Unter einem Apfelbaum liegen - Kurt Eimers - E-Book

Unter einem Apfelbaum liegen E-Book

Kurt Eimers

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Inhalt

Kurt Eimers

garzweiler zwei

die fänger im müll

Gelbe Hähne

An der Straße von Gibraltar

An die Artischocke

Melissa Tara Nielsen

Atelier

Weiße Flagge

Patriarchat

Peter Frank

Warften

Oktoberlied

Laternenfest mit Bernie

Humboldts Arbeitszimmer

Erinnerung an ein Haus

Im Februar

Bei den Großeltern

Blackpool

Möwen

Wundertüten

Hanna Fleiss

Ohne Antwort

Schernikau

Leben, nichts als dies

Auf den ersten Blick

Das eine Wort

Novemberelegie

Poesie des Verzweifelns

Elfter September

Maßvoll

Bierdosenblues

Abends unter der Stehlampe

Edda Gutsche

Finlandia

Schweriner Schlossgarten

Der Windkuss

Alfred J. Signer

Suomi

Anlanden

Begrüssung

Dein Anruf

Feuchte Irritation

Herbst des Lebens

Kriegsgesang

Wortsalat komponiert

Weg der fünf Türme

Hans-Jürgen Gundlach

Schritt für Schritt

Bunt wie der Herbst

Leise rieselt…

Parkgedanken

Glockenklänge

Carsten Rathgeber

Schwimmen ohne Grund

kopfschmerzen

früher sommer

Zum Glück der Karpaten

Gelbliche Limonen

Regentanz

Lachen versöhnt uns

90-Sekunden-Welten

ich koche kaffee

fanfare

Von den Türmen

Tavernennacht

sprachlose stille

geflüchtet

Klänge im All

Nein in der Nähe

Lyrische Bezüge

regenmelodie

Körpermesser

Renate Maria Riehemann

Letzter Waschtag

Der Wellenreiter

Schneckentempo

Thomas Barmé

du und ich

freier markt

Frankfurt oder

Dirk Werner

Es war eine Wolke da oben

An den Redakteur

So

Heike Streithoff

Entlang der Isar

Denkmal

Leoni am See

Unter einem Apfelbaum liegen

Katharina Kanzan

zwischen laken

Dirk Tilsner

end-spannung

Briefing sieben Uhr dreißig

der Weg

haarig

‘s sind nur Wörter aber

durchgedreht

wer Reime reimt ist doof

Hochflug

traurig ist‘s

Brunnentage

Manfred Burba

Klimawandel

Die Werkzeuge des Satans

Allein im All

Angelika Zöllner

auszeit

zeit hören

wenn

Rainer Gellermann

Ringen

Triptychon mit ich

Der rechte Weg

Blauer Faden Leben

Fragestunde DDR

Triptychon mit Wendezeit

Marienborn

Der Panther

kolonnenweg

Triptychon mit großem Klimakterium

Magnus Tautz

Aus den Kulissen

Wir gehen aus den Bildern

Keine Spur von Erleuchtung

Verwirrung

Die Sprache

signaturen

Skäseryd/ Schweden

Ingrid Thiel

in mitten unseres Gemetzels

Fahrradetappe

Volker Teodorczyk

Gewissensfrage

Angriff

Musikgenuss

Ralf Burnicki

Blau

Holger Evang-Lorenz

an tastbar

rassismus in deutschland

augenlid und federboa

kriegs versehrten kinder

Helmuth Schönig

Meine Schiefertafel

Koserow auf Usedom

Erich Spöhrer

Achterbahn

René Oberholzer

