Venezia Mortale – Gondolieri schubst man nicht - Simona Gatti - E-Book
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Venezia Mortale – Gondolieri schubst man nicht E-Book

Simona Gatti

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Beschreibung

Sonne, Mord und Vino Tinto Oh, mio Dio, auf diesem Tag liegt kein Segen! Erst müssen Elda und Concetta erfahren, dass sie ihre Seniorenwohnung im Herzen Venedigs nicht mehr bezahlen können. Dann fällt Gondoliere Ernesto genau vor ihrem Fenster in den Kanal und entdeckt dort einen Toten. Mit der Ruhe ist es nun natürlich vorbei. Zumal Venedig auch noch von einer Serie von Raubüberfällen geplagt wird, wie Elda und Concetta beim Einkauf hautnah miterleben müssen. Könnte jedoch ausgerechnet in diesen Kriminalfällen eine Lösung für ihre Geldnot liegen? Sei es durch gerechten Finderlohn der Polizei – oder durch Diebesbeute … Die beiden älteren Damen sind da für alles offen. Aber kann es ihnen auch gelingen, die Ganoven auszutricksen? Ein spritziger Cosy-Krimi: So herrlich italienisch wie die Krimis von Valentina Morelli – so charismatisch-schräge Figuren wie in Klüpfel Kobrs »Côte d‘Azur«-Gaunerreihe.

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Seitenzahl: 355

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Über dieses Buch:

Oh, mio Dio, auf diesem Tag liegt kein Segen! Erst müssen Elda und Concetta erfahren, dass sie ihre Seniorenwohnung im Herzen Venedigs nicht mehr bezahlen können. Dann fällt Gondoliere Ernesto genau vor ihrem Fenster in den Kanal und entdeckt dort einen Toten. Mit der Ruhe ist es nun natürlich vorbei. Zumal Venedig auch noch von einer Serie von Raubüberfällen geplagt wird, wie Elda und Concetta beim Einkauf hautnah miterleben müssen. Könnte jedoch ausgerechnet in diesen Kriminalfällen eine Lösung für ihre Geldnot liegen? Sei es durch gerechten Finderlohn der Polizei – oder durch Diebesbeute … Die beiden älteren Damen sind da für alles offen. Aber kann es ihnen auch gelingen, die Ganoven auszutricksen?

Der Roman ist auch als Hörbuch bei Saga Egmont erhältlich.

Über die Autorin:

Simona Gatti ist das Pseudonym der Stuttgarter Krimiautorin und DELIA-Literaturpreisträgerin Britt Reißmann, die mit »Venezia Mortale – Gondoliere schubst man nicht« zum ersten Mal eine humorvolle Krimireihe startet. Sie liebt die Lagunenstadt und ihre beiden Katzen, die auf ihren Wegen über die Computertastatur fleißig an den Romanen mitschreiben. Wenn sie nicht gerade an einem Manuskript arbeitet, protokolliert Britt Reißmann Vernehmungen für die Stuttgarter Mordkommission oder bereist ihr Sehnsuchtsland Italien.

Die Autorin im Internet:

www.brittreissmann.de

www.instagram.com/reissmannbritt

Unter Britt Reißmann erscheinen bei dotbooks ihre Kriminalromane in den Reihen um »Thea Engel« sowie »Verena Sander«.

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Originalausgabe August 2024

Copyright © der Originalausgabe 2024 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Redaktion: Ralf Reiter

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-98952-235-0

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dotbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, einem Unternehmen der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13, 4 Millionen Euro unterstützt: www.egmont.com/egmont-foundation. Danke, dass Sie mit dem Kauf dieses eBooks dazu beitragen!

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Simona Gatti

Venezia Mortale – Gondolieri schubst man nicht

Kriminalroman

dotbooks.

Für Ursi, Eva, Silvia und Jasmin,

die Venedig lieben.

Und für Ute,

die es unbedingt noch kennenlernen muss.

Das Meerwasser spült alle Schulden fort.

(Venezianisches Sprichwort)

Kapitel 1

Es gibt Tage, die sind wie eine Frittella. Von außen ein unförmiger Klumpen, aber wenn du hineinbeißt, explodiert der Geschmack von Vanillecreme auf deiner Zunge, von Schokolade oder himmlischer Zabaione.

Dann gibt es Tage, die sind wie eine Kaktusfeige. Von außen verheißungsvoll duftend, aber wenn der fruttivendolo die Frucht nicht richtig geputzt hat und du danach greifst, stichst du dir eine dieser widerlichen Dornen in den Finger, die du nur schwer wieder herausbekommst und die dich für den Rest des Tages quält.

Die meisten Tage aber sind wie gewöhnliche Tramezzini, die es an jeder Ecke zu kaufen gibt. Hier kommt es darauf an, was du draus machst. Es liegt nur an dir, ob du das Brot mit Avocadocreme bestreichst, mit frischem Pesto oder aber mit einer Salsa Tonnata, die zu lange in der Sonne gestanden hat. Erwischst du die verdorbene Tonnata, beginnt der Morgen völlig harmlos, doch am Abend stellst du fest, dass du den halben Tag über der Kloschüssel gehangen hast.

Es war einer dieser Tonnata-Tramezzino-Tage, an dem diese Geschichte ihren Anfang nahm. Es war der Tag, an dem Ernesto in den Rio de San Zulian fiel.

Man konnte sagen, wir hatten uns aneinander gewöhnt, nicht mehr und nicht weniger. Dass Elda und ich uns die Wohnung in der Calle al Ponte della Guerra teilten, lag nicht etwa daran, dass wir beste Freundinnen waren, sondern dass wir zwei Dinge gemeinsam hatten, oder genauer gesagt nicht hatten: keinen Mann und kein Geld. Es gab schlechtere Voraussetzungen für eine Rentner-WG, und auch wenn es eine Weile gedauert hatte, sich an die Schrullen der jeweils anderen zu gewöhnen, der Gedanke daran, die Stadt verlassen zu müssen, um in einen billigen Plattenbau auf dem Festland zu ziehen, gab uns die Kraft durchzuhalten.

Die Wohnung lag im Herzen von Venedig, direkt an der Grenze zwischen den Stadtteilen San Marco und Castello. Wo andere Italiener eine Straße vor ihrem Fenster hatten, verlief bei uns der Rio de San Zulian, auf dem statt Autos und Mofas Boote und Gondeln fuhren.

