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Was zog mich also nach Israel? Die Negevwüste? Die Wüste, die Leere überhaupt? Vielleicht Jesu Spuren in Galiläa? Gott in Jerusalem? Ich wusste es nicht. Vielleicht von allem etwas. Und doch war dieser Drang in mir gewesen, nach Israel zu fahren, so, als würde mich da etwas erwarten. ------------------------------------------------- Kann eine Reise nach Israel die Trauer um den Tod von Frau und Kind lindern? Der Erzähler ist da mehr als skeptisch. Er geht jedoch dieses Risiko ein und lässt sich in Israel informieren, berühren, beeindrucken und erschüttern. Eine Erscheinung am See Genezareth und eine neue Liebe bringen die Farben seines Lebens zurück. Und selbst seine Überzeugung, dass Gott schweigt, wenn es darauf ankommt, wird hier im Heiligen Land relativiert.
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Seitenzahl: 338
Veröffentlichungsjahr: 2014
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Mein besonderer Dank
für ihre vielfältige Unterstützung,
Kritik und Ermutigung
meiner Frau Ursula.
Auf meinem Bett
in den Nächten suchte ich sie,
die ich liebe wie mein Leben.
Ich suchte sie
doch ich fand sie nicht.
Ich will aufstehen,
will herumgehen in der Stadt,
in Straßen,
auf Plätzen
suchen will ich sie,
die ich wie mein Leben liebe.
(nach dem Lied der Lieder (Hld 3,1-2))
Vorwort
1. Der Flug
I. Amos – der Prophet, der sich traut
II. Jesu Heimspiel in Nazareth
2. Im Negev
III. Versuchung in der Wüste
IV. Im Anfang war das Wort
3. Massada
V. Und immer lauert die Sünde
VI. Der Sinn mancher Worte bleibt uns verborgen
4. Qumran
VII. Dreitausend Jahre Streit um Gleichberechtigung
VIII. Nicht Neues am Jordan
5. Akko
IX. Eine andere Art von Wellness
X. Aufbruch in Ungewisse – vielleicht ein Segen?
XI. Vom Erscheinen des Reiches Gottes
6. Nazareth
7. Karphanaum
XII. Die wahre Gottesdiensthaltung
XIII. Plädoyer für die guten Hirten
8. An den Jordanquellen
XIV. Ein anderes Gottesbild
XV. Zu allem Überfluss fehlt uns die Freude
9. Caesarea Maritima
XVI. Johannes – der unverstandene Prophet
XVII. Erfolgszwang!
10. Jerusalem
XVIII. Wie stellen Sie sich Gott vor?
11. Stadt David und Yad Vaschem
XIX. Traum vom Reich Gottes
XX. „Wenn möglich, drehen Sie bitte um!“
XXI. „Du sollst nicht….“
12. Tempelberg und Bet Guvrin
XXII. Alles nur Windhauch?
XXIII. Weihnachten kommt immer so plötzlich
13. Bethlehem und Daouds Weinberg
XXIV. An der Kasse im Supermarkt
XXV. „Wir weigern uns Feinde zu sein!“
14. Rückkehr
XXVI. Teamplayer
Ich hatte den Gurt festgeschnallt und lehnte mich zurück.
Dabei versuchte ich mich so schmal wie nur möglich zu machen.
Natürlich hatte ich wieder einmal die Arschkarte gezogen bei diesem Flug LH 1487 nach Tel Aviv.
Der mittlere Sitz in der mittleren Reihe.
Der ältere Mann links neben mir kämpfte immer noch damit, den Gurtteil zu finden, auf dem er saß. Ich hätte ihm helfen können. Aber meine Hilfsbereitschaft und Nächstenliebe hatte ich wohl bei der Passkontrolle abgegeben.
Rechts neben mir saß eine Frau, die schon bald sämtliche Informationsbroschüren aus der Vortasche vor ihr genommen hatte und hektisch durchsah. Wobei ihr linker Ellenbogen immer bedrohlich nah in meine Rippengegend zielte.
Nein, wirklich kein angenehmes Gefühl hier so eingepfercht zu sitzen. Und das noch mindestens drei Stunden und 15 Minuten. Wenn ich schon daran dachte, musste ich ein panisches Gefühl von Platzangst mit Gewalt überwinden.
Am besten war es, nicht darüber nachzugrübeln und sich so bequem wie möglich einzurichten.
Also rückte ich mich möglichst so zurecht im Sitz, dass mir das lange Sitzen nicht irgend-welche Beschwerden verursachen könnte. Leider war das gar nicht so einfach.
Und dann tauchte in meinem Innern irgendwie wieder die Frage auf, die ich mir heute Morgen im Taxi zum Flughafen schon gestellt hatte: „Was machst du hier eigentlich?“
Ich war mir gar nicht sicher, ob die Idee dieser Reise nur eine Folge der Überzeugungskraft meiner Psychologin war oder ob ich mich hatte fallen lassen wollen in einen Teil meiner Vergangenheit, um dort die wieder zu finden, die dieses immens große schwarze Loch in mir hinterlassen hatte.
Wie hatte die Psychologin gesagt: „Sie müssen die Trauer an sich ranlassen, sie ausleben!“
Und!
„Gehen Sie doch noch einmal zurück an die Anfänge und versuchen Sie dort ihre wahre Haut wieder zu finden!“
Meine wahre Haut!
Meine wahre Haut war vor acht Monaten bei der Geburt unserer Tochter gestorben.
Katharina war tot!
Meine Tochter ebenfalls.
Was sollte ich mit einer wahren Haut also? Und, bitte schön, was sollte das sein?
Das Gefühl der Kälte, das dieser Tod hinter-lassen hatte, war kein Problem meiner Haut. Es kam von innen. Immer wieder. Selbst eine heiße Dusche oder ein Wannenbad konnten diese Kälte nicht ganz vertreiben. Dieser Verlust hatte mich bis ins Mark getroffen und total verrückte Dinge tun lassen.
Und warum sollte ich an den Ort zurück, wo meine Liebe zu Katharina ihren Ursprung genommen hatte? Warum zurück an den Punkt, an dem ich so seltsame Visionen und Begegnungen hatte?
Angeblich war ich sogar Gott begegnet!
Derselbe Gott, der sich seit damals nicht mehr hatte sehen lassen.
Und schlimmer noch.
Er hatte zugelassen, dass das, was die letzten Jahre mein Lebensinhalt gewesen war, einfach starb.
Katharina!
