Unterstützte Kommunikation -  - E-Book

Unterstützte Kommunikation E-Book

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Beschreibung

Das Buch gibt einen aktuellen Überblick über Theorie und Praxis der Unterstützten Kommunikation. Dargestellt werden die Diagnose der Verständigungsfähigkeit und besondere Aspekte des Spracherwerbs nichtsprechender Kinder sowie Angebote der Unterstützten Kommunikation in der Frühförderung, in der Sonderschule, in Integrationsklassen und im Wohnheim. Dabei beziehen sich die beschriebenen Hilfen auf Menschen mit geistiger Behinderung, mit Körperbehinderung oder mit Autismus. Die Beiträge dieses Bandes, die auch kontroverse Auffassungen einschließen, ermöglichen es den Leserinnen und Lesern, sich ein differenziertes eigenes Bild von den vielfältigen Förderansätzen und Konzepten zu machen. Alle Autorinnen und Autoren haben langjährige Erfahrung mit Unterstützter Kommunikation in Theorie und Praxis.

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Die Herausgeberin

Prof. Dr. Etta Wilken ist Sonderschullehrerin und Diplom-Sprachtherapeutin. Sie war bis zu ihrer Pensionierung an der Leibniz-Universität Hannover tätig im Lehrgebiet Allgemeine und integrative Behindertenpädagogik.

Etta Wilken hat bereits 1973 erstmalig zur Sprachförderung von Kindern mit Down-Syndrom publiziert. Sie besitzt langjährige Erfahrungen in der Ausbildung von Sonderpädagogen und Diplompädagogen sowie in der Elternarbeit und in der Therapie von Kindern mit Down-Syndrom. Die Gebärden-unterstütze Kommunikation (GuK) wurde von ihr entwickelt. Weitere Forschungsgebiete sind Unterstützte Kommunikation und Frühförderung.

Etta Wilken (Hrsg.)

Unterstützte Kommunikation

Eine Einführung in Theorie und Praxis

6. Auflage

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen und sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind.

Es konnten nicht alle Rechtsinhaber von Abbildungen ermittelt werden. Sollte dem Verlag gegenüber der Nachweis der Rechtsinhaberschaft geführt werden, wird das branchenübliche Honorar nachträglich gezahlt.

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6. Auflage 2021

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-040390-1

E-Book-Formate:

pdf:        ISBN 978-3-17-040391-8

epub:     ISBN 978-3-17-040392-5

mobi:     ISBN 978-3-17-040393-2

Inhaltsverzeichnis

 

 

 

Kommunikation und Teilhabe

Etta Wilken

Diagnose der Verständigungsfähigkeit bei nicht sprechenden Kindern

Gudrun Kane

Entwicklungsorientierte Sprachdiagnostik und Förderplanung bei minimal verbalen Kindern mit Beeinträchtigung

Christina Müller, Sylvia Mira Wolf & Maren Aktas

Präverbale sprachliche Förderung und Gebärden-unterstützte Kommunikation in der Frühförderung

Etta Wilken

Spracherwerbsprobleme nichtsprechender Kinder

Horst Konrad

Vom Babytalk zum Talkerbrunch

Ursi Kristen

Objektsymbole – Ein »begreifbares« Kommunikationsmittel

Maria Rascher-Wolfring

Unterstützte Kommunikation in der Sonderschule

Ursula Braun & Martin Baunach

With a Little Help from Your Friends. Unterstützte Kommunikation im integrativen Unterricht

Nina Hömberg

TEACCH – ein kommunikationsorientierter Ansatz zur ganzheitlichen Förderung von Menschen mit Autismus

Anne Häußler

»eigentlich erinnert mich das schreiben an richtiges sprechen« Gestützte Kommunikation mit unserem Sohn Christoph

Christiane Nagy

Das Konzept der Gestützten Kommunikation – Beschreibung und kritische Bewertung

Susanne Nußbeck

Angebote Unterstützter Kommunikation in Wohnheimen für Menschen mit geistiger Behinderung

Almuth Bober

UK-Beratung – damit niemand sprachlos bleibt Entwicklung, Aufbau und Struktur einer Beratungsstelle für Unterstützte Kommunikation

Andrea Karus

Glossar

Autorenverzeichnis

Kommunikation und Teilhabe

Etta Wilken

In den verschiedenen vorschulischen und schulischen Einrichtungen für behinderte Kinder nehmen schwerere Formen von Beeinträchtigungen zu. Die Ursachen für diese Veränderung sind vielfältig. So gibt es mehr Kinder, die gravierende pränatale Schädigungen, schwere Unfälle bzw. Krankheiten oder extreme Frühgeburt mit erheblichen Beeinträchtigungen überleben, und zunehmend werden auch seltene Syndrome diagnostiziert, die zu umfangreichen Behinderungen führen und zum Teil einen progressiven Verlauf haben. Viele dieser schweren Schädigungen ermöglichten früher nicht, dass betroffene Kinder überlebten und im Kindergarten oder in der Schule gefördert werden konnten.

Die Zunahme der schwer und mehrfach beeinträchtigten Kindern in allen speziellen Behinderungsgruppen hat auch dazu geführt, dass der Anteil der Kinder deutlich gestiegen ist, die sich nicht oder nur sehr eingegrenzt verständlich machen können.

Bei Kindern und Erwachsenen mit geistiger Behinderung betrifft dieses Problem heute oftmals schon 20–40%. Auch bei Schülern mit Körperbehinderung und mit Autismus ist die Gruppe der nicht bzw. kaum sprechenden Kinder sehr hoch. Obwohl dieses Problem bisher überwiegend für den Sonderschulbereich erfasst wurde (vgl. Adam 1996, Fröhlich/Kölsch 1998, Theunissen/Ziemen 2000, Wilken 2000, Boenisch 2009), ist davon auszugehen, dass besonders im Vorschulschalter aufgrund der oftmals gravierenden Entwicklungsverzögerungen umfassende Beeinträchtigungen der Kommunikation noch erheblich häufiger vorkommen.

Auch bei Erwachsenen in Heimen und Werkstätten ist das Problem fehlender oder eingeschränkter Verständigungsfähigkeit aufgrund von nicht erworbenen kommunikativen Kompetenzen oder altersbedingtem Verlust eine Herausforderung, die nach angemessenen Lösungen verlangt.

Kommunikation ist ein menschliches Grundbedürfnis und subjektiv für Lebensqualität von entscheidender Bedeutung. Sie ist eine wesentliche Bedingung für soziale Partizipation und Selbstbestimmung und zudem eine wichtige Grundlage jeder Entwicklung. Es besteht deshalb die Notwendigkeit, beeinträchtigten Kindern sowohl frühe entwicklungsbegleitende Hilfen zum Verstehen und zum Verständigen anzubieten als auch Jugendlichen und Erwachsenen, die sich nicht hinreichend lautsprachlich verständigen können, Möglichkeiten ergänzender und ersetzender Kommunikationsformen zu vermitteln.

Darum ist es notwendig, dass in der Sonderpädagogik das Problembewusstsein für die sich ergebenden speziellen Erfordernisse der Kommunikationsunterstützung wächst, damit Kindern und Erwachsenen mit eingeschränkter Verständigungsfähigkeit entsprechende Hilfen rechtzeitig angeboten werden (vgl. Wetzel, 2000, Boenisch 2009). Auch in der pädagogischen und therapeutischen Ausbildung müssen entsprechende Kenntnisse vermittelt werden, damit in familiären und weiteren sozialen Alltagsbeziehungen, in vorschulischen und schulischen Einrichtungen, im Freizeit-, Berufs- und Wohnbereich angemessene Hilfen für diesen Personenkreis selbstverständlich werden.

Die vorliegenden Beiträge haben deshalb das Ziel, verschiedene Aspekte der unterstützten Kommunikation bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen darzustellen unter Berücksichtigung der individuellen Voraussetzungen und speziellen Bedürfnisse. Dabei ist auch auf behinderungsspezifische und altersabhängige Bedingungen sowie familiäre und institutionelle Kontextfaktoren differenziert einzugehen.

Eine wichtige Grundlage der Förderung ist eine entwicklungsbezogene Diagnose, die von den Kompetenzen ausgeht (siehe Kane; Müller, Wolf & Aktas).

In der Frühförderung hat unterstützte Kommunikation das Ziel, für Kinder mit besonderen Beeinträchtigungen im Spracherwerb angemessenen Hilfen zu gestalten, ohne dadurch natürliche Interaktionsformen zu gefährden – selbst wenn spezielle Angebote erfolgen (siehe Wilken). Die behinderungsspezifischen Besonderheiten der Sprachentwicklung und des Grammatikerwerbs sind dabei angemessen zu berücksichtigen (siehe Konrad). Gerade die ständig wachsende Zahl der verschiedensten Hilfsmittel zur Kommunikationsförderung verlangt eine differenzierte Auseinandersetzung mit den veränderten Bedingungen des Spracherwerbs bei nicht sprechenden Kindern und eine entsprechend kriteriengeleitete Auswahl und Beratung.

Personen, die aufgrund von Körperbehinderung, geistiger Behinderung oder multiplen Beeinträchtigungen nicht oder nicht hinreichende lautsprachliche Fähigkeiten entwickeln bzw. erlernen können, benötigen unterschiedliche Angebote, die sowohl die individuellen Bedürfnisse und Kompetenzen berücksichtigen als auch die behinderungsspezifischen Erfordernisse (siehe Baunach/Braun und Kristen). Die Möglichkeiten der Förderung von Menschen mit Autismus und die verschiedenen Angebote zur gestützten und unterstützten Kommunikation (siehe Nußbeck, Nagy, Häußler) werden zwar durchaus abweichend beurteilt, verlangen deshalb aber, kritisch zu reflektieren, welche Förderung und Begleitung für ein individuelles Kind sinnvoll sein kann.

Ein wichtiger ergänzender Gesichtspunkt bezieht sich auf den geeigneten Lernort und die notwendigen Rahmenbedingungen. Aufgezeigt wird deshalb, welche Möglichkeiten der kommunikativen Förderung im gemeinsamen Unterricht gestaltet werden können (siehe Hömberg). Gerade für die Weiterentwicklung der inklusiven Beschulung ist es wichtig, die dafür erforderlichen personellen und sächlichen Ressourcen kriteriengeleitet und den individuellen Bedürfnissen entsprechend zu gewährleisten.

Unterstützte Kommunikation ist auch Erwachsenen noch anzubieten, denen bisher kein Zugang zu angemessenen alternativen oder ergänzenden Kommunikationsformen ermöglicht wurde (siehe Bober). Zunehmend wichtig ist zudem, die Bedürfnisse von Personen zu berücksichtigen, die aufgrund krankheitsspezifischer oder allgemeiner altersbedingter Abbauprozesse immer weniger in der Lage sind, sich verbal zu verständigen. Dabei sind sowohl das Lebensalter als auch die individuellen Lebensbedingungen – ob zu Hause, in eigener Wohnung oder im Wohnheim – und die sich daraus ergebenden speziellen Bedürfnisse der Erwachsenen differenziert zu reflektieren.

