»Warum fragen Sie mich nicht einfach, was Sie wirklich fragen wollen?«, unterbrach ich sie, während ich am Türknauf drehte. »Los, fragen Sie mich schon.«
»Na schön.« Sie verschränkte die Arme und zögerte. »Haben Sie sich an unsere leitende Ärztin herangemacht und ihr einen sexuellen Gefallen im Gegenzug für die Bescheinigung angeboten?«
»Erstens möchte ich Folgendes klarstellen«, sagte ich, als ich die Tür öffnete, »ich musste mich noch nie an eine Frau heranmachen. Niemals. Zweitens, wenn Sie mit ›sexuellem Gefallen‹ meinen, ob ich sie an ihrem Bürofenster gevögelt habe, bis sie keine Luft mehr bekam, oder ob sie sich hingekniet, meinen Schwanz gelutscht und am Ende mein Sperma geschluckt hat, dann ja. Aber nicht im Gegenzug für die Tauglichkeitsbescheinigung. Die hatte sie mir bereits versprochen, nachdem ich es ihr mit dem Mund so richtig besorgt habe.«
Alle Farbe wich aus ihrem Gesicht. »Das … das glaube ich Ihnen nicht. Kein Mitglied des Elite-Personals, noch dazu ein derart hochrangiges, würde so etwas tun.«
»Falls Sie mich auf dieselbe Weise noch einmal testen möchten«, sagte ich und steckte ihr die Visitenkarte zurück in ihre Brusttasche, »geben Sie mir Bescheid. Entgegen dem, was Sie eben noch so vehement bestritten haben, kann ich Ihnen jedoch garantieren, dass Sie sehr wohl jedes Ergebnis schlucken werden …«
New York (JFK)
»Dies ist der letzte Aufruf für Flug 1487 nach San Francisco.«
»Passagierin Alice Tribue, bitte begeben Sie sich schnellstmöglich zu Gate A13 zurück, um Ihren Pass abzuholen.«
»American Airlines Flug 1781 nach Toronto Abflug an Gate 7.«
Als ich eine Woche später durch die Fluggastbrücke in die Ankunftshalle trat, wurde ich von der vertrauten Geräuschkulisse des J. F. Kennedy International Flughafens begrüßt. Endlich wieder zu Hause. Obwohl ich zwei Sechzehnstundenflüge hinter mir hatte und seit meinem Bewerbungsgespräch in Dallas schlecht geschlafen hatte, spürte ich nicht den Hauch von Erschöpfung.
Ich zog meinen Koffer hinter mir her durchs Terminal, als der klischeehafteste Song in der Geschichte der Luftfahrtbranche aus den Lautsprechern erklang. Das Cover von Frank Sinatras »Come Fly With Me«, untermalt von einem Orchester, animierte auch noch den unmusikalischsten Passagier dazu, mitzuträllern, während er an den Gates entlanghastete.
Auf der anderen Seite des Gangs nickten mir Piloten der anderen Fluggesellschaften in ihren frisch gebügelten Uniformen im Vorübergehen zu. Die Flugbegleiterinnen, die sie begleiteten, erröteten und winkten mir lächelnd zu, was ich jedoch unerwidert ließ.
Alles, woran ich im Augenblick denken konnte, war, dass der heutige Tag offiziell den absoluten Tiefpunkt meiner Karriere markierte. All der Mist, den ich hinter mir gelassen zu haben glaubte, begann wieder von vorn.
Als ich mit sechzehn angefangen hatte, Segelflugzeuge zu fliegen, war für mich alles in Zusammenhang mit der Fliegerei Kunst. Jede Facette, angefangen bei der Konstruktion eines Flugzeugs bis hin zum Fliegen selbst faszinierte mich durch seine perfekte Balance aus Ingenieurskunst und einer gewissen Magie.
