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In den Trümmern von Berlin ist selbst die Wahrheit eine Lüge: Teil 2 der abgründig-rasanten historischen Thriller-Reihe aus dem Berlin der Nachkriegszeit um den Heimkehrer Hans-Joachim Stein Berlin 1949, ein Arzt stürzt vom Dach einer Klinik für Geschlechts- und Infektionskrankheiten. Während Kommissar Hans-Joachim Stein noch versucht herauszufinden, ob es sich um Selbstmord oder Mord handelt, erreicht ihn eine Bitte seines Vaters: Der alte Stein, ein strammer Kommunist, ermittelt im sowjetisch kontrollierten Teil Berlins für die Markgraf-Polizei in einem Mord und möchte wissen, wen der Tote im Westen hatte treffen wollen. Kommissar Stein ist schnell klar, dass es einen Zusammenhang zwischen den Todesfällen gibt. Statt mit ihm zusammenzuarbeiten, enthält sein Vater ihm jedoch wichtige Fakten vor. Als weitere brutale Morde geschehen, muss Kommissar Stein sich die Informationen aus dem Osten anders beschaffen … Auch im zweiten Teil ihrer historischen Thriller-Reihe zeichnen Liv Amber und Alexander Berg ein packend-lebendiges Bild der Zerrissenheit und gleichzeitigen Aufbruchsstimmung im Berlin der Nachkriegszeit. Zum ersten Mal ermittelt Kommissar Hans-Joachim Stein, dem als Heimkehrer aus England alles am zerbombten und besetzten Berlin fremd geworden ist, im historischen Thriller »Pandora – Auf den Trümmern von Berlin«.
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Seitenzahl: 632
Liv Amber / Alexander Berg
Venusfluch
Auf den Trümmernvon BerlinKriminalroman
Knaur e-books
Berlin 1949, Westsektor. Ein Mann stürzt vom Dach einer Klinik, in der Geschlechtskrankheiten behandelt werden – ein weiteres dunkles Erbe des Zweiten Weltkriegs. Als es im sowjetisch kontrollierten Teil der Stadt einen ähnlichen Fall gibt, ist Kommissar Hans-Joachim Stein klar, dass es sich um Mord handelt. Der Kommissar sieht sich gezwungen, den leitenden Ermittler der Polizeidirektion Ost zu kontaktieren: seinen streng kommunistischen Vater, mit dem er jahrelang kaum ein Wort gesprochen hat. Nun aber müssen Vater und Sohn nicht nur enger zusammenarbeiten, als ihnen beiden lieb ist – sondern vor allem enger als erlaubt.
Weniger später treibt ein britischer Geheimagent tot in der Spree. Zufall? Oder hat irgendjemand ganz oben ein Interesse daran, dass die Wahrheit mit denen stirbt, die um sie wissen?
Auch im zweiten Teil ihrer historischen Thriller-Reihe zeichnen Liv Amber und Alexander Berg ein packend-lebendiges Bild der Zerrissenheit und gleichzeitigen Aufbruchsstimmung im Berlin der Nachkriegszeit.
Zum ersten Mal ermittelt Kommissar Hans-Joachim Stein, dem als Heimkehrer aus England alles am zerbombten und besetzten Berlin fremd geworden ist, im historischen Thriller »Pandora – Auf den Trümmern von Berlin«.
Etwas Weiches huschte über sein Gesicht. Ekel ergriff seinen ganzen Körper und er würgte krampfhaft bei dem Gedanken, dass es ein Tier gewesen sein könnte. Aber dann entspannte er sich wieder. Es war doch nur ein böser Traum. Erst als er die Kälte in den Fingerspitzen spürte, begriff er, dass er nicht mehr schlief, sondern schon seit einer halben Ewigkeit versuchte, aus diesem Zustand zwischen Leben und Sterben zu erwachen. Er wollte endlich wieder Herr über seinen Körper sein, aber er schien in Bewegungslosigkeit gefangen, als wäre er von Kopf bis Fuß gelähmt.
Ein Tropfen, der ihn mitten auf die Stirn traf, erschreckte ihn und brachte ihn ins Leben zurück. Und dann noch einer und noch einer … bis sein ganzes Gesicht nass war. Regen. Er lag draußen im Regen. Es gelang ihm, die klammen Finger zu bewegen, und er versuchte, die Augen zu öffnen. Aber sie brannten wie Feuer, sobald er die Lider hob. Also tastete er blind nach etwas, an dem er sich hochziehen konnte. Er fühlte nur eine kratzige Oberfläche unter seinen Fingern. Es dauerte einen Moment, bis er sie als Dachpappe erkannte. Schließlich dämmerte es ihm: Er war ganz oben auf dem Haus. Ja, er war in der Mittagspause durch die Bodenluke aufs Dach geklettert, um hier oben in Ruhe … es hatte nach Regen ausgesehen. Dann war ihm dieser Kerl gefolgt und hatte ihn am Kragen gepackt, aber er hatte ihn abgeschüttelt wie ein lästiges Insekt und der Mann war regelrecht vor ihm geflüchtet.
Erneut versuchte er, die Augen zu öffnen. Dieses Mal biss er die Zähne zusammen und besiegte das Brennen. Tatsächlich befand er sich auf dem Dach hinter dem Schornstein, eigentlich sein Lieblingsplatz, aber in diesem Augenblick empfand er ihn als fremd und abweisend. An warmen Tagen genoss er hier oben die Sonnenstrahlen, gönnte sich eine kleine Pause und nahm seine guten Geister zu sich, wie er die Pillen aus dem Röhrchen nannte, die ihn seit dem Krieg treu begleiteten.
Es fiel ihm schwer, sich zu erinnern. Was war an diesem Tag anders gewesen? Wieso lag er in seinem Kittel im Regen auf dem Dach und fühlte sich, als wäre sein Hirn eine wabernde graue Masse, die ihn keinen klaren Gedanken fassen ließ? Die guten Geister machten ihn doch sonst stets unantastbar, warfen ihn jedes Mal, wenn er sich überfordert hatte und ausgebrannt war, verlässlich zurück ins Leben und vertrieben bis auf Weiteres jegliche Schwäche und Müdigkeit. Sobald er die kleinen Pillen genommen hatte, stieg er wie Phönix aus der Asche empor. Aber dieses Mal hatten sie ihn einfach umgehauen, schienen ihn dem Tod nahe zu bringen.
Nur unter großen Mühen gelang es ihm, sich auf den Bauch zu drehen, von dort auf die Knie zu gehen und den Oberkörper aufzurichten. Alles tat ihm weh, der Kopf, der Rücken, die Glieder, als hätte man gnadenlos auf ihn eingeprügelt.
Im Schleier des Regens tauchte der Wasserturm auf. Ganz dunkel konnte er sich nun entsinnen, wie er nach oben gekommen war, und vor allem, warum. Er hatte vergessen wollen, er hatte die verdammte Schuld nicht mehr ertragen, und er bereute es, sein Leben diesem Götzen geopfert zu haben, der Erfolg hieß. Es war doch gar nicht das Geld, das ihn manisch vorangetrieben hatte, sondern der Triumph, dass er unbesiegbar zu sein schien. Er hatte zu viele Männer sterben sehen und nichts dagegen tun können. Und nun hatte er für einen fatalen Moment lang geglaubt, er besäße die Macht, den Tod zu besiegen, aber er hatte seine Seele dem Teufel verkauft und sein Berufsethos verraten. Die guten Geister hatten ihm dabei helfen sollen, sein schlechtes Gewissen zu vertreiben …
Er zuckte zusammen, als er die fette Ratte erblickte, die sich an dem Rest seiner Wurststulle zu schaffen machte. Er hätte sie gern mit einem Fußtritt vom Dach befördert, allein dafür, dass sie ihm übers Gesicht gehuscht war, aber dazu war er zu schwach. Er schaffte es nicht einmal, sie durch einen Schrei zu erschrecken, denn sein Mund war derart trocken, dass ihm die Zunge am Gaumen festklebte. Der Laut verkümmerte zu einem kurzen Beben des Brustkorbs, dem nur ein keuchendes Geräusch entwich. Er versuchte, sich am Schornstein nach oben zu ziehen, aber seine Knie gaben nach, sodass er sich ächzend wieder fallen ließ. Er entdeckte das Röhrchen mit seinen Pillen neben sich und warf es nach der Ratte, die fluchtartig ihre Beute losließ und verschwand. Er überlegte, ob der Albtraum aufhörte, wenn er zu dem Röhrchen robbte und noch eine Tablette nahm, doch in dem Moment erinnerte er sich plötzlich ganz genau. Er hatte bereits zwei davon genommen und sie mit reichlich Schnaps hinuntergespült. Mühsam drehte er den schmerzenden Kopf zur anderen Seite. Die Flasche war noch da.
