Über den Umgang mit Menschen - Adolph Freiherr von Knigge - E-Book

Über den Umgang mit Menschen E-Book

Adolph Freiherr von Knigge

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Beschreibung

Viele denken bei Knigge an kleinliche Benimmregeln, welche Gabel man für welche Speisen nutzt oder ob zuerst die Dame begrüßt wird und erst dann der höhergestellte Herr? Mit solchen Nebensächlichkeiten und Moden hat das Buch von Knigge nichts zu tun. Es ist mehr zu verstehen als ein psychologisches Benimmwerk und als Buch voller zeitloser Lebensweisheiten. Wir lernen über den Umgang mit Familie, Freunden, Bekanntschaften, dem anderen Geschlecht und - bemerkenswert! - mit uns selbst. "Die Pflichten gegen uns selbst sind die wichtigsten und ersten, und also der Umgang mit unsrer eigenen Person gewiß weder der unnützeste noch uninteressanteste." [Kapitel "Über den Umgang mit sich selbst"] Der Titel ist Programm; Knigge konzentriert sich auf den Umgang mit Menschen. Eine Lebensphilosophie zum Gebrauch für die unmittelbare gesellschaftliche Praxis, ganz in der der Tradition der Aufklärung stehend. Knigges Sammeln von Erfahrungen und Beobachtungen lassen die Texte nicht als moraline Regeln, sondern als Vorschläge verkleidet daherkommen. Das Buch ist mehr ein früher Lebensratgeber als Benimmführer. In der 3. Auflage von 1790 hat es seine endgültige Form bekommen. Die lebendige und lebensnahe Sprache machen das Alter der Schriften schnell vergessen. Menschen sind Menschen geblieben, die Themen sind brandaktuell und werden es immer bleiben. "Allein in den jetzigen Zeiten, wo der Luxus so übertrieben wird; wo die Bedürfnisse, auch des mäßigsten Mannes, der in der Welt leben und eine Familie unterhalten muß, so groß sind; wo der Preis der nötigen Lebensmittel täglich steigt; wo die Macht des Geldes soviel entscheidet; wo der Reiche ein so beträchtliches Übergewicht über den Armen hat; endlich, wo von der einen Seite Betrug und Falschheit und von der andern Mißtrauen und Mangel an brüderlichen Gesinnungen in allen Ständen sich ausbreiten ..." [Kapitel: "Über den Umgang mit Leuten von verschiedenen Gemütsarten, Temperamenten und Stimmung des Geistes und Herzens"] Null Papier Verlag

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Adolph Freiherr von Knigge

Über den Umgang mit Menschen

Adolph Freiherr von Knigge

Über den Umgang mit Menschen

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected] 2. Auflage, ISBN 978-3-954183-13-5

null-papier.de/angebote

Inhaltsverzeichnis

Das Buch

Über den Um­gang mit Men­schen

Vor­re­de zu die­ser drit­ten Auf­la­ge

Vor­re­de zu den ers­ten bei­den Auf­la­gen

Ers­ter Teil

Ein­lei­tung

1.

2.

3.

4.

Ers­tes Ka­pi­tel

All­ge­mei­ne Be­mer­kun­gen und Vor­schrif­ten über den Um­gang mit Men­schen

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

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57.

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59.

60.

61.

62.

63.

Zwei­tes Ka­pi­tel

Über den Um­gang mit sich selbst

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

Drit­tes Ka­pi­tel

Über den Um­gang mit Leu­ten von ver­schie­de­nen Ge­müts­ar­ten, Tem­pe­ra­men­ten und Stim­mung des Geis­tes und Her­zens

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

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21.

22.

23.

24.

25.

26.

27.

28.

29.

Zwei­ter Teil

Ein­lei­tung

Ers­tes Ka­pi­tel

Von dem Um­gan­ge un­ter Men­schen von ver­schie­de­nem Al­ter

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

Zwei­tes Ka­pi­tel

Von dem Um­gan­ge un­ter El­tern, Kin­dern und Bluts­freun­den

1.

2.

3.

4.

Drit­tes Ka­pi­tel

Von dem Um­gan­ge un­ter Ehe­leu­ten

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

17.

18.

19.

20.

21.

22.

Vier­tes Ka­pi­tel

Über den Um­gang mit und un­ter Ver­lieb­ten

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

Fünf­tes Ka­pi­tel

Über den Um­gang mit Frau­en­zim­mern

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

17.

18.

19.

20.

21.

Sechs­tes Ka­pi­tel

Über den Um­gang un­ter Freun­den

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

17.

18.

19.

20.

21.

22.

Sie­ben­tes Ka­pi­tel

Über die Ver­hält­nis­se zwi­schen Herrn und Die­ner

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

Ach­tes Ka­pi­tel

Be­tra­gen ge­gen Haus­wir­te, Nach­barn und sol­che, die mit uns in dem­sel­ben Hau­se woh­nen

1.

2.

3.

4.

5.

Neun­tes Ka­pi­tel

Über das Ver­hält­nis zwi­schen Wirt und Gast

1.

2.

3.

4.

Zehn­tes Ka­pi­tel

Über die Ver­hält­nis­se un­ter Wohl­tä­tern und de­nen, wel­che Wohl­ta­ten emp­fan­gen, wie auch un­ter Leh­rern und Schü­lern, Gläu­bi­gern und Schuld­nern

1.

2.

3.

4.

5.

6.

Elf­tes Ka­pi­tel

Über das Be­tra­gen ge­gen Leu­te in al­ler­lei be­son­dern Ver­hält­nis­sen und La­gen

1.

2.

3.

4.

Zwölf­tes Ka­pi­tel

Über das Be­tra­gen bei ver­schie­de­nen Vor­fäl­len im mensch­li­chen Le­ben

1.

2.

3.

4.

5.

6.

Drit­ter Teil

Ein­lei­tung

Ers­tes Ka­pi­tel

Über den Um­gang mit den Gro­ßen der Erde, Fürs­ten, Vor­neh­men und Rei­chen

1.

2.

3.

4.

5.

6.

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8.

9.

10.

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12.

13.

14.

15.

16.

17.

18.

19.

20.

21.

22.

Zwei­tes Ka­pi­tel

Über den Um­gang mit Ge­rin­gern

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

Drit­tes Ka­pi­tel

Über den Um­gang mit Hofleu­ten und ih­res­glei­chen

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

Vier­tes Ka­pi­tel

Über den Um­gang mit Geist­li­chen

1.

2.

3.

Fünf­tes Ka­pi­tel

Über den Um­gang mit Ge­lehr­ten und Künst­lern

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

Sechs­tes Ka­pi­tel

Über den Um­gang mit Leu­ten von al­ler­lei Stän­den im bür­ger­li­chen Le­ben

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

Sie­ben­tes Ka­pi­tel

Über den Um­gang mit Leu­ten von al­ler­lei Le­bens­art und Ge­wer­be

1.

2.

3.

4.

Ach­tes Ka­pi­tel

Über ge­hei­me Ver­bin­dun­gen und den Um­gang mit den Mit­glie­dern der­sel­ben

1.

2.

3.

Neun­tes Ka­pi­tel

Über die Art, mit Tie­ren um­zu­gehn

1.

2.

3.

4.

5.

6.

Zehn­tes Ka­pi­tel

Über das Ver­hält­nis zwi­schen Schrift­stel­ler und Le­ser

1.

2.

3.

4.

Elf­tes Ka­pi­tel

Schluß

1.

2.

3.

4.

Dan­ke

Dan­ke, dass Sie sich für ein E-Book aus mei­nem Ver­lag ent­schie­den ha­ben.

Soll­ten Sie Hil­fe be­nö­ti­gen oder eine Fra­ge ha­ben, schrei­ben Sie mir.

Ihr Jür­gen Schul­ze

Sach­bü­cher bei Null Pa­pier

Auf­stand in der Wüs­te

Das Le­ben Jesu

Vom Krie­ge

Ge­schmacks­ver­ir­run­gen im Kunst­ge­wer­be

An­sich­ten der Na­tur

Über den Um­gang mit Men­schen

Die Kunst Recht zu be­hal­ten

Wal­den

Rö­mi­sche Ge­schich­te

Der Un­ter­gang des Abend­lan­des

und wei­te­re …

Das Buch

Über den Umgang mit Menschen

Vie­le den­ken bei Knig­ge an klein­li­che Be­nimm­re­geln, wel­che Ga­bel man für wel­che Spei­sen nutzt oder ob zu­erst die Dame be­grüßt wird und erst dann der hö­her­ge­stell­te Herr?

Mit sol­chen Ne­ben­säch­lich­kei­ten und Mo­den hat das Buch von Knig­ge nichts zu tun.

Es ist mehr zu ver­ste­hen als ein psy­cho­lo­gi­sches Be­nimm­werk und als Buch vol­ler zeit­lo­ser Le­bens­weis­hei­ten. Wir ler­nen über den Um­gang mit Fa­mi­lie, Freun­den, Be­kannt­schaf­ten, dem an­de­ren Ge­schlecht und -- be­mer­kens­wert! -- mit uns selbst.

»Die Pf­lich­ten ge­gen uns selbst sind die wich­tigs­ten und ers­ten, und also der Um­gang mit uns­rer ei­ge­nen Per­son ge­wiß we­der der un­nüt­zes­te noch un­in­ter­essan­tes­te.« [Ka­pi­tel »Über den Um­gang mit sich selbst«]

Der Ti­tel ist Pro­gramm; Knig­ge kon­zen­triert sich auf den Um­gang mit Men­schen. Eine Le­bens­phi­lo­so­phie zum Ge­brauch für die un­mit­tel­ba­re ge­sell­schaft­li­che Pra­xis, ganz in der der Tra­di­ti­on der Auf­klä­rung ste­hend. Knig­ges Sam­meln von Er­fah­run­gen und Beo­b­ach­tun­gen las­sen die Tex­te nicht als mo­ra­li­ne Re­geln, son­dern als Vor­schlä­ge ver­klei­det da­her­kom­men.

Das Buch ist mehr ein frü­her Le­bens­rat­ge­ber als Be­nimm­füh­rer. In der 3. Auf­la­ge von 1790 hat es sei­ne end­gül­ti­ge Form be­kom­men.

Die le­ben­di­ge und le­bens­na­he Spra­che ma­chen das Al­ter der Schrif­ten schnell ver­ges­sen. Men­schen sind Men­schen ge­blie­ben, die The­men sind brand­ak­tu­ell und wer­den es im­mer blei­ben.

»Al­lein in den jet­zi­gen Zei­ten, wo der Lu­xus so über­trie­ben wird; wo die Be­dürf­nis­se, auch des mä­ßigs­ten Man­nes, der in der Welt le­ben und eine Fa­mi­lie un­ter­hal­ten muß, so groß sind; wo der Preis der nö­ti­gen Le­bens­mit­tel täg­lich steigt; wo die Macht des Gel­des so­viel ent­schei­det; wo der Rei­che ein so be­trächt­li­ches Über­ge­wicht über den Ar­men hat; end­lich, wo von der einen Sei­te Be­trug und Falsch­heit und von der an­dern Miß­trau­en und Man­gel an brü­der­li­chen Ge­sin­nun­gen in al­len Stän­den sich aus­brei­ten ...« [Ka­pi­tel: »Über den Um­gang mit Leu­ten von ver­schie­de­nen Ge­müts­ar­ten, Tem­pe­ra­men­ten und Stim­mung des Geis­tes und Her­zens«]

Das Wer­ke wur­de viel­fach nach­ge­druckt und über­setzt. Hier liegt es in der letz­ten, vom Au­tor über­ar­bei­ten und kom­men­tier­ten Fas­sung vor.

Be­son­ders in­ter­essant ist das fünf­tes Ka­pi­tel: »Über den Um­gang mit Frau­en­zim­mern«.

Vorrede zu dieser dritten Auflage

Die gü­ti­ge, nach­sichts­vol­le Auf­nah­me, de­ren das Pub­li­kum in und au­ßer Deutsch­land dies Buch wür­digt, über­trifft sehr mei­ne Er­war­tung. Der schnel­le Ab­satz der ers­ten bei­den Auf­la­gen; die vor­teil­haf­ten Ur­tei­le ein­sichts­vol­ler Kun­strich­ter; die Aus­zü­ge, wel­che der Herr Pre­di­ger Fest und and­re dar­aus ge­macht ha­ben, und end­lich die Über­set­zun­gen des­sel­ben -- das al­les for­dert mich auf, kei­ne Mühe zu spa­ren, nach und nach das Feh­ler­haf­te dar­in aus­zu­mer­zen, und durch nö­ti­ge Zu­sät­ze so­wie durch Ver­bes­se­rung der Schreibart mei­nem Wer­ke mehr Voll­kom­men­heit zu ver­schaf­fen.

