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Trostlos, schaurig, scheußlich und darüber hinaus noch ziemlich windig: So beschrieb der Römer Tacitus vor bald 2000 Jahren Germanien. Seine Bewohner seien Kälte und Hunger gewöhnt, sie hätten blaue Augen, seien groß gewachsen, und ihr Haar schimmere rötlich. In seiner Schrift Germania beschreibt der Historiker darüber hinaus die Kultur und Religion der Nordbewohner, wie sie wohnen und sich ernähren, ihre Kinder erziehen oder auch, welche Bodenschätze es bei ihnen gebe.
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Seitenzahl: 132
Reclam
Originaltitel: Germania bzw. De origine et situ Germanorum
RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK Nr. 962270
2023 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Covergestaltung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH
Coverabbildung: Lithographie aus Ad. Lehmann’s kulturgeschichtliche Bilder, Leipzig o. J. (ca. 1890); Dortmund, Westfälisches Schulmuseum. © akg-images
Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Made in Germany 2023
RECLAM, UNIVERSAL-BIBLIOTHEK und RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK sind eingetragene Marken der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
ISBN978-3-15-962270-5
ISBN der Buchausgabe 978-3-15-014478-7
www.reclam.de
Über Ursprung und Sitz der Germanen: Allgemeiner Teil – Land und Volk der Germanen
Die Grenzen Germaniens
Ursprung und Name(n) der Bewohner
Herkules und Odysseus in Germanien
Körperliche Eigenschaften der Germanen
Natur des Landes, Erzeugnisse, Metalle
Kriegswesen
Die Rolle der Frau
Religion: Götterkult und Glaube an Vorzeichen
Stammesverfassung und Rechtsprechung
Gefolgschaftswesen
Siedlungsweise und Hausbau
Kleidung
Ehe
Kindererziehung, Familienbande, Erbrecht
Feindschaften, Freundschaften, Gastfreundschaft
Tagesablauf und Gelage
Ernährung
Spiele
Unfreie und Freigelassene
Landwirtschaft
Bestattungskultur
Über Ursprung und Sitz der Germanen: Die einzelnen Stämme der Germanen
Völker im Westen und Süden
Die Chatten
Weitere Völkerschaften im Westen
Stämme im Norden
Suebische Stämme
Anwohner des suebischen Meeres
Mischstämme
Anhang
Zu dieser Ausgabe
Anmerkungen
Karte
Literaturhinweise
Nachwort
1 (1) Germanien als Ganzes wird von den Galliern, den Rätern und Pannoniern durch den Rhein und die Donau und von den Sarmaten und Dakern durch die Furcht voreinander oder durch Gebirgszüge geschieden; das übrige Land umgibt das breite Landvorsprünge und riesige Inselwelten einschließende Weltmeer; erst in neuerer Zeit wurden einige seiner Völkerschaften und Könige bekannt, die uns durch den Krieg erschlossen wurden.
(2) Der Rhein entspringt auf einem unzugänglichen und schroffen Gipfel der Rätischen Alpen, wendet sich in einem leichten Bogen nach Westen und mündet im nördlichen Meer. Die Donau entströmt einem sanften, sacht ansteigenden Bergrücken des Schwarzwaldes und berührt mehrere Völker, ehe sie sich in sechs Mündungsarmen ins Schwarze Meer ergießt; ein siebter Arm versickert in sumpfigem Gelände.
2 (1) Bei den Germanen selbst handelt es sich, wie ich zu glauben geneigt bin, um Ureinwohner, die sich nicht im Zuge von Einwanderung und Aufnahme anderer Stämme (mit fremden Völkern) vermischt haben; zum einen kamen nämlich die Menschen, die ihren Wohnsitz wechseln wollten, in früheren Zeiten nicht auf dem Land-, sondern auf dem Seeweg, und zum anderen wird das sich jenseits von ihnen erstreckende unermessliche und uns gleichsam gegenüberliegende Weltmeer nur selten von Schiffen aus unseren Breiten angesteuert. Wer außerdem hätte, von der Gefährlichkeit eines schreckenerregenden und unbekannten Meeres einmal abgesehen, Asien, Afrika oder Italien verlassen und sich nach Germanien begeben sollen, dessen Landschaften hässlich sind, das ein raues Klima hat und durch seine Lebensart und sein Aussehen abstoßend ist, es sei denn, es wäre seine Heimat?
