Vathek, eine arabische Erzählung - William Beckford - E-Book

Vathek, eine arabische Erzählung E-Book

William Beckford

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Beschreibung

Der englische Schriftsteller William Beckford schuf im Jahre 1786 mit seiner Erzählung "Vathek" eines der bekanntesten Werke der Schauerromantik, welches später literarische Größen wie Mary Shelley und Lord Byron bei ihrem Schaffen beeinflußte. "Vathek" erzählt die Geschichte des unermeßlich reichen, mächtigen und ebenso zügellosen und tyrannischen Kalifen Vathek, der durch seine Selbstsucht in die Fänge eines Teufels getrieben wird, der dafür sorgt, daß das Maß seiner Zügellosigkeit endgültig jede Grenze sprengt und ihn in sein heilloses Verderben führt.

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Seitenzahl: 258

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VATHEK UND NOURONIHAR

VORREDE

DIE Erzählung Vathek, deren Übertragung ich hier der deutschen Leserwelt mitteile, wurde schon vor länger als einem halben Jahrhunderte geschrieben und erfreut sich in England und Frankreich wohlverdienter, klassischer Berühmtheit. Es ist wirklich auffallend, daß dieses kleine Meisterwerk, welches mehr als irgendeine andere Dichtung des Abendlandes, auch in dem kleinsten Zuge, den Osten in seiner bunten und glühenden Farbenpracht, gleichsam in einem Spiegelbilde, erkennen läßt, in Deutschland, wo es bei seinem Erscheinen nicht unbeachtet blieb, so völlig der Vergessenheit anheimfallen konnte, – zumal der größte und gelesenste neuere Dichter Englands, Lord Byron, so wiederholt auf dasselbe aufmerksam macht. Lord Byron sagt in der Schlußnote zu seinem Giaour: „Für den Inhalt einiger Anmerkungen bin ich teils D’Herbelot, teils jener echt morgenländischen und von Weber mit Recht erhaben genannten Erzählung Kalif Vathek zu Dank verbunden. Ich weiß nicht, aus welcher Quelle der Verfasser dieses seltenen Werkes seine Materialien geschöpft hat. Einige der von ihm eingeschalteten Ereignisse finden sich in der Orientalischen Bibliothek, allein was Korrektheit der Zeichnung, Schönheit der Beschreibung und Zauber der Imagination betrifft, so überstrahlt Vathek alle europäischen Nachahmungen und trägt solche Spuren der Originalität, daß diejenigen, welche das Morgenland besuchten, Mühe haben werden, dieses Buch für eine bloße Nachbildung zu halten. Als morgenländische Erzählung muß sogar Rasselas1 ihm weichen; das Tal der Glückseligkeit verstattet keinen Vergleich mit der Halle des Eblis.“

Aber nicht bloß für den Inhalt einiger Anmerkungen, sondern auch für viele Gedanken und Bilder in den schönsten seiner Dichtungen, ist Byron dem Verfasser des Vathek Dank schuldig. Die schönen und berühmten Verse z. B. in der Eroberung von Korinth, wo Francescas Schatten, in dem Gespräche mit dem Renegaten Alp, auf die Wolke hinzeigt, welche sich vor den Mond gezogen hat, sind einer ähnlichen Stelle im Vathek gänzlich nachgebildet. Der Lord gesteht dieses auch selbst ein, indem er in der neunten Note zu jenem Gedichte sich also äußert: „Ich habe gehört, daß diejenigen, deren Beifall mir etwas wert ist, den Gedanken bewundern, welchen ich in den folgenden fünf Zeilen ausgedrückt habe. Dieses freut mich; jene Idee aber ist nicht originell, wenigstens nicht bei mir, und findet sich weit schöner ausgeführt in der englischen Übersetzung von Vathek, Seite → – → ; – die Seite der französischen Ausgabe habe ich vergessen – einem Werke, auf welches ich mich schon früher bezog und das ich nie wieder lesen kann, ohne mich von erneuerten Gefühlen des Dankes durchdrungen zu sehen.“

In den Unterhaltungen mit Captain Thomas Medwin2 spendet Lord Byron dem Vathek wiederholt ein gleiches, unbedingtes Lob, wie an den oben mitgeteilten Stellen. Dasselbe geschieht auch von Walter Scott in einem Aufsatze des Quarterly Review. Siehe das Juniheft des Jahrganges dieser Zeitschrift von 1834.

