Unaufmerksam, hyperaktiv und glücklich - Donatella Arcangeli - E-Book

Unaufmerksam, hyperaktiv und glücklich E-Book

Donatella Arcangeli

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Beschreibung

ADHS ist eine der häufigsten psychischen Auffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen: Vier bis sechs Prozent der Kinder leiden an der Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung. Seit mehr als zehn Jahren hat die Ärztin und Kinder- und Jugendneuropsychiaterin täglich mit Kindern zu tun, bei denen ADHS diagnostiziert wurde.Kinder mit ADHS, die sowohl in der Schule als auch zu Hause immer eine große Herausforderung darstellen, faszinieren sie, weil sie ein schnell arbeitendes Gehirn besitzen, sie leicht lernen, aber genauso leicht gelangweilt und gereizt sind. Für viele Eltern wird es zu einer echten Herausforderung, ihre Kinder, die unter dieser Störung leiden, ins Erwachsenenalter zu bringen. Wenn wir Erwachsenen nicht in der Lage sind, ihnen beizubringen, wie sie ihre Fähigkeiten optimal nutzen können, besteht die Gefahr, dass sie sich "verirren" und vom Weg abkommen, was negative Folgen für ihr schulisches und soziales Leben hat. Es gibt verschiedene Arten von therapeutischen Interventionen für Kinder mit ADHS: Eine der wichtigsten ist ihrer klinischen Praxis und Erfahrung nach das Elterntraining. Dabei handelt es sich um eine Therapie, die sich an die Eltern richtet, eine Art Schule, in der sie etwas über die weite Welt der ADHS lernen. Mit diesem Buch möchte die Autorin Betroffenen das Leben als Eltern von Kindern mit ADHS erleichtern, indem sie aufzeigt, wie sie "besondere" Eltern von "besonderen" Kindern werden können.

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Die Drucklegung dieses Buches wurde ermöglicht durch

die Südtiroler Landesregierung / Abteilung Deutsche Kultur.

Donatella Arcangeli ist Fachärztin für Kinder- und Jugendneuropsychiatrie und Primaria des landesweiten Dienstes für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie im Südtiroler Sanitätsbetrieb. Sie ist Expertin für ADHS, Autismus und psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. Im Zuge ihrer langjährigen Tätigkeit hat sie der Vergleich von Geschichten, Symptomen, Situationen und Behandlungsansätzen in ihrer Überzeugung bestärkt, dass die erfolgreiche Unterstützung von Kindern mit besonderem Erziehungsbedarf notwendigerweise auch deren Eltern und Lehrpersonen – und somit Maßnahmen zum Parent bzw. ­Teacher Training – miteinbeziehen muss.

Donatella Arcangeli hat zu diesem Thema auch das Buch ADHS Praxisnaher Leitfaden für Lehrkräfte an Grundschulen (Athesia, 2023) veröffentlicht. www.donatella-arcangeli.it

Für Enea,

meinen lebhaften, spritzigen, wunderbaren Neffen

INHALT

Einführung

Was ist ADHS?

▸ ADHS – eine Definition

▸ Subtypen von ADHS

▸ Begleiterkrankungen

▸ ADHS – Verlauf

▸ ADHS – Ursachen

▸ ADHS – Diagnose

▸ ADHS – Behandlung

▸ Direkte Eingriffe

▸ Indirekte Eingriffe

Kinder mit ADHS – Umgang im Alltag

▸ ADHS und Schlaf

▸ ADHS und Ernährung

▸ ADHS bei Tisch

▸ ADHS, Ordnung und Raumeinteilung

▸ ADHS und Hypersensibilität

▸ ADHS und Regeln

▸ ADHS und Wettbewerb

▸ ADHS und Unehrlichkeit

▸ ADHS und Zeitmanagement

▸ ADHS und Langeweile

▸ ADHS und Spezialinteressen

▸ ADHS und elektronische Geräte

▸ ADHS und aggressives Verhalten

▸ ADHS und Einkäufe

▸ ADHS und Körperpflege

▸ ADHS, Vergesslichkeit und Achtlosigkeit

▸ ADHS und Schule

▸ ADHS und Aufgaben

▸ ADHS und Sozialleben

▸ ADHS und Sport

▸ ADHS und Geschwister

Von der Theorie zur Praxis

Schlusswort

Mehr zum Thema ADHS bei Kindern

Einführung

Durch meine Arbeit habe ich seit nunmehr zehn Jahren täglich mit Kindern zu tun, bei denen eine Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung festgestellt wurde. Kinder mit ADHS sind zu Hause wie in der Schule eine Herausforderung und haben für mich eine besondere Faszination: Ihr Gehirn arbeitet blitzschnell und nimmt im Nu Informationen auf, und brennende Interessen können ebenso schnell wieder verschwinden, wie sie aufgetaucht sind.

