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Nie wieder Schmerz, Angst oder Handlungsunfähigkeit. Verbales Kung-Fu versetzt operative Einsatzkräfte in die Lage, einen festen Stand einzunehmen, das Gegenüber mit Meta-Kommunikation dort abzuholen, wo es sich befindet und Kooperationsstrategien zu verstehen, zu erkennen und effektiv anzuwenden.
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Seitenzahl: 282
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In dieser Reihe erscheinen Bücher zum Thema
unleashed
Inhalte sind asymmetrische Kommunikation, körperliche Gewalt und Berufszufriedenheit für Polizeidienstkräfte.
Sascha Boden-Bogdán, Jahrgang 1977, Polizeihauptkommissar, Personal Coach und Experte für asymmetrische Kommunikation. zweifacher Vater, zweite Ehe. Eintritt in den Polizeidienst in NRW 1997 (Duisburg, Essen, Bonn), seit 2018 in Berlin-Kreuzberg. Der Autor beschreibt nach dem aktuellen Stand der Forschung von
die für Polizei und andere operative Einheiten relevanten Elemente und kreiert ein maßgeschneidertes Handwerkszeug, an realen Beispielen erläutert mit über einem viertel Jahrhundert eigener Einsatzerfahrung auf der Straße. Der besondere Fokus liegt auf der speziellen Konstellation von Polizei-Bürger und den Optionen in den zeitlich häufig sehr kurzen Interaktionen mit dem Gegenüber.
Für alle Kinder,
deren Eltern im operativen Dienst arbeiten.
Vorwort
Einleitung
Kapitel 1 Standard-Kommunikation vs. Asymmetrie
Kapitel 2 Der stabile Stand
Kapitel 3 Meta-Kommunikation
Kapitel 4 Deine Kooperationsstrategie
Tit for Tat
Schlusswort
Nie wieder Schmerz. Nie wieder Angst. Nie wieder Orientierungslosigkeit. Nie wieder Handlungsunfähigkeit. Nie wieder mit Magenschmerzen zu einer Auseinandersetzung fahren.
Ein Traum? Nein. Verbales Kung-Fu, fundiert und schlagkräftig, eloquent und bewährt.
Worüber wir hier sprechen, ist verbales Kung-Fu. Du stehst bombenfest, aber beweglich mit beiden Beinen auf dem Boden. In der linken Hand hältst du deine Kooperationsstrategie, in der rechten Hand deine Fähigkeit zur Meta-Kommunikation.
Fester Stand bedeutet: Du ruhst in dir aufgrund deines inneren Gleichgewichts. Du musst nichts beweisen, du bist besonders unabhängig vom Gegenüber und gehst mit dieser Haltung in die Interaktion.
Kooperationsstrategie bedeutet: Du beginnst eine Interaktion fair und freundlich und zwar
bedingt freundlich
: Du bist
provozierbar
, d. h., wenn das Gegenüber unkooperativ wird, wirst du ihm die Stirn bieten. Du wirst
versöhnlich
sein, d. h., wenn das Gegenüber erkennt, dass es mit seiner Art nicht weiterkommt und wieder beginnt, zu kooperieren, wirst du selbst wieder zum freundlichen Verhalten zurückkehren.
Meta-Kommunikation bedeutet: Du holst das Gegenüber dort ab, wo es steht. Wo genau es steht, erkennst du mit der Meta-Kommunikation. Hast du es dort abgeholt, kannst du es in die von dir gewünschte Richtung leiten.
Fehlende Routinen im Umgang mit Einsatzmitteln und Bürgern, fehlende gute Orientierung, ein Grummeln in der Magengegend vor der Arbeit und erst recht in einer heiklen Situation. Im Dilemma zwischen staatlichem Auftrag, körperlicher Bedrohung durch Bürger und Disziplinarverfahren und Beschwerden. Wie rede ich mit den Menschen, wann und wie setze ich Pfefferspray oder andere Einsatzmittel ein?
Dieses Werk richtet sich an alle operativen Polizeidienstkräfte, die etwa so angefangen haben wie ich, in meinem Fall 1997 bei der Polizei in Nordrhein-Westfalen. Genau dieses Buch hier hätte ich damals gebraucht. Ich schreibe also auch an mein früheres Ich:
Interaktionen mit dem polizeilichen Gegenüber mit dem Potenzial zur Eskalation wandelten sich im Laufe meiner Jahrzehnte von „auf meine Fresse“ über „auf deren Fresse“ hin zu „auf niemandes Fresse“.
Im Sommer 1996 hatte ich mein Abitur in der Tasche und war eher Informatik - Nerd als selbständig lebens- und handlungsfähig. Reden mit fremden Menschen, Menschenmassen, Umgang mit Rechtsstreitigkeiten, einem Wasserschaden zuhause, Buchhaltung für meine Versicherungen und andere Verträge, Einkaufen beim Metzger, wo man mit Verkäufern reden muss – all das war für mich kaum zu bewältigen. Für die Polizeiausbildung entschied ich mich, weil meine Unterschrift mich verpflichtete, nun über Jahre hinweg das Undenkbare tun zu müssen: Sport mit Leistungsanforderungen mit Gleichaltrigen, unter der Woche Übernachten in einer Art Polizeikaserne, Eingriffstechniken (ich, der privat - und das bis heute - nie eine körperliche Auseinandersetzung hatte), Schießen (bis dahin für mich unvorstellbar), Schwimmabnahmen mit bewerteten Rettungsschwimmerübungen, Klausuren (und ich war 1996 so froh, als das mit dem Abitur vorbei war). Fortan müsste ich täglich mit fremden Menschen sprechen und den täglichen Umgang mit (meiner eigenen) Autorität lernen.