(2) In alten Liedern, ihrer einzigen Quelle der Erinnerung und geschichtlichen Überlieferung, preisen die Germanen Tuisto, einen der Erde entsprossenen Gott. Ihm schreiben sie einen Sohn namens Mannus zu, den Ahnherrn und Begründer ihres Volkes, diesem wiederum drei Söhne; nach deren Namen werden die an der Küste des Ozeans wohnenden Stämme als Ingävonen, die in der Landesmitte als Hermionen, die anderen als Istävonen bezeichnet. Manche behaupten auch – die Urzeit bietet ja Raum für viele Spekulationen –, dass der Gott noch mehr Söhne gehabt habe und es folglich noch mehr Stammesnamen gebe – Marser, Gambrivier, Sueben und Vandilier – und dass dies die echten, alten Namen seien.
(3) Außerdem sei die Bezeichnung Germanien neueren Datums und erst vor Kurzem aufgekommen, da nur diejenigen, die als Erste den Rhein überquert und die Gallier vertrieben hätten, damals Germanen geheißen hätten. So habe sich der Name eines Landes, nicht eines Volkes, allmählich in der Weise durchgesetzt, dass alle (Stämme) zuerst von den Besiegten aus Furcht als Germanen bezeichnet worden seien, sie sich aber bald darauf auch selbst so genannt hätten, nachdem der Name einmal erfunden worden war.
3 (1) Sie berichten, dass auch Herkules bei ihnen gewesen sei, und wenn sie in die Schlacht ziehen, besingen sie ihn als den ersten aller Helden. Es gibt bei ihnen auch Lieder, durch deren Vortrag – bei ihnen †baritum† genannt – sie sich anfeuern; und allein anhand des Klanges sagen sie den Ausgang des bevorstehenden Kampfes voraus; sie verbreiteten nämlich Schrecken oder haben selber Angst, abhängig von der Art des Heeresgesangs; denn in ihm hört man weniger die Stimmen als den Zusammenklang ihres Kampfesmuts. Angestrebt werden vor allem ein rauer Ton und ein dumpfes Dröhnen, weshalb sie die Schilde vor den Mund halten, damit die Stimme durch den Widerhall voller und tiefer klingt.
(2) Manche sind übrigens der Meinung, dass es auch Odysseus auf jener sagenumwobenen langen Irrfahrt in diesen Teil des Weltmeeres verschlagen habe, dass er die Länder Germaniens besucht, die am Rheinufer gelegene und noch heute bewohnte Ortschaft Asciburgium gegründet und ihr den Namen Askipyrgion gegeben habe; dort sei einst sogar ein dem Odysseus geweihter Altar gefunden worden, der auch den Namen seines Vaters Laërtes trug, und im Grenzgebiet zwischen Germanien und Rätien seien noch immer etliche Denkmäler und Grabstätten mit griechischen Inschriften erhalten. (3) Diese Behauptungen will ich weder mit Beweisen untermauern noch widerlegen: Jeder möge ihnen nach eigenem Gutdünken Glauben schenken oder ihnen den Glauben verweigern.
4 Ich selbst schließe mich denjenigen an, nach deren Ansicht die Völker Germaniens sich durch keine Eheschließungen mit anderen Stämmen vermischt haben und einen eigenständigen, reinblütigen und nur sich selbst ähnelnden Menschenschlag darstellen. Daher haben auch alle – trotz ihrer sehr hohen Zahl – dieselben körperlichen Merkmale: trotzig blickende blaue Augen, rötliches Haar und groß gewachsene Körper, die jedoch nur zum Angriff taugen; Strapazen und Anstrengungen sind sie weniger gut gewachsen, können Durst und Hitze überhaupt nicht ertragen, sind allerdings aufgrund des Klimas oder (kargen) Bodens an Kälte und Hunger gewöhnt.