Auf­merk­sa­me Le­ser wer­den fin­den, wel­che große Ver­än­de­run­gen, so­wohl was die An­ord­nung, als was den In­halt selbst be­trifft, ich bei die­ser drit­ten Auf­la­ge, wenn man sie ge­gen die ers­ten bei­den hält, vor­ge­nom­men habe. Ich bin da­bei ne­ben mei­ner ei­ge­nen Über­zeu­gung der Zu­recht­wei­sung wür­di­ger Män­ner ge­folgt. Un­ter die­se zäh­le ich, wie bil­lig, mit Dank­bar­keit auch den Herrn Re­zen­sen­ten im sie­bend­un­dacht­zigs­ten Ban­de der All­ge­mei­nen Deut­schen Biblio­thek, des­sen mil­de, aber ver­stän­di­ge und ernst­haf­te Win­ke ich größ­ten­teils zu mei­nem Vor­tei­le genützt habe.

Über un­wei­sen, nicht reif­lich durch­ge­dach­ten Ta­del hin­ge­gen habe ich mich hin­aus­ge­setzt. Ohne der ver­ach­tens­wer­ten Be­schul­di­gung des salz­bur­gi­schen Herrn Kri­ti­kers Er­wäh­nung zu tun, will ich nur des Vor­wurfs der den deut­schen Schrift­stel­lern so eig­nen, zu großen Voll­stän­dig­keit ge­den­ken, wo­mit der un­deut­sche Herr Re­zen­sent in der All­ge­mei­nen Li­te­ra­tur-Zei­tung mich beehrt. Ich wer­de mich be­stre­ben, die­ses Vor­wurfs in vol­lem Maß wür­dig zu wer­den. Hat mein Buch ei­ni­gen Wert, so be­stimmt ge­wiß eben die­se mög­lichs­te Voll­stän­dig­keit einen großen Teil des­sel­ben, und je­der­mann wird zum Wohl­tä­ter an mir wer­den, der mir jetzt an­zeigt, über wel­che Ver­hält­nis­se und La­gen im mensch­li­chen Le­ben ich noch Be­mer­kun­gen und Vor­schrif­ten zu lie­fern ver­säumt habe.

*

Man hat ge­gen den Ti­tel die­ses Werks die Erin­ne­rung ge­macht: daß er nur Re­geln des Um­gangs an­kün­dig­te, da hin­ge­gen das Buch selbst fast über alle Tei­le der Sit­ten­leh­re sich aus­dehn­te. Bil­li­ge Rich­ter ha­ben in­des­sen ein­ge­se­hen, wie schwer dies zu ver­mei­den war. Wenn die Re­geln des Um­gangs nicht bloß Vor­schrif­ten ei­ner kon­ven­tio­nel­len Höf­lich­keit oder gar ei­ner ge­fähr­li­chen Po­li­tik sein sol­len, so müs­sen sie auf die Leh­ren von den Pf­lich­ten ge­grün­det sein, die wir al­len Ar­ten von Men­schen schul­dig sind, und wie­der­um von ih­nen for­dern kön­nen. -- Das heißt: ein Sys­tem, des­sen Grund­pfei­ler Moral und Welt­klug­heit sind, muß da­bei zum Grun­de lie­gen. Soll­te man an mei­nem Bu­che das ta­deln dür­fen, daß es mehr leis­tet, als der Ti­tel ver­spricht, so könn­te man dem Übel auf ein­mal ab­hel­fen, wenn man die­sem Wer­ke etwa die Über­schrift gäbe: »Vor­schrif­ten, wie der Mensch sich zu ver­hal­ten hat, um in die­ser Welt und in Ge­sell­schaft mit an­dern Men­schen glück­lich und ver­gnügt zu le­ben und sei­ne Ne­ben­menschen glück­lich und froh zu ma­chen.« Al­lein die­ser Ti­tel kommt mir eben­so ge­schwät­zig als prah­le­risch vor. Man ver­zei­he mir’s also, daß ich es da­mit beim al­ten ge­las­sen habe!

And­re ha­ben hier Vor­schrif­ten für jun­ge Leu­te ver­mißt, die als Stu­den­ten, Of­fi­zie­re usf. in die Welt tre­ten. -- Vor­schrif­ten, wie die­se sich ge­gen and­re jun­ge Leu­te glei­chen Stan­des zu be­tra­gen hät­ten. Der Herr Re­zen­sent in den Würz­bur­ger ge­lehr­ten An­zei­gen hat da­ge­gen sehr ver­nünf­tig an­ge­merkt, daß, wenn ich so hät­te in das De­tail gehn wol­len, ich viel­leicht in zehn Bän­den mei­nen Ge­gen­stand nicht wür­de er­schöpft ha­ben, und daß ich mich sehr viel­fach hät­te wie­der­ho­len müs­sen. Ich füge noch hin­zu, daß un­ter jun­gen Leu­ten, die noch kei­nen fes­ten Cha­rak­ter ha­ben, die Man­nig­fal­tig­keit der Son­der­bar­kei­ten, wel­che sie in ih­rer Art sich zu be­tra­gen zei­gen, zwar un­end­lich groß, aber auch zu­gleich so un­wich­tig scheint, daß ein Jüng­ling, dem es ernst ist, sich für die Welt zu bil­den, auf die­se wei­ter kei­ne Rück­sicht zu neh­men braucht, wenn er sich, im Um­gan­ge mit Men­schen von glei­chem Al­ter, so vor­sich­tig, or­dent­lich und red­lich be­trägt, als die Vor­schrif­ten dazu in die­sem Bu­che, so­wohl im all­ge­mei­nen, als nach den ver­schie­de­nen Stim­mun­gen und Ver­hält­nis­sen un­ter al­len Gat­tun­gen von Men­schen, an­ge­ge­ben wer­den.

Han­no­ver, im Ja­nu­ar 1790.

Vorrede zu den ersten beiden Auflagen

Der Ge­gen­stand die­ses Buchs kommt mir groß und wich­tig vor, und irre ich nicht, so ist der Ge­dan­ke, in ei­nem eig­nen Wer­ke Vor­schrif­ten für den Um­gang mit al­len Klas­sen von Men­schen zu ge­ben, noch neu.1 Eben die­ser Um­stand aber und daß mir in Deutsch­land, so­viel ich weiß, nie­mand vor­ge­ar­bei­tet hat, muß einen Teil der Un­voll­kom­men­hei­ten mei­ner Ar­beit ent­schul­di­gen. Es ist ein wei­tes Feld voll­stän­dig und gründ­lich zu be­ar­bei­ten, viel­leicht für einen Men­schen und ge­wiß für mei­ne Kräf­te zu groß. Kann aber das in ma­gnis vo­luis­se ali­quid Ver­dienst ge­ben, so darf ich ei­ni­gen An­spruch auf den Dank des Pub­li­kums ma­chen, um so mehr, wenn etwa mei­ne Ar­beit bei ei­nem grö­ßern Men­schen­ken­ner und fei­nern Phi­lo­so­phen einst die Lust er­we­cken soll­te, et­was Voll­komm­ne­res hier­über zu lie­fern.

Vi­el­leicht wird man mir Weit­schwei­fig­keit vor­wer­fen und mich be­schul­di­gen, ich hät­te Rä­so­ne­ments ein­ge­mischt, die nicht ei­gent­lich zu den Re­geln über den Um­gang mit Men­schen ge­hö­ren; al­lein es ist hier schwer, die wah­re Grenz­li­nie zu fin­den. Wenn ich zum Bei­spiel leh­ren will, wie ver­trau­te Freun­de im Um­gan­ge mit­ein­an­der sich be­tra­gen sol­len, so scheint es mir sehr pas­send, erst et­was über die Wahl ei­nes Freun­des und über die Gren­zen freund­schaft­li­cher Ver­trau­lich­keit zu sa­gen, und wenn ich über das Be­tra­gen im ge­sel­li­gen Le­ben in man­chen Klas­sen von Men­schen rede und zei­ge, wie man ih­rer Schwä­chen scho­nen soll, so ste­hen phi­lo­so­phi­sche Be­mer­kun­gen über die­se Schwä­chen selbst und über de­ren Quel­len nicht am un­rech­ten Ort.

Üb­ri­gens habe ich dies Buch nicht flüch­tig hin­ge­schrie­ben, wie wohl and­re mei­ner Schrif­ten, son­dern lan­ge an den Ma­te­ria­li­en dazu ge­sam­melt. -- Es ent­hält Re­sul­ta­te aus mei­nem ziem­lich un­ru­hi­gen Le­ben un­ter Men­schen man­cher Art. Bei dem ver­än­der­li­chen und leicht­fer­ti­gen Ge­schma­cke des deut­schen Pub­li­kums und der über­trie­be­nen Nach­sicht, mit wel­cher das­sel­be un­be­deu­ten­de Ro­ma­ne, lee­re Jour­na­le, plat­te Schau­spie­le und nichts­wür­di­ge An­ek­do­ten­samm­lun­gen auf­nimmt, möch­te es zwar kaum ei­ner Ent­schul­di­gung be­dür­fen, wenn man die­sen grö­ßern Teil des Pub­li­kums nicht so sehr re­spek­tier­te, daß man streng ge­wis­sen­haft in Wahl und Aus­fei­lung der Pro­duk­te wäre, wel­che man in die ge­lehr­te Welt schickt. Schrift­stel­le­rei ist in jet­zi­gen Zei­ten nicht viel mehr als Ge­spräch mit der Le­se­welt; in freund­schaft­li­chen Un­ter­re­dun­gen wiegt man aber nicht je­des Wort ab. Der mü­ßi­ge Hau­fen will ohne Un­ter­laß et­was Neu­es hö­ren; ernst­haf­te, wich­ti­ge Wer­ke wer­den von den Buch­händ­lern nicht halb so gern in Ver­lag ge­nom­men und vom Pub­li­kum nicht halb so eif­rig ge­le­sen als jene Mo­de­wa­re; wenn man sich nun her­abläßt, die Wahr­hei­ten, die man zu sa­gen hat, we­nigs­tens in ein sol­ches Ge­wand zu hül­len, wie es der große Hau­fen gern sieht, so läuft wohl frei­lich je zu­wei­len ein un­nüt­zes Wort mit un­ter, und das ist viel­leicht auch mein Fall ge­we­sen. Doch will ich of­fen­her­zig ge­nug sein, noch et­was zur Ent­schul­di­gung mei­ner bis­he­ri­gen Viel­schrei­be­rei an­zu­füh­ren.

Nie­mand kann leb­haf­ter als ich selbst füh­len, wel­cher Aus­fei­lung mei­ne zu­erst her­aus­ge­ge­be­nen Schrif­ten noch be­durft hät­ten, um ir­gend­ei­nen Grad von Voll­kom­men­heit zu er­rei­chen. In­des­sen wur­den sie und wer­den noch im­mer häu­fi­ger ge­le­sen und öf­ter auf­ge­legt, als sie es ver­die­nen. Der Ver­le­ger bat um mehr Ware von der Art, mach­te mir vor­teil­haf­te Be­din­gun­gen, und ich wies den Er­werb nicht von mir. Ich schä­me mich die­ses Ge­ständ­nis­ses nicht: Wer nur ir­gend weiß, auf wel­che Wei­se mein Ver­mö­gen eine lan­ge Rei­he von Jah­ren hin­durch, sehr ohne mei­ne Schuld, ist ver­wal­tet wor­den, der wird mir das gern ver­zeihn, und wer mit mei­ner häus­li­chen Le­bens­art be­kannt ist, muß mir das Zeug­nis ge­ben, daß ich das Ge­won­ne­ne auf kei­ne un­ed­le Art ver­wen­det habe.

Nicht im­mer habe ich mich vor mei­nen Schrif­ten ge­nannt; zu­wei­len hat man mich als Ver­fas­ser von Bü­chern an­ge­ge­ben, die ich nicht ein­mal ge­le­sen hat­te. Das hat mich bis jetzt we­nig be­küm­mert; an­ders aber han­delt der Mann, der in frem­den Pro­vin­zen lebt, ohne an den Staat ge­knüpft zu sein, dem es des­falls we­ni­ger ängst­lich um sei­nen bür­ger­li­chen und ge­lehr­ten Ruf zu tun ist, und an­ders der, wel­cher in sei­nem Va­ter­lan­de wohnt, und dem die Ach­tung, auch des Ge­rings­ten un­ter sei­nen Mit­bür­gern, nicht gleich­gül­tig sein darf. Nach acht­zehn­jäh­ri­ger Ab­we­sen­heit be­fin­de ich mich nun wie­der in dem letz­tern Fal­le. Ich wür­de fürch­ten, man möch­te das Un­kraut, das ich her­gä­be, dem va­ter­län­di­schen Bo­den zur Last le­gen, auf wel­chem es ge­wach­sen wäre, wenn ich fort­füh­re, so schnell zu ar­bei­ten; ich wür­de fürch­ten, mein lie­bes Va­ter­land zu be­schimp­fen, in wel­chem gott­lob der Hau­fen elen­der Scribler noch nicht so groß ist als in den mehrs­ten an­dern Pro­vin­zen Deutsch­lands. Was ich also hier lie­fre und etwa fer­ner lie­fern wer­de (wenn ich je noch au­ßer die­sem Wer­ke et­was schrei­ben soll­te), muß we­nigs­tens kei­ne lose Ware sein, und nicht leicht wer­de ich wie­der et­was dru­cken las­sen, ohne mei­nen Na­men da­vor­zu­set­zen.