Die Zunahme von Kindern und Erwachsenen, die alternative oder ergänzende Kommunikationshilfen benötigen und das anwachsende Bedürfnis nach Beratung und Information auch der Bezugspersonen in der Familie und in den verschiedenen Institutionen machen dringend erforderlich, nicht nur entsprechende regionale Angebote an Beratungsstellen aufzubauen (siehe Karus), sondern auch Fortbildung und Forschung weiter zu entwickeln.

Das vorliegende Buch will nicht nur Informationen über die verschiedenen Verfahren vermitteln und die aktuelle Diskussion der Ansätze darstellen, sondern auch dazu beitragen, dass eine Kooperation von Betroffenen, ihren Angehörigen und Professionellen zunehmend besser gelingt.

Alle Autoren fühlen sich einem Menschenbild verpflichtet, dass den grundsätzlichen Anspruch auf Selbstbestimmung und Autonomie betont und darum auch in Therapie und Förderung die Bedeutung von Eigenaktivität gegenüber normorientierten, direktiven Verfahren vertritt. In allen Beiträgen geht es deshalb um die günstige Gestaltung förderlicher Bedingungen, die das einzelne Kind bzw. den Erwachsenen unterstützen, seine Kompetenzen unter den gegebenen behinderungsspezifischen Beeinträchtigungen und den kontextbezogenen Aktivitäts- und Partizipationsmöglichkeiten zu entwickeln.

Unterstützte Kommunikation

Mit Unterstützter Kommunikation werden alle pädagogischen und therapeutischen Hilfen bezeichnet, die Personen ohne oder mit erheblich eingeschränkter Lautsprache zur Verständigung angeboten werden.

Alternative Kommunikationsformen werden Menschen mit Behinderungen angeboten, die aufgrund fehlender oder erheblich eingeschränkter Sprechfähigkeit statt der gesprochenen Sprache ein anderes Kommunikationssystem benötigen. Dabei handelt es sich überwiegend um Gebärden, graphische Symbole oder Schrift sowie um sehr unterschiedliche technische Hilfen mit und ohne Sprachausgabe.

Unter ergänzender Kommunikation versteht man dagegen Verfahren, die unterstützend bzw. begleitend zur Lautsprache eingesetzt werden. Sie sollen einerseits bei Kindern mit erheblich verzögerter Sprachentwicklung die lange Zeit fehlende lautsprachlicher Verständigung überbrücken und den Spracherwerb fördern und andererseits bei Personen mit schwer verständlicher Sprache das Verstehen erleichtern sowie ergänzend zu nicht normsprachlichen Lauten (z. B. ai oder e-e für nein und mm für ja) eine effektivere Kommunikation ermöglichen.

Personenkreis

Es gibt sehr viele und unterschiedliche Ursachen, die zu vorübergehenden, lang anhaltenden oder dauerhaften Beeinträchtigungen der Sprechfähigkeit führen oder auch zum Abbau verbaler Fähigkeiten oder deren Verlust. Deshalb weist die Personengruppe, der Unterstützte Kommunikation angeboten wird, eine große Heterogenität auf, und es ist wichtig, sowohl altersbedingte Faktoren zu berücksichtigen als auch schädigungsspezifische Aspekte, soziale Bedingungen und subjektive Bedürfnisse. Eine zunehmende Bedeutung hat auch im Kontext von Unterstützter Kommunikation die Berücksichtigung der besonderen Bedingungen bei Zwei- oder Mehrsprachigkeit und der Lebenswelt bezogenen Relevanz der jeweiligen Sprache.

Von besonderer Bedeutung ist der Zeitpunkt, wann die sprachbeeinträchtigende Schädigung erfolgte. So ist es ein Unterschied, ob die Behinderung von Geburt an oder doch in sehr jungen Jahren und damit vor oder im Erwerb der Lautsprache sich auswirkte oder erst erfolgte, nachdem Sprechen und andere Sprachkompetenzen bereits erworben und gefestigt wurden – einschließlich schriftsprachlicher Fähigkeiten.

Die Ausführungen in diesem Buch beziehen sich auf Kinder, Jugendliche und Erwachsene, die aufgrund früh erfolgter Schädigungen eine erhebliche Behinderung erlitten haben, die sich als motorische, kognitive oder emotionale Beeinträchtigung in einem oder mehreren Entwicklungsbereichen auswirkte und bei denen dadurch sehr unterschiedlich ausgeprägte Einschränkungen im Erwerb kommunikativer und sprachlicher Kompetenzen verursacht wurden und bei denen insbesondere das Sprechen deshalb oft nicht oder nur erheblich eingeschränkt möglich ist oder sich erheblich verzögert entwickelt.

Angemessene Hilfen für Jugendliche und Erwachsene, bei denen zu einem späteren Zeitpunkt infolge von Krankheit (Schlaganfall, ALS) oder Unfall eine Einschränkung ihrer Verständigungsfähigkeit aufgetreten ist, müssen berücksichtigen, dass diese Personen aufgrund normaler Entwicklung und biographischer Erfahrung bereits entsprechende Kompetenzen erworben haben und deshalb oftmals auch andere Verfahren und Hilfsmittel benutzen können.

Kommunikation, Sprache und Sprechen

Obwohl im allgemeinen Sprachgebrauch die Begriffe Kommunikation, Sprache und Sprechen oft wenig differenziert werden, haben sie doch recht unterschiedliche Bedeutung und gerade für das Verständnis der vielfältigen Probleme, die Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit speziellen Beeinträchtigungen haben, ist eine Unterscheidung sehr wichtig.

Mit Kommunikation bezeichnen wir alle Verhaltensweisen und Ausdrucksformen mit denen wir mit anderen Menschen bewusst oder unbewusst in Beziehung treten1. Kommunikation umfasst deshalb viel mehr als nur die verbale Sprache.

So können Nähe und Distanz Vertrautheit oder Befremden ausdrücken; mit Berührung, Anfassen und Anblicken können Interessen deutlich werden. Kummer, Schmerz, Freude oder Wut zeigt sich mit entsprechender Mimik. Auch Körperhaltung, Erblassen und Erröten oder verweinte Augen können etwas über unser Befinden aussagen, erfordern aber eine kontextbezogene Interpretation. Zustimmendes oder ablehnendes Kopfnicken bzw. -schütteln oder Achselzucken ist situationsabhängig zu verstehen. Wie wir uns anziehen – ob festlich oder sportlich, Trauerkleidung, typische Trend- oder Peergruppenmode – drückt Vorhaben, eine bestimmte Stimmung oder auch Einstellung aus. Mit Gestik betonen wir unsere Ansichten, lenken das Interesse, zeigen Emotionen und verdeutlichen Gesagtes. Schon das kleine Kind zeigt – wenn auch ohne entsprechende Intention – mit seinem Verhalten seine Bedürfnisse, Vorlieben, Schmerz und Abneigung.

Alle diese Formen der Kommunikation sind vorwiegend nur situationsgebunden zu verstehen und bedürfen der besonderen Interpretation. Dabei werden innerhalb enger personaler Beziehungen, in einem Kulturbereich oder in der gleichen Peer-Gruppe diese verschiedenen Zeichen noch relativ gut verstanden, aber bei größerer Distanz, stärkeren Normabweichungen oder speziellen Beeinträchtigungen wird die erforderliche Interpretation oft erschwert und kann leicht misslingen. Deshalb können sich durch abweichende mimische, gestische und körpersprachliche Kommunikationsformen nicht nur in internationalen Beziehungen Störungen ergeben, sondern es gilt zu bedenken, dass auch Kinder mit migrationsbedingten anderen Erfahrungen verunsichert auf scheinbar allgemein verständliche »Kommunikationskulturen« reagieren können.

Zu den wichtigen individuellen Grundlagen der Kommunikation gehören – mit unterschiedlicher Relevanz – die sensorischen Fähigkeiten Sehen, Hören, Fühlen, Schmecken, Riechen, aber auch kinästhetische, propiozeptive und vestibuläre Wahrnehmung. Gelernt werden muss dabei die spezielle erfahrungsgebundene Bedeutungsgebung dieser über die Sinne aufgenommenen Eindrücke und ihre Koordinierung sowie »Sensorische Integration«.

Auch die mögliche Einflussnahme durch Blickkontakt, mimischer und gestischer Ausdruck, das abwechselnde Handeln in Interaktionen (turn-taking) sowie das Einhalten von alters- und kulturtypischem Kommunikationsabstand (Proxemik) zählen zu den basalen Kompetenzen, die in sozialen Beziehungen erworben werden.

Sprache ist ein speziesspezifisches Kommunikationssystem, das auf festgelegten Symbolen beruht. Gleich ob es sich dabei um Gebärden, Wörter oder optische Zeichen handelt, repräsentieren diese Symbole die Dinge, Handlungen, Abfolgen und Beziehungen. Sprache ist eine wesentliche Grundlage für das bedeutungsbezogene Verarbeiten von Wahrnehmungen, damit flüchtige Sinneseindrücke gespeichert werden können. Sie ist wichtig für das Vergleichen und Bewerten, für das Erinnern sowie die Bildung von Kategorien und sie ist eine wesentliche Voraussetzung für vielfältige kognitive Leistungen.

Allerdings sind diese Funktionen nicht gebunden an die Lautsprache, sondern an das Vorhandensein eines differenzierten Symbolsystems. Deshalb können Menschen ohne Lautsprache auch mit anderen Sprachsystemen wie Gebärden, Symbolsysteme oder Sprechausgabegeräte entsprechende kognitive Fähigkeiten entwickeln. Deshalb sind ein gutes Sprachverständnis und eine normale Sprachkompetenz – wie zahlreiche Beispiele belegen – keineswegs abhängig von der Sprechfähigkeit (vgl. Nolan 1989, Lemler 2013).

Als eine wesentliche Voraussetzung für das Erlernen von Sprache gilt die Bereitschaft zur sozialen Interaktion, die Entwicklung von Objektpermanenz und ein gewisses Symbolverständnis. Mit dem differenzierten Aufbau des Vokabulars (Lexik) ist auch die genaue Bedeutung zu erwerben (Semantik). Dabei unterstützt die Betonung (Prosodie) ganz wesentlich das Verstehen, wie das Gesagte gemeint ist (Lob, Tadel, Zweifel, Ironie). Auch die verschiedenen grammatischen Strukturen (Fragen, Passivsätze) müssen verstanden werden. Unabhängig vom Kontext ist zu lernen, sprachliche Mitteilungen zu erfassen und angemessen darauf zu reagieren (Pragmatik).