Neue Flugzeugentwürfe waren etwas, worüber man leidenschaftlich debattierte, neue Routen wurden geplant und dafür gepriesen, dass sie das Undenkbare möglich machten, und jede Neuerung, die eine Fluggesellschaft einführte, erhielt ein angemessenes Medienecho. Passanten blieben auf der Straße stehen und bestaunten von der Erde aus die neuen Boeing- und Airbus-Maschinen, die Passagiere zollten der Besatzung noch Respekt, und die Flugbegleiterinnen waren mehr als nur Tomatensaft servierende Kellnerinnen in zehntausend Metern Höhe. Selbst Piloten erachteten es damals noch als Kunst, mühelos von Stadt zu Stadt zu jetten, von Hotel zu Hotel weiterzuziehen und jede Nacht eine andere Frau zu vögeln.
Doch neue Vorschriften, wachsende Gier und selbst der Einzug neuer Technologien haben all das verändert. Heute war ein Pilot nicht viel mehr als ein Busfahrer, der seine undankbaren Passagiere durch die Lüfte chauffierte. Und diese perfekte Balance aus Ingenieurskunst und einer gewissen Magie wurde gar nicht mehr gesehen, ja, man erinnerte sich nicht einmal daran.
»Entschuldigen Sie, Captain?« Ein Mann mit einem »I Love NY«-T-Shirt stand plötzlich vor mir und hielt mir sein Handy vors Gesicht. »Würde es Ihnen etwas ausmachen, ein Foto von uns zu machen? Wir haben versucht, ein Selfie zu machen, aber die Köpfe waren immer abgeschnitten.« Er lachte und deutete auf seine Familie – zwei Jungs und eine Frau in einem gelben Kleid. Sie lachten und posierten vor einem blauen »Willkommen in New York«-Schild.
Das Handy in seiner Hand ignorierend, starrte ich seine Familie an, deren Lachen mit jeder Sekunde unerträglicher wurde. Einer seiner Söhne winkte mir mit der einen Hand lächelnd zu und streckte mit der anderen ein Spielzeugflugzeug in die Höhe, um mich dazu zu bewegen, zurückzulächeln.
»Captain?« Der Familienvater sah mich an. »Könnten Sie bitte ein Foto von uns machen?«
»Nein.« Ich machte einen Schritt zurück. »Nein, kann ich nicht.« Da fiel mein Blick auf eine Stewardess, die auf uns zukam, und ich nickte in ihre Richtung. »Aber die Dame da hilft Ihnen bestimmt gerne weiter.«
Ohne seine Antwort abzuwarten, ging ich weiter und strebte geradewegs zur Tiefgarage.
Ich wollte nur noch so schnell wie möglich nach Hause.
Später am Abend …
Ich hielt mit dem Auto vor meinem Hochhaus, dem The Madison an der Park Avenue, an und wartete, bis einer der Parkdienst-Mitarbeiter an mein Fenster herantrat.
»Guten Abend, Sir.« Der Mann trug einen grauen Smoking und öffnete mir die Wagentür. »Wie lange gedenken Sie diesmal in der Stadt zu bleiben?«
»Vier Tage.« Ich stieg aus und warf ihm die Autoschlüssel zu. »Stellen Sie ihn bitte nahe am Eingang ab.«
»Wie Sie wünschen, Sir.«
Ich lief die steinernen Stufen, die ins Gebäude führten, hoch und blickte hinauf in den Abendhimmel. Zum ersten Mal seit ich mich erinnern konnte, waren die Sterne nicht von einer grauen Wolkendecke verdeckt. Hell und klar strahlten sie in der Dunkelheit und weckten wahrscheinlich bei so manchem Traumtänzer, der im Begriff war, sich in diese Stadt zu verlieben, falsche Hoffnungen.