So eine Ausbildung (erst recht die folgenden Jahrzehnte im Außendienst) kann einem unglaublich viel Handlungssicherheit geben.
Weibliche, männliche und allgemeine Anrede wende ich hier fröhlich abwechselnd an. Ich bin nämlich genauso hilflos bzw. in der Findungsphase, wie die Zukunft des Genderns aussehen soll und Wortungetüme liegen mir ebenso wenig, wie das ständige Ausschreiben der weiblichen plus männlichen Variante. Bürgys als kollektive gegenderte Bürgerinnen und Bürger und äquivalent schulbesuchende Schülys finde ich noch etwas befremdlich. Sollte sich das gesellschaftlich so durchsetzen, nehme ich das in meinen künftigen Auflagen und meinen Werken gerne so auf. Also, Polizistys, darüber schmunzelnd oder nicht, fühle dich und deine Mitmenschen bitte von mir mehr respektiert und weniger provoziert.
Dann kam die Praxis, in Mülheim an der Ruhr. Funk, Einsatzmittel, Abläufe, mich in meiner Dienstgruppe zurechtfinden (Einstand geben, richtige Begrüßung der Kollegen / Vorgesetzten), rechtliche Begebenheiten, Schichtdienst, schwieriges Gegenüber.
Allerdings hätte ich viel mehr Handwerkszeug gebraucht. Es gab nur eine knappe Handvoll Eingriffstechniken, denn sprachlich wurden wir allein gelassen: Nur ein „kommuniziere aktiv“ und „bleibe freundlich“ war in zu vielen Situationen zu wenig hilfreich. Unser Leitfaden 371 „Eigensicherung“ steckte noch in den Kinderschuhen und enthielt sogar gravierende Fehler. Der Gummischlagstock und das alle einnebelnde CS-Gas waren genau so wenig hilfreich wie die starren Lederhandschuhe, mit denen man nicht an den Pistolenabzug kam.
Hast Du bereits Praxiserfahrung? Vermutlich findest du dich in meinen Beispielen wieder:
der außer sich vor Wut schreiende Mann in einer engen Wohnung, der seine Männlichkeit und seine Existenz durch die polizeiliche Wegweisung (Berlin) / Wohnungsverweisung (NRW) und Rückkehrverbot bedroht sieht
der schlagende und tretende Betrunkene in der engen Gaststätte nach Zechbetrug und Hausfriedensbruch (was unerwartet zu einer Kapselverletzung in meiner Schulter führte)
die vielen nach Trunkenheitsfahrt (und Unfallflucht) nicht zur Blutprobe freiwillig Mitkommenden (was meine Armbanduhr zerstörte)
der oberkörperfreie Ringer, der auf der Privatparty nach Drogenmissbrauch frei dreht
der sich in seinem Recht, das ganze Haus beschallen zu dürfen, beschnitten fühlende und mit Gaspistole „verteidigende“ Mieter (mein erstes Zücken der Dienstwaffe)
die Suizidgefährdete bei Regen hinter dem Brückengeländer mit Messer am Hals (während man im strömenden Regen steht und versucht, sie von Schlimmerem abzuhalten)
der Festzunehmende (Phänotypus westasiatisch), der sich von einer Kollegin / Frau keine Handfesseln anlegen lassen will
die gegen den Täter vorgehen wollenden Eltern, nachdem ihrem Teenie-Kind die Nase gebrochen wurde (und der dann die Seitenscheibe aus unserem Dienst-BMW treten wollte, bevor er meinen Kollegen zwischen die Beine trat)
die weinende Frau mit zerrissener Strumpfhose nachts auf der Straße
der gehörnte Ehemann, früher Millionär, jetzt bankrott und zugleich Profiboxer, der seine Wohnung nicht verlassen will (und mir seine Treffsicherheit bewies, indem er superschnelle Schläge demonstrierte, die er nur einen Zentimeter vor meiner Nase abstoppte)
der Mann, der per Messenger seinen Suizid mit Pistole zuhause ankündigt und bei Anwesenheit der Polizei mitten im Gespräch plötzlich die Waffe aus einem Schränkchen und in die Hand nimmt
die Gruppe Jugendlicher, aus deren Menge heraus Flaschen in Richtung Polizei geworfen werden
die sich streitende vierköpfige Gewichtheberfamilie, bei denen die Loyalität zur Polizei aufgrund unterschiedlicher Erwartungen an die Beamten schwankend ist (der Vater hob mich und meine volle Ausrüstung wie ein Streichholz hoch)
der Reichsbürger, der mir seinen Phantasieführerschein vorlegte – angesichts der drohenden polizeilichen Maßnahmen kurz davor zu explodieren (das endete hart auf dem Asphalt)
der Anwalt der Person, die du und deine Kollegen - warum auch immer - vor seiner Musikklasse aufgefordert habt, seine Handyfotos zu zeigen (Grund: Er habe auf der Straße Kinder fotografiert.) Der Anwalt hat dann gegen dich und deine Kollegen eine Fach- und Dienstbeschwerde eingeleitet.
Meine Kollegen und ich waren auf uns allein gestellt. Da gibt es nichts schön zu reden. Es war immer Sache des Einzelnen, welcher Umgang mit dem Gegenüber gepflegt wird. Und das Verhalten der Einzelnen war immer mehr oder weniger von den Umgangsformen der (Dienst-) Gruppe geprägt. Das bietet zwar eine Orientierung, aber nicht zwangsläufig eine gute.