Sprechen bezeichnet das Produzieren der hörbaren Sprache. Dazu ist erforderlich, dass die sprachtypischen Normlaute gebildet, zu Wörtern verbunden und bedeutungsbezogen benutzt werden. Sprechen ist ein besonders effektives und differenziertes Mittel der Kommunikation. Das Erlernen erfordert sowohl vielfältige basale Voraussetzungen als auch spezielle motorische und kognitive Fähigkeiten.

Für die normale Realisierung von Sprechen sind viele verschiedene Aspekte wichtig. So müssen die einzelnen Laute korrekt gebildet werden (Artikulation), bei der Wortfolge und Satzstruktur sind Regeln zu beachten (Syntax) und mit den geäußerten Wörtern werden Absichten verbunden (Pragmatik). Auch die Sprechfüssigkeit (Stottern, Poltern), die Lautstärke, Betonung (Prosodie) und Resonanz (Näseln) sind wichtig für eine ungestörte Kommunikation.

Ein besonderer Aspekt bezieht sich auf Regeln der Konversation. So ist zu beachten, wie und wann Nachfragen gestellt werden können und wann ein Sprecher unterbrochen werden darf, wie ein Gespräch begonnen, ein Thema bestimmt oder gewechselt werden kann. Missverständnisse müssen korrigiert und unterschiedliche Annahmen geklärt werden können. Die (Vor)Kenntnisse des Gesprächspartners bei einem Thema sind zu berücksichtigen. Auch gilt es angemessene Höflichkeitsformen zu beachten – das bezieht sich auch auf situationsgerechte Wortwahl und das Verwenden von typischen Peer-Gruppenausdrücken.

Bedeutung hat auch das Verhältnis von Gesprächsthema und aktueller Tätigkeit. Während beim kleinen Kind gemeinsame Gespräche überwiegend kontext- und handlungsgebunden sind, indem wir verbalisieren, wohin das Kind blickt oder womit es sich gerade beschäftigt oder indem wir eigene Tätigkeiten kommentieren, löst sich mit zunehmendem Alter des Kindes das Gespräch von der aktuellen Handlung und von der Situation (so kann beim gemeinsamen Kochen über einen Film gesprochen werden oder beim Essen über Erlebnisse in der Schule).

Auswirkung von Behinderung auf Verstehen und Verständigung

Behinderungen können bereits zu Veränderungen der basalen Grundlagen von Kommunikation und Sprache führen. Sie können die kognitiven Fähigkeiten beeinträchtigen, die Motivation und das Bedürfnis, sich mitzuteilen, oder sie beziehen sich nur auf den motorischen Bereich. Manchmal sind allerdings alle verschiedenen Aspekte betroffen.

Deshalb ist es notwendig, die individuellen Voraussetzungen und Möglichkeiten zu erfassen und die Bedürfnisse und Interessen des Kindes und seiner Bezugspersonen zu erkennen, um geeignete Hilfen anzubieten. Dabei ist wichtig, eine zu enge Zielsetzung bezüglich der verbalen Sprache zugunsten einer möglichst effektiven Kommunikationsfähigkeit zu überwinden.

Die Kompetenzen von Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen der Lautsprache weisen eine große Streubreite auf, von eingeschränkter kontextgebundener präintentionaler Kommunikationsfähigkeit bis zu völlig normalem Sprachverständnis. Für alle Kinder gilt jedoch, dass die allgemeinen Fähigkeiten meistens deutlich weiter entwickelt sind als das Sprachverhalten vermuten lässt. Deshalb kommt es häufig zu einer erhebliche Unterbewertung der kognitiven Fähigkeiten, und nicht nur Erwartungen und Ansprüche der Bezugspersonen werden reduziert, sondern diese Fehleinschätzung und die dadurch bedingte Unterforderung kann auch die Motivation und Mitteilungsbereitschaft des behinderten Kindes einschränken.

Der Spracherwerb bei Kindern mit gravierenden Behinderungen der motorischen und/oder der geistigen Entwicklung ist fast immer mehr oder minder stark verzögert. Dadurch erfolgt jedoch nicht nur eine langsamere Entwicklung, sondern durch die dissoziierte Ausprägung von Fähigkeiten aufgrund von schädigungsbedingten und ätiologiespezifischen Veränderungen kann auch die normale wechselseitige Beeinflussung der verschiedenen Entwicklungsbereiche behindert bzw. nicht in gleicher Weise aktiviert werden. Zusätzlich zu diesen unmittelbaren Beeinträchtigungen haben viele behinderte Kinder auch Störungen des Sehens und Hörens sowie Wahrnehmungsschwächen in visuellen, auditiven, taktilen und kinästhetischen Bereichen, die eine bedeutungsbezogene Verarbeitung von Informationen erschweren und Erfahrung und Lernen in spezifischer Weise verändern können und dadurch zu erheblichen Auswirkungen auf den Spracherwerb führen.

Diese verschiedenen möglichen Störungen der unmittelbaren oder sekundären Grundlagen der sprachlichen Entwicklung bei Menschen mit Behinderungen können differenziert werden nach sensorischen, motorischen, emotionalen und kognitiven Voraussetzungen.

Sensorische Behinderungen wirken sich in sehr spezieller Weise auf den Spracherwerb aus. Es ist verständlich, dass vor allem Beeinträchtigungen des Hörens zu besonderen Schwierigkeiten führen beim Verstehen und Sprechen lernen. Aber auch Beeinträchtigungen des Sehens bewirken spezielle Probleme. So ist Blickkontakt, soziales Lächeln und deklaratives Zeigen kaum möglich, das Erkennen von Mundbewegungen der Bezugspersonen als Anregung für eigene Lautproduktion ist eingeschränkt und es ist für das Kind schwerer, über referentiellen Blickkontakt Beziehungen herzustellen sowie Bezeichnungen den Dingen bzw. Handlungen zuzuordnen. Unsichere kinästhetische Wahrnehmungen im Mundbereich erschweren dem Kind oftmals das Erkennen des Zusammenhangs von Zungenbewegungen und eigener Lautproduktion als Voraussetzung, um ihm vorgesprochene Laute nachahmen zu können.

Motorische und funktionelle Beeinträchtigungen von Zunge und Lippen, von Kopf- und Körperkontrolle, Veränderungen des Gaumens, der Kiefer und Zähne zeigen sich oft schon bei den Primärfunktionen der Sprechorgane, d. h. beim Saugen, Schlucken, Kauen und Trinken und wirken sich zumeist erheblich auf das Sprechen aus (vgl. Wilken 1974, 55; Wilken 2014). Auch die Atmung kann Probleme aufweisen mit manchmal gravierenden Problemen der Koordination beim Essen und Trinken.

Aufgrund solcher sensorischen und motorisch-funktionellen Beeinträchtigungen der grundlegenden Fähigkeiten kann das Sprechenlernen erheblich erschwert bis hin zu nicht möglich sein. Die Auswirkungen auf die Sprachentwicklung sind jedoch individuell und behinderungsspezifisch sehr verschieden.

Die kognitiven und emotionalen Grundlagen der sprachlichen Entwicklung werden in den Interaktionen von Kind und Bezugspersonen erworben. In sozialer und gegenständlicher Kooperation kann das Kind Sinn und Ziel von Eigenaktivität erleben. Aufgrund von motorischen Behinderungen sind jedoch besonders kooperative Handlungen und die Erkenntnis, selber etwas bewirken zu können, erheblich beeinträchtigt und oft müssen die Bezugspersonen erst lernen, das behinderte Kind zu verstehen, damit es sich zunehmend verständigen kann (vgl. Wilken 1982, 7). Das wird von einer Mutter anschaulich geschildert: »Wir lernen, Lotta zu lesen. Ein steifer Rücken, angewinkelte Arme, feste Fäuste – sie hat Schmerzen. Ein starrer Blick, Arme, die sich heben – es kommt ein Anfall. Ich füttere sie auf meinem Schoß, ihr Rücken drückt gegen meinen linken Arm, sie kann den Löffel nicht sehen und öffnet doch den Mund, bevor er ihre Lippen erreicht. Auch sie liest mich, sie interpretiert meine Körperbewegungen, so wie ich ihre« (Roth 2017, 17).

Sensomotorische Erfahrungen sind eine wichtige Bedingung, Vorstellungen zu erwerben und Rituale zu verstehen. Die Entwicklung von Objektpermanenz und Symbolverständnis als kognitive Grundvoraussetzungen für die Entwicklung von Sprache sind deshalb ganz wesentlich gebunden an eigene Handlungserfahrungen. Die ‹Erkenntnis des permanenten Objekts’ ermöglicht dem Kind, eine Geste oder ein Wort als Zeichen zu verstehen, das etwas Bestimmtes meint, und zu lernen, selbst Zeichen einzusetzen, um sich mitzuteilen. Dabei kommt insbesondere dem deklarativen Zeigen in der präverbalen Kommunikationsentwicklung eine wesentliche Bedeutung zu, weil das Kind unmittelbar erlebt, wie die Bezugsperson darauf eingeht und dass es dadurch etwas bewirken kann.

Motorische Behinderungen können somit über eingeschränkte Erfahrungsmöglichkeiten auch die kognitive und emotionale Entwicklung beeinträchtigen. Bei Menschen mit geistiger Behinderung und multiplen Beeinträchtigungen erfolgt nicht nur der Spracherwerb verzögert, sondern die Entwicklung der basalen Erkenntnisse ist bereits oft verlangsamt oder stagniert manchmal auf frühen Stufen. Bei Kindern mit Autismus-Spektrum-Störungen kann die Motivation zur Kommunikation verändert sein.

Die schädigungsspezifischen und sozialisationsabhängigen großen Unterschiede in der Entwicklung von Menschen mit Behinderungen bedingen, dass besonders im Bereich von Kommunikation, Sprache und Sprechen sehr verschiedene Kompetenzen erreicht werden können. Es ist deshalb erforderlich, die behinderungsspezifischen und individuell angemessenen Hilfen herauszufinden.

Die nachfolgende Tabelle zeigt, wie Verstehen und Mitteilen sich entwickeln. Dabei wird verdeutlicht, wie aufgrund von Behinderung spezielle Abweichungen entstehen können, die unterschiedliche Formen der Unterstützung notwendig machen.

Die einzelnen Aspekte von Verstehen und Mitteilen in der Tabelle sind nicht parallel zu lesen, da diese Entwicklung immer unterschiedlich verläuft. Zudem kann es aus sehr verschiedenen Gründen bei einigen Kindern zu einer erheblich dissoziierten Entwicklung der verschiedenen Kompetenzen kommen.