Es hat nicht Un­zu­frie­den­heit mit mei­nem Herrn Ver­le­ger in Frank­furt am Main, son­dern and­re Rück­sich­ten ha­ben mich be­wo­gen, dies Buch ei­ner hie­si­gen Buch­hand­lung in Ver­lag zu ge­ben; viel­mehr muß ich dem Herrn An­dreä das Zeug­nis ge­ben, daß er sich je­der­zeit sehr bil­lig, red­lich und freund­schaft­lich ge­gen mich be­tra­gen hat.

Ei­ni­ge mei­ner Schrif­ten sind in Wien und Leip­zig nach­ge­druckt wor­den; soll­te ei­ner von der be­rüch­tig­ten Zunft etwa auch auf dies Bü­chel­chen eine kor­sa­ri­sche Un­ter­neh­mung von der Art wa­gen wol­len, so dient dem­sel­ben zur Nach­richt, daß alle Vor­keh­run­gen ge­trof­fen sind, den Scha­den ei­nes sol­chen Dieb­stahls auf den Räu­ber selbst fal­len zu ma­chen.

Han­no­ver im Jän­ner 1788.

Ein ge­wis­ser Herr Kun­strich­ter hat die Ent­de­ckung ge­macht, und die­se, in sei­ner Be­ur­tei­lung der ers­ten Aus­ga­be mei­nes Buchs, dem Pub­li­kum mit­ge­teilt, näm­lich die Ent­de­ckung: daß ich sehr irr­te, wenn ich glaub­te, der Ge­dan­ke, Vor­schrif­ten für den Um­gang mit Men­schen zu ge­ben, sei neu; man fin­de viel­mehr der­glei­chen in man­chen an­dern Bü­chern. Der gute Mann hat in der Tat recht; selbst in Ge­se­nii Haus­ta­fel trifft man sol­che Vor­schrif­ten an. Nur mei­ne ich, der Ge­dan­ke, sol­che Vor­schrif­ten, und die nicht sämt­lich von ganz ge­mei­ner Art sind, für alle Ver­hält­nis­se zu sam­meln, das wäre doch wohl nicht eben ab­ge­nutzt. Es wür­de mir in­des­sen an­ge­nehm sein, wenn ge­dach­ter Herr Kun­strich­ter mir ein Werk von die­ser Art nam­haft ma­chen und mir zu­gleich Ge­le­gen­heit ge­ben woll­te, die in mei­ner Schrift im all­ge­mei­nen ge­rüg­te Spra­chun­rich­tig­keit durch Stu­di­um sei­ner mir un­be­kann­ten Schrif­ten zu ver­bes­sern.  <<<

Erster Teil

Einleitung

1.

Wir se­hen die klügs­ten, ver­stän­digs­ten Men­schen im ge­mei­nen Le­ben Schrit­te tun, wozu wir den Kopf schüt­teln müs­sen.

Wir se­hen die feins­ten theo­re­ti­schen Men­schen­ken­ner das Op­fer des gröbs­ten Be­trugs wer­den.

Wir se­hen die er­fah­rens­ten, ge­schick­tes­ten Män­ner bei all­täg­li­chen Vor­fäl­len un­zweck­mä­ßi­ge Mit­tel wäh­len, se­hen, daß es ih­nen miß­lingt, auf and­re zu wir­ken, daß sie, mit al­lem Über­ge­wich­te der Ver­nunft, den­noch oft von frem­den Tor­hei­ten, Gril­len und von dem Ei­gen­sin­ne der Schwä­che­ren ab­hän­gen, daß sie von schie­fen Köp­fen, die nicht wert sind, ihre Schuhrie­men auf­zu­lö­sen, sich müs­sen re­gie­ren und miß­han­deln las­sen, daß hin­ge­gen Schwäch­lin­ge und Un­mün­di­ge an Geist Din­ge durch­set­zen, die der Wei­se kaum zu wün­schen wa­gen darf.

Wir se­hen man­chen Red­li­chen fast all­ge­mein ver­kannt.

Wir se­hen die wit­zigs­ten, hells­ten Köp­fe in Ge­sell­schaf­ten, wo al­ler Au­gen auf sie ge­rich­tet wa­ren und je­der­mann be­gie­rig auf je­des Wort lau­er­te, das aus ih­rem Mun­de kom­men wür­de, eine nicht vor­teil­haf­te Rol­le spie­len, se­hen, wie sie ver­stum­men oder lau­ter ge­mei­ne Din­ge sa­gen, in­des ein and­rer äu­ßerst lee­rer Mensch sei­ne drei­und­zwan­zig Be­grif­fe, die er hie und da auf­ge­schnappt hat, so durch­ein­an­der zu wer­fen und auf­zu­stut­zen ver­steht, daß er Auf­merk­sam­keit er­regt und selbst bei Män­nern von Kennt­nis­sen für et­was gilt.

Wir se­hen, daß die glän­zends­ten Schön­hei­ten nicht al­lent­hal­ben ge­fal­len, in­des Per­so­nen, mit we­ni­ger äu­ßern An­nehm­lich­kei­ten aus­ge­rüs­tet, all­ge­mein in­ter­es­sie­ren. --

Alle die­se Be­mer­kun­gen schei­nen uns zu sa­gen, daß die ge­lehr­tes­ten Män­ner, wenn nicht zu­wei­len die un­tüch­tigs­ten zu al­len Welt­ge­schäf­ten, doch we­nigs­tens un­glück­lich ge­nug sind, durch den Man­gel ei­ner ge­wis­sen Ge­wandt­heit zu­rück­ge­setzt zu blei­ben, und daß die Geistreichs­ten, von der Na­tur mit al­len in­nern und äu­ßern Vor­zü­gen be­schenkt, oft am we­nigs­ten zu ge­fal­len, zu glän­zen ver­ste­hen.

Ich rede aber hier nicht von der frei­wil­li­gen Ver­zicht­leis­tung des Wei­sen auf die Be­wun­de­rung des vor­neh­men und ge­rin­gen Pö­bels. Daß der Mann von bess­rer Art da in sich selbst ver­schlos­sen schweigt, wo er nicht ver­stan­den wird; daß der Wit­zi­ge, Geist­vol­le in ei­nem Zir­kel scha­ler Köp­fe sich nicht so weit her­abläßt, den Spaß­ma­cher zu spie­len; daß der Mann von ei­ner ge­wis­sen Wür­de im Cha­rak­ter zu viel Stolz hat, sein gan­zes We­sen nach je­der ihm un­be­deu­ten­den Ge­sell­schaft um­zu­for­men, die Stim­mung an­zu­neh­men, wozu die jun­gen Laf­fen sei­ner Va­ter­stadt den Ton mit von Rei­sen ge­bracht ha­ben, oder den gra­de die Lau­ne ei­ner herr­schen­den Ko­ket­te zum Kon­ver­sa­ti­ons-, Kam­mer- und Chor­ton er­hebt; daß es den Jüng­ling bes­ser klei­det, be­schei­den, schüch­tern und still, als, nach Art der mehrs­ten uns­rer heu­ti­gen jun­gen Leu­te, vor­laut, selbst­ge­nüg­sam und plau­der­haft zu sein; daß der edle Mann, je klü­ger er ist, um de­sto be­schei­de­ner, um de­sto miß­traui­scher ge­gen sei­ne ei­ge­nen Kennt­nis­se, um de­sto we­ni­ger zu­dring­lich sein wird; oder daß, je mehr in­ne­rer, wah­rer Ver­diens­te sich je­mand be­wußt ist, er um de­sto we­ni­ger Kunst an­wen­den wird, sei­ne vor­teil­haf­ten Sei­ten her­vor­zu­keh­ren, so wie die wahr­haf­te Schön­heit alle klei­nen an­lo­cken­den, un­wür­di­gen Buhl­küns­te, wo­durch man sich be­merk­bar zu ma­chen sucht, ver­ach­tet, -- das al­les ist wohl sehr na­tür­lich! -- Da­von rede ich also nicht.1

Auch nicht von der be­lei­dig­ten Ei­tel­keit ei­nes Man­nes voll For­de­run­gen, der un­auf­hör­lich ein­ge­räu­chert, ge­schmei­chelt und vor­ge­zo­gen zu wer­den ver­langt und, wo das nicht ge­schieht, eine trau­ri­ge Fi­gur macht; nicht von dem ge­kränk­ten Hoch­mu­te ei­nes ab­ge­schmack­ten Pe­dan­ten, der das Maul hän­gen läßt, wenn er das Un­glück hat, nicht al­ler Or­ten für ein großes Licht der Er­den be­kannt und als ein sol­ches be­han­delt zu sein, wenn nicht je­der mit sei­nem Lämp­chen her­zu­läuft, um es an die­sem großen Lich­te der Auf­klä­rung an­zu­zün­den. Wenn ein stei­fer Pro­fes­sor, der ge­wöhnt ist, von sei­nem be­staub­ten Drei­fu­ße her­un­ter, sein Kom­pen­di­um in der Hand, ei­nem Hau­fen gaf­fen­der, un­bär­ti­ger Mu­sensöh­ne stun­den­lang hohe Weis­heit vor­zu­pre­di­gen und dann zu sehn, wie so­gar sei­ne plat­ten, in je­dem hal­b­en Jah­re wie­der­hol­ten Spä­ße sorg­fäl­tig nach­ge­schrie­ben wer­den; wie je­der Stu­dent so ehr­er­bie­tig den Hut vor ihm ab­zieht, und man­cher, der nach­her sei­nem Va­ter­lan­de Ge­set­ze gibt, ihm des Sonn­tags im Staats­klei­de die Auf­war­tung macht; wenn ein sol­cher ein­mal die Re­si­denz oder ir­gend­ei­ne and­re Stadt be­sucht, und das Un­glück nun will, daß man ihn dort kaum dem Na­men nach kennt, daß er in ei­ner fei­nen Ge­sell­schaft von zwan­zig Per­so­nen gänz­lich über­sehn oder von ir­gend­ei­nem Frem­den für den Kam­mer­die­ner im Hau­se ge­hal­ten und Er ge­nannt wird, er dann er­grimmt und ein ver­dros­se­nes Ge­sicht zeigt; oder wenn ein Stu­ben­ge­lehr­ter, der ganz fremd in der Welt, ohne Er­zie­hung und ohne Men­schen­kennt­nis ist, sich ein­mal aus dem Hau­fen sei­ner Bü­cher her­vor­ar­bei­tet, und er dann äu­ßerst ver­le­gen mit sei­ner Fi­gur, bunt­sche­ckig und alt­vä­te­risch ge­klei­det, in sei­nem vor drei­ßig Jah­ren nach der neues­ten Mode ver­fer­tig­ten Bräu­ti­gams­ro­cke da­sitzt und an nichts von al­lem, was ge­spro­chen wird, An­teil neh­men, kei­nen Fa­den fin­den kann, um mit an­zu­knüp­fen, so ge­hört das al­les nicht hier­her.

Eben­so­we­nig rede ich von dem gro­ben Zy­ni­ker, der nach sei­nem Hot­ten­tot­ten­sys­te­me alle Re­geln ver­ach­tet, wel­che Kon­ve­ni­enz und ge­gen­sei­ti­ge Ge­fäl­lig­keit den Men­schen im bür­ger­li­chen Le­ben vor­ge­schrie­ben ha­ben, noch von dem Kraft­ge­nie, das sich über Sit­te, An­stand und Ver­nunft hin­aus­zu­set­zen einen be­son­dern Frei­brief zu ha­ben glaubt.

Und wenn ich sage, daß oft auch die wei­ses­ten und klügs­ten Men­schen in al­ler Welt, im Um­gan­ge und in Er­lan­gung äu­ße­rer Ach­tung, bür­ger­li­cher und and­rer Vor­tei­le ih­res Zwecks ver­feh­len, ihr Glück nicht ma­chen, so brin­ge ich hier we­der in An­schlag, daß ein wid­ri­ges Ge­schick zu­wei­len den Bes­ten ver­folgt, noch daß eine un­glück­li­che lei­den­schaft­li­che oder un­ge­sel­li­ge Ge­müts­art bei man­chem die vor­züg­lichs­ten, edels­ten Ei­gen­schaf­ten ver­dun­kelt.

