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Über den Umgang mit Menschen heißt das bekannteste Werk des Schriftstellers August Freiherr von Knigge. Es erschien im Jahr 1788 in erster und dann auch in zweiter Auflage. Die dritteAuflage erschien zwei Jahre später, in 1790. Das eher soziologisch oder sozialpsychologisch ausgerichtete Buch wurde schon zu Lebzeiten des Autors sehr schnell ein großer Erfolg und steht heute noch unter der Kurzbezeichnung "der Knigge" für gute Umgangsformen, Benimm und Etikette, was allerdings dem Inhalt des Beches nicht ganz gerecht wird.
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Seitenzahl: 542
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Inhalt des ersten Teiles
Einleitung
Warum man mit großen und glänzenden Eigenschaften dennoch nicht immer in der Welt sein Glück mache? Über den esprit de conduite. Mancher will sich nicht nach den Sitten andrer fügen; manchem fehlt es dazu an der nötigen Weltkenntnis; mancher ist zu voll Forderungen. Aber auch mit dem besten Willen und guten Anlagen glückt es nicht jedem; warum?
In Deutschland ist es schwer, allgemein gute Eindrücke in Gesellschaften zu machen; warum? Bilder von Verschiedenheit des gesellschaftlichen Tons in einigen Provinzen von Deutschland und Bilder von den Sitten verschiedener Stände.
Von meinem Berufe über diesen Gegenstand zu schreiben.
Meine eigenen Erfahrungen.
Erstes Kapitel
Allgemeine Bemerkungen und Vorschriften über den Umgang mit Menschen
Jeder Mensch muß sich in der Welt selbst gelten machen. Anwendung dieses Satzes.
Strebe nach Vollkommenheit; aber nicht nach dem Scheine der Vollkommenheit!
Sei nicht zu sehr ein Sklave der Meinung andrer!
Enthülle nicht die Schwächen Deiner Nebenmenschen!
Eigne Dir nicht das Verdienst andrer zu!
Verbirg Deinen Kummer!
Rühme nicht zu laut Dein Glück!
Verliere nicht die Zuversicht!
Suche Gegenwart des Geistes zu haben!
Nimm, so wenig als möglich, von andern Wohltaten an!
Halte streng Wort und sei wahrhaft!
sei pünktlich, ordentlich, fleißig!
Interessiere Dich für andre, wenn Du willst, daß andre sich für Dich interessieren sollen!
Sei nicht zu offen herzig!
Alle Menschen wollen amüsiert sein. Über das Spaßmachen.
Sage jedem etwas Lehrreiches oder Angenehmes! Über Schmeichelei.
Über Spott und Medisance.
Über Anekdoten.
Trage keine Nachrichten aus einem Hause in das andre!
Sei vorsichtig in Tadel und Widerspruch!
Rede nicht zu viel und nicht langweilig!
Noch von Dingen, die nur Dich interessieren!
Über Egoismus.
Widersprich Dir nicht im Reden!
Wiederhole Dich nicht!
Vermeide Zweideutigkeiten
;
Gemeinsprüche
;
Unnütze Fragen!
Lerne Widerspruch ertragen!
Wo man sich zur Freude versammelt, da rede nicht von Geschäften!
Über Religionsgespräche.
Sei vorsichtig in Gesprächen über andrer Gebrechen!
Regeln beim Briefwechsel.
Suche niemand lächerlich zu machen!
Schrecke, zerre, beunruhige und necke niemand!
Bringe bei niemand unangenehme Dinge in Erinnerung!
Nimm nicht teil an fremdem Spotte!
Über Disputiergeist.
Laß jeden seine Handlungen selbst verantworten, wenn Du nicht sein Vormund bist!
Betragen, wenn uns Langeweile gemacht wird.
Über Verschwiegenheit
;
Leichtigkeit im Umgange
;
Wohlredenheit und äußerlicher Anstand
;
Kleidung.
Über kleine gesellschaftliche Unschicklichkeiten.
Soll man viel oder wenig in Gesellschaften gehn?
Man hüte sich vor zu großen Forderungen!
Unterschied im äußern Betragen.
Sei, was Du bist, immer und ganz!
Gib andern Gelegenheit zu glänzen!
Man kann in jeder Gesellschaft etwas lernen.
Mit wem soll man umgehn?
Über den Umgang in großen Städten, in kleinern, und auf dem Lande.
In fremden Gegenden.
Verflechte niemand in Deine Privat-Zwistigkeiten!
Wenn Du etwas in der Welt erlangen willst, so mußt Du darum bitten.
Grenzen der Dienstfertigkeit.
Wie man die Menschen beurteilen solle.
Vorsichtigkeits-Regeln.
Ob diese Regeln für alle Menschen passen?
Vor allen Dingen handle immer konsequent!
Habe immer ein gutes Gewissen!
Inwiefern auch Frauenzimmer von diesen Regeln Gebrauch machen können.
Zweites Kapitel
Über den Umgang mit sich selbst
Es ist nützlich und interessant, über dem Umgang mit andern Menschen seine eigene Gesellschaft nicht zu vernachlässigen.
Es kommen Augenblicke, wo wir uns selbst am nötigsten sind.
Gehe eben so vorsichtig, fein, redlich und gerecht mit Dir selber um als mit andern!
Sorge für Deine Gesundheit, aber verzärtle Dich nicht!
Respektiere Dich selbst und habe Zuversicht zu Dir selber!
Verzweifle nicht bei dem Bewußtsein mangelnder Vollkommenheiten, bei den Schwierigkeiten, ein großer Mann zu werden!
Sei Dir ein angenehmer Gesellschafter!
Aber sei Dir auch kein Schmeichler, sondern ein aufrichtiger und gerechter Freund! Sei ebenso streng gegen Dich, als Du gegen andre bist!
Wie man Abrechnung mit seiner Moralität halten solle.
Drittes Kapitel
Über den Umgang mit Leuten von verschiedenen Gemütsarten, Temperamenten und Stimmungen des Geistes und Herzens
Über die vier Haupt-Temperamente und deren Mischungen.
Über herrschsüchtige Leute.
Über Ehrgeizige.
Eitle.
Hochmutige, im Gegensatze von Stolzen.
Über sehr empfindliche Leute.
Über den Umgang mit Eigensinnigen.
Mit Zanksüchtigen, Widersprechern und solchen, die Paradoxa lieben.
Mit Jähzornigen.
Mit Rachgierigen.
Mit unentschlossenen, faulen und phlegmatischen Leuten.
Mit menschenfremden, mißtrauischen, argwöhnischen, mürrischen und verschlossenen Leuten.
Mit neidischen, hämischen, verleumderischen, schadenfrohen, mißgünstigen und eifersüchtigen Menschen.
Über den Geiz und die Verschwendung.
Über das Betragen gegen Undankbare.
Gegen ränkevolle Leute und Lügner.
Gegen Windbeutel.
Gegen Unverschämte, Müßiggänger, Schmarotzer, Schmeichler und zudringliche Leute.
Gegen Schurken.
Gegen zu bescheidene, zu furchtsame Menschen,
Gegen Unvorsichtige und Plauderhafte, Vorwitzige und Neugierige, Zerstreute und Vergessene.
Gegen Wunderliche, Sonderlinge und Launenhafte.
Über den Umgang mit dummen, schwachen, übertrieben gutherzigen, leichtgläubigen und solchen Menschen, die gewisse Liebhabereien und Steckenpferde haben.
Mit munteren und satirischen Leuten.
Mit Trunkenbolden, groben Wollüstlingen und andern lasterhaften Leuten.
Mit Enthusiasten, Überspannten, Romanhaften, Kraftgenies und exzentrischen Leuten.
Etwas von Andächtlern, Heuchlern und abergläubischen Leuten.
Von Deisten, Freigeistern und Religionsspöttern.
Über die Art, wie man Schwermütige, Tolle und Rasende behandeln müsse. Geschichte zweier Wahnsinniger.
Inhalt des zweiten Teiles:
Einleitung
Nachricht von der Art der Einteilung aller in den drei Bänden dieses Werks verhandelten Gegenstände.
Erstes Kapitel
Von dem Umgange unter Personen von verschiedenem Alter.
Der interessanteste Umgang hat wohl unter Menschen von gleichen Jahren statt, doch verrücken Temperament, Erziehung u.dgl. auch hier die Grenzen.
Alte Leuten sollen die Freuden der jüngeren nicht stören, sondern so viel möglich sich in die frühern Jahre zurückdenken.
Sie sollen aber nicht auf eine lächerliche Art jung scheinen wollen.
Ihr Umgang muß der Jugend lehrreich sein.
Es ist nicht mehr Mode, ältern Leuten Achtung zu beweisen; die heutige Generation ist weit klüger als die Väter waren; der Verfasser gehört aber noch zur alten Welt.
Regeln, wie sich Jünglinge gegen alte Leute betragen sollen.
Über den Umgang mit Kindern.
Zweites Kapitel
Von dem Umgange unter Eltern, Kindern und Blutsverwandten.
Ob Anhänglichkeit an Familie und Vaterland Vorurteil sei. Etwas über Weltbürger-Geist.
Über das Betragen der Eltern gegen ihre Kinder.
der Kinder gegen ihre Eltern.
Über den Umgang unter Verwandten. Etwas von alten Oheimen und Basen.
Drittes Kapitel
Von dem Umgange unter Eheleuten.
Gute Wahl der Gatten ist das sicherste Mittel zu künftigem Eheglücke, und das Gegenteil hat traurige Folgen.
warum so manche in der Jugend mit sehr wenig Überlegung geschlossene Ehen dennoch glücklich ausfallen?
Ob vollkommene Gleichheit in Temperamenten und Denkungsart zu einer glücklichen Ehe notwendig sei?