»Willkommen daheim, Mr. Weston.« Der Pförtner, die einzige Konstante in meinem Leben, öffnete mir die Tür. »Wie ist die Lage hoch oben in den Lüften?«
»Wie immer, Jeff. Wie immer.«
»Waren Sie gerade in irgendeinem interessanten Land unterwegs?«
»Singapur.« Ich zog einen kleinen Satinbeutel aus der Tasche und überreichte ihm ihn. »Lokale Währung. Für Ihre Sammlung.«
»Danke, Sir«, lächelte er. »Übrigens lagen letzte Woche fünf Business-Class-Tickets nach Belgien in meinem Briefkasten. Ich kann mich nicht erinnern, Ihnen gegenüber je meinen Geburtstagswunsch erwähnt zu haben. Haben Sie irgendeine Idee, wer der geheime großzügige Spender ist, dem ich danken kann?«
»Keine Ahnung«, sagte ich, als ich an ihm vorüberging. »Aber das hätten First-Class-, nicht Business-Class-Tickets sein sollen, also falls Sie herausfinden, wer Ihnen die geschenkt hat, sollten Sie ihm sagen, dass er der Fluggesellschaft die Ohren dafür langziehen sollte.«
»Mach ich«, lachte er. »Einen schönen Abend noch, Mr. Weston.«
»Danke.« Ich betrat das Foyer und blieb stehen, damit sich meine Augen langsam an das grelle Licht der Kronleuchter gewöhnen konnten. Die Eigentümer führten jeden Monat irgendwelche Renovierungen oder unnötige Umbauten durch, was der Hauptgrund dafür war, dass ich mich hier nie richtig heimisch fühlte. Die beliebten Hotelketten, in denen ich bei meinen Zwischenstopps übernachtete, erschienen mir im Vergleich deutlich vertrauter und gastlicher.
Ich lief geradewegs zum Aufzug und wischte mit meiner Schlüsselkarte über das Lesegerät. Als ich sicher sein konnte, dass niemand zusteigen würde, wischte ich erneut über das Gerät und drückte »80« für die Penthouse-Suite.
Alle Bewohner dieses Gebäudes zählten zur angesehenen New Yorker Elite – Richter, Politiker, Ärzte, Anwälte, und alle zahlten exorbitante Preise, nur um eine der vier riesigen Wohnungseinheiten pro Etage zu mieten. Ich hingegen hatte eine ganze Etage für mich allein. Sie besaß eine lange Geschichte und war immer von einem Eigentümer zum nächsten übergegangen. Auch wenn ich sie kaum nutzte, weigerte ich mich, sie an die Hausbesitzer zurück zu verkaufen, egal wie lukrativ die Angebote waren, die mit jedem Jahr stiegen.
Sobald sich die Fahrstuhltüren öffneten, stieg ich aus und deaktivierte die Überwachungskameras, die in den Vasen auf dem Gang versteckt waren. Ich überprüfte, dass niemand die Drähte manipuliert hatte, und stellte sie wieder an ihren Geheimplatz zurück.
Nachdem ich die Doppeltür meines Apartments geöffnet hatte, zog ich meine Jacke aus und drückte auf den Lichtschalter. Im Großen und Ganzen war alles noch genauso, wie ich es verlassen hatte – bis auf den üblichen Kram, den die Reinigungsleute unbedingt hatten umstellen müssen.
Genervt brachte ich die Sammeledition-Coladosen auf meiner Anrichte wieder in Reih und Glied, stellte meine gekühlten Weinflaschen wieder in ihre ursprüngliche Position zurück und verriegelte die Fenster in meinem Wohnzimmer und meinem Empfangszimmer wieder. Ich warf ein paar vollkommen deplatzierte »Willkommen im The Madison«-Broschüren in den Müll und drehte die Klimaanlage auf die höchste Stufe, um den Erdbeerduft loszuwerden, den sie auf jede Oberfläche gesprüht hatten. Dann rückte ich meinen Lesesessel wieder weit weg vom Fenster, dort, wo er hingehörte.
Ich lief von Raum zu Raum und wusste bereits, was am falschen Ort stand, da ich meine Wohnung alle paar Wochen bei meiner Rückkehr genau in diesem Zustand vorfand.
Als ich sicher war, dass alles wieder seine Richtigkeit hatte, ging ich in meine Privatbibliothek und flippte beinahe aus. Sämtliche meiner fünfhundert Bücher waren jetzt nach ihrer Farbe, nicht alphabetisch, sortiert. Schlimmer noch, meine drei Lieblingsbücher lagen breit aufgeschlagen und mit einigen geknickten Seiten auf meinem Schreibtisch. Ein unverzeihlicher Affront.
Ich zog mein Handy heraus und schickte eine E-Mail an den Manager der Reinigungsfirma.