Und unser Kind hatte sogar niemals eine Chance bekommen.
Ich merkte, dass ich das Stimmengewirr und das Rauschen der Klimaanlage um mich herum nicht mehr hörte.
Ich war wieder bei diesem Arzt in seinem Zimmer, erinnerte mich deutlich an seinem Leberfleck direkt neben der Nase, an seine Grabesstimme mit der er mir erklärte, was zum Tode meiner Familie geführt hatte. Und das da nichts mehr zu retten gewesen wäre.
Und ich hörte ihm einfach nicht zu.
Ich konnte mich nicht auf ihn konzentrieren, weil mich ein tiefer, nie empfundener Schmerz lähmte.
Katharina war tot!
Meine Tochter tot!
Tot!
Das war das Einzige, was sich in mir ständig wiederholte. Man könnte sagen, ich war starr vor Entsetzen. Und diese Starrheit blieb.
Mir war auch jetzt, hier im Flieger, wieder so nach einem vielleicht befreienden Weinen zu Mute, aber es kamen keine Tränen.
Bei der Beerdigungsfeier nicht.
Bei den Beileidskundgebungen am Grab nicht.
Bei den vielen kleinen Verrichtungen in meiner Wohnung nicht.
Auch nicht nach einer Woche, in der ich mich hatte beurlauben lassen, um mich eigentlich meiner Trauer hinzugeben. Es gab so viel zu regeln, aufzuräumen, auszuräumen, neu zu organisieren.
Und die ganze Zeit lebte ich in dieser Starrheit, ließ nichts an mich ran.
Ich Nachhinein gesehen, muss ich meinen Freunden und Bekannten dankbar sein, die mich nicht bemitleideten, sondern mir durch ihre praktische Hilfe einen Halt boten. Sie luden mich zu sich ein, gingen mit mir aus essen und sie redeten ganz normal mit mir. Sie kamen, um zu helfen. Sie kamen, um meinen Verlust mit mir zu teilen. Vielleicht wollten sie auch mit mir trauern. Aber dazu war ich, glaube ich, gar nicht fähig und bereit.
Beim Aussortieren all der Sachen und Dinge, die Katharina gehörten, musste ich entscheiden, was damit geschehen sollte. Auch dabei halfen mir meine, nein eigentlich unsere Freunde.
Und dann entdeckte ich in unserem Bücherschrank noch neun Exemplare meines Romas.
Meine Starrheit löste sich und wich einer bisher nicht gekannten Wut und Enttäuschung.
Nach den Erlebnissen einer Israelreise vor zehn Jahren zusammen mit Katharina war dieser Roman entstanden.
Einer besonderen Reise, von der ich bis heute nicht weiß, ob ich nicht vieles, was ich damals erlebt habe, einfach nur träumte.
Wie viel gemeinsame Erinnerungen von Katharina und mir steckten aber darin?
Dieser Roman war ein Deal mit Jahwe gewesen, um meinen Teil daran zu leisten, der Welt vor Augen zu führen, dass es immer noch Propheten gibt, Propheten wie einen Amos.
Das Ergebnis meines Romans war mehr als niederschmetternd. Total enttäuschend. Kein Verlag interessierte sich dafür. Und als ich das Manuskript schließlich als Book on Demand veröffentlichte, wollte es niemand kaufen.
Zuerst hatte ich mich noch mächtig ins Zeug gelegt, hatte für meinen Roman geworben, Lesungen veranstaltet und In Tageszeitungen dafür werben lassen. Alles, um Amos und seinen Anspruch einem breiten Publikum bekannt werden zu lassen.
Katharina hatte mich dabei voll unterstützt, aber zuletzt auch nur noch trösten können, weil mein Buch so wenige interessierte.
Und Jahwe?
Der Initiator des Ganzen hatte sich stillschweigend in seine Himmel zurückgezogen.
Nach und nach waren die Erinnerungen an die Israelreise von vor zehn Jahren, die sich in meinem Roman niedergeschlagen hatten, verblasst. Und das war auch gut so. Sie reduzierten sich auf das Wissen, dass Katharina und ich uns auf dieser Reise kennen, ja und auch lieben gelernt hatten. Alles andere drum herum, war nur noch ein ferner Traum, eine Illusion und nicht mehr wichtig.
Ich hatte die neun restlichen Romanexemplare aus dem Schrank genommen. Ein Exemplar hatte ich aufgeschlagen, rein aus Nostalgie. Und ich erwischte gerade die Stelle, an der ich – damals in der Zeit des Amos – mir als Zeichen der Trauer um den Tod von Abjatar, dem Vater Amos, mit Wasser vermischte Asche über den Kopf geschüttet und mir mit einem Messer, auf Oberarme und Brust, Schnitte beigebracht hatte.
Ich las die Stelle zweimal, und auch den folgenden Absatz, in dem stand, dass ich damals von diesem „Gottesmann“ dafür gerügt wurde, solche heidnischen Bräuche als Zeichen der Trauer nach zu vollziehen.
Dass ich gerade diese Stelle meines Buches zu diesem Zeitpunkt aufgeschlagen hatte, betrachtete ich als ein Zeichen.
Im Übrigen glaube ich, ich konnte überhaupt nicht mehr rational denken, weil ich sogleich mit den neun Exemplaren meines Romans auf den Balkon hinaustrat und sie begann in dem Grill, der dort stand, zu verbrennen.
Es war ein anderes Ich, das die Asche mit Wasser vermischte und über das Haar auf dem Kopf, über Gesicht, Brust und Arme verteilte.
Und dann brachte ich mir mit einer Rasierklinge auf Brust und Arme auch diese Schnittwunden bei, wie damals in meinem Roman. Blut vermischte sich mit Wasser und Asche. Und ich saß da und spürte wie nur meine Wut nachließ, merkte wie mir plötzlich die Tränen rannen. Und ich weinte.
Eine Nachbarin fand mich so.
Ihr war der starke Rauch aufgefallen, der bis in ihre Wohnung gezogen war. Sie hatte geklingelt und geklopft. Dann hatte sie aus Sorge oder Neugier den Ersatzschlüssel für unsere Wohnung geholt, den Katharina bei ihr für Notfälle deponiert hatte.
Sie hatte auf mich eingeredet; doch ich hatte nicht reagiert.
Schließlich rief sie einen Arzt, erklärte ihm, dass ich erst kürzlich meine Familie verloren hatte und wohl etwas verwirrt wäre und ganz schön durcheinander.