Vorschriften, welche man beobachten soll, um sich einander immer neu, angenehm und wert zu bleiben.
Hauptregel: Erfülle sorgsam jede Deiner Pflichten!
Wie wir uns zu verhalten haben, wenn die liebenswürdigen Eigenschaften fremder Personen zu lebhafte Eindrücke auf unsre Ehegenossen machen.
Wie man sich gegen solche Eindrücke wappnen solle, besonders gegen die feinern Koketten; in der Jugend; im reifern Alter.
Eheliche Pflicht schließt aber nicht alle zärtlichen Empfindungen für andre Personen aus.
Man soll voneinander auch nicht Aufopferung alles eigenen Geschmacks, aller andern unschuldigen Neigungen verlangen, sich aber nach und nach in gleiche Stimmung zu setzen suchen.
Wie man wirkliche Ausschweifungen vermeiden solle?
Ob man Geheimnisse voreinander haben dürfe?
Jeder Ehegenosse soll seine angewiesenen Geschäfte haben.
Wie es mit Verwaltung der Kassen zu halten?
Wie aber, wenn ein Teil die Verschwendung liebt? Häusliche Sparsamkeit ist ein Mittel zum Eheglücke.
Ist es besser, daß der Mann oder daß die Frau reich sei? Ersteres! warum? Betragen gegen eine reiche Frau.
Ist es besser, daß der Mann klüger sei als das Weib, oder umgekehrt?
Ob man seiner Gattin sein Unglück klagen dürfe? Verhalten in wirklichen Unglücksfallen.
Betragen bei gar zu großer Ungleichheit der Denkungsart.
Wie man sich verhalten solle, wenn das Schicksal uns mit einer unmoralischen lasterhaften Person auf ewig verbunden hat.
Leide nicht, daß Fremde sich in Deine häuslichen Geschäfte mischen! Etwas über böse alte Schwiegermütter.
Über Verletzung ehelicher Treue und Ehescheidung.
Ob diese Regeln auch anwendbar auf die Ehen unter sehr vornehmen und sehr reichen Leuten sind.
Viertes Kapitel
Über den Umgang mit und unter Verliebten.
Kurze Vorschrift, wie man mit Verliebten umgehn solle.
Warum man den Verliebten keine Vorschriften für ihren Umgang untereinander geben könne?
Glückseligkeit der ersten Liebe, im Gegensatz mit den Empfindungen eines Herzens, das schon oft Tausch und Handel getrieben.
Eifersucht und Zwist unter Verliebten knüpfen das Hand fester, doch nicht die Eifersucht einer Kokette.
Ob Weiber oder Männer inniger und beständiger lieben?
Sei verschwiegen in der Liebe! Es gibt ein Glück, das man sich selbst kaum gesteht, und Gefälligkeiten, die ihren Wert verlieren, wenn sie erläutert werden.
Warnung vor übereilten Eheversprechungen.
Nach dem Bruche mit der Geliebten soll man edel handeln.
Fünftes Kapitel
Über den Umgang mit Frauenzimmern.
Erklärung des Verfassers über das, was er etwa zum Nachteile des weiblichen Geschlechts in diesem Kapitel sagen müßte.
Umgang mit Frauenzimmern dient zur Bildung des Jünglings und gewährt reine Freuden.
Warum äußere und innere Vorzüge nicht immer das einzige sichre Mittel sind, uns in dem Umgange mit Frauenzimmern angenehm zu machen.
Die Frauenzimmer lieben an den Männern keine Infirmitäten; warum?
Warum man es den Damen nicht zum Vorwurfe machen solle, wenn sie sich für ausschweifende Männer interessieren?
Was für ein Anzug den Weibern an uns gefällt.
Man soll nicht mehrern Frauenzimmern zugleich einerlei Huldigung bezeigen
;
Nicht in ihrer Gegenwart andre Damen von eben solchen Ansprüchen zu sehr loben.
Bestrebe Dich, ein angenehmer Gesellschafter zu sein, wenn Du den Damen gefallen willst! Schmeichelei gefällt ihnen vorzüglich wohl.
Über die Neugier der Weiber.
Wie man sich nach ihren Launen richten müsse? Man soll sich ihnen nicht aufdrängen.
Sie finden Vergnügen an kleinen Neckereien.
Man lasse ihnen den Triumph und beschäme sie nicht!
Über Weiberrache.
Wie man sich hüten könne nicht verliebt zu werden?
Niederträchtigkeit derer, die junge Mädchen betrügen, täuschen, verführen, zu Grunde richten.
Über den Umgang mit Koketten und Buhlerinnen.
Etwas von gelehrten Weibern.
Über die Verstellung der Weiber.
Über alte Koketten, Prüde, Spröde, Betschwestern, Gevatterinnen.
Noch etwas im allgemeinen, von den Freuden im Umgange mit edlen und verständigen Weibern.
Sechstes Kapitel
Über den Umgang unter Freunden.
Über die Wahl der Freunde, in der Jugend und im reifern Alter.
Inwiefern zur Freundschaft Gleichheit des Alters, des Standes, der Denkungsart und der Fähigkeiten erfordert werde?
Warum sehr vornehme und sehr reiche Leute wenig Sinn für Freundschaft haben:
Rechne nie auf die dauerhafte Freundschaft solcher Menschen, die von unedlen, heftigen oder törichen Leidenschaften regiert werden!
Ob es so schwer sei, treue Freunde zu finden? Wie sie beschaffen sein müssen? Ob man deren viele antreffe?
Bestimmung der Grenzen der Anhänglichkeit für einen Freund.
Freunde in der Not.
Ob man seinen Freunden sein Unglück klagen solle?
Was wir tun sollen, wenn uns ein Freund seine Not klagt?
Grenzen der Vertraulichkeit.
Schmeichelei muß unter Freunden wegfallen, nicht aber Gefälligkeit. Man muß den Mut haben, Wahrheit zu sagen und anzuhören.
Vorsichtigkeit im Fordern und Annehmen von Freundschaftsdiensten, Wohltaten und Gefälligkeiten.
Wie man es anzufangen habe, daß wir unserm Freunde nicht überlästig werden, und daß der öftere, zu vertrauliche Umgang nicht widrige Eindrücke erzeuge? Daß man auch Trennung von geliebten Freunden ertragen lernen müsse.
Über den Briefwechsel mit abwesenden Freunden.
Über Eifersucht in der Freundschaft.
Alles, was Deinem Freunde angehört, sei Dir heilig!
Man soll seine Freunde nicht nach der Warme beurteilen, die sie äußerlich zeigen.
Man soll nicht ängstlich um Freunde werben.
Es gibt Menschen, die gar keine vertrauten Freunde haben, und andre, die jedermanns Freunde sind.
Vorschriften über die Aufführung, wenn Mißverständnisse unter Freunden entstehen.
Wie aber, wenn uns Freunde täuschen, verlassen, oder wir uns in unsrer Meinung von ihnen betrogen glauben?
Betragen nach dem Bruche mit einem uns würdig befundenen Freunde.
Siebentes Kapitel
Über die Verhältnisse zwischen Herrn und Diener.
Man soll der unterwürfigen Menschenklasse die Dienstbarkeit leicht zu machen suchen.
Die mehrsten Menschen scheinen zwar zur Sklaverei geboren zu sein; woher aber das komme?
Doch fühlen sie den Wert des größern Verdienstes und einer edlen Behandlung. Regeln, daher genommen. Gutes Beispiel wird empfohlen.
Nachsicht und Vertraulichkeit mit Dienstboten soll nicht übertrieben werden. Mittel, gut bedient und von seinen Leuten geliebt zu werden.
Auf welchem Fuß gewöhnlich heutzutage der Hausvater mit dem Gesinde lebt. Vorteile und Nachteile von dem Unternehmen, seine Domestiken sich selber zu erziehen.
Warum man das Gesinde nicht schlagen noch schimpfen solle?
Betragen gegen fremde Bediente.
Über Friseurs, Barbiers und Putzmacherinnen.
Etwas über das Betragen des Dieners gegen den Herrn.
Diebstahl zu hindern.
Achtes Kapitel
Betragen gegen Hauswirte, Nachbarn und solche, die mit uns in demselben Hause wohnen.
Nächst den ersten natürlichen Verhältnissen ist man zuerst seinen Nachbarn und Hausgenossen Rat, Tat und Hülfe schuldig.
Man soll sich ihnen aber nicht aufdrängen noch ihre Handlungen ausspähn.
Kleine Gefälligkeiten gegen Personen, die unter, neben uns und uns gegenüber wohnen.
Verhalten gegen Hauswirte und Betragen des Hauswirts gegen Mietsleute.
Kleine Mißhelligkeiten müssen gleich geschlichtet werden.
Neuntes Kapitel
Über das Verhältnis zwischen Wirt und Gast.
Über die Rechte der Gastfreundschaft in alten und neuern Zeiten.
Einige Regeln für den, welcher Gastfreundschaft erzeigt.
Betragen des Gastes gegen den Wirt.
Es gibt Menschen, die den Wert der erwiesenen Gastfreundschaft zu hoch anrechnen.
Zehntes Kapitel
Über das Verhältnis zwischen Wohltätern und denen, welche Wohltaten empfangen, wie auch unter Lehrern und Schülern, Gläubigern und Schuldnern.
Dankbarkeit für empfangene Wohltaten. Auch dann, wenn uns der Wohltäter nicht mehr nützen kann.
Man soll nie durch unedle Schmeichelei Wohltaten weder erringen noch vergelten. Ob erwiesene Menschenpflicht besondern Dank verdiene?
Grenzen der Dankbarkeit gegen schlechte Menschen.