Ein Kind mit ADHS-Diagnose auf seinem Weg ins Erwachsenenalter zu begleiten kann für Eltern häufig belastend sein. Dieses Buch soll eine Stütze bieten und Ihnen dabei helfen, Ihr Kind kennen und verstehen zu lernen und erfolgreich großzuziehen.

Die Grundschuljahre sind eine wichtige Zeit für die Entwicklung jedes Kindes – und aufgrund ihres besonderen Erziehungsbedarfs für Kinder mit ADHS umso mehr. Sie kommen mit einem „besonderen“ Gehirn zu Welt: Wenn wir Erwachsenen ihnen nicht beibringen, wie sie ihre besonderen Fähigkeiten bestmöglich einsetzen können, können sie leicht vom Weg abkommen und dabei ihrem Schul- und Sozialleben erheblichen Schaden zufügen. Es gibt unterschiedliche Arten von therapeutischen Maßnahmen für Kinder mit ADHS: Im Zuge meiner Arbeit hat sich etwa das Parent Training als eine der wirksamsten erwiesen. Dabei handelt es sich um eine Therapiemaßnahme, die Eltern gezielt Einblicke und Wissen rund um das Thema ADHS vermittelt. Nur lenkbare Kinder sind auch erziehbar, und der Alltag mit Kindern mit ADHS kann Eltern immer wieder auf eine harte Probe stellen.

Ich hoffe, ich kann Ihnen mit diesem Buch den Alltag etwas erleichtern und Ihnen zeigen, wie Sie erfolgreich zu „besonderen“ Eltern für Ihr „besonderes“ Kind werden können.

Viel Freude beim Lesen!

Was ist ADHS?

Das Kürzel ADHS steht für Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung.

Einen guten Ausgangspunkt für die Auseinandersetzung mit dem Thema bilden einige Schlüsselwörter, mit denen das Verhalten von Kindern mit ADHS häufig umschrieben wird: übertrieben, aufgeweckt, lebhaft, flink, schlau, schlecht erzogen, respektlos, gelangweilt. Im alltäglichen Sprachgebrauch hört man nicht selten Ausdrücke wie „hyperaktiv“, „hyperkinetisch“, „Aufmerksamkeitsdefizit“, „mit dem Kopf in den Wolken“, „Zappelphilipp“, „Frechdachs“: Lauter verschiedene Arten, um besonders lebhafte und überschwängliche, ungestüme, energische und starrköpfige, reizbare, oft unordentliche, launische, impulsive, unberechenbare, rastlose, unfolgsame und freche Charaktere mit Anpassungsschwierigkeiten zu beschreiben.

Ebenso gehören Langeweile, Frustration, Prokrastination, Verdruss, Verlangen, Leidenschaft, Wettstreit, Energie zum „ADHS-Universum“. Kinder mit ADHS sind „anders“: Sie wollen unzählige Dinge tun, viele Menschen treffen, ständig in Bewegung sein, niemals verlieren, viel besitzen, intensiv genießen und brauchen viel Abwechslung.

Nach mehr als zehn Jahren klinischer Praxiserfahrung mit Kindern, die an ADHS leiden, muss ich sagen, dass ich das Wort „Störung“ eigentlich unpassend finde.

Es bezeichnet etwas Falsches, Kaputtes – eben etwas „Gestörtes“. Meines Erachtens wirkt der Begriff „Störung“ vor allen Dingen stigmatisierend.

ADHS. Diese vier Buchstaben beschreiben Menschen – in unserem Fall Kinder – mit ähnlichen Verhaltens- und Denkmustern: Kinder, die Verständnis und richtige Erziehung brauchen und keinesfalls als gestörte Problemfälle abgestempelt werden dürfen. Wenn wir Sachverständigen von einer Störung sprechen, weisen wir damit lediglich darauf hin, dass die betroffenen Kinder eingehendes Verständnis und geeignete Erziehungsmaßnahmen brauchen und auf dem Weg ins Erwachsenenalter einer besonderen Behandlung bedürfen.