Er versuchte, nachzudenken und sich ein Bild von der Lage zu machen. Die guten Geister konnten nicht schuld daran sein, dass er hier oben fast krepiert wäre. Nicht auf diese Weise jedenfalls. Dann wäre er vorher durchgedreht oder hätte einen Infarkt bekommen, aber er war einfach eingeschlafen. Nach dem Runterspülen der Pillen mit nicht gerade wenig Alkohol hatte eine bleierne Müdigkeit seinen Körper ergriffen. Er hatte sich hinsetzen müssen und war wie eine schlaffe Puppe am Schornstein hinuntergerutscht. Und in dem Moment hatte es zu regnen angefangen. Kaum dass er daran dachte, fühlte er die eisige Kälte durch seine nasse Kleidung kriechen. Nur der gestärkte Kittel bot etwas Schutz. Ich muss hier weg. Sonst hole ich mir noch den Tod, dachte er und machte einen erneuten Versuch, aufzustehen. Dieses Mal schaffte er es, wankend zwar, und er musste sich am Schornstein festhalten. Aber er stand auf seinen eigenen Beinen. Einen Augenblick später ließ er los und schleppte sich mit winzigen Schritten zur Brüstung, auf die er sich erschöpft stützte. Verdammt, was war mit ihm passiert? An guten Geistern krepierte man anders! Irgendetwas stimmte nicht. Er suchte mit dem Blick nach dem Röhrchen und überlegte, wie er es bewerkstelligen könnte, es zu erreichen und einen Blick auf die Tabletten zu werfen. Was, wenn sie gar nicht so gut waren, wie er glaubte? Was, wenn das gar nicht seine Pillen waren? Was, wenn …
Er versuchte, die Brüstung loszulassen, doch seine Knie gaben nach. Ihm war plötzlich schrecklich übel, und bevor er einen weiteren klaren Gedanken fassen konnte, fuhr er herum und erbrach sich vom Dach. Das Erbrochene landete auf dem Vordach über dem Eingangsbereich der Klinik, das man erst vor Kurzem notdürftig aus alten Wellblechstücken zusammengeschustert hatte, weil das steinerne Portal den Krieg nicht überlebt hatte.
In dem Augenblick hörte er Schritte hinter sich. Er wollte sich umdrehen, aber da hatte ihn bereits jemand grob von hinten gepackt, sodass er sich, zumal in seiner desolaten Verfassung, nicht mehr rühren konnte. Wenn das der Kerl von vorhin war, dann hatte er mehr Kraft als vermutet. Verdammt, wer sollte das sonst sein? Er wollte schreien, aber er brachte keinen Ton heraus. Er versuchte, sich mit einem Ruck aus dem festen Griff zu befreien, vergeblich. Plötzlich durchzuckte es ihn, und er ahnte, dass er keine Chance hatte. Wie oft hatte er sich den Tod gewünscht, aber doch nicht jetzt, wo sie endlich den Mut gefasst hatten, ein neues Leben anzufangen. Nicht jetzt, nachdem er begriffen hatte, dass er kein Zauberer war, sondern ein mieser Pfuscher, und bis ans Ende seiner Tage dafür zu büßen bereit war. Es gab in diesem Leben einen Lichtblick, für den es sich lohnte, das in Kauf zu nehmen.
Der Gedanke an eine gemeinsame Zukunft mit ihr gab ihm die Kraft, sich loszureißen, doch bevor er sich umdrehen konnte, hatte der Angreifer ihn so fest an den Oberarmen gepackt, dass ihm der Schmerz durch den ganzen Körper fuhr. Während er panisch versuchte, sich aus den Klauen der Krake zu befreien, spürte er, wie sie ihn losließ, um ihm im selben Moment einen Schubs zu geben, der ihn über die Brüstung stürzen ließ.
Ich werde in meiner eigenen Kotze landen, war sein letzter Gedanke, dann durchbrach er das Vordach, und sein geschundener Körper im weißen Kittel schlug mit voller Wucht auf den Pflastersteinen auf.
In Celle gibt es nachts mehr horizontale Umtriebe als am King’s Cross«, hatte Walter Porter seinem Freund Kommissar Hans-Joachim Stein gestern Nacht auf der Hochzeit des frischgebackenen Chef-Inspektors Mike Taylor nach dem Genuss von reichlich Gin zugeflüstert. Celle sollte der Zwischenstopp ihrer gemeinsamen Rückreise von London nach Berlin sein. Walter hatte ihm angeboten, ihn von der dortigen Basis der Royal Air Force in einem sogenannten Candy-Bomber mit nach Berlin zu nehmen. Stein hatte dankbar angenommen, denn schlimmer als auf dem Hinflug, auf dem er heftig durchgeschüttelt worden war, konnte es nicht werden. Es war fast so schlimm gewesen wie in der kleinen Maschine, mit der Walter ihn an diesem Tag aus London über den Kanal nach Celle gebracht hatte. Nun fuhr der Freund ihn in einem Jeep in den Ort, in dem er übernachten sollte, denn in der Kaserne durfte er nicht schlafen.
Es war das erste Mal seit Steins Umzug in seine Geburtsstadt Berlin, dass er nach London zurückgekommen war, wo er seine Jugend verbracht und seine Polizeiausbildung beim Yard absolviert hatte. Mike war damals sein liebster Kollege gewesen, der ihn dann zum »Best Man«, seinem Trauzeugen, erkoren hatte. Diese Ehre hatte Stein nicht ablehnen können und auch nicht wollen, denn er brauchte nach seinem ersten Jahr im Polizeipräsidium Friesenstraße dringend eine Luftveränderung. Er hatte immer noch nicht richtig Fuß gefasst in Berlin, aus dem sein Vater mit ihm schon 1933 nach dem Reichstagsbrand geflüchtet war. Die vielen Zerstörungen im Stadtbild, die verschlossenen Menschen, die immer wieder durchbrechende Vergangenheit, die an unerwarteten Stellen ihre destruktive Gewalt entfaltete, all dies waren Gründe genug, um gegenüber der Stadt auf Abstand zu bleiben. Die Ironie des Schicksals wollte es, dass Vater und Sohn nun beide bei der Berliner Polizei tätig waren, allerdings lagen Welten zwischen ihnen. Nicht genug damit, dass ein tiefer persönlicher Graben sie trennte und die Spaltung der Stadt ihr Übriges tat. Die Polizei Ost und West standen sich mittlerweile nahezu feindlich gegenüber.
Die typische britische Hochzeit mit Torte und rauschender Feier war zwar den wirtschaftlich desolaten Nachkriegsbedingungen angepasst, welche auch den britischen Alltag dominierten, hatte dem Kommissar aber dennoch schmerzlich bewusst gemacht, wie sehr er weiterhin mit seiner neuen, alten Heimat haderte. In London zwischen den alten Kollegen vom Yard hatte er sich sofort zu Hause gefühlt, sodass er sich sogar über die Ankündigung Percy Williams’ freute, ihn demnächst in Berlin zu besuchen, weil der dort eine neue Arbeit aufnehmen würde. Stein hatte ihn gar nicht gefragt, warum er das Yard verlassen hatte und was er in Deutschland machen würde, aber die Aussicht, einen englischen Bekannten in Berlin zu haben, ließ ihn darüber hinwegsehen, dass Percy es im Gegensatz zu ihm mit dem Gesetz nicht immer so ganz genau nahm. Ihm wurde im selben Moment bewusst, wie auch er sich im vergangenen Jahr bei seinem ersten großen Fall in der Friesenstraße auf die Seite der Gerechtigkeit geschlagen hatte und das Recht hatte Recht sein lassen. Und er würde es immer wieder tun!
Plötzlich musste er an die Ärztin denken … und von ihr war der gedankliche Weg zu Mary nicht weit, denn die beiden Frauen ähnelten einander, wenn auch nur auf den ersten Blick. In London hatte ihn vieles an die Stunden mit seiner Geliebten erinnert, bevor sie dann mit ihrem Mann in die britische Kommandantur nach Berlin gegangen war. Und er, Hans-Joachim Stein, war ihr aus lauter Sehnsucht gefolgt. Nicht die Liebe zu seiner Geburtsstadt hatte ihn zurück nach Deutschland getrieben, sondern allein die Liebe zu einer Frau! Als ihr Mann im vergangenen Jahr nach London zurückbeordert worden war, wäre sie bei ihm, ihrem Geliebten, geblieben. Wenn ihm jener Satz über die Lippen gekommen wäre, der die Grundlage einer gemeinsamen Zukunft hätte sein können, aber selbst dafür war er zu feige gewesen. Deshalb war sie mit Mann und Kind zurückgegangen. Seinem Kind, das er nun wohl niemals zu Gesicht bekommen würde. Und das war womöglich besser so, denn er bezweifelte, dass er jemals ein guter Vater geworden wäre. Nicht nachdem sein Vater ihn damals wie ein Paket bei seiner Schwester in London abgegeben hatte und ein paarmal im Jahr vorbeigekommen war und flüchtig nach ihm gesehen hatte.
Stein versuchte, sich mit einem Blick aus dem Wagenfenster abzulenken von diesen kreiselnden Gedanken um Mary und seinen Vater, die ihm gleichermaßen schlechte Laune bereiteten.
Das Städtchen Celle wirkte erstaunlich intakt. Ganz im Gegensatz zu Berlin, das auch noch vier Jahre nach dem Krieg einer Trümmerwüste glich, obwohl unermüdlich daran gearbeitet wurde, die Spuren der Zerstörung zu beseitigen. In Celle waren ganze Häuserzeilen aus Fachwerk erhalten geblieben. Der Ortskern erinnerte ihn an Lavenham, wo eine Schwester seines Onkels John gewohnt hatte.
Stein begriff, dass Walters Bemerkung in der vergangenen Nacht über das pralle Leben in Celle gar nicht ironisch gemeint gewesen war, denn wohin man schaute, huschten Liebespaare vorbei.
»In Celle gibt es ja wirklich ein Nachtleben«, bemerkte Stein erstaunt.
»Das sind die Amis mit ihren Veronicas. Davon wimmelt es hier.«
»Veronicas? Was bedeutet das denn?«
Ein Grinsen huschte über Walters Gesicht, als er nun vor einem Haus in der Innenstadt hielt.