Halle im Herbst

Verdrängt

Die von Gurs

Rechtschreibung

Struthof

Jahresbeginn

Henrike Hütter

Die zitternde alte Frau

Unnatur

Die Würde des Menschen

Marko Ferst

Dünne Landzunge

Lichtland

Steinzeiten

Schnell und Schneller

Erosion

Herbstlichter

Reise

Kasan

Wolga

Thimo Buchmüller

An offenen Fenstern

Haiku, westlich

Ohne

Vorfrühling

Exil

Vom Glück der kleinen Dinge

Rainer Daus

Ende August, Montag

Ein alter Fußball aus Leder

Alexander R. Kohl

Endzeit

Sintflut

Johannes Ebert

Feierabend

Kathrin Ganz

Die Vögel begrüssen den Herbst

Schon ist Mitte September

Bittere Stille

Das Nahen der dunklen Jahreszeit

Drei Krähen im Herbst

Septembergeruch

Thomas Wiesenberg

Spaziergang

Franziska Alka

Weißes Kleid

Peter Podrez

Lasst uns

Simon Gerhol

Sonnenrösser

Kenigrammo-Phobie

Percy Usleber

Heil

Norbert Sternmut

Braunau

Über den Schatten

Dieter Strametz

Vermächtnis

Migranten raus

Ordentlicher Abgang

Energiepolitik

Ratten und Nachbarn

Stefan Breitenfeld

Auf lange Sicht

Mykola Istyn

Gedichte sind nicht bloß Kolonien von Symbolen

Reinhard Lehmitz

Über das Ver-tun

Wie zwei Bäume

Stephen Hawking

Unser Zuhause

Ehrlich mal

Seiltänzer

Wohin geht die Reise

Frühkartoffeln

Unsere Mütter

Wachtürme

Erinnerungen

Hiroshima und Nagasaki

Harmonie

Schrödingers Katze

Vorschrift ist Vorschrift

Elena Zardy

Es wird Herbst

Irgendwann

Deine Worte

Manchmal möchte ich weinen

Wie ein eiskalter Wind

Jessi Richter

Worte

Erika Maaßen

Abschied

Mein Leben ist wie

Reich mir die Hand

Könnt ich den Zauber

Dort wo Sonnenstrahlen

Es gibt Worte

Schneckenhaus

Gedankenfetzen

Wo sind deine Träume geblieben

Tauwetter

Ein Glück

Spiegel-Bild

Tief innen

Marlene Bitschnau

Fesselnd getrennt

Machismo

Knotenlösung - Lösungsknoten

Mangroven

Pusteblume

Meine Bekannten

Frei wie ein Vogel | Wie ein Vogel so frei Sorgenlos | Sorgenfrei

Herta Andresen

Frühling in Schottland

Im März

Im Frühling

Nie gestellte Fragen

Das Zeitalter der Menschen, Anthropozän

42 Grad

Soviel steht fest

Kontraste

Kommunikation

Urlaub

Das Rauschen der Pappeln

Traumzeit

Rote Schuhe

Spätsommer

Träume

Zwei Alte

Noch nicht dunkel

Trotzdem

Das Netz

So ein Tag im Herbst

Verunsicherung

Gedanken

Zeitlos

Hans Sonntag

Alleinsein

Klavierzauber

Vom Osten her

Kommunismus als Wunder

Bei Chopin

Vulkane und Agaven

In Netzwerken

Franziska Bauer

Septembertage

Nur Mut!

Ingrid Münsch

Erfahrungen

Bei einem Glas Wein

Morgen zu zweit

Schattenmann

Frühlingserwachen

Rumpelkammer der Freude

Requiem

First Class

Trauer

Mutter

Freunde

Merken sie´s nicht?

Pelusa (Fluse)

Warum schreibe ich?

Ralf Hilbert

K.