5 (1) Das Land weist im Einzelnen zwar beträchtliche Unterschiede auf, hinterlässt aber insgesamt aufgrund seiner Wälder einen schaurigen oder aufgrund seiner Sümpfe einen abstoßenden Eindruck. Nach Gallien hin gibt es mehr Niederschläge und in Richtung Noricum und Pannonien mehr Wind. Während Getreide gut gedeiht, ist das Land für Obstbäume ungeeignet; es ist reich an Vieh, das jedoch meist wenig ansehnlich ist. Selbst die Rinder lassen den sie üblicherweise auszeichnenden Stirnschmuck vermissen. Die Germanen freuen sich über deren hohe Zahl, und das Vieh ist ihr einziger und liebster Reichtum.
(2) Ob ihnen die Götter aus Güte oder im Zorn Silber und Gold vorenthalten haben, vermag ich nicht zu sagen. Dennoch möchte ich nicht behaupten, dass es in Germanien keine Silber- oder Goldadern gebe: Denn wer hätte je nach ihnen gesucht? Am Besitz oder Gebrauch (dieser Metalle) zeigen die Menschen kein großes Interesse. (3) Wie man sehen kann, behandeln sie silberne Gefäße, die man ihren Gesandten und Fürsten zum Geschenk gemacht hat, mit derselben Geringschätzung wie solche, die aus Ton gefertigt sind. Trotzdem haben unsere nächsten Nachbarn im Zuge des Handelsverkehrs Gold und Silber zu schätzen gelernt, kennen manche unserer Geldsorten und nehmen sie sehr gern. Weiter im Landesinneren wird noch der primitivere und altertümlichere Tauschhandel betrieben. Sie akzeptieren die alten und ihnen seit Langem bekannten Münzen, nämlich die Serraten und Bigaten. Und am Silber ist ihnen mehr gelegen als am Gold, nicht aufgrund einer besonderen inneren Vorliebe, sondern weil eine Anzahl von Silbermünzen für Leute, die nur gewöhnliche und billige Waren kaufen, leichter zu handhaben ist.
6 (1) Auch an Eisen herrscht kein Überfluss, wie sich aus der Art ihrer Waffen erschließen lässt. Nur wenige benutzen Schwerter oder größere Lanzen: Ihre Speere – in ihrer Sprache heißen sie Framen – sind mit einer schmalen, kurzen Eisenspitze versehen, die aber so scharf und zweckmäßig ist, dass sie dieselbe Waffe je nach Taktik sowohl im Nah- als auch im Fernkampf einsetzen können. Selbst ein Kavallerist begnügt sich mit Schild und Frame, während die Fußsoldaten jeweils mehrere Wurfspeere schleudern und sie überaus weit werfen können; dabei sind sie nackt oder nur mit einem leichten Umhang bekleidet. Jedes Protzen mit ihrer Ausrüstung liegt ihnen fern. Lediglich ihre Schilde bemalen sie in den buntesten Farben. Wenige Soldaten tragen einen Brustpanzer und nur der eine oder andere einen Helm aus Metall oder Leder.
(2) Die Pferde zeichnen sich weder durch Schönheit noch durch Schnelligkeit aus. Auch werden sie, anders als bei uns üblich, nicht dazu abgerichtet, verschiedene Wendungen durchzuführen: Man reitet sie in gerader Richtung und in einem einmaligen Schwenk nach rechts und bildet dabei einen so geschlossenen Bogen, dass niemand zurückbleibt.
(3) Insgesamt gesehen verfügen die Fußtruppen über die größere Schlagkraft; und daher kämpfen sie in gemischter Formation, wobei die Schnelligkeit der Fußtruppen genau auf den Reiterkampf abgestimmt ist. Diese aus der gesamten Jugend ausgewählten Krieger werden vor der Schlachtreihe postiert. Außerdem ist ihre Zahl festgelegt: Es sind jeweils hundert aus den einzelnen Gauen; als solche (Hundertschaften) werden sie auch von ihren Landsleuten bezeichnet, und was zuerst nur eine Zahlenangabe war, ist jetzt ein Ehrentitel.
(4) Die Schlachtreihe besteht aus (mehreren) keilförmigen Abteilungen. Ein Zurückweichen gilt, sofern man danach nur wieder vorrückt, eher als ein Zeichen von Klugheit als von Angst. Die Leichname ihrer Kameraden versuchen sie auch in Gefechten mit unklarem Ausgang zu bergen. Der Verlust eines Schildes gilt als außerordentliche Schande, und wer diese auf sich geladen hat, darf weder an Opfern teilnehmen noch die Volksversammlung besuchen, und viele, die den Krieg überlebten, haben ihrer Schmach durch den Strick ein Ende gesetzt.