Betreff: Meine beschissene Wohnung
An den Verantwortlichen für diese Scheiße,
zum zigsten Mal: Es geht nicht an, dass Ihr inkompetentes Personal sich erdreistet, einfach meine ganzen Sachen umzustellen. Mir geht es ebenfalls gegen den Strich, dass Sie mein Apartment erneut für Wohnungsführungen und als »Testsuite« für potenzielle Mieter benutzt haben, und zulassen, dass irgendwelche Leute so tun, als ob sie hier wohnen würden, wann immer es ihnen beliebt.
Halten Sie sich gefälligst von meiner Wohnung fern, sofern Sie sie nicht reinigen. (Und hören Sie auf, überall diesen Erdbeerkram zu versprühen und nehmen Sie wieder Zitrone.)
J. Weston
Die Antwort des Leiters folgte prompt.
Betreff: Re: Meine beschissene Wohnung
Mr. Weston,
bei allem Respekt, und zum zigsten Mal: Wir haben Ihre Suite nur ein einziges Mal mit Ihrer Erlaubnis für eine Führung benutzt. Es kann keine Rede davon sein, dass wir Ihre Wohnung als »Testsuite« benutzen und wir würden niemals zulassen, dass potenzielle Mieter sich für ein paar Tage bei Ihnen häuslich einrichten, als wohnten sie dort.
Wir sind jedem Ihrer Wünsche nach Privatsphäre nachgekommen – haben zusätzliche Kameras angebracht, sichergestellt, dass niemand vom Reinigungspersonal außer mir selbst Ihren Namen kennt und Ihnen einen privaten Parkplatz zur Verfügung gestellt. Tatsächlich haben wir nur für Sie erst kürzlich zusätzliche Kameras über Ihrer externen Eingangstür angebracht, und laut unserem Überwachungsteam hat (außer dem Reinigungspersonal) niemand Ihre Wohnung in Ihrer Abwesenheit betreten.
Uns ist jedoch aufgefallen, dass SIE in den letzten Wochen öfter als üblich nach Hause zurückgekommen sind, und oft zu nachtschlafender Stunde.
Ich möchte damit nicht andeuten, dass Sie sich an diese Nächte nicht erinnern, aber womöglich haben Sie die Sachen in jenen Stunden in Ihrer Wohnung umgestellt und können sich einfach nur nicht mehr daran erinnern?
Ich möchte mich hiermit entschuldigen, falls meine Worte in irgendeiner Weise beleidigend oder unangemessen erscheinen.
Wir freuen uns wirklich sehr, Sie hier im The Madison als Bewohner zu haben, und falls Sie noch irgendetwas brauchen, dann geben Sie mir Bescheid. (Ich werde das Reinigungspersonal erneut daran erinnern, in Ihrer Wohnung nicht mehr diesen »Erdbeerkram« zu benutzen. Allerdings haben wir Zitrone leider nicht mehr … Möchten Sie stattdessen vielleicht den Duft frischer Bettwäsche?)
Mr. Sullivan
Manager Housekeeping
The Madison at Park Avenue
Ich antwortete nicht darauf. Ich musste nachdenken.
Die letzten paar Male, die ich hier geschlafen hatte, hatte ich nicht im eigentlichen Sinne »geschlafen«. Stattdessen war ich mit kaltem Schweiß bedeckt aufgewacht und aus dem Bett und nach unten gestolpert. Quasi schlafwandelnd war ich auf einem beinahe verwaisten Times Square umhergewankt, hatte auf die grellen, blinkenden Leuchtreklamen gestarrt und den nächtlichen Unterhaltungen umherstreifender Touristen zugehört.
Jedes Mal, wenn ich schließlich wieder den Weg nach Hause fand, hatte ich mich an meinen Sachen zu schaffen gemacht – allerdings nicht in der Hinsicht, dass ich sie umstellte. Sondern in der Hinsicht, dass ich alles kaputt schlug, was mir in die Hände fiel. Alles, was dabei zu Bruch ging, ersetzte ich am nächsten Tag rasch, damit es nicht dem Personal angehängt wurde, aber ich konnte mich nicht daran erinnern, dass ich die Geduld besessen hätte, irgendwelches Mistzeugs sinnlos umzustellen.