William Beckford Esq. war der Sohn eines wegen seiner unermeßlichen Reichtümer berühmten Aldermans, wurde ungefähr um das Jahr 1766 geboren und ist erst vor wenigen Jahren im hohen Alter gestorben. Er wurde frühzeitig Erbe von dem ungeheuren Vermögen seines Vaters und machte von 1780–87 Reisen durch die südlichen und westlichen Länder Europas. Mitteilungen von diesen Reisen, in Briefen, hat er noch in seinem Alter, unter dem Titel: Italy, with Sketches of Spain and Portugal, im Juni 1834 zu London herausgegeben. Im Alter von achtzehn Jahren schrieb der ebenso begabte als exzentrische Jüngling Memoirs of extraordinary Painters, die mir nie zu Gesichte gekommen und, soviel ich weiß, auch nicht in das Deutsche übersetzt sind; ein Jahr später aber den Vathek und zwar in französischer Sprache. Von dem Jahre 1787 an lebte Beckford größtenteils in seinem Vaterlande England und nahm für Hindon Sitz in mehren Parlamenten, bis er nach Verlauf einiger Jahre sich in Portugal niederließ, wo er in dem Prinzenschlosse zu Eintra, durch sein unermeßliches Vermögen in keiner Ausgabe beschränkt, ein Leben voll der ausschweifendsten Pracht und buntesten Sinnenlust führte. Als Lord Byron im Sommer 1809 Cintra besuchte, war die Erinnerung an Beckford noch in aller Andenken und Byron stiftete ihm ein Monument in folgenden Versen seines Childe Harold:

And yonder towers the Prince’s palace fair:

There thou too, Vathek! England’s wealthiest son,

Once form’d thy Paradise, as not aware,

When wanton Wealth her mightiest deeds hath done,

Meek Peace voluptuous lures was ever wont to shun.

Here dids thou dwell, here shemes of pleasure plan,

Beneath yon mountain’s ever-beauteous brow:

But now, as if a thing unblest by Man,

Thy sairy-dwelling is as lone as thou!

Here giant weeds a passage scarce allow

To halls deserted, portals gaping wide:

Fresh lessons to the thinking bosom, how

Vain are the plesaunces on earth supplied;

Swept into wrecks anon by Time’s ungentle tide!

Childe Harold’s Pilgrimage. C. I. St. XXII. XXIII.

Nach England heimgekehrt, zog Beckford sich auf seine Güter zurück, wo er, in menschenfeindlicher Einsamkeit lebend, seine Reichtümer zu der Befriedigung einer exorbitanten Baulust verwandte. Nach der Herausgabe des Vathek, der ihm eine bleibende Stelle unter den klassischen Schriftstellern seines Vaterlandes verschaffte, hat Beckford, mit Ausnahme des schon erwähnten Italy, so viel ich weiß, keine schriftstellerischen Arbeiten veröffentlicht.

Noch bevor aber das Original i. J. 1787 zu Lausanne bei Isaak Hignon und Comp., unter dem einfachen Titel Vathec, 204 S. 8., herauskam, erschien schon zu London eine englische Übersetzung der Erzählung, unter dem Titel: The History of the Caliph Vathek: An Arabian Tale, from an unpublished Manuscript; with Notes critical and explanatory. London, Johnson. 1786. 8. Ein Bekannter nämlich, dem Beckford das Manuskript mitgeteilt hatte, war indiskret genug gewesen, dasselbe ganz genau zu übersetzen und als eine Übertragung aus dem Arabischen herauszugeben. Beckford widerlegte zwar diese letzte Behauptung, fand aber die Arbeit jenes gefälligen Freundes so gelungen und meisterhaft, daß er seine Absicht, den Vathek selbst in seine Muttersprache zu übertragen, aufgab und sogar alles Mögliche tat, der nun einmal vorhandenen englischen Übersetzung Eingang und Ansehen zu verschaffen.

Vathek, zu dem vielleicht Voltaires Zadig und Prinzessin von Babylon, S. Johnsons Rasselas und ähnliche Tendenzromane den Anlaß gegeben haben, welche in der zu Ende des vorigen Jahrhunderts ganz besonders beliebten Form von orientalischen Erzählungen philosophische und moralische Materien abhandelten, – erregte in England und Frankreich allgemeines Aufsehen und erwarb dem jugendlichen Verfasser schnell einen wachsenden Ruhm. Auch die kritischen Journale Deutschlands nahmen sehr bald Notiz von der neuen und überraschenden Erscheinung in der Literatur, und wir finden in den meisten von ihnen, und zwar denjenigen, welche zu jener Zeit die geachtetsten waren3, sehr lobende Rezensionen dieser Dichtung. Im Jahre 1788 erschienen auch zwei deutsche Übersetzungen, von denen die eine ohne Angabe des Übersetzers und Verlegers herauskam. Sie führt den einfachen Titel: Vathek, eine Arabische Erzählung. Aus dem Französischen übersetzt. Mannheim 1788. Mit Titelvignette. 235 S. 8. Diese Übersetzung scheint auf Bestellung irgendeines gewinnsüchtigen Buchhändlers in aller Eile verfertigt zu sein; sie ist sehr ungenau und wimmelt von Flüchtigkeitsfehlern, die besonders in den angehängten Anmerkungen völlig sinnentstellend einwirken. Der Titel der zweiten Übersetzung ist: Der Thurm von Samarah. Eine warnende Geschichte für Astrologen, Zeichendeuter, Magier und alle Liebhaber geheimer Wissenschaften. Aus dem Arabischen. Leipzig, im Verlage der Dykischen Buchhandlung, 1788. 8. 253 S. Der Thurm von Samarah ist eine ziemlich freie und in etwas altfränkischer Manier gehaltene, übrigens lesbare Übertragung des französischen Originals von Vathek und rührt von Schatz her, einem belletristischen Schriftsteller, dessen Name während des letzten Dritteils vom vorigen Jahrhundert nicht gänzlich unbekannt war. Die Anmerkungen fehlen dieser Übersetzung, und sie sowohl, als die erstgenannte, ist längst vergriffen und vergessen, so daß ich nur mit Mühe mir beide habe verschaffen können.