Mangel

Alexander Walther

Klima-Sinfonie

Dirk Stammwitz

obst abwaschen

märz 2015

gestern abend

fragezeichen

Julia Emilie Wagner

Wohin wir schauen

vergessen

krampfig

Werner Klenk

sachstand

selbstporträt mit türen

wie ich bin

für jean

füller

zu viel und zu wenig

mit zwei o

anleitung

tagesbedarf

mit holden rüben einerlei

Dietrich Lange

Nachtmahr

Geisterhafen

Strandraub

Der Kapitän

Altes Eisen

Ein Matrose

Mädchen am Strand

Unter der Kimm

Gedanken am nächtlichen Ufer

Sehnen

Hermine

Seekranker Passagier

Vorlieben

Seefahrer

Seefahrer’s Ruhestand

Liebe und Tod

Seeräubergrab

Hausfrau mit Fisch

Ein kleines Stückchen Speck

Falscher Mythos

Franz-Josef Kaiser

Dein Bild in mir

Gina

Wolfgang Rose-Heine

Ein See

Ein Zwerg

On Mars

Marie Hahne

Konservierungsprozesse

Ich erinnere mich fast an dich

Erdmute Reiher

So sehr Natur…

Elfi Pauli

Mittagstisch

Sonja Maria Rathjen

Mit Ansage

Leontin Rau

Liebster Mann am Kontrabass

Der Lauf der Dinge (nein du Krake, kriegst mich nicht!)

Huflattichzeit

Beim Chindlifresser (Beim Kinderfresser-Brunnen)

Vorfrühling

Nach dem Sommer

Märzsonntag

Sylvia Hofmann

Der Fluss der Zeit

Herbstlicher Wandel

Oh Du „fröhliche“ Weihnachtszeit?

Wohin?

Sehnsucht

Romy Leininger

Lichtfunken

Sternenaugen

Feuerdrachen

Regenbogenfarben

Friedenslied

Herbstmelodie

Zug der Träume

Sommernacht

Melodie deines Lachens

Sonnenumarmung

Ich wünsche dir Zeit ...