Die wenigen anderen Male, die ich mitten in der Nacht nach Hause gekommen war, war ich von einem Schäferstündchen mit einer Frau in einem Hotel zurückgekehrt. Jene Nächte hatten im Tiefschlaf geendet, nicht in sinnlosen Umräumaktionen.
Zumindest dachte ich das.
Ich nahm auf der Couch mit Blick zum Fenster Platz und ließ immer wieder die vergangenen Monate geistig Revue passieren, wobei mir allmählich noch ein paar weitere schlaflose, schlafwandlerische Nächte einfielen. Ich wollte mich beim Housekeeping-Manager gerade per E-Mail »für das Missverständnis« entschuldigen, als ich ein aufgeschlagenes Kreuzworträtselheft entdeckte, das unter meinem Sitzpolster steckte. Ein komplett NICHT IN MEINER HANDSCHRIFT ausgefülltes Kreuzworträtsel.
Als ich durch das Buch blätterte, bemerkte ich, dass nicht nur die erste Seite ausgefüllt war, sondern dass auch alle anderen Rätsel vollgeschmiert und in einer fremden Handschrift mit blauem und schwarzem Kuli gelöst worden waren.
Ich wusste doch, dass der Typ mich verarscht …
Ich begann, eine weitaus angemessenere Antwort zu verfassen, als eine weitere E-Mail auf meinem Bildschirm aufpoppte.
Betreff: FCE
Sehr geehrter Mr. Weston,
mein Name ist Lance Owens, ich bin der Leiter der Abteilung für Personalangelegenheiten bei Elite Airways und war letztes Wochenende bei Ihrem abschließenden Profilgespräch als Augenzeuge anwesend.
Wenngleich Sie meiner Kollegin gegenüber angegeben haben, es interessiere Sie nicht, wofür »FCE« stehe, und Ihre Antwort auf ihre E-Mail mit der Definition noch aussteht, denke ich, Sie sollten darüber Bescheid wissen.
Ein »FCE«-Vermerk bedeutet, dass der Vorstand Ihre bisherige Laufbahn einhellig als so beachtlich eingestuft hat, dass Sie ab sofort ein unverzichtbares Mitglied von Elite Airways sind. Ich hänge Ihnen ein Dokument mit näheren Erläuterungen dazu an, was das konkret für Sie bedeutet. Falls Ihnen eines Tages der Sinn danach stehen sollte, mit uns zu reden, wäre es schön, wenn Sie uns erklären könnten, wie Sie als jemand, der zu uns versetzt wurde, diesen Status ergattert haben, während unsere Piloten normalerweise zehn Jahre durchgehend für Elite Airways im Einsatz gewesen sein müssen, um überhaupt dafür infrage zu kommen. Auch wenn ich angesichts Ihrer glänzenden Laufbahn und all Ihrer Auszeichnungen sicher bin, dass dieser Titel wohlverdient ist.
Ich hoffe, Sie werden sich bei uns wohlfühlen.
Dr. Owens
Leiter der Abteilung Personalangelegenheiten, Elite Airways
Ich öffnete die angefügte Datei, schaffte es aber nur, mir den ersten Absatz durchzulesen.
Dieses Arschloch …
~BLOGEINTRAG~
Vor sechs Jahren …
Oh, New York!
New York, New York, New York!
Alle in meiner Familie haben mich vor dir gewarnt. Sie meinten, du würdest mich mit deinen gleißenden Lichtern und glitzernden Leuchtreklamen hierherlocken, mit dem süßen Duft des Erfolgs, der aus den Fenstern der Wall Street strömt, und mit den Hoffnungen und Träumen, die den Hudson River hinauf- und hinabgetragen werden.
Sie meinten, du würdest mich in deinen Strudel hinabziehen und mich verschlingen …
»Du wirst dort keinen Monat überleben«, warnte mich meine Mutter. »Diese Stadt ist nur etwas für Leute, die tatsächlich etwas vorzuweisen haben.«
»Du hast nicht das Zeug dazu und wirst es auch nie haben«, lautete das Urteil meiner ältesten Schwester.
