Venezianische Verwicklungen - Daniela Gesing - E-Book
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Venezianische Verwicklungen E-Book

Daniela Gesing

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Beschreibung

Luca Brassoni – Kaffeeliebhaber, geschieden und der Ermittler mit dem besten Gespür bei der Polizei von Venedig – wird zu dem Fundort einer Leiche gerufen. Vor der Gallerie dell'Accademia am Südufer des Canal Grande liegt unter einer Plane der deutsche Kunstexperte Konstantin Becker. Der Professor reiste in Begleitung seiner jungen Mitarbeiterin und mit einem lukrativen Auftrag. Er sollte die Echtheit eines Picassos klären, der in der Sammlung Guggenheim aufgetaucht ist. Ein Gemälde, das viele Begehrlichkeiten weckt. Luca Brassoni lässt sich von der eleganten Kunstwelt nicht blenden, dazu kennt er die Menschen, vor allem seine Venezianer, viel zu gut. Von Daniela Gesing sind bei Midnight in der Ein-Luca-Brassoni-Krimi-Reihe erschienen: Venezianische Verwicklungen Venezianische Delikatessen Venezianische Schatten Venezianisches Verhängnis Venezianische Intrigen Venezianische Rache

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Veröffentlichungsjahr: 2014

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Die Autorin Daniela Gesing, Jahrgang 65, hat nach ihrer Ausbildung zur Erzieherin Komparatistik und Pädagogik studiert und bei einer örtlichen Familienzeitung gearbeitet. Bislang hat sie zwei Regionalkrimis rund um den Bochumer Kommissar Andreas Heller veröffentlicht. Die Autorin lebt mit ihrer Familie und ihrem Hund in Bochum.

Das Buch Luca Brassoni – Kaffeeliebhaber, geschieden und der Ermittler mit dem besten Gespür bei der Polizei von Venedig – wird zu dem Fundort einer Leiche gerufen: Vor der Gallerie dell’Accademia am Südufer des Canal Grande liegt unter einer Plane der deutsche Kunstexperte Konstantin Becker. Der Professor reiste in Begleitung seiner jungen Mitarbeiterin und mit einem lukrativen Auftrag. Er sollte die Echtheit eines Picassos klären, der in der Sammlung Guggenheim aufgetaucht ist. Ein Gemälde, das viele Begehrlichkeiten weckt. Luca Brassoni lässt sich von der eleganten Kunstwelt nicht blenden, dazu kennt er die Menschen, vor allem seine Venezianer, viel zu gut.

Daniela Gesing

Venezianische Verwicklungen

Luca Brassonis erster Fall

Kriminalroman

Midnight by Ullsteinmidnight.ullstein.de

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Originalausgabe bei Midnight Midnight ist ein Digitalverlag der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin August 2014 © Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2014 Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München Titelabbildung: © Finepic® Autorenfoto: © privat

ISBN 978-3-95819-006-1

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzung wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung

Für Ben

Prolog

Es war Nacht in den Gassen von Venedig. Ein feiner Regen nieselte auf den Asphalt, der einen Dunst wie leichten Nebel verströmte. Weit und breit war kein Mensch zu sehen.

Die Laternen erleuchteten die Piazza San Marco und tauchten alle Gebäude in ein goldenes Licht. Eine streunende, grau gefleckte Katze strich rastlos die Mauern und Säulen entlang auf der Suche nach Ratten und Mäusen. Plötzlich ertönte ein quietschendes Geräusch. Die Katze sah auf, machte einen Buckel, miaute leise und versteckte sich verängstigt im Hauseingang des Caffé Florian in einer dunklen Nische.

Kurz darauf bogen drei vermummte Gestalten um die Ecke, die eine alte Handkarre hinter sich herzogen. Sie überquerten den Platz, vorbei am Markusdom, dem fast eintausend Jahre alten Kirchengebäude mit den fünf Kuppeln und den prachtvoll verzierten Bögen und Fenstern, dem Campanile, von dessen Glockenstube aus man ganz Venedig überblicken kann, und dem Dogenpalast, dem früheren Machtzentrum der Politik und Gesetzgebung.