 

Entwicklung von

Durch Beobachtung in Alltagssituationen ist es oft möglich, auch ein nicht sprechendes Kind zu verstehen und sein Verhalten dann entsprechend zu beantworten. Aber für die Förderung ist wichtig, mit speziellen Verfahren zur Überprüfung der kommunikativen Kompetenzen differenziert zu ermitteln, was ein Kind wirklich verstehen kann und in welcher Weise es in der Lage ist, sich mitzuteilen und welche verschiedenen Verhaltensweisen es einsetzt, die wir lernen können, zu verstehen und kommunikativ zu interpretieren. So berichtet eine Mutter, dass sie das Verhalten ihrer Tochter interpretiert und entsprechend verbalisiert: »Wenn ich Lotta dusche und sie das Gesicht verzieht, schimpfe ich: ›Blöde Mama, ich wollte doch gar nicht duschen!‹ Ich lasse meine Stimme hell klingen, wenn ich für Lotta spreche … Wenn ich richtig liege mit meinem Dolmetschen, lächelt Lotta« (Roth 2017, 19).

Bei der Gestaltung der kommunikativen Förderung sind sowohl lebensweltorientierte als auch entwicklungs- und altersbezogene Bedürfnisse zu berücksichtigen. Zudem haben individuelle und soziale Fähigkeiten eine wesentliche Bedeutung und auch situationsabhängige und alltagsrelevante Aspekte sind zu beachten.

Das Ziel der verschiedenen Angebote der Unterstützten Kommunikation ist es, den Kindern mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen von Sprache und Sprechen frühzeitig differenzierte Hilfen zur Verständigung zu vermitteln. Jugendlichen und Erwachsenen, die nicht oder nicht hinreichend in der Lage sind, sich zu verständigen, gilt es, individuell geeignete Angebote zu machen, die Teilhabe und Mitbestimmung in ihrem Lebensalltag fördern. Unterstützte Kommunikation ermöglicht, die Bedürfnisse und Interessen der behinderten Personen zu erkennen, ihren Anspruch auf Selbstbestimmung und Würde zu berücksichtigen und damit Lebensqualität und wesentliche Voraussetzungen für Teilhabe und individuell wichtige Aspekte der Lebensgestaltung zu gewährleisten.

 

Literatur

Adam, H. (1996): Mit Gebärden und Bildsymbolen kommunizieren. Würzburg

Braun, U. (1994): Unterstützte Kommunikation. Düsseldorf

Boenisch, J. (2009): Kinder ohne Lautsprache. Grundlagen, Entwicklungen und Forschungsergebnisse zur Unterstützten Kommunikation. Karlsruhe

Fröhlich, A./Kölsch, S. (1998): Alles, was wir sind, sind wir in Kommunikation. In: Geistige Behinderung, 37, 22–36

Lemler, K./Baunach, M. (2013): UK-Scouts am Start. In: Unterstützte Kommunikation, Nr.3, 28

Nolan, Ch. (1989): Unter dem Auge der Uhr. Köln

Theunissen, G./Ziemen, K. (2000): Unterstützte Kommunikation – (k)ein Thema für den Unterricht mit geistig behinderten Schülern? In: Zeitschrift für Heilpädagogik, 51, 361–367

Roth, S. (2017): Eine Welt voller Gründe, glücklich zu sein. In: ZEIT Magazin vom 22.6., 15–23

Wetzel, J. (2000): Erfassung der Kommunikationsfähigkeit von Schülerinnen und Schülern einer Heim-Sonderschule für Geistigbehinderte. In: ISAAC (Hrsg.): Unterstützte Kommunikation mit nichtsprechenden Menschen. Karlsruhe

Wilken, E. (2014): Sprachförderung bei Kindern mit Down-Syndrom. Stuttgart

Wilken, E. (2000): Statistische Erhebung zur Schülerpopulation an Sonderschulen und Tagesstätten für geistig Behinderte in Niedersachsen. Unv. Umfrage

Wilken, E. (1982): Verstehst du mich? In: Zusammen, 7, 6–9

Wilken, E. (1974): Das Fingeralphabet als Kommunikationshilfe bei einem zerebralparetischen und gehörlosen Jungen. In: Heese, G./Reinartz, A. (Hrsg.): Aktuelle Beiträge zur Körperbehindertenpädagogik. Berlin

1     Eine Überdehnung des Begriffes auf alle Formen von Aktivität ist jedoch problematisch. Kommunikation ist eingebunden in wechselseitige personale Beziehungen – auch wenn noch keine Intentionalität vorliegt. Es ist deshalb fraglich, ob z. B. von pränataler Kommunikation gesprochen werden kann.

Diagnose der Verständigungsfähigkeit bei nicht sprechenden Kindern

Gudrun Kane

Kinder entwickeln ihre Verständigungsfähigkeit im Kontakt mit ihren Bezugspersonen. Zwar spielt in der Sprachentwicklung die Veranlagung eines Kindes eine sehr wichtige Rolle, doch hat auch die Umwelt großen Einfluss (Chapman 2000). Die affektive Beziehung zum Kind, die Häufigkeit, mit der mit ihm gesprochen wird, die Abstimmung des Gesagten mit dem Aufmerksamkeitsfocus des Kindes und das Eingehen auf seine Äußerungen sind einige wichtige Faktoren. Und bei einer Diagnose sollte stets auch betrachtet werden, welche Anregungen und Lernmöglichkeiten ein Kind in seinem natürlichen Umfeld vorfindet. Bei dieser Arbeit aber steht das Kind selbst im Mittelpunkt, dieser Ansatz betrachtet seine Verständigungsmöglichkeiten vor dem Beginn der Sprache.

Die Entwicklung der Verständigungsfähigkeit hängt mit einer Vielzahl von anderen Fähigkeiten zusammen, die die meisten Kinder im Laufe der ersten beiden Lebensjahre erwerben (Kane 1992). An dieser Stelle sollen zwei Bereiche genauer betrachtet werden, die eng mit der Verständigungsfähigkeit zusammenhängen, Kommunikation und Kognition. Im Bereich der Kommunikation lernt ein Kind, dass es Wünsche und Interessen mitteilen kann, seine Mitteilungen verstanden und beantwortet werden, und dass es diese Mitteilungen durch Übernahme in seiner Kultur üblicher Formen effektiver gestalten kann. Im Bereich der Kognition erwirbt das Kind z. B. die Grundlage für den Umgang mit Symbolen, für die Nachahmung spezifischer Mitteilungsformen durch Gesten oder Worte und für die Verwendung von Kommunikation als Mittel zum Erreichen von Zielen. Man geht heute davon aus, dass die Entwicklung in den beiden Bereichen eng zusammenhängt und sich gegenseitig beeinflusst. Deshalb sollte eine Diagnose der Verständigungsfähigkeit bei nicht sprechenden Kindern stets beide Bereiche erfassen.

Diagnose der Kommunikationsentwicklung

Schon lange vor dem Beginn des eigentlichen Sprechens kommunizieren Kinder mit vielfältigen Mitteln. Vom ersten Lebenstag an »verstehen« Eltern ihre Kinder anhand ihrer Reaktionen auf ihre Befindlichkeit und auf Umwelteinflüsse. Eltern erkennen, wann Kinder hungrig oder müde sind und welche Formen der Ansprache sie mögen, lange bevor das Kind selbst um seine Bedürfnisse weiß. Typischerweise wird der Beginn der Verständigung im ersten Schrei eines Kindes gesehen, wie es Buchtitel wie »Vom ersten Schrei zum ersten Wort« (Kluge 1997; Papousek 1998) deutlich machen. Doch schon in den ersten Lebenstagen teilt sich ein Kind nicht nur stimmlich mit, sondern auch durch Körpersignale, wie Anspannung und Entspannung, Ruhe oder Unruhe, Hin- oder Wegschauen, und Eltern verstehen diese Signale. Die Entwicklung der Verständigung findet entsprechend nicht nur im Bereich der Laute statt, sondern ganz wesentlich auch im Bereich von Blick und Gestik, und es gibt eine Reihenfolge, in der Kinder kommunikative Fähigkeiten erlernen.

Kane (1992) beschreibt den Entwicklungsweg von den frühen Anzeichen für Befindlichkeit zur gezielten Kommunikation von Wünschen oder Interessen mit Worten oder Gebärden. Diesen Entwicklungsweg gehen auch Kinder mit erschwerter Entwicklung der Verständigungsfähigkeit, und das Erkennen des gegenwärtigen Entwicklungstandes und Niveaus hilft abzuklären, wo auf diesem Weg das Kind im Moment steht. Hieraus lässt sich z. B. erkennen, wo eine Kommunikationsförderung ansetzen könnte, bzw. ob ein Kind im Bereich der Kommunikation die Voraussetzungen für eine gezielte Sprach- bzw. Gebärdenförderung beherrscht. Denn es ist davon auszugehen, dass ein bestimmtes Kommunikationsniveau Voraussetzung für eine Verständigung mit sprachlichen oder nichtsprachlichen Symbolen ist. Die Diagnostik der Verständigungsfähigkeit ist möglich über eine gezielte Verhaltensbeobachtung. Hierzu wurde von Rotter, Kane und Gallé (1992) ein Beobachtungsverfahren entwickelt, das im Folgenden kurz beschrieben werden soll.

Ziel der Beobachtungen ist die Beschreibung des Verhaltens in kommunikativen Situationen. Hierzu werden Situationen vorgegeben, die das Kind zu kommunikativen Reaktionen anregen sollen. Reaktionen auf die kommunikationsauslösenden Situationen können Stufen der Kommunikationsentwicklung zugeordnet werden, um so den Entwicklungsstand eines Kindes zu beschreiben. Dabei geht es vor allem um die Beschreibung seines »typischen« Kommunikationsverhaltens, weniger um nur vereinzelt gezeigte »maximale« Leistungen.

Kommunikationsauslösende Situationen

Als Kommunikationsanlass werden relativ lebensnahe Situationen vorgegeben, die bei den meisten Kindern eine Reaktion mit Kommunikationscharakter hervorrufen. Dabei hängt die Art einer Mitteilung wesentlich mit dem Ziel zusammen, das erreicht werden soll, also mit ihrer Funktion. Allerdings ist die Funktion nicht immer eindeutig erkennbar, deshalb wird bei diesen Beobachtungen die Funktion über die auslösende Situation und nicht über ein spezifisches Verhalten definiert. In der frühen Kommunikation stehen vor allem drei Funktionen im Vordergrund:

•  das Fordern von Gegenständen oder Handlungen

•  das Kommentieren von Ereignissen

•  Protest.

Fordern wird wahrscheinlich, wenn beim Kind ein Wunsch geweckt wird, den es sich nicht allein erfüllen kann. Liegt ein interessanter Gegenstand außer Reichweite, so liegt nahe, dass das Kind mit seinem Verhalten seinen Wunsch im Sinne eines »Gib ihn mir« signalisiert. Ein interessantes Spielzeug oder eine Flasche mit dem Lieblingsgetränk sind gut geeignet, diesen Wunsch auszulösen

Lässt sich der Gegenstand nur mit einer Handlung nutzen, die das Kind nicht alleine ausführen kann, so kann sein Verhalten diese Handlung vom Erwachsenen einfordern. Ein Luftballon muss aufgeblasen werden, Seifenblasen sollen fliegen oder die Flasche mit dem Lieblingsgetränk ist so fest verschlossen, dass nur die Erwachsene sie öffnen kann. Allerdings setzt das Fordern einer Handlung voraus, dass das Kind weiß, dass die entsprechende Handlung, z. B. Flasche öffnen, Mittel ist zum Zweck, den Saft aus der Flasche zu bekommen.