Es ist ein vielseitiger Beruf. Er ist komplex und ich war im Bürgerkontakt regelmäßig unsicher. Niemand braucht Kapselverletzungen in der Schulter, gequetschte Hoden, blutende Wunden, durch Pfefferspray gereizte Atemwege, Scham und Verletzungen der Würde.
Eine furchtbare Lösung für diese Anforderungen war für mich immer, unnötig provokant und mit wenig Respekt zu sprechen. Dieses ist für beide Parteien weder ein würdiges noch ein psychisch gesundes Vorgehen.
Also schlug ich mich durch die ersten Jahre auf dem Streifenwagen im sogenannten operativen Polizeidienst - dem direkten Dienst am Bürger.
Verschiedenste Einsätze hinterlassen bei uns ihre körperlichen und seelischen Spuren. Wie erlernen wir einen Umgang mit all dem: Was sind meine Werte, was sind die Werte des Staates und wie setze ich diese in Gänze um? Ich schlug mich von Tag zu Tag durch. Im Hinterkopf immer mit der Hoffnung, dass ich in keinen Schusswechsel gerate oder mir jemand einen Arm bricht. Bei unserem ersten Amoktraining – in einer verlassenen Schule - lief mir ein kalter über den Rücken, da mir bewusstwurde, was alles passieren kann – mir und vielen Kindern, gerade wenn selbst Familienvater ist.
Als mein überforderter Kollege hatten eines nachts Probleme, nach einem Zechbetrug (zwei kleine Bier) Probleme die Identität eines uns körperlich deutlich überlegenen Mannes (Sven B., den Namen werde ich nie vergessen) festzustellen. Dabei kam es zum Widerstand, bei dem ich eine Kapselverletzung in der Schulter erlitt. Ich war noch nicht Beamter auf Lebenszeit und hatte aufgrund der Verletzung die Befürchtung, nicht nur körperlich eingeschränkt zu bleiben, sondern auch aufgrund von Dienstunfähigkeit den Beruf zu verlieren.
Es dauert noch einige Jahre und es folgten einige Widerstände, blaue Flecken, Kratzer auf der Haut, Kratzen im Hals vom Pfefferspray, Festnahmen und Drohungen mit der Schusswaffe, bis der Zufall mir zu Hilfe kam und mir eine Chance anbot:
Nach Fusion der Polizeipräsidien Essen und Mülheim an der Ruhr im Jahr 2007 konnte ich künftig Essener Fortbildungsangebote wahrnehmen. Fortan war ich jede Woche beim Dienstsport „Eingriffstechniken“. Ich trainierte mit zwei Mitgliedern der Hundertschaft und mit „Haui“, einer Koryphäe der Spezialeinheiten, ein echter Haudrauf, der in jeder Stunde auch von seinen vergangenen krassen Einsätzen berichtete.
Um meinen Traum erfüllen zu können, Teil des SEK zu werden, trainierte ich zusätzlich bis zum Umfallen Kraft und Ausdauer und ging Schießen, so oft wie möglich.
Beim Training der Eingriffstechniken brach ich mir allerdings 2010 den linken Mittelfußknochen quer, wodurch mir für die nächsten sieben Monate Kraft- / Ausdauertraining durch den Arzt untersagt wurde. Da meine Frau in dieser Pause mit unserem zweiten Baby schwanger wurde, ließ ich das SEK anschließend bleiben.
Stattdessen wechselte ich zur Landespolizei Bonn, da meine damalige Ehefrau Sehnsucht nach ihrer alten Heimat hatte. Dort wurde kein wöchentliches Training „Eingriffstechniken“ angeboten, sodass ich mir privat einen Verein suchte. In Meckenheim fand ich meine Leidenschaft zu Wing Tsun, welches von zwei Beamten des dortigen Bundeskriminalamtes geleitet wurde.
Kampfsport kann Selbstvertrauen und Handwerkszeug für körperliche Auseinandersetzungen geben. Wing Tsun ist auch die Grundlage polizeilicher Eingriffstechniken in NRW. Berlin dagegen setzt eher auf Elemente des Ju-Jutsus.
Wie mir erst Jahre später bewusst wurde, beeinflussen die Fortbildungen rund um Eingriffstechniken, sowie generell Kampfsport, das Gefahrennarrativ innerhalb der Polizei negativ: Je mehr für den Ernstfall trainiert wird, desto mehr bereitet sich unser Gehirn auf Gefahrensituationen vor. Das kann dazu führen, dass wir in allen polizeilichen Situationen nach Gefahren suchen und auch eher bereits sind, Zwang anzuwenden, obwohl mildere Mittel – etwa das gesprochene Wort - verhältnismäßiger wären.
Tatsächlich hatte ich dann in sieben Jahren Bonn keine eigenen Verletzungen mehr – außer einer Beule am Kopf als Beifahrer, weil von rechts ein 18jähriger junger Mann mit Beifahrerin über die Rotlicht abstrahlende Ampel gefahren war und sein später eintreffender Vater mich als Simulant beschimpfte. Ich konnte aber nicht vollständig Verletzungen meiner Kolleginnen und Kollegen oder die Widerstände an sich vermeiden.
Im Vergleich zu meinen ersten Jahren bemerkte ich eine Veränderung hinsichtlich meiner Selbstsicherheit, speziell in Einsätzen mit gewissem Gefahrenpotenzial.