Nur wenige Schritte von unserem Haus entfernt lag die Chiesa Santa Maria Formosa, wo Elda und ich uns in der Kirchengemeinde kennengelernt hatten. Als ich ihr erzählte, dass ich nach dem Tod meines Mannes die Wohnung in der Nähe der Piazza San Marco nicht mehr halten konnte, schlug sie mir vor, bei ihr einzuziehen. Elda befand sich in einer ähnlich prekären Lage wie ich. Auch sie war im Jahr zuvor Witwe geworden, und die Miete ihrer Vierzimmerwohnung hatte das kleine Erbe, das ihr Mann ihr hinterlassen hatte, binnen kürzester Zeit verschlungen. Wohnraum im Stadtteil San Marco war unverschämt teuer, und geteiltes Leid war halbes Leid, ebenso wie geteilte Miete nur halbe Miete war.Es dauerte jedoch nicht lange, bis wir merkten, dass wir selbst die geteilte Miete nicht mehr stemmen konnten. Über die Alternative, ein Seniorenheim in Mestre zu beziehen, wollten wir gar nicht erst nachdenken. Wir waren Venezianerinnen mit Leib und Seele, und sollten wir jemals die Stadt verlassen, dann nur mit den Füßen voran.

Ich bin ein Kind der Stadt, seit ich im Ospedale San Giovanni e Paolo das Licht der Welt erblickte, oder besser gesagt im Boot der Sanitäter auf dem Weg dorthin. Ich hatte es schon immer eilig, ans Ziel zu kommen, ganz im Gegensatz zu Elda, die, mit einer Seelenruhe gesegnet, schon wieder den ganzen Morgen am Fenster verbrachte, während ich Geschirr gespült, die Küche gewienert und die Betten abgezogen hatte. Wie immer hatte sie Angst, irgendetwas zu verpassen, was auf dem Kanal vor sich ging. Um nicht neugierig zu wirken, putzte sie als Alibi die Lamellen der dunkelgrünen Fensterläden. Dazu hatte sie sich auf einen Hocker gestellt. Elda war kaum größer als anderthalb Meter, was sie allerdings mit ihrer enormen Hochsteckfrisur zu kompensieren versuchte. Ihr Haar war kraus und drahtig, und wenn sie es auf dem Kopf türmte, konnte man es leicht mit einem Krähennest verwechseln. Als man auf dem Markusplatz noch Mais verfüttern durfte, hatte sich tatsächlich mal eine Taube darin häuslich eingerichtet, hatte sich beim Nestbau in Eldas Haar verfangen und kam nicht mehr los. Eldas Versuche, die Taube aus ihrer Haarpracht zu lösen, waren fehlgeschlagen, und so war sie notgedrungen mit dem Vogel auf dem Kopf heimgekommen.

»Dir kann das ja nicht passieren«, lamentierte sie, während ich ihr das Tier aus den Haaren schnitt. »Bei deinen feuerroten Stoppeln kommt keine Taube der Welt darauf, sich ein Nest darin zu bauen. Ich stehe wenigstens zu meinem Grau!« Vermutlich hatte sie recht. Die Tauben mieden mich, während Elda beim Füttern geradezu attackiert wurde. Vielleicht lag es daran, dass ich so hager war, dass die Tauben dachten, ich könnte unmöglich etwas zu essen haben. Bei Elda kämen sie nie auf diese Idee.

Seither wich die Taube nicht mehr von Eldas Seite und betrachtete ihren Kopf als ihr neues Domizil. Vielleicht hatte sie es sattgehabt, ständig Touristenfüßen auf der Piazza San Marco auszuweichen und jeden Tag nichts anderes als Mais zu fressen zu bekommen. Bei uns bekam die Taube alles, was so übrigblieb, von Panini über Cornetti bis hin zu Krümeln von Eldas Frittelle. Elda taufte sie auf den Namen Miss Marple, und weil sie nicht ständig mit einem Vogel im Haar herumlaufen wollte, kaufte sie auf dem Trödelmarkt einen alten Papageienkäfig, der ausreichend Platz bot und fortan neben unserem Wohnzimmerfenster stand. Seither lebte Miss Marple mit uns zusammen und hatte dank Elda enorm an Körperfülle zugelegt.

Nur ein einziges Mal war Miss Marple ausgebüxt, als ich letzte Woche versehentlich das Fenster zur Straße geöffnet hatte, während sie gerade ihren Freiflug im Salotto genoss. Signora Giuliani, der das Café schräg unter uns gehörte, hatte erstmals in dieser Saison die Bistrotische nach draußen gestellt und bediente gerade Gäste mit frisch gebackenen Mandorlini, Miss Marples Lieblingskeksen. Diese hatte dem Duft wohl nicht widerstehen können. Sie stibitzte sich einen und verschwand damit für den Rest des Tages in irgendeinen Schlupfwinkel jenseits des Kanals. Elda lief stundenlang mit rotgeweinten Augen umher und sprach kein Wort mit mir. Auch wenn sie mir mit ihrem ständigen Geplapper manchmal gehörig auf die Nerven ging, hielt ich diese Feindseligkeit und ihr ständiges Wehklagen nur schwer aus. Ich glaubte fast, sie spielte mit dem Gedanken, im Sestiere Steckbriefe aufzuhängen, um Miss Marple wiederzubekommen. Zum Glück erwies sich das als unnötig. Am Abend saß die Taube plötzlich reumütig auf unserem Fenstersims, und der Familienfrieden war wiederhergestellt. Seither achtete ich allerdings gewissenhaft darauf, dass alle Fenster geschlossen waren, wenn Miss Marple in unserem Salotto unterwegs war, allein schon, um meine Mitbewohnerin bei Laune zu halten.

Eigentlich waren derartige Gefühlsausbrüche sehr untypisch für Elda. Ich konnte es mir nur schwer vorstellen, aber in der Kirchengemeinde hatte man mir versichert, dass sie vor dem Tod ihres Mannes sehr einfühlsam und herzlich gewesen war. Seit dessen Beerdigung jedoch hätte sich ihre Persönlichkeit verändert. Sie hatte ihren Mann unbedingt selbst zu Grabe tragen wollen und einen der Sargträger ersetzt. Da sie aber ungefähr einen halben Meter kleiner war als dieser, war ihr unterwegs der Sarg aus den Händen geglitten und mit der Kante geradewegs auf ihren Kopf geknallt. Elda hatte wochenlang mit einer schweren Hirnschwellung im Krankenhaus gelegen, bis sie schließlich als geheilt entlassen wurde. Als körperlich geheilt jedenfalls. Aber ihr Empathiezentrum war wohl direkt getroffen worden und ganz schön durcheinandergeraten. Ihr machte das nichts aus, mit ihrer Persönlichkeitsveränderung musste ich mich nun herumschlagen.

Draußen knatterten die Motorboote auf dem Kanal, die den fangfrischen Fisch aus der Adria zum Mercato di Rialto brachten. Signora Giuliani stand auf der Gasse vor ihrem Café und unterhielt sich lautstark mit Luigi aus der Panetteria, so dass ich bis hier herauf in den zweiten Stock jedes Wort verstehen konnte. Sie diskutierten über die Mitteilung des Ministeriums, die Kreuzfahrtschiffe aus dem Bacino San Marco in den Industriehafen zu verbannen. Die Signora hielt das für einen Aprilscherz. Ich konnte es ihr nicht verdenken, zu lange hatten wir gehofft und waren immer wieder enttäuscht worden.