»Aber ich will hinterher keine Beschwerden hören, wenn du uns anbettelst, zurückkommen zu dürfen, und wir dir sagen müssen: Tja, wir haben es dir von Anfang an gesagt.« Das war die Botschaft meines Vaters, die er mir am Tag meiner Abreise per SMS schickte. Bevor er dann anfügte: »Ich gebe dir allerhöchstens einen Monat, dann kommst du eh zurück.«
Tja. Inzwischen sind es SECHS MONATE und ich habe allen dreien (und dem Rest meiner demotivierenden Familie) gezeigt, dass sie falsch lagen. SO WAS VON FALSCH.
Mit nur dreiundzwanzig Jahren lebe ich ein Leben, wie ich es mir in meinen kühnsten Träumen ausgemalt habe. Ich wohne wenige Straßen vom Central Park entfernt in einem vollmöblierten Apartment in der Lexington Avenue, habe wöchentlich Dates mit netten Typen in Cafés, die tatsächlich noch Gentlemen sind und an die romantische Liebe glauben, und arbeite für eines der renommiertesten Häuser in ganz Manhattan. (Zugegeben bin ich den halben Tag damit beschäftigt, Kaffee zu holen, und schiebe ständig Überstunden, aber es war mein Traum, hier zu arbeiten, seit ich dreizehn war, insofern ist mir das egal.)
Und als ob das nicht genug wäre, habe ich erst heute Morgen eine sensationelle Neuigkeit erfahren (eigentlich zu schön, um wahr zu sein!), die ich allerdings noch nicht verraten kann. Aber ich habe so ein Gefühl, dass ich schon bald darüber schreiben werde.
Bis dahin wollte ich einen Neubeginn mit diesem Blog wagen, nachdem mein alter vor sich hin vegetiert ist. Einen besseren Auftakt könnte ich mir gar nicht wünschen, als sagen zu können: Das Leben könnte nicht schöner sein.
Ich hoffe, dieses Gefühl hält für immer an.
Wir lesen uns später,
Gillian Taylor
Gillian
G. T.
T. G.
TayG
**Taylor G.**
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New York (JFK)
Heutiger Tag
Ich glaube, ich hasse mein Leben …
»Einen schönen Tag in New York!«, wünschte ich lächelnd den Passagieren der ersten Klasse, die an mir vorüberliefen und aus dem Flugzeug ausstiegen. »Vielen Dank, dass Sie sich für Elite Airways entschieden haben! Viel Spaß im Big Apple!«
»Ich hoffe, Sie hatten einen angenehmen Flug mit uns!« Christina, die andere Flugbegleiterin an Bord, stimmte in meine Abschiedsgrüße ein. »Uns war es eine Freude, mit Ihnen zu fliegen!«
An manchen Tagen glaubte ich meinen beschwingten Worten sogar, aber heute war definitiv nicht einer dieser Tage. Obwohl die Passagiere auf dem heutigen Flug alle ziemlich umgänglich gewesen waren, war diese Reise nicht mehr als eine endlose Wiederholung aller Flüge, denen ich im letzten Jahr zugeteilt worden war. Eine dezente Erinnerung daran, dass ich noch keine »richtige« Flugbegleiterin war, sondern noch immer nur »Reserve«. Ein Jahr und ich fragte mich noch immer, wann all die Versprechungen, die im monatlichen Mitarbeitermagazin standen, endlich auch für mich wahr werden würden.
Jeden dritten Sonntag, zuverlässig wie ein Schweizer Uhrwerk, flatterte das Hochglanzmagazin »How We Fly« in meinen Briefkasten – und verhöhnte mich mit seinen gebrochenen Versprechen und hübschen Bildchen und hielt mir all die Gründe vor Augen, wieso ich mich überhaupt erst für diesen Job beworben hatte. Es war die Vorstellung gewesen, innerhalb eines Monats so aufregende Orte wie London, Mailand und Tokio zu besuchen. Die Möglichkeit, an meinen freien Tagen durch Weinberge und über verschlungene Feldwege zu schlendern. Und auch der etwas eitle Wunsch, in einer der berühmten blauen Uniformen über die Gänge der Flughäfen zu stolzieren und die eigens von der Fluglinie ausgegebenen Louboutin-High-Heels zu tragen und genau wie jene glamourösen Frauen in der Werbung auszusehen.