Kommentieren ist am ehesten zu beobachten, wenn ein Kind etwas Interessantes sieht oder hört und diese Erfahrung mit einer Erwachsenen teilen möchte. Erklingt plötzlich ein Glockenspiel, fällt ein Aufziehmotorrad vom Tisch oder leuchten bunte Lichter auf, so kann dies ein Kind dazu anregen, die Erwachsene auf diese Ereignisse hinzuweisen (z. B. durch Zeigen oder durch »oh«), oder sein Interesse durch das Pendeln des Blicks zwischen Ereignis und Erwachsener mitzuteilen.

Protest kann man auslösen, indem man einem Kind unbeliebte Aktivitäten oder Gegenstände anbietet, oder ihm etwas fortnimmt, an dem es Interesse zeigt. Vielleicht verwundert es, dass bei dieser Diagnostik Protest gezielt provoziert werden soll, da ja gerade in der Arbeit mit behinderten Kindern oft der Wunsch nach Kooperation im Vordergrund steht. Doch für ein selbstbestimmtes Leben ist das »Nein-Sagen« ebenso wichtig wie das Fordern oder die Äußerung von Zustimmung. Außerdem haben manchmal »störende« Verhaltensweisen wie Schreien, Aggressionen und auch Selbstverletzung die Funktion von Protest. Gerade deshalb ist es wichtig abzuklären, welche Verhaltensweisen ein Kind in Protest anregenden Situationen zeigt.

Durchführung der Untersuchung

Allgemeine Regeln für die Diagnostik durch Verhaltensbeobachtung: Für die Durchführung der Beobachtungen der Kommunikation gibt es einige Grundregeln, die hier zunächst dargestellt werden sollen. Da die meisten Regeln auch für die Beobachtung des kognitiven Verhaltens gelten, werden sie an dieser Stelle für beide Bereiche gemeinsam dargestellt. Wird die Untersuchung von einer dem Kind fremden Person durchgeführt, so sollte eine Bezugsperson anwesend sein. Dies gibt dem Kind wichtigen emotionalen Rückhalt und ermöglicht es darüber hinaus, das kindliche Verhalten während der Untersuchung mit seinem Alltagsverhalten zu vergleichen. Optimal ist, wenn die Untersuchung auf Video aufgezeichnet werden kann, da es während der Durchführung schwierig ist, subtile Verhaltensweisen eines Kindes zu erkennen. Dies gilt vor allem für die frühen Entwicklungsphasen.

Es hat sich bewährt, die Beobachtungen am Tisch sitzend durchzuführen, wobei nur die für die jeweilige Situation benötigten Gegenstände auf dem Tisch sein sollten. Dies erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass das Kind die Vorgabe beachtet und seine Verhaltensweisen tatsächlich Reaktionen auf die vorgegebene Situation sind. Dadurch wird wahrscheinlicher, dass sie im Bereich der Kommunikation die erwartete Funktion haben, selbst wenn die Funktion nicht eindeutig am Verhalten zu erkennen ist. Dies ist besonders wichtig bei Kindern auf relativ niedrigem Entwicklungsstand und bei Kindern mit wenig ausgeprägten Reaktionen. Die Dauer der Beobachtung sollte auf die Ausdauer des Kindes abgestimmt werden. Bei schlechter Motivation, Ermüdung oder Irritation sollte man abbrechen. Erfahrungsgemäß können viele Kinder etwa 15 bis 20 Minuten mitarbeiten, wenn die Untersuchung locker und abwechslungsreich gestaltet wird.

Die Vorgabe der Situationen ist nicht standardisiert. Ziel ist es, möglichst vielfältige Reaktionen auszulösen. Für jede Situation muss die Motivation des Kindes geweckt werden. Dies geschieht zum einen durch intensiven positiven Kontakt zum Kind, durch Beachtung seiner Aufmerksamkeit und Ermüdung und durch Abstimmung der verwendeten Gegenstände auf die Interessen des Kindes, wobei (als Ausnahme) auch Leckereien angeboten werden können.

Die einzelnen Aufgaben können in beliebiger Reihenfolge gegeben werden, abgestimmt auf die Präferenzen des Kindes. Oft bieten sich inhaltlich sinnvolle Darbietungssequenzen an. Ein Beispiel aus dem Bereich der Kommunikation ist, dass man zunächst eine Seifenblasendose außer Reichweite stellt, nach einer Reaktion des Kindes ihm diese fest verschlossen gibt und abwartet, wie es fordert, dass die Erwachsene blasen soll. Wenn man dann geblasen hat, kann man beobachten, ob das Kind auf die fliegenden Blasen mit einem Kommentar reagiert. Jede der Situationen sollte mehrmals und mit unterschiedlichen Materialien gestaltet werden, damit man mehrere Verhaltensbeispiele erhält. Bei der Untersuchung der kognitiven Entwicklung ist es auch günstig, wenn man zwischen den Untertests wechselt, um durch neue Aufgabentypen das Interesse des Kindes wach zu halten. Löst ein Kind eine Aufgabe nicht, so ist es sinnvoll, diese nochmals zu einem späteren Zeitpunkt mit anderen Materialien anzubieten, um zu klären, ob eventuell fehlende Motivation oder Ermüdung die eigentliche Ursache hierfür sind.

Spezielle Regeln für die Kommunikationsbeobachtung: Grundsätzlich sollten stets die Erwartungen des Kindes erfüllt bzw. seine Botschaften erfolgreich sein, d. h. das, was es fordert, bekommt es auch, oder da, wo es protestiert, wird dies akzeptiert. Da die Untersucherin die Situationen vorgibt, kann sie meist auch bei unklaren Signalen angemessen reagieren. Allerdings fanden wir in einer Untersuchung (Hammer, Zürn, Kane 1998), dass Kinder oft zunächst als Reaktion auf die kommunikationsauslösenden Situationen sehr einfache Signale benutzen, um Interesse oder Wünsche mitzuteilen. Hier können gezielte »Missverständnisse« weitere Mitteilungen des Kindes anregen. Dabei reagiert die Untersucherin zunächst mit einem nicht der Mitteilung entsprechenden Verhalten (z. B. legt sie das Spielzeug, auf das das Kind blickt, an die andere Ecke des Tisches, statt es ihm zu geben), bleibt aber im Kontakt mit dem Kind und macht deutlich, dass sie an einer Auflösung des Missverständnisses interessiert ist. In unserer Untersuchung folgte fast immer auf eine falsche Reaktion der Erwachsenen eine erneute Botschaft. Mehr als die Hälfte dieser neuen Botschaften war auf einem höheren Niveau als die erste Mitteilung und äußerst selten auf niedrigerem. Missverständnisse schafften somit zusätzliche Gelegenheiten zur Kommunikation und forderten häufig eine Verdeutlichung der Äußerung heraus.

Allerdings zeigt eine Untersuchung von Wilcox und Webster (1980), dass Missverständnisse emotional belasten können. Sie fanden in der Interaktion von Eltern mit ihren nichtbehinderten Kindern im zweiten Lebensjahr häufig Missverständnisse und deutliche Hinweise auf Stresserleben, bis hin zu Kommunikationsabbrüchen. In der Untersuchung von Hammer et al. waren ebenfalls Frustrationssignale nach Missverständnissen zu beobachten; einige Kinder wandten sich nach Missverständnissen kurz ab, nestelten an ihrer Kleidung, lutschten am Daumen usw. Die Belastung blieb aber begrenzt und Kommunikationsabbruch wurde völlig vermieden, wenn die Untersucherin dem Kind signalisierte, dass sie sich um ein Verstehen bemühte und das Kind letztendlich die gewünschte Reaktion erfuhr.

Auswertung der Beobachtungen

Allgemeinverhalten bei der Beobachtung von Kognition und Kommunikation

1.  Kontakt: Wie war der Kontakt zum Kind? Suchte es Blickkontakt? Mochte es Körperkontakt? Wirkte es zurückhaltend oder offen? War es eventuell durch Schüchternheit gehemmt?

2.  Interesse und Motivation: Wie war die Mitarbeit des Kindes? Ermüdete es schnell? Interessierte es sich nur für wenige Dinge oder sprach es auf viele Situationen an? Galt sein Interesse eher Gegenständen, Ereignissen oder den Erwachsenen? Waren kommunikative Äußerungen auf die auslösenden Situationen beschränkt oder machte es auch spontane Mitteilungen, so als habe es ein großes Mitteilungsbedürfnis? Zeigte es Freude an gelungenen Problemlösungen und wiederholte es diese z. T. spontan?

3.  Umgang mit Belastung: Zeigte es negative Emotionen, wenn Wünsche nicht sofort erfüllt wurden oder es eine Aufgabe nicht lösen konnte? Zeigte es Belastungssignale (z. B. Abwenden, Gähnen, Stereotypien, Schreien, Aggressionen) bei Missverständnissen oder bei Unter- oder Überforderung? Waren sie eher subtil, wie kurzes Abwenden, oder heftig, wie Schreien oder Versuche, aus der Situation zu kommen?

4.  Generalisierbarkeit der Beobachtungen: Entsprach das Verhalten des Kindes nach Eindruck seiner Eltern oder Erzieher seinem Alltagsverhalten?

Entwicklungsstufen

In unseren Untersuchungen fanden wir fünf Stufen der vorsprachlichen Entwicklung, die die meisten Kinder in gleicher Reihenfolge erlernen. Allerdings ist es nicht so, dass ein Kind kontinuierlich eine Stufe nach der anderen erklimmt und die niedrigeren Stufen jeweils hinter sich lässt. Die Verhaltensweisen einer neuen Stufe erweitern das verfügbare Kommunikationsrepertoire, sie ersetzen nicht die früheren (Kane 1994). Im Folgenden werden die fünf Stufen kurz beschrieben, für eine ausführliche Darstellung der Stufen mit Besonderheiten der Entwicklung bei Kindern mit Behinderungen wird auf Kane (1992) und Rotter, Kane, Gallé (1992) verwiesen. Zur Bestimmung der Stufe werden vor allem die Modalitäten Blickrichtung, Gesten und Laute verwendet. Die gerade für die Befindlichkeit des Kindes ebenfalls sehr informative Mimik wurde für die Bestimmung des Niveaus nicht berücksichtigt, da sie schon in den ersten Lebenswochen sehr differenziert und ausgeprägt ist und sich keine so deutliche Entwicklungslinie zeigt wie in den anderen Modalitäten. Aber sicherlich spielt in der Verständigung auch der gezeigte Affekt eines Kindes eine sehr große Rolle für die Interpretation seiner Äußerungen.