Wie jeden Tag steuerte Ernesto seine Gondel an unserem Haus vorbei. Um das zu wissen, musste ich nicht hinausschauen, ich hörte ihn schon von weitem singen, oder genauer gesagt das tun, was er singen nannte. Ernesto liebte die Oper. Er hatte sogar eine private Loge im Teatro La Fenice, war selbst aber leider völlig unmusikalisch. Wenn Verdi nur einmal Ernestos Version von »La Donna è mobile« gehört hätte, wäre er in seinem Grab im Garten der Mailänder Casa di Riposo um die eigene Achse rotiert. Die Anwohner am Canale litten stumm vor sich hin, was sollten sie auch tun? Würden wir nicht in Venedig, sondern in einem kleinen gallischen Dorf leben, hätte man diesen Mann zweifellos schon in die Krone eines hohen Baums gebunden. Ernesto konnte von Glück reden, dass hohe Bäume in Venedig dünn gesät waren.

Gerade als ich die Laken in die Waschmaschine stopfte, hörte ich ein lautes Platschen – das war Ernesto – und einen markerschütternden Schrei – das war Elda.

»Concetta! Vieni subito!«, hörte ich sie kreischen. Wie der Blitz war ich am Fenster und erblickte unter mir eine führerlose Gondel mit einem schockstarren asiatischen Pärchen darin. Daneben im trüben Wasser des Kanals ruderte Ernesto hilflos mit den Armen. »Aiuto!«, rief er mit angstgeweiteten Augen. Konnte es sein, dass dieser baumstarke Kerl nicht schwimmen konnte? Und das als Gondoliere?

Ich musste an Bruno, meinen verstorbenen Mann, denken. Er hatte eine kleine, aber feine Weinhandlung in San Polo betrieben. An seinem Todestag war er auf die verrückte Idee gekommen, sich das milliardenschwere Sturmflutprojekt »Mose« an der Südspitze von Pellestrina anzuschauen, das die Lagune vor Hochwasser schützen sollte und seit mehreren Jahren in der Endphase seiner Fertigstellung war. Es war ein sonniger Wintertag gewesen, und so hatte er beschlossen, vom Lido aus mit dem Rad zu fahren. Leider war er nie angekommen, denn auf dem schmalen Damm von Darsena del Murazzo nach Ca Roman war er mit dem Schal in die Fahrradkette geraten und hatte sich samt Rad in die Lagune katapultiert. Dabei war er nicht einmal ertrunken, das wäre in dem flachen Wasser jenseits des Damms auch kaum möglich gewesen. Die Obduktion hatte ergeben, dass er sich zuvor stranguliert hatte. Der selbstgestrickte, zwei Meter lange Schal war ein Weihnachtsgeschenk von mir gewesen, und ich hatte lange unter schweren Schuldgefühlen gelitten, aber Elda hatte mit aller Macht versucht mich wiederaufzubauen, natürlich auf ihre eigene, unnachahmliche Art. »Was beugt er sich auch so tief über den Lenker, als wollte er die Giro d‘Italia gewinnen! Wer zu faul zum Laufen und zu geizig für ein Vaporetto-Ticket ist, verdient es nicht anders«, hatte sie gesagt und mir mit ihrem karierten Männertaschentuch die Tränen getrocknet. Gerade sie musste von Geiz reden, trug sie doch die alten Taschentücher ihres seligen Gatten auf. Eldas Mann war wenig spektakulär im Schlaf gestorben, wogegen es Brunos Fahrradunfall sogar in den Gazzettino di Venezia geschafft hatte. Ich hatte den Verdacht, dass sie mir das neidete. Trotz ihres erstaunlichen Mangels an Fingerspitzengefühl mochte ich sie inzwischen. Gezwungenermaßen. Irgendwie. Immerhin hätte es bei dieser schweren Kopfverletzung noch wesentlich schlimmer kommen können. Vielleicht war es allein Eldas glücklicher Kindheit zu verdanken, dass der Unfall sie nur zu einem Elefanten im Porzellanladen und nicht gleich zu einer gefühlskalten Psychopathin gemacht hatte.

Unten am Kanal waren inzwischen die Leute zusammengelaufen. Luigi von der Panetteria hatte seinen Brotschieber ins Wasser getaucht und Ernesto damit an Land gezogen. Tropfnass stand er auf der Gasse, in einen bodenlangen Morgenmantel von Signora Giuliani geschnürt, in dem er ein wenig aussah wie eine etwas zu korpulente Madonnenfigur. Wenigstens sang er nicht mehr. Dafür gestikulierte er wild in der Luft herum und versuchte offensichtlich etwas zu sagen, doch Signora Giuliani hielt ihm immer wieder einen dampfenden Becher an die Lippen und nötigte ihn zu trinken.

»Wie ist das passiert?«, fragte ich Elda, die sich so weit aus dem Fenster lehnte, dass ich Angst bekam, sie würde hinausfallen. Ich packte sie am Rockbund, um sie zurückzuhalten. Vielleicht ein wenig zu fest, denn leider war ihr Rock nicht so stabil, wie ich es mir gewünscht hätte. Der Reißverschluss biss tapfer die Zähne zusammen, doch gegen meinen festen Griff auf der einen und Eldas Gewicht auf der anderen Seite hatte er keine Chance. Immerhin gelang es mir, sie zurück in die Wohnung zu ziehen, während der Rock sein Leben aushauchte. Besser er als Elda.

Doch Elda sah alles andere als dankbar aus. »Das war mein letzter!«, jammerte sie mit Tränen in den Augen.

»Dein letzter was?« Ich begriff nicht gleich, wovon sie sprach.

»Mein letzter Rock, der mir noch passt. Die anderen sind beim Waschen alle eingelaufen!«

Ich vermutete eher, dass nicht die Waschmaschine, sondern Eldas ungezügelte Lust auf Frittelle dafür verantwortlich war, dass ihre Röcke eingelaufen waren. Obwohl Frittelle ein typisch venezianisches Karnevalsgebäck sind, liebte Elda diese gefüllten Hefeteigbällchen so sehr, dass es diese bei uns daheim quasi das ganze Jahr über gab. Sie meinte, sie wären gut für die Seele. Wie auch immer, gut für die Figur waren sie jedenfalls nicht.

Großartig, jetzt durften wir von unseren ohnehin schon knappen Finanzen auch noch einen neuen Rock kaufen.

Doch dieses Problem musste warten. Erst wollte ich wissen, was da passiert war.