Der Arzt stellte keine bedrohlichen Dinge an mir fest und empfahl mir nur, psychologische Hilfe dringend in Anspruch zu nehmen.
Soweit zu meinem ersten Ausraster.
Eine Stewardess hatte sich mittlerweile um das Gurtproblem meines linken Nachbarn gekümmert. Jetzt versuchte er den Gurt etwas lockerer zu machen, wobei der ihm immer wieder aufging.
Die Turbinen erhöhten ihre Lautstärke und mit einem leisen Ruck begann sich die Maschine zu bewegen. Erst rückwärts und dann langsam vorwärts.
Ich konnte querab zu meiner Rechten durch ein Fenster einen Blick nach draußen erhaschen und sehen, wie die Gebäude des Flughafens dort sich langsam bewegten. Und während der Airbus gemächlich über das Rollfeld in die Startposition ruckelte, wusste ich immer noch nicht, ob ich mich auf diese Reise nach Israel freuen sollte oder nicht.
Wie hatte meine Psychologin gemeint:
„Ich glaube, Sie müssen noch einmal dahin. Sie müssen sich von Ihren Träumen von damals verabschieden, und zwar an Ort und Stelle. Lernen Sie vor Ort die Realität des Israels von heute kennen, so wie es wirklich ist. Und lernen Sie dadurch in ihre eigene Realität zurück zu finden.“
Dann sollte ich ihr Orte nennen, an die ich mich besonders stark erinnerte.
Und ich überlegte und schwieg.
Alle Orte meiner damaligen Reise standen nur in Verbindung mit dem Propheten Amos.
Und natürlich mit Katharina.
Das Wadi Tekoa etwa, oder die Annenkirche in Jerusalem. Arad und die Überreste des dortigen Allerheiligsten in den freigelegten Ruinen des Tempelbezirks.
Und noch einmal meine Psychologin:
„Denken Sie daran, dass Sie jetzt dorthin fahren, um Ihre Realität zu erfahren. Versuchen Sie herauszufinden, wie geht es dem Land, den Menschen, heute und jetzt!“
Sie hatte gut reden, meine Psychotante, wie ich sie insgeheim nannte.
„Überlegen Sie mal, was würde das heutige Israel für Sie interessant machen?“
Was zog mich also nach Israel?
Die Negevwüste?
Die Wüste, die Leere überhaupt?
Massada oder En Gedi?
Vielleicht Jesu Spuren in Galiläa?
Tabgha oder Karfarnaum am See Genezareth?
Daouds Weinberg bei Bethlehem?
Gott in Jerusalem?
Ich wusste es nicht. Vielleicht von allem etwas. Und doch war dieser Drang in mir gewesen, nach Israel zu fahren, so, als würde mich da etwas erwarten.
Mit lauter werdenden Turbinen raste das Flugzeug jetzt über die Startbahn.
Ich legte mich zurück und schloss die Augen. Und dann merkte ich es. Das Donnern der Räder auf dem Asphalt ließ schlagartig nach und mit angehaltenem Atem verfolgte ich den Übergang ins Schweben. Als dann das Fahrwerk mit einem surrenden Geräusch eingefahren wurde, holte ich ganz tief Luft. Dieser Übergang beim Durchstarten eines Flugzeugs war schon immer für mich ein besonderer Kick gewesen. Ein Moment, der mich ängstigte, aber genauso stark faszinierte.
Die Frau zu meiner Rechten hatte jetzt einen Reiseführer in der Hand. Kurze, bunte Reiter markierten Stellen über Örtlichkeiten, die sie wohl mit ihrer Reisegruppe besuchen würde. Sie unterhielt sich über den Gang hinweg in schwäbischer Mundart mit anderen Frauen aus ihrer Gruppe über die Sehenswürdigkeiten, die sie bald erkunden wollten.
Kurze Zeit später begrüßte uns der Pilot und die beiden Bildschirme ein paar Reihen vor mir erwachten zum Leben. Auf ihnen erschien eine Landkarte und ich konnte Österreich erkennen und die Slowakei, die nördliche Adria bis hin zu einem Teil von Griechenland. Ein kleines Flugzeug ruckelte los und drehte seine Nase in Richtung Süden.
Dann verschwand die Landkarte und es erschienen Zahlen über Geschwindigkeit, Außentemperatur und Flughöhe.
Die erschreckendste Zahl war die Flugdauer. Noch über 3 Stunden bis zur Landung. Ich hatte das Gefühl, ich war jetzt schon müde und steif gesessen.
Mir fiel mein zweiter Ausraster ein. Nur ein paar Tage nach meiner Buchverbrennungsaktion auf dem Balkon war das passiert.
Auch da war ich müde vom Sitzen. Die Besprechung im Büro dauerte und dauerte. Alles Wichtige war schon mehrmals durchgesprochen worden und ich konnte, wie gesagt, kaum noch ruhig sitzen.
Nach der Auszeit von einer Woche, die der Beerdigung von Katharina folgte, hatte ich mich wieder in meine Arbeit gestürzt. Sie lenkte mich ab. Meistens war ich der erste morgens im Büro und der Letzte, der abends ging.
Vor dem Alleinsein zuhause, wo mich so vieles noch an Katharina erinnerte, hatte ich Angst.
Da tat es gut, mich den ganzen Tag im Büro mit Vergaben von Aufträgen und kniffligen Verträgen zu befassen. Dann dachte ich zumindest an nichts anderes.
Meine Kolleginnen und Kollegen waren durch die Bank sehr einfühlsam mit mir umgegangen. Trotzdem war der lockere Umgangston nicht mehr da. Ich vermied es meistens auch, mich an privaten Gesprächen zu beteiligen.
Da nun diese Besprechung sich immer weiter in die Länge zog und kein Ende in Sicht schien, wies ich ziemlich übellaunig, wie ich gestehen muss, die anderen daraufhin, dass es schon spät sei und eigentlich ja auch alles gesagt wäre. Als ein Kollege mir darauf zur Antwort gab, warum ich so ungeduldig sei, es warte doch zuhause niemand mehr auf mich, stürzte ich mich voller Wut auf ihn.
Ich hätte ihn wahrscheinlich geschlagen, wenn ich nicht von der Kollegin neben mir festgehalten worden wäre.
Sie beruhigte mich auch.
Mein Chef saß nur fassungslos dabei. Dann hob er die Besprechung auf und bat alle zu gehen. Nur ich sollte noch bleiben.