Was nun endlich meine Übersetzung betrifft, so zog ich es vor, mich bei derselben der englischen Übertragung zu bedienen, weil mir diese abgerundeter, in ihren Einzelheiten ausgearbeiteter und vollendeter als das Original erschien, nachdem ich beide Ausgaben genau miteinander verglichen hatte. Es sind übrigens nur Geringfügigkeiten, worin beide voneinander abweichen, und diese bestehen in der weiteren Ausführung der Bilder, in der gewählteren Anwendung von Adjektiven usw., worin die englische Übersetzung den Vorzug vor dem französischen Original verdient. Im allgemeinen stimmen beide Ausgaben beinahe wörtlich miteinander überein. Die Ausgabe, welche ich zur Übersetzung gebraucht habe, findet sich in: Collection of ancient and modern British Novels and Romances. Vol. LIX. Paris. Baudry’s European Library. 1834. 8. Sie bildet die zweite Hälfte von diesem Bande; – die erste nimmt das erwähnte Italy ein, – unter dem besonderen Titel: Vathek: An Arabian Tale. By William Beckford, Esq. With Notes critical and explanatory. 127 S. Die Anmerkungen des Originals, welche wahrhaft con amore und mit der beliebten englischen Weitschweifigkeit geschrieben sind, habe ich so viel, als es sich tun ließ, abgekürzt; den kritischen Teil derselben fast ganz weggelassen. Einige Noten sind von mir hinzugefügt und dieselben mit einem M. unterzeichnet. Die Quellen, welche mir den Stoff zu ihnen gaben, habe ich in den Noten selbst angezeigt.

Schließlich kann ich nicht umhin, den lebhaften Wunsch auszusprechen, daß derselbe Dienst, welchen ich Beckfords Vathek zu erzeigen mich bemüht habe, indem ich ihn aus dem Nebel der Unbeachtetheit hervorziehe, von meinen Landsleuten auch noch einigen andern Romanen der Engländer zuteil werde, die bis jetzt ebenfalls in einer unverdienten Vergessenheit schlummern. Ich denke hier besonders an The Monk von Lewis und Melmoth von Mathurin, die bei ihrem ausgezeichneten poetischen Werte und der hohen Achtung, welche ihnen in England zuteil wird, in Deutschland fast ganz unbekannt geblieben sind. Sie sind freilich übersetzt, denn diese Auszeichnung mußte ihnen schon deshalb werden, weil sie jenseits des Kanals ihren Ursprung fanden, werden aber nirgends nach ihrem Werte gewürdigt und gelesen. Was namentlich den Mönch betrifft, dessen Übersetzung nur mittelmäßig und längst verschollen ist, so wäre es gewiß eine ebenso verdienstliche als zeitgemäße Unternehmung, wenn irgendein Buchhändler die Herausgabe einer neuen, korrekten und fließenden Übersetzung desselben veranstaltete.

Dr. Otto Mohnike.

1 Eine berühmte moralische Erzählung von Sam. Johnson. S.: The prince of Abyssinia by Sam. Johnson. Es existieren mehre deutsche Übersetzungen dieses Buches. Eine Fortsetzung des Rasselas ist: Dinarbas, a Tale; being a Continuation of Rasselas, Prince of Abyssinia. London, Dilly. 1790.

2Gespräche mit Lord Byron. Ein Tagebuch, geführt während eines Aufenthaltes zu Pisa in den Jahren 1821 und 1822, von Thomas Medwin Esq. A. d. Englischen. Stuttgart und Tübingen, in der J. G. Cotta’schen Buchhandlung. 1824, 8. S. 318.

3 S. Allgemeines Repertorium der Literatur für die J. 1785–90. B. 2. Hälfte 2. Jena 1793. 4. Abschn. XIV. Nr. 2711. 2712, a und b.

VATHEK

VATHEK, der neunte Kalif aus dem Stamme der Abbasiden, war der Sohn von Motassem und der Enkel von Haroun al Rashid. Er gelangte frühzeitig zum Thron, und durch die Talente, welche er besaß, denselben zu zieren, wurden seine Untertanen zu der Hoffnung verleitet, daß seine Regierung lang und glücklich sein würde. Seine Gestalt war zugleich angenehm und majestätisch; doch wenn er zornig wurde, so funkelte sein eines Auge so fürchterlich, daß niemand den Blitz aus demselben ertragen konnte und der Unglückliche, auf welchen es gerichtet war, sogleich zu Boden stürzte und nicht selten auf der Stelle seinen Geist aufgab. Er ließ deshalb, um nicht seine Reiche zu entvölkern und seinen Palast zur Einöde zu machen, seinem Zorn nur selten freien Lauf.

Er war sehr den Weibern so wie den Freuden der Tafel ergeben, und trachtete danach, sich hierbei angenehme Gesellschafter zu verschaffen. Dieses gelang ihm auch um so besser, als seine Freigebigkeit ohne Zügel und seine Nachsicht ohne Schranken war. Er bedachte aber nicht, wie der Kalif Omar Ben Abdalaziz, daß man aus dieser Welt sich notwendig eine Hölle machen müsse, wenn man das Paradies in der nächsten erlangen wolle.