»Die Amis nennen diese Mädchen, die stets zu ihren Diensten stehen, so. Manche von ihnen haben sich sogar von Berlin durch die Sowjetzone aufgemacht, um in Celle Geld zu verdienen. Das Airfield B.118 ist eine Goldgrube für junge Damen.«
»Und warum heißen sie Veronicas?«
»Weil die amerikanische Militärverwaltung ihre Jungs mittels Broschüren und Plakaten eindringlich vor venereal diseases warnt. Das wird VD abgekürzt. Daraus haben ein paar Spaßvögel ›Veronica. Danke schön!‹ gemacht. Seitdem heißen die Damen bei ihnen Veronicas. Jedenfalls grassieren unter unseren amerikanischen Freunden, die zurzeit für die Luftbrücke arbeiten, Geschlechtskrankheiten aller Art.«
»Und wieso nur bei den Amerikanern? Briten sind doch auch vor Ort.«
»Kein Kommentar! Aber lass uns noch einen Drink nehmen in der Bar. Dann kannst du dich mit eigenen Augen von der Existenz der Veronicas überzeugen.«
Stein hob abwehrend die Hände. »Nein danke. Du hast sie mir nicht gerade schmackhaft gemacht. Außerdem steht mir der morgige Flug bevor. Mir war auf dem Trip über den Kanal heute Nachmittag ganz schön mulmig.«
»Morgen nehmen wir eine Handley Page Hastings. Der Flug schlägt dir nicht auf den Magen. Also, was meinst du? Noch einen Drink?«
Stein schüttelte den Kopf. Er hatte genug gefeiert. Solche Mengen an Alkohol wie bei der Hochzeit hatte er lange nicht mehr getrunken. Ihm brummte immer noch der Schädel.
Walter drückte ihm einen Schlüssel in die Hand. »Ich hole dich morgen früh ab. Und wenn die Wirtsleute fragen, sagst du einfach, du bist ein Freund von Walter Porter. «
»Und was kostet das die Nacht?«
»Gar nichts. Ich habe das Zimmer für ein halbes Jahr im Voraus gemietet.«
Stein wollte gerade fragen, wieso sein Freund ein Zimmer im Ort besaß, aber Walter schien es unangenehm, darüber zu sprechen, denn er wechselte schnell das Thema. »Und keine Sorge wegen morgen. Die Maschine liegt ganz ruhig in der Luft. Wie ein Bus!« Walter klopfte ihm zum Abschied kumpelhaft auf die Schulter.
Kaum hatte Stein die Haustür aufgeschlossen, als ein neugieriges Frauengesicht in einer vom Flur abgehenden Tür auftauchte. Der Kommissar grüßte freundlich, doch da hatte sich die ältere Frau in Kittelschürze bereits vor ihm aufgebaut.
»Ich bin ein Freund von Walter Porter«, sagte er höflich in der Hoffnung, dass die Frau ihn passieren ließ, aber sie musterte ihn durchdringend.
»Wie geht es denn dem armen Mister Porter?«
Armer Mister Porter? Stein wusste nicht so recht, worauf die Frau anspielte.
»Die Renate war wirklich ein nettes Mädchen. Ganz anders die anderen. Dass der …«, sie senkte die Stimme, »… der Venusfluch ausgerechnet sie treffen musste.«
Stein zuckte mit den Schultern. »Entschuldigen Sie, ich weiß nicht, von wem und wovon Sie reden. Ich bin wirklich sehr müde und würde gern auf das Zimmer gehen. Erster Stock, zweite Tür links, oder?«
»Ja, wir haben ja nur das Zimmer unserer Tochter, die jetzt aus dem Haus ist, vermietet, und wir nehmen auch nur Dauermieter. Nicht wie die Nachbarn, die in den Keller gezogen sind, um mehr Geld rauszuschlagen. Unsere örtlichen Moralapostel haben schon recht, wenn sie sagen, hier herrschen Zustände wie in Sodom und Gomorrha. Aber wir sind anständige Leute. Und das Fräulein Renate war auch keine von diesen Flittchen. Mister Porter hätte sie sicher auch geheiratet, aber nun hat man sie in eine spezielle Privatklinik …« Sie senkte erneut ihre Stimme. »… für diese gewissen Krankheiten in Berlin gebracht … Sie wissen schon, eben den Venusfluch.«
Stein wusste es nicht wirklich, aber er ahnte, von welcher Krankheit die Wirtin sprach. Er hasste Klatsch und Tratsch und machte eine abwehrende Handbewegung. »Gute Nacht. Ich muss jetzt wirklich schlafen.« Er drehte sich um und stieg die knarzende Treppe nach oben.
Trotzdem gingen ihm die Worte der Wirtin nicht aus dem Kopf, als er das Zimmer betrat und sein Blick auf das fleckige Bettzeug fiel. Er legte sich im Anzug auf das Sofa, das auch schon bessere Zeiten gesehen hatte, und deckte sich mit seinem Trenchcoat zu.
Stein fiel in einen tiefen Schlaf und schreckte in dem Moment schweißgebadet hoch, als er eine von Kugeln durchsiebte Tür öffnen wollte. Sein Herz klopfte ihm bis zum Hals. Dieser Traum verfolgte ihn, seit er die sterbende Ärztin in der Hütte gefunden hatte. Nicht dass ihm jeder Mord so naheging wie dieser, aber er war einem Opfer vor seinem brutalen Ende auch noch nie zuvor so nahegekommen wie dieser Frau. Für Stein war die Nacht damit vorbei. Jedes Mal wenn ihn dieser Albtraum überfiel, war an Schlaf nicht mehr zu denken.
Immer wenn Kommissar Max Wuttke seinen Gedanken nachhing, ließ er den Blick in den einstigen Kasernenhof schweifen. Das neue Polizeipräsidium unter dem Polizeipräsidenten Stumm war 1948 in diese preußische Kaserne eingezogen. Zunächst war alles sehr provisorisch gewesen, aber mittlerweile hatte man sich dort besser eingerichtet. Es war für Wuttke purer Luxus, dass er direkt vom Schreibtisch aus dem Fenster sehen konnte. Erst kürzlich hatte der neue Kriminalrat Heinrich Graubner ihnen dieses Büro zugewiesen. Vorher hatte sich Wuttke mit dem Duke, wie er seinen Kollegen Hans-Joachim Stein bisweilen wegen seines gelackten Äußeren und seiner vornehmen Umgangsformen nannte, acht Monate einen winzigen Raum mit einem kaum als Fenster geltenden Guckloch teilen müssen. Der neue Raum war zwar auch nicht gerade riesig, aber sie besaßen immerhin beide einen Schreibtisch, und zwar endlich einen richtigen, am Fenster. Vorher hatten sie auf alten Küchentischen gearbeitet. Sogar einen Aktenschrank hatte man ihnen zur Verfügung gestellt sowie ein eigenes Telefon. Und gleich nebenan saß Fräulein Lore, die Schreibkraft, die nun auch ein Büro mit Fenster hatte. Dort hatte sie ihre Schreibmaschine, eine Adler, während sie in Wuttkes und Steins Büro nur einen kleinen Tisch besaß, an dem sie ihre Vernehmungsprotokolle mitstenografieren konnte.
Man konnte gegen Graubner sagen, was man wollte, aber das rechnete selbst Wuttke ihm hoch an, der ansonsten kein gutes Haar an dem neuen Kriminalrat ließ. Diesen Umzug hatte der Neue allerdings ganz sicher nicht ihm zuliebe in die Wege geleitet, sondern allein, um dem Kollegen Stein zu imponieren, den Graubner über die Maßen schätzte, um nicht zu sagen dem er nahezu in den Hintern kroch. Im Gegensatz zu Graubners Vorgänger Kriminalrat Curt Krüger, der Stein abgelehnt hatte, weil der die gesamte Zeit des Dritten Reichs in England verbracht hatte und somit eine weiße Weste besaß. Dass er darüber hinaus auch noch alles darangesetzt hatte, Verbrechen aufzudecken, an denen Krügers Schwager im Namen der Nazis beteiligt gewesen war, hatte Stein schließlich zu dessen erklärtem Hassobjekt gemacht. Und als Wuttke, den Krüger im Krieg zu einer entsetzlichen Tat getrieben hatte und den er in der Hand zu haben glaubte, statt sich erpressen zu lassen, Stein bei seinen Ermittlungen tatkräftig unterstützt hatte, war auch er zum Feind des Kriminalrats geworden. Insofern konnte Wuttke nur froh sein, dass sie diesen Choleriker los waren.
Keiner wusste so genau, warum Krüger den Posten geräumt hatte. Angeblich wegen einer Herzinsuffizienz, aber Wuttke ahnte, dass es nicht ganz freiwillig geschehen war. Man machte im Büro des Polizeipräsidenten Stumm Krüger dafür verantwortlich, dass er die Mörderin im Dalldorf-Fall, Lena Kowalke, aus dem Untersuchungsgefängnis hatte holen lassen, um ihr ein beaufsichtigtes Treffen mit ihrer Nichte Ursula aus dem Osten am Bahnhof Zoo zu ermöglichen. Im Gegenzug dazu hatte sie sich vor Gericht in allen Anklagepunkten schuldig bekennen und die weitere Aussage verweigern sollen. »Lebenslänglich« hatte ihr Krüger versprochen. Aber das war eine Lüge gewesen. Der geheime Plan von Kriminalrat und zuständigem Richter hatte anders gelautet: Fallbeil! Das hatte Fräulein Lore zum Glück noch rechtzeitig herausgefunden. Am Treffpunkt hatte man Lenas Nichte und sie dann in den Osten entführt. Wuttke vermutete, dass Stein diesen Coup mithilfe seines Vaters, der ein hohes Tier bei Polizeipräsident Markgraf am Alexanderplatz war, eingefädelt hatte, um sie vor der Todesstrafe zu retten. Die Gewissheit hatte Wuttke allerdings bis heute nicht, weil Stein sich wie bei allem, was seine Person betraf, äußerst bedeckt hielt.