In seiner ziemlich umständlichen und weitschweifigen Art eröffnete er mir dann, dass das so nicht ginge und ich unbedingt professionelle Hilfe in Anspruch nehmen sollte.
Natürlich hätte er Verständnis für meine Situation, aber…..
Und so machte ich dann einen Termin mit einer Psychologin.
Mit einem Gong erlosch das Zeichen „fasten seat belt“.
Mein Nachbar zur Linken öffnete augenblicklich seinen Gurt, stand auf und holte sich aus der Klappe über unseren Köpfen eine Zeitschrift.
Im Mittelteil des Flugzeugs begann das Bordpersonal mit der Vorbereitung Getränke und Bordverpflegung zu verteilen.
Hier und da erhoben sich die ersten Passagiere, um die Toiletten zu belagern.
Ich tastete zwischen meinen Füßen nach meinem Rucksack.
In einem Kiosk im Flughafengebäude hatte ich in den zahlreichen Bücherständern gestöbert. Zwischen Krimis, Science Fiktion und Thrillern aller Art war mir ein Buch in einem goldglänzenden Einband aufgefallen. Ein Taschenbuch. Der goldene Einband war über und über mit hebräischen Buchstaben bedruckt und auf der Vorderseite war ein aufgeschlagenes Buch abgebildet.
Der Titel hieß: „Fanden sich Worte von dir, nahm ich sie begierig auf“ – Plädoyers für das Reich Gottes -.
Katharina hatte es immer schon geliebt, mir zu Texten aus der Bibel ganz spannende Auslegungsgeschichten zu erzählen. Vielleicht war es die Erinnerung daran, die mich dazu bewog, gerade dieses Buch zu kaufen.
Zumindest konnte ich die restlichen knapp drei Stunden Flugzeit mit dieser Lektüre verkürzen.
Ich schlug das Buch auf und begann das Vorwort zu lesen:
„Fanden sich Worte von dir,
nahm ich sie begierig auf“ (Jer 15,16)
- Plädoyers für das Reich Gottes -
Dieser Satz aus dem Buch des Propheten Jeremia fiel mir ein, als ich – mehr durch Zufall – begann, meine über Jahrzehnte gehaltenen Ansprachen in einem Buch zusammen zu fassen.
Allen diesen Ansprachen gehen die entsprechenden Textstellen aus Lesung und Evangelium zu dem jeweiligen Tag im Lesejahr voraus.
Die Anordnung erfolgte aber bewusst nicht nach einer durch das Kirchenjahr vorgegeben Reihenfolge.
Und dann fiel mir beim Durcharbeiten meiner Texte auf, dass viele der Ansprachen „Plädoyers für das Reich Gottes“ waren.
Nun will ich mit diesem Buch nicht missionieren, nein, mein Wunsch ist eher, dass die Leserinnen und Leser sich durch die Lektüre meiner Texte dazu anregen lassen, selber einmal einen Blick in das Buch der Bücher – die Bibel – zu werfen.
Ich wünsche allen, die meine Ansprachen lesen, dass sie ein wenig von meiner Begeisterung mit dem Wort Gottes spüren und vielleicht für sich selbst auch einmal den Satz aus Jeremia sagen können:
„Fanden sich Worte von dir,
nahm ich sie begierig auf.“
Ich klappte das Buch heftig zu.
Ich lehnte den Kopf an und starrte auf das kleine Flugzeug auf dem Bildschirm, dass in Richtung Süden zuckte.
Amos!
Das durfte nicht wahr sein.
Nicht schon wieder.
Mir schien es so, als sollte mich dieser Prophet wohl mein Leben lang verfolgen. Fehlte jetzt nur noch, das auch Jahwe sich so mir nichts, dir nichts wieder einmal bei mir meldete.
Meine Nachbarin fragte mich besorgt, ob es mir gut ginge?
Ich nickte nur.
Amos!
Bilder stiegen in mir hoch, die ich längst abgehackt hatte. Bilder, die ich in meine vergangene Fantasiewelt abgeschoben hatte.
Amos!
Damals, als ich mit Katharina in Israel war, hatte er die Reise beherrscht.
Und natürlich Gott, mit seiner unmöglichen Forderung, dass ich – ausgerechnet ich – in die Fußstapfen eines zweieinhalbtausend Jahre alten Propheten treten sollte.
Ich hatte meinen Part dazu erfüllt, hatte das Buch geschrieben.
Warum hielt Gott sich jetzt nicht an diesen Deal?
Sechs Wochen nach der Beerdigung hatte ich erst wieder den Mut gehabt auf den Friedhof zu gehen. Ein paar Meter neben dem Grab Katharinas stand eine Bank. Ich hatte mich dort hingesetzt und versucht, ihr meine Gefühle, meine Stimmung, meine Sehnsucht mitzuteilen. Aber da war eine Blockade in mir. So hatte ich nur stumm da gesessen.
Aber am gleichen Abend war ich auf den Balkon getreten, einfach um zu sehen, wie das Wetter war. Als ich in den Sternenhimmel hinauf geschaut hatte, konnte ich mir Katharina plötzlich da oben vorstellen.
Da, irgendeiner der leuchtenden, funkelnden Punkte, das war sie.
Und ich konnte mit ihr reden.
Dann versuchte ich mir auszumalen, wie viele Lichtjahre ihr Licht brauchen würde, um mich zu erreichen, wie groß das Universum war, wie viele Sonnensysteme es wohl geben würde und wie unendlich das alles war.
Und außerdem wuchs das Ganze immer noch weiter und weiter ins Gigantische, ins Unvorstellbare.
Und dann fragte ich mich: „Worin?“
In was für ein endloses Etwas wuchs dieses Universum hinein. War dieser riesige, nicht an das Ende reichende Raum in dem das Universum wuchs und wuchs und wuchs vielleicht Gott?
Wenn dem so war, was kümmerte ihn dann das Staubkorn Erde?
Und erst so ein kleines winziges menschliches Wesen?
Nein, Amos und seine Episoden, die ich erlebt hatte, mussten Fantasien sein. Und die Gottesbegegnungen erst recht.
Das einzige Reale an dieser vergangenen Israelreise damals war Katharina gewesen. Und auch die war jetzt nur noch ein Traum.
Als die Stewardess mich fragte, was ich gerne trinken möchte, bestellte ich mir einen Rotwein.
Dann beschloss ich hier und jetzt, mich von Amos nicht mehr in irgendeiner Weise irritieren zu lassen und im Buch weiter zu lesen.