Ich konnte durch mein Erlerntes Situationen und ihre Folgen besser einschätzen. Dennoch ging die Zahl meiner jährlichen Widerstände nicht merklich zurück.
Nach fast zwei Jahrzehnten aktiver Polizeiarbeit wurde mir klar, dass diese Situationen vermieden oder zumindest reduziert werden mussten. Es musste möglich sein, Gespräche so zu führen, dass die meisten gefährlichen körperlichen Kontakte (jede körperliche Auseinandersetzung ist potenziell verletzungsgefährlich!) friedlich gelöst werden können. Das sahen die Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich sprach, zumeist anders. Da könne man nichts machen. Da müsse man härter und stärker sein und einfach pumpen gehen. Du ahnst es: Damit wollte ich mich nicht zufriedengeben.
Ich begann, die polizeispezifische Literatur aufzukaufen: Eigensicherung, Wahrnehmung, Jagdfieber, Straßenkampf, Stress, Kommunikation und Psychologie der Eigensicherung.
Dann zog es mich 2018 nach Berlin (und zu meiner zweiten Ehefrau), mitten rein ins berüchtigte Kreuzberg.
Ich hatte großen Respekt vor der Hauptstadt, vor der Masse an Menschen, dem Elend auf den Straßen, der Kriminalität, den Demonstrationen, dem schnellen Puls Berlins. Dort würde es bestimmt rustikaler zugehen, als in meinem beschaulichen Mülheim an der Ruhr / Essen oder in Bonn.
Hermannplatz, Görlitzer Park, Kottbusser Tor, Park am Gleisdreieck. Ist Dir das ein Begriff? Mir jetzt auch...
Im Jahr 2018 nahm ich die Herausforderung meiner persönlichen Weiterentwicklung an und begann ich mich intensiv mit „Kommunikation und Handlungsfähigkeit“ auseinanderzusetzen. Ich begann ein Fernstudium zum „Psychologischen Berater / Personal Coach“, tauschte mich mit Kommilitoninnen und Kommilitonen aus, besuchte diverse Seminare und verschlang die jegliche relevante Literatur über Kommunikation und Wahrnehmung (deren Zahl stetig wächst).
Mit freudigem Erschrecken stellte ich fest, dass der Menschheit schon lange wichtige Erkenntnisse zu Kommunikation und Meta-Kommunikation vorliegen. Es ist bekannt, was für zielführende Gespräche hilfreich oder weniger hilfreich ist.
Aus diesem Wissensschatz und meiner persönlichen Erfahrung von mehr als hunderttausend Bürgergesprächen und zehntausenden Einsatzsituationen – und mehr als einhundert sehr kritischen – habe ich das Konzept „Verbales Kung-Fu für Polizeidienstkräfte“ erschaffen. Es beschreibt Fundamente und Methoden zur effektiven, friedlichen und würdigen Kommunikation zwischen Bürgerinnen und Bürgern mit operativen Kräften und leitet Schritt-für-Schritt an. Wie beim Kampfsport kann ich mich auch hier modular an den Elementen bedienen, die mir persönlich zusagen.
Klar, es gab und wird immer vereinzelte Situationen geben, in denen ich nicht zu Wort komme, wenn die Beteiligten nichts hören/aufnehmen können. Dem gegenüber stehen 98% - 99% der Einsätze, die entspannter und für alle sicherer geführt werden könnten, wenn ich als operative Kraft über meine innere Mitte und über verbales Handwerkszeug verfüge. Ich gebe Dir dazu die zwei vermutlich effektivsten Werkzeuge an die Hand: Kooperationsstrategie und Meta-Kommunikation.
Es lohnt sich, wenn ich mich mit diesen Elementen beschäftige. Es lohnt sich, mir meine eigenen Mindeststandards festzulegen. Im Außen bedeutet das für mich, dass jeder, mit dem ich Einsätze fahre meine oberste Direktive kennt: „Wir kommen gesund nach Hause!“ Diesen Satz haben schon hunderte Kolleginnen und Kollegen von mir gehört.
Eine Festnahme nach Widerstand ist kein Sieg. Manchmal, aber selten, ist das Brechen eines Widerstandes alternativlos. Meistens ist es jedoch die Hilflosigkeit der operativen Kräfte, die sich nicht an guten Vorbildern orientieren konnten, die eine hilfreichere Ausbildung in Kommunikation gerne genutzt hätten und die gerne friedlich mit allen Menschen zusammenarbeiten und leben würden.
Wenn du also einmal ein schwarzes Schaf bei der Polizei siehst, eines das sofort laut und aggressiv spricht oder eins, das schnell zuschlägt, dann fehlt ihm vielleicht eine Alternative oder es hat Angst oder ist einfach ein brutaler Schläger.
Man hat mehr in der Hand, als man denkt. Auch ein starkes Team, gute Schutzausstattung und effiziente Einsatzmittel, jahrelange Kampfsporterfahrung und polizeiinternes Eingriffstechniken-Training vermeiden körperliche Auseinandersetzungen nicht. Dennoch bleibt Gefahr von Verletzungen (und Angst) bei allen Beteiligten bleibt bestehen. Jede körperliche Auseinandersetzung beinhaltet ein Verletzungsrisiko.
In meinen Jahren in Berlin hatte ich, sicherlich mit Glück, aber bestimmt auch durch Verbales Kung-Fu, bislang keinen nennenswerten Widerstand, keinen tätlichen Angriff gegen mich und vor allem keine verletzten Kolleginnen und Kollegen in meinen Einsätzen zu verzeichnen.