»Der Japaner hat ihm den Fuß weggezogen!«, japste Elda, zog mich zurück zum Fenster und wies mit einer Hand auf einen asiatisch aussehenden Mann in einer verwaisten Gondel. Mit der anderen Hand hielt sie ihren Rock fest. Völlig unnötigerweise, denn der hätte es auch mit offenem Reißverschluss niemals eigenständig über Eldas strammen Po geschafft. »Der Mann hat sich einfach nach vorn gebeugt und Ernesto das Standbein weggezogen, wie aus dem Nichts!«

»Lass uns das aus der Nähe anschauen!«, schlug ich vor und stürzte ins Treppenhaus. Eldas Logenplatz war ja ganz in Ordnung, wenn man den Überblick über die Gasse behalten wollte, aber wenn unmittelbar vor der Tür etwas Aufregendes passierte, musste man natürlich näher ran.

Der antike Lift mit dem schmiedeeisernen Gitter war seit Monaten kaputt, und Di Gazza, unser Vermieter, weigerte sich standhaft, ihn reparieren zu lassen. Er wohnte ja auch im Erdgeschoss, wir hingegen unter dem Dach. Zwischen uns, im ersten Obergeschoss, gab es nur noch eine Wohnung, die seit Monaten leer stand. Signora Valentini war im vergangenen Winter verstorben, und seither hatte Di Gazza keine Mieter mehr gefunden. Kein Wunder bei seinen Wucherpreisen.

So schnell meine arthritischen Knie es zuließen, lief ich die Treppe hinab. Elda folgte mir in wenigen Metern Abstand.

Ernesto stand inmitten der Nachbarschaft, die aus den umliegenden Häusern zusammengelaufen war. Trotz des heißen Tees, den Signora Giuliani ihm immer noch einzuflößen versuchte, zitterte er am ganzen Leib. Die Bewohner der Palazzi auf der anderen Seite des Kanals hatten ihre Fensterplätze eingenommen, als säßen sie in den Logen des Teatro La Fenice. Signora Buonfortuna hatte sogar ein Opernglas an die Augen gepresst und beobachtete, wie Luigi seinen Brotschieber über den Kanal zur Gondel reichte, bis der asiatische Tourist ihn zu fassen bekam. Gemeinsam mit einem Passanten zog Luigi das führerlose Boot ans Ufer.

»Was ist passiert?«, wandte ich mich an Ernesto, doch Luigis Frau Maria, die in der Bäckerei bediente, kam ihm zuvor.

»Er ist ins Wasser gefallen!«

Ach tatsächlich?, lag mir auf der Zunge, doch sie redete schon weiter.

»Wahrscheinlich hatte er eine Kreislaufschwäche. Oder einen Herzanfall. Ernesto ist noch nie ins Wasser gefallen, o Madonna, er ist bestimmt krank!«

»Ich ha- «, hob Ernesto an, wurde jedoch von Elda unterbrochen.

»Nein, dieser Mann hat ihm das Bein weggezogen, deshalb ist er gefallen!« Schwer atmend wies sie auf den japanischen Touristen, der gerade an Land kletterte. »Er hat nach Ernestos Fuß gegriffen, ich hab’s genau gesehen!«

Elda behauptete ständig, alles genau gesehen zu haben, dabei war sie streng genommen blind wie ein Grottenolm. Ohne ihre Brille mit den Gläsern stark wie Weinflaschenböden fand sie nicht einmal unsere Hauseingangstür, geschweige denn das Schlüsselloch. Jeder unserer Nachbarn wusste das, dennoch nickten alle andächtig bei Eldas im Brustton der Überzeugung vorgetragenen Worten. Allein Ernesto wagte einen neuen Versuch, sich ins Gespräch einzuschalten.

»Ich ha- «

»Was für ein Glück, dass ich schon die Polizei gerufen habe!«, seufzte Maria erleichtert. »Mir ist so schnell die Nummer der Rettungssanitäter nicht eingefallen, also habe ich die der Polizei gewählt, die sind schon unterwegs.«

»Das hast du gut gemacht«, lobte Elda, »denn hier handelt es sich ohne Zweifel um ein versuchtes Tötungsdelikt.« Sie prahlte gern mit ihren Kenntnissen in der Polizeiarbeit. Tatsächlich war ihr verstorbener Mann bei den Carabinieri gewesen, hatte es jedoch nie weiter als bis zum Maresciallo Ordinario gebracht.

»Da unten …«, hob Ernesto erneut an, doch eine Polizeisirene übertönte seine Worte. Im nächsten Augenblick bog das Boot der Questura um die Ecke. Erst als es direkt vor uns hielt, erkannte ich Commissario Salvatore Bassotta, der von seinem Sergente angeschoben das Ufer erklomm.

Als ob ein grausames Schicksal anhand der Körpergröße seinen Namen illustrieren wollte, maß Bassotta nicht viel mehr als Elda. Wenn er Glück hatte und vielleicht noch einen Hut aufsetzte, schaffte er es mit Absätzen und Einlagen auf einen Meter fünfundsechzig. Das ist selbst für einen Italiener ungewöhnlich klein. Diese Gemeinheit von Mutter Natur versuchte er allerdings durch einen gewaltigen Schnauzbart und ein übergroßes Selbstbewusstsein auszugleichen. Inwieweit Letzteres echt oder lediglich vorgetäuscht war, konnte man nur vermuten. Auch seine Nase war fast so gigantisch wie sein Stolz, als wollte sie die geringe Körpergröße ihres Trägers wieder wettmachen. Immer, wenn ich ihn sah, musste ich unwillkürlich an Frank Zappa, das Idol meiner Jugend, denken. Er sah ihm in der Tat ein wenig ähnlich, nur dass er lediglich halb so groß war.

»Zurücktreten, gehen Sie zur Seite, verdammt noch mal!«, fauchte Bassotta, obwohl er auf der Hälfte eines Pflastersteins Platz gefunden hätte. Fluchen konnte er jedenfalls wie ein Großer. Erschrocken drückten sich alle gegen die Hauswand.

»Cos‘ é successo?«

»Er ist ins Wasser gefallen!«, schrie Maria. »Das ist ihm noch nie passiert, schließlich ist er Gondoliere!«

»Und ich hab ihn rausgefischt«, prahlte Luigi und schwang seinen Brotschieber. Um ein Haar hätte er Bassotta damit in den Kanal gefegt. Der duckte sich geistesgegenwärtig und warf Luigi einen vernichtenden Blick zu.

»Der Japaner hat ihm das Bein weggezogen«, lamentierte Elda. »Er wollte ihn umbringen, ich hab’s genau gesehen! Die Madonna ist mein Zeuge!« Sie drehte die Augen zum Himmel und bekreuzigte sich.

Der Beschuldigte ergriff den Arm seiner Begleiterin und versuchte sich in dem allgemeinen Durcheinander unauffällig aus dem Staub zu machen. Ich gab Bassotta ein Zeichen, der ihn sofort zurückpfiff.