Vielleicht war das mit Amos ja doch ein dummer Zufall.
Schließlich hatte sich das Vorwort im Buch auch vielversprechend angefühlt.
Textstelle: Amos 8,4-7
4 Hört dieses Wort, die ihr die Schwachen verfolgt und die Armen im Land unterdrückt.
5 Ihr sagt: Wann ist das Neumondfest vorbei? Wir wollen Getreide verkaufen. Und wann ist der Sabbat vorbei? Wir wollen den Kornspeicher öffnen, das Maß kleiner und den Preis größer machen und die Gewichte fälschen.
6 Wir wollen mit Geld die Hilflosen kaufen, für ein paar Sandalen die Armen. Sogar den Abfall des Getreides machen wir zu Geld.
7 Beim Stolz Jakobs hat der Herr geschworen: Keine ihrer Taten werde ich jemals vergessen.
Ansprache:
Als ich irgendwann von dem Propheten Amos etwas gehört hatte, hat mich das Ganze ziemlich kalt gelassen.
Mir schien es, dass er mit seinen Worten, also mit dem, was im Buch Amos in neun Kapiteln steht, mehr oder weniger das wiederholt oder nur mit anderen Worten umschreibt, was auch die Propheten vor und nach ihm schon von sich gegeben haben.
So wie mir ist es bestimmt auch schon anderen ergangen, die ohne Vorwissen etwas von Amos in einer Lesung wie heute erfuhren.
Ich hörte dann einmal den Satz, Amos sei der einzige Prophet, der keinerlei Heilszusage in seinen Worten gehabt habe.
Ich habe daraufhin sein Prophetenbuch einmal gelesen und war eigentlich genau so schlau wie vorher.
Dann ging ich hin und habe mir etwas Literatur besorgt.
Bücher über Amos, die ihn und sein historisches Umfeld beleuchteten.
Und mit der Zeit trat da plötzlich ein Mann aus dem Dunkel der Vergangenheit, der mir etwas zu sagen hatte und vor dem und dessen Mut man selbst heute noch achtungsvoll den Hut ziehen sollte.
Amos wird so zwischen 760 und 750 v. Chr. aufgetreten sein.
Er stammt aus Tekoa, was ungefähr zwanzig Kilometer südlich von Jerusalem lag, und wird mindestens zweimal aufgetreten sein.
Einmal scheint er in Samaria, der Hauptstadt von Israel, gegen die Reichen und Mächtigen prophezeit zu haben.
Ein andermal in Bet-El, dem Staatsheiligtum Nordisraels.
Ich stelle mir seinen Auftritt ziemlich spektakulär vor.
Denken Sie sich irgendwo einen Wallfahrtsort.
Stellen Sie sich vor, es ist die Hauptwallfahrtszeit.
Tausende Menschen sind unterwegs.
Prozessionen mit betenden und singenden Menschen und rechts und links in den Geschäften blüht genauso der Kommerz.
In den Gaststätten ein immerwährendes Kommen und Gehen, Hochkonjunktur auch für Bier und Schnitzel.
Selbst nachts sind die Straßen gefüllt.
Alle, die da beten, singen, essen und trinken, sind überzeugt, dass sie direkt an diesem Ort mit Gott oder mit Jesus oder Maria Kontakt haben, dass ihre Bitt-, Dank-, Lob- oder Trauergesänge direkt zum Himmel gelangen.
Stellen Sie sich einmal diese Szenerie vor.
Und dann kommt dieser Amos.
……
Ich war so in meiner Lektüre versunken gewesen, dass ich erst durch ein leichtes Anstoßen meines Nachbarn darauf aufmerksam wurde, es gab Bordverpflegung.
Ich wählte Lammfleisch mit Reis.
Mit dem Aufklappen des kleinen Tisches vor mir, begann eine engvolle Qual. Das Auspacken der Einzelteile – Besteck, Salat, Dressing, Hauptmenü etc.- ging ja noch. Aber dann hatte ich kaum Platz die Gabel zum Mund zu führen. Jeder Bissen wurde zu einem Balanceakt.
Und dabei hatte ich richtig Hunger.
Vorsichtig aß ich Gabel für Gabel des sehr schmackhaften Gerichtes. Einerseits wollte ich meine beiden Nachbarn nicht behindern, andererseits versuchte ich möglichst wenig mein Hemd zu treffen. Beim Essen zu lesen, was ich zuhause eigentlich immer gerne tat, war hier ganz und gar unmöglich.
Im Geiste hakte ich dafür einen Pluspunkt meiner Katharina an, die schon immer dagegen gewesen war, beim Essen zu lesen. Sie sagte dann, entweder das eine oder das andere. Und wenn ich dann resignierend das Buch zur Seite legte, lächelte sie mich an und meinte, das wäre für meinen Magen bestimmt eine gute Entscheidung, wenn ich ihn beim Essen ernst nehmen würde. In Gedanken daran, musste ich jetzt lächeln und fühlte mich ihr nicht nur wegen der Flughöhe in diesem Moment ziemlich nahe.
Der Kaffee, der mir dann serviert wurde, hatte den Geschmack von verbranntem Wasser.
Wenigstens war das Lammfleisch gut gewesen.
Als ich mit der üppigen Mahlzeit fertig war, war ich aufgrund der Anstrengung zum einen nass geschwitzt, anderseits aber auch stolz, das Essen-Intermezzo ohne irgendwelche Kleckereien beendet zu haben.
Und als mich eine Stewardess endlich von dem Tablett befreit hatte, konnte ich mich wieder in die Lektüre meines Buches stürzen.
……
Und dann kommt dieser Amos.
Er sagt den Würdenträgern, Messdienern, Schwestern, Patres, Priestern, reichen und einfachen Leuten, sie täten etwas Sinnloses hier, solange sie nicht konsequent die Gebote der Nächstenliebe ernster nehmen würden.
Er sagt ihnen, dass ihr baldiger Tod, ihr unmittelbarer Untergang bei genau diesem Gott, von dem sie sich so auserwählt wissen wollen, längst beschlossene Sache ist.
Dass Gott es leid ist, dass „seine Kinder“ auf der einen Seite ihm um den Segen für Panzer und Kanonen bitten, mit denen sie dann „seine Kinder“ auf der anderen Seite, die über ihre Waffen die gleichen Gebete sprechen, ins Jenseits schicken wollen.