Regenbogenfarben

Fenster zur Strasse

Gerard J. Duerschke

Im Nachtblick der Muse

Epos – epochale – Epoche – episch

Zeitenwende

Flamme im Wind

Freudenstrom

Lichtstrahl

Ein Wintertag des Jahres

Gedanken und Gefühle

Wolken-blaue-graue-schwarze-gestern-heute-morgen

Wie am Tage des Glücks

Autorinnen und Autoren stellen vor

Kurt Eimers

garzweiler zwei

das land liegt wie vergessen in der sonne

der wind bläst aus dem nichts

und man wird das gefühl nicht los

dass irgendetwas hier nicht stimmt

das auge findet keinen halt

wegweiser wissen nicht wohin

die dörfer menschenleer

die häuser fensterlos

die türen offen und die mauern blind

ein birnbaum steht uralt

die früchte sind bedeckt vom staub

der aus ruinen weht

und schmecken dennoch süß

zum allerletzten mal

holen die allerletzten bauern

die allerletzte ernte ein

noch steht der hof wie eine festung

seit hunderfünfzig jahren steht er so

so lange werden die nicht leben

die seinen tod beschlossen

wer weit genug nach osten schaut

beginnt zu ahnen was da kommt

was sich da langsam näher schaufelt

der große gleichmacher

der große reichmacher

die abbruchkante

Kurt Eimers

die fänger im müll

das alte rad voller plastiktüten

der gepäckträger mit gemüsekiste

zur schatztruhe umfunktioniert

der blick meist gesenkt

und hineinversenkt

in die endlager des wohlstands

handschuhe über frostroten händen

müll ist nicht ungefährlich

ein stock zum wühlen zum stochern

zum angeln nach glück

jeden tag unterwegs

entlang der container

landmarken der moderne

die armee von ganz unten

das mobile einsatzkommando

im dienst ihrer majestät

der chancengleichheit

abends die doku im dritten

menschen im müll von manila

entsetzen empörung

ogottogott

und morgen wieder der blick

auf die fänger im müll

igittegitt

Kurt Eimers

Gelbe Hähne

Gelbe Hähne treiben kieloben im Fluss

Säen den Schrecken stromauf und stromab

Sie tanzen auf Misthaufenflößen

Vorbei an Dörfern und Städten

Sie prügeln mit berstenden Flügeln

Auf eierlose Flugzeugträger ein

Gelbe Hähne toben im Watt

Gestrandet in Häfen ewiger Ebbe

Molen zerstieben, Kräne sacken zusammen

Nur Kirchtürme bleiben zurück

Ragend aus den Ruinen

Gotische Mittelfinger Gottes

Gelbe Hähne ziehen durchs Land

Brüllend trippeln sie nieder

Was nicht in Bunkern verschanzt

Ihr Krähen zerdonnert die Wälder

Bergen geben sie die Sporen

Aus Mitternachtsblut

Kurt Eimers

An der Straße von Gibraltar

an der straße von gibraltar

schaut man nicht rechts nicht links

um zu überqueren

blickt man zurück auf die hunde

die lechzen

sieht man hinauf zum stacheldraht

der blut geleckt

starrt man hinüber nach europa

das noch in afrika liegt

an der straße von gibraltar

gibt es keine ampeln

keine zebrastreifen

vorfahrt hat der schnellere

der frechere der clevere

es gibt keine regeln

außer denen die man bricht

kein recht außer dem

des stärkeren

an der straße von gibraltar

haben viele kaum eine chance

und die meisten keine

es herrscht schiffsverkehr

aus tankern frachtern und kreuzfahrtschiffen

dazwischen die seelenverkäufer

aus schrott altholz und verrottendem gummi

an die sich so viele klammern

vor allem die hoffnungen

an der straße von gibraltar

schaut man nicht rechts nicht links

der blick geht richtung norden

kompassnadel für eine besseres leben

für arbeit wohlstand sicherheit

man schreit laut:

und wir?

und europa schreit stumm zurück

nein!

Kurt Eimers

An die Artischocke

Artischocke!

Stachelloses Distelding.

Deiner Knospe blüht Verzehr.

Blatt um Blatt getunkt

In Mayonnaise oder Vinaigrette.

Artischocke!

Ewiglanger Blütenschmaus.

Ausgeweidet liegt dein Herz auf allen Tellern.

Heu auf unserm Tisch –

Du hast es gleich geschafft.

Artischocke!

Rose der Bretagne.

Deine Köpfe nicken sanft im Wind.

Allerbeste Lage,

Oft mit Blick aufs Meer.

Melissa Tara Nielsen

Atelier

Ich bin eine andere geworden,

seitdem ich das letzte Mal

in deinen Räumen war.

Es ist jetzt Zeit.

Ich möchte, dass du mich malst.

Ich lege mich hin für dich.

Wie Judith für Klimt. Iris für Modigliani.

Und die roten Mädchen aus Paris für Renoir.

Ich möchte, dass du mich in deine Farben tauchst,

bis ihr Öl von meinen Haaren tropft,

und über meinen Körper fließt,

zwischen die Finger deiner Hände,

die meinen Formen folgen,

wie ein Töpfer den Rundungen feuchten Tons.

Siehst du nicht, wie er sie küssen will

und hält, am Höllentor? Rodin.

Wie sie sie hält? Manet. Chagall:

Wie er sie liebt?

Lass ihn sie küssen und halten.

Ein Maler wie Klimt

ließ ihn sie küssen

und halten.

Melissa Tara Nielsen

Weiße Flagge

Meine Finger wie Türme,

meine Hände wie Festungen,

wie Basilisken aus Stahl

an den Toren meiner Stadt.

Und du wie Bäume

an den Flüssen meiner Senkung,

wie Wurzeln, die graben,

unter die Mauern meiner Burg

in die Erde.

Und ich wie Äxte, wie Sägen zu dir.

Und du wie Frühling zu mir.

Und du wie Füchse im Tal,

und wie Wölfe am Ufer.

Und wie Tau auf den Gräsern

bei den Fischen am Bach.

Und ich wie Jäger auf leisen

Hufen aus Eisen,

wie Schützen mit Flinten

im Lehm.

Und ich wie Speere, wie Gewehre zu dir.

Und du wie Nahrung zu mir.