Die Räder des Handkarrens quietschten in unregelmäßigem Rhythmus alle paar Schritte anklagend vor sich hin. Die Ladefläche war mit einer Bootsplane abgedeckt. Die Fracht schien zu schwer für das alte Holzgestell. Einer der Männer, dessen rotbrauner Bart unter der Kapuze hervorquoll, fluchte leise vor sich hin, als ihm der Handkarren aus der Hand rutschte und er ihn erst im letzten Moment vor dem Umkippen bewahren konnte. Er hatte einen Stein übersehen, der auf der Erde lag.

Dann endlich war die seltsame Prozession am Canale Grande angekommen, wo ein Boot auf sie wartete. Hand in Hand hievten die drei Männer ihre wertvolle Fracht in das Innere des Bootes. Danach stiegen der Bärtige und ein großer, schlanker Mann in dunkler Jacke hinein, der dritte, kleinere, dickliche Helfer, bekleidet mit einem grauen Parka, verabschiedete sich per Handschlag und kehrte wieder um.

Das Boot nahm unverzüglich Fahrt auf, den Weg entlang des Kanals Richtung Accademia, linker Hand vorbei an der Kirche Santa Maria della Salute. Die prachtvollen Gebäude auf beiden Seiten des Kanals strahlten eine erhabene Würde aus. Das Wasser warf leise Wellen und glitzerte im Schein der Laternen. Die Fahrt ging schnell und ruhig vonstatten.

Unter der Plane begann sich unbemerkt etwas zu regen. Die Männer auf dem Boot unterhielten sich leise, aber angeregt. Keiner von ihnen beachtete die lebendig werdende Fracht. Sie diskutierten den weiteren Ablauf ihrer Mission.

Wo bin ich? Es ist so dunkel, dachte der Mann und versuchte, seine Augen zu öffnen.

Doch die Lider waren zugeschwollen von den vielen Schlägen. Langsam erinnerte er sich.

Das Atmen fiel ihm schwer. Wahrscheinlich haben sie mir ein paar Rippen gebrochen, dachte er. Wer waren diese Leute? Was hatten sie mit ihm vor? Ihm fiel ein, wie der Bärtige, kurz bevor er ohnmächtig geworden war, gesagt hatte: »Es reicht jetzt! Seht ihn an, er ist so gut wie tot.« Der Mann fing nun an zu zittern, sein ganzer Körper bebte leise. Vielleicht hielten sie ihn wirklich für tot. Er musste sich ganz ruhig verhalten. Wenn er doch nur wüsste, was sie mit ihm vorhatten. Vorsichtig versuchte er, seinen linken Arm zu bewegen, was ihm einen stechenden Schmerz einbrachte. Eine Welle von Übelkeit brach über ihn herein. Er bemühte sich, an etwas Schönes zu denken, was ihm angesichts seiner Lage schwerfiel. Er musste durchhalten, einfach nur durchhalten. Eine Erschütterung zerriss urplötzlich seinen Körper.

Was war mit dem Bild? fragte er sich, bevor er wieder in tiefer Bewusstlosigkeit versank.

Kapitel 1

»Hab ich dir eigentlich schon gesagt, dass du im Schlaf so laut wie ein Bär schnarchst?«

Luca Brassoni öffnete schlaftrunken seine Augen, blinzelte zweimal vorsichtig gegen das helle Morgenlicht an, das durch die Öffnungen der Fensterläden schien und den Beginn eines neuen, verheißungsvollen Sommermorgens verkündete. Dann drehte er sich mürrisch auf die andere Seite seines Kissens, um sich aber gleich darauf aufrecht hinzusetzen und auf seine Uhr zu schauen.

»Verdammter Mist, schon halb acht! Warum hast du mich nicht eher geweckt?«

»Madonna, was schimpfst du mit mir, du hast geschlafen wie eine Baby, da wollte ich dich nicht wecken!«

Maria zog die Bettdecke etwas höher über ihre nackte Brust, rollte mit ihren dunklen Augen, wickelte sich schließlich komplett in das Laken, stand auf und marschierte mit gespieltem Beleidigt sein Richtung Badezimmer.

»Ich gehe mich duschen, du kannst ja schon mal einen Espresso aufsetzen. Ein Cornetto wäre auch nicht schlecht!«

Sie hauchte ihm einen Luftkuss durch den Türrahmen zu und verschwand hinter der Badezimmertür.