Ich duze dich hier. Könnte das mancher Leserin, manchem Leser und manchen Lesenden unangenehm aufstoßen als Zeichen mangelnden Respekts? Ja klar. Allerdings musste ich mich zwischen dieser Gefahr und dem Duzen als Element der Gemeinschaft und der Nahbarkeit entscheiden. Der Polizeiberuf braucht dringend Teamgeist, Nahbarkeit und Respekt. Den Respekt kann man sich dann noch anderweitig verdienen.
Asymmetrische Kommunikation tritt bei Machtungleichheit beider Kommunikationspartner auf.
Chefärztin → Krankenschwester, Polier → Handwerker, Pilot → Steward, Polizist → Bürger.
Hier ist stets eine Seite dominanter oder privilegierter und die andere untergeordnet auf oder nimmt eine passive, empfangende Rolle ein. Die passive Partei wird in ihrer Meinung, Einstellung oder in ihrem Verhalten einseitig beeinflusst. Es kommt in der Realität mitunter zu Manipulation und Täuschung der untergeordneten Partei, um sie in die gewünschte Richtung zu lenken. Aufgrund des Machtungleichgewichts ist der Dialog in Richtung der dominanten Partei beschränkt.
Es gibt Umstände, die die Kommunikation erschweren. Wir greifen diejenigen heraus, die für uns im Bereich Asymmetrie relevant sind. Die Kommunikation gestaltet sich hier umso schwieriger, je höher der Druck und je schwieriger die individuellen Umstände auf beiden Seiten der Kommunizierenden sind:
Unwohlsein
(Müdigkeit, Hunger, Durst, Krankheit, soziale Angst, Selbstzweifel, Verantwortung ggü. Familie u. a.)
Fehlender Puffer /
fehlender Umgang mit Kritik
oder verbalem Angriff durch den anderen
Fehlende
Provozierbarkeit
: Duldung von unfreundlichem oder aggressivem Verhalten aus Angst, Unsicherheit
Fehlende Umsetzung des Konzeptes
Versöhnlichkeit
, nachdem zuerst der andere unfreundlich oder aggressiv agiert hat, ich dann zwar gleichwertig reagiert habe und der andere daraufhin eingelenkt hat und zur Kooperation zurückgekehrt ist
Den anderen
nicht verstehen
, also nicht wissen, wo der andere steht
Den anderen
nicht
dort
abholen
, wo er steht.
Diese Aufzählungspunkte werden, bis auf das „Unwohlsein“ alle in den Kapiteln „Kooperationsstrategie“ und „Meta-Kommunikation“ vollständig aufgegriffen und eliminiert. “Unwohlsein” möge man als Gegenüber selbständig in der Aktion berücksichtigen.
Wenn ich als Polizist draußen arbeite, habe ich regelmäßig mit Konflikten und Gewalt zu tun. Medien, Forschung, Aus- und Fortbildung fokussieren oft auf den Einsatz körperlicher Gewalt und Waffeneinsatz. Dabei wird der Großteil der Einsätze allein mit dem mildesten Mittel - dem gesprochenen Wort - bewältigt.
In diesem Werk behandeln wir die (nonverbale und verbale) Sprache, wenngleich zum Kommunikationsspektrum auch der Einsatz von unmittelbarem Zwang – körperliche Gewalt - gehört.
Es geht hier insbesondere um die Unterstützung und Vereinfachung der Bewältigung von Standard-Einsatzsituationen.
Abgrenzend sprechen wir hier nicht über die Verbesserung und Verschlechterung des Ansehens der Polizei (wie in der empirischen Studie „Kommunikation bei polizeilichen Routinetätigkeiten“ von Max Hermanutz, Wolfgang Spöcker, Yasemin Cal, Julia Maloney). Wir sprechen davon, dass Verletzungsgefahren minimiert werden können und müssen.
Den Polizistinnen und Polizisten wird angesichts der großen Verantwortung wenig Handwerkszeug zur Verfügung gestellt.
Wir reden hier vom Leitfaden 371 „Eigensicherung“, der neben polizeitaktischen Elementen auch psychologische Vorgehensweisen vorschlägt. Die Einsatztrainings mit oftmals engagierten Lehrerinnen oder Einsatz-Trainerinnen sind zeitlich zu knapp bemessen.
Ich an deiner Stelle würde den Leitfaden 371 sehr genau lesen und mir da auch nicht von Andersdenkenden hineinreden lassen. Wenn du auf eingefahrene Kollegen stößt oder auf solche mit persönlichen Problemen oder solche, die sich und die Polizeiautorität im Dienst ausleben müssen, dann würde ich mich auf andere Kollegen fokussieren oder die Dienststelle wechseln. Denn eins bleibt der Beruf auf jeden Fall: Teamwork. Gegeneinander geht hier gar nichts. Man ist langfristig und vor allem im Einsatz aufeinander angewiesen.
Das Motto dieses Buches lautet: Unleash your voice! Verbales Kung-Fu zeichnet die Grundsätze des effektiven Kung-Fu (und auch viel des Wing Tsun) tatsächlich ab: Stärke und Größe des Gegenübers spielen keine Rolle, sofern man es nicht frontal angreift. Man agiert aus einem sicheren (dem inneren) Stand heraus, ist aber gleichzeitig flexibel wie Wasser und kann parallel von (verbalen oder physischen) Stößen und Schlägen operieren, seine Techniken anwenden.
