4,99 €
Das Abenteuer geht weiter! Eine frisch gebackene Heilige, die keine sein will. Ein friedliebender König, der sich erst noch beweisen muss. Ein fröhlicher Dämon, der eine neue Aufgabe sucht. Ein angriffslustiger Faun, der die Spielregeln vorgibt. Ein verzwickter Fluch, der alles zu zerstören droht. Mit der neuen Rolle als Heilige kommen auch neue Probleme und Herausforderungen auf Vanessa zu. Während zwei grundlegend verschiedene Könige über die Zukunft ihrer jeweiligen Reiche streiten, werden im Volk rebellische Stimmen laut. Vanessa muss eine Seite wählen. Mit ihrer Entscheidung bringt sie jedoch nicht nur sich, sondern auch ihre Freunde in große Gefahr. Vanessa steht vor einer schwierigen Wahl. Sie spürt den Druck, sich für eine Seite zu entscheiden, doch sie möchte keine Heilige sein und schon gar nicht als Symbol für den Frieden zwischen den drei Königreichen dienen. Sie hasst alles an diesem lächerlichen Schauspiel, das sie aufführen muss, denn schnell wird klar, dass das Erscheinen einer Heiligen, die Angst und den Hass im ganzen Land nur noch weiter vorantreibt. Doch vor allem hasst sie die Könige von Licht und Schatten, die sie dazu zwingen. Ihr Wunsch nach Freiheit und Gerechtigkeit bringt sie dazu, nach alternativen Wegen zu suchen. Bei ihrer Suche nach einem Ausweg stößt Vanessa auf eine Rebellenorganisation, die sich für wahrhaftige Veränderungen einsetzt. Dafür nutzen sie jedoch äußerst fragwürdige Methoden. Die Situation wird noch komplizierter, als das Leben eines ihrer engsten Vertrauten in Gefahr gerät. Vanessa sieht sich gezwungen, ihre Kräfte als Heilige einzusetzen, um ihren Freund zu retten. Dabei entdeckt sie eine ungeahnte Stärke in sich und erkennt, dass sie mehr Macht hat, als sie jemals für möglich gehalten hätte.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 149
Veröffentlichungsjahr: 2023
Wüstenfuchsverlag
Vanessas Abenteuer
Band 1: Vanessa im Königreich der Lichter
Band 2: Vanessa und der Leopardenfluch
Sofie Krüger
Vanessa
und der Leopardenfluch
Mit Illustrationen der Autorin
© 2023 Sofie Krüger
Coverdesign von: Sofie Krüger (@mary_bones_arts)
Illustriert von: Sofie Krüger (@mary_bones_arts)
Verlagslabel: Wüstenfuchsverlag
ISBN Softcover: 978-3-347-87395-7
ISBN Hardcover: 978-3-347-87401-5
ISBN E-Book: 978-3-347-87404-6
Druck und Distribution im Auftrag der Autorin:
tredition GmbH, An der Strusbek 10, 22926 Ahrensburg, Germany
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist die Autorin verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne ihre Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag der Autorin, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", An der Strusbek 10, 22926 Ahrensburg, Deutschland.
So wie diese Geschichte in einer Stadt am Meer beginnt, habe ich dieses Buch in Rostock geschrieben. Ich bin in Warnemünde und in Binz gewesen, habe die frische Seeluft eingeatmet und diese Zeilen zu Papier gebracht.
Das Café, in dem ich mich aufgewärmt habe – denn es ist Januar gewesen – hatte passend zum maritimen Thema das Bild einer Sirene an der Wand und daneben stand folgender Satz geschrieben:
Sie verkörpert unsere Geschichte und lädt uns ein, die Welt zu entdecken.
Für Astrid und Robert, ohne die ich nicht da wäre, wo ich jetzt bin.
Für Sophie, die mit mir durch dick und dünn geht.
Für Martina, die mir geholfen hat, meine wirren Träume in Geschichten zu verwandeln.
Für Karl, Melli und Lisa, die mir einen Floh ins Ohr gesetzt haben.
Für Doris, die mich so liebevoll unterstützt.
Und für alle Vanessas da draußen, die ihre Farben noch nicht gefunden haben: Eure Zeit wird kommen.