Selbst an feuchtfröhlichen Abenden in der Küche von Frau Krause, Lores Mutter, bei der sowohl Stein als auch er immer noch zur Untermiete wohnten, konnte Wuttke ihm nicht das Mundwerk lockern. Stein schwieg eisern! In dieser Beziehung war er ein Phänomen. Der Mann, der niemals die Contenance verlor, bis auf das eine Mal bei seinem ersten Fall … Wuttke war sehr froh, dass er wenigstens von diesem Ausrutscher seines Kollegen wusste. Sonst würde er sich ihm immer noch haushoch unterlegen fühlen, wie im vergangenen Jahr, als man ihm den aus dem Ei gepellten Duke als neuen Kollegen vorgesetzt hatte.
An Steins Schweigsamkeit würde wohl auch die Postkarte nichts ändern, die Wuttke in Steins Abwesenheit erhalten hatte und die ihn überhaupt nach langer Zeit wieder an diese Frau hatte denken lassen. Wuttke und die Prostituierte aus dem Pandora hatten damals ein inniges sexuelles Verhältnis, was Wuttke am Schluss beinahe das Leben gekostet hätte. Ganz vergessen hatte er sie nie, obwohl er seitdem jede Menge Abenteuer gesucht hatte, um nicht mehr daran erinnert zu werden, dass ihn noch keine Frau, weder zuvor noch danach, je so befriedigt hatte.
Er war etwas vorsichtiger geworden mit den wechselnden Frauenbekanntschaften auf der Suche nach dem Kick, seit ein internes Papier im Präsidium kursierte, in dem explizit vor den sich ausbreitenden Geschlechtskrankheiten gewarnt wurde. Obwohl dieses Blättchen aus der Sowjetzone stammte, war das Problem im Westen nicht geringer. Tripper und Syphilis waren auf dem Vormarsch. Keine Frage. Wuttke war diesbezüglich schon allerlei von seinen Damenbekanntschaften aus dem Pandora zu Ohren gekommen. Vor allem traf es wohl die jungen Frauen, die sich in Tempelhof herumtrieben, um den Jungs, die Tag und Nacht im Dienst der Luftbrücke arbeiteten, eine schnelle Nummer zu bieten.
Wie gut, dass ich das Etablissement ohnehin nicht mehr aufsuche, seit Schulz junior als Kriminalanwärter in der Friesenstraße sein Unwesen treibt, dachte Wuttke. Der junge Mann wurde von allen nur Schulz junior genannt. Im Grunde genommen hatte Wuttke nichts gegen den Sprössling eines der größten Bordellbesitzer der Stadt, wenn der Junior nur nicht so schrecklich übereifrig und dabei ausgesprochen ungeschickt gewesen wäre. Jedenfalls wollte Wuttke dem Kriminalanwärter ein gutes Vorbild sein und sich nachts nicht in den Spelunken herumtreiben, die dessen schwer kriminellem Vater gehörten. Im Übrigen war der Kommissar auch gar nicht auf käufliche Damen angewiesen bei dem Frauenüberschuss, der nach dem Krieg in der Stadt herrschte. Wobei die wirklich Hübschen nicht gerade darauf erpicht waren, sich mit einem kleinen Kriminalkommissar einzulassen. Die meisten träumten davon, eine gute Partie zu machen und am besten einen Amerikaner zu finden, der sie aus dem Berliner Elend in das Land der unbegrenzten Möglichkeiten entführte.
Gedankenverloren nahm Wuttke noch einmal die Postkarte zur Hand und betrachtete kopfschüttelnd das Motiv: ein sowjetisches Ehrenmal. Auf der Rückseite hatte jemand laienhaft eine Frau gezeichnet, die ein Mädchen an der Hand hielt. Beide lachten. Mehr nicht. Kein einziges Wort, aber Wuttke hatte den Gruß sofort verstanden. Die Karte war in Bad Muskau abgestempelt, wo immer das auch genau liegen mochte.
Jedenfalls würde Wuttke Stein diese Karte bei dessen Rückkehr überraschend unter die Nase halten. Mal sehen, ob er dann nicht doch wenigstens für einen Moment die Fassung verlor.
Das energische Klopfen an der Tür riss ihn aus seinen Gedanken. So klopfte nur einer, und der wartete auch nicht ab, dass man ihn hereinbat.
Und schon stand sein hochgewachsener Vorgesetzter, der zu seinem Ärger nicht viel älter war als Stein und er, vor seinem Schreibtisch. Wenn Wuttke nicht genau wüsste, dass der Mann kein deutscher Soldat gewesen war, weil er das wie ein Schild vor sich hertrug, hätte man ihn für einen ehemaligen Offizier halten können. Wuttke hatte im Krieg viele solcher Typen kennengelernt, die vor dem Fußvolk genau diese überlegene Haltung eingenommen hatten wie Graubner in diesem Augenblick vor ihm. Herrenmenschen eben! Wuttke hob den Kopf und hätte gern an ihm vorbeigesehen, aber die stahlblauen Augen des Mannes ließen das einfach nicht zu. Man musste ihn angucken, ob man wollte oder nicht. Jedenfalls galt das für Wuttke.
»Ist Stein noch nicht aus London zurück?«
»Ihnen auch einen schönen guten Tag, Herr Kriminalrat. Meines Wissens kommt er erst morgen.«
»Gut, ist auch nicht so tragisch. Das schaffen Sie auch ohne ihn. Ein Suizid.«
»Klar, das müsste ich gerade eben auch ohne Stein schaffen«, gab Wuttke bissig zurück.
Bei Krüger hätte ihm das mit Sicherheit eine schwere Rüge eingebracht, wenn der Mann die Ironie überhaupt verstanden hätte. In dem Punkt war Graubner völlig anders. Er verstand Ironie, und er konnte sie wegstecken, ohne zu demonstrieren, dass er Wuttkes Vorgesetzter war.
»Nehmen Sie den Kollegen Martens mit, Wuttke, denn dieser Einsatz erfordert äußerstes Fingerspitzengefühl.«
»Dann ist der Kollege Martens ja genau der richtige!« Martens war nicht nur ein Angeber, sondern eine Plaudertasche, der gern jedem, der es wissen wollte oder auch nicht, Einzelheiten seiner Fälle schilderte inklusive jedes noch so blutigen Details.
Graubner verzog den Mund zu einem leichten Grinsen. »Ich sage ihm gleich noch persönlich, dass er die Klappe halten soll. Der Klinikchef möchte jegliches Aufsehen vermeiden. Können Sie das denn leisten, sich diskret zu verhalten?«
Wuttke rollte mit den Augen. »Wenn Sie mir endlich verraten, worum es geht!«
»Ein Arzt hat sich vom Dach der Klinik gestürzt. Sagt Ihnen das Werner-de-Vries-Krankenhaus etwas?«
»Nie gehört!«
»Das ist eine Privatklinik für Infektionskrankheiten mit einer Abteilung für venerologische Erkrankungen …« Er machte eine Pause und musterte Wuttke durchdringend. »Sie fragen sich jetzt sicher, was venerologische Krankheiten sind, oder?«
Da war er wieder, dieser Drang seines Vorgesetzten, Wuttke als dumm abzustempeln. Dass er über diese Art der Erkrankungen gerade erst ausführlich in einer Broschüre gelesen hatte, würde er ihm indessen nicht auf die Nase binden.
»Nein, Herr Kriminalrat, ich denke zwar nach, aber über etwas anderes: wie ich Sie doch noch davon überzeugen kann, mich allein gehen zu lassen!«
»Auf keinen Fall! Sie werden gemeinsam feststellen, dass der Tote sich in der Absicht vom Dach gestürzt hat, aus dem Leben zu scheiden. Dann sorgen Sie dafür, dass die Leiche abtransportiert wird. Und das möglichst ohne großes Aufsehen. Dr. de Vries zählt auf mich.«
Wuttke zuckte zusammen. Das kannte er von Krüger. Wenn der Kriminalrat jemanden im Umfeld des Opfers kannte, bedeutete das in der Regel nichts Gutes. Ihn empörte überdies die Entschiedenheit, mit der sein Vorgesetzter ihm das Ergebnis der Untersuchung bereits im Vorfeld aufdrängen wollte.
»Sagen Sie doch gleich, dass Sie da jemanden sehr gut kennen«, erwiderte er in schroffem Ton.
»Sehr gut kennen ist zu viel gesagt. Unsere Tochter hat im vergangenen Jahr mit einer schweren Lungenentzündung auf der dortigen Kinderabteilung gelegen, und ich habe der Klinik viel zu verdanken. Dort wurde alles getan, um das Leben unserer Kleinen zu retten. Mit Erfolg.«
»Gut, wir werden sehen, was wir tun können. Wenn das eine klare Sache ist, sollte es keine Probleme geben.« Obgleich Wuttke Graubner für seine schleimige Art gefressen hatte, so aufrichtig wäre Krüger niemals gewesen, dass er zugegeben hätte, jemandem noch einen Gefallen zu schulden.