Nein! mei­ne Be­mer­kung trifft Per­so­nen, die wahr­lich al­len gu­ten Wil­len und treue Recht­schaf­fen­heit mit man­nig­fal­ti­gen, recht vor­züg­li­chen Ei­gen­schaf­ten und dem eif­ri­gen Be­stre­ben, in der Welt fort­zu­kom­men, ei­ge­nes und frem­des Glück zu bau­en, ver­bin­den, und die den­noch mit die­sem al­len ver­kannt, über­sehn wer­den, zu gar nichts ge­lan­gen. Wo­her kommt das? Was ist es, das die­sen fehlt und and­re ha­ben, die, bei dem Man­gel wah­rer Vor­zü­ge, alle Stu­fen mensch­li­cher, ir­di­scher Glück­se­lig­keit er­stei­gen? -- Was die Fran­zo­sen den es­prit de con­dui­te nen­nen, das fehlt je­nen: die Kunst des Um­gangs mit Men­schen -- eine Kunst, die oft der schwa­che Kopf, ohne dar­auf zu stu­die­ren, viel bes­ser er­lau­ert als der ver­stän­di­ge, wei­se, witz­rei­che; die Kunst, sich be­merk­bar, gel­tend, ge­ach­tet zu ma­chen, ohne be­nei­det zu wer­den; sich nach den Tem­pe­ra­men­ten, Ein­sich­ten und Nei­gun­gen der Men­schen zu rich­ten, ohne falsch zu sein; sich un­ge­zwun­gen in den Ton je­der Ge­sell­schaft stim­men zu kön­nen, ohne we­der Ei­gen­tüm­lich­keit des Cha­rak­ters zu ver­lie­ren, noch sich zu nied­ri­ger Schmei­che­lei her­ab­zu­las­sen. Der, wel­chen nicht die Na­tur schon mit die­ser glück­li­chen An­la­ge hat ge­bo­ren wer­den las­sen, er­wer­be sich Stu­di­um der Men­schen, eine ge­wis­se Ge­schmei­dig­keit, Ge­sel­lig­keit, Nach­gie­big­keit, Dul­dung, zu rech­ter Zeit Ver­leug­nung, Ge­walt über hef­ti­ge Lei­den­schaf­ten, Wach­sam­keit auf sich sel­ber und Hei­ter­keit des im­mer gleich ge­stimm­ten Ge­müts; und er wird sich jene Kunst zu ei­gen ma­chen; doch hüte man sich, die­sel­be zu ver­wech­seln mit der schänd­li­chen, nied­ri­gen Ge­fäl­lig­keit des ver­wor­fe­nen Skla­ven, der sich von je­dem miß­brau­chen läßt, sich je­dem preis­gibt; um eine Mahl­zeit zu ge­win­nen, dem Schur­ken hul­digt, und um eine Be­die­nung zu er­hal­ten, zum Un­rech­te schweigt, zum Be­tru­ge die Hän­de bie­tet und die Dumm­heit ver­göt­tert!

In­dem ich aber von je­nem es­prit de con­dui­te rede, der uns lei­ten muß, bei un­serm Um­gan­ge mit Men­schen al­ler Gat­tung, so will ich nicht etwa ein Kom­pli­men­tier­buch schrei­ben, son­dern ei­ni­ge Re­sul­ta­te aus den Er­fah­run­gen ziehn, die ich ge­sam­melt habe, wäh­rend ei­ner nicht kur­z­en Rei­he von Jah­ren, in wel­chen ich mich un­ter Men­schen al­ler Ar­ten und Stän­de um­her­trei­ben las­sen und oft in der Stil­le be­ob­ach­tet habe. -- Kein voll­stän­di­ges Sys­tem, aber Bruch­stücke, viel­leicht nicht zu ver­wer­fen­de Ma­te­ria­li­en, Stoff zu wei­term Nach­den­ken.

Ver­mut­lich war es die­se Stel­le in mei­nem Bu­che, wel­che einen Herrn qui­dam be­wog, in sei­ner Re­zen­si­on der ers­ten Auf­la­ge, zu sa­gen: »ich hät­te mir Schil­de­run­gen er­laubt, die man­chen Le­ser be­lei­di­gen wür­den.« Das ist mög­lich! Ein Buch voll Sit­ten­ge­mäl­de kann nicht so tro­cken ge­schrie­ben sein als ein Kom­pen­di­um. Dies be­lei­digt frei­lich nicht leicht je­mand an­ders als etwa den ech­ten Ge­schmack, die ge­sun­de Ver­nunft und den Sys­tem­geist ir­gend­ei­nes Pe­dan­ten. Wer hin­ge­gen die Sit­ten der Men­schen schil­dert, der kommt nicht so wohl­feil da­von. Er kann nicht füg­lich ihre Tor­hei­ten ver­schwei­gen; fühlt nun ein Narr, dem eine die­ser Tor­hei­ten an­klebt, sich da­durch ge­trof­fen, dann geht der Lärm los. So könn­te es zum Bei­spiel ge­schehn, daß, wenn ich von den Lä­cher­lich­kei­ten ei­nes Pro­fes­sors ge­re­det hät­te, der au­ßer sei­ner Stu­dier­stu­be, oder we­nigs­tens au­ßer sei­ner aka­de­mi­schen Sphä­re, in wel­cher er sich für ein großes Welt­licht hal­ten läßt und Ora­kel pre­digt, eine elen­de Fi­gur spiel­te, daß, sage ich, ein sol­cher Pro­fes­sor, der das lese, dar­über sehr ent­rüs­tet und wohl gar ge­reizt wür­de, des­we­gen eine hä­mi­sche Re­zen­si­on mei­nes Buchs dru­cken zu las­sen; al­lein das be­näh­me denn doch wohl die­sem Bu­che nichts von sei­nem Wer­te. Eine äu­ßerst bos­haf­te Stel­le in vor­er­wähn­ter Re­zen­si­on aber, und die ich nicht so kalt­blü­tig über­sehn kann, ist die, wo der große Ge­lehr­te mir Schuld gibt: »ich hät­te Vor­schrif­ten ge­ge­ben, wel­che die stren­ge Sitt­lich­keit nicht gut­hei­ßen kön­ne.« Ich ford­re ihn auf, mir, nicht nur in die­sem mei­nem neu­en, son­dern in ir­gend­ei­nem Bu­che, daß ich je ge­schrie­ben habe, eine Stel­le an­zu­füh­ren, die eine sol­che mich vor dem Pub­li­co ver­leum­den­de An­kla­ge be­grün­den könn­te.  <<<

2.

In kei­nem Lan­de in Eu­ro­pa ist es viel­leicht so schwer, im Um­gan­ge mit Men­schen aus al­len Klas­sen, Ge­gen­den und Stän­den all­ge­mei­nen Bei­fall ein­zu­ern­ten, in je­dem die­ser Zir­kel wie zu Hau­se zu sein, ohne Zwang, ohne Falsch­heit, ohne sich ver­däch­tig zu ma­chen und ohne selbst da­bei zu lei­den, auf den Fürs­ten wie auf den Edel­mann und Bür­ger, auf den Kauf­mann wie auf den Geist­li­chen nach Ge­fal­len zu wir­ken, als in un­serm deut­schen Va­ter­lan­de; denn nir­gends viel­leicht herrscht zu glei­cher Zeit eine so große Man­nig­fal­tig­keit des Kon­ver­sa­ti­ons­tons, der Er­zie­hungs­art, der Re­li­gi­ons- und and­rer Mei­nun­gen, eine so große Ver­schie­den­heit der Ge­gen­stän­de, wel­che die Auf­merk­sam­keit der ein­zel­nen Volks­klas­sen in den ein­zel­nen Pro­vin­zen be­schäf­ti­gen. Dies rührt her von der Man­nig­fal­tig­keit des In­ter­es­ses der deut­schen Staa­ten ge­gen­ein­an­der und ge­gen aus­wär­ti­ge, von dem Un­ter­schie­de der Ver­bin­dun­gen mit die­sem oder je­nem aus­wär­ti­gen Vol­ke und von dem sehr merk­li­chen Ab­stan­de der Klas­sen in Deutsch­land von­ein­an­der, zwi­schen de­nen ver­jähr­tes Vor­ur­teil, Er­zie­hung und zum Teil auch Staats­ver­fas­sung eine viel be­stimm­te­re Grenz­li­nie ge­zo­gen ha­ben als in an­dern Län­dern. Wo hat mehr als in Deutsch­land die Idee von sech­zehn Ah­nen des Adels we­sent­li­chen mo­ra­li­schen und po­li­ti­schen Ein­fluß auf Den­kungs­art und Bil­dung? Wo greift we­ni­ger all­ge­mein als bei uns die Kauf­mann­schaft in die üb­ri­gen Klas­sen ein? (Soll ich die Reichs­städ­te aus­neh­men?) Wo macht mehr als hier das Korps der Hofleu­te eine ganz ei­ge­ne Gat­tung aus, in wel­che hin­ein, so wie zu der Per­son der mehrs­ten Fürs­ten, nur Leu­te von ge­wis­ser Ge­burt und ge­wis­sem Ran­ge sich hin­zu­drän­gen kön­nen? Wo durch­kreu­zen sich mehr Ar­ten von In­ter­es­se? -- Und das al­les wird nicht durch ge­wis­se, dem gan­zen Vol­ke merk­ba­re all­ge­mei­ne Na­tio­nal­be­dürf­nis­se, Volks­an­ge­le­gen­hei­ten, Va­ter­lands­nut­zen kon­zen­triert, wie in Eng­land, wo Auf­recht­er­hal­tung der Kon­sti­tu­ti­on, Frei­heit und Glück der Na­ti­on, Flor des Va­ter­lan­des, der Punkt ist, in wel­chem sich das Stre­ben, Dich­ten und Trach­ten so man­cher ori­gi­nel­len Cha­rak­tere ver­ei­nigt, noch wie in fast al­len üb­ri­gen eu­ro­päi­schen Län­dern, die ent­we­der un­ter ei­nem ein­zi­gen Ober­haup­te ste­hen oder durch ein ein­zi­ges, al­len Glie­dern wich­ti­ges In­ter­es­se be­herrscht wer­den, wie die Schweiz, oder in wel­chen eine al­lein herr­schen­de Re­li­gi­on oder ein ty­ran­ni­sches Kli­ma, über Den­kungs­art, Ton und Stim­mung all­ge­mein über­wie­gen­de Ge­walt hat.

Daß im gan­zen uns­re deut­sche Ver­fas­sung, so zu­sam­men­ge­setzt sie auch ist, sehr große, we­sent­li­che Vor­zü­ge ge­währt, das lei­det kei­nen Zwei­fel; al­lein es ist nicht we­ni­ger ge­wiß, daß die­sel­be den mäch­tigs­ten Ein­fluß auf die Ver­schie­den­heit der Stim­mung in den ein­zel­nen Pro­vin­zen und Staa­ten und un­ter den man­cher­lei von­ein­an­der ab­ge­son­der­ten Stän­den hat. Eben da­her kommt es, daß uns­re Schau­spie­ler, Schau­spiel­dich­ter und Ro­man­schrei­ber ein viel schwe­re­res Stu­di­um ha­ben, wenn sie alle die­se Nuan­cen ken­nen, be­ar­bei­ten und den­noch einen An­strich von ori­gi­nel­lem Na­tio­nal­cha­rak­ter wol­len durch­schim­mern las­sen; viel schwe­rer als in Frank­reich, wo die Sit­ten der ver­schie­de­nen Stän­de und ein­zel­nen Pro­vin­zen nicht so sehr ge­gen­ein­an­der ab­ste­chen. Eben da­her kommt es, daß man über we­ni­ge uns­rer li­te­ra­ri­schen Pro­duk­te ein all­ge­mein ein­stim­mig bei­fäl­li­ges Volks­ur­teil hört, daß über­haupt so we­nig uns­rer Wer­ke als Na­tio­nal­mo­nu­men­te auf die Nach­welt über­gehn, und eben da­her end­lich kommt es, daß es so schwer ist, mit Men­schen aus al­len Stän­den und Ge­gen­den in Deutsch­land um­zu­gehn und bei al­len gleich­wohl ge­lit­ten zu sein, auf alle gleich vor­teil­haft zu wir­ken.

Der treu­her­zi­ge, nai­ve, zu­wei­len ein we­nig bäue­ri­sche, ma­te­ri­el­le Bayer ist äu­ßerst ver­le­gen, wenn er auf alle ver­bind­li­chen, ar­ti­gen Din­ge ant­wor­ten soll, die ihm der fei­ne Sach­se in ei­nem Atem ent­ge­gen­schickt; dem schwer­fäl­li­gen West­fä­lin­ger ist al­les he­brä­isch, was ihm der Ös­ter­rei­cher in sei­ner ihm gänz­lich frem­den Mund­art vor­pol­tert; die zu­vor­kom­men­de Höf­lich­keit und Ge­schmei­dig­keit des durch fran­zö­si­sche Nach­bar­schaft po­lier­ten Rhein­län­ders wür­de man in man­chen Städ­ten von Nie­der­sach­sen für Zu­dring­lich­keit, für Nie­der­träch­tig­keit hal­ten! Man glaubt da, ein Mann, der so äu­ßerst un­ter­tä­nig und nach­gie­big ist, müs­se ge­fähr­li­che und nied­ri­ge Ab­sich­ten ha­ben oder müs­se falsch oder sehr arm und hilfs­be­dürf­tig sein, und oft ist dort ein we­nig zu weit ge­trie­be­ne äu­ße­re Höf­lich­keit hin­läng­lich, den Mann, der sich am Rhei­ne da­durch all­ge­mei­ne Lie­be er­wer­ben wür­de, an der Lei­ne ver­ächt­lich zu ma­chen. Da­ge­gen wird aber auch der nicht käl­te­re, nur we­ni­ger leicht­sin­ni­ge, we­ni­ger zu­ver­sicht­li­che, nicht so im Ge­drän­ge von Frem­den, noch auf Rei­sen an Leib und See­le ab­ge­schlif­fe­ne, ge­glät­te­te, son­dern ernst­haf­te­re Nie­der­sach­se, der bei der ers­ten Be­kannt­schaft nicht sehr zu­vor­kom­mend, son­dern wohl gar ein we­nig ver­le­gen ist, an ei­nem Hofe im Rei­che viel­leicht für einen schüch­ter­nen Men­schen ohne Le­bens­art, ohne Welt an­ge­sehn wer­den.