Ungezieltes Verhalten gibt Eltern bereits in den frühesten Interaktionen mit dem Säugling wichtige Informationen. Nicht nur das Schreien wird als Signal für Hunger, Müdigkeit oder Bauchweh verstanden, sondern auch subtilere Verhaltensweisen wie Mimik und Körperspannung werden aufgegriffen, indem die Eltern z. B. auf ein Anschauen mit dem typischen Augengruß, einem Lächeln und zärtlichen Lauten reagieren oder ein Erschlaffen des Tonus als Müdigkeit deuten. Das Kind verfügt von Geburt an über Verhaltensweisen, auf die Eltern intuitiv reagieren (Papousek, Papousek 1989) und oft sogar eine Mitteilungsabsicht unterstellen (Wohlfahrt 1993). In den Untersuchungssituationen ist es vor allem bei ungezieltem Verhalten schwierig, es einer Funktion zuzuordnen. Sie wird aus der auslösenden Situation erschlossen, ohne hier eine Absicht zu unterstellen. Bei der Untersuchung wäre eine Veränderung im Körpertonus beim dem Ertönen eines Glockenspiels ein Beispiel für eine ungezielte Reaktion mit der Funktion eines Kommentares.

Gezieltes Verhalten setzt voraus, dass das Kind um seine Bedürfnisse und Interessen weiß und gezielt danach handelt. Es greift nach Dingen, die es haben möchte, schlägt damit auf den Tisch, um Krach zu produzieren, und lässt sie fallen, wenn es das Interesse verloren hat. Das Kind weiß, was es möchte bzw. was ihm fehlt. Seine Aufmerksamkeit ist dabei ausschließlich auf das Ziel gerichtet, sei dies ein Gegenstand oder eine Person, es kann seine Aufmerksamkeit noch nicht zwischen zwei Zielen (Spielzeug und Person) teilen. Greift es nach einem weit entfernt liegenden Spielzeug, so ist dies ein Versuch, es selbst zu erreichen und nicht ein Appell an die daneben sitzende Untersucherin, es ihm zu geben. Dies wird dadurch deutlich, dass es in dieser Situation keinen Blickkontakt mit ihr aufnimmt und sich auch nicht mit Lauten an sie wendet.

Partnerbezogene Äußerungen sehen viele Autoren als Beginn der eigentlichen intentionalen Kommunikation, da erst hier eine Mitteilungsabsicht des Kindes erkennbar wird (Bates 1979). Streckt ein Kind seine Hand zu einem entfernt liegenden Spielzeug aus und schaut dabei mit »pendelndem Blick« (auch referentieller Blick oder Triangulierung genannt) zwischen der Untersucherin und dem Spielzeug hin und her, möglicherweise noch mit begleitendem Laut, so wird hier ein Appell an die Partnerin im Sinne von »Gib es mir« deutlich. Hier kennt das Kind nicht nur sein Ziel, sondern es kann sich an andere wenden, damit sie ihm bei der Erreichung dieses Ziels helfen.

Konventionelle Äußerungen geschehen über in einer Kultur übliche Gesten oder Laute. Ein Kind zeigt mit ausgestrecktem Zeigefinger auf ein interessantes Ereignis oder auf etwas, das es haben möchte, nickt bei Zustimmung oder äußert »ee«, um zu protestieren. Wesentliches Merkmal dieser Gesten oder Laute ist, dass ihre Bedeutung durch die Konvention in einer bestimmten Kultur festgelegt ist. Dies wird deutlich, wenn man z. B. in Griechenland mit Kopfschütteln antwortet – es hat dort bejahende Bedeutung.

Symbolische Kommunikation geschieht meist durch die Verwendung von gesprochener Sprache. Hier stehen Worte symbolisch für Dinge, Handlungen oder Konzepte. Und die Begeisterung von Eltern über die ersten Worte ihrer Kinder macht deutlich, wie wichtig ihnen das Sprechen ist. Aber auch Bewegungen können Symbolcharakter haben, wie etwa das Victory Zeichen oder die Segensgeste. Heute wird die symbolische Qualität von Gebärdensprachen international anerkannt, und auch Zeichensysteme wie Schrift oder andere visuelle Symbolsysteme (z. B. BLISS, Becker, Gangkofer 1994) ermöglichen eine Verständigung mit Symbolen.

Einschätzung des Entwicklungsstandes

Häufig machen Kinder Mitteilungen auf unterschiedlichem Niveau (Hammer, Zürn, Kane 1998). Deshalb ist es sinnvoll, zunächst alle kindlichen Reaktionen zu beschreiben und zwar detailliert die Verwendung von Blicken, Lauten und Bewegungen und deren Kombination. Zusätzlich empfiehlt es sich festzuhalten, ob es einen Zusammenhang zwischen der Funktion und der Form bzw. dem Niveau einer Mitteilung gibt. Manche Kinder können zwar partnerbezogen Ereignisse kommentieren, fordern aber nur durch gezieltes Verhalten, indem sie z. B. versuchen, selbst ein außer Reichweite liegendes Objekt zu greifen. Tabelle 1 beschreibt für jede Funktion typische Verhaltensweisen, um eine Zuordnung der beobachteten Reaktionen zu den vier Stufen vor Beginn der symbolischen Kommunikation zu erleichtern. Ergänzend gibt die Tabelle zu jeder Stufe Angaben, von welchem Alter an diese Stufe bei nichtbehinderten Kindern zu beobachten ist. Diese Angaben sind nicht als Normwerte zu verstehen, sondern sollen z. B. bei einem Vergleich der Kommunikationsentwicklung mit anderen Entwicklungsbereichen einen Referenzwert geben. Sie sind der Literatur zur Kommunikationsentwicklung entnommen und basieren nicht auf systematischen Untersuchungen einer repräsentativen Kindergruppe. Sicherlich ist von einer sehr breiten Streuung im ersten Auftreten der entsprechenden Stufen auszugehen, und ihr Fortbestehen bis ins Erwachsenenalter gilt nicht nur für die Zeigegeste, sondern ebenso für die Kommunikation über Blicke oder Veränderungen der Körperspannung.

Tab. 1: Stufen und Funktionen kommunikativer Äußerungen

Stufe FunktionUngezieltes Verhalten (ab Geburt)Gezieltes Verhalten (ab ca. 5 Mon.)Partnerbezogene Äußerung (ab ca. 8 Mon.)Konventionelle Äußerung (ab ca.11 Mon.)

Interpretation

Die Entwicklungsstufen dienen der umfassenden Beschreibung der Vielfalt kindlicher Äußerungen, nicht der Zuordnung von Kindern zu bestimmten Stufen oder Niveaus. Die typische Kommunikation eines Kindes wird durch häufig gezeigte Reaktionen charakterisiert, weniger durch das höchste erreichte Niveau, wenn es dieses nur selten verwendet. Es ist auch relevant, welchen Kommunikationskanal ein Kind meist benutzt. Verständigt es sich eher über Blicke, Laute oder Gesten oder nutzt es alle drei Kanäle? Dies kann wichtige Hinweise dafür geben, welcher Kanal für eine Förderung am ehesten erfolgversprechend ist.

Mitteilungen bestehen häufig aus mehreren Komponenten, aus der Kombination verschiedener Mittel. In unseren Arbeiten fanden wir, dass die Kombination von Kommunikationsmitteln ein Hinweis auf die Sicherheit bei ihrer Verwendung ist. Während manche Kinder häufig nur einen Kommunikationskanal nutzten, kombinierten andere häufig Blicke, Laute und Gesten in ihren Mitteilungen. In der Phase des Neuerwerbs werden Mittel oft isoliert verwandt, mit zunehmender Sicherheit sind Kinder in der Lage, sie effektiv zu verbinden. Hammer, Zürn und Kane (1998) fanden bei einer längsschnittlichen Betrachtung der Kommunikation von Kindern mit Down Syndrom nach einem Jahr bei den meisten Kindern Fortschritt im Erreichen eines neuen Niveaus, bei anderen darin, dass im ersten Jahr selten gezeigte Kommunikationen mit Partnerbezug ein Jahr später häufiger verwendet und auch kombiniert wurden, während Mitteilungen ohne Partnerbezug zurückgingen. So lässt sich das Kommunikationsniveau zum einen durch das höchste Kompetenzniveau definieren, im Sinne der höchsten kommunikativen Fähigkeit, die es zeigt. Dieses Kompetenzniveau wird traditionell zur Charakterisierung eines Kindes verwandt. Differenzierter und für den Alltag relevanter ist nach Bretherton et al. (1979) die Beschreibung des sicher verfügbaren Repertoires, d. h. der am häufigsten gezeigten Reaktionen, die einem Gefühl von Kompetenz (sense of competence) entsprechen. Das »Gefühl von Kompetenz« umschreibt das Niveau, auf dem sich ein Kind im Alltag sicher bewegt. Eine Verbesserung in diesem Bereich ist für den kindlichen Alltag viel bedeutungsvoller als nur eine Steigerung eines selten gezeigten maximalen Kompetenzniveaus.

Für eine Förderung ist relevant, wie ein Kind auf Missverständnisse reagierte. Verdeutlichte es seine Mitteilungen auf höherem Niveau und wie belastet wirkte es? In der Untersuchung von Hammer, Zürn und Kane (1998) fand sich ein Zusammenhang zwischen der lebenspraktischen Selbständigkeit und Belastungssignalen nach Missverständnissen. Die selbständigeren Kinder zeigten deutlich weniger negative emotionale Äußerungen als die weniger selbständigen. Eine höhere Selbständigkeit scheint mit besseren Kompetenzen im Umgang mit Belastung einherzugehen. Die Nutzung gezielter Missverständnisse in der Kommunikationsförderung empfiehlt sich am ehesten für Kinder, die darauf mit einer Wiederholung und Steigerung ihrer Kommunikationsversuche reagieren ohne zu starke Belastungssignale.