7 (1) Für die Wahl ihrer Könige ist die adelige Herkunft ausschlaggebend, für die ihrer Heerführer die Tapferkeit. Die Macht der Könige ist indes weder unbegrenzt noch der Willkür unterworfen, und die Feldherren führen ihre Truppen eher kraft ihres Vorbilds als ihrer Befehlsgewalt, dadurch, dass sie bewundert werden, wenn sie entschlossen sind, wenn sie sich hervortun, wenn sie vor der Schlachtreihe kämpfen. Im Übrigen ist es nur den Priestern erlaubt, jemanden hinzurichten, in Fesseln zu legen oder auch nur zu schlagen; dies tun sie aber nicht, um jemanden zu bestrafen oder weil der Heerführer es befohlen hätte, sondern gleichsam auf Geheiß der Gottheit, die nach ihrem Glauben den Kriegern beisteht. (2) Deshalb nehmen die Germanen auch bestimmte Abbilder und Zeichen, die sie aus den heiligen Hainen geholt haben, mit in die Schlacht.
Ein besonderer Ansporn zur Tapferkeit ist die Tatsache, dass sich eine Reiterschwadron oder ein Keil nicht zufällig oder willkürlich zusammenfinden, sondern aus Familien und Verwandten bestehen. Und ihre engsten Angehörigen halten sich ganz in der Nähe (des Schlachtfeldes) auf, so dass die Krieger von dort das Geschrei der Frauen, von dort das Weinen der kleinen Kinder hören können. Sie sind für alle die heiligsten Zeugen, sie spenden ihnen das höchste Lob. Mit ihren Verletzungen gehen sie zu ihren Müttern und Ehefrauen: Diese scheuen sich nicht, die Hiebe zu zählen oder zu untersuchen, und versorgen die Kämpfenden mit Nahrung und sprechen ihnen Mut zu.
8 (1) Angeblich wurden schon manche Schlachtreihen, die bereits ins Wanken geraten waren und zurückwichen, durch die Frauen wieder zum Stehen gebracht: indem sie inständig flehten, sich ihnen mit entblößter Brust entgegenwarfen und sie auf die unmittelbar drohende Gefangenschaft hinwiesen, die für die Germanen noch weitaus unerträglicher und furchterregender ist, wenn ihre Frauen betroffen sind. Deshalb wird ein Stamm noch nachhaltiger verpflichtet, wenn er unter den Geiseln auch vornehme Mädchen stellen muss.
(2) Die Germanen glauben sogar, dass den Frauen etwas Heiliges und Prophetisches innewohne, und so verachten sie nicht ihre Ratschläge noch missachten sie ihre Auskünfte. Wie wir gesehen haben, wurde zur Zeit des jetzt vergöttlichten Vespasian Veleda bei sehr vielen als eine Gottheit angesehen; früher aber verehrten sie auch eine Aurinia und mehrere andere Frauen, allerdings nicht, um ihnen auf servile Weise zu schmeicheln oder sie gleichsam zu Göttinnen zu erheben.
9 (1) Unter den Göttern genießt Merkur die höchste Verehrung, und sie halten es für geboten, ihm an bestimmten Tagen auch Menschenopfer darzubringen. Herkules und Mars suchen sie durch erlaubte Lebewesen gnädig zu stimmen. Ein Teil der Sueben opfert auch der Isis. Den Grund und den Ursprung dieses fremden Kults habe ich nicht genau herausfinden können; das Symbol der Göttin in Form eines Liburnerschiffes zeigt lediglich, dass der Kult übers Meer gekommen ist.
(2) Im Übrigen halten sie es mit der Erhabenheit der Himmelsbewohner für unvereinbar, die Götter in Wände einzuschließen oder ihnen ein menschenähnliches Aussehen zu verleihen. Sie weihen ihnen Lichtungen und Haine und bezeichnen mit Götternamen jenes geheimnisvolle Wesen, das sie nur in ehrfurchtsvoller Andacht schauen.