Über die Art, Wohltaten zu erzeigen, und über den Umgang mit dem, welchem man sie erwiesen.
Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler. Betragen gegen Personen, die sich dem Erziehungsgeschäfte widmen.
Über das Betragen gegen Schuldner und Gläubiger.
Elftes Kapitel
Über das Betragen gegen Leute in allerlei besondern Verhältnissen und Lagen.
Gegen Feinde, Beleidiger und Beleidigte.
Über den Umgang mit Leuten, die einander feind sind.
Über die Art, Kranke zu behandeln.
Über das Betragen gegen Arme, Leidende, Verlassene, Verirrte und Gefallene.
Zwölftes Kapitel
Über das Betragen bei verschiedenen Vorfällen im menschlichen Leben.
In eigenen und fremden Gefahren.
Auf Reisen. Einige Regeln, um bequem, angenehm, wohlfeil und nützlich zu reisen.
Über das Betragen in Gesellschaft betrunkener Leute.
Regeln beim Ratgeben und Ratfragen.
Bei feierlichen Gelegenheiten, und
Beim Tanze.
Inhalt des dritten Teils
Einleitung
Übergang zu den in diesem Teile verhandelten Gegenständen.
Erstes Kapitel
Über den Umgang mit den Großen der Erde, mit Fürsten, Vornehmen und Reichen.
Charakter der mehrsten Großen und Reichen.
Unterschied im Umgange mit ihnen, je nachdem man von ihnen abhängt, ihrer bedarf oder nicht.
Man soll sich den Vornehmern und Reichern auf keine Weise aufdrängen.
Man muß sich nicht das Ansehn geben, als gehörte man zu der Klasse der Vornehmen oder lebte mit ihnen in der engsten Vertraulichkeit, noch ihre Gewohnheiten oder gar ihre Fehler sich eigen machen.
Man baue nicht auf alle freundlichen Blicke der Großen und lasse sich da durch nie bewegen, sich mit ihnen gemein zu machen!
Grenzen der Gefälligkeit gegen solche Großen, in deren Händen unser bürgerliches Glück ist.
Man soll sich von ihnen zu unedeln und gefährlichen Diensten nicht mißbrauchen, sich in keine bedenklichen Händel ziehn noch gewisse Dinge vertraun lassen.
Über die Dankbarkeit der Vornehmen und Reichen. Man soll ihnen nichts aufopfern, nichts schenken, nichts leihen, von ihnen nichts borgen.
Trage nichts dazu bei, sie und die Ihrigen noch mehr zu verderben, weder durch Schmeichelei noch auf andre Art!
Überhaupt soll man bei ihnen vorsichtig im Reden sein und sich aller Medisance enthalten, übrigens aber sie angenehm zu unterhalten suchen.
Vorsichtigkeitsregeln in Ansehung solcher Vertraulichkeit mit andern Menschen, woraus Fürsten und Vornehme Verdacht schöpfen können.
Rede mit den Großen der Erde nicht von Deinen häuslichen Umständen! Klage ihnen nicht Dein Leid! Vertraue ihnen nichts! Suche ihnen zu zeigen, daß Du ihrer nicht bedarfst! Mache Dich vielmehr ihnen notwendig!
Aber hüte Dich, sie Dein Übergewicht fühlen zu lassen, sie zu verdunkeln, besonders Deine Vorgesetzten!
Über kleine unschädliche Gefälligkeiten gegen die Großen. Über ihre Liebhabereien und ihren Hang zum Reisen.
Betragen, wenn Vornehme und Reiche um Rat fragen.
Alle diese Vorsichtigkeitsregeln werden doppelt wichtig im Umgange mit vornehmen Dummköpfen.
Betragen, wenn man der Liebling eines Erdengötzen ist.
Aufführung gegen einen gestürzten Großen.
Über die Almosen der Großen.
Nicht alle Großen der Erde haben die Fehler ihres Standes. Es gibt edle, gute Menschen unter ihnen.
Noch etwas über den Umgang der Großen und Reichen untereinander.
Spöttle nicht über das Kleine an kleinen Höfen!
Zweites Kapitel
Über den Umgang mit Geringern.
Der Leser wird zum Teil auf das verwiesen, was im siebenten Kapitel des zweiten Teils ist gesagt worden.
Man sei höflich gegen Geringre, auch dann, wenn man ihrer nicht bedarf! Man ehre das Verdienst, auch im niedern Stande, auch in Gegenwart der Großen, und aus Absicht!
Aber diese Höflichkeit sei weder übertrieben noch beleidigend noch abgeschmackt!
Man hüte sich vor grenzenloser Vertraulichkeit gegen Leute, die keine Erziehung haben!
Man soll sich im Wohlstande nicht rächen, wenn Leute von niederm Stande uns im Unglücke nicht geachtet, sondern unsern mächtigen Feinden gehuldigt haben.
Man soll sie nicht mit leeren Versprechungen, nicht mit falschen Hoffnungen täuschen.
Man muß auch abschlagen können.
Zu viel Aufklärung taugt nicht für niedre Stände.
Noch etwas über das Betragen gegen Subalterne.
Drittes Kapitel
Über den Umgang mit Hofleuten und ihresgleichen.
Hierher gehören die Bemerkungen über den Umgang mit Leuten, die in der sogenannten großen Welt leben, überhaupt. Bild der dort herrschenden Sitten.
Wer da kann, der bleibe fern von Höfen und großen Zirkeln! Und das steht öfter in unsrer Gewalt, als man glaubt.
Will oder muß man aber in der großen Welt auf immer oder auf einige Zeit leben, ohne den Ton derselben annehmen zu können, so gibt es doch Mittel, sich geachtet zu machen. Welche sind diese?
Lebt man endlich immer in der großen Welt, so soll man sich in derselben nicht auszeichnen.
Wie weit man in Nachahmung der Hofsitten gehen dürfe?
Etwas über den heutigen Hofton junger Leute.
Verachte nicht alles, was bloß konventionellen Wert bat!
Der beßre Mann wird in der großen Welt nicht leicht unangetastet bleiben. Betragen dabei.
Sei in der großen Welt zuversichtlich frei und mache Dich gelten, doch ohne Unverschämtheit und Prahlerei!
Man messe sein Betragen gegen Hofleute pünktlich nach dem ihrigen gegen uns ab! Über Klatschereien.
Man sei höflich gegen sie, mache sich aber fürchten, setze sich in Ansehn und Würde und sage ihnen nach Gelegenheit die Wahrheit!
Noch einige Vorsichtigkeitsregeln über Vertraulichkeit und Offenherzigkeit!
Wieviel größre Vorsicht noch derjenige beobachten müsse, welcher nicht bloß in der großen Welt leben, sondern auch in derselben wirksam sein will?
Wozu das Leben in der großen Welt nützen könne?
Viertes Kapitel
Über den Umgang mit Geistlichen.
Bild eines redlichen Priesters, im Gegensatz mit einem echten Pfaffen.
Vorsichtigkeitsregeln im Umgange mit allen Geistlichen, ohne Unterschied.
Betragen in Prälaturen, Klöstern, Stiften und gegen Domherrn.
Fünftes Kapitel
Über den Umgang mit Gelehrten und Künstlern.
Was man heutzutage unter einem Gelehrten und Künstler versteht?
Ob man den Gelehrten nach seinen Schriften beurteilen könne, und ob ein Schriftsteller auch im Umgange immer anders reden müsse als gewöhnliche Menschen? Es ist sehr zu verzeihn, wenn ein Mann gern von seinem Fache redet. Über Verlästerung berühmter Männer. Über rezitierende junge Gelehrte.
Einige Vorsichtigkeitsregeln im Umgange mit Schriftstellern.
Über den Umgang der Gelehrten untereinander.
Man soll nicht prahlen mit der Freundschaft der Gelehrten, noch mit den Brocken aus ihren Schriften.
Vorsicht im Umgange mit Journalisten und Anekdotensammlern.
Über den Umgang mit Dichtern, Musikern, Dilettanten, und wie sich ein Künstler betragen solle, der heutzutage sein Glück machen will?
Etwas über das Schauspielerleben. Warnung für den Jüngling, der sein Leben den gefälligen Musen und dem Umgange mit ihren Priestern widmet.
Wie man sich zu betragen habe, wenn man die Direktion über Tonkünstler und Schauspieler führt?
Man soll den jungen Künstler nicht durch Schmeichelei verderben. Regeln für diesen.
Glück im Umgange mit dem echten philosophischen Künstler beschrieben.
Sechstes Kpaitel
Über den Umgang mit Leuten von allerlei Ständen im bürgerlichen Leben.
Etwas von Ärzten; welche man wählen und wie man sich gegen sie betragen solle?
Über Juristen und die Art, mit ihnen zu verfahren.
Über den Soldatenstand und den Umgang mit Offiziers.
Über Kaufmannschaft, den Umgang und den Handel mit großen und kleinen Kaufleuten. Etwas vom Pferdehandel.
Etwas über Buchhändler, Nachdrucker und dergleichen.
Über Sprachmeister, Musikmeister und dergleichen.
Von dem Umgange mit Künstlern und Handwerksleuten.
Über Juden und die Art mit ihnen zu verfahren.
Über die Art, wie man Bauern und überhaupt Landleute behandeln müsse.
Siebentes Kapitel
Über den Umgang mit Leuten von allerlei Lebensart und Gewerbe.
Mit Aventuriers, von der unschädlichern Art.
Mit denen von schlimmrer Gattung.
Etwas von Spielern; über das Spiel und von dem Betragen bei demselben.
Über mystische Betrüger, Geisterseher, Goldmacher und dergleichen und über die Anhänglichkeit unsers Zeit alters an Mystik.