Und ich wie Bastionen,

wie stolze Rondelle

mit Erkern zum Abwurf

von kochendem Teer.

Und du wie Tauben im Sturm,

und ich wie Feuer vom Turm,

und du im toten Winkel hinein,

über die Gräben meiner Festung

aus Stein.

Melissa Tara Nielsen

Patriarchat

Du warst schon in mir,

bevor ich mich ausgezogen hatte,

und bist gekommen,

bevor ich wusste, was ich wollte.

Du bist mein Arzt, mein Lehrer,

mein Vater und mein Anwalt.

Du sagst, du willst nur Gutes für mich,

daher musst du mich bestrafen.

Du sagst,

du machst jetzt eine Frau aus mir,

und machst mich zur Sklavin.

Und dein Eiter tropft aus mir,

während du den Schweiß von dir wischst,

und das Messer zurück in die Scheide steckst.

Und ich liege dort, wo du sagst,

dass ich hingehöre,

und ich blute.

Peter Frank

Warften

Häuser,

als hingen sie im

Spiegel der Luft.

Wer hier lebt,

hütet sich vor großen

Worten,

beherrscht

das alte Handwerk des

Zuhörens,

erlernt

in der Werkstatt des

Schweigens.

Gespräche

des Windes mit den

Wolken.

Die

uralten Schriften der

See,

archiviert

in den Gesichtern,

den Steinen.

Peter Frank

Oktoberlied

Ruhiger atmet nun das Land.

Vogelbogen in die Luft gespannt.

Parkbänke stehen laubbedeckt & leer.

Nebel wirft das Netz ins Dächermeer.

Ausgedünnt hängt der Kalender.

Blätter fallen zum November.

Der Monat für das Testament.

Stunde, die auch du nicht kennst.

Kastanien glänzen braun & blank,

Koffer, den man nicht mehr packt,

Von dem man sich nicht trennt.

Wer räumt aus den alten Schrank,

Entsorgt der Toten Artefakt?

Die Uhr. Den Schuh. Das Hemd.

Peter Frank

Laternenfest mit Bernie

Dämmerung

roch nach Rauch & Äpfeln.

Wir hängten die Laternen in den Abend.

Der Stern. Die Sonne. Der Mond.

Wir durften aufbleiben.

Über der Reetwand,

weiß & groß,

leuchtete Bernies Gesicht,

der lange Bernie,

der ohne Sprache war,

den Großvater verstand,

der gerne Birnen aß,

in die Bäume langte,

als wäre es nichts,

der in unserer Mitte blieb,

unter der Petroleumlampe,

im Flirren der Schuster, der Lieder,

bis die Nacht herunterbrannte, ausging.

Lautlos das Gefieder der Eule.

Peter Frank

Humboldts Arbeitszimmer

Vulkangestein,

der Globus,

der Papagei,

die Zeichnung des Satansaffen,

Messinstrumente,

ein Leben lang gesucht,

zusammengestellt,

kalibriert,

Knochen, Karten,

der alte Koffer,

Briefe, Memos, Notizen,

hingeschmiert, undatiert,

die Schrift nach rechts lehnend,

an den Rand drängend -

zur Erkenntnis.

Peter Frank

Erinnerung an ein Haus

Der Briefkasten,

das Barometer,

die Geranien,

das Fenster zum Süden,

die zwei Stühle,

die Lampe über der Tür,

mottenumtanzt,

die Tauben,

die zuerst gingen,

dann die beiden Alten.

Nie

schien die Welt stiller

als an jenem Tag.

Peter Frank

Im Februar

Spät

kommt der Morgen

über den Hügel.

Schwärig

steht die Wunde

in den Wolken.

Harschig

knarrt der Wald,

Altlasten,

unbewohnbar,

das Beinhaus der

Birken.

Irgendwann

zerfällt die Asche des

Nebels.

Abend,

der schwarze Falkner,

verschließt

die

weißen Augen der

Firste.