An Prachtliebe übertraf er alle seine Vorfahren. Der Palast von Alkoremi, den sein Vater Motassem auf dem Scheckenhügel erbaut hatte, und welcher von hier die ganze Stadt Samarra überschaute, war nach seiner Ansicht viel zu enge. Er fügte deshalb fünf Flügel, oder besser gesagt, andere Paläste hinzu, welche er für die eigentümliche Befriedigung eines jeden der Sinne bestimmte.

In dem ersten derselben, waren fortwährend gedeckte Tische mit den auserlesensten Speisen beladen, welche man in Übereinstimmung damit, daß sie unaufhörlich verzehrt wurden, sowohl bei Tage als bei Nacht immer wieder erneuerte. Weine und die ausgesuchtesten Erfrischungen sprudelten währenddessen aus hundert Springquellen hervor, welche niemals erschöpft werden konnten. Dieser Palast wurde das ewige oder das nie sättigende Gastmahl genannt.

Der zweite Palast hieß der Tempel des Wohlklanges oder der Nektar der Seele. Er war von den kunsterfahrensten Musikern, und den bewundertsten Dichtern jener Zeit bewohnt, die nicht nur in seinem Innern ihre Talente entfalteten, sondern auch scharenweise außerhalb desselben herumschwärmten, und jeden sie umgebenden Ort, von ihren Liedern wiedertönen ließen, mit denen sie fortwährend in der entzückendsten Aufeinanderfolge abwechselten.

Der Palast, welcher das Entzücken der Augen oder die Stütze des Gedächtnisses genannt wurde, verdiente ungeteilte Bewunderung. Seltenheiten, von jedem Winkel der Erde zusammengehäuft, waren in solcher Menge da zu finden, daß ohne die Ordnung, in welcher sie aufgestellt waren, das Auge davon geblendet und verwirrt worden wäre. Eine Galerie enthielt die Gemälde des berühmten Mani und Statuen, welche zu leben schienen. Hier reizte das Auge eine wohlangelegte Durchsicht, dort wurde es von den Wundern der Optik auf die angenehmste Weise getäuscht. Der Naturforscher dagegen, bemerkte mit Vergnügen, nach den einzelnen Klassen geordnet, alle die verschiedenen Gaben, welche der Himmel unserer Erde verliehen hat. Mit einem Wort; Vathek vergaß in diesem Palast keinen Gegenstand zu versammeln, welcher eine Neugierde bei denen, die dahin kamen, befriedigen konnte; – ungeachtet er selbst nicht imstande war, seiner eigenen zu genügen, denn er war der neugierigste von allen Menschen.

Der Palast der Wohlgerüche, welcher auf ähnliche Weise der Reiz des Vergnügens genannt wurde, bestand aus mehreren Hallen, in denen die verschiedensten Wohlgerüche, welche die Erde hervorbringt, fortwährend in goldenen Räucherpfannen brannten. Fackeln und wohlriechende Lampen strahlten hier bei hellem Tage. Den allzuheftigen Eindruck aber, von der angenehmen Betäubung, welche in diesen Räumen erregt ward, konnte man durch das Herabsteigen in einen Garten lindern, wo der Verein aller angenehm duftenden Blumen die Luft mit den reinsten Wohlgerüchen schwängerte.

Der fünfte Palast, welcher der Zufluchtsort der Freude oder der gefahrvolle hieß, wurde von Scharen junger Frauenzimmer besucht, welche schön wie die Houris, und nicht minder verführerisch als diese waren, und demjenigen niemals ihre Gunstbezeigungen versagten, welchem der Kalif verstattet hatte, sich ihnen zu nähern und ein paar Stunden in ihrer Gesellschaft zuzubringen.

Ungeachtet der Sinnlichkeit, in welche Vathek versunken war, konnte er doch keine Abnahme in der Liebe seiner Untertanen wahrnehmen. Sie waren nämlich überzeugt, ein Herrscher welcher den Vergnügungen nachhänge, könne ebenso geschickt regieren, als derjenige, welcher sich für einen Feind derselben erkläre. Aber die unruhige und heftige Gemütsart des Kalifen verstattete ihm nicht hier stehenzubleiben. Er hatte zu Lebzeiten seines Vaters, um sich zu unterhalten, fleißige Studien betrieben, und sich so eine große Menge von Kenntnissen erworben. Weil er aber alles, selbst Wissenschaften, die gar nicht in der Wirklichkeit bestanden, zu erkennen begehrte, so waren seine erworbenen Kenntnisse nicht hinreichend, ihm Befriedigung zu gewähren. Er war darauf erpicht, sich mit Gelehrten in Dispute einzulassen; verstattete ihnen aber nicht, eine der seinen entgegengesetzte Meinung, mit Wärme zu verfechten. Da, wo es sich tun ließ, verstopfte er mit Geschenken den Mund, während er diejenigen, deren Freimut sich nicht unterwerfen ließ, zur Abkühlung ihres Blutes in den Kerker sandte; ein Mittel, welches nicht selten Erfolg hatte.