»Dann werde ich Martens Bescheid sagen.« Mit diesen Worten war Graubner schon fast aus der Tür, als er sich noch einmal umdrehte. »Und wenn Ihr Chef zurückkommt, bestellen Sie ihm, dass er mal bei mir im Büro vorbeischauen soll. Da gibt es demnächst einen interessanten Vortrag in der Polizeischule Spandau von einem Dozenten aus Hiltrup über die Umerziehung zur Demokratie.« Er musterte Wuttke dabei, als wollte er in Gedanken hinzufügen: … der Umerziehung solcher Mitläufertypen wie Ihnen.
Das war ein übler Affront, und zwar in doppelter Hinsicht, getrieben von der Absicht, ihn zu demütigen. Das verlangte nach einer gepfefferten Antwort, doch Wuttke unterdrückte diesen Impuls, weil er Graubner nicht den Gefallen tun würde, sich provozieren zu lassen und aus der Haut zu fahren. Stattdessen setzte er ein falsches Lächeln auf.
»Ich weiß leider nicht, von wem Sie sprechen. Mein Vorgesetzter sind Sie! Ansonsten habe ich keinen Chef!«
»Sie sind aber auch eine Mimose«, bemerkte Graubner spöttisch.
Wuttke zog es vor, auch diese Bemerkung zu ignorieren.
»Ach, und nehmen Sie bitte Fräulein Krause mit, damit sie gleich vor Ort das Protokoll anfertigen kann. Sie weiß schon Bescheid und kennt die genaue Adresse. Je schneller Sie losfahren, desto eher ist die Sache erledigt.«
»Dann könnte ich vielleicht mit Fräulein Krause allein fahren. Wozu brauchen wir noch Martens?«
»Er begleitet Sie. Basta!«
Das war das Einzige, das Graubner mit Krüger gemeinsam hatte. Der ehemalige Kriminalrat hatte auch gern »Basta«gesagt, wenn er nicht weiterwusste.
Während Wuttke widerwillig in seine Anzugjacke schlüpfte, die er stets über den Stuhl hängte, um den Stoff zu schonen, denn er hatte nur die eine, wanderten seine Gedanken zu Lore Krause, die er im vergangenen Jahr wirklich schätzen gelernt hatte. Er würde ihr Bemühen, sich bei der WKP, der Weiblichen Kriminalpolizei, zu bewerben, wohl unterstützen, wenngleich Stein und er dadurch auf ihre Arbeitskraft verzichten müssten. Fräulein Lore war eben nicht nur eine bloße Schreibkraft, sondern sie brannte für die Fälle. Manchmal schoss sie allerdings über das Ziel hinaus, wenn sie meinte, selbst Ermittlerin spielen zu müssen. Damit hatte sie sich bereits diverse Male in Teufels Küche gebracht. Deshalb wurde es höchste Zeit, dass sie sich endlich, zumindest in dem engen Rahmen, in denen es Frauen möglich war, als Polizistin zu arbeiten, austoben konnte. Er bedauerte, dass sie nicht bei der Mordinspektion MI3 mit Stein und ihm zusammenarbeiten konnte, aber Frauen durften leider nun einmal nur bei der WKP tätig werden.
Jedenfalls würde er sie nun überreden, ohne Martens mit ihm zu der Privatklinik zu fahren. Das würde ihn wohl keine allzu große Überzeugungskraft kosten. Denn Fräulein Lore konnte Kommissar Martens noch weniger ausstehen als er.
Lore Krause war fasziniert von Kommissar Martens’ Torsomörder-Fall. Drei tote Frauentorsi in sechs Wochen. Bei zweien hatten man ganz in der Nähe vom Fundort auch die fehlenden Körperteile und den Kopf entdeckt. Die dritte Tote hieß nun intern die »Kopflose«. Eigentlich konnte sie das Großmaul Martens nicht leiden, aber er weihte sie neuerdings, um sich an sie heranzumachen, intensiv in seine Ermittlungen ein. Einblicke, die ihr zwar auch Stein und Wuttke nicht verwehren würden, aber Martens war von sich aus wesentlich mitteilungsfreudiger als ihre beiden Lieblingskommissare.
Hatte sie anfangs nur Augen für Stein gehabt, stand er in ihrer Gunst mittlerweile auf einer Stufe mit Wuttke, der ihr in vielem näher war. Schließlich hatten sie beide schwer an Kriegserlebnissen zu tragen, während Stein, ob er es wollte oder nicht, an diesem Punkt eine gewisse Überheblichkeit ausstrahlte. Trotzdem schwärmte Lore insgeheim immer noch ein wenig für den attraktiven Engländer, den Duke. Diesen Spitznamen hatte Wuttke ihm ganz am Anfang verpasst. Seit sie ihn im vergangenen Jahr einmal mit der englischen Dame gesehen hatte, wusste sie, dass sie keine Chance bei ihm hatte. Lore war das ganze Gegenteil von der elfenartigen, blassen Engländerin. Mit ihren roten Wangen konnte man Lore durchaus für ein Mädchen vom Land halten. Und von ihrem Wesen war sie ein offenes Buch und besaß nichts von dieser unnahbaren und geheimnisvollen Aura, die Männer wie Stein offenbar magisch anzog.
Martens’ Nähe konnte sie hingegen kaum ertragen. Und das hatte, abgesehen von seiner großmäuligen Art, noch einen ganz simplen Grund: Er roch aus dem Hals. Offenbar hatte er Magenprobleme, aber Lore fühlte sich nicht berufen, ihn darauf aufmerksam zu machen. Wenn es sein musste, atmete sie ganz flach, während sie begierig den internen Informationen über den Torsomörder lauschte.
Was sie an diesem Fall besonders gruselte, war die Tatsache, dass es sich bei den beiden inzwischen identifizierten Opfern um normale junge Frauen gehandelt hatte und nicht etwa um Prostituierte. Es waren Mädchen wie sie. Vielleicht war das der Grund, warum sie sich in den Gedanken verrannt hatte, diesen Kerl eigenhändig zur Strecke zu bringen. Immerhin hatte sie der Akte entnehmen können, dass der Heimweg von der Arbeit die zwei identifizierten Opfer am Viktoriapark vorbeigeführt hatte, wo man auch die Torsi gefunden hatte. Wenn sie diesen Mörder in eine Falle lockte, würde sie das mit Sicherheit ihrem großen Traum, bei der Weiblichen Kriminalpolizei zu arbeiten, näher bringen. Das glaubte sie jedenfalls. Leider war Lore ihrem Ziel zurzeit aus mehreren Gründen ferner denn je, obwohl sie eine wichtige Voraussetzung erfüllte. Ihre Zeit als Sanitätshelferin wurde ihr als ein sozialer Beruf angerechnet. Das war eine der Grundlagen, um sich bei der WKP zu bewerben, aber es gab schlichtweg zu wenig Stellen. Ihre Chancen, als Schreibkraft in der Friesenstraße bevorzugt behandelt zu werden, standen im Prinzip ganz gut, hätte sich die leitende Kommissarin Dankert, die für die Auswahl der Bewerberinnen zuständig war, nicht erst kürzlich ausgerechnet mit Ernst Löbau verlobt. Jenem Mann, dem Lore im vergangenen Jahr einen Korb gegeben hatte und der immer noch einen Hundeblick bekam, wenn er ihr auf den Fluren des Polizeipräsidiums begegnete. Leider war das auch Hermine Dankert nicht entgangen, und sie konnte Lore ganz offensichtlich nicht leiden. Auf bevorzugte Behandlung durfte Lore also nicht hoffen. Nein, sie musste schon etwas Spektakuläres leisten, um aus der Masse der Bewerberinnen hervorzustechen.
Aber erst einmal musste sie ihre Arbeit erledigen und Wuttke zu diesem Selbstmord begleiten. Sie konnte nicht verhehlen, dass ihr ein Mord wesentlich lieber gewesen wäre.
Ein Klopfen an der Tür riss sie aus ihren Gedanken. Es war Wuttke, der offenbar etwas auf dem Herzen hatte, denn er druckste ein wenig herum, bis er auf den Punkt kam.
»Fräulein Lore, was halten Sie davon, wenn wir dem Martens entwischen? Ich kann den Kerl nicht vertragen. Nichts gegen blutige Details, aber es kotzt mich an, wie sich der Idiot darüber wichtig macht.«
Lore nickte eifrig, aber nun war es an ihr, herumzudrucksen. Nichts lieber als das, dachte sie, nur durfte sie Martens nicht verärgern, denn er hatte ihr erst am Morgen in Aussicht gestellt, sie am Nachmittag mitzunehmen, wenn der Viktoriapark noch einmal nach dem Kopf durchsucht wurde. Das war natürlich ein Angebot, das Lore nicht ablehnen wollte. Nur bestand die Gefahr, dass Martens es zurücknahm, wenn sie jetzt mit Wuttke durch den Hintereingang vor ihm flüchtete.