Der Commissario brummte verstimmt, schnappte sich dann aber seine Jeans und sein Hemd und schlüpfte in seine Schuhe. Nun musste er auch noch Cornetti beim Bäcker besorgen. Das hatte er davon, dass er sich mit einer Kollegin eingelassen hatte. Maria Grazia Malafante war die Sekretärin seines Chefs, bildhübsch, aber leider auch verheiratet und ausgestattet mit sehr viel Selbstbewusstsein. Ständig kommandierte sie ihn herum und hatte Sonderwünsche.

Ihr Mann Stefano, ein Anwalt, war für zwei Tage auf einer Fortbildung, so waren sie gestern Abend nach einem romantischen Essen am Canale Grande in seiner Wohnung gelandet.

Luca Brassoni konnte Marias Reizen einfach nicht widerstehen, aber er befürchtete, dass das Ganze zu keinem guten Ende führen würde.

Der Commissario war zweiundvierzig, geschieden, von kräftiger Statur, aber attraktiv. Zur Vollendung seines guten Aussehens fehlte ihm jedoch der kleine Finger der linken Hand, den er im Alter von zwölf Jahren in der Metzgerei seines Onkels Paolo verloren hatte, als sein Cousin Marco ihm demonstrieren wollte, dass er schon ebenso gut wie sein Vater große Fleischstücke mit dem Hackmesser zerteilen könnte.

Brassonis Hand hatte zu allem Unglück ein Stück zu nah neben dem Schweineschinken gelegen. Das war inzwischen vergeben und vergessen.

Seufzend schloss er die Wohnungstür im ersten Stock seines Apartments im Stadtteil Dorsoduro hinter sich zu. Er wohnte in der Calle del Degolin, einer ruhigen Straße nahe dem Zattere, der beliebtesten Uferpromenade der Venezianer.

Freundlich grüßte er die Nachbarin aus dem zweiten Stock, die ihr Einkaufswägelchen umständlich hinter sich herzog und wahrscheinlich auf dem Weg zum Billa-Supermarkt war, wie der Commissario vermutete.

»Guten Morgen, Signora Vasconti. Was für ein schöner Tag heute!«

Die alte Frau hob abwehrend die Hand.

»Diese Hitze, Commissario, in meinem Alter verträgt man das nicht mehr so gut. Deswegen gehe ich frühmorgens einkaufen. Den Juli und den August verbringe ich fast nur in der Wohnung. Sie sind noch jung, wenn ich in Ihrem Alter wäre, würde ich jeden Tag zum Lido rausfahren!«

Luca Brassoni schmunzelte.

»In meinem Alter hat man keine Zeit für den Strand. Die Arbeit ruft, und das sechsmal die Woche. Aber ich wünsche Ihnen trotzdem einen schönen Tag!«

Die alte Frau nickte ihm kurz zu und verschwand dann hinter der nächsten Calle.

Brassonis Laune hatte sich dank des kurzen Gesprächs und des herrlichen Wetters plötzlich um einhundert Prozent gebessert. Pfeifend betrat er den Bäckerladen, bestellte drei Cornetti und ein großes Baguette, plauderte angeregt mit Laura, der dicken blonden Verkäuferin, über die neuesten Artikel in der Tageszeitung und machte sich beschwingt auf den kurzen Rückweg zu seiner Wohnung. Immer wieder schaute er in den wolkenlosen blauen Himmel, atmete die unvergleichliche, würzige Luft Venedigs ein und sagte zu sich selbst, dass er ein glücklicher Mann war, hier leben zu dürfen.

Eine leichte Brise strich ihm zärtlich über den haarlosen, rasierten Kopf, während er auf sein Wohnhaus zulief. Er steckte den Schlüssel in die Haustür, ging durch den schmalen Flur die Treppe rauf in die erste Etage, öffnete seine Wohnungstür, zog sich die Schuhe aus, legte den Schlüssel auf die Ablage und betrat die Küche.

Aus dem Bad hörte er leise Musik. Dann wurde der Föhn angemacht, und Brassoni widmete sich wieder dem Frühstück. Für Maria Grazia machte er einen Espresso mit aufgeschäumter Milch, für sich selber schwarz mit viel Zucker. Die beiden Tassen, die Hörnchen und das Baguette sowie etwas Butter, Besteck und zwei Gläser Marmelade balancierte er auf einem Tablett zum Esstisch im Wohnzimmer.