Achtes Kapitel
Über geheime Verbindungen und den Umgang mit ihren Mitgliedern.
Über Unnützlichkeit und Schädlichkeit geheimer Verbindungen.
Vorsichtigkeitsregeln in Rücksicht auf dieselben.
Betragen, wenn man ein Mitglied einer solchen Verbindung ist.
Neuntes Kapitel
Über die Art, mit Tieren umzugehn.
Ob dieser Gegenstand hierher gehöre?
Über Grausamkeit gegen Tiere.
Über abgeschmackte Empfindelei in Rücksicht auf Behandlung der Tiere.
Über das Vergnügen an eingesperrten Tieren.
Über abgerichtete Tiere.
Über die Torheit derer Leute, die mit Tieren wie mit Menschen umgehen.
Zehntes Kapitel
Über das Verhältnis zwischen Schriftsteller und Leser.
Über den Schriftstellerberuf. Es kann auch einem verständigen Manne begegnen, etwas Mittelmäßiges drucken zu lassen, nie aber etwas, das der Moralität schadet, Unsinn verbreitet und einen andern vorsätzlich kränkt.
Was noch mehr dazu gehöre, in der Welt als Schriftsteller sein Glück zu machen.
Über das Betragen des Lesers gegen den Schriftsteller und über Kritik, und
Über Lektüre.
Elftes Kapitel
Schluß.
Anrede an die Leser über dies Buch.
Über den Nutzen desselben.
Anmerkungen über den Satz: daß man aus den Menschen machen könne, was man wolle.
Warum der Verfasser die Fehler mancher Klassen von Leuten hat aufdecken müssen, und was er noch mehr hätte tun können?
Die gütige, nachsichtsvolle Aufnahme, deren das Publikum in und außer Deutschland dies Buch würdigt, übertrifft sehr meine Erwartung. Der schnelle Absatz der ersten beiden Auflagen; die vorteilhaften Urteile einsichtsvoller Kunstrichter; die Auszüge, welche der Herr Prediger Fest und andre daraus gemacht haben, und endlich die Übersetzungen desselben – das alles fordert mich auf, keine Mühe zu sparen, nach und nach das Fehlerhafte darin auszumerzen, und durch nötige Zusätze sowie durch Verbesserung der Schreibart meinem Werke mehr Vollkommenheit zu verschaffen.
Aufmerksame Leser werden finden, welche große Veränderungen, sowohl was die Anordnung, als was den Inhalt selbst betrifft, ich bei dieser dritten Auflage, wenn man sie gegen die ersten beiden hält, vorgenommen habe. Ich bin dabei neben meiner eigenen Überzeugung der Zurechtweisung würdiger Männer gefolgt. Unter diese zähle ich, wie billig, mit Dankbarkeit auch den Herrn Rezensenten im siebendundachtzigsten Bande der Allgemeinen Deutschen Bibliothek, dessen milde, aber verständige und ernsthafte Winke ich größtenteils zu meinem Vorteile genützt habe.
Über unweisen, nicht reiflich durchgedachten Tadel hingegen habe ich mich hinausgesetzt. Ohne der verachtenswerten Beschuldigung des salzburgischen Herrn Kritikers Erwähnung zu tun, will ich nur des Vorwurfs der den deutschen Schriftstellern so eignen, zu großen Vollständigkeit gedenken, womit der undeutsche Herr Rezensent in der Allgemeinen Literatur-Zeitung mich beehrt. Ich werde mich bestreben, dieses Vorwurfs in vollem Maß würdig zu werden. Hat mein Buch einigen Wert, so bestimmt gewiß eben diese möglichste Vollständigkeit einen großen Teil desselben, und jedermann wird zum Wohltäter an mir werden, der mir jetzt anzeigt, über welche Verhältnisse und Lagen im menschlichen Leben ich noch Bemerkungen und Vorschriften zu liefern versäumt habe.
Man hat gegen den Titel dieses Werks die Erinnerung gemacht: daß er nur Regeln des Umgangs ankündigte, da hingegen das Buch selbst fast über alle Teile der Sittenlehre sich ausdehnte. Billige Richter haben indessen eingesehen, wie schwer dies zu vermeiden war. Wenn die Regeln des Umgangs nicht bloß Vorschriften einer konventionellen Höflichkeit oder gar einer gefährlichen Politik sein sollen, so müssen sie auf die Lehren von den Pflichten gegründet sein, die wir allen Arten von Menschen schuldig sind, und wiederum von ihnen fordern können. – Das heißt: ein System, dessen Grundpfeiler Moral und Weltklugheit sind, muß dabei zum Grunde liegen. Sollte man an meinem Buche das tadeln dürfen, daß es mehr leistet, als der Titel verspricht, so könnte man dem Übel auf einmal abhelfen, wenn man diesem Werke etwa die Überschrift gäbe: »Vorschriften, wie der Mensch sich zu verhalten hat, um in dieser Welt und in Gesellschaft mit andern Menschen glücklich und vergnügt zu leben und seine Nebenmenschen glücklich und froh zu machen.« Allein dieser Titel kommt mir ebenso geschwätzig als prahlerisch vor. Man verzeihe mir's also, daß ich es damit beim alten gelassen habe!
Andre haben hier Vorschriften für junge Leute vermißt, die als Studenten, Offiziere usf. in die Welt treten. – Vorschriften, wie diese sich gegen andre junge Leute gleichen Standes zu betragen hätten. Der Herr Rezensent in den Würzburger gelehrten Anzeigen hat dagegen sehr vernünftig angemerkt, daß, wenn ich so hätte in das Detail gehn wollen, ich vielleicht in zehn Bänden meinen Gegenstand nicht würde erschöpft haben, und daß ich mich sehr vielfach hätte wiederholen müssen. Ich füge noch hinzu, daß unter jungen Leuten, die noch keinen festen Charakter haben, die Mannigfaltigkeit der Sonderbarkeiten, welche sie in ihrer Art sich zu betragen zeigen, zwar unendlich groß, aber auch zugleich so unwichtig scheint, daß ein Jüngling, dem es ernst ist, sich für die Welt zu bilden, auf diese weiter keine Rücksicht zu nehmen braucht, wenn er sich, im Umgange mit Menschen von gleichem Alter, so vorsichtig, ordentlich und redlich beträgt, als die Vorschriften dazu in diesem Buche, sowohl im allgemeinen, als nach den verschiedenen Stimmungen und Verhältnissen unter allen Gattungen von Menschen, angegeben werden.
Hannover, im Januar 1790.
Der Gegenstand dieses Buchs kommt mir groß und wichtig vor, und irre ich nicht, so ist der Gedanke, in einem eignen Werke Vorschriften für den Umgang mit allen Klassen von Menschen zu geben, noch neu. Eben dieser Umstand aber und daß mir in Deutschland, soviel ich weiß, niemand vorgearbeitet hat, muß einen Teil der Unvollkommenheiten meiner Arbeit entschuldigen. Es ist ein weites Feld vollständig und gründlich zu bearbeiten, vielleicht für einen Menschen und gewiß für meine Kräfte zu groß. Kann aber das in magnis voluisse aliquid Verdienst geben, so darf ich einigen Anspruch auf den Dank des Publikums machen, um so mehr, wenn etwa meine Arbeit bei einem größern Menschenkenner und feinern Philosophen einst die Lust erwecken sollte, etwas Vollkommneres hierüber zu liefern.
Vielleicht wird man mir Weitschweifigkeit vorwerfen und mich beschuldigen, ich hätte Räsonements eingemischt, die nicht eigentlich zu den Regeln über den Umgang mit Menschen gehören; allein es ist hier schwer, die wahre Grenzlinie zu finden. Wenn ich zum Beispiel lehren will, wie vertraute Freunde im Umgange miteinander sich betragen sollen, so scheint es mir sehr passend, erst etwas über die Wahl eines Freundes und über die Grenzen freundschaftlicher Vertraulichkeit zu sagen, und wenn ich über das Betragen im geselligen Leben in manchen Klassen von Menschen rede und zeige, wie man ihrer Schwächen schonen soll, so stehen philosophische Bemerkungen über diese Schwächen selbst und über deren Quellen nicht am unrechten Ort.
Übrigens habe ich dies Buch nicht flüchtig hingeschrieben, wie wohl andre meiner Schriften, sondern lange an den Materialien dazu gesammelt. – Es enthält Resultate aus meinem ziemlich unruhigen Leben unter Menschen mancher Art. Bei dem veränderlichen und leichtfertigen Geschmacke des deutschen Publikums und der übertriebenen Nachsicht, mit welcher dasselbe unbedeutende Romane, leere Journale, platte Schauspiele und nichtswürdige Anekdotensammlungen aufnimmt, möchte es zwar kaum einer Entschuldigung bedürfen, wenn man diesen größern Teil des Publikums nicht so sehr respektierte, daß man streng gewissenhaft in Wahl und Ausfeilung der Produkte wäre, welche man in die gelehrte Welt schickt. Schriftstellerei ist in jetzigen Zeiten nicht viel mehr als Gespräch mit der Lesewelt; in freundschaftlichen Unterredungen wiegt man aber nicht jedes Wort ab. Der müßige Haufen will ohne Unterlaß etwas Neues hören; ernsthafte, wichtige Werke werden von den Buchhändlern nicht halb so gern in Verlag genommen und vom Publikum nicht halb so eifrig gelesen als jene Modeware; wenn man sich nun herabläßt, die Wahrheiten, die man zu sagen hat, wenigstens in ein solches Gewand zu hüllen, wie es der große Haufen gern sieht, so läuft wohl freilich je zuweilen ein unnützes Wort mit unter, und das ist vielleicht auch mein Fall gewesen. Doch will ich offenherzig genug sein, noch etwas zur Entschuldigung meiner bisherigen Vielschreiberei anzuführen.