Cover
Halbe Titelseite
Titelblatt
Urheberrechte
Widmung
Lächeln & Lügen
Höflichkeiten & Wyvern
Freundinnen & Feindseligkeit
Novizin & Hochstaplerin
Küchenkräuter & Anstecknadeln
Kronen & Könige
Hoffnungen & Scherben
Flügel & Sorgen
Unterstützung & Ungerechtigkeit
Himbeerkonfitüre & Luftschiffe
Handbuch & Koch
Bankette & Befehle
Geplänkel & Sturzflug
Gitterstäbe & Kratzspuren
Geständnisse & Versprechen
Gemüsekuchen & 500 Stufen
Jubelrufe & Dunkelheit
Veilchen & Verbitterung
Schnee & Messer
Entschuldigungen & Opfer
Verbannung & Schande
Feuer & Finsternis
Morgentau & Nebelschwaden
Sonnenschein & Nachtluft
Heilige & Monster
Reparaturen & Narben
Cover
Titelblatt
Urheberrechte
Widmung
Lächeln & Lügen
Reparaturen & Narben
Cover
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
38
39
40
41
42
43
44
45
46
47
48
49
50
51
52
53
54
55
56
57
58
59
60
61
62
63
64
65
66
67
68
69
70
71
72
73
74
75
76
77
78
79
80
81
82
83
84
85
86
87
88
89
90
91
92
93
94
95
96
97
98
99
100
101
102
103
104
105
106
107
108
109
110
111
112
113
114
115
116
117
118
119
120
121
122
123
124
125
126
127
128
129
130
131
132
133
134
135
136
137
138
139
140
141
142
143
144
145
146
147
148
149
150
151
152
153
154
155
156
157
158
159
160
161
162
163
164
165
166
167
168
169
170
171
172
173
174
175
176
177
178
179
180
181
182
183
184
185
186
187
188
189
190
191
192
193
194
195
196
197
198
199
200
201
202
203
204
205
206
207
208
209
210
211
212
213
114
Lächeln & Lügen
Die Sonne stand hoch am Himmel. Bienen und Schmetterlinge wiegten sich in der leichten Brise hin und her, die von der Seegrasbucht herüberwehte. Gedankenverloren tanzte die junge Hexe über das weiche Gras bis hin zu einem großen Apfelbaum.
Im Schatten seiner ausladenden Äste stellte sie sich auf die Zehenspitzen und streckte die Hand aus, um die schönste Frucht zu pflücken. Einen glänzenden, strahlend roten Apfel, der süßer schmeckte als jeder Kuchen.
Doch kaum hatte die Hexe einen Bissen genommen, verdunkelte sich der Himmel über der Weißen See. Die Insekten erstarrten in der Luft und es wurde kalt. Kälter als die Winter im Uralten Wald.
Eine tintenschwarze Wolke rollte in rasender Geschwindigkeit auf den idyllischen Garten zu und verschlang alles auf ihrem Weg. Der angebissene Apfel fiel mit einem dumpfen Geräusch ins Gras, als die Dunkelheit Vanessa erfasste. Das Letzte, was sie sah, waren goldene Augen mit geschlitzten Pupillen. Augen, die ihr unendlich vertraut waren und doch nur Boshaftigkeit in sich trugen. Ihre eigenen Augen!
Im nächsten Moment schreckte die junge Hexe aus dem Schlaf hoch. Dabei war Hexe wohl nicht mehr der richtige Ausdruck, denn seit den Ereignissen vor zwei Wochen wurde sie nur noch Sankta Vanessa die Heilige genannt.
Die frischgebackene Heilige richtete sich in ihrem kuschligen, weichen Bett auf und spähte in die Nacht hinaus. Der Luchs war nicht bei ihr, um sie nach ihren wiederkehrenden Albträumen zu trösten. Kein Ring mit Feuerrubin steckte an ihrem Finger, um ein Licht zu entzünden. Ganz allein lag Vanessa im Dunklen. Ganz allein in ihrem neuen Heim, dem Palast des Lichterreichs.
Und so blieb Vanessa liegen und starrte das mit Sternen bestickte Dach ihres Himmelbetts an, bis die Sonne durch die blassrosa Vorhänge fiel.
„Guten Morgen, Eure Heiligkeit.“ Eine trällernde Stimme erklang im selben Moment, in dem die Tür zu Vanessas Zimmer aufgerissen wurde. „Habt Ihr gut geschlafen?“
„Wunderbar, wie immer“, log die junge Heilige.
Die ältere, stämmige Flussnymphe legte den Kopf schief und lächelte wissend, hakte aber nicht noch einmal nach. „Nun denn“, sagte sie stattdessen und klatschte in die kleinen Hände. „Dann werden wir Euch rasch zurechtmachen.“
Valeriana war eine herzensgute Frau und diente Vanessa rund um die Uhr, seit sie das Turmzimmer des Palastes bezogen hatte. Ein schrecklicher Raum in dezenten Pastelltönen.