Mit anderen Worten, ich hatte das Kleingedruckte nicht gelesen. Es bestand lediglich die »Chance«, jede Nacht in eine andere faszinierende Stadt zu fliegen. Und die einzigen Wege, über die ich »schlenderte«, waren die fünf Schritte vom Flughafen-Shuttlebus zum Hotel. Und solange ich noch zum Reservepersonal gehörte, würde ich weiterhin in letzter Minute auf Kurzstrecken arbeiten, während sich die Flugbegleiter mit höherer Seniorität die besten Routen vorab sicherten.
»Ist das nur mein Eindruck, oder sind das die langsamsten Passagiere, die wir je hatten?«, murmelte Christina.
»Definitiv die langsamsten Passagiere, die wir je hatten.« Wie ich erst jetzt bemerkte, hatten Reihen fünfzehn bis dreißig noch nicht einmal ihre Gepäckfächer geöffnet.
Oh Mann, ich komme heute Abend auf jeden Fall zu spät …
»Haben die von der Dienstplanung dir endlich erlaubt, Flüge zu beantragen, oder machst du immer noch Reserve-Dienst, Gillian?«
»Reserve.«
»Echt? Es ist schon ein Jahr her, seit ich dich zuletzt gesehen habe, und du machst immer noch Reserve-Dienst?«, fragte sie mich ungläubig.
Ich zog ein deprimiertes Gesicht, woraufhin sie lachte.
»Sorry. Falls es dich tröstet, immerhin wohnst du richtig in New York und musst dir kein Mehrbett-Crashpad mit anderen Flugbegleitern teilen, die du nicht einmal kennst.«
»Da hast du wohl recht …«, erwiderte ich begeisterungslos, und sie warf mir einen mitfühlenden Blick zu.
Wir blieben gefühlt eine Ewigkeit im Vorderteil des Flugzeugs stehen und behielten unseren gut gelaunten Tonfall bei, während die Hockeymannschaft im hinteren Teil des Flugzeugs schneckenlahm durch den Gang kroch.
Als der letzte Spieler endlich aus dem Flugzeug gestiegen war, schnappte ich meine Tasche, verabschiedete mich in aller Schnelle vom Piloten und von Christina und düste durch die Gangway. Mir blieben genau zwanzig Minuten, um den nächsten Bus nach Manhattan zu erwischen.
In Terminal 7 angekommen, rauschte ich an den Gates vorbei und rempelte bei jedem Schritt Horden von Touristen an. All die Restaurantschilder, Geschenkladenvitrinen und Kaffeestände verwischten zu einem Lichtschweif. All die Gespräche zwischen den Touristen, die Streitigkeiten zwischen den Gate-Mitarbeitern und die Lautsprecherdurchsagen verschwammen zu einem Hintergrundrauschen. Alles, was ich hörte, war das Klackern meiner Absätze auf dem frisch polierten Boden.
Mein Uniformrock rutschte an meinen Schenkeln nach oben, als ich mich dem Ausgangsbereich näherte, aber ich hatte keine Zeit, ihn herunterzuziehen. Also rannte ich weiter, an den laufbandartigen Fahrsteigen vorbei, bis ich zur Gepäckausgabe gelangte.
Mir blieben nur noch wenige Minuten, als ich auf die Toilette verschwand und mich in einer Kabine einschloss. Ich löste meine Fliegerschwinge-Anstecknadel und mein Namensschild und verstaute beides in meiner Handtasche. Dann zog ich meine marineblaue Uniform über den Kopf und tauschte sie gegen ein schwarzes Vintage-Cocktailkleid und eine unechte weiße Perlenkette.
Gegen die Tür gelehnt, um das Gleichgewicht zu halten, zog ich meine grauen High Heels aus und schlüpfte in ein Paar glitzernde rote Pumps.