Peter Frank

Bei den Großeltern

Vom Küchenbalkon

sah man Dampflokomotiven.

Durchs gelbe Licht des Badezimmers

schnitt das Rasiermesser der Kälte,

kratzend, patriarchalisch.

Krötengroße Broschen. Der Muff.

Der Persianer an der Garderobe.

Über allem, schwer, sepiafarben,

der Geruch von Tosca.

Unverrückbar der Kachelofen,

Seele der guten Stube.

Unter dem krakenarmigen Kronleuchter

hing die weiße Stille des Porzellans,

viertelstündlich zertrümmert vom Schlag der Uhr,

goldbraune, klumpfüssige Sphinx,

das Rätsel ungelöst.

Wie die erste Schneeflocke

fielen die in Butterbrotpapier gewickelten Groschen

in die kleine Straße mit dem Leierkasten.

Von der Kommode

erhob sich der große, schwarze Vogel,

trennte Blick & Spiegel mit letztem Flügelschlag.

Peter Frank

Blackpool

Als gingen

Dickens & Churchill

noch immer

über die gischtgesäumte

Promenade.

Landeinwärts

verbarrikadierte Läden,

Tattoo Studios,

leere Pensionen,

Wettbüros,

in denen niemand

auf Sieg setzt.

Im Ballsaal,

hoch oben über dem

Novembermeer,

rauscht

die Wurlitzer Orgel,

gewaltig wie die See.

Wie jeden Nachmittag ist

Tanztee.

Ältere Paare,

einander haltend,

als wäre es das erste Mal,

drehen sich,

langsam wie das Riesenrad,

in ein nie vergessenes

Gestern.

Peter Frank

Möwen

kreisend

kakophonisch

durchgedrehte

dreschflegel

über der müllkippe

jäger der reste

hungrig schon im ei

kapitäne

auf dem kioskdach

sie wissen

was pommes sind

krähenbeeren

in der zeit der früchte

dann wieder

schlagend zitternd

über den netzen

dem schäumenden

schlachtfest

heiser wie saxophone

schnäbel wie

samuraischwerter

die gravur

gestochen

in die gischt

kein hafen

kein kap

keine Ankunft

kein abschied

ohne sie

schwestern des schnees

sänger

im chor der see

unerbittlich

der taktstock des sturms

notenblätter

in den himmel geschleudert

Peter Frank

Wundertüten

Drei Groschen,

wer Glück hatte,

hielt fünf in heißer Hand.

Der kleine Laden mit der

gelben Sonnenblende,

die Türglocke,

die Kühle des Linoleums.

Draußen

versuchten alle,

die Kontur des Wunders

durch die Tüte zu

ertasten,

als wollten sie sich wappnen

für den Moment der Wahrheit.

Manchmal

die ersehnte Wasserpistole,

an schlimmen Tagen

ein rosa Puppenkamm,

ein Ring oder Puffreis.

In jenen heißen Sommern

der Kindheit,

in der Hand

das leere, raue Papier,

begriffen wir

die Bedeutung des Wortes

Enttäuschung.

Hanna Fleiss

Ohne Antwort

Aus den Händen

fällt mir die Zeitung - was für

Nachrichten, und kein Ausblick.

In welcher Welt denn

lebe ich.

Das vergossene Blut,

die verschenkten, verlorenen

Träume, wohin mit ihnen - jetzt?

Heimat, die du mir warst,

und wir, was wird werden?

Ich ordne die Zeitung,

was weiß ich, beklage unsere

Apathie, die ungerechten Tage.

Und nur die Stille

kennt meinen Schmerz.

Hanna Fleiss

Schernikau

November, Monat des Sterbens,

kühl bis in die Höfe und die Straßen feucht,

die üblichen Winde von Nord, er kannte

sie gut, die Herbste von Berlin.

Wir hätten uns begegnen sollen;

ich habe ihm eine Rose gebracht, gern

hätte ich ihm ihren Duft geschenkt, aber

die Rosen, sie duften nicht mehr.