Kurz darauf erschien Maria, lehnte sich liebevoll an ihn, zog sich einen Stuhl heran und nahm einen Schluck Espresso. Ihre Haare waren noch feucht, sie duftete nach Duschgel und Shampoo. Brassoni betrachtete sie mit gemischten Gefühlen, während er sein Cornetto mit Butter und Marmelade bestrich. Es war manchmal schön mit ihr, aber er würde auch froh sein, wenn er seine Wohnung wieder für sich hatte. Schlimm genug, dass er auf der Arbeit so tun musste, als wären sie nur Kollegen. Auf Dauer wurde das Ganze anstrengend, aber er wusste nicht, wie er es ihr beibringen sollte. Sie war sehr impulsiv und er befürchtete ein großes Drama, wenn er mit ihr Schluss machte. Er hatte sich blitzschnell in sie verliebt, und genauso schnell hatte er erkannt, dass sie eigentlich nicht zueinanderpassten. Obwohl er Maria sehr gern mochte, wollte er weder ihre Ehe zerstören noch eine feste Beziehung mit ihr eingehen. Aber jedes Mal, wenn er das Thema ansprach, stellte sie sich auf beiden Ohren taub. Und er hatte auf keinen Fall vor, sie zu verletzen.

Maria tunkte ihr Cornetto in den Espresso, biss Stück für Stück genüsslich ab, wischte sich mit einer Serviette die Krümel vom Mund und stand dann auf.

» Caro, ich muss los, sonst komme ich zu spät. Wir sehen uns später im Büro. Danke für alles!«

Sie gab ihm einen langen, leidenschaftlichen Kuss, der nach Kaffee und Hörnchen schmeckte,

dann war sie auch schon verschwunden.

Luca Brassoni atmete auf. Er würde sich schnell rasieren, unter die Dusche hüpfen, sich frische Sachen anziehen und dann zum Polizeirevier fahren.

Als er gerade tropfnass aus der Duschkabine stieg, hörte er sein Handy klingeln.

Rasch griff er sich ein Handtuch, trocknete sich notdürftig ab und lief, feuchte Fußabdrücke auf dem Holzfußboden hinterlassend, zu seiner Hose, die im Flur lag.

Er fischte sein Handy aus der Tasche und drückte im letzten Moment die Annahmetaste.

»Pronto! Chi parla? Ach, du bist es, Maurizio. Was gibt’s?«

»Luca, wo bleibst du? Wir haben einen neuen Fall. Man hat unweit der Accademia-Brücke, direkt vor dem Eingang der Galleria dell’ Accademia, einen Toten gefunden. Wie es aussieht ein Tourist, vermutlich Deutscher. Er kann nicht lange dort gelegen haben, du weißt ja, wie viel Betrieb in dieser Gegend ist. Trotzdem muss der Mord in einer Zeit passiert sein, als kaum jemand unterwegs war. Es gibt keine Zeugen. Der Kioskbesitzer hat ihn gefunden. Und der Tote…, na ja, so was habe ich noch nicht gesehen. Er hat eine frische Tätowierung auf der Brust und…, also, du solltest selber einen Blick darauf werfen!«

»Ich bin in zehn Minuten da, Maurizio. Sperrt alles weiträumig ab, bevor der Touristenstrom alle Spuren verwischt.«

»In Ordnung Luca, bis gleich!«

Brassoni legte das Handy auf den Esstisch, auf dem noch die Reste des Frühstücks warteten. Dafür war jetzt keine Zeit mehr, wegräumen würde er heute Abend. Eilig putzte er sich die Zähne, zog sich Unterwäsche, ein frisches Hemd und eine helle Hose an und machte sich zu Fuß auf den Weg zur Accademia. Die von Miozzi erbaute hölzerne Brücke war einer der Lieblingsorte des Commissario. Von dort aus hatte man einen herrlichen Ausblick entlang des Canale Grande auf die Kirche Santa Maria della Salute. Und an das Geländer der Accademia-Brücke hatte er vor vielen Jahren wie tausend andere Verliebte ein Schloss mit den Namen seiner damaligen Freundin und seiner Wenigkeit gehängt. Gehalten hatte die große Liebe trotzdem nur drei Monate, bis er für ein Jahr wegen des Studiums nach Deutschland gegangen war.