Die Prozedur des Zurechtmachens war in Vanessa Augen reine Zeitverschwendung. Zwar liebte die junge Heilige es, schön zu sein, doch als sie sich vor dem hohen Spiegel drehte, erkannte sie sich selbst nicht mehr.
Ihr schlanker, beinahe abgemagerter Körper – seit zwei Wochen hatte sie kaum etwas Essbares hinunterbekommen – steckte in einem Albtraum aus weißer Seide und Tüll, der von einem silbrig schimmernden Korsett und viel zu vielen Schleifen zusammengehalten wurde. Sie sah ihrem Spiegelbild in die smaragdgrünen Augen. Grün! Nicht golden, wie sie früher gewesen waren. Nicht golden, wie sie sie im Traum gesehen hatte. Die ellenlangen, blonden Haare hatte Valeriana ihr zu einem Kranz auf dem Kopf hochgesteckt und allerlei Perlen und Gänseblümchen eingeflochten.
Doch das Schlimmste hatte die Flussnymphe sich wie immer für den Schluss aufgehoben: die Krone. Die Krone, die Vanessa selbst aus Obsidian, Mondstein, Gold und Feuer erschaffen hatte. Die Krone, die bewies, dass alle Wesen dieses Landes ein und denselben Ursprung hatten. Die Krone, die Vanessa zur Heiligen machte. Die schwarzen und weißen Kristalle schimmerten im Sonnenlicht und der blutrote Feuerrubin strahlte im Zentrum der Krone, als würde eine Flamme in seiner Mitte lodern. Sie wünschte sich, sie könnte den Rubin an ihrem Finger tragen, wie sie es früher getan hatte. Und ihn tatsächlich benutzen, anstatt aus ihm einen Schmuckstein zu machen. Was für eine Verschwendung!
Valeriana berührte das Ding nur mit verstärkten, samtenen Handschuhen. Nicht etwa, weil sie die heilige Krone schützen wollte. Nein, die Flussnymphe hätte sich andernfalls an dem schwarzen Obsidian die kurzen Finger verbrannt. Nur Vanessa konnte sowohl den Obsidian als auch den Mondstein unbeschadet berühren. Da hatten sich über die Jahrhunderte wohl doch einige Unterschiede zwischen den verschiedenen Wesen der drei Königreiche herausgebildet. Dennoch war es nun an der Zeit, den Frieden wiederherzustellen!
Dieses furchtbare Monstrum von einer Krone drückte sich nun kalt und schwer auf Vanessas Kopf, aber sie hielt sich aufrecht und straffte die Schultern.
„In Ordnung, ich bin bereit.“ Wieder eine Lüge. Sie schritt durch die elfenbeinfarbene Tür in das helle Treppenhaus des Turms.
Der Weg hinab fiel ihr schwer, denn noch immer überkam sie gelegentlich die Höhenangst – vor allem wenn sie sich dem allein stellen musste. Außerdem war sie körperlich nicht in der Verfassung, so viele Stufen zu bewältigen! Ihre Pantoffeln aus Glas und Silberfäden waren ihr auch keine Hilfe.
Da der Abstieg schon eine Herausforderung bedeutete, verdrängte sie den Gedanken an den Weg zurück in ihr Zimmer. Wer war nur auf die Idee gekommen, sie im obersten Raum des höchsten Turms einzusperren? Technisch gesehen war sie nicht eingesperrt, aber die unendliche Treppe sorgte automatisch dafür, dass sie nur herunterkam, wenn es sich nicht vermeiden ließ. So wie an diesem Tag.
Als Vanessa endlich vor der mächtigen Doppelflügeltür des Thronsaals stand, rang sie um Atem, doch wegen des engen Korsetts bekam sie kaum Luft. Ihre Füße schmerzten und ihr Nacken verkrampfte sich unter dem Gewicht der heiligen Krone. Doch der jungen Heiligen blieb keine Zeit, ihr Leid zu klagen – nicht, dass ihr jemand zugehört hätte. Also zauberte sie sich ein sanftes Lächeln auf die rosaroten Lippen und reckte stolz ihr Kinn.
Die Fae-Wachen in ihren tannengrünen Uniformen legten die Hände auf die Türknäufe, doch es schien, als würden sie noch auf etwas warten – oder auf jemanden.
„Gibt es ein Problem?“, fragte Vanessa und konnte nicht verhindern, dass in ihrer Stimme Unsicherheit mitschwang. Gleich würde sie der Mut gänzlich verlassen.