Niemand kann lebhafter als ich selbst fühlen, welcher Ausfeilung meine zuerst herausgegebenen Schriften noch bedurft hätten, um irgendeinen Grad von Vollkommenheit zu erreichen. Indessen wurden sie und werden noch immer häufiger gelesen und öfter aufgelegt, als sie es verdienen. Der Verleger bat um mehr Ware von der Art, machte mir vorteilhafte Bedingungen, und ich wies den Erwerb nicht von mir. Ich schäme mich dieses Geständnisses nicht: Wer nur irgend weiß, auf welche Weise mein Vermögen eine lange Reihe von Jahren hindurch, sehr ohne meine Schuld, ist verwaltet worden, der wird mir das gern verzeihn, und wer mit meiner häuslichen Lebensart bekannt ist, muß mir das Zeugnis geben, daß ich das Gewonnene auf keine unedle Art verwendet habe.
Nicht immer habe ich mich vor meinen Schriften genannt; zuweilen hat man mich als Verfasser von Büchern angegeben, die ich nicht einmal gelesen hatte. Das hat mich bis jetzt wenig bekümmert; anders aber handelt der Mann, der in fremden Provinzen lebt, ohne an den Staat geknüpft zu sein, dem es desfalls weniger ängstlich um seinen bürgerlichen und gelehrten Ruf zu tun ist, und anders der, welcher in seinem Vaterlande wohnt, und dem die Achtung, auch des Geringsten unter seinen Mitbürgern, nicht gleichgültig sein darf. Nach achtzehnjähriger Abwesenheit befinde ich mich nun wieder in dem letztern Falle. Ich würde fürchten, man möchte das Unkraut, das ich hergäbe, dem vaterländischen Boden zur Last legen, auf welchem es gewachsen wäre, wenn ich fortführe, so schnell zu arbeiten; ich würde fürchten, mein liebes Vaterland zu beschimpfen, in welchem gottlob der Haufen elender Scribler noch nicht so groß ist als in den mehrsten andern Provinzen Deutschlands. Was ich also hier liefre und etwa ferner liefern werde (wenn ich je noch außer diesem Werke etwas schreiben sollte), muß wenigstens keine lose Ware sein, und nicht leicht werde ich wieder etwas drucken lassen, ohne meinen Namen davorzusetzen.
Es hat nicht Unzufriedenheit mit meinem Herrn Verleger in Frankfurt am Main, sondern andre Rücksichten haben mich bewogen, dies Buch einer hiesigen Buchhandlung in Verlag zu geben; vielmehr muß ich dem Herrn Andreä das Zeugnis geben, daß er sich jederzeit sehr billig, redlich und freundschaftlich gegen mich betragen hat.
Einige meiner Schriften sind in Wien und Leipzig nachgedruckt worden; sollte einer von der berüchtigten Zunft etwa auch auf dies Büchelchen eine korsarische Unternehmung von der Art wagen wollen, so dient demselben zur Nachricht, daß alle Vorkehrungen getroffen sind, den Schaden eines solchen Diebstahls auf den Räuber selbst fallen zu machen.
Hannover im Jänner 1788.
Wir sehen die klügsten, verständigsten Menschen im gemeinen Leben Schritte tun, wozu wir den Kopf schütteln müssen.
Wir sehen die feinsten theoretischen Menschenkenner das Opfer des gröbsten Betrugs werden.
Wir sehen die erfahrensten, geschicktesten Männer bei alltäglichen Vorfällen unzweckmäßige Mittel wählen, sehen, daß es ihnen mißlingt, auf andre zu wirken, daß sie, mit allem Übergewichte der Vernunft, dennoch oft von fremden Torheiten, Grillen und von dem Eigensinne der Schwächeren abhängen, daß sie von schiefen Köpfen, die nicht wert sind, ihre Schuhriemen aufzulösen, sich müssen regieren und mißhandeln lassen, daß hingegen Schwächlinge und Unmündige an Geist Dinge durchsetzen, die der Weise kaum zu wünschen wagen darf.
Wir sehen manchen Redlichen fast allgemein verkannt.
Wir sehen die witzigsten, hellsten Köpfe in Gesellschaften, wo aller Augen auf sie gerichtet waren und jedermann begierig auf jedes Wort lauerte, das aus ihrem Munde kommen würde, eine nicht vorteilhafte Rolle spielen, sehen, wie sie verstummen oder lauter gemeine Dinge sagen, indes ein andrer äußerst leerer Mensch seine dreiundzwanzig Begriffe, die er hie und da aufgeschnappt hat, so durcheinander zu werfen und aufzustutzen versteht, daß er Aufmerksamkeit erregt und selbst bei Männern von Kenntnissen für etwas gilt.
Wir sehen, daß die glänzendsten Schönheiten nicht allenthalben gefallen, indes Personen, mit weniger äußern Annehmlichkeiten ausgerüstet, allgemein interessieren. – Alle diese Bemerkungen scheinen uns zu sagen, daß die gelehrtesten Männer, wenn nicht zuweilen die untüchtigsten zu allen Weltgeschäften, doch wenigstens unglücklich genug sind, durch den Mangel einer gewissen Gewandtheit zurückgesetzt zu bleiben, und daß die Geistreichsten, von der Natur mit allen innern und äußern Vorzügen beschenkt, oft am wenigsten zu gefallen, zu glänzen verstehen.
Ich rede aber hier nicht von der freiwilligen Verzichtleistung des Weisen auf die Bewunderung des vornehmen und geringen Pöbels.
Daß der Mann von bessrer Art da in sich selbst verschlossen schweigt, wo er nicht verstanden wird; daß der Witzige, Geistvolle in einem Zirkel schaler Kopfe sich nicht so weit herabläßt, den Spaßmacher zu spielen; daß der Mann von einer gewissen Würde im Charakter zu viel Stolz hat, sein ganzes Wesen nach jeder ihm unbedeutenden Gesellschaft umzuformen, die Stimmung anzunehmen, wozu die jungen Laffen seiner Vaterstadt den Ton mit von Reisen gebracht haben, oder den grade die Laune einer herrschenden Kokette zum Konversations-, Kammer- und Chorton erhebt; daß es den Jüngling besser kleidet, bescheiden, schüchtern und still, als, nach Art der mehrsten unsrer heutigen jungen Leute, vorlaut, selbstgenügsam und plauderhaft zu sein; daß der edle Mann, je klüger er ist, um desto bescheidener, um desto mißtrauischer gegen seine eigenen Kenntnisse, um desto weniger zudringlich sein wird; oder daß, je mehr innerer, wahrer Verdienste sich jemand bewußt ist, er um desto weniger Kunst anwenden wird, seine vorteilhaften Seiten hervorzukehren, so wie die wahrhafte Schönheit alle kleinen anlockenden, unwürdigen Buhlkünste, wodurch man sich bemerkbar zu machen sucht, verachtet, – das alles ist wohl sehr natürlich! – Davon rede ich also nicht.
Auch nicht von der beleidigten Eitelkeit eines Mannes voll Forderungen,der unaufhörlich eingeräuchert, geschmeichelt und vorgezogen zu werden verlangt und, wo das nicht geschieht, eine traurige Figur macht; nicht von dem gekränkten Hochmute eines abgeschmackten Pedanten, der das Maul hängen läßt, wenn er das Unglück hat, nicht aller Orten für ein großes Licht der Erden bekannt und als ein solches behandelt zu sein, wenn nicht jeder mit seinem Lämpchen herzuläuft, um es an diesem großen Lichte der Aufklärung anzuzünden. Wenn ein steifer Professor, der gewöhnt ist, von seinem bestaubten Dreifuße herunter, sein Kompendium in der Hand, einem Haufen gaffender, unbärtiger Musensöhne stundenlang hohe Weisheit vorzupredigen und dann zu sehn, wie sogar seine platten, in jedem halben Jahre wiederholten Späße sorgfältig nachgeschrieben werden; wie jeder Student so ehrerbietig den Hut vor ihm abzieht, und mancher, der nachher seinem Vaterlande Gesetze gibt, ihm des Sonntags im Staatskleide die Aufwartung macht; wenn ein solcher einmal die Residenz oder irgendeine andre Stadt besucht, und das Unglück nun will, daß man ihn dort kaum dem Namen nach kennt, daß er in einer feinen Gesellschaft von zwanzig Personen gänzlich übersehn oder von irgendeinem Fremden für den Kammerdiener im Hause gehalten und Er genannt wird, er dann ergrimmt und ein verdrossenes Gesicht zeigt; oder wenn ein Stubengelehrter, der ganz fremd in der Welt, ohne Erziehung und ohne Menschenkenntnis ist, sich einmal aus dem Haufen seiner Bücher hervorarbeitet, und er dann äußerst verlegen mit seiner Figur, buntscheckig und altväterisch gekleidet, in seinem vor dreißig Jahren nach der neuesten Mode verfertigten Bräutigamsrocke dasitzt und an nichts von allem, was gesprochen wird, Anteil nehmen, keinen Faden finden kann, um mit anzuknüpfen, so gehört das alles nicht hierher.
Ebensowenig rede ich von dem groben Zyniker, der nach seinem Hottentottensysteme alle Regeln verachtet, welche Konvenienz und gegenseitige Gefälligkeit den Menschen im bürgerlichen Leben vorgeschrieben haben, noch von dem Kraftgenie, das sich über Sitte, Anstand und Vernunft hinauszusetzen einen besondern Freibrief zu haben glaubt.