Luca Brassoni hatte deutsche Vorfahren. Seine Großmutter mütterlicherseits stammte aus

der bayrischen Stadt Bad Tölz und hatte Ende der Vierzigerjahre einen italienischen Ingenieur aus Venedig geheiratet, der für einen großen Konzern in Süddeutschland arbeitete. Da seine Großmutter ihre Heimat und ihre Familie nicht verlassen wollte, entschied man sich, in Bad Tölz zu bleiben. Brassonis Mutter, das einzige Kind seiner Großeltern, zog es dagegen schon als junge Kunststudentin nach Venedig zurück, wo sie seinen Vater, einen bekannten Maler und Bildhauer, kennenlernte und schließlich heiratete. Als kleiner Junge hatte der Commissario jeden Sommer einen Teil seiner Ferien in der schönen Stadt an der Isar verbracht, Steine in den Fluss geworfen, Libellen gefangen und in der Küche seiner Oma vom Kaiserschmarrn genascht.

Als die Großmutter starb, war er 14 Jahre alt. Die schönen Erlebnisse in dem idyllischen Ort hatte er nie vergessen, und so entschloss er sich als junger Student, ein Jahr lang nach München zu gehen. Dort hatte er seine Leidenschaft fürs Kochen entdeckt. Eine Kommilitonin hatte ihm zahlreiche rustikale Rezepte beigebracht. Noch heute zauberte er neben dem guten italienischen Essen gerne deftige bayrische Gerichte wie Schweinebraten mit Knödeln oder aß ab und an eine gute Weißwurst, die er sich übers Internet von einem bayrischen Metzger schicken ließ.

Brassonis Gedanken wurden jäh durch das durchdringende Schluchzen einer jungen Frau unterbrochen, die am abgesperrten Tatort neben der zugedeckten Leiche stand.

Der Commissario tauchte unter dem Absperrband durch, grüßte Carla, die aparte Gerichtsmedizinerin, die sich über ihren Instrumentenkoffer beugte, und wandte sich neugierig Maurizio zu, seinem hochgeschätzten Kollegen.

Maurizio Goldini, ein studierter Kriminologe mit Doktortitel wie Brassoni, nickte dem Commissario zu und wies mit einer Hand auf die Leiche. Nebenan versuchte eine Streifenpolizistin die junge Frau, die ununterbrochen weinte, zu beruhigen.

Goldini steckte sich ein Stück Schokolade in den Mund, eine Marotte, der er mehrmals täglich nachgab. Selbst in der Sommerhitze der letzten Tage. Ohne Schokolade könne

er nur halb so gut denken, behauptete er. Seiner durchtrainierten Figur sah man das zum Glück nicht an.

»Buongiorno, Luca. Schau dir das an, so hat man die Leiche heute Morgen gefunden. Unter einer Bootsplane, deswegen sind wohl auch einige frühe Spaziergänger achtlos daran vorbeigegangen. Du weißt ja, hier ist immer eine Menge los, außerdem ist in unmittelbarer Nähe die Vaporettostation. Der Kioskbesitzer wurde schließlich aufmerksam und warf einen Blick unter die Plane. Er hat uns angerufen.«

Brassoni betrachtete aufmerksam den Fundort der Leiche. Wie drapiert lag der Körper unter der blauen Abdeckung, direkt an der Mauer der Eingangsseite der Galleria dell`Accademia.

Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn der Touristenstrom schon unterwegs gewesen wäre, dachte er. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass die aufgelöste junge Frau außer Sichtweite war, hob Brassoni vorsichtig die Plane ein Stück zur Seite.

Der Commissario hatte schon einige Leichen gesehen, aber diese hier bot auch dem hartgesottensten Kriminalisten einen erschreckenden Anblick.

»Sieh dir das an, Luca. Man hat dem armen Kerl die halbe Zunge abgeschnitten. Und auf der Brust hat er eine seltsame Tätowierung. Sieht aus wie die Worte: pericolo di morte.

Lebensgefahr! Was hat dieser Mann getan, dass er sich in Lebensgefahr gebracht hat?«

Goldini verzog die Mundwinkel zu einem Fragezeichen und wartete, bis der Commissario sich die Leiche eingehend angeschaut hatte. Dann wandte sich Brassoni erneut an seinen Kollegen.