»Kommissar Wuttke, lieber nicht. Der Kriminalrat hat ausdrücklich angeordnet, dass wir ihn mitnehmen. Natürlich wäre mir auch lieber, Kommissar Stein würde uns begleiten …«
Wuttke musterte die Schreibkraft skeptisch: »Seit wann geben Sie denn etwas auf Graubners Wort? Aber keine Sorge, ich würde das ganz allein auf meine Kappe nehmen!«
Lore kämpfte mit sich. Die Wahrheit konnte sie ihm nicht verraten, weil sie Wuttkes Auffassung zu ihren gelegentlichen eigenmächtigen Ermittlungsversuchen kannte. Davon hielten weder er noch Stein etwas. Zu gefährlich, hieß es immer. Aber wie sollte sie ihm sonst glaubwürdig erklären, dass ihr an Martens’ Gesellschaft gelegen war? Während sie noch über die passenden Worten nachdachte, klopfte es. Lore hörte inzwischen am Klopfen, wer im Gang vor der Tür stand. Das hier war Martens! Und schon betrat der Kommissar zackig ihre Schreibstube.
Lore warf Wuttke einen gespielt bedauernden Blick zu nach dem Motto: Nun ist es leider zu spät, um abzuhauen.
»Da bin ich. Wollen wir los? Ich hoffe, die Sache geht schnell. Ich habe wenig Zeit, mich mit einem Selbstmord aufzuhalten. Wir haben drüben alle Hände voll zu tun. Es gab einen anonymen Hinweis, dass sich der Kopf in der Nähe des Nationaldenkmals befindet. Ich bin sicher, wir werden ihn heute finden, und wenn wir erst die Identität des dritten Opfers haben, dann haben wir ihn bald …«
Wuttke hob abwehrend die Hände. »Verschonen Sie mich mit Ihrem Fall. Aber wenn Sie so überlastet sind, ist es doch eine Zumutung, wenn Sie Ihre kostbare Zeit mit uns in dieser Klinik verplempern.«
»Aber der Kriminalrat hat ausdrücklich …«
»Keine Sorge, der wird nichts erfahren!«, versicherte ihm Wuttke eifrig.
Martens zögerte, doch dann schüttelte er entschieden den Kopf. »Ich komme mit!«
Nun schien auch Wuttke seinen Widerstand aufzugeben, denn er sagte nur: »Dann gehen wir jetzt!«
Gerade als die beiden Kommissare und Lore das Gebäude verlassen wollten, kam ihnen ein etwas angeschlagen wirkender und auffallend blasser Stein entgegen.
Wuttke stürzte sofort auf den Kollegen zu. »Sie schickt der Himmel. Kommen Sie. Wir müssen zu einem Tatort. Ein Mann ist von einem Dach gesprungen oder gestoßen worden …«
»Es war Selbstmord, sagt der Kriminalrat!«, mischte sich Martens ein.
»Kollege, Sie werden nicht mehr gebraucht. Kommissar Stein begleitet uns!«
»Wuttke, ich bin heute offiziell noch gar nicht wieder im Dienst. Ich wollte nur mal kurz vorbeischauen«, protestierte der überrumpelte Stein.
»Sie müssen aber mit! Der Kriminalrat hat bereits, ohne den Toten gesehen zu haben, das Ergebnis der Ermittlungen vorweggenommen. Der Kollege Martens folgt dieser Ferndiagnose. Ich brauche jemanden an meiner Seite, der erst ermittelt und dann ein Ergebnis erzielt.«
Über Steins Gesicht ging ein breites Grinsen. »Verstehe. Tja, Martens, dann werde ich meinen Kollegen wohl doch begleiten müssen! Und Sie haben sicher noch alle Hände voll mit Ihrer ›Kopflosen‹ zu tun.«
»Das können Sie wohl laut sagen. Aber wir haben die Hoffnung, dass wir den Kopf heute finden. Ich meine, die anderen Köpfe haben wir ja auch bereits aufgespürt, wie den einen, den er auf einem abgeholzten Baumstamm aufgespießt …«
Lore hörte Martens immer noch reden, als die Kommissare sich längst umgedreht hatten und davoneilten.
Sie versicherte Martens, dass sie an der Suche nach dem dritten Kopf immer noch brennend interessiert sei und gern mit in den Park käme, sobald sie vom Tatort zurückgekehrt waren, bevor sie »ihren« beiden Kommissaren folgte.
Stein war immer noch etwas mulmig zumute. Was die angekündigte ruhige Lage des Fliegers anging, hatte Walter den Mund zu voll genommen. Für Steins Magen war der Flug von Celle nach Tempelhof am Morgen eine Zumutung gewesen. Er hatte zwar versucht, sich davon auf seinem Notsitz nichts anmerken zu lassen, aber seine Gesichtsfarbe hatte ihn verraten. Jedenfalls hatte Walter ihn nach der Landung mit seinem »käsigen Gesicht« aufgezogen. In der Tat hatten Walter und seine Jungs die heftigen Luftbewegungen offenbar nicht einmal bemerkt. Sie hatten nach der Landung in Tempelhof sofort ein leeres Flugzeug zurück nach Celle bestiegen. Sie waren sehr stolz auf ihren Einsatz, wozu sie auch allen Grund hatten.
Die Maschinen flogen zurzeit in drei Staffeln, und alle drei Minuten landete eine von ihnen in Berlin. Walter hatte wohl für diese Flüge vorübergehend sogar seinen Schreibtisch in Celle verlassen, weil er seit geraumer Zeit eigentlich fliegen ließ, aber, wie er unter dem Siegel der Verschwiegenheit »seinem alten Freund Jo« verraten hatte, war dies die Vorbereitung für einen großen Coup. Nächste Woche zu Ostern wollte der Kommandant der Luftbrücke, Generalleutnant Tunner, alle Rekorde brechen, indem dann jede Minute eine Maschine in Tempelhof landete. Stein hatte den Eindruck, dass Walter und sein Team regelrecht im Rausch waren, um dieses ehrgeizige Ziel des amerikanischen Offiziers zu erreichen.
Walter Porter hatte Stein in Celle vor dem Abflug ein paar Tafeln Cadbury in die Hand gedrückt, die der Kommissar zunächst nicht hatte haben wollen, weil er den Kindern nichts wegnehmen wollte, doch Walter hatte ihn beruhigt. Diese Schokolade hatte er ganz offiziell in London gekauft, da man Süßigkeiten kürzlich von der Rationierungsliste genommen hatte. Vielleicht war auch der Verzehr einer ganzen Tafel Schokolade vor dem Start schuld an Steins Übelkeit. Allein wenn er an die Tafeln in seiner Tasche dachte, spürte er das Unwohlsein im Magen.
Hastig zog Stein die zwei Tafeln hervor und reichte die eine Fräulein Lore nach hinten. Die Schreibkraft, die auf dem Rücksitz des Volkswagens saß, bekam leuchtende Augen.
»Das ist aber nett von Ihnen«, flötete sie.
»Sie sind wohl mit dem Rosinenbomber gekommen?«, bemerkte Wuttke scherzhaft.
Stein grinste. »In der Tat, ein Freund, der auch auf der Hochzeit war, hat mich kurzfristig in einer Maschine von Celle mitgenommen.«
Wuttke, der in der Regel schwer zu beeindrucken war, stieß einen anerkennenden Pfiff aus. »Ach, deshalb sind Sie früher gekommen! Erzählen Sie mal, wie ist das so?«
»Sobald wir am Tatort sind, bekommen Sie die andere Tafel«, versprach er seinem Kollegen. Und statt über die Leiche zu sprechen, die auf sie wartete, überfielen Lore und Wuttke ihn nun mit neugierigen Fragen nach dem Rosinenbomber und der englischen Hochzeit. So skeptisch Stein Berlin gegenüber auch immer noch war, mit den beiden zu plaudern, vermittelte ihm zumindest einen Hauch von Heimatgefühl. Aber dann sah sich Stein gezwungen, den persönlichen Plausch zu unterbrechen, um zumindest ein paar Dinge zu erfragen, die den Fall betrafen.
Was ihn aufhorchen ließ, war die fachliche Ausrichtung: Infektionskrankheiten und Venerologie. Er musste an die Worte der Zimmerwirtin von gestern denken.
Als sie vor der Klinik an der Akazienallee im Charlottenburger Ortsteil Westend eintrafen, sahen sie als Erstes eine Traube Menschen, die sich offenbar um den Toten herum versammelt hatte.
Stein sprang, kaum dass Wuttke den Motor abgestellt hatte, aus dem Wagen und stürmte auf die Gaffer zu.
»Treten Sie zurück! Sofort!«, befahl er mit schneidender Stimme. Der Aufruf zeigte auf der Stelle seine Wirkung, und die Menschen stoben auseinander, sodass Stein ungehindert zu dem Toten gelangen konnte. Es war ein bizarres Bild, das sich ihnen bot: der zerschmetterte Körper im weißen Kittel völlig verrenkt vor dem Eingang in seinem eigenen Blut. Es fiel Stein auf, dass der Tote eine sportliche Figur mit breiten Schultern besaß und schätzungsweise an die ein Meter neunzig groß gewesen war. Um seinen Kopf hatte sich eine große Lache gebildet. Das Gesicht lag auf der Seite. Aus dem Auge quoll Blut. Stein schätzte ihn auf Ende dreißig. Der Kommissar zückte wie immer am Tatort seinen Skizzenblock, den er stets in der Manteltasche bei sich hatte, und zeichnete den Toten, bevor er Lore seine Beschreibung der Leiche noch einmal diktierte, was sie in rasendem Tempo mitstenografierte. Streng genommen war dafür ein Kollege der Spurensicherung zuständig, nur hatte Wuttke zu diesem angeblichen Selbstmord offenbar keine Kollegen von der Kriminaltechnik angefordert. Deshalb war auch kein Fotograf vor Ort.