Stellen Sie sich diesen Propheten Amos vor, der diese Wallfahrt und all das, was sie für die Menschen ausmacht, als hohlen Kultbetrieb anprangert.
Stellen Sie sich einmal den Eklat vor, zu hören von diesem Amos, eigentlich ein Viehzüchter von Beruf, Gott will vielleicht gar keine Superdome und Heiligkeiten, sondern eine Gemeinschaft, in der es keine Armen, Arbeitslosen, Lieblosen, Hilfsbedürftige, Ausgenutzte, Versklavte und Gehasste mehr gibt.
All das schmeißt dieser Prophet Amos aber nicht seinen Bekannten und guten Freunden in seiner Heimatstadt Tekoa vor.
Auch schmeißt er es nicht seinen Landsleuten in der Hauptstadt Jerusalem an den Kopf.
Nein, nach Bet-El geht er, in das Staatsheiligtum des Nachbarvolkes Israel.
So mächtig hat Gottes Ruf ihn ergriffen, dass er als „Ausländer“ im Nachbarland so eine dicke Lippe riskiert.
Und dann wird er gefragt, mit welcher Vollmacht er dies ganze Unheil, von dem wir heute einen Teil in der Lesung gehört haben, ankündigt.
In wessen Namen stört er uns aus unserer frommen Lethargie.
Und Amos greift in fünf Versen zu einer dichterischen Argumentationskette, die den Hörer von seiner Berufung einfach überzeugen musste:
Gehen zwei miteinander, ohne sich getroffen zu haben?
Brüllt ein Löwe im Wald und er hat keine Beute?
Lässt ein Löwenjunges im Versteck seine Stimme erschallen, ohne etwas gefangen zu haben?
Fällt ein Vogel auf die Erde, ohne das ihn das Wurfholz traf?
Schnellt ein Fangnetz vom Boden empor, ohne wirklich etwas zu fangen?
Oder stößt man ins Horn in der Stadt, ohne dass die Menschen erschrecken?
Oder geschieht ein Unglück in einer Stadt, ohne dass Jahwe es bewirkt hätte?
Hat ein Löwe gebrüllt, wer fürchtet sich dann nicht?
Hat der Herr Jahwe gesprochen, wer wird da nicht zum Propheten?
Ich merkte, dass ich völlig steif gesessen war und legte erst einmal das Buch vor mir auf den ausgeklappten Tisch, um mich im Rahmen meiner beengten Möglichkeiten noch einmal anders zurecht zu rücken.
Erinnerungsfetzen aus der Amoszeit tauchten auf. Seit einem Jahrzehnt waren sie nicht mehr so stark wie gerade jetzt.
Ich sah vor meinem geistigen Auge König Jerobeam auf seinem Thronsessel im Tor von Samaria. Ich sah seine Höflinge, seine Leibwache, die versuchten den Störenfried da oben auf der Stadtmauer auszumachen.
Und ich sah wieder Amos vor mir, wie erschöpft er war, als wir ihn zu den Zelten vor der Stadt zurückbrachten.
So viele Erinnerungen; oder so viele Träume, Illusionen.
Auf dem Bildschirm schräg oben vor mir ruckelte das kleine Flugzeug immer weiter in Richtung Süden. Dann erschienen wieder Zahlen. Noch fast eine ¾ Stunde bis zur Landung. Langsam entwickelte sich in mir so etwas wie Vorfreude.
Einige Orte würde ich wiedersehen, andere Orte neu entdecken müssen.
Ganz schwach tauchte in meiner Erinnerung ein Hotelzimmer auf. Ich konnte wieder die Einrichtung erkennen und das Bett, in dem Katharina und ich uns zum ersten Mal geliebt hatten. Plötzlich hatte ich das Gefühl, dass diese Israelreise eine Suche werden würde. Eine Suche vielleicht nach meinem eigenen Ich. Nach meinem restlichen oder eigentlichen Ich.
„Nach meiner wahren Haut!“, wie meine Psychologin es ausgedrückt hatte.
Ich begann zu begreifen, dass es wichtig war, mich auf Land und Leute, profane und heilige Orte einzulassen. Und keinesfalls mich in Erinnerungen zu vergraben. Erst recht nicht auf irgendetwas Göttliches zu hoffen oder zu warten.
Ich nahm meine Kopfhörer aus der Brusttasche und klinkte sie in mein Smartphone ein. Zuhause hatte ich mir Musik darauf gespielt, die mich in so etwas wie das Zeitlose entführen sollte. Jetzt hatte ich das Gefühl, dass ich diese Musik unbedingt brauchte.
Als die ersten Töne erklangen und meine ganze Umwelt rechts und links ausschlossen, spürte ich auch wieder mehr das Schweben des Flugzeuges unter mir und die leichten Turbulenzen, die es erschütterten.
Ich öffnete erneut das Buch, um vor der Landung einen weiteren Teil zu lesen.
Textstelle: Lukas 4,21-30
21 In jener Zeit begann Jesus in der Synagoge in Nazareth darzulegen: Heute hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt.
22 Seine Rede fand bei allen Beifall; sie staunten darüber, wie begnadet er redete, und sagten: Ist das nicht der Sohn Josefs?
23 Da entgegnete er ihnen: Sicher werdet ihr mir das Sprichwort vorhalten: Arzt, heile dich selbst! Wenn du in Kafarnaum so große Dinge getan hast, wie wir gehört haben, dann tu sie auch hier in deiner Heimat!
24 Und er setzte hinzu: Amen, das sage ich euch: Kein Prophet wird in seiner Heimat anerkannt.
25 Wahrhaftig, das sage ich euch: In Israel gab es viele Witwen in den Tagen des Elija, als der Himmel für drei Jahre und sechs Monate verschlossen war und eine große Hungersnot über das ganze Land kam.
26 Aber zu keiner von ihnen wurde Elija gesandt, nur zu einer Witwe in Sarepta bei Sidon.
27 Und viele Aussätzige gab es in Israel zur Zeit des Propheten Elischa. Aber keiner von ihnen wurde geheilt, nur der Syrer Naaman.
28 Als die Leute n der Synagoge das hörten, gerieten sie alle in Wut.
29 Sie sprangen auf und trieben Jesus zur Stadt hinaus; sie brachten ihn an den Abhang des Berges, auf dem ihre Stadt erbaut war, und wollten ich hinabstürzen.
30 Er aber schritt mitten durch die Menge hindurch und ging weg.
Ansprache:
Im Evangelium von vergangenem Sonntag hat Jesu in der Synagoge in Nazareth aus Jesaja vorgelesen.