„Wir warten.“ Der Fae mit seinen breiten Schultern sah stur geradeaus, während er sprach, und verzog keine Miene.
„Auf wen?“ Doch die Frage erübrigte sich, denn ein Trupp von sechs grimmigen, doch wunderschönen Sirenen in ihrer menschlichen Gestalt eskortierte einen hochgewachsenen Faun mit dunklem Fell, der geradewegs auf die Doppelflügeltür zuschlenderte. Aus den braunen Locken auf seinem Kopf ragten zwei geschwungene Hörner hervor und dazwischen thronte eine Krone aus schwarzem Eisen. Sein Blick war prüfend.
„König Mel.“ Verblüfft sank die junge Heilige in einen tiefen Knicks und hätte dabei beinahe das Gleichgewicht verloren.
„Heilige knicksen nicht“, zischte der König des Schattenreichs. „Auch nicht vor ihrem Herrscher.“
Vanessas Wangen begannen zu glühen. Sie konnte sich gerade noch aufrichten, da schoben die Fae-Wachen die schweren Türen auf und gaben den Blick in den Thronsaal frei.
Der Raum war gut gefüllt. Überall standen hochrangige und gut betuchte Wesen verschiedener Arten und schwatzten miteinander. Dass es sich nicht um die niedere Bevölkerung handelte, sah Vanessa in ihren arroganten Gesichtern. Die Menge bestand hauptsächlich aus Nymphen, Dryaden und Elfen, aber auch einige Schattenwesen mischten sich unter die Leute – Menschen suchte sie hier vergeblich.
Einer der Wachmänner räusperte sich und verkündete feierlich: „Der Herrscher des Reiches der Schatten, König Mel. Und die Heilige und Friedensbringerin, Sankta Vanessa!“
Die Menge verstummte und Vanessa spürte die neugierigen Blicke brennend auf ihrer Haut. Doch sie lächelte. Sie lächelte, als die Menge sich teilte und den Weg zu dem Thron aus schimmernden Kristallen und Blauregenranken freigab. Sie lächelte, als sie den neuen König des Lichterreichs mit seinem Stirnreif aus goldenen Blättern sah, der viel zu jung und viel schmal für seinen Thron und seine Krone wirkte. Und sie lächelte auch noch, als sie mit ihren Glaspantoffeln über den polierten Marmorboden schritt und jeder ihrer Schritte in dem hohen Saal widerhallte.
Sie fühlte sich nicht wie eine Heilige, denn sie hatte nichts getan! Sie fühlte sich wie eine Verurteilte auf dem Weg zu ihrem Scheiterhaufen.
König Anthony erhob sich mit einem wohlwollenden Lächeln und empfing König Mel auf dem Podest, auf dem sein protziger Kristallthron stand. Die Könige reichten einander die Hand und bekundeten ihre Freude über dieses Zusammentreffen. Nun wandte Anthony sich Vanessa zu und streckte seine Hand aus.
Sie hatten das geübt und jede Bewegung einstudiert. Die junge Heilige legte ihre Hand leicht wie eine Feder in die des Dryaden und ließ sich die Stufen hinaufführen. Sie knickste nicht. Natürlich nicht, denn der König des Schattenreichs hatte recht: Eine Heilige knickst nicht einmal vor ihrem König – auch nicht, wenn gleich zwei von ihnen im Raum waren.
Ihr Blick ruhte auf Anthony mit seinen gutmütigen, dunklen Augen und sie hasste ihn dafür, dass sie in dieser Situation war. Er war es gewesen, der sie zur Heiligen erklärt hatte und aus ihrem wunderbaren Häuschen im Uralten Wald in die Palaststadt des Lichterreichs beordert hatte.
Um ihre engelsgleiche Fassade bemüht, wandte sie sich ab und sah stattdessen Mel an, der ihr aufmunternd zunickte. Auch diesen König hasste sie, denn sie gehörte ins Schattenreich. Sie war seine Untertanin und er hätte sie beschützen müssen. Hätte verhindern müssen, dass man sie mitnahm und in eine Rolle zwang, der sie nicht gewachsen war.
Langsam und bedächtig drehte Vanessa sich zu der Menge vor dem Kristallthron um und hob lächelnd eine Hand zum Gruß. Als all die wichtigen Wesen in diesem Raum, die Diener und die Wachen vor ihr auf die Knie sanken, schnürte es ihr die Kehle zu. Doch sie lächelte weiter.