Bei der Diagnostik der Verständigungsfähigkeit nicht sprechender Kinder steht häufig die Frage im Vordergrund, ob eine Kommunikationsanbahnung mit Symbolen sinnvoll ist. Bei einem Vergleich von nichtsprechenden und sprechenden Kindern mit Behinderung fanden Ritzenfeldt und Rotter (1989), dass sie sich deutlich in der Verwendung konventioneller Kommunikationsmittel unterschieden. Die sprechenden Kinder nutzten etwa dreimal so häufig konventionelle Mittel wie die nichtsprechenden. Eine besonders häufige konventionelle Geste war das Zeigen, und es gab bei den behinderten Kindern kein sprechendes Kind, das nicht das Zeigen sicher beherrschte. Auch für nicht-behinderte Kinder betonen Autoren die Bedeutung des Zeigens, da in ihren Untersuchungen Kinder immer zeigten, bevor sie erste Worte sprachen (z. B. Leung und Rheingold 1981). Nach einer Untersuchung von Müller (1987) ist die Beherrschung der Zeigegeste auch für das Erlernen von Gebärden ein wichtiger Vorläufer. Fehlen konventionelle Mittel oder sind sie nur selten im kindlichen Kommunikationsrepertoire zu sehen, so scheint es wenig sinnvoll, bei der Förderung symbolische Mittel zu verwenden. Eine Ausnahme ist natürlich, wenn ein Kind aufgrund organischer Probleme wie einer Körperbehinderung nicht in der Lage ist, konventionelle Mittel zu produzieren. Bei diesen Kindern bedarf es oftmals einer längeren intensiven Beobachtung, um festzustellen, ob ein Kind über ein Symbolverständnis verfügt. Nutzt dagegen ein Kind häufig das Zeigen und andere konventionelle Mittel, und erfindet es eventuell selbst ein eigenes beschreibendes Gestenrepertoire (z. B. Zeigefinger und Daumen am Auge als Bezeichnung für das Videoteam), so sind in der Kommunikation die Voraussetzungen für eine Verständigung über Symbole gegeben. Abzuklären ist allerdings noch, ob das Kind auch in seiner intellektuellen Entwicklung die Voraussetzungen für Sprache erworben hat.

Diagnose der intellektuellen Entwicklung

Der herausragende Entwicklungspsychologe Piaget beschreibt die intellektuelle Entwicklung als Prozess, bei dem ein Kind durch ein Zusammenspiel von Wahrnehmung und eigenem Handeln Fähigkeiten erwirbt, die einen zunehmend gezielteren, effektiveren und komplexeren Umgang mit der Umwelt ermöglichen.

Die frühe Entwicklung in den ersten beiden Lebensjahren nennt Piaget sensomotorische Phase. Zu Beginn dieser Phase reagiert das Kind reflexartig auf Umweltgeschehnisse, am Ende dieser Phase kann es gezielt und vorausplanend handeln, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Piaget unterscheidet sechs Entwicklungsbereiche, die eng zusammen hängen und sich gegenseitig beeinflussen (Piaget 1975). Piaget geht von einer großen Bedeutung der Sensomotorik für die Sprache aus, wenn er schreibt »language is a product of intelligence rather than intelligence being a produt of language« (Piaget 1980, 167). Für die Sprachentwicklung werden von verschiedenen Autoren unterschiedliche Entwicklungsbereiche als relevant angesehen, wobei Untersuchungen nahe legen, dass bestimmte kognitive Entwicklungsschritte dem Sprachbeginn vorausgehen, auch wenn der Zusammenhang noch nicht eindeutig aufgeklärt ist. Die Bedeutung der Bereiche dürfte auch davon abhängen, zu welchem Zeitpunkt der Zusammenhang untersucht wird (z. B. Beginn der Sprachentwicklung oder Mehrwortphase) und welcher Aspekt der Sprache betrachtet wird (z. B. Sprachverständnis, Wortschatz oder grammatische Struktur).

Geht man von einem engen Zusammenhang zwischen sensomotorischer und sprachlicher Entwicklung aus, so wird es wichtig, bei nicht sprechenden Kindern auch das Niveau ihrer kognitiven Entwicklung zu berücksichtigen. Dabei ist abzuklären, ob ein Kind die kognitiven Voraussetzungen für bestimmte Kommunikationsformen erworben hat. Zur Diagnostik der kognitiven Entwicklung eines Kindes eignen sich sehr gut die Ordinalskalen zur sensomotorischen Entwicklung von Uzgiris & Hunt (Sarimski 1987). Sie sind ein Instrument zur systematischen Verhaltensbeobachtung. Dem Kind werden Problemstellungen aus den sechs Entwicklungsbereichen dargeboten (z. B. Spielzeug wird versteckt) und der Umgang des Kindes mit diesen Situationen wird beobachtet (sucht an richtiger Stelle oder sucht an falscher Stelle oder verliert Interesse). Auch diese Skalen sind nicht in der Durchführung standardisiert, sondern die Situationen sollen auf die Interessen und Vorlieben des Kindes abgestimmt werden. Dadurch sind sie gut für Kinder mit Besonderheiten in ihrer Entwicklung wie geistiger Behinderung oder emotional-motivationalen Schwierigkeiten geeignet.

Ziel der Beobachtungen ist die Beschreibung des kognitiven Entwicklungsstandes in den sechs Bereichen. Als Beobachtungsinstrument haben die Skalen keine Normwerte, und es ist auch nicht sinnvoll, einen Gesamtwert im Sinne eines Intelligenz oder Entwicklungsquotienten zu berechnen (Hoppe-Graff 1998). Somit sind sie nicht für die Feststellung einer Behinderung bzw. deren Ausmaß geeignet. Doch geben Alters-Richtwerte und eine Zuordnung der Aufgaben zu den von Piaget beschriebenen Entwicklungsstufen einen Bezugsrahmen für die an Piagets Theorie orientierte Interpretation der Ergebnisse.

Beschreibung der Ordinalskalen

Bei den Ordinalskalen nimmt in jeder Unterskala der Schwierigkeitsgrad der Aufgaben vom ersten zum letzten Item hin zu. Von der Konstruktion her sollte die Beherrschung einer schwierigeren Aufgabe immer die Beherrschung aller darunter liegenden implizieren. Auch für behinderte Kinder wurde generell die gleiche ordinale Folge von Entwicklungsschritten berichtet, doch fanden Deckert und Verhoeven (1987), dass dies nicht immer der Fall ist. Sie beobachteten bei Kindern mit Behinderungen immer wieder, dass Aufgaben auf höherem Niveau gelöst wurden, obwohl von der Skala her einfachere nicht gelöst werden konnten. Deshalb ist es gerade bei Kindern mit Behinderungen sinnvoll, in jeder Unterskala mehrere Aufgaben zu geben, um individuelle Abweichungen der Entwicklungssequenz zu erfassen.

Im Folgenden sollen die Unterskalen kurz beschrieben und jeweils mit einer der ersten Aufgaben und einer weiteren, die mit etwa einem Jahr, d. h. am Beginn des Spracherwerbs, gelöst wird, verdeutlicht werden. Zusätzlich wird die Bedeutung der Bereiche für die Verständigungsentwicklung angesprochen. Dabei haben viele Untersuchungen Zusammenhänge zwischen sensomotorischer Entwicklung und der Sprachentwicklung gefunden, ohne dass sicher nachgewiesen wäre, welches Entwicklungsniveau in welchem Bereich Voraussetzung für welche sprachliche Kompetenz ist. Doch ist es gerade für eine gezielte Förderung bei Kindern mit Behinderungen sinnvoll, sich vor Beginn einer systematischen Förderung zu vergewissern, ob ein Kind in der Sensomotorik zumindest das Niveau erreicht hat, das bei nicht behinderten Kleinkindern bei dem entsprechenden Verständigungsniveau üblich ist. Unserer Erfahrung nach ist es sogar günstig, wenn Kinder mit Behinderungen in der Sensomotorik eher schon etwas weiter entwickelt sind als nicht behinderte Kinder in der entsprechenden Phase des Spracherwerbs.

Visuelles Verfolgen und Objektpermanenz

Diese Skala erfasst die Entwicklung des Verständnisses, dass Dinge unabhängig von der momentanen Wahrnehmung existieren. Schon mit etwa einem Monat können Kinder Personen und Objekte fixieren, und wenig später sind sie in der Lage, sie über einen Winkel von 180 Grad hinweg mit dem Blick zu verfolgen. Mit etwa einem Jahr haben Kinder eine so sichere innere Vorstellung von Dingen, dass sie einen Gegenstand, den eine Untersucherin vor den Augen des Kindes mit der Hand umschließt und dann aus der geschlossenen Hand unter ein Tuch legt, finden. Ihr inneres Bild des Gegenstandes ist so sicher, dass sie seine nicht direkt beobachtbare Ortsveränderung aus der Hand unter das Tuch erschließen können.

Wenn ein Kind versteht, dass Dinge und Personen in seiner Umwelt unabhängig von der momentanen Wahrnehmung existieren, kann es auch verstehen, dass ein Begriff nicht nur der Name einer gerade anwesenden Person oder eines Objektes ist, sondern auch dieses Objekt repräsentieren kann, wenn es abwesend ist. Und ein Kind kann nur dann etwas fordern oder kommentieren, was es in dem Moment nicht sieht, wenn es ein inneres Bild von den Dingen oder Ereignissen hat.

Entwicklung von Mittel-Zweck-Verbindungen

Diese Skala erfasst die zunehmende Fähigkeit des Kindes, eine Handlung zu planen und auszuführen, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Schon mit etwa drei Monaten wiederholen Kinder Armbewegungen, um ein Spielzeug in Bewegung zu halten. Mit gut einem Jahr erkennen Kinder, dass sie einen auf dem Tisch liegenden Stab als Mittel benutzen können, um ein begehrtes Spielzeug heranzuholen.

Das Verständnis, dass ich Mittel nutzen kann, um einen Zweck zu erreichen, ist Grundlage für die Verwendung von Kommunikation als Mittel, um eigene Wünsche zu verdeutlichen oder um die Aufmerksamkeit anderer zu lenken. Wenn ein Kind zwar partnerbezogen kommentiert, aber nicht intentional (mit Partnerbezug) fordert, so kann dies an Schwierigkeiten im Mittel-Zweck Verständnis liegen.

Entwicklung der Gesten- und Lautimitation

Schon in den ersten Lebenswochen ist Nachahmung möglich (Zunge herausstrecken), sie scheint »reflexartig« vorprogrammiert. Beim Säugling beginnen Nachahmungsspiele zunächst oft, indem die Mutter Mimik und Laute des Kindes »nachahmt«, im Sinne eines biologischen Spiegels, z. B. öffnen die meisten Erwachsenen beim Füttern selbst den Mund. Mit etwa einem Jahr können Kinder neue Bewegungen nachahmen, wenn sie diese an sich selbst beobachten können (z. B. auf Tisch klopfen).

Anfänge der Lautimitation liegen darin, dass Kinder schon früh positiv auf die Stimme reagieren und mit etwa drei Monaten auf gurrende Laute mit eigenen Lauten antworten. Mit etwa einem Jahr imitieren Kinder vertraute Worte und bald darauf auch fremde Lautmuster zumindest in Annäherung.

Die Produktion von Worten setzt voraus, dass ein Kind Laute und Lautkombinationen nachahmen kann, und Gebärden kann ein Kind erst erlernen, wenn es Bewegungsabläufe imitieren kann. Auch das Lernen konventioneller Gesten (Zeigen) oder Laute (oh) erfordert die Fähigkeit, einfache Bewegungs- und Lautmodelle nachzuahmen.