»Hiergeblieben! Ist das wahr, was die Signora erzählt?«

Es folgte ein durch zahlreiche abwehrende Gesten begleitetes asiatisch-englisches Kauderwelsch, von dem ich kein Wort verstand. Bassotta machte sich Notizen und wandte sich dann wieder an uns.

»Er sagt, er hätte sich nur nach seiner Kameratasche gebückt, weil er Fotos machen wollte. Unglücklicherweise stand der Gondoliere wohl mit einem Bein in der Schlaufe des Tragegurts. Das habe er nicht gesehen, als er die Tasche zu sich zog.«

»Mit Verlaub, ich wollte –« Ernesto schob mit einer höflichen Handbewegung die Tasse beiseite, die Signora Giuliani ihm gerade wieder an die Lippen setzen wollte.

»Das kann nicht sein!«, unterbrach ihn Elda. »Der Japaner hat nach seinem Fuß gegriffen, ich hab’s genau gesehen. Concetta, jetzt sag du doch auch mal was!«

Ich steckte in einer Zwickmühle. Einerseits traute ich Eldas Beobachtungsgabe nicht wirklich über den Weg, andererseits wollte ich ihr auch nicht in den Rücken fallen.

»Können Sie das bestätigen?«, fragte Bassotta meinen Busen. »Und wenn ja, warum hätte er das tun sollen?«

»Vielleicht hat er den Gesang nicht mehr ertragen«, gab ich zu bedenken. Damit war ich Elda gegenüber loyal geblieben und der Japaner würde wenigstens mildernde Umstände bekommen. Bassotta wusste, wie Ernesto sang. Jeder in Venedig wusste das.

»Es ist ja nichts weiter passiert«, versuchte Luigi die Wogen zu glätten. »Zum Glück hatte ich meinen Brotschieber zur Hand.« Wieder hob er das Ding demonstrativ in die Höhe, Bassotta duckte sich reflexartig.

»Darf ich jetzt auch –«, versuchte Ernesto mit sichtlich wachsender Verzweiflung erneut, sich in das Gespräch einzuschalten.

»Nichts passiert, sagst du?«, unterbrach Maria ihn erbost. »Er hätte ertrinken können, er hätte tot sein können, und er hätte –« Sie presste sich die Hand aufs Herz und rang nach Luft.

Ernesto nutzte seine Chance umgehend. »Darf ich jetzt auch mal was sagen?«, fragte er kleinlaut in Marias erzwungene Atempause hinein.

Bassotta schaute verwirrt zu ihm hinauf, als würde er sich wundern, dass Ernesto auch sprechen konnte. Vielleicht glaubte er, er würde den ganzen Tag lang nur singen. Er räusperte sich und nickte Ernesto zu. »Ähem, certo.«

Der Gondoliere atmete schwer und warf sich das nasse Haar aus der Stirn. »Also da unten im Kanal, im Schlick am Fondamenta, da liegt ein Toter.«

Dann ging alles sehr schnell. Die Gaffer wurden zurück in ihre Wohnungen geschickt, der Gehweg vor unserm Haus mit Absperrband blockiert. Polizeitaucher rückten an und das Boot der Gerichtsmedizin, das den Leichnam zur Obduktion ins Ospedale Civile bringen sollte. Elda beobachtete das alles mit großem Interesse von ihrem Fensterplatz aus, während ich Miss Marple fütterte und dann die Post sortierte. Auf dem Herd brutzelten Frittelle im Öl, und ich hatte nicht die Absicht, mir den Appetit mit dem Anblick einer Wasserleiche zu verderben.

Was mir den Appetit schließlich doch verdarb, war der Brief unseres Vermieters, der mir aus der Tageszeitung entgegenfiel. Wenn Di Gazza sich die Mühe machte, einen Brief zu schreiben, obwohl er uns doch genauso gut im Treppenhaus anschnauzen konnte, musste es etwas Offizielles sein. Mir schwante nichts Gutes. Mit klopfendem Herzen riss ich den Umschlag auf.

Sehr geehrte Damen, ich fordere Sie hiermit letztmalig auf, Ihre Mietrückstände bis zum Monatsende vollständig zu begleichen. Sollte dies nicht geschehen, sehe ich mich gezwungen, eine Zwangsräumung zu veranlassen …

Jetzt war es also so weit. Mir brach der Schweiß aus. Ich schaute zum Wandkalender. Bis zum Ende des Monats waren es noch genau acht Tage. Wie sollten wir in so kurzer Zeit so viel Geld auftreiben?

»Elda, wir haben ein Problem«, sagte ich und zeigte ihr den Brief.

»Na ja, es war ja nur eine Frage der Zeit«, sagte sie bedrückt. »Wir haben es lange genug verdrängt. Aber noch ist die Wasserleiche nicht identifiziert. Vielleicht haben wir ja Glück und es ist Di Gazza!«

»Er hat den Brief erst heute Morgen in unseren Kasten geworfen, denn gestern Abend habe ich ihn noch geleert«, zerstörte ich ihre Illusion. »Wie viel Zeit hatte er dann wohl noch, aus der Tür zu gehen und in den Kanal zu fallen, ohne dass das jemand bemerkt hat? Seit Stunden ist die Calle voller Touristen! Nein, das ist bestimmt irgendwann in der Nacht passiert. Und so viel Glück haben wir nicht, dass sich unser Problem so einfach in Luft auflöst.«

»Aber was sollen wir jetzt tun?«, klagte Elda.

»Wenn wir nicht in einem Altenheim in Mestre landen wollen, müssen wir das Geld auftreiben« sagte ich. »Wir brauchen einen Plan.«

Elda wandte sich zum Herd. »Ich muss erst etwas essen. Mein Hirn braucht Zucker, sonst kann ich nicht denken!«

Ich verkniff mir die Bemerkung, dass Elda auch mit Zucker nicht denken konnte. Jetzt mussten wir zusammenhalten.

Mir half Zucker jedenfalls kein bisschen beim Denken, ich bevorzugte dafür eher ein Zigarillo.

Wir nahmen die Frittelle aus dem Öl, bestäubten sie mit Puderzucker und legten sie auf einen Teller. Dann stiegen wir damit aufs Dach hinauf.