Höflichkeiten & Wyvern
Es war nicht das erste Bankett dieser Art gewesen und es würde sicher nicht das letzte sein. Sie folgten immer dem gleichen Ablauf: Zuerst kam diese lächerliche Empfangszeremonie an die Reihe und anschließend wurde Vanessa allen Anwesenden einzeln vorgestellt, um Höflichkeiten auszutauschen und das Band zwischen den Königreichen zu knüpfen.
Dass der König des Schattenreichs und seine Sirenen auch dort waren, schien ein gutes Zeichen zu sein. Und doch irritierte es Vanessa, den dunkelhaarigen Faun zu sehen. Ihr Leben lang hatte sie geglaubt, ihr König würde sich nicht um sein Volk scheren und darauf vertrauen, dass sie ihre Angelegenheiten selbst regelten. Aber nun war er hier. Warum?
Sie fand jedoch keine Gelegenheit, mit ihm zu sprechen, und einen der Gäste zu fragen, hätte sie dumm wirken lassen.
Nach einem reichen Festmahl, bei dem die junge Heilige nur in ihrem Kuchen herumgestochert hatte, war sie so erleichtert gewesen, entlassen zu sein, dass sie sich ohne Umschweife verabschiedete. Die beiden Könige waren in ein ernstes Gespräch vertieft, sahen aber auf, als sie verschwand.
So schnell sie ihre geschundenen Füße tragen konnten, eilte Vanessa durch die Gänge des Palastes, der vor Blumen überquoll. Anstelle von Gemälden oder Wandteppichen – wie sie es erwartet hätte – wurden die Mauern von Pflanzgittern mit bunten Ranken geziert. Töpfe mit Farnen und Zypressen, die selbst Jasper überragten, säumten die unzähligen Türen, die immer verschlossen waren.
Erst als sie in einen hübschen, kleinen Garten hinaustrat, der zu den Ställen führte, hatte sie das Gefühl, wieder durchatmen zu können. Schon von Weitem sah sie den jungen Dämon, der in den Farben des Himmels strahlte, durch die Lüfte sausen.
„Jasper!“, rief Vanessa aufgeregt, streifte die gläsernen Pantoffeln ab, die sie achtlos liegen ließ, und rannte barfuß über die Wiese.
Der junge Dämon setzte zu einem waghalsigen Sturzflug an und wäre um ein Haar in sie hineingekracht. Vanessa war sich der misstrauischen Fae-Wachen durchaus bewusst, die ihre Heilige stets beschützten – oder eher bewachten – doch Jasper kam knapp vor ihr schlitternd zum Stehen. Er grinste breit und verbeugte sich dann so tief, dass seine struppigen, blauen Haare das Gras streiften.
„Oh, bitte! Tu das nicht.“ Vanessa stöhnte genervt auf. „Davon hatte ich heute nun wirklich schon genug!“
„Verzeiht mir, Mylady. Was verschafft mir die Ehre Eures hohen Besuches in meinen unbedeutenden Ställen?“
„Ich meine es ernst!“ Die junge Heilige wollte den Dämon am liebsten umschubsen, doch sie hatte keine Kraft und so wurde daraus nur ein erbärmlicher Schlag gegen seine Brust.
Sorge trat in seine azurblauen Augen und er runzelte die Stirn. „Geht es dir nicht gut?“
„Alles bestens“, fauchte Vanessa. „Lass uns einfach eine Runde fliegen!“
Sie war so froh, nicht mehr die Friedensbringerin spielen zu müssen, dass all ihre angestaute Wut drohte, aus ihr herauszusprudeln – und der arme Jasper würde alles abbekommen. Sie verkniff sich eine weitere Bemerkung, raffte dieses unpraktische, viel zu lange Kleid und stapfte zu den Ställen.
„Hast du keine Schuhe an?“, gluckste der junge Dämon, der sich nicht beirren ließ, mit altbekannter Fröhlichkeit.
„Habe ich verloren.“
„Aha ... Und denkst du, dass du in diesem Aufzug fliegen kannst?“
Da hatte er nicht unrecht. „Warte draußen“, knurrte sie und schlug ihrem Freund die Stalltür vor der Nase zu.
In dem düsteren Gemäuer war es warm und muffig. Es roch nach Heu und Fell und für einen Moment fühlte Vanessa sich, als wäre sie wieder im Königreich der Schatten. Natürlich war dies nicht der Hauptstall, wo die prächtigen Palastpferde standen. Dieser abgesonderte, kleine Ort gehörte seit Neuestem ganz allein ihrem jungen Wyvern. Die Lichterwesen hatten Angst vor dem Schlangendrachen und mieden ihn, was ihn für Vanessa zu ihrem persönlichen Rückzugsort