Entwicklung der Wahrnehmung kausaler Zusammenhänge

Durch Exploration und Beobachtung entdeckt das Kind, dass Umweltgeschehnisse »Ursachen« haben, die in den eigenen Handlungen, Handlungen anderer oder mechanischen Vorgängen liegen können. Schon mit etwa drei Monaten wiederholen Kinder Armbewegungen, um ein Mobile in Gang zu halten, und mit etwa einem Jahr wiederholen sie Verhaltensweisen, die die Aufmerksamkeit der Erwachsenen auf sie ziehen, bzw. geben Erwachsenen ein Spielzeug, damit sie es wieder in Gang setzen.

Das Verständnis des Zusammenhangs zwischen Handlung und Effekt bzw. Konsequenz ist wichtig dafür, dass ein Kind versteht, dass Gesten oder Worte ein bestimmtes Ergebnis erreichen können. Außerdem kann ein Kind bestimmte Handlungen wie das Aufziehen eines Spielzeugs nur fordern, wenn es versteht, dass dieses Aufziehen Ursache für die Bewegungen oder Musik ist, die das Spielzeug dann produziert.

Entwicklung der Wahrnehmung von räumlichen Zusammenhängen

Das räumliche Verständnis beinhaltet das allmähliche Erkennen der Bedeutung von Nähe und Ferne, von oben und unten, von innen und außen. Die Entwicklung in diesem Bereich ist eng gekoppelt an Erfahrungen in grob- und feinmotorischer Bewegung. Schon mit etwa zwei Monaten suchen Kinder nach einer Geräuschquelle und können den Blick zwischen zwei Objekten hin- und her bewegen. Mit etwa einem Jahr kippen Kinder Gegenstände aus einem engen Behälter aus oder rühren mit einem Löffel in einer Tasse.

In der Literatur wird kein Zusammenhang zwischen dem räumlichen Verständnis und der Sprachentwicklung berichtet. Kinder mit geistiger Behinderung sind oft in diesem Bereich weiter als in den anderen sensomotorischen Bereichen entwickelt, wenn sie aufgrund einer altersgemäß entwickelten Motorik vielfältige Raumerfahrung machen konnten.

Entwicklung von Schemata im Umgang mit Objekten

Kinder entwickeln zunehmend komplexere Handlungsmöglichkeiten im Umgang mit Gegenständen. Sie berücksichtigen allmählich deren sozial übliche Verwendung (kämmen mit Kamm), lösen sich von ihrer realen Form (»Als ob Spiel« mit kleinen Autos) und nutzen sie schließlich auch in symbolischer Bedeutung (telefonieren mit einem Stock).

Erste Verhaltensmuster im Umgang mit Objekten sind das Greifen und Festhalten mit ein bis zwei Monaten und das Explorieren mit allen Sinnen. Mit etwa einem Jahr können Kinder sozial bedeutungsvolle Handlungen mit Spielgegenständen ausführen und dabei so tun, als ob es reale Dinge wären (vom leeren Spielgeschirr »essen«).

Das Erfassen der sozialen Bedeutung von Gegenständen hängt oft mit dem Gebrauch der ersten Namen (Mama, Papa) zusammen. Der Aufbau eines größeren Wortschatzes tritt in der Phase ein, wenn ein Kind Dinge spielerisch als Symbol für etwas anderes verwenden kann, und das Gestalten von zunehmend längeren Spielsequenzen geht mit der Verwendung von Mehrwortäußerungen einher.

Tab. 2: Beispiele aus den Ordinalskalen der sensomotorischen Entwicklung von Uzgiris und Hunt (Sarimski 1987)

MonateObjektpermanenzMittel-ZweckLaut ImitationGesten ImitationKausalRäumlichSchemata

Die Altersangaben sind Richtwerte, nicht repräsentative Normen.

Durchführung der Ordinalskalen

Die Grundregeln für die Durchführung entsprechen denen der Kommunikationsbeobachtung und wurden bereits dort ausgeführt.

Auswertung des Entwicklungsstandes

Nachdem das Allgemeinverhalten nach den bei der Kommunikationsbeobachtung angegebenen Kriterien beschrieben wurde, wird der Entwicklungsstand eingeschätzt. Welche Aufgaben löste das Kind mit Leichtigkeit, wo hatte es Schwierigkeiten, welche Aufgaben konnte es nicht lösen? Aufgaben, die nur mit maximaler Außenmotivation gelöst wurden (z. B. mit Leckereien), sind meist noch nicht sicher beherrscht. Gibt es Ausfälle bei Aufgaben, die Kontakt zum Erwachsenen voraussetzen (Imitation, Kausalitäten) und somit Hinweise auf Probleme in der Beziehung? Bei Aufgaben, die ein Kind nicht löste, ist immer zu überlegen, ob dies durch mangelnde Motivation, Ermüdung oder Ablenkung geschehen sein könnte.

Man schätzt den sensomotorischen Entwicklungsstand für jeden Entwicklungsbereich getrennt ein. Im Testbogen findet man hierzu für jede Aufgabe eine Zuordnung zu den sechs Stufen der sensomotorischen Entwicklung nach Piaget und zu einem Entwicklungsalter. Diese Altersangaben basieren allerdings nicht auf einer Normierung an einer großen Anzahl von Kindern, sondern auf Angaben aus unterschiedlichen Forschungsprojekten. Ähnlich wie bei den Angaben zu den Kommunikationsniveaus dienen sie als Einschätzungshilfe, nicht als Normreferenz. Das bedeutet, dass diese Skalen nur zur Beschreibung des Entwicklungsstandes geeignet sind, nicht aber für eine Diagnostik einer Behinderung bzw. deren Ausmaßes.

In unserer Arbeit hat es sich bewährt, ein Entwicklungsprofil nicht anhand der Stufen von Piaget, sondern anhand der Altersangaben zu erstellen, da die Altersangaben für die sechs Stufen in den verschiedenen Bereichen sehr unterschiedlich sind. So wird z. B. die Stufe V im Bereich der Objektpermanenz bereits mit 9 Monaten erreicht, im Bereich der Laut- und Gestenimitation dagegen erst mit 17 bzw. 18 Monaten. Daraus lässt sich schließen, dass im Hinblick auf die Entwicklungsstufen ein heterogenes Profil »normal« und somit kaum zu interpretieren ist. Dagegen geben die Alterswerte eine gute Vergleichsgrundlage für das Erkennen von Schwächen und Stärken im Vergleich zu anderen Kindern: Darüber hinaus erleichtern die Altersangaben auch den Vergleich mit der Kommunikationsentwicklung.

Interpretation der Beobachtungen

Für die Diagnostik der Verständigungsfähigkeit ist vor allem die Frage abzuklären, ob ein Kind in der Sensomotorik die oben beschriebenen Vorläufer von bzw. Voraussetzungen für Sprache sicher beherrscht. Kinder erwerben in der kognitiven Entwicklung wichtige Grundlagen für die Verständigung mit Symbolen, zu denen aber noch weitere Fertigkeiten hinzukommen müssen, damit ein Kind Sprache oder Gebärden lernen kann. Eine Untersuchung von Ritzenfeldt und Rotter (1989) verglich in einem Sonderkindergarten 10 sprechende und 10 nicht-sprechende Kinder mit geistiger Behinderung. Sie fanden bei allen sprechenden Kindern (mehr als drei Worte) im Bereich Objektpermanenz ein Entwicklungsalter von knapp zwei Jahren (Stufe VI nach Piaget) und in Bereich Mittel-Zweck ein Entwicklungsalter von mindestens einem, meist aber zwischen anderthalb und zwei Jahren (Stufe V bzw. VI nach Piaget). Bei den nicht-sprechenden Kindern war das Bild sehr viel heterogener. Einige erreichten ein ähnliches kognitives Entwicklungsniveau, andere lagen in beiden Bereichen deutlich niedriger. Diese Ergebnisse sprechen dafür, dass die kognitive Entwicklung eine notwendige, aber nicht hinreichende Voraussetzung für den Spracherwerb ist. Und auch für das Erlernen einfacherer Kommunikationsvoraussetzungen gibt es Voraussetzungen, z. B. im Mittelzweck-Verständnis für die intentionale Kommunikation und in der Imitation für die konventionelle Kommunikation.

Kommunikation, Kognition und Sprachanbahnung

Die systematische Kommunikationsbeobachtung bietet in Kombination mit der Erfassung der sensomotorischen Entwicklung eine optimale Grundlage für das Erkennen der augenblicklichen Kommunikationsmöglichkeiten, die Planung einer Kommunikationsförderung sowie die Verdeutlichung von kindlichen Fortschritten.

Die hier vorgestellten Beobachtungsinstrumente kommen durch die Flexibilität in den verwandten Materialien und in der Durchführung den Bedürfnissen von Kindern mit Besonderheiten in ihrer Entwicklung sehr entgegen. Darüber hinaus erfordern sie auch nicht die Anschaffung teurer Testkästen und sind somit allen Interessierten leicht zugänglich. Doch kann gerade die Nicht-Standardisierung in der Praxis auch ein Nachteil sein. Im Rahmen von Fortbildungsveranstaltungen hat sich gezeigt, dass die Durchführung der Beobachtungen sehr hohe Anforderungen an die Untersucherin stellt. Schon kleine Abweichungen in der Durchführung können die Aufgabenschwierigkeit wesentlich verändern, deshalb sollten die Beobachtungssituationen sicher beherrscht und in ihren wesentlichen Merkmalen vor dem theoretischen Hintergrund verstanden werden (Hoppe-Graff 1989). Noch schwieriger aber ist in der Praxis eine objektive Auswertung der Beobachtungen. Bei den Ordinalskalen geht es nicht einfach um die Entscheidung, ob ein Kind eine Problemstellung löst oder nicht, sondern gerade die Qualität der kindlichen Reaktion ist für die Einschätzung bedeutungsvoll. Die Ursachen für ein Nicht-Lösen können so vielfältig sein, dass oft erst in mehreren Versuchen abzuklären ist, über welche Kompetenzen ein Kind tatsächlich verfügt. Und bei der Beobachtung der Kommunikation sind oft sehr subtile Verhaltensweisen wie ein kurzer Blick zur Untersucherin entscheidend für die Einschätzung des Niveaus einer Mitteilung. Aus diesen Gründen erfordern diese so einfach erscheinenden Beobachtungen eine sehr intensive Einarbeitung in die zugrunde liegenden Modelle sowie in die Durchführung, Auswertung und Interpretation. Aber bei sicherem Beherrschen ist der Erkenntnisgewinn dann auch entsprechend groß, besonders bei einer Verknüpfung der beiden Beobachtungssysteme und ihrer integrierten Anwendung. Die Beschreibung an dieser Stelle möchte Neugier wecken, sie kann nicht die Auseinandersetzung mit den ausführlichen Darstellungen der Theorien und Durchführungsregeln (Sarimski 1987; Rotter, Kane, Gallé 1992) ersetzen.