Sich nun also nach Ort, Zeit und Um­stän­den um­zu­for­men und von ver­jähr­ten Ge­wohn­hei­ten sich los­zu­ma­chen, das er­for­dert Stu­di­um und Kunst.

In Ge­gen­den, aus wel­chen we­der Un­zu­frie­den­heit mit dem Va­ter­lan­de, noch Mü­ßig­gang, noch Ver­derb­nis der Sit­ten, noch un­be­stimm­te, rast­lo­se Tä­tig­keit, noch An­ek­do­ten­jagd, noch vor­wit­zi­ge Neu­gier die Men­schen scha­ren­wei­se emi­grie­ren macht und je­den Pin­sel zum Rei­sen und Wan­dern treibt, sind die Ein­woh­ner mit dem, was es da­heim gibt, so herz­lich wohl zu­frie­den, daß sie nichts Grö­ße­res ken­nen, nichts Grö­ße­res ken­nen mö­gen, als was sie in ih­rem Va­ter­lan­de von Ju­gend auf be­trach­tet, schon als Kna­ben be­wun­dert oder von ih­ren Ver­wand­ten und Freun­den ha­ben stif­ten, bau­en, an­le­gen ge­sehn. Ih­nen sind die klei­nen jähr­li­chen oder an­dern Fes­te im­mer neu, im­mer gleich glän­zend und merk­wür­dig. -- Glück­li­che Un­wis­sen­heit! nicht zu ver­tau­schen mit dem Ekel, wel­cher den Mann an­wan­delt, der in sei­nem Le­ben so gar viel al­ler­or­ten er­lebt, er­fah­ren, ge­sehn, bau­en und zer­stö­ren ge­sehn hat und zu­letzt an nichts mehr Freu­de fin­den, nichts mehr be­wun­dern kann, al­les mit Ta­del und Lan­ger­wei­le an­blickt! Ich reis­te vor ei­ni­gen Jah­ren im rau­he­s­ten Wet­ter in not­wen­di­gen Ge­schäf­ten vier­zig Mei­len weit von … nach …. Es füg­te sich, daß in letz­t­rer Stadt am Tage mei­ner An­kunft ein Ge­ne­ral mit den da­bei al­ler­or­ten mehr oder we­ni­ger üb­li­chen Fei­er­lich­kei­ten soll­te be­gra­ben wer­den. Die gan­ze Stadt, die der­glei­chen sel­ten ge­sehn, war vom frü­hen Mor­gen an in Be­we­gung; al­les sprach von dem Be­gräb­nis­se des Ge­ne­rals. Ein Of­fi­zier von mei­ner al­ten Be­kannt­schaft be­geg­ne­te mir im Gast­ho­fe: »Ei! wo kom­men Sie her?« rief er; ich sag­te es ihm. Der gute Mann ver­gaß in dem Au­gen­bli­cke, daß … vier­zig Mei­len weit läge und daß eine sol­che Fei­er­lich­keit mir wohl schwer­lich in so schlech­tem Wet­ter eine so wei­te Rei­se wert sein könn­te: »Oh!« sag­te er, »Sie kom­men ge­wiß, um un­sern Ge­ne­ral be­gra­ben zu sehn; ja! es wird sich schön aus­neh­men.« -- Nun! zu so et­was kann ich kaum lä­cheln; möch­ten alle Men­schen das am schöns­ten fin­den, was sie ha­ben! Doch ge­ste­he ich auch, daß dies oft zu In­to­le­ranz führt; daß die An­häng­lich­keit an ein­hei­mi­sche Sit­ten zu­wei­len un­ge­recht, un­ge­schlif­fen ge­gen Men­schen macht, die sich durch klei­ne Ver­schie­den­hei­ten, wäre es auch nur in An­stand, Klei­dung, Ton, Mund­art oder Ge­bär­den, un­schul­di­ger­wei­se aus­zeich­nen.

In Reichs­städ­ten ist die­se An­häng­lich­keit an vä­ter­li­che Sit­ten, Klei­der­trach­ten u. dgl. sehr auf­fal­lend und hat nicht sel­ten Ein­fluß auf Re­gie­rungs­ver­fas­sung, Re­li­gi­ons­ver­träg­lich­keit und and­re wich­ti­ge Din­ge. So le­gen z. B. alle cal­vi­nis­ti­schen Kauf­leu­te in … ihre Gär­ten nach hol­län­di­schem Ge­schma­cke an; nun hör­te ich eins­tens einen sol­chen von ei­nem an­dern Ne­go­ti­an­ten die­ses Be­kennt­nis­ses, der aber in sei­nem Gar­ten ei­ni­ge der re­for­mier­ten Ge­mein­de auf­fal­len­de Ver­än­de­run­gen vor­ge­nom­men hat­te, sa­gen: Der Mann habe in sei­nem Gar­ten al­ler­lei lu­the­ri­sche Strei­che ge­macht. -- Daß ich mich nicht von mei­nem Zwe­cke ent­fer­ne! Ich mei­ne, die Ver­schie­den­heit der Sit­ten und der Stim­mung in den deut­schen Staa­ten macht es sehr schwer, au­ßer sei­ner va­ter­län­di­schen Ge­gend, in frem­den Pro­vin­zen, in Ge­sell­schaf­ten zu ge­fal­len, Freund­schaf­ten zu stif­ten, Ge­schmack am Um­gang zu fin­den, and­re für sich ein­zu­neh­men und auf and­re zu wir­ken.

Aber die­se Schwie­rig­kei­ten wer­den in Deutsch­land noch grö­ßer un­ter Per­so­nen von ver­schie­de­nen Stän­den und Er­zie­hun­gen. Wer wird nicht schon mehr­mals in sei­nem Le­ben die Er­fah­rung ge­macht ha­ben, in wel­che Ver­le­gen­heit man kom­men kann, und wie groß die Lan­ge­wei­le ist, die uns be­fällt oder die wir an­dern ver­ur­sa­chen, wenn wir in eine Ge­sell­schaft ge­ra­ten, de­ren Ton uns gänz­lich fremd ist, wo alle auch noch so war­men Ge­sprä­che an un­serm Her­zen vor­beiglei­ten, wo die Form der gan­zen Un­ter­hal­tung, alle Ge­bräu­che und äu­ßern Ma­nie­ren der An­we­sen­den weit au­ßer un­serm Sys­te­me lie­gen, nicht zu un­sern Ge­wohn­hei­ten pas­sen, wo die Mi­nu­ten uns Tage schei­nen, wo Zwang und Ver­wün­schung uns­rer pein­li­chen Lage auf uns­rer Stir­ne ge­malt ste­hen.

Man sehe nur einen ehr­li­chen Lan­de­del­mann aus treu­er Lehn­s­pflicht ein­mal nach lan­gen Jah­ren wie­der an dem Hofe sei­nes Lan­des­herrn er­schei­nen! Er hat sich schon früh­mor­gens aufs bes­te aus­ge­schmückt und sich die sonst ge­wöhn­te lie­be Pfei­fe Ta­bak ver­sagt, um nicht nach Rauch zu rie­chen. Auf den Gas­sen der Stadt war es noch öde und still, als er schon in sei­nem Wirts­hau­se um­her­wan­del­te und al­les in Be­we­gung setz­te, um ihm bei­zu­stehn bei dem be­schwer­li­chen Ge­schäf­te, sich hof­mä­ßig aus­zu­schmücken. Jetzt ist er end­lich fer­tig; sein ge­kräu­sel­tes und ge­pu­der­tes Haar, das au­ßer­dem sel­ten ohne Nacht­müt­ze auf­tritt, hat er der frei­en Luft preis­ge­ge­ben, und lei­det er nun höl­li­sche Kopf­schmer­zen; die sei­de­nen St­rümp­fe er­set­zen bei wei­tem nicht, was die heu­te zu­rück­ge­leg­ten Stie­fel ihm sonst ge­wäh­ren; ihn friert ge­wal­tig an den ihm nackend schei­nen­den Bei­nen. Der be­setz­te Rock ist in den Schul­tern nicht so be­quem als sein treu­er, al­ter, war­mer Über­rock; der De­gen ge­rät je­den Au­gen­blick zwi­schen die Bei­ne; er weiß nicht, was er mit dem klei­nen Hüt­chen in der Hand an­fan­gen soll; das Stehn wird ihm un­er­träg­lich sau­er. -- In die­ser grau­sa­men Ver­fas­sung er­scheint er im Vor­zim­mer. Um ihn her wim­melt ein Hau­fen Hof­schran­zen her­um, die, ob­gleich sie wahr­lich sämt­lich viel­leicht nicht so viel wert als die­ser ehr­li­che, nütz­li­che Mann und im Grun­de ih­rer Her­zen nicht we­ni­ger als er von Lan­ger­wei­le ge­plagt sind, den­noch mit Na­se­rümp­fen und Ver­ach­tung hier, wo sie in ih­rem Ele­men­te zu sein schei­nen, ihn an­se­hen. Er fühlt je­den Spott, über­sieht sie und muß sich den­noch von ih­nen de­mü­ti­gen las­sen. Sie nä­hern sich ihm, tun mit zer­streu­ter, wich­ti­ger Mie­ne ei­ni­ge Fra­gen an ihn, Fra­gen, an de­nen das Herz kei­nen An­teil nimmt und wor­auf sie auch die Ant­wor­ten nicht ab­war­ten. Er glaubt einen un­ter ih­nen zu ent­de­cken, der ihm teil­neh­men­der scheint als die üb­ri­gen; mit die­sem fängt er ein Ge­spräch von Din­gen an, die ihm, viel­leicht auch dem Va­ter­lan­de, wich­tig sind: von sei­ner häus­li­chen Lage, von dem Wohl­stan­de der Pro­vinz, in wel­cher er lebt; er re­det mit Wär­me; Red­lich­keit at­met al­les, was er sagt -- aber bald sieht er, wie sehr er sich in sei­ner Hoff­nung ge­täuscht hat; das Männ­chen hört ihm mit hal­b­em Ohre zu, er­wi­dert ir­gend­ein paar un­be­deu­ten­de Sil­ben zur Ant­wort und läßt dann den bra­ven Haus­va­ter da stehn. Nun nä­hert er sich ei­nem Zir­kel von Leu­ten, die mit In­ter­es­se und Leb­haf­tig­keit zu re­den schei­nen; an die­sem Ge­sprä­che wünscht er teil­zu­neh­men; aber al­les, was er hört, Ge­gen­stand, Spra­che, Aus­druck, Wen­dung, al­les ist ihm fremd. In halb deut­schen, halb fran­zö­si­schen Wor­ten wird hier eine Sa­che ab­ge­han­delt, auf wel­che er nie sei­ne Auf­merk­sam­keit ge­schärft, von wel­cher er nie ge­glaubt hat, daß es mög­lich wäre, deut­sche Män­ner könn­ten sich da­mit be­schäf­ti­gen. Sei­ne Ver­le­gen­heit, sei­ne Un­ge­duld steigt mit je­dem Au­gen­bli­cke, bis er end­lich das ver­wünsch­te Schloß weit hin­ter sich sieht.