Für meinen Teil denke ich gar nicht mehr an eine „Störung“, wann immer ich das Kürzel ADHS benutze: Für mich ist es vielmehr ein Überbegriff für bestimmte Kinder, die ich außerdem ausnehmend sympathisch finde. Mich fasziniert ihr einzigartig plastisches Gehirn, das so lebendig, aber gleichzeitig so schwer und umständlich zu formen ist. Solche Kinder sind für mich seit jeher eine spannende Herausforderung, und gerade in diesem Sinne möchte ich Ihnen als Eltern in diesem Buch so viele Mittel und Instrumente wie nur möglich vorstellen, um sich in der Welt und im „besonderen Kopf“ Ihres Kindes mit ADHS zurechtzufinden.

Allzu viele Menschen – Lehrpersonen, Eltern, Großeltern, Erzieherinnen und Erzieher, aber auch Expertinnen und Experten für Kindesentwicklung – glauben bis heute nicht an ADHS, sondern sind der Meinung, übermäßige Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität, Rastlosigkeit und Desorganisation bei Kindern seien schlicht und einfach ein Hinweis auf schlechte Erziehung oder Misshandlung. In meinem Buch werde ich aufzeigen, wie irreführend dieser Ansatz ist, und vor allem wie ungeeignet, um betroffenen Kindern über ihre Schwierigkeiten in der Schule oder unter Gleichaltrigen hinwegzuhelfen.

Dazu wollen zunächst analysieren, worum es sich bei ADHS genau handelt.

ADHS – EINE DEFINITION

ADHS ist eine Störung der neuronalen Entwicklung, die während der ersten zwölf Lebensjahre auftritt und sich durch drei typische Symptome äußert: Hyperaktivität, Impulsivität und Unaufmerksamkeit.

Hyperaktivität:

Hyperaktive Kinder sind ständig in Bewegung. Sie haben Schwierigkeiten, stillzuhalten und zur Ruhe zu kommen, langweilen sich rasch und brauchen ständige Beschäftigung, die ihre Aufmerksamkeit fesselt. Hyperaktivität bedingt Verhaltensprobleme, da übermäßig lebhafte Kinder nicht leicht zu kontrollieren sind.

Impulsivität:

Impulsive Kinder sind ungeduldig, temperamentvoll, sehr energisch und neigen zu Extremreaktionen. Impulsivität führt zu Problemen in den sozialen Beziehungen zu Gleichaltrigen.

Unaufmerksamkeit:

Unaufmerksame Kinder sind oft gedankenverloren, lassen sich leicht zerstreuen, bringen Aufgaben nur schwer zu Ende, sind unordentlich, desorganisiert, vergesslich und unbeständig. Unaufmerksamkeit bedingt Lernprobleme und bremst die schulische Leistung.

ADHS ist eine Störung der Gehirnfunktion, die auf eine veränderte Funktion des zentralen Nervensystems zurückzuführen ist: Insbesondere betreffen besagte Veränderungen Nervengruppen, die für die Steuerung von Inhibition und Selbstkontrolle zuständig sind (präfrontaler Kortex und Basalganglien).

Eine ADHS-Diagnose setzt voraus, dass die drei charakteristischen Symptome der Störung – Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität – während der ersten zwölf Lebensjahre auftreten. Das bedeutet allerdings nicht, dass eine spätere Diagnose unmöglich ist: Im Gegenteil kommt es nicht selten vor, dass eine solche erst im Jugendalter gestellt wird, nachdem der oder die betroffene Jugendliche schwerwiegende Verhaltensprobleme manifestiert und etwaige bisherige Schwierigkeiten möglicherweise falsch interpretiert wurden.

Je frühzeitiger die Diagnose, desto eher können die Schwierigkeiten von Kindern mit ADHS korrekt erkannt und genau bestimmt werden – und desto wirksamer sind die therapeutischen Maßnahmen bzw., desto besser der klinische Verlauf und die Prognose.

Betrachten wir nun genauer, worin eine Störung der neuronalen Entwicklung im Detail besteht.