Besonders für theologische Streitigkeiten, offenbarte Vathek eine Vorliebe, und der Rechtgläubige war nicht der, mit dem er es in der Regel hielt. Hierdurch verleitete er die Eiferer sich ihm zu widersetzen, welche er dann zur Wiedervergeltung verfolgte, indem er stets, es mochte gelten was es wolle, Recht behalten wollte.

Der große Prophet Muhammad, dessen Statthalter die Kalifen sind, sah mit Unwillen, von seinem Aufenthalte in dem siebenten Himmel, auf den unfrommen Wandel eines solchen Stellvertreters auf Erden hinab: „Laßt uns ihn sich selber überlassen“; sprach er zu den Engeln, welche stets bereit sind, seine Befehle zu empfangen, „laßt uns beobachten, zu welchem Ende ihn seine Torheit und Ruchlosigkeit führen wird. Wenn er das ärgste vollbracht hat, wird er unserer Strafe nicht entrinnen. Unterstützt ihn deswegen bei dem Baue jenes Turmes, welchen er, Nimrod nachahmend, angefangen hat; – nicht aber, um wie dieser große Krieger dem Ertrinken zu entgehen, sondern um mit verwegener Neugierde in die Geheimnisse des Himmels einzudringen. Er wird nicht das Schicksal erforschen, das seiner harrt!“

Die Engel gehorchten, und wenn die Arbeitsleute des Tages über ihren Bau um eine Elle gefördert hatten, wurden während der Nacht noch zwei Ellen hinzugefügt. Diese Schnelligkeit, mit welcher das Werk entstand, war keine geringe Genugtuung für die Eitelkeit von Vathek, der sich einbildete daß, gehorsam seinen Winken, unsichtbare Mächte diese Förderung bewirkten. Er bedachte aber nicht, daß für Unbesonnene und Gottlose das Gelingen ihrer Unternehmungen, die erste Rute ihrer Züchtigung ist.

Sein Stolz erreichte den Gipfel, als er zum erstenmal die fünfzehnhundert Stufen dieses Turmes erstieg, die Augen herumwarf, und die Menschen nicht größer als Ameisen, die Gebirge wie Austerschalen und die Städte wie Bienenkörbe erblickte. Der Begriff, welchen eine solche Erhöhung ihm von seiner eigenen Größe einflößte, verwirrte völlig seine Gedanken. Er war nahe daran sich selber anzubeten, als er die Blicke gen Himmel hob, und die Sterne noch ebenso hoch über sich sah, als wie sie ihm erschienen, wenn er auf ebener Erde stand. Über dieses Erinnertwerden und unwillkommene Wahrnehmen seiner Kleinheit, tröstete er sich indessen mit dem Gedanken, so groß in den Augen anderer zu sein. Er schmeichelte sich mit der Einbildung, sein geistiges Auge werde über die Grenzen seines leiblichen Gesichtskreises hinausdringen, und er die Sterne schon zwingen können, ihm dasjenige zu enthüllen, was über sein Schicksal beschlossen sei. In dieser Hoffnung brachte der wissensgierige Fürst, die meisten seiner Nächte auf der Zinne des Turmes zu; bis er der Geheimnisse der Sterndeutekunst wohlkundig, und zu der Einbildung verleitet ward, daß die Planeten ihm die wunderbarsten Abenteuer verheißen hätten, welche durch ein außerordentliches, aus einem gänzlich unbekannten Lande her stammendes Wesen, zu ihrem Ende geführt werden sollten.

Auf Antrieb seiner Neugierde, war er immer freundlich gegen Fremde gewesen; von diesem Augenblicke aber an, verdoppelte sich seine Aufmerksamkeit gegen dieselben. Er befahl, beim Schalle von Trompeten, durch alle Straßen von Samarra bekannt zu machen, daß niemand von seinen Untertanen, bei Gefahr seiner Ungnade, Fremde weder beherbergen noch bei sich behalten sollte, ohne sie zuvor nach dem Palaste geführt zu haben.

Nicht lange nach dieser Bekanntmachung, kam in jene Hauptstadt ein Mann von so abschreckender Häßlichkeit, daß die Wachen sogar, welche ihn anhielten und zum Palaste hinführten, gezwungen waren, ihre Augen niederzuschlagen. Der Kalif selber, schien über ein so grauenvolles Aussehen erstarrt; bald aber trat Freude an die Stelle dieser Aufwallung von Schrecken, als der Fremde vor ihm Seltenheiten ausbreitete, wie er sie früher nie gesehen, und von denen er zuvor keine Vorstellung gehabt hatte.

In Wahrheit, nichts war so außerordentlich als die Gegenstände, welche der Fremde vorzeigte! Die meisten dieser Merkwürdigkeiten, welche nicht weniger durch die Künstlichkeit, als durch die Pracht ihrer Arbeit bewundernswürdig erschienen, besaßen außerdem noch eigentümliche Vorzüge, die auf einem Pergamentblatte verzeichnet standen, das einem jeden Stücke angeheftet war. Da waren Pantoffeln, die durch selbständiges Fortschreiten die Füße zum Gehen zwangen, Messer, welche ohne Bewegung der Hand schnitten und Säbel, die an dem Ausholen der Person teilnahmen, welche einen Hieb damit tun wollte. Alle diese Gegenstände waren aber mit bis dahin niegesehenen Edelsteinen reich geschmückt.