Viele Venezianer, deren Wohnungen keinen Balkon hatten, setzten sich hölzerne Terrassen aufs Dach, die sie mit allerlei Pflanzen begrünten. So schön die Stadt auch war, vom Lido und den Giardini einmal abgesehen gab es nur wenig Grünfläche, schließlich war sie zum Großteil auf Holzpfählen mitten ins Wasser gebaut. Hier oben auf diesen Altanen schufen sich die Menschen ihre Oase unter dem Himmel. Ob sie dafür eine Baugenehmigung hatten, spielte keine Rolle. In der Tat scherte sich kein Mensch um derartige Formalitäten. Im Grunde durften wir ohne eine Genehmigung vom Bau- und Denkmalschutzamt ja kaum einen Nagel in die Wand schlagen, aber wenn wir nicht auf jede Genehmigung Jahrzehnte warten wollten, blieb uns nichts anderes übrig, als selbst aktiv zu werden. Auch Di Gazza hatte seinen Dachgarten gebaut, ohne dafür je eine Baugenehmigung bekommen oder auch nur beantragt zu haben; er lag unserem direkt gegenüber. Eldas Mann, der ja Polizist gewesen war, hatte ihn damals darauf angesprochen, und Di Gazza hatte sich sein Schweigen damit erkauft, dass er ihm und Elda nicht nur einen eigenen Altan bauen ließ, sondern auch das Baumaterial dafür bezahlte. So lief das in Venedig. Es zahlte sich wirklich aus, einen Polizisten zum Mann zu haben.

Während Elda sich über die Frittelle hermachte, zündete ich mir ein Zigarillo an.

Schon von unserem Erscheinungsbild her waren wir Ebenbilder unserer Laster. Elda war klein und rundlich wie eine Frittella, ich lang und dünn wie ein Zigarillo. Trotz meines Körperbaus war ich aber sehnig und kräftig. Man sah es mir nicht an, aber in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts hatte ich Karate trainiert. Ich hatte an nationalen Wettkämpfen teilgenommen und einmal sogar Franca D’Oro, genannt ›die Dampframme‹, geschlagen. Das war natürlich lange her, und das Alter hatte seinen Tribut gefordert, aber ich schaffte es immer noch, mit einem einfachen Mae-Geri die ständig klemmende Tür zur Abstellkammer aufzustoßen, ohne mich sonderlich anzustrengen.

»Maria sagte, es war Mord«, sagte Elda plötzlich wie aus dem Nichts in meine Gedanken hinein.

Ich verschluckte mich am Rauch und musste husten.

»Mord? Wie hast du das denn mitbekommen?«

»Sie hat es ja laut genug herausposaunt. Ich hab’s genau gehört. Sie guckte aus dem Fenster über ihrer Panetteria und hatte wohl einen besseren Blick auf das Geschehen als ich. Die Wasserleiche hätte eine durchgeschnittene Kehle gehabt, hat sie gesagt. So was passiert ja nicht, wenn man aus Versehen ins Wasser fällt. O Madonna! Ich finde das total aufregend!«

Ein Mord vor unserer Haustür! War ja klar, dass Elda das gefiel. Wahrscheinlich sah sie sich im Geiste schon als weiblicher Commissario Brunetti und trug sich mit dem Gedanken, in die Ermittlungen einzusteigen.

»Das ist Sache der Polizei«, bremste ich ihre Begeisterung. »Wir haben dringendere Probleme. Überlege lieber, wie wir es schaffen, unseren Vermieter in Schach zu halten.«

Elda stopfte sich den Rest ihrer Frittella in den Mund und zog die Stirn in Falten. »Wir könnten ihn mit irgendetwas erpressen.«

Ich hätte mich auch sehr gewundert, wenn sie eine vernünftige Idee gehabt hätte. »«Erpressen? Wie denn?«

»Da fällt uns schon was ein. Schau ihn dir doch an, er sieht aus wie ein Padrone. Würde mich sehr wundern, wenn er nicht irgendwelche Leichen im Keller hat.«

Da war mal wieder die Fantasie mit ihr durchgegangen. »Elda, er ist kein Mafiaboss. Er ist ein harmloser Antiquitätenhändler. Sein Laden wirft bestimmt genug ab, dass er nicht auch noch krumme Geschäfte machen muss.«

»Antiquitätenhändler sind doch auch nur Verbrecher. Sammeln alten Kram, den andere wegschmeißen würden, und behaupten, er sei unfassbar wertvoll! Ich möchte nicht wissen, wie vielen Touristen er schon gewöhnliche Glaslampen als Murano-Lüster verkauft hat, und angeblich handgeklöppelte Burano-Spitze, die in Wirklichkeit Massenware aus China ist. Dem ist bloß noch niemand auf die Schliche gekommen.« Sie griff nach der letzten Frittella, die eigentlich für mich gedacht war, und biss hinein. Ich ließ es ihr durchgehen.

»Du liest zu viele Krimis!«

»Man kann gar nicht genug Krimis lesen«, entgegnete Elda mit vollem Mund. »Du siehst es ja wieder, die Welt ist voller schlechter Menschen.« Sie schluckte vernehmlich. »Und voller Toter!«, fügte sie nachdrücklich hinzu.

Das konnte ich nicht in Abrede stellen. Die meisten davon trieben allerdings nicht in Kanälen, sondern ruhten friedlich auf der Friedhofsinsel San Michele.

»Wir müssen nur herausfinden, was er zu verbergen hat«, sagte Elda. »Dann haben wir ihn in der Hand.«

»Viel Spaß dabei.« Ich wünschte, Elda hätte auch hin und wieder mal eine Idee, mit der man etwas anfangen konnte. Di Gazza mochte ein ausgewachsener Unsympath sein und auch aussehen wie ein Mafiaboss, aber das hieß ja noch lange nicht, dass er Straftaten beging. Na ja, von dem Bau der Dachterrasse mal abgesehen. Aber damit konnten wir ihn ja kaum erpressen, weil unsere genauso illegal war. Sei’s drum. Es gab nichts Schöneres, als abends hier zu sitzen, über uns der Sternenhimmel, unter uns die Lichter der Stadt, die sich im Kanal spiegelten.

»Ich wüsste ja zu gern, wer der Tote im Kanal ist«, sinnierte ich, um sie von dieser unsinnigen Idee abzulenken. »Du hast wirklich keinen Blick auf ihn erhaschen können?«

Elda schüttelte den Kopf. »Ich hab die ganze Zeit zugeschaut, aber als man ihn aus dem Wasser gezogen hat, waren einfach zu viele Polizisten drumherum. Und dann hat man ihn auch gleich abgedeckt und in einen Leichensack gepackt.«

»Schade. Wenn man wüsste, wer es ist, könnte man vielleicht darauf schließen, warum er sterben musste.«

»Wenn es außer Bassotta überhaupt einer weiß, dann Ernesto«, antwortete Elda zwischen zwei Bissen. »Er hat den Toten schließlich aus nächster Nähe gesehen, da unten im Wasser. Von Bassotta werden wir es nicht erfahren. Von Ernesto schon. Wir könnten ihn fragen.«

Ich gab ihr nur ungern Recht, aber das ergab Sinn. Eine bessere Idee hatte ich leider auch nicht. Also verbrachten wir den Rest des Tages in stiller Eintracht am Fenster und schauten auf den Kanal in der Hoffnung, Ernesto würde mit seiner Gondel auftauchen. Hin und wieder glitt eine Gondel vorbei, doch nie war es Ernesto, der am Heckschnabel stand und den Remo bewegte. Als am Rio di San Zulian die Laternen angingen und das Stimmengewirr in der Gasse nachließ, weil die Tagestouristen zum Festland zurückkehrten, gaben wir es auf. Ernesto würde heute nicht mehr hier vorbeikommen. Vielleicht saß ihm der Schreck noch so in den Gliedern, dass er sich für den Rest des Tages freigenommen hatte.