Und wenn ich sage, daß oft auch die weisesten und klügsten Menschen in aller Welt, im Umgange und in Erlangung äußerer Achtung, bürgerlicher und andrer Vorteile ihres Zwecks verfehlen, ihr Glück nicht machen, so bringe ich hier weder in Anschlag, daß ein widriges Geschick zuweilen den Besten verfolgt, noch daß eine unglückliche leidenschaftliche oder ungesellige Gemütsart bei manchem die vorzüglichsten, edelsten Eigenschaften verdunkelt.
Nein! meine Bemerkung trifft Personen, die wahrlich allen guten Willen und treue Rechtschaffenheit mit mannigfaltigen, recht vorzüglichen Eigenschaften und dem eifrigen Bestreben, in der Welt fortzukommen, eigenes und fremdes Glück zu bauen, verbinden, und die dennoch mit diesem allen verkannt, übersehn werden, zu gar nichts gelangen. Woher kommt das? Was ist es, das diesen fehlt und andre haben, die, bei dem Mangel wahrer Vorzüge, alle Stufen menschlicher, irdischer Glückseligkeit ersteigen? – Was die Franzosen den esprit de conduite nennen, das fehlt jenen: die Kunst des Umgangs mit Menschen – eine Kunst, die oft der schwache Kopf, ohne darauf zu studieren, viel besser erlauert als der verständige, weise, witzreiche; die Kunst, sich bemerkbar, geltend, geachtet zu machen, ohne beneidet zu werden; sich nach den Temperamenten, Einsichten und Neigungen der Menschen zu richten, ohne falsch zu sein; sich ungezwungen in den Ton jeder Gesellschaft stimmen zu können, ohne weder Eigentümlichkeit des Charakters zu verlieren, noch sich zu niedriger Schmeichelei herabzulassen. Der, welchen nicht die Natur schon mit dieser glücklichen Anlage hat geboren werden lassen, erwerbe sich Studium der Menschen, eine gewisse Geschmeidigkeit, Geselligkeit, Nachgiebigkeit, Duldung, zu rechter Zeit Verleugnung, Gewalt über heftige Leidenschaften, Wachsamkeit auf sich selber und Heiterkeit des immer gleich gestimmten Gemüts; und er wird sich jene Kunst zu eigen machen; doch hüte man sich, dieselbe zu verwechseln mit der schändlichen, niedrigen Gefälligkeit des verworfenen Sklaven, der sich von jedem mißbrauchen läßt, sich jedem preisgibt; um eine Mahlzeit zu gewinnen, dem Schurken huldigt, und um eine Bedienung zu erhalten, zum Unrechte schweigt, zum Betruge die Hände bietet und die Dummheit vergöttert! Indem ich aber von jenem esprit de conduite rede, der uns leiten muß, bei unserm Umgange mit Menschen aller Gattung, so will ich nicht etwa ein Komplimentierbuch schreiben, sondern einige Resultate aus den Erfahrungen ziehn, die ich gesammelt habe, während einer nicht kurzen Reihe von Jahren, in welchen ich mich unter Menschen aller Arten und Stände umhertreiben lassen und oft in der Stille beobachtet habe. – Kein vollständiges System, aber Bruchstücke, vielleicht nicht zu verwerfende Materialien, Stoff zu weiterm Nachdenken.
In keinem Lande in Europa ist es vielleicht so schwer, im Umgange mit Menschen aus allen Klassen, Gegenden und Ständen allgemeinen Beifall einzuernten, in jedem dieser Zirkel wie zu Hause zu sein, ohne Zwang, ohne Falschheit, ohne sich verdächtig zu machen und ohne selbst dabei zu leiden, auf den Fürsten wie auf den Edelmann und Bürger, auf den Kaufmann wie auf den Geistlichen nach Gefallen zu wirken, als in unserm deutschen Vaterlande; denn nirgends vielleicht herrscht zu gleicher Zeit eine so große Mannigfaltigkeit des Konversationstons, der Erziehungsart, der Religions- und andrer Meinungen, eine so große Verschiedenheit der Gegenstände, welche die Aufmerksamkeit der einzelnen Volksklassen in den einzelnen Provinzen beschäftigen. Dies rührt her von der Mannigfaltigkeit des Interesses der deutschen Staaten gegeneinander und gegen auswärtige, von dem Unterschiede der Verbindungen mit diesem oder jenem auswärtigen Volke und von dem sehr merklichen Abstande der Klassen in Deutschland voneinander, zwischen denen verjährtes Vorurteil, Erziehung und zum Teil auch Staatsverfassung eine viel bestimmtere Grenzlinie gezogen haben als in andern Ländern. Wo hat mehr als in Deutschland die Idee von sechzehn Ahnen des Adels wesentlichen moralischen und politischen Einfluß auf Denkungsart und Bildung?
Wo greift weniger allgemein als bei uns die Kaufmannschaft in die übrigen Klassen ein? (Soll ich die Reichsstädte ausnehmen?) Wo macht mehr als hier das Korps der Hofleute eine ganz eigene Gattung aus, in welche hinein, so wie zu der Person der mehrsten Fürsten, nur Leute von gewisser Geburt und gewissem Range sich hinzudrängen können? Wo durchkreuzen sich mehr Arten von Interesse? – Und das alles wird nicht durch gewisse, dem ganzen Volke merkbare allgemeine Nationalbedürfnisse, Volksangelegenheiten, Vaterlandsnutzen konzentriert, wie in England, wo Aufrechterhaltung der Konstitution, Freiheit und Glück der Nation, Flor des Vaterlandes, der Punkt ist, in welchem sich das Streben, Dichten und Trachten so mancher originellen Charaktere vereinigt, noch wie in fast allen übrigen europäischen Ländern, die entweder unter einem einzigen Oberhaupte stehen oder durch ein einziges, allen Gliedern wichtiges Interesse beherrscht werden, wie die Schweiz, oder in welchen eine allein herrschende Religion oder ein tyrannisches Klima, über Denkungsart, Ton und Stimmung allgemein überwiegende Gewalt hat.
Daß im ganzen unsre deutsche Verfassung, so zusammengesetzt sie auch ist, sehr große, wesentliche Vorzüge gewährt, das leidet keinen Zweifel; allein es ist nicht weniger gewiß, daß dieselbe den mächtigsten Einfluß auf die Verschiedenheit der Stimmung in den einzelnen Provinzen und Staaten und unter den mancherlei voneinander abgesonderten Ständen hat. Eben daher kommt es, daß unsre Schauspieler, Schauspieldichter und Romanschreiber ein viel schwereres Studium haben, wenn sie alle diese Nuancen kennen, bearbeiten und dennoch einen Anstrich von originellem Nationalcharakter wollen durchschimmern lassen; viel schwerer als in Frankreich, wo die Sitten der verschiedenen Stände und einzelnen Provinzen nicht so sehr gegeneinander abstechen. Eben daher kommt es, daß man über wenige unsrer literarischen Produkte ein allgemein einstimmig beifälliges Volksurteil hört, daß überhaupt so wenig unsrer Werke als Nationalmonumente auf die Nachwelt übergehn, und eben daher endlich kommt es, daß es so schwer ist, mit Menschen aus allen Ständen und Gegenden in Deutschland umzugehn und bei allen gleichwohl gelitten zu sein, auf alle gleich vorteilhaft zu wirken.
Der treuherzige, naive, zuweilen ein wenig bäuerische, materielle Bayer ist äußerst verlegen, wenn er auf alle verbindlichen, artigen Dinge antworten soll, die ihm der feine Sachse in einem Atem entgegenschickt; dem schwerfälligen Westfälinger ist alles hebräisch, was ihm der Österreicher in seiner ihm gänzlich fremden Mundart vorpoltert; die zuvorkommende Höflichkeit und Geschmeidigkeit des durch französische Nachbarschaft polierten Rheinländers würde man in manchen Städten von Niedersachsen für Zudringlichkeit, für Niederträchtigkeit halten! Man glaubt da, ein Mann, der so äußerst untertänig und nachgiebig ist, müsse gefährliche und niedrige Absichten haben oder müsse falsch oder sehr arm und hilfsbedürftig sein, und oft ist dort ein wenig zu weit getriebene äußere Höflichkeit hinlänglich, den Mann, der sich am Rheine dadurch allgemeine Liebe erwerben würde, an der Leine verächtlich zu machen. Dagegen wird aber auch der nicht kältere, nur weniger leichtsinnige, weniger zuversichtliche, nicht so im Gedränge von Fremden, noch auf Reisen an Leib und Seele abgeschliffene, geglättete, sondern ernsthaftere Niedersachse, der bei der ersten Bekanntschaft nicht sehr zuvorkommend, sondern wohl gar ein wenig verlegen ist, an einem Hofe im Reiche vielleicht für einen schüchternen Menschen ohne Lebensart, ohne Welt angesehn werden.
Sich nun also nach Ort, Zeit und Umständen umzuformen und von verjährten Gewohnheiten sich loszumachen, das erfordert Studium und Kunst.