10 (1) Vorzeichen und Losorakel beachten sie sorgfältiger als andere Völker. Das herkömmliche Losverfahren ist einfach: Von einem fruchttragenden Baum schneiden sie einen Zweig ab, zerteilen ihn in Stäbchen, versehen diese mit verschiedenen Zeichen und verstreuen sie planlos und wie es der Zufall will auf einem weißen Tuch. Dann betet, wenn es sich um eine öffentliche Befragung handelt, der Stammespriester oder, wenn es um eine private Befragung geht, das Familienoberhaupt zu den Göttern, hebt, den Blick zum Himmel gerichtet, nacheinander drei Stäbchen auf und deutet sie gemäß den vorher eingekerbten Zeichen. Ist die Auskunft negativ, gibt es an diesem Tag in derselben Sache keine weitere Befragung; ist die Auskunft aber positiv, muss sie noch durch andere Vorzeichen bestätigt werden.
(2) In Germanien ist es gleichfalls üblich, die Stimmen und das Flugverhalten von Vögeln zu beobachten und zu deuten. Zu den Besonderheiten dieses Volkes gehört es, auch die Vorzeichen und Hinweise von Pferden zu erkunden. Auf Kosten der Allgemeinheit werden in denselben (göttlichen) Hainen und Lichtungen Schimmel gehalten, die noch mit keiner irdischen Arbeit in Berührung gekommen sind; sie werden vor einen heiligen Wagen gespannt und von einem Priester sowie einem König oder einem Stammesfürsten begleitet, die auf das Wiehern und Schnauben der Pferde achtgeben. Und kein Vorzeichen gilt als zuverlässiger, weder beim einfachen Volk noch bei den Vornehmen oder den Priestern; diese halten sich nämlich nur für die Diener der Götter, die Pferde jedoch für deren Vertraute.
(3) Sie achten auch noch auf andere Vorzeichen, aufgrund derer sie den Ausgang schwerer Gefechte herauszufinden suchen: Sie bringen auf irgendeine Weise einen Mann aus dem Stamm, mit dem sie gerade Krieg führen, in ihre Gewalt und lassen ihn gegen einen aus den eigenen Leuten ausgewählten Gegner antreten, jeden in seinen heimischen Waffen. Der Sieg des einen oder anderen gilt dann als Vorentscheidung.
11 (1) Über weniger wichtige Angelegenheiten entscheiden die Stammesfürsten, über die wichtigeren alle gemeinsam, wobei aber auch die Dinge, über die das Volk zu beschließen hat, vorher von den Stammesfürsten beraten werden. Die Germanen versammeln sich, außer wenn etwas Unvorhergesehenes oder Unerwartetes eintritt, an ganz bestimmten Tagen, entweder bei Neu- oder bei Vollmond. Nach ihrer Auffassung ist dies nämlich der günstigste Zeitpunkt für den Beginn ihrer Unternehmungen. Sie rechnen auch nicht, so wie wir, nach Tagen, sondern nach Nächten; dementsprechend setzen sie ihre Termine fest, dementsprechend treffen sie ihre Verabredungen. Sie sind der Meinung, dass die Nacht dem Tag vorausgeht.
Ihre Freiheitsliebe ist der Grund für die Unsitte, dass sie nicht gleichzeitig und auch nicht wie auf Befehl zusammenkommen, sondern aufgrund ihres sehr zögerlichen Eintreffens zwei oder drei Tage ungenutzt verstreichen lassen. (2) Sobald es der Menge beliebt, nehmen die Männer ihre Plätze ein, und zwar in Waffen. Durch die Priester, die nun auch das Recht haben, Strafen zu verhängen, wird Ruhe geboten. Danach wird – ihrem Alter, Adel, Kriegsruhm und ihrer Rednergabe entsprechend – der König oder ein Stammesfürst angehört, wobei ihre Überzeugungskraft eine größere Rolle spielt als ihre Befehlsbefugnis. Wenn ein Vorschlag missfällt, wird er durch Murren zurückgewiesen; findet er aber Gefallen, werden die Framen aneinandergeschlagen: Mit den Waffen Lob zu spenden ist die ehrenvollste Art der Zustimmung.
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