Was sind Störungen der neuronalen Entwicklung?

Der Begriff „Störung der neuronalen Entwicklung“ steht für unterschiedliche Phänomene, die zu atypischen Gehirnfunktionen führen und unabhängig vom Intelligenzgrad eines Kindes spezifische Schwierigkeiten bei der Ausführung von altersgerechten Aufgaben verursachen. Eine genaue Kenntnis dieser Störungen ist unabdingbar, denn häufig treten mehrere davon im Verbund auf und sorgen damit für ein äußerst komplexes Krankheitsbild.

Unter „neuronaler Entwicklung“ versteht man die Ausbildung des zentralen Nervensystems, und damit jene des Gehirns. In der Regel treten Störungen der neuronalen Entwicklung bei Kindern auf, deren Gehirn gesund und weder lädiert ist noch „Konstruktionsfehler“ aufweist. Schwangerschaft und Geburt verliefen meist problemlos, ebenso wie die psychomotorische Entwicklung während der ersten zwei Lebensjahre. Von den betreffenden Kindern würde man sich daher nicht erwarten, dass sie im Zuge ihres Heranwachsens Verhaltens-, Lern- und Sozialisationsprobleme entwickeln.

Es gibt eine Vielzahl von Störungen der neuronalen Entwicklung, die wir wie folgt einteilen können:

Kommunikationsstörungen (z. B. Sprachstörungen)

Autismus-Spektrum-Störungen

Spezifische Lernstörungen (Dyslexie, Legasthenie, Dyskalkulie)

ADHS

Geistige Behinderung

Motorische Störungen (z. B. Tics, Koordinationsstörungen)

In der Box auf Seite 13/14 werden die häufigsten Störungen der neuronalen Entwicklung näher beschrieben.

„ADHS haben“ ist nicht gleich „ein ADHS-Kind sein“

Kommen wir nun zurück zu ADHS: Wie alle Störungen der neuronalen Entwicklung betrifft ADHS vorwiegend das männliche Geschlecht – tatsächlich sind drei von vier betroffenen Kindern Jungen.

Form, Schwere und Ausmaß der drei Hauptsymptome von ADHS – Hyperaktivität, Unaufmerksamkeit und Impulsivität – können während unterschiedlicher Lebensabschnitte des Kindes variieren. Das heißt, dass ein vorwiegend hyperaktives Kind mit ADHS nicht gezwungenermaßen auf ewig hyperaktiv sein muss – und ebenso ist nicht auszuschließen, dass ein Kind mit Aufmerksamkeitsstörung im Jugendalter impulsiv wird. Die Störung entwickelt sich zusammen mit dem Kind: Gerade deshalb ist es äußerst wichtig, dass Betroffene sorgfältig überwacht werden, bis sie einen ausreichenden Grad an Selbstständigkeit, Selbstkontrolle und Selbstmanagement erreicht haben.

Beim Gedanken an Kinder mit ADHS kommen mir unweigerlich die batteriebetriebenen Baby-Puppen von früher in den Sinn: Bei Kindern mit ADHS ist es, als hätten sie eine leistungsstärkere Batterie bekommen, die länger hält und sich ungemein schnell wieder auflädt. Ihr Feuerwerk an körperlicher, geistiger und kreativer Energie kann für ihre Umgebung häufig zur Herausforderung werden.

Weitere Störungen der neuronalen Entwicklung

SPRACHSTÖRUNG

Betrifft Kinder, die bis zum vierten Lebensjahr nicht in der Lage sind, sich in korrekten Sätzen mit altersgerechtem Vokabular und klarer Aussprache auszudrücken.

LERNSTÖRUNGEN

Das Kind ist nach einer an und für sich angemessenen Zeit an der Grundschule (bis zum Abschluss der zweiten/dritten Klasse) nicht in der Lage, sich die erforderlichen Lernkompetenzen für die folgenden Schul- und Erziehungsjahre anzueignen.

Lesestörung (Dyslexie): Schwierigkeiten beim korrekten, flüssigen und schnellen Lesen.

Rechtschreibstörung (Legasthenie): Schwierigkeiten bei der fehlerfreien Rechtsschreibung.

Rechenschwäche (Dyskalkulie): Schwierigkeiten beim Erlernen der vier grundlegenden Rechenoperationen und ihrer Anwendung.

KOORDINATIONSSTÖRUNG (DYSPRAXIE)

Kinder mit dieser Störung haben Schwierigkeiten mit der Fein- und Grobmotorik.

Mögliche Anzeichen in der Grobmotorik: Ungeschicktheit, Unbeholfenheit, mangelnde Koordination, Gleichgewichtsschwierigkeiten. Mögliche Anzeichen in der Feinmotorik: Schwierigkeiten beim Schneiden, Schreiben, Auf- und Zuknöpfen, Öffnen und Schließen von Reißverschlüssen, Schnüren von Schuhbändern, Einfädeln, Zeichnen und schließlich beim Schreiben. Beim Schreiben haben Kinder mit Koordinationsstörung Schwierigkeiten, Zahlen aufzureihen bzw. das Blatt einzuteilen und legen ein unordentliches, schlecht leserliches Schriftbild an den Tag.

AUTISMUS-SPEKTRUM-STÖRUNGEN

Autismus-Spektrum-Störungen oder Autismus sind eine typische Störung der neuronalen Entwicklung. Es liegen keinerlei morphologische Schäden am Gehirn vor, die Schwierigkeiten bei der kognitiven und sozialen Entwicklung des Kindes rechtfertigen würden.

Symptome:

Kommunikationsdefizit mit Schwierigkeiten, dem Gegenüber die eigenen Bedürfnisse, Interessen und Gedanken verbal zu vermitteln. Störung der sozialen Interaktion und Schwierigkeiten in der Wechselbeziehung mit anderen bei Spiel und Kommunikation. Stereotype, wiederholte und spezifische Interessen, d. h. eine Neigung, sich für einzelne Spiele und Tätigkeiten zu begeistern und sich darauf zu fixieren.

Das autistische Gehirn ist typischerweise hypersensorisch und nimmt somit akustische, taktile, geschmackliche, olfaktorische und visuelle Reize verstärkt wahr.

GEISTIGE BEHINDERUNG

Zu den Störungen der neuronalen Entwicklung gehören auch kognitive Defizite, die das Lernvermögen eines Kindes im Vergleich zu den altersüblichen Standards einschränken. Betroffene weisen ein einheitliches Defizit quer durch alle kognitiven Fähigkeiten – Sprache, Bewegung, Grafomotorik und Feinmotorik, Auge-Hand-Koordination und schulisches Lernen – auf.

TICS

Unter diese Gruppe von Störungen fallen einfache vorübergehende Tics, komplexe Tics sowie das Tourette-Syndrom (mehrere vokale und komplexe motorische Tics).

ADHS-Symptome können bei vielen Kindern auftauchen – das heißt allerdings nicht, dass jedes lebhafte, unaufmerksame, desorganisierte, antriebslose Kind oder jedes Kind mit Schwierigkeiten in der Schule an ADHS leidet.

Dennoch ist Vorsicht geboten: Wenn ein Kind über sechs Monate lang in mindestens zwei unterschiedlichen Lebensbereichen (folglich in Bereichen mit unterschiedlichen Erziehungsansätzen) lebhaft, desorganisiert, unaufmerksam und impulsiv ist, ist die Diagnose ADHS sehr wahrscheinlich. Damit man allerdings von ADHS sprechen kann, muss auch eine funktionale Beeinträchtigung gegeben sein, d. h., erhebliche Schwierigkeiten in der Schule und/oder im Sozialleben des Kindes.

Liegt keine solche funktionale Beeinträchtigung vor, spreche ich nicht von Kindern, die ADHS haben, sondern von ADHS-Kindern: Sie weisen zwar eine atypische Gehirnfunktion auf, leiden aber nicht an ausgeprägten Störungen.

Der Unterschied zwischen Kindern, die ADHS haben, und ADHS-Kindern hängt nicht selten vom soziokulturellen Kontext ab. Unter Sachverständigen wird allgemein davon ausgegangen, dass die klinische Schwelle eben durch das Umfeld bedingt wird, in dem das betreffende Kind aufwächst. Wo geeignete Erziehungsansätze fehlen, wirkt sich die Störung stärker aus – und wie bereits angedeutet ändert sich das Krankheitsbild im Laufe der Kindheit und Jugend häufig.