Nur zur Erinnerung:
„Der Geist des Herrn ruht auf mir, denn der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, den Armen eine gute Nachricht zu bringen, den Gefangenen Entlassung zu verkünden, den Blinden das Augenlicht zu bringen, die Zerschlagenen in Freiheit zu setzen.“
Unser Evangelium heute knüpft da an und Jesus sagt dazu: Heute hat sich dieses Schriftwort, dass ihr eben gehört habt, erfüllt.
Die Menschen in Nazareth erwarteten nun, dass Jesus etwas tat.
Sie wollten eine Machttat sehen, sie waren sensationshungrig.
In Karphanaum hatte er nicht nur geredet, sondern Heilstaten, Wunder vollbracht.
Aber Jesus belässt es bei einer Rede, bei dem Verweis auf dieses Schriftwort.
Aber schön reden kann jeder und bei einem Heimspiel erwartet man schon etwas mehr von der eigenen Mannschaft.
So auch die Leute in Nazareth.
Auch zu der Zeit als Lukas sein Evangelium schrieb, war seine Gemeinde verunsichert.
Sie erwartete die machtvolle Wiederkehr Jesu, allen Anfeindungen zum Trotz sollte er kommen und das Reich Gottes bringen und auch sie bekommen von Lukas nur zu hören:
Heute hat sich dieses Schriftwort erfüllt
Aber was sollten sie mit einer Gebrauchsanweisung aus dem Jesajabuch?
Und auch wir heute sitzen in der Kirche und fragen uns:
was tut Gott?
was tut Jesus?
Stehen wir heute nicht alleine mit unseren Problemen warten wir nicht darauf, dass Gott sich um den Frieden in der Welt, um die Armut, den Hunger, die Krankheiten, um seine Kirche, um eine menschfreundliche Politik etc. kümmert
Warten wir nicht auf ein machtvolles Eingreifen Gottes?
Sitzen wir nicht einfach nur da und harren nur auf Erlösung?
Lukas hält seiner Gemeinde und uns das „Heute“ entgegen
Insgesamt 12-mal weist Lukas seine Gemeinde und uns in seinem Evangelium auf dieses heute hin.
Erinnern Sie sich:
In der Weihnachtsgeschichte hieß es:
heute ist euch der Heiland geboren
und in der Passionserzählung sagt Jesus seinem Mitdelinquenten:
heute noch wirst du mit mir im Paradies sein
Wir sind genau wie damals die Gemeindemitglieder des Lukas in der Taufe gesalbt mit Chrisam -sind Gesalbte.
Und auf die damalige Gemeinde wie auch auf uns ist in der Taufe der Geist Gottes ausgegossen worden.
Dadurch sind wir aufgerufen wie es bei Jesaja heißt:
die Gute Nachricht weiterzugeben,
das Reich Gottes Realität werden zu lassen,
in der Nachfolge Jesu tätig zu werden.
Wenn wir nur herumsitzen und auf Wunder warten, werden wir nur enttäuscht uns von Jesu abwenden wie die Menschen aus Nazareth, werden wir dem Anspruch Jesu, sein Reich Gottes zu verwirklichen nicht genügen.
Wenn sich das Schriftwort heute bei uns erfüllt, sollten wir aufspringen.
Aber nicht wie die Leute in Nazareth um uns gegen Jesu stellen, sondern um unserer Berufung in der Taufe im Geist Gottes Taten folgen zu lassen.
Wenn wir uns also aktiv auf diesen Jesus einlassen, dann wird er bestimmt auch zu uns sagen, wie einst zu dem Zöllner Zachäus:
Komm schnell, denn ich muss heute in deinem Haus zu Gast sein.
Und das Reich Gottes ist da, und zwar heute.
Puh, die zweite Ansprache in diesem Buch war zu Ende.
Ich stellte die Musik ab und als ich die Kopfhörer abnahm, bekam ich erst mit, dass das Zeichen zum Anschnallen wieder aufgeleuchtet war. Gleichzeitig schien die Maschine abzusacken und tiefer zu gehen. Auf dem Bildschirm wurden die letzten zehn Minuten Flugzeit angezeigt. Und die Angabe der verbleibenden Höhe signalisierte den stetigen Sinkflug Richtung Flughafen Tel Aviv.
Mit leichtem Bedauern packte ich mein Buch wieder in den Rucksack.
Es war schon höchst interessant zu bestimmten Bibelstellen, die man glaubte zu kennen, weil man sie schon so oft gehört oder gelesen hatte, diese Auslegungsworte zu lesen. Irgendwie hatte mich die Lektüre auf andere Gedanken gebracht und ich betrachtete für mich jetzt einfach diesen Auftakt der Reise als ein positives Signal.
Mein inneres Barometer schien langsam in Richtung „schön“ auszuschlagen.
Gerne hätte ich jetzt weitergelesen, aber vor mir lag noch eine Hürde, die da hieß: Geldautomat.
Bei der Vorbereitung zu dieser Reise hatte es geheißen, dass es am günstigsten sei, in Tel Aviv – was übrigens „Hügel des Frühlings“ übersetzt bedeutet – am Flughafen, an einem Geldautomaten sich mit den nötigen Bargeldreserven für die erste Woche auszustatten.
Das war also nach Passkontrolle und Gepäck abholen die nächste wichtige Etappe.
Plötzlich fiel mir auf, wie schnell die Zeit von dreidreiviertel Stunden vergangen war.
Sozusagen im Fluge – um ein Wortspiel zu gebrauchen.
Und dann ging alles auch ziemlich schnell.
Als die Maschine aufsetzte und ausrollte, begannen die Leute zu applaudieren.
Das habe ich nie verstanden, warum?
Vielleicht aus Erleichterung darüber, dass der Pilot sie heil auf den Erdboden zurückgebracht hatte?
Als ich endlich aus dem Sitz mich hochgehievt hatte, fühlte ich mich stocksteif. Alle Muskeln schienen auf Dauerschlaf umgeschaltet und die ersten Schritte waren elastisch wie bei einem Elefanten.
Ich folgte dem Strom der Passagiere und versuchte den ein oder anderen aus meiner Reisegruppe im Auge zu behalten. Kaum am Gepäckband konnte ich schon meinen Koffer ausmachen.
Und wieder reihte ich mich in den Strom derer ein, die zur Passkontrolle eilten. Dort hieß er dann erst einmal wieder Schlange stehen. Zwölf Schalter gab es, sechs waren geöffnet, davon vier für einreisende Israelis und nur zwei für die Riesenmenge an Touristen, die zu diesem Zeitpunkt gelandet waren. Endlich war auch ich an der Reihe.
Nachdem ich den Pass abgegeben hatte und mit einem eindringlichen Blick gemustert worden war, passierte erst einmal nichts. Nach unendlich langer Zeit wurde mir dann ein Stempel in den Pass gedrückt, ich bekam ihn zurück nicht ohne vorher noch einmal gemustert worden zu sein und durfte in die riesige Ankunftshalle entschwinden.
Meine Reisegruppe, jedenfalls die, die es bis hierher schon geschafft hatten, entdeckte ich in unmittelbarer Nähe der Geldautomaten.
Ich ließ meinen Koffer in der Obhut der Reisegruppe und reihte mich in die nächste Schlange vor einem dieser Automaten ein. Dabei hatte ich doch tatsächlich einmal die Schlange erwischt, die zügig vorrückte.
Und als ich dann ziemlich nervös vor dem Geldautomaten stand, teilte mir dieser dumme Automat mit, dass meine Bankkarte international nicht zugelassen wäre.
Verdammte Hacke, dachte ich nur. Schönen Dank, liebe Bank!
Gottseidank hatte ich mir gestern noch die PINNummer meiner Kreditkarte rausgesucht und gemerkt.
Zweiter Versuch mit der Kreditkarte.
Treffer!
Nach Eingabe der PIN-Nummer und Bestätigung hatte ich meinen gewünschten Schekelbetrag in der Hand. Der Stein, der mir vom Herzen fiel, glich schon einem mittelschweren Felsbrocken.
Ich dachte an Katharina.
Sie hatte mir immer gesagt, man sollte sich für alles einen Plan B überlegen. Das war mir gestern wieder eingefallen, nach dem ich alles Wichtige für die Reise noch einmal durchgescheckt hatte. Erst da war mir eingefallen, mich um meine PINNummer auch für die Kreditkarte zu kümmern. Es könnte ja sein! Und es war so passiert, wie befürchtet.
Die Erleichterung war jetzt total. Nicht auszudenken, wenn ich hier erst einmal ohne Bares gestanden hätte.
Ich löste bei der Reisegruppe meinen Koffer aus und teilte der Reiseleitung mit, dass ich jetzt ganz schnell in Richtung Busparkplatz verschwinden würde.
Und dann stand ich draußen, zündete nach mehr als sechs Stunden meine erste Zigarette an, inhalierte tief und spürte auf einmal: ich war in Israel!
Bei vier Grad und grauem, trüben Februarwetter zuhause gestartet, war es hier sonnig, wesentlich wärmer und auch eine ganz andere Luft. Ja, ganz anders als bei einem niederrheinischen Wintertag hatte ich hier direkt das Gefühl von Frühling. Die Palmen am Rande des Parkplatzes taten ihr Übriges dazu.
Im Bus erwischte ich die letzte Bank ganz hinten und ganz für mich allein.
Und dann ging es los.
Nachdem wir Tel Aviv mit seinen Wolkenkratzern verlassen hatten, stellte sich unsere israelische Reiseleiterin vor. Selina Yousuf! Eine jüdische Israelin arabischer Abstammung.
Ich war verblüfft, denn das hatte ich bisher nicht gewusst, dass es arabische Israelis gab. Sie wirkte sehr intellektuell, aber unheimlich beschlagen, als sie begann uns in das Land, durch das wir fuhren, einzustimmen.
Wir fuhren immer weiter in Richtung Süden und die Landschaft sah immer grüner, saftig und wellig aus. Sie erinnerte mich an manchen Stellen an die Eifel. Und nur die immer wieder auftauchenden Palmen signalisierten, dass ich woanders war.
Die ganze Fahrt sollte zirka eineinhalb Stunden dauern.
Langsam wurde die Gegend karger und kurz hinter Beer-Sheba waren wir dann im wahrsten Sinne des Wortes in der Wüste, allerdings in einer Steinwüste.
Hier und da zeigten grüne Stellen im beigebraunen Umfeld, dass hier auch der Frühling Einzug hielt.
Auf der Schnellstraße wurden wir immer wieder von Ampelanlagen zum Halten gezwungen. An jeder dieser Ampeln standen Gruppen von zumeist jungen Leuten mit Transparenten.
Selina Yousuf erklärte uns, dass dies ein Teil des Protestes wäre, den die arabische Bevölkerung um Beer-Sheba herum, veranstaltete. Die Blechbaracken, die wie Slums rechts der Straße immer wieder auftauchten, sollten eigentlich abgerissen werden, denn sie wären illegal. Man wollte die Nomaden, die hier mit ihren Herden seit Urzeiten herumzogen, von Regierungsseite aus sesshaft machen. Aber das funktionierte nicht. Ein Teil zöge immer noch frei herum, ein anderer Teil habe sich in diesen Blechsiedlungen niedergelassen. Da solche Siedlungen aber illegal seien, hätten sie keine Strom- oder Wasserversorgung und auch keine Anbindung an das Schulsystem. Für bessere Lebensbedingungen wäre jetzt zum Protest aufgerufen worden. Und es wäre schon erstaunlich genug, dass der Staat Israel diesen Protest seiner arabischen Bürger zu lasse und nicht einfach zerschlage. Trotzdem geändert hätte sich bisher nicht.
Während unserer ganzen Reise sollte ich erleben, dass Selina Yousuf zwar Israelin mit Herz und Seele war, nicht desto trotz die Missstände, die ihrer Meinung nach herrschten, die Ungerechtigkeiten und das Messen mit zweierlei Maß, uns gegenüber immer wieder beim Namen nannte.
Und irgendwie erinnerte sie mich an jemand, den ich in der letzten Zeit entweder im Fernsehen oder im Internet gesehen hatte. Aber mir viel weder ein an wen sie mich erinnerte, noch in welchem Zusammenhang dies gewesen war.
Während das frühe Aufstehen, der lange beengte Flug und überhaupt die ganze Aufregung mich jetzt hier im Bus einholten und eine zunehmende Schläfrigkeit in mir auslösten, wurde mein Eindösen immer wieder unterbrochen, weil mich die Landschaft doch in ihren Bann zog. Aber auch die Stimme Selinas über die Lautsprecheranlage riss mich mit ihren Erklärungen ein übers andere Mal aus meinen Träumereien heraus.