»Hat Carla Sorrenti, die Gerichtsmedizinerin, schon den Zeitpunkt des Todes festgestellt? Und woran ist er überhaupt gestorben?«

Maurizio zuckte mit den Schultern.

»Der Tote ist offensichtlich gefoltert worden. Es gibt diverse Knochenbrüche, schwere Schlagverletzungen, und wie du unschwer erkennen kannst, hatte man ihm eine Schlinge um den Hals gelegt. Der Todeszeitpunkt könnte den ersten Erkenntnissen nach gegen zwei bis drei Uhr in der Nacht gewesen sein. Am besten sprichst du gleich mal mit Carla. Aber sieh mal hier, auf dem Boden rechts unter der Leiche. Es ist etwas verwischt, aber man kann immer noch ganz gut erkennen, dass jemand versucht hat, etwas auf die Steine zu schreiben.«

Brassoni ging runter in die Knie, bis er fast den Boden berührte und betrachtete neugierig die Schriftzeichen neben der Leiche.

»Was meinst du, Maurizio, könnten das ein C und ein V sein?«

»Ich denke schon. Die Spurensicherung hat alles fotografiert. Möglicherweise ist der Mann noch nicht tot gewesen, als man ihn hier ablegte, und wollte einen Hinweis auf seine Mörder geben. Was hältst du von der ganzen Sache?«

Der Commissario setzte sich mit einem Ächzen wieder auf, rieb sich die schmerzenden Knie und verzog den Mund zu einer zweifelhaften Grimasse.

»Tja, da muss ich erst mal passen. Ich kann mir keinen Reim auf die Tätowierung und die Buchstaben machen. Vielleicht sollten wir zuerst Fakten sammeln, die Untersuchungsergebnisse abwarten und uns ein Bild vom Opfer machen. Habt ihr schon seine Identität herausgefunden? Wer ist die junge Frau dort vorne, die unablässig vor sich hin weint? Eine Angehörige?«

Maurizio hob die Schultern.

»Sie heißt Evelyn Sanders, 28 Jahre alt. Eine Deutsche. Sie behauptet, der Tote wäre ihr Professor, ein gewisser Konstantin Becker aus München. Er sei Kunstexperte und wegen eines wichtigen Bildes hier in Venedig. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und hat ihn hierher begleitet. Angeblich ist sie zufällig diesen Weg entlanggegangen, ein Spaziergang zum Supermarkt. Sie hat neugierig zugeschaut, wie wir den Tatort untersuchten und ihn an seiner Kleidung erkannt.

Sie hat sich so aufgeregt, dass sie fast zusammengebrochen ist.

Die beiden waren seit einer Woche in Venedig, sie haben Zimmer im Hotel Villa d’Oro. Sie hat ihn zuletzt gestern Abend gegen zweiundzwanzig Uhr gesehen, dann ist sie schlafen gegangen. Heute hatte sie frei. Wir überprüfen ihre Angaben noch.«

Brassoni nickte angespannt und zog die Plane wieder über die Leiche. Die Leute von der Gerichtsmedizin warteten schon, um die Leiche in die Pathologie abzutransportieren.

Der Commissario sah zu, wie der tote Mann in einen Leichensack gehüllt und von zwei Männern zu einem Polizeiboot gebracht wurde.

»Ich versuche noch mal, mit dieser Evelyn zu sprechen. Vielleicht erfahre ich noch ein bisschen mehr. Fahr du zurück zur Questura und bemüh’ dich, die Tätowierung von den Experten entschlüsseln zu lassen. Wir sehen uns nachher im Büro!«

Goldini steckte seinen Notizblock und den Stift in die Jackentasche, sein Gesichtsausdruck war reglos, aber ernst. Er fuhr sich durch die dichten schwarzen Haare, warf einen letzten Blick auf den Tatort und murmelte im Gehen: »Mir schwant Böses, mein Gefühl sagt mir, dass wir mit diesem Fall in ein Wespennest stechen, das wir lieber in Ruhe gelassen hätten!«

Brassoni, der die Worte Goldinis gehört hatte, sah seinem Kollegen mit gerunzelter Stirn nach. So fatalistisch kannte er Maurizio gar nicht. Normalerweise arbeitete er mit professioneller Distanz, präzise und methodisch. Der Commissario überlegte kurz, ob Goldinis Vorahnungen berechtigt sein könnten, verwarf den Gedanken aber sofort wieder und wandte sich der Gerichtsmedizinerin zu, die ihre Utensilien bereits einpackte.