Hektisch verließ ich die Kabine – und stolperte fast über meine eigenen Füße, als ich vor den Spiegel trat. Ich blinzelte ein paarmal und sah, dass meine Augenlider noch immer mit dem »freundlichen hellrosa« Lidschatten bedeckt waren, der von der Fluggesellschaft vorgeschrieben wurde, und dass meine Lippen noch immer in einem sexy Knallrot gefärbt waren.
Das dürfte gehen …
Ich zerrte meine Haare aus dem Dutt und ließ meine schwarzen Locken über die Schultern fallen. Dann fuhr ich mir ein paarmal mit den Fingern durchs Haar und rauschte nach draußen zu den ganzen Shuttle- und Transferdiensten.
Während ich mich durch die wartenden Reisenden quetschte, rannte ich so schnell ich konnte zur Bushaltestelle. Hektisch wedelte ich mit den Armen und schrie: »Anhalten bitte! Warten Sie!«, während der Bus von der Bordsteinkante davonrollte, doch vergeblich. Der Bus fuhr weg, ehe ich ihn erreichen konnte.
Oh Mann …
Fluchend zog ich mein Handy aus der Tasche und bestellte einen Uber-Wagen. Als ich zurücktrat, bemerkte ich eine Gruppe von Frauen, die auf etwas in der Ferne deuteten. Sie liefen rot an wie Schulmädchen und kicherten, als hätten sie soeben einen Prominenten entdeckt.
Ich folgte ihrer Blickrichtung, sah aber lediglich einen Piloten. Beziehungsweise seinen Rücken. Er ging auf ein schwarzes Auto zu und starrte auf sein Handy hinab, auf das er frenetisch eintippte, während seine vier goldenen Schulterstreifen im Licht glänzten und um Aufmerksamkeit buhlten. Allein an seinem Gang konnte ich ablesen, dass er enorm von sich überzeugt war – der Typ Mann, der dachte, die Welt drehe sich um ihn ganz allein. Der Typ, der wahrscheinlich alles in seinem Leben in den Hintern geschoben bekommen hatte.
Als er in den wartenden Wagen stieg, blickte ich angestrengt in seine Richtung, um einen Blick auf sein Gesicht zu erhaschen – ich wusste, dass er ganz sicher nicht halb so attraktiv wäre wie die kichernden Frauen glauben machten. Piloten waren normalerweise schon älter und nicht unbedingt von der ansehnlichsten Sorte. Eher von der eingebildeten, arroganten und untreuen Sorte. Vor allem untreu.
»Sind Sie Gillian?«, rief mir ein Mann aus dem heruntergelassenen Fenster eines roten SUV zu. »Hatten Sie ein Uber-Taxi bestellt?«
Ich nickte und sofort stieg er aus und öffnete die Hintertür für mich.
»233 Broadway«, sagte er, als er zum Fahrersitz zurückkehrte. »Sie wollten zum Woolworth Building, richtig?«
»Richtig.«
»Okay, bitte anschnallen.« Damit fuhr er vom Taxistand los und direkt in den warmen Regen New Yorks hinein.
Vor der Windschutzscheibe quietschten die Scheibenwischer beim Vor- und Zurückwischen, während die Autos ringsum im dichten Gedränge einander anhupten, um ihr Vorrecht auf der Straße zu behaupten.
Da ich ahnte, dass es wohl länger dauern würde, nach Manhattan reinzufahren, schrieb ich schnell eine SMS an meinen Freund Ben.
Gillian: Bin erst vorhin gelandet. Hab ein Uber-Taxi erwischt, aber wir kommen nur zäh voran.
Ben: Ein Uber-Taxi? Gott, Gillian, warum lässt du dich nicht einfach vom Chauffeur meiner Familie fahren? Das wäre wirklich gar kein Problem.
Gillian: Nächstes Mal vielleicht. Wie läuft die Eröffnungsparty deiner Mum denn bisher so?
Ben: Super. Jeder, der etwas zählt, ist da, kein unbekanntes Gesicht weit und breit. Und die Presse kriegt nicht genug.
Gillian: