Unter dem Mond der Karibik - Kate Hewitt - E-Book
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Unter dem Mond der Karibik E-Book

Kate Hewitt

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Beschreibung

Eine heiße Woche am Strand, in der alles erlaubt ist? Das kann Millie sich nicht vorstellen! Doch mit einem frechen Lächeln überzeugt Chase sie: Eine Woche ist ja nicht für immer. Zu spät erkennt Millie, dass sieben Tage Glück mit diesem Traummann niemals reichen ?

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Seitenzahl: 173

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IMPRESSUM

Unter dem Mond der Karibik erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Ralf MarkmeierRedaktionsleitung:Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2012 by Kate Hewitt Originaltitel: „Beneath the Veil of Paradise“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe ROMANA EXTRABand 10 - 2013 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg Übersetzung: Susann Willmore

Umschlagsmotive: Creatas / Getty Images

Veröffentlicht im ePub Format in 09/2018 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733737900

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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1. KAPITEL

Ob sie jemals anfangen würde, zu malen?

Schon seit über eine Stunde saß die Frau jetzt dort und starrte die leere Leinwand an. Chase Bryant beobachtete sie dabei. Er hockte mit einem Drink am Tresen der Beachbar direkt am Meer und fragte sich die ganze Zeit, ob sie nun endlich den Pinsel in die Hand nehmen würde.

Nein, das tat sie nicht.

Sie machte den Eindruck, als sei sie ziemlich pingelig und korrekt. Obwohl sie sich in einem Luxusresort auf einer karibischen Insel befanden, hatten ihre hellbraunen Shorts messerscharfe Bügelfalten. Auch ihr hellblaues Polohemd sah aus, als hätte sie es erst vor einer Stunde gebügelt. Insgeheim überlegte er, wie sie sich wohl entspannen mochte. Wenn sie sich überhaupt jemals entspannte. So, wie sie sich in ihrer jetzigen Umgebung zeigte, bezweifelte er es.

Trotzdem faszinierte ihn etwas an ihrer entschlossenen, wenn auch etwas steifen Haltung, an der Art, wie sie die Lippen zusammenpresste. Sie war nicht besonders hübsch – jedenfalls nicht für seinen Geschmack, er stand eher auf kurvenreiche, sexy Blondinen. Für eine Frau war sie ziemlich groß, ungefähr einen Meter achtzig, und fast schon hager. Die Knochen an ihren Schlüsselbeinen stachen hervor, und sie hatte spitze Ellenbogen. Ihr Gesicht war schmal und wirkte sehr streng. Das galt auch für ihre Frisur. Das dunkelbraune Haar war zu einem exakten Bob geschnitten. Wahrscheinlich trimmte sie ihn jede Woche mit der Nagelschere oder dem Rasiermesser.

Er hatte die Fremde nicht mehr aus den Augen gelassen, seit sie mit ihrer gesamten Ausrüstung erschienen war und sich am Strand nicht weit von der Bar niedergelassen hatte. Er beobachtete sie, während er sein Mineralwasser trank. Leider würde es für ihn diesmal kein Bier geben.

Alles hatte sie akkurat angeordnet – die Leinwand, die Farben, den dreibeinigen Hocker. Dabei befand sie sich doch am Strand, mitten in der Karibik – und sie sah so aus, als ob sie gleich einer Seniorenklasse Zeichenunterricht geben würde.

Trotzdem wartete er weiter darauf, ob sie eine gute Malerin war. Die Aussicht war fantastisch – vor ihnen lagen das tiefblaue Meer und ein langer Streifen feiner Sandstrand. Niemand versperrte die Sicht, denn das Resort war nicht nur luxuriös, sondern vor allem diskret. Er kannte sich hier gut aus, schließlich gehörte es seiner Familie. Und Diskretion war das, was er jetzt am allermeisten brauchte.

Inzwischen hatte sie sich auf dem Schemel niedergelassen. Mit kerzengeradem Rücken saß sie da und blickte hinaus aufs Meer. Das ging etwa eine halbe Stunde lang so. Eigentlich hätte es langweilig sein müssen, ihr zuzusehen, aber er konnte ihr Gesicht sehen und die Gefühle, die sich darauf spiegelten wie Schatten auf dem Wasser. Wie sie sich genau fühlte, vermochte er nicht zu sagen. Aber sie wirkte nicht sehr glücklich, so viel stand fest.

Ob sie auf den Sonnenuntergang wartete? Das war immer ein fantastisches Schauspiel. Chase liebte es, dieses Naturwunder zu beobachten. Es hatte etwas Poetisches, wenn die intensive Schönheit innerhalb eines Augenblicks verging. Auch jetzt sah er gebannt dabei zu, wie die Sonne immer tiefer sank. Ihre langen Strahlen ließen die Wasseroberfläche aufglühen. Der Himmel erstrahlte in einer Myriade von Farben – von Magenta über Türkis bis hin zu Gold.

Und noch immer saß die Frau einfach nur so da.

Nun wurde Chase fast ein bisschen ärgerlich. Sie hatte all ihre Sachen mitgebracht und wollte offensichtlich malen. Warum tat sie es dann nicht? Hatte sie vielleicht Angst davor? Nein, wahrscheinlich war sie einfach eine Perfektionistin. Verdammt noch mal, inzwischen wusste er, dass das Leben zu kurz war, um immer auf den perfekten Moment zu warten. Oder auf einen Moment, der auch nur einigermaßen in Ordnung war. Manchmal musste man einfach mitten ins Leben hineinspringen. Solange man noch die Zeit dazu hatte.

Entschlossen stellte er sein Glas ab, stand von seinem Barhocker auf und ging hinüber zu Fräulein Pingelig.

Millie kam sich ziemlich idiotisch vor, und das gefiel ihr ganz und gar nicht. Aber sie fühlte sich so, und schlimmer noch: Es war jämmerlich, an einem wunderbaren Strand zu sitzen und auf eine leere Leinwand zu starren, ohne einen Pinselstrich zu tun.

Doch um ehrlich zu sein, hatte sie keine Lust mehr darauf.

Es war sowieso eine alberne Idee gewesen. Eine Idee, wie man sie manchmal in Selbsthilfebüchern oder in Frauenzeitschriften las. Auf dem Flug nach St. Julian’s hatte sie einen psychologischen Ratgeber gelesen, der betonte, wie wichtig es war, gut zu sich selbst zu sein. Millie bezweifelte nur, dass das auch bei ihr funktionierte. Seufzend wandte sie sich von der Leinwand ab.

Und plötzlich sah sie sich mit einem muskulösen, dunkelhaarigen Adonis konfrontiert, der sie anlächelte.

„Ich habe mich gefragt, ob Ihre Farben nicht längst getrocknet sind“, meinte er amüsiert.

Na toll, ein Besserwisser! Millie stand auf. Sie war fast so groß wie er. „Wie Sie sehen können, habe ich noch nicht einmal angefangen.“

„Worauf warten Sie eigentlich?“

„Auf Inspiration“, gab sie zurück und sah ihn scharf an. „Die finde ich hier allerdings nicht.“

Falls sie ihn damit treffen wollte, ging der Versuch daneben. Er lachte nur und musterte sie eingehend von oben bis unten.

Millie stand regungslos da und spürte, wie langsam der Ärger in ihr hochstieg. Sie hasste Männer wie ihn – attraktiv, immer zum Flirten aufgelegt und total arrogant.

Schließlich sah er ihr in die Augen. „Nein, ganz im Ernst – warum haben Sie noch nichts auf die Leinwand gebracht?“

„Das geht Sie gar nichts an.“

„Natürlich nicht. Ich bin einfach nur neugierig. Ich habe Sie jetzt von der Bar aus über eine Stunde lang beobachtet. Die letzten dreißig Minuten haben Sie nur noch aufs Meer hinausgestarrt.“

„Wer sind Sie eigentlich? Spionieren Sie mir etwa hinterher?“

„Nein, ich langweile mich einfach nur entsetzlich.“

Millie sah ihn an und versuchte, ihn einzuschätzen. Zuerst hatte sie gedacht, er sei einfach ein Frauenheld. Doch jetzt wirkte er plötzlich ziemlich aufrichtig. Offensichtlich war er tatsächlich neugierig. Und gelangweilt.

Daher erwiderte sie zögernd: „Es hat einfach nicht funktioniert.“

„Geht das schon lange so?“

„Ja, irgendwie schon.“ Sie begann, die Farben einzupacken. Es hatte keinen Sinn, sich etwas vorzumachen. Sie würde nicht malen – weder heute noch an einem anderen Tag. Dieser Abschnitt ihres Lebens lag lange hinter ihr.

Chase griff nach der Staffelei und klappte sie geschickt zusammen, bevor er sie ihr reichte. „Darf ich Sie zu einem Drink ein­laden?“

Seine höfliche Frage gefiel ihr, trotzdem schüttelte sie den Kopf. „Nein danke.“ Seit zwei Jahren hatte sie sich mit niemandem mehr getroffen. Sie hatte geatmet, gearbeitet und versucht, zu überleben. Auch für diesen Mann würde sie ihre Gewohnheiten nicht aufgeben.

„Sind Sie sicher?“

Sie blieb ihm die Antwort schuldig und musterte ihn ihrerseits von Kopf bis Fuß. Kein Zweifel, er war wirklich sehr attraktiv – warme braune Augen, kurzes dunkles Haar, ein ausgeprägtes Kinn und ein durchtrainierter Körper. Seine Bermudashorts hingen ihm tief auf den Hüften, die Beine waren lang und muskulös.

„Warum geben Sie sich überhaupt mit mir ab?“, fragte sie herausfordernd. „Ich wette mit Ihnen um hundert Dollar, dass ich nicht Ihr Typ bin.“

„Ach, Sie glauben also, mich schon durchschaut zu haben?“

„Auf jeden Fall.“

„Nun, um ehrlich zu sein, haben Sie recht. Sie sind wirklich nicht mein Typ – so groß und so streng. Was ist eigentlich mit Ihrem Haar?“

„Wieso?“ Instinktiv strich sie sich über den Kopf. „Was ist damit?“

„Der Schnitt ist so streng. Sieht ein bisschen furchteinflößend aus.“

„Lächerlich!“ Aber irgendwie mochte sie seine Ehrlichkeit.

Er zog die Augenbrauen hoch. „Also, gehen Sie jetzt mit mir essen?“

„Ich dachte, Sie wollten mich nur zu einem Drink einladen.“

„Inzwischen habe ich mein Angebot erhöht.“

Gegen ihren Willen musste Millie lachen. Aus unerfindlichen Gründen gefiel ihr dieser hartnäckige und offenbar so von sich selbst überzeugte Typ. Wann hatte sie zuletzt gelacht? Es schien viele Jahre her zu sein. Außerdem war sie im Urlaub und hatte eine ganze Woche, um sich zu erholen. Was sollte sie mit all dieser Zeit anfangen? Warum sollte sie sich nicht amüsieren? Widerstrebend nickte sie.

„Also gut, zu einem Drink dürfen Sie mich einladen. Aber nicht mehr.“

„Wollen Sie mit mir feilschen?“

Millie sah ihn interessiert an. Mit Verhandlungen kannte sie sich aus. „Wie lautet denn Ihr Gegenangebot?“

„Drinks, ein Abendessen und ein langer Spaziergang am Strand.“

„Sie müssen mir weniger anbieten, nicht mehr.“

Er lächelte sie an – ein Lächeln, das ihr unter die Haut ging. „Ja, ich weiß.“

Sie zögerte kurz. „In Ordnung.“ Sie war bereit, die Herausforderung anzunehmen.“ Dann packte sie ihre Malutensilien, ging hinüber zum nächsten Mülleimer und stopfte alles hinein. Chase ließ sie dabei nicht aus den Augen.

„Ich muss sagen, Sie machen mir Angst“, bemerkte er. „Aber irgendwie mag ich das.“

Millie verzichtete auf einen Kommentar. Sie war ziemlich nervös, und das ärgerte sie. Aber es war ja auch schon lange her, dass jemand sie um ein Rendezvous gebeten hatte. In den letzten zwei Jahren hatte sie rund um die Uhr gearbeitet. Eigentlich war sie nur hier, weil Jack, ihr Boss, sie zu einem Kurzurlaub gedrängt hatte.

Der fremde Mann – sie wusste ja nicht einmal, wie er hieß – führte sie an der Bar vorbei zum Strandrestaurant. Jeder Tisch wurde von einem Sonnenschirm beschattet und bot einen wundervollen Blick aufs Meer.

Kaum hatten sie sich gesetzt, erschien auch schon der Kellner. Offenbar kannte man Millies Begleiter. Wahrscheinlich ein wohlhabender Gast, der öfter herkam. Ob das Geld wohl selbst erarbeitet war? Oder geerbt? Aber das konnte ihr ja auch egal sein.

„Wie heißen Sie überhaupt?“, fragte sie ihn.

„Chase.“ Er sah sie eindringlich an und schenkte ihr wieder dieses sinnliche Lächeln.

„Üben Sie das eigentlich?“, platzte sie heraus.

„Was denn?“

„Na, dieses Lächeln.“

„Nein, aber es scheint ja nicht so schlecht zu sein … Sie halten mich für ziemlich arrogant und eingebildet, oder?“

Ja, das traf ihre Einschätzung ziemlich genau. Millie müsste unwillkürlich lachen. Sie hätte nicht gedacht, dass er so entwaffnend ehrlich sein würde. „Nicht schlecht. Aber ich glaube, ich weiß auch, was Sie von mir denken.“

„Nämlich?“

„In Ihren Augen bin ich eine verklemmte alte Jungfer, die nicht weiß, wie man sich amüsiert.“

Jetzt war es an ihm, zu lachen. „Ob Sie’s glauben oder nicht, das stimmt nicht. Jedenfalls nicht nur. Da ist noch etwas anderes. Sie wirken irgendwie traurig.“

Millie erstarrte. Damit hatte sie nicht gerechnet. Sprachlos sah sie ihn an und registrierte erneut sein leises Lächeln. Das wiederum lenkte ihren Blick zu seinen Lippen. Volle Lippen, wie die einer Frau. Trotzdem konnte kein Zweifel daran bestehen, dass er ausgesprochen männlich war.

Sie wirken irgendwie traurig.

„Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen“, entgegnete sie steif. Keine besonders schlagfertige Reaktion, aber im Moment war sie zu mehr nicht fähig. Stirnrunzelnd wandte sie den Blick ab, griff nach ihrem Smartphone und drückte darauf herum. Chase wandte den Blick nicht von ihr ab. Etwas Unerklärliches ging von ihm aus – als wüsste er, wie ihr innerlich zumute war. Das hatte sie nicht erwartet.

„Und wie heißen Sie?“, fragte er.

„Millie.“ Verdammt, keine E-Mails.

„Millie? Das ist doch bestimmt eine Abkürzung. Wie lautet Ihr richtiger Name?“

„Camilla. Camilla Lang.“

„Camilla“, wiederholte er und zog die einzelnen Silben ein wenig auseinander. Dadurch klang der Name viel sinnlicher. „Das gefällt mir.“ Er zeigte auf ihr Handy. „Also, was passiert denn gerade in der realen Welt, Camilla? Wollten Sie nachschauen, wie Ihre Aktien stehen?“

Millie errötete, denn er hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. Zum fünften Mal hatte sie heute schon die Börsenkurse aufgerufen. „Alles im grünen Bereich. Und bitte nennen Sie mich nicht Camilla.“

„Millie ist Ihnen lieber?“

„Auf jeden Fall.“

Er lachte. „Wir werden bestimmt einen amüsanten Abend haben.“

Sie errötete noch tiefer. Das Ganze war ein Fehler, ein alberner Fehler. Hatte sie tatsächlich geglaubt, sie könnte mit einem Mann flirten und Spaß haben? Wie lächerlich!

„Ich glaube, ich sollte besser gehen.“ Sie erhob sich von ihrem Sitz, aber Chase griff nach ihrem Handgelenk und hielt sie zurück. Die Berührung durchzuckte Millie wie ein Blitz. Ruckartig riss sie die Hand zurück. „Nein, nicht, ich …“

„Bitte, entschuldigen Sie!“ Doch es wirkte nicht so, als täte es ihm leid. „Trotzdem bleibe ich dabei. Bestimmt werden wir einen tollen Abend haben. Ich mag Herausforderungen.“

Sie ließ sich auf den Stuhl zurückfallen und griff nach der Speise­karte.

„Sollen wir bestellen?“

„Zuerst die Getränke.“

„Ich hätte gern ein Glas Chardonnay auf Eis.“

„Das überrascht mich nicht“, murmelte Chase. Er stand auf und ging hinüber zur Bar. Millie starrte ihm nach. Die Bermudashorts standen ihm ausgesprochen gut.

Nur mit äußerster Willenskraft gelang es ihr, den Blick von ihm abzuwenden. Erneut bedauerte sie, dass sie sich von ihrem Chef zu diesem Kurzurlaub hatte überreden lassen. Sie wollte keine Ferien, hätte am liebsten nur gearbeitet. Aber leider widersprach das der neuen arbeitnehmerfreundlichen Politik ihrer Firma. Alle Angestellten mussten jedes Jahr mindestens die Hälfte ihres Urlaubs nehmen. Und Millie hatte seit zwei Jahren keinen Tag mehr freigenommen.

Sie hatte täglich zwölf, vierzehn und manchmal sogar sechzehn Stunden gearbeitet. Jetzt auf die Bremse zu treten, fiel ihr ausgesprochen schwer.

„So, bitte“, sagte Chase in diesem Moment und reichte ihr ein Glas Wein. Überrascht stellte sie fest, dass er selbst Mineralwasser trank.

„Haben Sie ein Alkoholproblem?“, fragte sie abrupt, was er mit einem Lachen quittierte.

„Richtig, lassen Sie uns gleich zum Wesentlichen kommen.“ Er schüttelte den Kopf. „Nein, ich trinke im Moment nur nicht, das ist alles.“ Dann wechselte er das Thema. „Also gut, Millie, wo kommen Sie her?“

„Aus New York City.“

„Das dachte ich mir.“

„Ach ja?“ Stirnrunzelnd sah sie ihn an. „Sie scheinen ja bereits alles über mich zu wissen.“

„Nein, ich bin nur ein guter Beobachter. Und Sie wirken wie eine typische hartgesottene Karrierefrau.“

„Woher sind Sie?“

„Auch aus New York.“

„Das wundert mich nicht.“

„Aha. Darf ich fragen, warum?“

„Weil Sie auf mich wie ein überprivilegierter Großstadtschnösel wirken.“

Chase tat so, als würde er zusammenzucken. „Autsch, das tat weh!“

„Wenigstens wissen wir jetzt, woran wir sind.“

„Wirklich?“, fragte er sanft. „Warum sind Sie eigentlich so kratzbürstig?“

„Das bin ich doch gar nicht.“ Aber sie wusste, dass er recht hatte. Wahrscheinlich hing es damit zusammen, dass sie völlig aus der Übung war, was Small Talk anging. Trotzdem – irgendwie konnte sie sich des Gefühls nicht erwehren, dass sich hinter dem charmanten Plauderer, als der er auftrat, noch jemand anderes verbarg.

„Warum sind Sie nach St. Julian’s gekommen?“

„Was glauben Sie wohl? Ich mache hier Urlaub.“

„Irgendwie passt das nicht zu Ihnen.“

Damit hatte er den Nagel auf den Kopf getroffen. Aber natürlich würde sie ihm das nicht verraten. „Sie scheinen mich ja wirklich gut zu kennen“, sagte sie spöttisch.

Er beugte sich überraschend vor. „Wissen Sie, was? Ich glaube, das tue ich auch.“

Plötzlich merkte sie, dass ihr das Herz bis zum Halse schlug. Sie lehnte sich zurück. „Wie kommen Sie denn darauf?“

„Weil ich Ihren Typus kenne. Ich würde sagen, Sie sind entweder bei einer Bank beschäftigt oder an der Börse. Vielleicht Investmentmanagerin?“

Verdammt! Wie konnte er das wissen? Sie erwiderte darauf nichts.

„Ich gehe davon aus, dass Sie viele Stunden am Tag arbeiten.“ Dieses Spiel machte ihm anscheinend großen Spaß. „Wahrscheinlich leben Sie irgendwo auf der Upper East Side. Nicht allzu weit von der U-Bahn, damit Sie in höchstens zwanzig Minuten bei der Arbeit sein können. Na, wie gut bin ich bisher?“ Er sah sie herausfordernd an.

„Gar nicht so schlecht.“ Zähneknirschend musste Millie zugeben, dass er sie ziemlich genau beschrieben hatte. „Bis auf die Tatsache, dass ich in Midtown lebe.“

Er grinste. „Oh, da lag ich ja nur knapp daneben.“

„Außerdem“, fuhr sie fort, „fällt mir zu Ihnen auch einiges ein.“

„Nur zu, schießen Sie los! Ich bin gespannt.“

Millie konnte nur raten, was er machte oder wo er arbeitete. Aber sie war gewillt, die Herausforderung anzunehmen.

Daher holte sie tief Luft, bevor sie loslegte: „Ich würde sagen, Sie arbeiten in irgendeinem pseudokreativen Bereich – zum Beispiel in der Werbung.“

„Pseudokreativ?“, wiederholte er amüsiert. „Sie sind wirklich eine harte Nuss, Camilla.“

„Millie“, korrigierte sie ihn. Nur Rob hatte sie Camilla genannt. „Sie leben in Chelsea oder Soho, wahrscheinlich in einem renovierten Loft. In Ihrem Wohnzimmer stehen mehrere Ledersofas und ein riesiger Plasmabildschirm. Außerdem besitzen Sie eine hochmoderne Küche voller Geräte, die Sie nie benutzen.“

Chase hatte ihr aufmerksam zugehört, doch jetzt schüttelte er den Kopf. „Tut mir leid, Sie liegen völlig falsch.“

Das überraschte sie. „Wirklich?“

„Nun gut, Sie haben recht, was das Loft angeht, aber es ist in Tribeca. Mein Fernseher ist nur mittelgroß, aber vor allem irren Sie sich, was die Küche betrifft. Meine Küche ist sehr gemütlich, denn ich verbringe dort viel Zeit. Kochen finde ich nämlich sehr entspannend.“

„Das glaube ich Ihnen nicht.“

„Es stimmt trotzdem. Sie hingegen kochen wohl nie, richtig? Ihnen genügt morgens ein Bagel auf dem Weg zur Arbeit. Für gewöhnlich lassen Sie das Mittagessen ausfallen. Manchmal gibt es auch abends nur Müsli bei Ihnen. Und das essen Sie dann im Stehen neben der Spüle.“

Leider lag er auch damit ziemlich richtig. Was für ein trauriges Bild! Plötzlich hatte sie keine Lust mehr auf dieses Spiel. „Was machen Sie denn nun beruflich?“

„Ich bin Architekt. Würden Sie das als pseudokreativ bezeichnen?“

„Auf jeden Fall.“ Sie wusste, dass sie viel zu streng war. Aber sie konnte nicht anders. Er führte sie vor, wie es noch kein anderer getan hatte. Und es tat weh! Nein, dieses Rendezvous war vorbei.

„Es war wirklich amüsant bisher. Aber jetzt muss ich leider gehen.“ Sie leerte ihr Glas in einem Zug und stand auf. Doch Chase hielt sie auf. Er griff nach ihrem Handgelenk. Erneut hatte Millie das Gefühl, als würde sie einen Stromschlag bekommen.

„Haben Sie Angst?“

„Angst?“, wiederholte sie so abschätzig wie möglich. „Wovor – vor Ihnen?“

„Vor uns.“

„Es gibt kein uns.“

„Doch, es gibt uns seit dem Moment, als Sie sich bereit erklärt haben, sich von mir zu einem Drink, einem Abendessen und einem Spaziergang am Meer einladen zu lassen. Bisher hatten wir erst den Drink.“

„Lassen Sie mich los“, entgegnete sie barsch und merkte, dass sie am ganzen Körper bebte.

Chase hob beide Hände und ließ sie nicht aus den Augen. „Das habe ich doch schon getan.“

Richtig. Millie kam sich total albern vor. Nur ihre Furcht hielt sie gefangen. Dass Chase sie so durchschaute, fand sie richtig unheimlich.

Sie konnte jetzt nicht einfach weggehen. Das wäre einer Niederlage gleichgekommen. Daher ließ sie sich erneut auf den Stuhl sinken und lächelte Chase cool an. „Ich habe keine Angst.“

Ihre Reaktion schien ihn zu befriedigen, das machte sie seltsam stolz. Trotzdem würde sie froh sein, wenn der Abend vorüber war.

„Gut, sollen wir jetzt bestellen?“

„Oh nein, wir werden nicht hier essen“, erwiderte Chase überraschend. Sie sah ihn verblüfft an. Er lächelte, ganz Herr der Situation. „Ich ziehe eine etwas privatere Umgebung vor.“

2. KAPITEL

„Privater?“ Millies Stimme klang schrill. Empört starrte sie ihn an und hektische rote Flecken erschienen auf ihren Wangen.

„Entspannen Sie sich“, sagte Chase. „Ich habe nicht vor, Sie zu entführen, obwohl das wirklich eine reizvolle Möglichkeit wäre.“

„Das ist nicht lustig.“

Sie hielt sich kerzengerade, noch immer war ihr Gesicht vor Ärger gerötet. Es wunderte ihn, dass sein Vorschlag eine so heftige Reaktion bei ihr ausgelöst hatte. Obwohl … eigentlich stimmte das nicht. Um ehrlich zu sein, bereitete es ihm ein geradezu höllisches Vergnügen, sie zu provozieren. Es gab etwas an ihr, das ihn reizte. Aber was genau mochte das sein?

„Nein, Sie haben recht, das ist wirklich nicht komisch“, sagte er dann gespielt zerknirscht. „Schließlich kennen wir uns kaum. Es tut mir leid, wenn ich Sie verunsichert habe.“

Millie verdrehte die Augen. „Nun mal langsam. Wir sind hier nicht in einem psychologischen Seminar. Mit mir können Sie ganz normal reden.“