Und nun, den Fall um­ge­kehrt, las­se man einen sonst ed­len Hof­mann ein­mal hin­aus auf das Land in die Ge­sell­schaft bied­rer Be­am­ter und Pro­vin­zi­al-Edel­leu­te ge­ra­ten! Hier herr­schen un­ge­zwun­ge­ne Fröh­lich­keit, Of­fen­her­zig­keit, Frei­heit; man re­det von dem, was am nächs­ten den Land­mann in­ter­es­siert; man wiegt die Wor­te nicht ab; der Scherz ist naiv, ge­würzt, aber nicht zu­ge­spitzt, nicht ge­küns­telt. Un­ser Hof­mann ver­sucht es, sich in die­se Ma­nier hin­ein­zu­ar­bei­ten; er mischt sich in die Ge­sprä­che; aber der Aus­druck der Of­fen­heit und Treu­her­zig­keit fehlt; was bei je­nen naiv war, wird bei ihm be­lei­di­gend. Er fühlt dies und will die Leu­te in sei­nen Ton stim­men; in der Stadt gilt er für einen an­ge­neh­men Ge­sell­schaf­ter; er spannt alle Se­gel auf, um auch hier zu glän­zen; al­lein die klei­nen An­ek­do­ten, die fei­nen Züge, wor­auf er an­spielt, sind hier gänz­lich un­be­kannt, ge­hen ver­lo­ren. Man fin­det ihn me­di­sant, emp­fin­det ihn als Läs­te­rer, Ver­leum­der, da in der Stadt nie­mand ihn ei­ner Ver­leum­dung be­schul­digt; sei­ne Kom­pli­men­te, die er wahr­lich gut meint, hält man für Falsch­heit; die Sü­ßig­kei­ten, die er den Frau­en­zim­mern sagt und die nur höf­lich und ver­bind­lich sein sol­len, be­trach­tet man als Spott. -- So groß ist die Ver­schie­den­heit des Tons un­ter zwei­er­lei Klas­sen von Men­schen! --

Ein Pro­fes­sor, der in der li­te­ra­ri­schen Welt eine nicht ge­mei­ne Rol­le spielt, meint in sei­ner ge­lehr­ten Ein­falt, die Uni­ver­si­tät, auf wel­cher er lebt, sei der Mit­tel­punkt al­ler Wich­tig­keit, und das Fach, in wel­chem er sich Kennt­nis­se er­wor­ben, die ein­zi­ge dem Men­schen nütz­li­che, wah­rer An­stren­gung al­lein wer­te Wis­sen­schaft. Er nennt je­den, der sich dar­auf nicht ge­legt hat, ver­ächt­li­cher­wei­se einen Bel­le­tris­ten; ei­ner Dame, die bei ih­rer Durch­rei­se den be­rühm­ten Mann ken­nen­zu­ler­nen wünscht und ihn des­falls be­sucht, schenkt er sei­ne neue, in la­tei­ni­scher Spra­che ge­schrie­be­ne Dis­ser­ta­ti­on, wo­von sie nicht ein Wort ver­steht; er un­ter­hält die Ge­sell­schaft, wel­che sich dar­auf ge­freut hat­te, ihn recht zu ge­nie­ßen, bei der Abend­ta­fel mit Zer­glie­de­rung des neu­en aka­de­mi­schen Kre­di­te­dikts, oder, wenn der Wein dem gu­ten Man­ne jo­via­li­sche Lau­ne gibt, mit Er­zäh­lung lus­ti­ger Schwän­ke aus sei­nen Stu­den­ten­jah­ren.

Einst spei­se­te ich mit dem Be­ne­dik­ti­ner-Präla­ten aus I… bei Hofe in H…; man hat­te dem di­cken hoch­wür­di­gen Herrn den Ehren­platz ne­ben Ih­rer Ho­heit der Fürs­tin ge­ge­ben; vor ihm lag ein großer Ra­gout­löf­fel zum Vor­le­gen; er glaub­te aber, die­ser grö­ße­re Löf­fel sei, ihm zur be­son­dern Ehre, zu sei­nem Ge­brau­che da­hin­ge­legt, und um zu zei­gen, daß er wohl wis­se, was die Höf­lich­keit er­for­dert, bat er die Prin­zes­sin ehr­er­bie­tig, sie möch­te doch statt sei­ner sich des Löf­fels be­die­nen, der frei­lich viel zu groß war, um in ihr klei­nes Mäul­chen zu pas­sen.

In wel­cher Ver­le­gen­heit ist zu­wei­len ein Mann, der nicht viel Jour­na­le und neu­re­re Mo­de­schrif­ten liest, wenn er in eine Ge­sell­schaft von schön­geis­te­ri­schen Herrn und Da­men ge­rät!

Gleich­sam wie ver­ra­ten und ver­kauft scheint ein so­ge­nann­ter Pro­fa­ner, wenn er sich un­ter ei­nem Hau­fen Mit­glie­der ei­ner ge­hei­men Ver­bin­dung be­fin­det.

Frei­lich kann nichts un­ge­sit­te­ter, den wah­ren Be­grif­fen ei­ner fei­nen Le­bens­art mehr ent­ge­gen sein, als wenn eine An­zahl Men­schen, die sich auf die­se Art un­ter­ein­an­der ver­ste­hen, ei­nem Frem­den, der gut­mü­tig un­ter sie tritt, um an den Freu­den der Ge­sel­lig­keit teil­zu­neh­men, durch un­un­ter­bro­che­ne Len­kung des Ge­sprächs auf Ge­gen­stän­de, wo­von die­ser gar nichts ver­steht, je­den Ge­nuß der Un­ter­re­dung rau­ben. Auf die­se Art habe ich zu­wei­len in mei­ner ers­ten Ju­gend in Fa­mi­li­en­zir­keln, wo die Un­ter­hal­tung be­stän­dig mit An­spie­lun­gen auf mir gänz­lich un­be­kann­te An­ek­do­ten durch­floch­ten und durch ge­wis­se mir frem­de Re­dens­ar­ten und Bon­mots, wo­mit ich gar kei­nen Be­griff ver­bin­den konn­te, ge­würzt war, tö­ten­de Lan­ge­wei­le ge­habt. Man soll­te wohl mehr Rück­sicht neh­men; al­lein sel­ten sind gan­ze Ge­sell­schaf­ten so bil­lig, sich nach ein­zel­nen zu rich­ten; auch läßt sich das nicht im­mer mit Recht for­dern; folg­lich ist es wich­tig für je­den, der in der Welt mit Men­schen le­ben will, die Kunst zu stu­die­ren, sich nach Sit­ten, Ton und Stim­mung and­rer zu fü­gen.

3.

Über die­se Kunst will ich et­was sa­gen. -- Aber habe ich denn auch wohl Be­ruf, ein Buch über den es­prit de con­dui­te zu schrei­ben, ich, der ich in mei­nem Le­ben viel­leicht sehr we­nig von die­sem Geis­te ge­zeigt habe? Ziemt es mir, Men­schen­kennt­nis aus­zu­kra­men, da ich so oft ein Op­fer der un­vor­sich­tigs­ten, ei­nem Neu­lin­ge kaum zu ver­zei­hen­den Hin­ge­bung ge­we­sen bin? Wird man die Kunst des Um­gangs von ei­nem Man­ne ler­nen wol­len, der bei­na­he von al­lem mensch­li­chen Um­gan­ge ab­ge­son­dert lebt? -- Las­set doch sehn, mei­ne Freun­de! was sich dar­auf ant­wor­ten läßt! Habe ich wid­ri­ge Er­fah­run­gen ge­macht, die mich von mei­ner ei­ge­nen Un­ge­schick­lich­keit über­zeugt ha­ben -- de­sto bes­ser! Wer kann so gut vor der Ge­fahr war­nen, als der, wel­cher dar­in ge­steckt hat? Ha­ben Tem­pe­ra­ment und Weich­lich­keit (oder darf ich es nicht Fühl­bar­keit ei­nes so gern sich an­schlie­ßen­den Her­zens nen­nen?), ha­ben Sehn­sucht nach Lie­be und Freund­schaft, nach Ge­le­gen­heit, an­dern zu die­nen und sym­pa­thi­sche Emp­fin­dun­gen zu er­re­gen, mich oft un­vor­sich­tig han­deln ge­macht, oft die kal­ku­lie­ren­de Ver­nunft weit zu­rück­ge­las­sen; so war es wahr­lich nicht Blöd­sin­nig­keit, Kurz­sich­tig­keit, Un­be­kannt­schaft mit Men­schen, was mich ir­re­lei­te­te, son­dern Be­dürf­nis, zu lie­ben und ge­liebt zu wer­den, Ver­lan­gen, tä­tig zu sein, zum Gu­ten zu wir­ken. Üb­ri­gens wer­den viel­leicht we­nig Men­schen in ei­nem so kur­z­en Zeit­rau­me in so man­che son­der­ba­re Ver­hält­nis­se und Ver­bin­dun­gen mit an­dern Men­schen al­ler Art ge­ra­ten, als ich seit un­ge­fähr zwan­zig Jah­ren; und da hat man denn schon Ge­le­gen­heit, wenn man nicht ganz von der Na­tur und Er­zie­hung ver­wahr­lost ist, Be­mer­kun­gen zu ma­chen, und vor Ge­fah­ren zu war­nen, die man selbst nicht hat ver­mei­den kön­nen. Daß ich aber jetzt ein­sam und ab­ge­zo­gen lebe, ge­schieht we­der aus Men­schen­haß noch Blö­dig­keit; ich habe sehr wich­ti­ge Grün­de dazu; al­lein die­se hier weit­läu­fig zu ent­wi­ckeln, das hie­ße zu viel von mir selbst re­den, da ich oh­ne­hin noch, zum Schlus­se die­ser Ein­lei­tung, et­was über mei­ne ei­ge­nen Er­fah­run­gen wer­de sa­gen müs­sen, be­vor ich zum Zwe­cke kom­me. -- Also nur noch die­ses:

4.