Verbales Kung-Fu ist das Gegenteil eines (sprachlichen) Vernichtungssystems. Ein 1:1 – Kampf gegen den anderen, gegen seine Wut, gegen seine Aggression, gegen seine Verzweiflung oder gegen seine Trauer entfällt und wird zu einem Kampf mit dem anderen, nicht gegen ihn.
Das führt beim Gegenüber zu einem emotional-sozialen Zustand der Nähe, dem es sich nicht entziehen kann. Mit diesem Vorgehen unterschreiten wir, wie auch beim Kampfsport, seine Kampfdistanz. Es kann, im übertragenen Sinn, nicht mehr zu Schlägen gegen uns ausholen. Dies verhindert eine Eskalation der Situation und ermöglicht es den operativ Einschreitenden, die Führung in der Lage zu übernehmen.
Hierfür braucht es insbesondere von den Einschreitenden das Selbstbewusstsein und den Willen, neben dem Einsatzerfolg keinen (brutalen) „Sieg“ über den anderen erringen zu wollen. Frage dich einmal, ob du dieses Gefühl von dir kennst oder es bei anderen wahrgenommen hast. Sieg und Einsatzerfolg sind nicht dasselbe. Es macht einen Unterschied, ob ich im Einsatz gut dastehen möchte oder ob ich Menschenwürde und Gefahrenminimierung priorisiere. Ein Sieg bringt „bestenfalls“ Ansehen und hohlen Respekt.
Einsatzerfolg bringt den Ruf von Stabilität, Verlässlichkeit, Handlungsfähigkeit und vielleicht auch Einfühlsamkeit (wenngleich ich einige Polizisten kenne, die den Ruf, einfühlsam zu sein, nicht als erstrebenswert erachten).
In der polizeilichen Welt von Gefahrenabwehr, Strafverfolgung und Einsatzlagen aller Art steht Kommunikation an vorderster Front. Die eigene Unversehrtheit, der Einsatzerfolg und die Menschenwürde hängen unmittelbar von unserem mächtigsten Werkzeug ab, von unserer Fähigkeit, effektiv zu kommunizieren.
Die hier vermittelten Inhalte sind primär für Polizeidienstkräfte im operativen Dienst designt. Diese sind, wie leicht erkennbar, auch auf andere, operativ tätigen Kräfte übertragbar.
Erfreulicherweise gibt es mittlerweile reichlich fundierte Literatur über polizeiliche Kommunikation und Eigensicherung. Allerdings wird die Besonderheit der asymmetrischen Kommunikation im Polizei-Bürger-System nur beiläufig erwähnt („hören sie zu“, „reagieren sie sensibel”). An dieser Stelle kommen wir zur interdependenten Meta-Kommunikation, die die entscheidenden Fragen stellt:
Wo steht das Gegenüber, wie ist der Kontext und wie bin ich? Diesem Dreiergespann gehen wir auf den Grund. Die zugehörigen Methoden, auch Techniken genannt, sind in der gängigen Literatur hinreichend erforscht.
Seit Jahrhunderten beschäftigen sich Philosophen, Sprachwissenschaftler und Psychologen mit Sprache und ihrem Teilgebiet, der Meta-Kommunikation. Letztere ist die Struktur hinter der Sprache. Wir finden Meta-Kommunikations-Elemente im NLP (neurolinguistisches Programmieren → LAB-Profile – Language and Behaviour), erweitert und fortgeführt von Kommunikationsgrößen wie Stephen Covey, Vera Birkenbihl, René Borbonus, Shelle Charvet und in der „Bodo Schäfer Akademie“. Die Anzahl der für zwischenmenschliche Interaktionen für wichtig befundenen Elemente variiert und obliegt den Auswählenden.
„Verbales Kung-Fu für Polizeidienstkräfte“ erhebt den Anspruch, aus der großen Vielzahl der Elemente (mehr als 60) und Erkenntnisse zwischenmenschlicher Kommunikation auf die spezielle Konstellation polizeilicher Einsatzlagen ein maßgeschneidertes Fundament samt Handwerkskoffer entwickelt zu haben. Damit liegt nun für Berufseinsteigende, wie für Kommunikationsexperten, ein hocheffizientes Instrument für die künftige Arbeit mit Menschen, insbesondere in potenziell kritischen Situationen, vor.
Polizeiliche Einsatzsituationen sind vielfältig und die entscheidenden mentalen Zugänge zum polizeilichen Gegenüber kontextabhängig. Des Weiteren arbeitet die operative Polizei oft unter Zeitdruck und mit Informationsmangel. Das Angenehme an verbalem Kung-Fu ist, dass eine Unterscheidung von Sofortlagen und Zeitlagen hinsichtlich der anzuwendenden Methoden nicht erforderlich ist, da es für beides gleichermaßen ein gutes Fundament braucht und unser neues Handwerkszeug (Kooperationsstrategie und Meta-Kommunikation) für alle Einsatzlagen geeignet ist.
In der zwischenmenschlichen Kommunikation (was eigentlich nur eine Abgrenzung zur Kommunikation mit technischen Endgeräten ist) sind oft nur die Standard-Kommunikationsmodelle bekannt und werden mehr oder minder bewusst von operativen Einsatzkräften angewendet.
Aus Griechenland hingegen kennen wir Ethos, Pathos und Logos. Ethos meint unsere Integrität und unsere Glaubwürdigkeit, Pathos unsere Emotionalität, mit der wir auf den anderen eingehen können und Logos unseren verstandesmäßigen Anteil. Diese Reihenfolge ist kein Zufall. Sie stellt die Basis für effektive zwischenmenschliche Kommunikation dar und dieses Buch greift diese Reihenfolge ebenfalls auf.