Hanna Fleiss

Leben, nichts als dies

Durch die Stunden

Die Frage: Wer bin ich?

Damals wusste ich es, wie ich es

Heute vergessen soll.

Nein, legte die Hand

Nicht aufs Herz. Einfach leben,

Wissen, auf mich kommt es an, Welt

War da, und ich war Welt.

In den Nischen

Des Kleinmuts seither der Frost.

Wir erfrieren an uns. Wer

Erkennt sich noch?

Hanna Fleiss

Auf den ersten Blick

Wenn einer weitergeht und blickt zurück,

und du stehst da und weißt es nicht, warum,

dann fehlen Worte dir, und du bleibst stumm,

riskierst auf ihn noch einen kurzen Blick.

In dir rumort es: Ach, was wäre wenn?

Der könnte es doch sein, warum denn nicht?

Und du sinnierst, siehst lange sein Gesicht

vor dir wie einen heißen Blitz. Und denn?

Minuten stehst du so, dich hat’s berührt.

Du merkst, dass du mit einem Mal erblasst,

und bist gewiss, du hast dein Glück verpasst.

Was soll’s, ist eben weiter nichts passiert.

Hanna Fleiss

Das eine Wort

Celan.

Er suchte das Wort,

das eine, das nicht existiert,

nie gesprochen, nie geschrieben.

Die Chance, es zu finden,

gering wie Mondstaub.

Schreiben.

Vom Leid der Millionen,

von Tod und schwarzer Milch,

von der Rose, vom Lächeln.

Fruchtlos die Suche. Das Wort, das eine,

entzog sich ihm.

Nächte, schlaflos.

Am Ende die Kapitulation

vor dem Wort, dem einzigen.

Es hätte die Schläfer wecken können.

Was noch blieb? Wer sah den Sprung

vom Pont Mirabeau?

Hanna Fleiss

Novemberelegie

Nun ist es Herbst, das Jahresende naht.

Das Wetter ist jetzt nicht mehr, was es war,

die Herbste ähneln sich wie ein Plagiat.

Muss wohl so sein, ist mir schon lange klar.

Der Sonnenhimmel macht sich derzeit rar.

Am Morgen schon sind alle Straßen nass.

Doch Gott sei Dank, die Stadt ist unsinkbar.

Herrje, aufs Wetter ist jetzt kein Verlass.

Wie blass mit einem Mal die Leute sind.

Auch mir geht es zur Zeit nicht wirklich gut.

Es ziept, mal hier, mal dort, dazu der Wind.

Als heule er sich herbstgerecht in Wut.

Am Fenster gegenüber steht ein Mann.

Ich kenn ihn nicht, er sieht so traurig aus.

Er denkt an was, ich weiß es nicht, woran.

Jetzt geht er weg, zurück bleibt nur das Haus.

Und ich mit diesem Herbst, dem Blätterfall.

Seit Wochen ist bei Aldi schon Advent.

Ein Hund jault angeleint und macht Krawall.

Ach ja, es ist November. Wie man ihn kennt.

Hanna Fleiss

Poesie des Verzweifelns

Die Handvoll Licht

ein blakender Schatten,

der Ton früher Jahre verklungen,

auf offener See verlernten wir

das Schwimmen.

Wir sind leidensfähig,

wir spiegeln uns im Elend

der Verkrüppelung,

arrangieren uns mit dem Nebel

der Ausweglosigkeit.

Wir trotten unseren Träumen

hinterher, übersehen den Charme

des Unfertigen, und so, in der Poesie

des Verzweifelns, erliegen wir der

Invasion des Unabänderlichen.

Hanna Fleiss

Elfter September

Was wir hörten:

Schüsse in Santiago, Hubschrauber,

Panzer, Bombardements. Großes

Aufräumen der Verräter.

In der Moneda ein Präsident,

Freiheit in zerbrochenen Händen.

Auf der Isla Negra der alte Dichter,