In Gegenden, aus welchen weder Unzufriedenheit mit dem Vaterlande, noch Müßiggang, noch Verderbnis der Sitten, noch unbestimmte, rastlose Tätigkeit, noch Anekdotenjagd, noch vorwitzige Neugier die Menschen scharenweise emigrieren macht und jeden Pinsel zum Reisen und Wandern treibt, sind die Einwohner mit dem, was es daheim gibt, so herzlich wohl zufrieden, daß sie nichts Größeres kennen, nichts Größeres kennen mögen, als was sie in ihrem Vaterlande von Jugend auf betrachtet, schon als Knaben bewundert oder von ihren Verwandten und Freunden haben stiften, bauen, anlegen gesehn. Ihnen sind die kleinen jährlichen oder andern Feste immer neu, immer gleich glänzend und merkwürdig. – Glückliche Unwissenheit! nicht zu vertauschen mit dem Ekel, welcher den Mann anwandelt, der in seinem Leben so gar viel allerorten erlebt, erfahren, gesehn, bauen und zerstören gesehn hat und zuletzt an nichts mehr Freude finden, nichts mehr bewundern kann, alles mit Tadel und Langerweile anblickt! Ich reiste vor einigen Jahren im rauhesten Wetter in notwendigen Geschäften vierzig Meilen weit von *** nach ***. Es fügte sich, daß in letztrer Stadt am Tage meiner Ankunft ein General mit den dabei allerorten mehr oder weniger üblichen Feierlichkeiten sollte begraben werden. Die ganze Stadt, die dergleichen selten gesehn, war vom frühen Morgen an in Bewegung; alles sprach von dem Begräbnisse des Generals. Ein Offizier von meiner alten Bekanntschaft begegnete mir im Gasthofe: »Ei! wo kommen Sie her?« rief er; ich sagte es ihm. Der gute Mann vergaß in dem Augenblicke, daß *** vierzig Meilen weit läge und daß eine solche Feierlichkeit mir wohl schwerlich in so schlechtem Wetter eine so weite Reise wert sein könnte: »Oh!« sagte er, »Sie kommen gewiß, um unsern General begraben zu sehn; ja! es wird sich schön ausnehmen.« – Nun! zu so etwas kann ich kaum lächeln; möchten alle Menschen das am schönsten finden, was sie haben! Doch gestehe ich auch, daß dies oft zu Intoleranz führt; daß die Anhänglichkeit an einheimische Sitten zuweilen ungerecht, ungeschliffen gegen Menschen macht, die sich durch kleine Verschiedenheiten, wäre es auch nur in Anstand, Kleidung, Ton, Mundart oder Gebärden, unschuldigerweise auszeichnen.
In Reichsstädten ist diese Anhänglichkeit an väterliche Sitten, Kleidertrachten u. dgl. sehr auffallend und hat nicht selten Einfluß auf Regierungsverfassung, Religionsverträglichkeit und andre wichtige Dinge. So legen z.B. alle calvinistischen Kaufleute in *** ihre Gärten nach holländischem Geschmacke an; nun hörte ich einstens einen solchen von einem andern Negotianten dieses Bekenntnisses, der aber in seinem Garten einige der reformierten Gemeinde auffallende Veränderungen vorgenommen hatte, sagen: Der Mann habe in seinem Garten allerlei lutherische Streiche gemacht. – Daß ich mich nicht von meinem Zwecke entferne! Ich meine, die Verschiedenheit der Sitten und der Stimmung in den deutschen Staaten macht es sehr schwer, außer seiner vaterländischen Gegend, in fremden Provinzen, in Gesellschaften zu gefallen, Freundschaften zu stiften, Geschmack am Umgang zu finden, andre für sich einzunehmen und auf andre zu wirken.
Aber diese Schwierigkeiten werden in Deutschland noch größer unter Personen von verschiedenen Ständen und Erziehungen. Wer wird nicht schon mehrmals in seinem Leben die Erfahrung gemacht haben, in welche Verlegenheit man kommen kann, und wie groß die Langeweile ist, die uns befällt oder die wir andern verursachen, wenn wir in eine Gesellschaft geraten, deren Ton uns gänzlich fremd ist, wo alle auch noch so warmen Gespräche an unserm Herzen vorbeigleiten, wo die Form der ganzen Unterhaltung, alle Gebräuche und äußern Manieren der Anwesenden weit außer unserm Systeme liegen, nicht zu unsern Gewohnheiten passen, wo die Minuten uns Tage scheinen, wo Zwang und Verwünschung unsrer peinlichen Lage auf unsrer Stirne gemalt stehen.
Man sehe nur einen ehrlichen Landedelmann aus treuer Lehnspflicht einmal nach langen Jahren wieder an dem Hofe seines Landesherrn erscheinen! Er hat sich schon frühmorgens aufs beste ausgeschmückt und sich die sonst gewöhnte liebe Pfeife Tabak versagt, um nicht nach Rauch zu riechen. Auf den Gassen der Stadt war es noch öde und still, als er schon in seinem Wirtshause umherwandelte und alles in Bewegung setzte, um ihm beizustehn bei dem beschwerlichen Geschäfte, sich hofmäßig auszuschmücken. Jetzt ist er endlich fertig; sein gekräuseltes und gepudertes Haar, das außerdem selten ohne Nachtmütze auftritt, hat er der freien Luft preisgegeben, und leidet er nun höllische Kopfschmerzen; die seidenen Strümpfe ersetzen bei weitem nicht, was die heute zurückgelegten Stiefel ihm sonst gewähren; ihn friert gewaltig an den ihm nackend scheinenden Beinen.
Der besetzte Rock ist in den Schultern nicht so bequem als sein treuer, alter, warmer Überrock; der Degen gerät jeden Augenblick zwischen die Beine; er weiß nicht, was er mit dem kleinen Hütchen in der Hand anfangen soll; das Stehn wird ihm unerträglich sauer. – In dieser grausamen Verfassung erscheint er im Vorzimmer. Um ihn her wimmelt ein Haufen Hofschranzen herum, die, obgleich sie wahrlich sämtlich vielleicht nicht so viel wert als dieser ehrliche, nützliche Mann und im Grunde ihrer Herzen nicht weniger als er von Langerweile geplagt sind, dennoch mit Naserümpfen und Verachtung hier, wo sie in ihrem Elemente zu sein scheinen, ihn ansehen. Er fühlt jeden Spott, übersieht sie und muß sich dennoch von ihnen demütigen lassen. Sie nähern sich ihm, tun mit zerstreuter, wichtiger Miene einige Fragen an ihn, Fragen, an denen das Herz keinen Anteil nimmt und worauf sie auch die Antworten nicht abwarten. Er glaubt einen unter ihnen zu entdecken, der ihm teilnehmender scheint als die übrigen; mit diesem fängt er ein Gespräch von Dingen an, die ihm, vielleicht auch dem Vaterlande, wichtig sind: von seiner häuslichen Lage, von dem Wohlstande der Provinz, in welcher er lebt; er redet mit Wärme; Redlichkeit atmet alles, was er sagt – aber bald sieht er, wie sehr er sich in seiner Hoffnung getäuscht hat; das Männchen hört ihm mit halbem Ohre zu, erwidert irgendein paar unbedeutende Silben zur Antwort und läßt dann den braven Hausvater da stehn. Nun nähert er sich einem Zirkel von Leuten, die mit Interesse und Lebhaftigkeit zu reden scheinen; an diesem Gespräche wünscht er teilzunehmen; aber alles, was er hört, Gegenstand, Sprache, Ausdruck, Wendung, alles ist ihm fremd. In halb deutschen, halb französischen Worten wird hier eine Sache abgehandelt, auf welche er nie seine Aufmerksamkeit geschärft, von welcher er nie geglaubt hat, daß es möglich wäre, deutsche Männer könnten sich damit beschäftigen. Seine Verlegenheit, seine Ungeduld steigt mit jedem Augenblicke, bis er endlich das verwünschte Schloß weit hinter sich sieht.
Und nun, den Fall umgekehrt, lasse man einen sonst edlen Hofmann einmal hinaus auf das Land in die Gesellschaft biedrer Beamter und Provinzial-Edelleute geraten! Hier herrschen ungezwungene Fröhlichkeit, Offenherzigkeit, Freiheit; man redet von dem, was am nächsten den Landmann interessiert; man wiegt die Worte nicht ab; der Scherz ist naiv, gewürzt, aber nicht zugespitzt, nicht gekünstelt. Unser Hofmann versucht es, sich in diese Manier hineinzuarbeiten; er mischt sich in die Gespräche; aber der Ausdruck der Offenheit und Treuherzigkeit fehlt; was bei jenen naiv war, wird bei ihm beleidigend.
Er fühlt dies und will die Leute in seinen Ton stimmen; in der Stadt gilt er für einen angenehmen Gesellschafter; er spannt alle Segel auf, um auch hier zu glänzen; allein die kleinen Anekdoten, die feinen Züge, worauf er anspielt, sind hier gänzlich unbekannt, gehen verloren. Man findet ihn medisant, empfindet ihn als Lästerer, Verleumder, da in der Stadt niemand ihn einer Verleumdung beschuldigt; seine Komplimente, die er wahrlich gut meint, hält man für Falschheit; die Süßigkeiten, die er den Frauenzimmern sagt und die nur höflich und verbindlich sein sollen, betrachtet man als Spott. – So groß ist die Verschiedenheit des Tons unter zweierlei Klassen von Menschen! – Ein Professor, der in der literarischen Welt eine nicht gemeine Rolle spielt, meint in seiner gelehrten Einfalt, die Universität, auf welcher er lebt, sei der Mittelpunkt aller Wichtigkeit, und das Fach, in welchem er sich Kenntnisse erworben, die einzige dem Menschen nützliche, wahrer Anstrengung allein werte Wissenschaft. Er nennt jeden, der sich darauf nicht gelegt hat, verächtlicherweise einen Belletristen; einer Dame, die bei ihrer Durchreise den berühmten Mann kennenzulernen wünscht und ihn desfalls besucht, schenkt er seine neue, in lateinischer Sprache geschriebene Dissertation, wovon sie nicht ein Wort versteht; er unterhält die Gesellschaft, welche sich darauf gefreut hatte, ihn recht zu genießen, bei der Abendtafel mit Zergliederung des neuen akademischen Kreditedikts, oder, wenn der Wein dem guten Manne jovialische Laune gibt, mit Erzählung lustiger Schwänke aus seinen Studentenjahren.