Die Arbeit an unserer Integrität erfolgt im Kapitel → Der stabile Stand. Hier geht es um nicht weniger als unsere grundlegende Lebenseffektivität, um unsere innere Mitte. Wir erschaffen hier ein starkes Fundament für unsere zwischenmenschliche Kommunikation. Wir können dann mit einem stabilen Stand agieren und reagieren. Dadurch werden wir authentischer und können nahezu nicht umgeworfen werden.
Dann kommunizieren wir im Kapitel → Meta-Kommunikation so, dass wir Nähe herstellen, um den anderen dort abzuholen ab, wo er steht und seine Besonderheiten zu berücksichtigen, um nicht „böse anzuecken“. Wir sprechen hier über die Kommunikation und ihre Hintergründe, sprich über Meta-Kommunikation: Wie schafft man den wichtigen Zugang zum Gegenüber, sowohl ad hoc als auch in längeren Gesprächen? Hat man diesen Zugang, so kann man die Person führen, statt zu versuchen, seine Ziele mit Autorität oder gar Gewalt zu erreichen. Zu Meta-Kommunikation erhält man schnell Zugang, es ist in der Tiefe aber sehr aufwändig zu erlernen und zu trainieren, da man die Kommunikationsstrukturen des anderen erkennen und seine Kommunikation genau daran anpassen muss. Wir versehen die Elemente der Meta-Kommunikation daher mit vielen Praxisbeispielen.
Zuletzt finden wir Logos im Kapitel → Kooperationsstrategien wieder. Diese stammen aus dem Bereich der sogenannten Spieltheorie: Die Verhaltenssysteme zweier Parteien lassen sich in kooperative und defektive Spielzüge gliedern. Der Umstand, dass bei gleicher Ausgangslage zweier Parteien die Interaktionsfolgen fast immer zum selben Schluss bzw. Erfolg führen, macht diese berechenbar und systemisch gliederungsfähig - einfacher gesagt, immer wenn A und B mit gewissen Umständen aufeinandertreffen, werden sie auch immer dieselben vorhersagbaren Reaktionen ausführen.
Dieses Buch ist modular aufgebaut, sodass du es in der vorgegebenen Reihenfolge erarbeiten kannst. Alternativ nimmst du dir das Element vor, welches dich am meisten interessiert. Wo das größte Interesse ist, lernt es sich auch am leichtesten.
Jeder erläuterte Baustein, jedes Kapitel und Unterkapitel wird dir, deinen Kolleginnen und Kollegen und dem Gegenüber helfen, mit weniger körperlicher Interaktion und Verletzungsgefahr, mit mehr Verständnis, mehr Frieden im Herzen, die Situation zu bewältigen und mehr Berufszufriedenheit zu erlangen.
Der Sprachwissenschaftler Watzlawick formulierte fünf Gesetzmäßigkeiten der Sprache, auch Axiome genannt. Das fünfte Axiom besagt, dass Kommunikation entweder symmetrisch oder komplementär ist. Dieses Axiom kommt so nah an das heran, was wir für den täglichen Dienst am Bürger brauchen, wie kein anderes Element aus den gängigen Kommunikationsmodellen.
Wichtige Elemente asymmetrischer Kommunikation werden in Aus- und Fortbildung bislang nicht gelehrt, weil sie wenig bekannt sind und die, die es wissen, sitzen fast ausschließlich irgendwo in Forschung oder Wissenschaft fernab der Polizei und arbeiten nicht Tag und Nacht vis-à-vis mit den Bürgern auf der Straße.
Die Kunst der asymmetrischen Kommunikation ist die
Gleichzeitigkeit von
Kommunikation auf Augenhöhe und Umgang mit der Machtungleichheit.Befindet sich eine Person in einer asymmetrischen Kommunikationsstruktur mit einem Polizisten und hat dieser den Anspruch, dass Gleichwürdigkeit und Menschenwürde
a) einen sehr hohen Stellenwert bekommen und
b) diese beiden zudem für das Ziel eingesetzt werden, die Gefahr von körperlichen Interaktionen bis hin zum Waffeneinsatz massiv zu reduzieren,
so benötigt er nicht die üblichen Standard-Kommunikationstechniken (die auch ihre Berechtigung haben, hier aber nicht genügen), sondern die drei Elemente, die hier als Verbales Kung-Fu vorgestellt werden:
1. Der feste Stand
2. Meta-Kommunikation
3. Kooperationsstrategie
Vieles, was in Ausbildung und Studium gelehrt wird, ist hilfreich für den Anspruch, um unversehrt und mit einem guten Gefühl nach Hause gehen zu können.
Vermittelt wird im Allgemeinen, den rechtlichen Voraussetzungen im Gespräch zu genügen. Es wird trainiert, zielgerichtet und seltener auch einfühlsam mit den Menschen umzugehen. Der Leitfaden 371 spricht davon einfühlsam, hilfsbereit und freundlich zu sein und diese Handlungsempfehlung ist auch richtig und gut. aber wie gut kann man diese allgemeinen Ratschläge einfach so, ohne weitere Hintergründe anwenden und sie so positiv auf ein unkooperatives oder potenziell gewalttätiges polizeiliches Gegenüber anwenden? Hilfreich sei es auch, aktiv zuzuhören, also Interesse zu zeigen, nachzufragen, die Aussagen des Gegenübers zusammenzufassen. Gerade weil die Polizei das Gewaltmonopol besitzt und zum jeweiligen polizeilichen Ziel gelangen will / soll / muss, wird auch ein „sicheres“ bis hin zum „dominanten“ Auftreten gefördert oder letzteres von der Mehrheit zumindest geduldet oder unterstützt. Und diejenigen operativen Kräfte, für die es in den eigenen charakterlichen Kontext passt, die treten dann auch dominant auf, in unterschiedlichster Couleur. Manchen entspricht ein sehr selbstsicheres Auftreten nicht, manche verstecken sich regelrecht dahinter, andere leben ihre persönlichen Defizite damit aus, einigen entspricht es durchaus und wieder andere schieben leicht erkennbar Dominanz und Autorität vor, die beim ersten Kratzen an der Oberfläche zu einem Ausbruch (Wut oder Stressreaktion) führen (diesen Kollegen fehlt ein starkes Fundament).