Ich trat als ein sehr jun­ger Mensch, bei­na­he noch als ein Kind, schon in die große Welt und auf den Schau­platz des Ho­fes. Mein Tem­pe­ra­ment war leb­haft, un­ru­hig, be­weg­sam, mein Blut warm; die Kei­me zu man­cher hef­ti­gen Lei­den­schaft la­gen in mir ver­bor­gen; ich war in der ers­ten Er­zie­hung ein we­nig ver­zär­telt und durch große Auf­merk­sam­keit, de­ren man mei­ne klei­ne Per­son früh ge­wür­digt hat­te, ge­wöhnt wor­den, sehr viel Rück­sich­ten von an­dern Leu­ten zu for­dern. In ei­nem frei­en Va­ter­lan­de auf­ge­wach­sen, wo Schmei­che­lei, Ver­stel­lung und ein ge­wis­ses krie­chen­des We­sen nicht sehr zu Hau­se sind, hat­te man mich frei­lich auch nicht zu je­ner Ge­schmei­dig­keit vor­be­rei­tet, de­ren ich be­durf­te, um, un­ter mir ganz frem­den Leu­ten, in des­po­ti­schen Staa­ten große Fort­schrit­te zu ma­chen; auch ist der theo­re­ti­sche Un­ter­richt in wah­rer Welt­klug­heit bei der Ju­gend teils sel­ten mit Er­fol­ge, teils nicht im­mer ohne Ge­fahr zu er­tei­len; ei­ge­ne Er­fah­rung muß da in der Fol­ge das Bes­te tun. Die­se Lek­tio­nen, wenn man das Glück hat, wohl­feil dar­an zu kom­men, sind von der heil­sams­ten Wir­kung und prä­gen sich tief ein. Noch er­in­ne­re ich mich ei­ner klei­nen Sze­ne von der Art, die mich auf eine Zeit­lang vor­sich­tig mach­te: Ich saß in C… in der ita­lie­ni­schen Oper, in der herr­schaft­li­chen Loge; ich war frü­her als der Hof ge­kom­men, weil ich mit­tags nicht auf dem Schlos­se, son­dern in der Stadt zu Gas­te ge­speist hat­te; noch wa­ren we­nig Men­schen da; in der gan­zen Rei­he des ers­ten Rangs saß nur der ein­zi­ge Land­kom­man­deur, Graf J…, ein wür­di­ger Greis. Er hat­te, wie es scheint, auch dar­auf ge­rech­net, daß es schon spä­ter wäre, als es wirk­lich war; weil er nun Lan­ge­wei­le hat­te und mich gleich­falls ein­sam da sit­zen sah, so trat er zu mir her­ein und fing eine Un­ter­re­dung mit mir an. Er schi­en sehr zu­frie­den mit dem, was ich ihm über ver­schie­de­ne Ge­gen­stän­de, von de­nen ich ei­ni­ge Kennt­nis be­saß, sag­te; der Greis wur­de im­mer freund­li­cher und her­ab­las­sen­der, und dies kit­zel­te mich so sehr, daß ich dar­auf al­ler­lei Sei­ten­sprün­ge in mei­nem Ge­sprä­che mach­te und zu­letzt ein we­nig me­di­sant wur­de. End­lich ent­wisch­te mir eine mir ge­gen­wär­tig nicht mehr er­in­ner­li­che gro­be Un­vor­sich­tig­keit im Re­den; der Graf sah mir ernst­haft in das Ge­sicht, und ohne wei­ter ein Wort zu ver­lie­ren, ließ er mich stehn und ging zu­rück in sei­ne Loge. Ich fühl­te die gan­ze Stär­ke die­ses Ver­wei­ses, aber die Ar­ze­nei half nicht lan­ge. Mei­ne Leb­haf­tig­keit ver­lei­te­te mich zu großen In­kon­se­quen­zen; ich über­eil­te al­les, tat im­mer zu viel oder zu we­nig, kam stets zu früh oder zu spät, weil ich im­mer ent­we­der eine Tor­heit be­ging oder eine an­de­re gutz­u­ma­chen hat­te. Da­her ka­men un­end­li­che Wi­der­sprü­che in mei­nen Hand­lun­gen, und ich ver­fehl­te fast bei al­len Ge­le­gen­hei­ten des Zwecks, weil ich kei­nen ein­fa­chen Plan ver­folg­te. Zu­erst war ich zu sorg­los, zu of­fen, gab mich zu un­vor­sich­tig hin und scha­de­te mir da­durch; als­dann nahm ich mir vor, ein fei­ner Hof­mann zu wer­den; mein Be­tra­gen wur­de ge­küns­telt, und nun trau­ten mir die Bes­sern nicht; ich war zu ge­schmei­dig und ver­lor da­durch äu­ße­re Ach­tung und in­ne­re Wür­de, Selb­stän­dig­keit und An­sehn. Er­bit­tert ge­gen mich und and­re riß ich mich dann los und wur­de bi­zarr. Dies er­reg­te Auf­sehn; die Men­schen such­ten mich auf, wie sie al­les Son­der­ba­re auf­su­chen. Da­durch aber er­wach­te mein Trieb zur Ge­sel­lig­keit wie­der; ich nä­her­te mich aufs neue, lenk­te wie­der ein, und nun ver­schwand der Nim­bus, den nur mei­ne Ab­ge­zo­gen­heit von der Welt um mich her ge­zo­gen hat­te. In ei­ner an­de­re Pe­ri­ode spot­te­te ich der Tor­hei­ten, zu­wei­len nicht ohne Witz; man fürch­te­te mich, aber man lieb­te mich nicht; dies schmerz­te mich; um das wie­der gutz­u­ma­chen, zeig­te ich mich von der un­schäd­li­chen Sei­te, ent­fal­te­te mein lie­be­vol­les, wohl­wol­len­des Herz, un­fä­hig zu scha­den und zu ver­fol­gen -- und die Wir­kung da­von war, daß je­der­mann, der noch einen Rest von Groll auf mich oder ir­gend­ei­nen lus­ti­gen Ein­fall von mir auf sei­ne Rech­nung ge­schrie­ben hat­te, mir jetzt auf der Nase spiel­te, so­bald er sah, daß ich nur mit Ra­pie­ren und nicht mit Schwer­tern focht, daß mei­ne Waf­fen nicht zum Mor­de ge­schlif­fen wa­ren. Oder wenn mei­ne sa­ti­ri­sche Lau­ne durch den Bei­fall lus­ti­ger Ge­sell­schaf­ter auf­ge­weckt wur­de, he­chel­te ich große und klei­ne To­ren durch; die Spaß­vö­gel lach­ten dann; aber die Wei­sern schüt­tel­ten die Köp­fe und wur­den kalt ge­gen mich. Um zu zei­gen, wie we­nig bös­ar­tig mei­ne Lau­ne wäre, hör­te ich auf zu me­di­sie­ren und ent­schul­dig­te alle Feh­ler, und nun hiel­ten ei­ni­ge mich für einen Pin­sel, and­re für einen Heuch­ler. Wähl­te ich mir mei­nen Um­gang un­ter den aus­ge­such­tes­ten, auf­ge­klär­tes­ten Män­nern, so er­war­te­te ich ver­ge­bens Schutz von dem am Ru­der ste­hen­den Dumm­kopf; gab ich mich elen­den Leu­ten preis, so wur­de ich mit die­sen in eine Klas­se ge­setzt. Men­schen ohne Er­zie­hung, von nie­derm Stan­de miß­brauch­ten mich, wenn ich mich ih­nen zu sehr nä­her­te; mit Vor­neh­mern verd­arb ich es, so­bald sie mei­ne Ei­tel­keit be­lei­dig­ten. Bald ließ ich zu viel Über­ge­wicht den Dum­men füh­len und wur­de ver­folgt; bald war ich zu be­schei­den und wur­de über­sehn. Bald rich­te­te ich mich nach den Sit­ten der Leu­te, nach dem Ton al­ler un­be­deu­ten­den Ge­sell­schaf­ten, in wel­che ich lief, ver­lor gol­de­ne Zeit, Ach­tung der Wei­sen und Zufrie­den­heit mit mir sel­ber; dann wur­de ich zu ein­fach und spiel­te eine schie­fe Rol­le, da, wo ich hät­te glän­zen kön­nen und sol­len, durch Man­gel an Zu­ver­sicht zu mir sel­ber. Zu ei­ner Zeit ging ich zu sel­ten aus; man hielt mich für stolz oder men­schen­scheu; zu ei­ner an­dern zeig­te ich mich über­all und wur­de ein All­tags­ge­sicht. In den ers­ten Jüng­lings­jah­ren gab ich mich un­be­dacht­sam je­dem aus­schließ­lich, ein­zeln und ganz hin, der sich mei­nen Freund nann­te und mir ei­ni­ge Zu­nei­gung be­wies, wur­de oft schänd­lich be­tro­gen und in den sü­ßes­ten Er­war­tun­gen ge­täuscht; nach­her war ich je­der­manns Freund, be­reit je­dem zu die­nen, und dann schloß sich nie­mand mit gan­zer See­le an mich, weil nie­mand mit dem klei­nen, in so viel Par­ti­keln ge­teil­ten Stück­chen Her­zen vor­lieb­neh­men woll­te. Wenn ich zu viel er­war­te­te, wur­de ich ge­täuscht; wenn ich ohne al­len Glau­ben an Treue und Red­lich­keit un­ter den Men­schen um­her­rann­te, hat­te ich gar kei­nen Ge­nuß, nahm an gar nichts teil. Nie aber ver­barg ich mei­ne schwa­chen Sei­ten so sorg­fäl­tig, als ich hät­te tun sol­len. -- Und so ver­gin­gen dann die Jah­re, in wel­chen ich hät­te mein Glück ma­chen kön­nen, wie man das ge­wöhn­lich nennt. Jetzt, da ich die Men­schen bes­ser ken­ne, da Er­fah­rung mir die Au­gen ge­öff­net, mich vor­sich­tig ge­macht und viel­leicht die Kunst ge­lehrt hat, auf and­re zu wir­ken, jetzt ist es zu spät für mich, die­se Wis­sen­schaft in An­wen­dung zu brin­gen. Mein Rücken krümmt sich mit Mühe zu Re­ve­ren­zen; ich habe nicht viel un­nüt­ze Zeit mehr zu ver­schwen­den, die ich preis­ge­ben könn­te; das We­ni­ge, was ich noch in dem Res­te mei­nes Le­bens auf sol­chen We­gen er­lan­gen könn­te, lohnt die Mühe und An­stren­gung nicht, die mich das kos­ten wür­de, und es ziemt dem Mann, des­sen Grund­sät­ze Al­ter und Er­fah­rung be­fes­tigt ha­ben, eben­so­we­nig, jetzt erst an­zu­fan­gen, den Ge­schmei­di­gen wie den Stut­zer zu spie­len. -- Es ist zu spät, sage ich, mit der Aus­übung an­zu­he­ben, aber nicht zu spät, Jüng­lin­gen zu zei­gen, wel­chen Weg sie wan­deln müs­sen -- und so las­set uns denn den Ver­such ma­chen und der Sa­che nä­her­rücken!

Erstes Kapitel

Allgemeine Bemerkungen und Vorschriften über den Umgang mit Menschen

1.

Je­der Mensch gilt in die­ser Welt nur so viel, als wozu er sich selbst macht. Das ist ein gol­de­ner Spruch, ein rei­ches The­ma zu ei­nem Fo­li­an­ten über den es­prit de con­dui­te und über die Mit­tel, in der Welt sei­nen Zweck zu er­lan­gen; ein Satz, des­sen Wahr­heit auf die Er­fah­rung al­ler Zeit­al­ter ge­stützt ist. Die­se Er­fah­rung lehrt den Aben­teu­rer und Groß­spre­cher, sich bei dem Hau­fen für einen Mann von Wich­tig­keit aus­zu­ge­ben, von sei­nen Ver­bin­dun­gen mit Fürs­ten und Staats­män­nern, mit Män­nern, wel­che nicht ein­mal von sei­ner Exis­tenz wis­sen, in ei­nem Tone zu re­den, der ihm, wo nichts mehr, doch we­nigs­tens man­che freie Mahl­zeit und den Zu­tritt in den ers­ten Häu­sern er­wirbt. Ich habe einen Men­schen ge­kannt, der auf die­se Art von sei­ner Ver­trau­lich­keit mit dem Kai­ser Jo­seph und dem Fürs­ten Kau­nitz re­de­te, ob­gleich ich ganz ge­wiß wuß­te, daß die­se ihn kaum dem Na­men nach, und zwar als einen un­ru­hi­gen Kopf und Pas­quil­lan­ten kann­ten. In­des­sen hat­te er hier­durch, da nie­mand ge­nau­er nach­frag­te, sich auf eine kur­ze Zeit in ein sol­ches An­sehn ge­setzt, daß Leu­te, die bei des Kai­sers Ma­je­stät et­was zu su­chen hat­ten, sich an ihn wen­de­ten. Dann schrieb er auf so un­ver­schäm­te Art an ir­gend­ei­nen Gro­ßen in Wien und sprach in die­sem Brie­fe von sei­nen üb­ri­gen vor­neh­men Freun­den da­selbst, daß er zwar nicht Er­lan­gung sei­nes Zwecks, aber doch man­che höf­li­che Ant­wort er­schlich, mit wel­cher er dann wei­ter wu­cher­te.

Die­se Er­fah­rung macht den fre­chen Halb­ge­lehr­ten so dreist, über Din­ge zu ent­schei­den, wo­von er nicht frü­her als eine Stun­de vor­her das ers­te Wort ge­le­sen oder ge­hört hat, aber so zu ent­schei­den, daß selbst der an­we­sen­de be­schei­de­ne Li­te­ra­tor es nicht wagt, zu wi­der­spre­chen, noch Fra­gen zu tun, die des Schwät­zers Fahr­zeug aufs Tro­cke­ne wer­fen könn­ten.

Die­se Er­fah­rung ist es, durch wel­che der em­por­drin­gen­de Dumm­kopf sich zu den ers­ten Stel­len im Staat hin­au­f­ar­bei­tet, die ver­dienst­volls­ten Män­ner zu Bo­den tritt und nie­mand fin­det, der ihn in sei­ne Schran­ken zu­rück­wie­se.

Sie ist es, durch wel­che sich die un­brauch­bars­ten, schiefs­ten Ge­nies, Men­schen ohne Ta­lent und Kennt­nis­se, Plus­ma­cher und Wind­beu­tel bei den Gro­ßen der Erde un­ent­behr­lich zu ma­chen ver­ste­hen.

Sie ist es, die größ­ten­teils den Ruf von Ge­lehr­ten, Mu­si­kern und Ma­lern be­stimmt.

Auf die­se Er­fah­rung ge­stützt, for­dert der frem­de Künst­ler für ein Stück hun­dert Louis­dor, das der ein­hei­mi­sche, zehn­fach bes­ser ge­ar­bei­tet, um fünf­zig Ta­ler ver­kau­fen wür­de; al­lein man reißt sich um des Aus­län­ders Wer­ke; er kann nicht so viel fer­tig ma­chen, als von ihm ge­for­dert wird, und am Ende läßt er bei dem Ein­hei­mi­schen ar­bei­ten und ver­kauft das für ul­tra­mon­ta­ni­sche Ware.

Auf die­se Er­fah­rung ge­stützt, er­schleicht sich der Schrift­stel­ler eine vor­teil­haf­te Re­zen­si­on, wenn er in der Vor­re­de zu dem zwei­ten Tei­le sei­nes lang­wei­li­gen Buchs mit der scham­lo­ses­ten Frech­heit von dem Bei­fal­le re­det, wo­mit Ken­ner und Ge­lehr­te, de­ren Freund­schaft er sich rühmt, den ers­ten Teil beehrt ha­ben.

Die­se Er­fah­rung gibt dem vor­neh­men Ban­ke­rot­tie­rer, der Geld bor­gen will und nie wie­der be­zah­len kann, den Mut, das An­lehn in sol­chen Aus­drücken zu for­dern, daß der rei­che Wu­che­rer es für Ehre hält, sich von ihm be­trü­gen zu las­sen.

Fast alle Ar­ten von Bit­ten um Schutz und Be­för­de­rung, die in die­sem Tone vor­ge­tra­gen wer­den, fin­den Ein­gang und wer­den nicht ab­ge­schla­gen, da­hin­ge­gen Ver­ach­tung, Zu­rück­set­zung und nicht er­füll­te bil­li­ge Wün­sche fast im­mer der Preis des be­schei­de­nen, furcht­sa­men Kli­en­ten sind.

Die­se Er­fah­rung lehrt den Die­ner, sich bei sei­nem Herrn, und den, wel­cher Wohl­ta­ten emp­fan­gen, sich bei dem Wohl­tä­ter so wich­tig zu ma­chen, daß der, so die Ver­bind­lich­keit auf­legt, es für ein großes Glück rech­net, ei­nem sol­chen Man­ne an­zu­ge­hö­ren. -- Kurz! der Satz: daß je­der­mann nicht mehr und nicht we­ni­ger gel­te, als wozu er sich selbst macht, ist die große Pa­nacee für Aven­tu­ri­ers, Prah­ler, Wind­beu­tel und seich­te Köp­fe, um fort­zu­kom­men auf die­sem Erd­bal­le -- ich gebe also kei­nen Kirsch­kern für die­ses Uni­ver­sal­mit­tel. -- Doch still! soll­te denn je­ner Satz uns gar nichts wert sein? Ja, mei­ne Freun­de! Er kann uns leh­ren, nie ohne Not und Be­ruf uns­re öko­no­mi­schen, phy­si­ka­li­schen, mo­ra­li­schen und in­tel­lek­tu­el­len Schwä­chen auf­zu­de­cken. Ohne also sich zur Prah­le­rei und zu nie­der­träch­ti­gen Lü­gen her­ab­zu­las­sen, soll man doch nicht die Ge­le­gen­heit ver­ab­säu­men, sich von sei­nen vor­teil­haf­ten Sei­ten zu zei­gen.