Einst speisete ich mit dem Benediktiner-Prälaten aus I*** bei Hofe in H***; man hatte dem dicken hochwürdigen Herrn den Ehrenplatz neben Ihrer Hoheit der Fürstin gegeben; vor ihm lag ein großer Ragoutlöffel zum Vorlegen; er glaubte aber, dieser größere Löffel sei, ihm zur besondern Ehre, zu seinem Gebrauche dahingelegt, und um zu zeigen, daß er wohl wisse, was die Höflichkeit erfordert, bat er die Prinzessin ehrerbietig, sie möchte doch statt seiner sich des Löffels bedienen, der freilich viel zu groß war, um in ihr kleines Mäulchen zu passen.
In welcher Verlegenheit ist zuweilen ein Mann, der nicht viel Journale und neurere Modeschriften liest, wenn er in eine Gesellschaft von schöngeisterischen Herrn und Damen gerät! Gleichsam wie verraten und verkauft scheint ein sogenannter Profaner, wenn er sich unter einem Haufen Mitglieder einer geheimen Verbindung befindet.
Freilich kann nichts ungesitteter, den wahren Begriffen einer feinen Lebensart mehr entgegen sein, als wenn eine Anzahl Menschen, die sich auf diese Art untereinander verstehen, einem Fremden, der gutmütig unter sie tritt, um an den Freuden der Geselligkeit teilzunehmen, durch ununterbrochene Lenkung des Gesprächs auf Gegenstände, wovon dieser gar nichts versteht, jeden Genuß der Unterredung rauben. Auf diese Art habe ich zuweilen in meiner ersten Jugend in Familienzirkeln, wo die Unterhaltung beständig mit Anspielungen auf mir gänzlich unbekannte Anekdoten durchflochten und durch gewisse mir fremde Redensarten und Bonmots, womit ich gar keinen Begriff verbinden konnte, gewürzt war, tötende Langeweile gehabt. Man sollte wohl mehr Rücksicht nehmen; allein selten sind ganze Gesellschaften so billig, sich nach einzelnen zu richten; auch läßt sich das nicht immer mit Recht fordern; folglich ist es wichtig für jeden, der in der Welt mit Menschen leben will, die Kunst zu studieren, sich nach Sitten, Ton und Stimmung andrer zu fügen.
Über diese Kunst will ich etwas sagen. – Aber habe ich denn auch wohl Beruf, ein Buch über den esprit de conduite zu schreiben, ich, der ich in meinem Leben vielleicht sehr wenig von diesem Geiste gezeigt habe? Ziemt es mir, Menschenkenntnis auszukramen, da ich so oft ein Opfer der unvorsichtigsten, einem Neulinge kaum zu verzeihenden Hingebung gewesen hin? Wird man die Kunst des Umgangs von einem Manne lernen wollen, der beinahe von allem menschlichen Umgange abgesondert lebt? – Lasset doch sehn, meine Freunde! was sich darauf antworten läßt! Habe ich widrige Erfahrungen gemacht, die mich von meiner eigenen Ungeschicklichkeit überzeugt haben – desto besser! Wer kann so gut vor der Gefahr warnen, als der, welcher darin gesteckt hat? Haben Temperament und Weichlichkeit (oder darf ich es nicht Fühlbarkeit eines so gern sich anschließenden Herzens nennen?), haben Sehnsucht nach Liebe und Freundschaft, nach Gelegenheit, andern zu dienen und sympathische Empfindungen zu erregen, mich oft unvorsichtig handeln gemacht, oft die kalkulierende Vernunft weit zurückgelassen; so war es wahrlich nicht Blödsinnigkeit, Kurzsichtigkeit, Unbekanntschaft mit Menschen, was mich irreleitete, sondern Bedürfnis, zu lieben und geliebt zu werden, Verlangen, tätig zu sein, zum Guten zu wirken. Übrigens werden vielleicht wenig Menschen in einem so kurzen Zeitraume in so manche sonderbare Verhältnisse und Verbindungen mit andern Menschen aller Art geraten, als ich seit ungefähr zwanzig Jahren; und da hat man denn schon Gelegenheit, wenn man nicht ganz von der Natur und Erziehung verwahrlost ist, Bemerkungen zu machen, und vor Gefahren zu warnen, die man selbst nicht hat vermeiden können. Daß ich aber jetzt einsam und abgezogen lebe, geschieht weder aus Menschenhaß noch Blödigkeit; ich habe sehr wichtige Gründe dazu; allein diese hier weitläufig zu entwickeln, das hieße zu viel von mir selbst reden, da ich ohnehin noch, zum Schlusse dieser Einleitung, etwas über meine eigenen Erfahrungen werde sagen müssen, bevor ich zum Zwecke komme. – Also nur noch dieses:
Ich trat als ein sehr junger Mensch, beinahe noch als ein Kind, schon in die große Welt und auf den Schauplatz des Hofes. Mein Temperament war lebhaft, unruhig, bewegsam, mein Blut warm; die Keime zu mancher heftigen Leidenschaft lagen in mir verborgen; ich war in der ersten Erziehung ein wenig verzärtelt und durch große Aufmerksamkeit, deren man meine kleine Person früh gewürdigt hatte, gewöhnt worden, sehr viel Rücksichten von andern Leuten zu fordern.
In einem freien Vaterlande auf gewachsen, wo Schmeichelei, Verstellung und ein gewisses kriechendes Wesen nicht sehr zu Hause sind, hatte man mich freilich auch nicht zu jener Geschmeidigkeit vorbereitet, deren ich bedurfte, um, unter mir ganz fremden Leuten, in despotischen Staaten große Fortschritte zu machen; auch ist der theoretische Unterricht in wahrer Weltklugheit bei der Jugend teils selten mit Erfolge, teils nicht immer ohne Gefahr zu erteilen; eigene Erfahrung muß da in der Folge das Beste tun. Diese Lektionen, wenn man das Glück hat, wohlfeil daran zu kommen, sind von der heilsamsten Wirkung und prägen sich tief ein. Noch erinnere ich mich einer kleinen Szene von der Art, die mich auf eine Zeitlang vorsichtig machte: Ich saß in C*** in der italienischen Oper, in der herrschaftlichen Loge; ich war früher als der Hof gekommen, weil ich mittags nicht auf dem Schlosse, sondern in der Stadt zu Gaste gespeist hatte; noch waren wenig Menschen da; in der ganzen Reihe des ersten Rangs saß nur der einzige Landkommandeur, Graf J***, ein würdiger Greis. Er hatte, wie es scheint, auch darauf gerechnet, daß es schon später wäre, als es wirklich war; weil er nun Langeweile hatte und mich gleichfalls einsam da sitzen sah, so trat er zu mir herein und fing eine Unterredung mit mir an. Er schien sehr zufrieden mit dem, was ich ihm über verschiedene Gegenstände, von denen ich einige Kenntnis besaß, sagte; der Greis wurde immer freundlicher und herablassender, und dies kitzelte mich so sehr, daß ich darauf allerlei Seitensprünge in meinem Gespräche machte und zuletzt ein wenig medisant wurde.
Endlich entwischte mir eine mir gegenwärtig nicht mehr erinnerliche grobe Unvorsichtigkeit im Reden; der Graf sah mir ernsthaft in das Gesicht, und ohne weiter ein Wort zu verlieren, ließ er mich stehn und ging zurück in seine Loge. Ich fühlte die ganze Stärke dieses Verweises, aber die Arzenei half nicht lange. Meine Lebhaftigkeit verleitete mich zu großen Inkonsequenzen; ich übereilte alles, tat immer zu viel oder zu wenig, kam stets zu früh oder zu spät, weil ich immer entweder eine Torheit beging oder eine andere gutzumachen hatte. Daher kamen unendliche Widersprüche in meinen Handlungen, und ich verfehlte fast bei allen Gelegenheiten des Zwecks, weil ich keinen einfachen Plan verfolgte. Zuerst war ich zu sorglos, zu offen, gab mich zu unvorsichtig hin und schadete mir dadurch; alsdann nahm ich mir vor, ein feiner Hofmann zu werden; mein Betragen wurde gekünstelt, und nun trauten mir die Bessern nicht; ich war zu geschmeidig und verlor dadurch äußere Achtung und innere Würde, Selbständigkeit und Ansehn. Erbittert gegen mich und andre riß ich mich dann los und wurde bizarr. Dies erregte Aufsehn; die Menschen suchten mich auf, wie sie alles Sonderbare aufsuchen. Dadurch aber erwachte mein Trieb zur Geselligkeit wieder; ich näherte mich aufs neue, lenkte wieder ein, und nun verschwand der Nimbus, den nur meine Abgezogenheit von der Welt um mich her gezogen hatte. In einer andern Periode spottete ich der Torheiten, zuweilen nicht ohne Witz; man fürchtete mich, aber man liebte mich nicht; dies schmerzte mich; um das wieder gutzumachen, zeigte ich mich von der unschädlichen Seite, entfaltete mein liebevolles, wohlwollendes Herz, unfähig zu schaden und zu verfolgen – und die Wirkung davon war, daß jedermann, der noch einen Rest von Groll auf mich oder irgendeinen lustigen Einfall von mir auf seine Rechnung geschrieben hatte, mir jetzt auf der Nase spielte, sobald er sah, daß ich nur mit Rapieren und nicht mit Schwertern focht, daß meine Waffen nicht zum Morde geschliffen waren. Oder wenn meine satirische Laune durch den Beifall lustiger Gesellschafter aufgeweckt wurde, hechelte ich große und kleine Toren durch; die Spaßvogel lachten dann; aber die Weisern schüttelten die Köpfe und wurden kalt gegen mich.