Kapitel 2

Strahlender Sonnenschein weckte mich am nächsten Morgen. Ich hatte das Gefühl, gerade erst eingeschlafen zu sein. Die halbe Nacht hatte ich mich unruhig in meinen Laken herumgewälzt, die andere Hälfte der Nacht wurde ich von Albträumen geplagt. Leichen trieben im Kanal San Zulian, und als ich mich zum Wasser hinunterbeugte, um zu schauen, ob ich die Toten kannte, riss einer von ihnen plötzlich den Arm nach oben und hielt mir Di Gazzas Kündigungsbrief unter die Nase. Als ob das noch nicht reichte, wurde alles von Ernestos Gesang umrahmt wie von Filmmusik. Schweißgebadet war ich aufgewacht und überlegte, ob wohl ein Kaktusfeige-, Frittelle- oder Tramezzino-Tag vor mir liegen würde. Der Sonnenschein konnte trügerisch sein, das hatten wir ja gestern schon gesehen.

Ich deckte den Frühstückstisch, während Elda unten die Post holte. Ich hatte sie dazu überredet, das fortan zu übernehmen, um ihr etwas Bewegung zu verschaffen. Ich hegte die Hoffnung, dass sie in absehbarer Zeit wieder in ihre alten Röcke passen würde, wenn nur der Lift lange genug kaputt war. Als sie schließlich mit der Tageszeitung und zwei Briefen zurückkam, schnaufte sie wie eine Dampflok. Nichtsdestotrotz lag ein triumphierendes Grinsen auf ihrem Gesicht, und ihre Augen funkelten diabolisch.

»Jetzt haben wir ihn!«, frohlockte sie schon von weitem.

»Wen haben wir?« Ich stellte den Brotkorb auf den Tisch und ließ mich auf den Küchenstuhl sinken.

»Na, Di Gazza!« Elda schwenkte aufgeregt einen der Briefe vor meinem Gesicht. »Wir haben etwas, womit wir ihn erpressen können!«

Was redete sie da? Ich brauchte erstmal einen Kaffee und griff nach der Kanne. »Nochmal langsam und von vorn, ich versteh kein Wort!«

»Diesen Brief«, sagte Elda betont langsam, als wäre ich unserer Muttersprache nicht mächtig, »habe ich gerade aus Di Gazzas Briefkasten gefischt. Und damit haben wir den Beweis, dass er Geschäfte mit der Mafia macht. Ich hab’s doch gleich gewusst!«

Ich verschluckte mich am Kaffee und stellte die Tasse ab.

»Moment, du hast das Wesentliche vergessen. Welcher Beweis? Und überhaupt, wie kommst du dazu, Di Gazzas Post zu klauen?«

»Hast du schon wieder vergessen, was wir gestern besprochen haben?«

»Wir wollten Ernesto fragen, ob er den Toten erkannt hat«, sagte ich.

»Das auch. Aber vor allem wollten wir herausfinden, was Di Gazza zu verbergen hat. Und deshalb habe ich einen Kaugummi an einen Blumendraht gespießt und ein bisschen in seinem Briefkasten geangelt.«

Mir fehlten die Worte angesichts der kriminellen Energie meiner Mitbewohnerin.

»Da bist du platt, was?« Elda strahlte übers ganze Gesicht. »Und wann fragst du mich nun endlich, was da drinsteht?«

»Was steht da drin?«, sagte ich matt.

»Lies selbst!« Sie kredenzte mir den Brief, als wäre er der heilige Gral, und schaute mich erwartungsvoll an. »Er ist auf Sizilien abgestempelt, wie du siehst. Das ist doch ein weiterer Beweis, dass die Mafia hier ihre Hand im Spiel hat.«

»Die Mafia verschickt also Briefe in rosa Blümchenumschlägen, ja?« Allmählich zweifelte ich an ihrem Verstand.

»Alles Tarnung! Schau hinein!«

Zunächst nahm ich den Umschlag in Augenschein. Er war tatsächlich auf Sizilien abgestempelt, allerdings schon vor beinahe zwei Wochen. Entweder hatte Di Gazza seit mehreren Tagen seinen Briefkasten nicht mehr geleert, oder La Poste Italiane hatte – was wahrscheinlicher war – ziemlich lange für die Beförderung gebraucht.

Ich klappte das Kuvert auf und zog eine Doppelkarte heraus. Auf der Vorderseite waren ein Teddybär und rosa Babyschühchen zu sehen. Das wurde ja immer besser.

»Lies!«, befahl Elda, nun schon etwas strenger.

Also klappte ich die Karte auf und las:

»Marie-Juana ist da! 4300 Gramm schwer, 53 Zentimeter groß, gesund und kräftig. Wir freuen uns, dich bald zu sehen.«

Verwirrt schaute ich zu Elda auf. »Das ist eine Geburtsanzeige.«

»Papperlapapp, Geburtsanzeige! Hast du keine Augen im Kopf? Die kündigen ein Paket Cannabis an, fast viereinhalb Kilo in einem Paket von 53 Zentimetern. Wir müssen nur noch rausfinden, wann und wo sie sich zur Übergabe treffen wollen.«

»Elda, jetzt setz dich mal. Die Mafia handelt nicht mit Cannabis, die bevorzugen härtere Drogen. Das hier ist eine Geburtsanzeige für ein kleines Mädchen mit einem zugegeben etwas ungewöhnlichen Namen.«

»Also, mir wäre auch lieber, da würde Kokain oder Heroin stehen, aber es ist schließlich besser als gar nichts!«, schmollte Elda.

»Kein Mensch nennt seine Tochter Kokain oder Heroin. Außer vielleicht Bruce Willis und Demi Moore. Aber ich weiß zufällig, dass Di Gazzas Tochter in einer internationalen Hippie-Kommune auf Sizilien wohnt, mit einem Spanier in wilder Ehe. Jetzt haben die beiden eben ein Kind bekommen. Sie mögen ja Gras rauchen, und zweifelsohne waren sie gerade auf ‘nem Trip, als sie sich den Namen für ihr Kind ausgedacht haben, aber das ist ja noch lange keine Straftat!«

»Meinst du wirklich?« Jetzt tat sie mir tatsächlich etwas leid, wie sie da so zusammengesunken am Küchentisch saß. Wie ein zum Platzen praller Ballon, aus dem man plötzlich die Luft abgelassen hatte.