Besonders die Säbel, deren Klingen einen blendenden Glanz ausstrahlten, fesselten mehr als alles andere, die Aufmerksamkeit des Kalifen, welcher sich vornahm die wunderbaren Charaktere zu entziffern, die auf ihren Flächen eingegraben waren. Er ließ deshalb, ohne nach dem Preise zu fragen, alles gemünzte Gold aus seinem Schatze herbeibringen, und hieß den Kaufmann, so viel als er nur wolle, davon nehmen. Der Fremdling gehorchte, nahm ein paar Goldstücke und verharrte in seinem Schweigen.

Vathek war der Meinung, diese Schweigsamkeit des Verkäufers werde durch die Ehrfurcht veranlaßt, welche ihm seine Person einflöße, munterte ihn deshalb auf sich zu nähern, und fragte wer er sei, woher er käme und woher er so wertvolle Waren erhalten habe. Der Mann, oder besser das Ungetüm, zögerte zu antworten, rieb dreimal die Stirne, welche wie der übrige Körper, schwärzer als Ebenholz war, klatschte viermal seinen ungeheuren Bauch, öffnete weit seine großen Augen, die wie Feuerbrände funkelten, begann mit einem häßlichen Lärmen zu lachen, und zeigte seine langen, ambrafärbigen Zähne, die mit einem grünlichen Schleime überzogen waren.

Der Kalif wiederholte, etwas erschrocken, seine Fragen, war jedoch nicht imstande sich eine Antwort zu verschaffen. Er begann außer Fassung zu kommen und schrie: „Weißt du Elender, wer ich bin und gegen wen du deinen Hohn richtest?“ dann wandte er sich zu der Wache mit den Fragen: „Habt ihr ihn reden gehört? – ist er stumm?“ – „Er hat gesprochen“, erwiderte die Wache, „aber nur nichtssagende Worte.“ – „Laßt ihn also auch jetzt reden“, sprach Vathek, „und erzählt mir wer er ist, von wannen er kommt und woher er sich diese einzigen Merkwürdigkeiten verschafft hat; oder bei dem Esel des Balaam; – ich schwöre, daß ihm seine Halsstarrigkeit verderblich sein soll!“

Diese Drohung wurde von einem der zornigen und gefahrvollen Blicke des Kalifen begleitet, welchen der Fremdling ohne die geringste Erschütterung aushielt; obgleich seine Augen unverrückt an dem schrecklichen Auge des Monarchen hafteten.

Keine Worte vermögen das Erschrecken der Hofleute zu schildern, als sie den ungeschlachten Fremdling, dem Kalifen unbewegt gegenüber sahen. Sie selbst waren mit den Gesichtern zu Boden gestürzt, um so ihr Leben zu retten, und würden in dieser demütigen Lage verharrt haben, wenn nicht der Kalif mit furchtbarem Tone geschrien hätte: „Auf, Feiglinge; ergreift diese Mißgeburt, sorgt daß sie in den Kerker geführt und durch die besten von meinen Kriegern bewacht werde. Laßt ihn übrigens das Geld behalten, welches ich ihm gegeben habe; es ist nicht meine Absicht sein Eigentum anzugreifen; ich verlange einzig, daß er seinen Mund auftue!“

Nicht sobald hatte er diese Worte ausgestoßen, als der Fremde auch schon umzingelt, zusammengeschnürt, und in das Gefängnis gestürzt wurde, welches sich in dem unteren Teile des großen Turmes befand. Dieser Kerker wurde von sieben Umpfählungen eiserner Palisaden umgeben, die mit Spitzen versehen waren, und an Länge und Schärfe den Lanzen glichen.

Nichtsdestoweniger blieb der Kalif in der heftigsten Aufregung. Er setzte sich nieder, um zu essen; doch von den dreihundert Gerichten, welche täglich für ihn angerichtet wurden, vermochte er nicht mehr als zweiunddreißig zu berühren.

Eine Mahlzeit in der beschriebenen Art, an welche er so wenig gewohnt war, reichte schon für sich allein hin, ihn vom Schlummer abzuhalten. Was mußte nun die Folge davon sein, wenn sich seiner Gemütsunruhe, noch der Verlust körperlicher Kräfte zugesellte? Bei dem ersten Schimmer der Morgendämmerung, eilte er zu dem Kerker hin, um noch einmal in diesen hartnäckigen Fremden zu dringen. Sein Zorn aber übersprang alle Grenzen, als er das Gefängnis leer, die Tore auseinandergebrochen und seine Wachen leblos um sich herumliegen sah. In der Hitze seiner Leidenschaft, fiel er wütend über die armen Leichname her, und trat sie ohne davon abzulassen, mit den Füßen, bis zum Abend. Seine Hofbeamten und Wesire wandten zur Beschwichtigung dieser Raserei ihre Kräfte an, fanden aber bald, daß jedes Mittel wirkungslos blieb, und vereinten sich alle in dem Ausrufe: „Der Kalif ist toll geworden! der Kalif hat seine Sinne verloren!“

Dieser Ausruf, welcher bald durch alle Straßen von Samarra wiederhallte, drang zuletzt zu dem Ohre von Karathis, seiner Mutter, und dieselbe eilte voll der größten Bestürzung herbei, um ihren Einfluß auf das Gemüt des Sohnes zu erproben. Ihre Tränen und Liebkosungen erweckten seine Aufmerksamkeit, und er war endlich zu bewegen, sich wieder in den Palast zurückführen zu lassen.