Aus dem Augenwinkel nahm Stein wahr, dass Wuttke ihm mit grimmiger Miene dabei zusah. Stein ahnte, was ihn störte. Seine Dominanz. Er hätte sich vielleicht lieber zurückhalten und seinem Kollegen die Initiative überlassen sollen. Schließlich war er nur zufällig in diese Ermittlungen geraten und Wuttke war eigentlich zuständig. Das Dumme war, dass es Stein nicht zum ersten Mal passierte, dass er ein Tempo vorlegte, mit dem er Wuttke, der für alles etwas mehr Zeit brauchte, schlicht abhängte. Er wollte sich gerade entschuldigen, als Wuttke murmelte: »Ich gehe mal eben aufs Dach und schaue mich dort um.« Und schon war der Kollege im Eingang verschwunden.
In dem Moment trat ein mittelgroßer schlanker Mittvierziger im Kittel auf Stein zu. »Dr. de Vries. Mir gehört die Klinik!« Er senkte die Stimme. »Und bitte, Herr Kommissar, sorgen Sie dafür, dass der Mann aus dem Eingang geschafft wird. Das macht keinen guten Eindruck, aber das hat Ihnen Ihr Vorgesetzter sicher mit auf den Weg gegeben.« Mit diesen Worten drehte sich der Klinikleiter um und wollte Stein ohne weiteren Gruß stehen lassen.
»Dann teilen Sie mir bitte mit, wo ich Sie gleich in Ruhe befragen kann«, entgegnete Stein kühl.
»Mich? Ich habe keine Zeit. Lassen Sie sich von meiner Sekretärin einen Termin geben und …«
»Jetzt sofort!«, unterbrach ihn Stein entschieden.
»Aber Graubner hat mir versprochen, dass Sie mir den Suizid schnellstens aus den Augen schaffen!«
»Den Suizid? Das hört sich so an, als würden Sie den Mann nicht kennen«, hakte er nach.
De Vries stöhnte genervt auf. »Doch, das ist Dieter Kampmann, der Chefarzt unserer Kinderstation. Aber hören Sie! Schaffen Sie ihn weg. So ein Selbstmörder verstört die Patienten und lockt Schaulustige an!«
»Und wer sagt Ihnen, dass es ein Selbstmord war?«, fragte Stein lauernd.
»Ich«, fauchte der Klinikleiter.
Stein wandte sich an Fräulein Lore. »Kümmern Sie sich gleich darum, dass der Tote abgeholt wird. Wuttke ist wohl schon auf dem Dach.«
Lore schien geschmeichelt, dass sie mithelfen durfte, und fragte de Vries, wo sie ein Telefon fände. Stein hingegen ärgerte sich, dass man ihnen keine Kollegen von der Spurensicherung mitgeschickt hatte. So als ginge es wirklich nur darum, das blutige Ärgernis im Eingang aus dem Weg zu räumen.
»Und an Sie habe ich noch ein paar Fragen. Ich brauche die Adresse des Toten. Hat er eine Frau, die wir informieren müssen, und so weiter!«
»Kommen Sie bitte gleich in mein Büro. Aber mehr als zehn Minuten habe ich nicht«, knurrte de Vries. Das klang wie ein Befehl. Und schon drehte er sich auf dem Absatz um.
»Dann überlegen Sie doch schon einmal, wann Sie Ihren Kollegen das letzte Mal gesehen haben. Ob er sich in letzter Zeit auffällig verhalten hat. Und wo Sie waren, als er sich vom Dach gestürzt hat«, rief ihm Stein hinterher, bevor er sich zu dem Toten hinunterbeugte und ihn auf den Rücken drehte. Die Gesichtshälfte, mit der er auf die Platten geknallt war, konnte man schwerlich als solche erkennen. Es war ein zerfließender Brei, in dem sich helle Hautfetzen mit Knochenteilen, Blut und Schmutz mischten. Stein fasste ihm nun in die Kitteltaschen, aber die waren leer. Dann knöpfte er den Kittel auf und zog ihn dem Toten aus. Dies bereitete ihm einige Schwierigkeiten, weil er weder Spuren verwischen noch den Toten schädigen wollte. Im Moment des Niederkniens hatte ihn ein Pietätsgefühl ergriffen, das ihn zur Vorsicht anhielt.
Als er den Kittel von allen Seiten betrachtete, fiel ihm auf, dass er auf der Rückseite, mit der der Tote nicht vor dem Eingang der Klinik aufgekommen war, starke Verschmutzungen aufwies, als hätte der Mann schon vorher im Dreck gelegen. Anschließend durchsuchte er das Jackett des Toten, in dessen Tasche sich ein Schlüssel befand. Ein Wohnungs- oder Zimmerschlüssel, mutmaßte Stein, und er reichte ihn Lore, die ihn vorsichtig an sich nahm.
Es folgte der wichtigste Part. Die Spurensuche am Körper des Toten. Als Stein den Jackenärmel hochschob, um nach möglichen Kampfspuren zu suchen, fielen ihm sofort Druckspuren am Oberarm ins Auge. Das war zwar noch kein Beweis, dass man ihn gestoßen hatte, aber ein ernst zu nehmender Hinweis darauf, dass man ihn zumindest hart angepackt hatte. Als sich dasselbe Bild auch am anderen Arm zeigte, war Stein sich ziemlich sicher: Kampmann war nicht freiwillig gesprungen.
Er diktierte Lore seine Beobachtung. Ihm entging nicht, dass ein kurzes Leuchten über das Gesicht der Schreibhilfe huschte, als er den Verdacht auf Mord äußerte. Nun ist die Welt für sie wieder in Ordnung, dachte Stein amüsiert, ein Selbstmord wäre ihr sicherlich zu profan gewesen. Auch sah er der weiteren Befragung des Klinikleiters nun mit einer gewissen Schadenfreude entgegen. Der Mann machte einen aalglatten und arroganten Eindruck auf ihn. Natürlich würde er ihm gegenüber noch nicht von Mord sprechen, bevor die Druckspuren an den Armen in der Gerichtsmedizin nicht gründlich untersucht und das Ergebnis bekannt gegeben worden war. Doch er hegte keinen Zweifel mehr daran, dass das von Graubner vorschnell gefällte Urteil über den Suizid des Arztes falsch war. Und dass sich der Klinikleiter, den der Tod seines Kollegen offensichtlich völlig kaltließ, noch wundern würde, wie gründlich die MI3 ermittelte.
Wuttke hatte sich von einer Krankenschwester den Weg aufs Dach zeigen lassen, denn der war gar nicht so einfach zu finden. Er führte über einen Dachboden durch Gerümpel zu einer Leiter, die wiederum an eine größere Dachluke gelehnt war, durch die man steigen und so auf ein Flachdach gelangen konnte. Die Luke war geöffnet. Die Krankenschwester fragte, ob sie auf den Kommissar warten solle, aber er verneinte. Dabei war die junge Frau nicht unattraktiv, nur hielt sich Wuttkes Verlangen nach seiner letzten leidenschaftlichen Affäre in Grenzen. Vor allem hätte er sich bei dieser hübschen Person wohl über die Maßen anstrengen müssen, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Sie verhielt sich gleichermaßen höflich wie desinteressiert ihm gegenüber.
»Dr. Kampmann hat sehr oft seine Mittagspause auf dem Dach verbracht«, ließ sie ihn noch wissen.
»Danke«, brummte er, doch dann drehte er sich um und rief ihr hinterher, wann sie ihn zum letzten Mal gesehen habe.
»Wie ich schon sagte. In der Mittagspause.«
»Warten Sie, ich komme noch einmal zurück.« Wuttke versuchte, möglichst sportlich die Leiter hinabzuklettern. »Wann war das genau?«
Die Schwester überlegte. »Normalerweise gegen zwölf Uhr, aber heute war es etwas später. Wir hatten einen Notfall.«
»Und wirkte er anders als sonst? Ist Ihnen etwas aufgefallen?«
Sie zuckte die Schultern. »Er war schon seit der Sache mit dem Jungen völlig verändert. Vorher war er eher unnahbar, so als könne ihm keiner was. Seit Rolfs Tod wirkte er mächtig angeschlagen.«
»Haben Sie eng mit ihm zusammengearbeitet?«
Die Schwester nickte. »Wir waren sehr vertraut miteinander …«
»Was heißt das?«, rutschte es Wuttke neugierig heraus.
»Nicht, was Sie denken. Ich bin Stationsschwester auf der Kinderstation.«
»Entschuldigen Sie, es sollte kein falscher Eindruck entstehen, aber für mich zählt jedes Detail«, bemerkte er.
»Das verstehe ich. Wir sind doch alle ganz schockiert und hoffen, dass Sie den Fall schnell aufklären«, erwiderte sie lächelnd.
Wuttke erschrak. Wenn sie lächelte, ähnelte sie Lena. Dass er nicht gleich darauf gekommen war. Sie hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit seiner einstigen Geliebten, obwohl die eine Hure gewesen war, während die junge Frau, die nun in ihrer gestärkten Schwesterntracht vor ihm stand, beinahe unschuldig wirkte. Ihr Haar war jedoch, anders als bei Lena, dunkel, die Nase in dem schmalen Gesicht war nicht ganz so groß, aber ihre Figur ähnelte der von Lena, und ihr Blick war genau der gleiche, und ihre Ausstrahlung, die eine unnahbare Eleganz hatte und Wuttke trotz der Schwesterntracht und ihrer Freundlichkeit in ihren Bann zog, erschreckte ihn geradezu.