»Du hast es ja nur gut gemeint«, lenkte ich ein. »Was ist mit dem anderen Brief?«

»Die Stromrechnung«, hauchte sie und schrumpfte gleich noch ein bisschen mehr in sich zusammen.

Ich seufzte. Ein stacheliger Kaktusfeigen-Tag. Ich hatte es doch gleich geahnt. »Gib mir die Zeitung. Vielleicht schreiben sie ja, wer der Tote im Kanal war.«

Elda schob mir den Gazzettino di Venezia über den Tisch und griff nach einem Panino. Gut so, Essen half ihr meistens, wenn sie schlecht drauf war.

Ich schenkte uns nochmal Kaffee nach und zündete mir ein Zigarillo an. Dann nahm ich mir die Zeitung vor.

Die Identität des Toten erfuhr ich nicht. Allerdings fand ich einen Zeugenaufruf, bei dem man eine Belohnung von bis zu 10.000 Euro abstauben konnte, wenn man sachdienliche Hinweise zu Mord geben konnte. Ich rechnete die Summe schnell in Monatsmieten um. Zehntausend Euro! Das war eine Menge Geld. Dieser Tote musste eine wichtige Persönlichkeit gewesen sein.

Ich überlegte. Wenn wir auf eigene Faust Ermittlungen anstellen und etwas herausfinden würden, hätten wir gute Chancen auf die ausgelobte Belohnung. Wir könnten unsere Mietschulden abzahlen, und die nächsten paar Monate wären auch gesichert.

»Elda, ich hab eine Idee«, sagte ich und drückte mein Zigarillo aus.

Sie wischte sich die Krümel vom Mund und sah mich erwartungsvoll an. »Was denn?«

»Wir gründen ein Detektivbüro!«

Ich las ihr den Zeugenaufruf vor und sah, wie sich ein Strahlen auf ihrem Gesicht ausbreitete.

Vielleicht hatten wir ja doch einen Frittella-Tag erwischt.

Die nächsten Stunden verbrachten wir mit der Suche nach Ernesto in der Hoffnung, von ihm etwas über den Toten im Rio de San Zulian zu erfahren. Ohne zu wissen, wen es da erwischt hatte, fehlte uns jeglicher Ansatzpunkt für eigene Ermittlungen. Da wir nicht wussten, wo Ernesto wohnte, liefen wir die Kanäle der Stadt ab. Irgendwo musste er mit seiner Gondel ja rumschippern. Anfangs waren wir noch guter Dinge, ihn schnell zu finden. Das konnte doch nicht so schwer sein, immerhin würden wir ihn mit Sicherheit hören, bevor wir ihn überhaupt zu Gesicht bekamen. Wir liefen alle Sestiere der Stadt ab, die wir zu Fuß erreichen konnten, setzten sogar zur Guidecca über, obwohl dort quasi nie Gondeln unterwegs waren. Von Stunde zu Stunde wurden wir mutloser.

Ernestos Kollegen, die an der Anlegestelle am Bacino Orseolo auf Gäste warteten, zuckten nur ratlos mit den Schultern, als wir nach ihm fragten. Er sei seit gestern nicht mehr hier gewesen, hieß es. Von Urlaub hätte er nichts erzählt. Immerhin wusste einer von ihnen vage, wo Ernesto wohnte. Er hätte ein Casone in der Lagune, sagte er. Eine dieser alten Fischerhütten, die auf Stelzen mitten im Wasser stehen und die man nur mit dem Boot erreichen kann. Sein Vater wäre Fischer gewesen und hätte ihm die Hütte vererbt. Wo genau sie aber liegt, konnte er uns nicht sagen. Da draußen würde es weder Telefon noch Internetempfang geben, deshalb sei es praktisch unmöglich, mit ihm in Kontakt zu treten.

Vielleicht hatte er sich ja beim Bad im Kanal erkältet, hatte Fieber bekommen und lag nun krank zu Hause im Bett. Es war erst April, und das Wasser war noch ganz schön kühl. Aber ganz davon abgesehen, dass wir dafür ein Boot brauchten, müssten wir erstmal wissen, wo wir seine Residenz suchen sollten. Allmählich machten wir uns Sorgen. Nicht nur um Ernesto, sondern auch um den Erfolg unseres Plans, der heute Morgen noch so vielversprechend ausgesehen hatte. Wir hatten nur noch eine Woche, bis Di Gazza uns auf die Straße setzen würde.

Als es zu dämmern begann, standen wir ratlos und völlig erschöpft in der Nähe der Rialtobrücke und sahen zu, wie die Vaporetti Kurs auf die Piazzale Roma nahmen, um die letzten Tagestouristen aus der Stadt zu schaffen.

»Lass uns für heute Schluss machen«, bat Elda, die schon seit einiger Zeit ihren Rockbund umklammerte. Die Sicherheitsnadel, mit der ich ihren kaputten Reißverschluss notdürftig repariert hatte, war unterwegs verlorengegangen. Nun fürchtete sie offenbar, auf offener Gasse einen unfreiwilligen Striptease hinzulegen. »Ich habe Hunger«, jammerte sie. »Und außerdem schließen die Klamottenläden gleich, und ich brauche dringend noch einen neuen Rock!«

»Also gut«, lenkte ich ein. Wir würden heute ohnehin nichts mehr erreichen. »Lass uns schnell einen Rock für dich kaufen, anschließend gehen wir was essen.«

Das nächstgelegene Kaufhaus war das Fondaco dei Tedeschi, das ursprüngliche Handelshaus der Deutschen im Mittelalter. Es stammte aus dem sechsten Regierungsjahr des Dogen Leonardo Loredan und lag direkt neben der Rialtobrücke am Canal Grande. Lange Zeit hatte das Gebäude das Venezianische Hauptpostamt beherbergt, bevor es schließlich vor einigen Jahren an die Benetton-Group verkauft und zu einem gigantischen Kaufhaus der Luxusklasse umgebaut worden war, dem unsere bescheidenen finanziellen Mittel nicht annähernd gewachsen waren.

»Bis wir etwas Günstigeres gefunden haben, sind die Läden längst geschlossen«, nörgelte Elda, nachdem ich ihr den Vogel gezeigt hatte. »Außerdem kriegen wir dort auch gleich was zu essen. Wie lange willst du denn noch durch die Stadt rennen?«

»Und wovon willst du das bezahlen?«, fragte ich. »Bist du bereit, dafür unsere letzten Kröten auf den Kopf zu hauen?«

Elda zuckte gleichmütig die Schultern. »Wenn alles gut geht, sind wir in ein paar Tagen um zehntausend Euro reicher. Und wenn nicht, können wir uns sowieso die Kugel geben.«