Karathis die von Begierde brannte, Vathek zu sich selbst zu bringen, ließ ihn zu Bette gehen, setzte sich neben ihn und beschäftigte sich, ihn zu besänftigen und zu trösten. Niemand hätte dieses auch mit besserem Erfolge versuchen können, denn der Kalif liebte sie nicht bloß als Mutter, sondern verehrte sie auch als ein höher begabtes Wesen. Sie eben war es, welche selber von Geburt eine Griechin, ihn verleitet hatte, sich diejenigen Wissenschaften und Lehrbegriffe ihrer Heimat anzueignen, vor denen alle guten Muselmanen einen so unbedingten Abscheu haben.

Weissagende Sterndeutekunst war eine der Wissenschaften, in denen Karathis vollkommen erfahren war. Sie erinnerte deshalb ihren Sohn an die Verheißungen, welche ihm die Sterne gemacht hätten, und teilte ihm ihre Absicht mit, sie noch einmal deswegen zu befragen. „Ach!“ sprach der Kalif, sobald er reden konnte, „was für ein Tor bin ich gewesen! Nicht wegen der vierzigtausend Fußtritte, die ich meinen Wächtern gegeben habe, welche sich so memmenhaft haben um das Leben bringen lassen; sondern weil ich nicht bedachte, jener außerordentliche Mann sei eben derselbige, von welchem mir die Sterne gesprochen hatten. Statt ihn mit Mißhandlungen zu überhäufen, hätte ich ihn durch alle Künste der Überredung mir geneigt machen sollen.“

„Das Geschehene“, entgegnete Karathis, „kann nicht zurückgerufen werden; es ziemt sich für uns aber, an die Zukunft zu denken. Vielleicht siehst du den Gegenstand, der dich jetzt so sehr ärgert, noch einmal wieder, und es ist ja auch möglich, daß die Inschriften auf den Säbeln uns Aufschluß gewähren. Iß deshalb, mein teurer Sohn, und pflege deiner Ruhe. Morgen wollen wir darüber nachdenken, auf welche Weise wir am besten handeln können.“

Vathek billigte so sehr als er vermochte, diesen ihren Rat, und stand am nächsten Morgen ruhigeren Sinnes auf. Er ließ augenblicklich die Säbel herbeibringen, und versuchte über sie hingebeugt, durch ein farbiges Glas, um auf diese Weise nicht von ihrem Glanze geblendet zu werden, allen Ernstes, die Inschriften zu enträtseln. Seine wiederholten Versuche waren aber alle vergebens; vergebens zerbrach er den Kopf und zerkaute die Nägel; nicht einen Buchstaben von dem Ganzen, vermochte er zu verstehen. Dieses unglückliche Fehlschlagen seines Unternehmens, würde ihn gewiß wieder verstört haben, wenn nicht Karathis zum guten Glücke in das Zimmer getreten wäre.

„Habe Geduld, mein Sohn“, redete sie ihn an, „du bist gewiß in allen wichtigen Wissenschaften wohl erfahren, aber die Kenntnis einer fremden Sprache ist nur eine Kleinigkeit und die Vollkommenheit in neunen höchstens eine Pedanterei. Erlaß eine Bekanntmachung, nach welcher du solche Belohnungen, als sie für deine Größe sich ziemen, demjenigen verleihen willst, der dir dasjenige, was du nicht verstehest und welches zu geringfügig ist, als daß du es noch erlernen solltest, zu übersetzen vermag. Auf diese Weise wirst du bald genug Befriedigung für deine Neugierde finden.“ – „Das mag sein“; – entgegnete ihr der Kalif, „inzwischen aber werde ich erschrecklich durch die vielen Schwätzer gelangweilt werden, welche ebensosehr aus Freude, ihr Geschwätz anzubringen, als in der Hoffnung auf die Belohnung, herkommen werden. Dieser Gefahr zu entgehen, will ich schleunig hinzufügen, daß ich einen jeden der Preisbewerber töten lassen würde, welcher nicht imstande wäre, mir hinreichende Auskunft zu verschaffen. Dem Himmel sei gedankt; ich habe noch genug Verstand, um zu erkennen, ob jemand etwas übersetzt oder ob er es erfindet.“ – „Das bezweifle ich keineswegs“, sagte Karathis, „aber die Unwissenden zu töten, ist ein wenig allzu strenge und könnte gefährliche Folgen haben. Begnüge dich damit, zu befehlen, daß ihre Bärte verbrannt werden sollen. Bärte sind für einen Staat nicht völlig so wesentlich als Menschen.“