»Ob Sie mir bitte Ihren Namen nennen könnten? Falls ich noch weitere Fragen habe«, bat Wuttke sie beinahe schüchtern.
»Schwester Klara, aber jetzt müssen Sie mich entschuldigen. Wir haben Visite.« Und schon eilte sie davon. Wuttke sah ihr hinterher, bis sie hinter einer Ecke verschwunden war. Vielleicht sollte er doch sein Glück bei ihr versuchen. Mit einer Krankenschwester hatte er noch nie nähere Bekanntschaft geschlossen.
Als Wuttke ins Freie trat, kam gerade die Sonne durch und tauchte die roten Klinker des benachbarten Wasserturms in ein magisches Licht. Überhaupt schien die Villenkolonie Westend von der Zerstörung durch die Bomben nahezu verschont geblieben zu sein. Wuttke überquerte das Dach und gelangte zu einer Balustrade. Von hier oben konnte man sich wirklich der Illusion von heiler Welt hingeben. Kein Vergleich zum östlichen Charlottenburg, wo das Straßenbild immer noch von Ruinen geprägt war.
Wuttke trat ganz nah an die Brüstung, die ihm bis zu den Knien reichte, heran. Das war nicht gerade hoch und sollte der Tote nicht gesprungen sein, sondern es einen Täter gegeben haben, wäre es ein Leichtes gewesen, den Mann über die Brüstung zu stoßen.
Das Gebäude, auf dem er stand, war nicht so hochherrschaftlich wie die Villen in der Nachbarschaft, und das geflickte Vordach über dem Eingang machte von hier oben einen schäbigen Eindruck. Das klaffende Loch, das der Körper des Toten in das notdürftige Wellblechkonstrukt gerissen hatte, wirkte wie eine große Wunde.
Wuttke erblickte unten vor dem Eingang Stein, der offenbar gerade dabei war, dem Fahrer des Leichenwagens etwas zu erklären. Wuttke spürte Ärger in sich aufsteigen. Im Grunde genommen hatte er sich inzwischen wirklich gut mit Stein zusammengerauft, aber manchmal stieß ihm diese Art des Kollegen, alles an sich zu reißen, bitter auf. Und heute war so ein Tag. Das lag daran, dass er während Steins Urlaub in London sehr gut allein zurechtgekommen war und sich vorhin, dort unten, von dem Kollegen zurückgedrängt gefühlt hatte. In solchen Momenten ging ihm die professionelle Dominanz des Dukes auf die Nerven, die zudem stets mit einem Schuss moralischer Überlegenheit gemischt zu sein schien. Dann fühlte Wuttke sich neben dem eleganten Engländer wie ein Verlierer, der überdies im Krieg Befehle ausgeführt hatte, die ihn heute noch in seinen schlimmsten Albträumen verfolgten. Dabei wusste er genau, dass Stein das längst nicht mehr gegen ihn ausspielte wie ganz am Anfang, als er Wuttke sehr deutlich zu verstehen gegeben hatte, was er von den »hässlichen Deutschen« hielt.
Wuttke wandte rasch den Blick ab in der Hoffnung, dass sein kleiner Rückfall in das miese Gefühl der Unterlegenheit und Minderwertigkeit dem Engländer gegenüber damit verschwand. Schließlich hatte Stein wiederholt bewiesen, dass er ein fairer Partner auf Augenhöhe war.
Wuttke untersuchte die Brüstung auf Spuren, die auf einen Kampf hindeuteten, aber die gemauerten Steine wollten offenbar nichts preisgeben von dem, was sich dort genau zugetragen hatte.
Wuttke drehte sich um und ließ seinen Blick über das Dach schweifen. Da sah er links neben dem Schornstein eine Flasche am Boden liegen. Er nahm sie mit einem Taschentuch auf, um Fingerabdrücke zu vermeiden. Es handelte sich um eine fast leere Flasche mit Kümmelschnaps. Aber was wollte die ihm sagen? Nicht mehr und nicht weniger, als dass der Tote dort unten sich möglicherweise Mut angetrunken hatte, was für einen Suizid sprach. Dann stutzte er. Die Dachpappe war vom Regen feucht bis auf eine trockene Stelle. Offenbar hatte dort etwas gelegen. Der Form nach zu urteilen, konnte es ein Mensch gewesen sein, doch in dem Moment ließ Wuttke eine Tablettenrolle mit einem ihm äußerst vertrauten Schriftzug alles andere vergessen. Auf blauem Grund prangte das weiße »Pervitin«. Allein beim Anblick des Röhrchens mit den Wachmachern überfiel ihn ein leichtes Zittern. Ihm ging so viel gleichzeitig durch den Kopf. Wie er damals in Polen die erste Pille geschluckt hatte. Und wie sie ihm wirklich dabei geholfen hatte, den Anblick der ausgemergelten Gestalten zu vergessen, die vor der sogenannten Säuberung der Nervenheilanstalt in den Wald hatten flüchten können. Würde das jemals aufhören? Immer noch verfolgte ihn der Augenblick, als ihn sein Vorgesetzter Krüger dazu genötigt hatte, ebenfalls zu schießen, bis in seine nächtlichen Albträume.
Wuttkes Knie wurden so weich, dass er sich hinsetzen und an den Schornstein lehnen musste. Er versuchte mit aller Willenskraft, seinen Blick von der Pillenrolle abzuwenden, aber er konnte nicht anders, als diese verdammte blau-weiß-rote Versuchung anzustarren. Ihn packte ein unwiderstehlicher Drang, zuzugreifen, als hätte man ihm im Hungerwinter 1946/47 plötzlich eine Bulette unter die Nase gehalten.
Schon seit Ende vergangenen Jahres hatte er es geschafft, das Teufelszeug nicht mehr anzurühren, und zwar aus eigener Kraft. Seitdem ging es körperlich bergauf mit ihm. Er boxte in seiner Freizeit sogar neuerdings wieder, seit die Alliierten ihr Verbot, diesen Sport auszuüben, aufgehoben hatten. Nein, er würde das alles nicht aufs Spiel setzen, nur um sein schlechtes Gewissen schachmatt zu setzen.
Aber wenn er jetzt eine Tablette für das Vergessen nehmen würde, hieß das ja noch lange nicht, dass alles wieder von vorne begann. Dass er erneut in diesen Teufelskreis aus Euphorie und Verfolgungswahn geriet …
Wenn ich die Rolle, ohne aufzustehen, greifen kann, nehme ich eine, wenn nicht, muss ich der Versuchung widerstehen, ging es Wuttke durch den Kopf … und schon hatte er die Hand nach der Rolle ausgestreckt. Er vergaß in seiner Aufregung sogar, das Taschentuch zu benutzen. Wuttke musste sich mit dem Oberkörper sehr weit nach vorne beugen, aber dann fühlte er das Blech zwischen seinen Fingern und griff fest zu. Jetzt ging alles ganz schnell. Wuttke öffnete die Tablettenrolle und wollte sofort eine Pille nehmen, da hörte er ein Geräusch, das von der Luke herkam. Offenbar näherte sich ihm jemand, doch er konnte nicht mehr zurück. Mit zitternden Händen kippte er sich Tabletten in die Jacketttasche und schloss hektisch den Deckel.
Er hob erschrocken den Kopf und sah Fräulein Lore näher kommen. Wuttke überlegte fieberhaft, wie er ihr die Rolle Pervitin in seiner Hand erklären sollte. Sie aber machte nicht den Eindruck, als hätte sie seine Untat beobachtet, im Gegenteil, sie schien besorgt, weil er dort am Schornstein kauerte.
»Ist Ihnen nicht gut, Kommissar Wuttke?«, fragte sie in fürsorglichem Ton.
»Doch, doch, mir war nur ein wenig flau im Magen …« Wuttke suchte Lores Blick und da sah er in ihren Augen noch etwas anderes als Sorge. War es Entsetzen?
»Schauen Sie, was ich hier gefunden habe.« Er hielt ihr die Tablettenrolle entgegen. »Wahrscheinlich hat der Tote was von dem Zeug zusammen mit dem Kümmelschnaps genommen. Vielleicht, um sich Mut anzutrinken vor dem Sprung.«
»Stein ist sich sicher, dass es Mord war«, erwiderte sie knapp. Und immer noch war in ihren Augen Fassungslosigkeit zu lesen. Wuttke rappelte sich hastig auf. Im Sitzen kam er sich noch kleiner und mieser vor.
»Wollen Sie die Tabletten mit nach unten nehmen? Sie wissen doch, ich sollte mit dem Zeug lieber nicht in Berührung kommen.« Er reichte ihr die Pillendose.
»Nein, das sollten Sie wirklich nicht«, bestätigte Fräulein Krause und ließ die Rolle in ihre Jackentasche gleiten. Ganz plötzlich erhellte sich ihr Gesicht und sie bückte sich mit den Worten. »Was haben wir denn da?«
Sie hielt Wuttke triumphierend einen Knopf entgegen. »Sehen Sie sich den Faden an. Scheint, als hätte jemand den Knopf abgerissen. Soll ich den auch mit hinunternehmen?«
Er nickte. »Ich nehme die Flasche mit.«
Wuttke war unsicher. Hatte sie ihn nun beim Stehlen beobachtet oder nicht? Noch kann ich die Tabletten einfach wegwerfen, redete er sich ein, während er die Leiter hinunter in den Dachboden stieg. Ganz tief in seinem Inneren aber wusste er, dass er gar nicht anders konnte, als die Tabletten einzunehmen.
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