Dies muß aber nicht auf eine gro­be, gar zu merk­li­che, eit­le und auf­fal­len­de Wei­se ge­schehn, denn sonst ver­lie­ren wir viel mehr da­durch; son­dern man muß die Men­schen nur mut­ma­ßen, sie von selbst dar­auf kom­men las­sen, daß doch wohl et­was mehr hin­ter uns ste­cke, als bei dem ers­ten An­bli­cke her­vor­schim­mert. Hängt man ein gar zu glän­zen­des Schild aus, so er­weckt man da­durch die ge­naue­re Auf­merk­sam­keit; and­re spü­ren den klei­nen Feh­lern nach, von de­nen kein Er­den­sohn frei ist, und so ist es auf ein­mal um un­sern Glanz ge­schehn. Zei­ge Dich also mit ei­nem ge­wis­sen be­schei­de­nen Be­wußt­sein in­ne­rer Wür­de, und vor al­len Din­gen mit dem auf Dei­ner Stir­ne strah­len­den Be­wußt­sein der Wahr­heit und Red­lich­keit! Zei­ge Ver­nunft und Kennt­nis­se, wo Du Ver­an­las­sung dazu hast! Nicht so viel, um Neid zu er­re­gen und For­de­run­gen an­zu­kün­di­gen, nicht so we­nig, um über­sehn und über­schri­en zu wer­den! Ma­che Dich rar, ohne daß man Dich we­der für einen Son­der­ling, noch für scheu, noch für hoch­mü­tig hal­te!

2.

Stre­be nach Voll­kom­men­heit, aber nicht nach dem Schei­ne der Voll­kom­men­heit und Un­fehl­bar­keit! Die Men­schen be­ur­tei­len und rich­ten Dich nach dem Maß­sta­be Dei­ner Prä­ten­sio­nen, und sie sind noch bil­lig, wenn sie nur das tun, wenn sie Dir nicht Prä­ten­sio­nen auf­bür­den. Dann heißt es, wenn Du auch nur des kleins­ten Feh­lers Dich schul­dig machst: »Ei­nem sol­chen Man­ne ist das gar nicht zu ver­zeihn«; und da die Schwa­chen sich oh­ne­hin ein Fest dar­aus ma­chen, an ei­nem Men­schen, der sich ver­dun­kelt, Män­gel zu ent­de­cken, so wird Dir ein ein­zi­ger Fehl­tritt hö­her an­ge­rech­net als an­dern ein gan­zes Re­gis­ter von Bos­hei­ten und Pin­se­lei­en.

3.

Sei aber nicht gar zu sehr ein Skla­ve der Mei­nun­gen and­rer von Dir! Sei selb­stän­dig! Was küm­mert Dich am Ende das Ur­teil der gan­zen Welt, wenn Du tust, was du sollst? Und was ist Dei­ne gan­ze Gar­de­ro­be von äu­ßern Tu­gen­den wert, wenn Du die­sen Flit­ter­putz nur über ein schwa­ches, nied­ri­ges Herz hängst, um in Ge­sell­schaf­ten Staat da­mit zu ma­chen?

4.

Ent­hül­le nie auf un­ed­le Art die Schwä­chen Dei­ner Ne­ben­menschen, um Dich zu er­he­ben! Zie­he nicht ihre Feh­ler und Ver­ir­run­gen an das Ta­ges­licht, um auf ihre Un­kos­ten zu schim­mern!

5.

Schrei­be nicht auf Dei­ne Rech­nung das, wo­von an­dern das Ver­dienst ge­bührt! Wenn man Dir, aus Ach­tung ge­gen einen ed­len Mann, dem Du an­ge­hörst, Vor­zug oder Höf­lich­keit be­weist, so brüs­te Dich da­mit nicht, son­dern sei be­schei­den ge­nug zu füh­len, daß dies al­les viel­leicht weg­fal­len wür­de, wenn Du ein­zeln auf­trä­test! Su­che aber selbst zu ver­die­nen, daß man Dich um Dei­net­wil­len ehre! Sei lie­ber das kleins­te Lämp­chen, das einen dunklen Win­kel mit ei­ge­nem Lich­te er­leuch­tet als ein großer Mond ei­ner frem­den Son­ne oder gar Tra­bant ei­nes Pla­ne­ten!

6.

Fehlt Dir et­was, hast Du Kum­mer, Un­glück, lei­dest Du Man­gel, rei­chen Ver­nunft, Grund­sät­ze und gu­ter Wil­le nicht zu, so kla­ge Dein Leid, Dei­ne Schwä­che nie­mand als dem, der hel­fen kann, selbst Dei­nem treu­en Wei­be nicht! We­ni­ge hel­fen tra­gen; fast alle er­schwe­ren die Bür­de; ja! sehr vie­le tre­ten einen Schritt zu­rück, so­bald sie se­hen, daß Dich das Glück nicht an­lä­chelt. So­bald sie aber gar wahr­neh­men, daß Du ganz ohne Hilfs­quel­len bist, daß Du kei­nen ge­hei­men Schutz hast, nie­mand, der sich Dei­ner an­nimmt -- o! so rech­ne auf kei­nen mehr! Wer hat den Mut, ein­zig und fest als die Stüt­ze des von al­ler Welt Ver­las­se­nen öf­fent­lich auf­zu­tre­ten? Wer hat den Mut, zu sa­gen: »Ich ken­ne den Mann; er ist mein Freund; er ist mehr wert als ihr alle, die ihr ihn schmä­het«? Und fän­dest Du ja einen sol­chen, so wür­de es doch nur etwa ein and­rer ar­mer Teu­fel sein, der selbst in elen­den Um­stän­den, aus Verzweif­lung sein Schick­sal an das Dei­ni­ge knüp­fen woll­te, des­sen Schutz Dir mehr schäd­lich als nütz­lich wäre.

7.

Rüh­me aber auch nicht zu laut Dei­ne glück­li­che Lage! Kra­me nicht zu glän­zend Dei­ne Pracht, Dei­nen Reich­tum, Dei­ne Ta­len­te aus! Die Men­schen ver­tra­gen sel­ten ein sol­ches Über­ge­wicht ohne Mur­ren und Neid. Lege da­her auch an­dern kei­ne zu große Ver­bind­lich­keit auf! Tue nicht zu viel für Dei­ne Mit­menschen! Sie flie­hen den über­schweng­li­chen Wohl­tä­ter, wie man einen Gläu­bi­ger flieht, den man nie be­zah­len kann. Also hüte Dich, zu groß zu wer­den in Dei­ner Brü­der Au­gen, auch for­dert je­der zu viel von Dir, und eine ein­zi­ge ab­ge­schla­ge­ne Wohl­tat macht tau­send wirk­lich er­zeig­te in ei­nem Au­gen­blick ver­ges­sen.

8.

Vor al­len Din­gen wa­che über Dich, daß Du nie die in­ne­re Zu­ver­sicht zu Dir sel­ber, das Ver­trau­en auf Gott, auf gute Men­schen und auf das Schick­sal ver­lierst! So­bald Dein Ne­ben­mann auf Dei­ner Stir­ne Miß­mut und Verzweif­lung liest -- so ist al­les aus. Sehr oft aber ist man im Un­glücke un­ge­recht ge­gen die Men­schen. Jede klei­ne böse Lau­ne, jede klei­ne Mie­ne von Käl­te deu­tet man auf sich; man meint, je­der sehe es uns an, daß wir lei­den, und wei­che vor der Bit­te zu­rück, die wir ihm tun könn­ten.

9.

Ge­gen­wart des Geis­tes ist ein sel­te­nes Ge­schenk des Him­mels und macht, daß wir im Um­gan­ge in sehr vor­teil­haf­tem Lich­te er­schei­nen. Die­ser Vor­zug nun läßt sich frei­lich nicht durch Kunst er­lan­gen; al­lein man kann an sich ar­bei­ten, daß, wenn er uns fehlt, wir we­nigs­tens nicht durch Übe­rei­lung uns und and­re in Ver­le­gen­heit set­zen. Sehr leb­haf­te Tem­pe­ra­men­te ha­ben hier­auf vor­züg­lich zu ach­ten. Ich rate da­her, wenn eine un­er­war­te­te Fra­ge, ein un­ge­wöhn­li­cher Ge­gen­stand oder ir­gend et­was an­ders uns über­rascht, nur eine Mi­nu­te still zu schwei­gen und der Über­le­gung Zeit zu las­sen, uns zu der Par­tei vor­zu­be­rei­ten, die wir neh­men sol­len. So wie ein ein­zi­ges ra­sches, un­vor­sich­ti­ges Wort oder ein in der Ver­wir­rung un­ter­nom­me­ner Schritt zu spä­te Reue und un­glück­li­che Fol­gen wir­ken kön­nen, so kann ein schnell auf der Stel­le ge­faß­ter und aus­ge­führ­ter ra­scher Ent­schluß in ent­schei­den­den Au­gen­bli­cken, in wel­chen man so leicht den Kopf ver­liert, Glück, Ret­tung, Trost brin­gen.

10.

So we­nig als mög­lich las­set uns von an­dern Wohl­ta­ten for­dern und an­neh­men! Man trifft gar sel­ten Leu­te an, die nicht früh oder spät für klei­ne Diens­te große Rück­sich­ten for­der­ten, und das hebt dann das Gleich­ge­wicht im Um­gan­ge auf, raubt Frei­heit, hin­dert un­ein­ge­schränk­te Wahl, und wenn auch un­ter zehn­mal nicht ein­mal der Fall ein­trä­te, daß dies uns in Ver­le­gen­heit setz­te oder Ver­druß zu­zö­ge, so ist es doch weis­lich ge­han­delt, dies mög­li­che Ein­mal zu ver­mei­den und lie­ber im­mer zu ge­ben, je­dem zu die­nen als von an­dern Diens­te oder sonst et­was an­zu­neh­men. Auch gibt es we­nig Men­schen, die mit gu­ter Art Wohl­ta­ten er­zei­gen. Ver­su­chet es, mei­ne Freun­de! wie vie­le un­ter Eu­ren Be­kann­ten nicht auf ein­mal, mit­ten in der fröh­lichs­ten, höf­lichs­ten Ge­müts­s­tim­mung, ihr Ge­sicht in fei­er­li­che Fal­ten zie­hen, wenn Ihr Eure An­re­de mit den Wor­ten an­he­bet: »Ich muß eine große Bit­te an Sie wa­gen; ich bin in ei­ner er­schreck­li­chen Ver­le­gen­heit.«

Um nun frem­den Bei­stan­des ent­beh­ren zu kön­nen, dazu ist das bes­te Mit­tel, we­nig Be­dürf­nis­se zu ha­ben, mä­ßig zu sein und be­schei­de­ne Wün­sche zu näh­ren; wer aber von un­zäh­li­gen Lei­den­schaf­ten in rast­lo­sem Tau­mel um­her­ge­trie­ben wird, bald Ehren­stel­len, bald Wu­cher, bald Er­werb, bald wol­lüs­ti­gen Ge­nuß ver­langt; wer von dem Lu­xus des Zeit­al­ters an­ge­steckt, al­les be­gehrt, was sei­ne Au­gen se­hen, wen vor­wit­zi­ge Neu­gier und ein un­ru­hi­ger Geist trei­ben, sich in je­den un­nüt­zen Han­del zu mi­schen, der wird frei­lich nie der Hil­fe und Un­ter­stüt­zung frem­der Leu­te zur Be­frie­di­gung sei­ner zahl­lo­sen Wün­sche sich ent­äu­ßern kön­nen.

11.

Kei­ne Re­gel ist so all­ge­mein, kei­ne so hei­lig zu hal­ten, kei­ne führt so si­cher da­hin, uns dau­er­haf­te Ach­tung und Freund­schaft zu er­wer­ben, als die: un­ver­brüch­lich, auch in den ge­rings­ten Klei­nig­kei­ten, Wort zu hal­ten, sei­ner Zu­sa­ge treu, und stets wahr­haf­tig zu sein in sei­nen Re­den. Nie kann man Recht und er­laub­te Ur­sa­che ha­ben, das Ge­gen­teil von dem zu sa­gen, was man denkt, wenn­gleich man Be­fug­nis und Grün­de ha­ben kann, nicht al­les zu of­fen­ba­ren, was in uns vor­geht. Es gibt kei­ne Not­lü­gen; noch nie ist eine Un­wahr­heit ge­spro­chen wor­den, die nicht früh oder spät nach­tei­li­ge Fol­gen für je­der­mann ge­habt hät­te; der Mann aber, der da­für be­kannt ist, streng Wort zu hal­ten und sich kei­ne Un­wahr­heit zu ge­stat­ten, ge­winnt ge­wiß Zu­trau­en, gu­ten Ruf und Hochach­tung.

12.