ADHS-Symptome sind unterschiedliche Dimensionen ein und desselben Kontinuums zwischen Normalität und Pathologie – genau wie die Symptome von Depression (von Melancholie über Traurigkeit bis hin zur voll ausgeprägten Depression), Angststörungen oder Hypertonie. Die klinische Schwelle wird vom Grad der funktionalen Beeinträchtigung vorgegeben – und die wiederum wird vom spezifischen soziokulturellen Kontext bestimmt.

Eine ADHS-Diagnose ist zudem dimensional, wie etwa Übergewicht, Hochdruck, Fieber, und nicht kategorial, wie beispielsweise Epilepsie, Diabetes, Malaria: Anders gesagt kann ein Kind ein bisschen oder stark von ADHS betroffen sein!

SUBTYPEN VON ADHS

Nicht alle Kinder mit ADHS weisen dieselben Merkmale auf. Das liegt zum einen Teil daran, dass jedes Kind einzigartig ist, zum anderen, dass es unterschiedliche Subtypen von ADHS gibt. Der Ausprägungsgrad von ADHS ändert sich außerdem je nach Alter und Geschlecht.

Man unterscheidet folgende Subtypen:

Kombinierter ADHS-Typ:

Hyperaktivität, Impulsivität und Unaufmerksamkeit sind bei betroffenen Kindern leicht zu erkennen. Dies ist die „typische“ Form von ADHS.

Unaufmerksamer ADHS-Typ:

Die betroffenen Kinder wirken oft zerstreut, sind meist sehr feinfühlig und kreativ, ruhig, oft unbeständig und faul und wirken zuweilen etwas verloren.

Impulsiver/hyperaktiver ADHS-Typ:

Die betroffenen Kinder sind eindeutig hyperaktiv und schwer zu kontrollieren bzw. in eine Gruppe zu integrieren.

BEGLEITERKRANKUNGEN

Unter diesem Begriff versteht man das gleichzeitige Vorliegen von zwei oder mehreren unabhängigen Störungen. Rund 70 Prozent der ADHS-Betroffenen haben mindestens eine Begleiterkrankung. Die sogenannten Komorbiditäten wirken sich auf Krankheitsbild, Entwicklung, Prognose und Behandlung aus und verstärken die ADHS des Kindes. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass sie frühzeitig erkannt und getrennt behandelt werden.

Wenn ein Kind etwa laut Diagnose ADHS und eine Lernstörung hat (z. B. Dyslexie), ist unbedingt auch eine eigene Dyslexie-Behandlung vorzusehen. Leidet das Kind unter ADHS und Angststörungen, sind die Angststörungen zu behandeln. ADHS darf nicht pauschal zur Begründung sonstiger Schwierigkeiten des Kindes herangezogen werden: Diese gilt es sorgfältig zu untersuchen.

Besonders häufige Begleiterkrankungen

Unter diese Gruppe fallen Begleiterkrankungen, die in 50 Prozent aller Fälle – also bei fünf von zehn Kindern – auftauchen.

Oppositionelle Verhaltensweisen:

Eine früh einsetzende Verhaltensstörung, die sich durch eine Neigung des Kindes kennzeichnet, sich absichtlich Regeln zu widersetzen, nicht zu gehorchen und Gleichaltrige und Lehrpersonen zu provozieren. Kinder mit ADHS mit dieser Begleiterkrankung müssen sehr gut unter Kontrolle gehalten werden: Medizinisches Personal, Familie und Schule müssen vernetzt arbeiten und umgehend eingreifen. Fehlt eine angemessene Therapie, besteht für betroffene Kinder ein hohes Risiko einer schwerwiegenderen Entwicklung im Jugendalter.

Störungen des Sozialverhaltens:

Eine Störung, die typischerweise nach dem zwölften Lebensjahr auftritt und sich durch willkürlich antisoziale Verhaltensweisen wie Diebstahl, Aggression und Vandalismus manifestiert. Dabei handelt es sich häufig um die negative Weiterentwicklung oppositioneller Verhaltensweisen.

Häufige Begleiterkrankungen

Unter diese Gruppe fallen Begleiterkrankungen, die in 30 Prozent aller Fälle – also bei drei von zehn Kindern – auftauchen.