Die Zeugin musste noch einen Moment warten.

Carla Sorrenti sah nicht aus wie eine typische Italienerin und erst recht nicht wie eine Gerichtsmedizinerin. Sie war Anfang dreißig, blond, hatte ihre langen Haare zu einem kunstvollen Dutt aufgesteckt und trug ein einfaches weißes T-Shirt unter ihrem Kittel, dazu eine bequeme beigefarbene Baumwollhose. Sie sah immer sehr sportlich aus, manchmal trug sie noch Reitstiefel, wenn sie unvermutet zu einem Tatort gerufen wurde. Der Commissario hatte gehört, dass sie in ihrer Freizeit gerne am Strand vom Lido entlang ritt, wo sie auch wohnte.

Sie lächelte Brassoni freundlich an, als er sie ansprach. Für einen kurzen Augenblick verlor sich der Kommissar in ihren großen, hellblauen, klaren Augen, die in ihrem fast ungeschminkten Gesicht einen wundervollen Kontrast zu der gebräunten Haut darstellten.

Der Commissario räusperte sich verlegen.

»Dottoressa Sorrenti, ich würde gerne von Ihnen hören, was Sie über die Todesumstände des Verblichenen herausgefunden haben?«

Die Gerichtsmedizinerin konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen.

»Warum so gestelzt heute, Commissario? Aber gut, ich wiederhole noch einmal, was ich Goldini schon erzählt habe. Durch die multiplen Verletzungen ist es schwierig, die eigentliche Todesursache herauszufinden, das kann ich erst nach genauen Untersuchungen in meinem Labor sagen. Ich vermute – und ich betone, dass dies eine Vermutung ist – , dass der Mann an inneren Blutungen und einem Herzstillstand gestorben ist. Die Tätowierungen auf seiner Brust sind ganz frisch, die hat man ihm während der Misshandlungen zugefügt. Sein restlicher Körper hat im Laufe seines Lebens niemals eine Tätowiernadel gesehen, also war er vermutlich kein Fan dieser Art von Verschönerung.

Und ja, er hat vermutlich noch gelebt, als man ihn hier abgelegt hat. Reicht Ihnen das erst mal?«

»Natürlich!«, versicherte Brassoni beflissentlich und wusste selber nicht, weshalb er so unterwürfig auf diese Frau reagierte.

»Ich warte dann auf Ihren Bericht. Einen schönen Tag noch.«

Carla Sorrenti sah ihm kopfschüttelnd nach, als er sich zum Gehen anschickte, dann machte sie sich selber auf den Weg in die Gerichtsmedizin.

Luca Brassoni versuchte, seine Herzfrequenz herunterzufahren und sich wieder auf den Fall zu konzentrieren. Was war bloß mit ihm los heute? Auf Frauen reagierte er anscheinend allergisch. Das kam sicher durch sein kompliziertes Verhältnis zu Maria Grazia. Er musste so bald wie möglich mit ihr reden.

Kapitel 2

Nicht unweit vom Tatort beobachtete ein unscheinbarer Tourist, dessen Gesicht hinter einer riesigen Sonnenbrille versteckt war, die Aktivitäten der Polizei. Er war groß, kräftig gebaut, trug ein kurzärmeliges, kariertes Hemd und eine khakifarbene kurze Hose. Seine schmalen Lippen unter dem gestutzten rotbraunen Vollbart verengten sich, als die Leiche des ermordeten Mannes abtransportiert wurde. Irgendetwas war heute Nacht schiefgegangen. Diese Leute begreifen nicht, was noch auf sie zukommen wird…

Eine ältere Frau rempelte ihn an, um besser sehen zu können.

Instinktiv griff der Bärtige zu seinem Rucksack, in dem sich eine schallgedämpfte Pistole befand. Wütend und mit scharfem Blick drückte er die alte Frau zur Seite, die ihn erschrocken ansah.

Dann löste sich der Mann aus der Menschentraube und suchte sich einen besseren Platz, um sich für einen kurzen Moment das Erscheinungsbild des glatzköpfigen Commissarios einzuschärfen, der jetzt vor der weinenden jungen Frau stand.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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