Der Kalif unterwarf sich den Gründen seiner Mutter, schickte zu Morakanabad seinem ersten Wesir, und sprach: „Lasse durch die öffentlichen Ausrufer verkündigen, – nicht allein in Samarra, sondern in jeder Stadt meines Reiches, – daß jeder der hierher reisen und gewisse, dem Anschein nach unerklärbare, Charaktere enträtseln wird, diejenige Freigebigkeit, wegen welcher ich so berühmt bin, erfahren soll. Allen denen aber, welche die Probe nicht bestehen, soll der Bart bis auf das letzte Haar verbrannt werden. Laß. hinzufügen, daß ich fünfzig schöne Sklavinnen und ebensoviele Körbe voll Aprikosen von der Insel Kirmith, demjenigen schenken will, welcher mir Nachricht von jenem Fremdlinge geben kann.“

Die Untertanen des Kalifen, welche gleich ihrem Herrscher, große Verehrer von Weibern und von Aprikosen von der Insel Kirmith waren, fühlten bei diesen Versprechungen das Wasser im Munde zusammenlaufen; waren aber gänzlich unvermögend ihre Sehnsucht zu befriedigen, indem keine Seele in Erfahrung bringen konnte, was aus dem Fremdlinge geworden sei.

Was die andere Nachfrage des Kalifen betrifft, so war der Erfolg ein anderer. Die Gelehrten, die Halbgelehrten und diejenigen, welche nichts von beiden waren, aber sich einbildeten, beiden gleichzustehen, kamen eilig herbei, ihre Bärte auf das Spiel zu setzen, und büßten sie auch alle, schamerfüllt ein. Die Exekution dieser Strafen gab eine hinreichende Beschäftigung für die Verschnittenen ab; teilte ihnen aber einen solchen Geruch nach verbrannten Haaren mit, daß bei den Damen des Serail höchliches Mißfallen hierüber erregt und es notwendig ward, diese neue Beschäftigung ihrer Leibwächter, anderen Händen zu übertragen.

Dessenungeachtet aber, stellte sich noch zuletzt ein alter Mann ein, dessen Bart anderthalb Ellen länger als alle diejenigen war, welche man bis dahin gesehen hatte. Als die Palastbeamten ihn in Empfang nahmen, flüsterten sie einer zum andern: „Wie Schade, ach! wie Schade, daß solch ein Bart verbrannt werden soll!“ – Der Kalif selber teilte, als er ihn erblickt hatte, diese Meinung. Seine Besorgnis war aber völlig überflüssig, denn jenes ehrwürdige Wesen las die Charaktere mit großer Leichtigkeit, und erklärte sie wörtlich wie folgt: „Wir sind da erschaffen, wo jedes Ding so wohl erschaffen wurde. Wir sind die geringsten der Wunder eines Ortes, wo alles wunderbar und würdig ist, von dem größten Beherrscher der Erde gesehen zu werden!“

„Du übersetzest bewundernswürdig!“ rief Vathek, „ich weiß, worauf diese wunderbaren Zeichen hindeuten. Laßt ihn ebensoviele Ehrengewänder und Tausende von Zechinen empfangen, als er Worte gesprochen hat. Ich bin in demselben Maße von der Verlegenheit befreit worden, in welcher ich mich befand!“ Mit diesen Worten lud Vathek den alten Mann ein, mit ihm zu speisen und auch ein paar Tage im Palaste zu verweilen.

Unglücklicherweise nahm er diese Einladung an, denn der Kalif ließ ihn am nächsten Morgen rufen und sagte: „Lies noch einmal das, was du mir gestern vorgelesen hast.“ Der alte Mann setzte alsbald seine grüne Brille auf, aber in demselben Augenblicke entsank sie seiner Nase, als er gewahrte, daß die Charaktere, welche er am vorigen Tage entziffert hatte, anderen von verschiedener Bedeutung Platz gemacht hatten. – „Was fehlt dir?“ fragte der Kalif, „und weswegen machst du diese Zeichen des Erstaunens?“ – „Beherrscher der Welt“, erwiderte der alte Mann, „diese Säbel enthalten heute eine andere Schrift, als sie gestern enthielten.“ – „Ha! was sagst du?“ rief Vathek aus, „doch dieses tut nichts zur Sache; teile mir mit, wenn du es vermagst, was sie bedeutet.“ – „Herr es ist dieses“; entgegnete der alte Mann: „Wehe über den verwegenen Sterblichen, welcher das zu wissen strebt, welches ihm unerforscht bleiben soll, und das unternimmt, was seine Macht überschreitet!“ – „Und wehe über dich selber“, brauste der Kalif in aufsteigendem Zorne auf, „heute ist dein Wissen eitel; fort aus meiner Gegenwart! Man soll dir nur die Hälfte deines Bartes verbrennen, weil du gestern glücklich im Raten warst; meine Geschenke nehme ich niemals zurück.“ – Der alte Mann war weise genug, darauf achtzugeben, wie er glücklich entschlüpfen könne, dachte über die Torheit nach, so unwillkommene Wahrheiten aufgedeckt zu haben, und entfernte sich auf der Stelle, ohne jemals wieder zum Vorscheine zu kommen.