Angststörungen:

Auch Kinder können unter Angstzuständen leiden. Typische Anzeichen in der Kindheit sind Somatisierung (Magen- oder Kopfschmerzen), Schwierigkeiten beim Loslösen von Bezugspersonen sowie übermäßige Sorgen und Ängste. Sehr häufig leiden Kinder mit unaufmerksamem ADHS-Typ unter Angststörungen, die unter anderem durch Schwierigkeiten bei der Erledigung von Aufgaben und bei der Organisation hervorgerufen werden.

Lernstörungen:

Wie bereits erwähnt sind solche Störungen eine erhebliche Beeinträchtigung für das Schulleben der betroffenen Kinder und können die Schule zu einer großen Belastung machen.

Mäßig häufige Begleiterkrankungen

Unter diese Gruppe fallen Begleiterkrankungen, die in 15–20 Prozent aller Fälle – also bei zwei von zehn Kindern – auftauchen.

Stimmungsstörungen:

Unter diese Kategorie fallen sowohl Depressionen als auch bipolare Störungen. Um zu verstehen, ob ein Kind mit ADHS auch unter einer Stimmungsstörung leidet, werden seine Reizbarkeit, seine Neigung zu Stimmungsschwankungen sowie negative Reaktionen bei Misserfolgen in der Schule, im Sport oder in Beziehungen ausgewertet.

Ticstörungen:

Bei vielen Kindern mit ADHS und Tics scheint es mir angesichts ihrer enormen Energie beinahe einleuchtend, dass ihr Gehirn sozusagen als Ventil Tics entwickelt. Wie bereits erwähnt handelt es sich dabei um Störungen der neuronalen Entwicklung, und damit um „Verwandte“ von ADHS, die als solche auch in Kombination damit auftreten können.

Seltene Begleiterkrankungen

Begleiterkrankungen, die in fünf bis zehn Prozent aller Fälle – also bei fünf bis zehn von 100 Kindern mit ADHS – auftauchen.

Autismus und geistige Behinderung:

Die Hauptstörung ist in diesen Fällen nicht ADHS. Es gibt Kinder mit Autismus oder geistiger Behinderung, die auch hochgradig hyperaktiv und unaufmerksam sind. In solchen Fällen ist es wichtig, die ADHS frühzeitig zu erkennen, um eine Verschlechterung des Hauptkrankheitsbilds zu vermeiden und eine angemessene Behandlung zu gewährleisten.

ADHS – VERLAUF

Wie wird Ihr Kind sich im Laufe der Jahre wohl entwickeln? Kinder mit ADHS können desorientierend und widersprüchlich wirken: Mal regen sie sich über Kleinigkeiten auf, mal sind ihnen Extremsituationen egal. Alles hängt vom Grad ihrer Aufregung oder Motivation ab, der wiederum von der Gehirnfunktion – genauer, von der ungleichmäßigen Freisetzung von Dopamin und Noradrenalin – vorgegeben wird. Der mögliche weitere Verlauf von Störungen der neuronalen Entwicklung und Entwicklungspsychopathologien ist stets zu berücksichtigen. Vielleicht haben Sie sich nach der ADHS-Diagnose schon die eine oder andere Frage gestellt: „Was passiert wohl in der nächsten Entwicklungsphase?“, „Müssen wir uns jetzt schon darum kümmern oder wird beim Heranwachsen alles von selbst gut?“ oder „Wie und in welchem Ausmaß wird sich alles, was jetzt passiert, auf das Erwachsenenleben auswirken?“

Falls ja, sollten Sie sich vor Augen halten, dass Störungen, die im Entwicklungsalter auftreten, Ihr Kind in vielerlei Hinsicht für immer prägen: Selbstwert, Frohsinn, Selbstständigkeit, Selbstentfaltung, Freundschaften, Ängste, Ambitionen. Kinder mit ADHS brauchen Verständnis, Unterstützung und Hilfe bei der Überwindung ihrer Schwierigkeiten. Übermäßige Rechtfertigung ist ebenso wenig hilfreich wie reines „Dulden“ (es sei denn, das betreffende Kind ist schwer krank oder hat eine Beeinträchtigung).

Werfen wir nun einen Blick auf die Formen, die ADHS in verschiedenen Entwicklungsstufen annehmen kann.

ADHS im Vorschulalter (3–6 Jahre)