Standard-Kommunikationsmodelle haben ihre Berechtigung, lassen aber die für operative Kräfte mit gesetzlichem Auftrag im konfrontativen Außendienst mit Gewaltmonopol existierenden Besonderheiten asymmetrischer Kommunikation außen vor.
Hilfreich für zwischenmenschliche Kommunikation sind die gängigen Kommunikationsmodelle allesamt. Für die Vollständigkeit liste ich sie in diesem 1. Kapitel mit auf, damit alle Leserinnen und Leser, die damit bislang wenig Berührung hatten oder es wiederholen möchten, eine mentale Abgrenzung zwischen diesen Kommunikationsmodellen und den Besonderheiten der asymmetrischen Kommunikation durchführen können.
Die Standard-Kommunikationsmodelle erläutern wir daher, soweit dies sinnvoll ist. Im Einzelnen sind dies:
Transaktionsanalyse
Die Transaktionsanalyse geht die zwischenmenschliche Kommunikation an, indem sie sich mit den verschiedenen „Ich-Zuständen“ mehrerer Teilnehmer beschäftigt (Eltern-Ich, Erwachsenen-Ich, Kind-Ich. In unserem Fall gibt es auch ein Polizisten-Ich.) Die Transaktionen, von denen der Name stammt, ereignen sich als Kommunikation zwischen den in diesem Moment dominanten Ich-Zuständen der Teilnehmenden. Diese wiederum können an einem Strang ziehen („komplementär“ sein) oder wenn unterschiedliche Ich-Zustände beteiligt sind, gekreuzt sein. Für uns ist hier relevant, dass wir in uns mehrere Ich-Zustände tragen und alle bestrebt sind, zu Wort zu kommen und ein einzelner Reiz uns triggern und in einen speziellen Zustand katapultieren kann.
Zur Transaktionsanalyse gehört auch, dass man sich die Lebensskripte eines Menschen ansieht, also welche Bilder ein Mensch von Dingen hat, was für ihn normal ist und welche Muster er an den Tag legt, um seine Bedürfnisse (auch die, Dinge zu vermeiden) zu befriedigen. Darauf gehen wir noch im Kapitel Meta-Kommunikation ein, weil es unabdingbar ist, sich selbst (sein Fundament) zu kennen, weil dies unsere Kommunikation erheblich beeinflusst.
Sender-Empfänger-Modell
Dieses bekannte Modell beschreibt als erstes, wie ein Informationssender eine Nachricht kodiert, welchen Kommunikationskanal er benutzt und wie der Informationsempfänger die Nachricht wieder dekodiert:
Nachricht kodieren >> Kommunikationskanal >> Nachricht dekodieren
Es wichtig zu wissen, dass sehr viel einer Information auf dem Weg vom Sender bis zu dem, wie der Empfänger die Nachricht versteht, verloren geht. An jeder Stelle bauen sich immer Missverständnisse oder „Interpretationsalternativen“ ein und die Qualität von Kodierung und Dekodierung bestimmt die Qualität der Kommunikation (also, dass beim Empfänger möglichst viel von dem Bild ankommt, welches der Sender vermitteln wollte). Der zweite wichtige Punkt beim Sender-Empfänger-Modell ist das Feedback: Es braucht Rückfragen, Zusammenfassungen und Bestätigungen bzw. Korrekturen. Aktives Zuhören ist hier ein wesentliches Element guter Kommunikation und du findest es weiter unten im Kapitel „Aktives Zuhören“.
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Hier kann man gut auf dem Sender-Empfänger-Modell aufbauen: Genau an den Stellen des Kodierungs- und des Dekodierungsvorgangs entscheidet es sich anhand der Bilder, die Sender und Empfänger haben, welche Haltung sie zum anderen einnehmen und wie sie die Gesten, die Mimik und die Worte interpretieren. Jede transportierte Nachricht ist wie ein Haus mit einem quadratischen Grundriss. Das Haus hat viel Fensterfläche, man kann von allen Seiten aus gut hineinsehen und kann auch überwiegend dieselben Dinge im Inneren sehen. Aber der Eindruck, die Interpretation des Hauses wird abhängig sein von der Seite sein, von der aus man hineinsieht.
Bei Nachrichten ist es auch so. Wir unterscheiden folgende Seiten einer Nachricht, genauer gesagt legen sowohl Sender als auch Empfänger einzeln ihren Fokus auf jeweils eine Hausseite und im günstigsten Fall auf dieselbe:
Der Sender möchte in eine der vier Richtungen senden und der Empfänger mit einem seiner „vier Ohren“ hören. Stimmen diese nicht überein, kommt es zu Fehlinterpretationen und Missverständnissen. Ein einfaches Beispiel dafür ist ein Frau-Mann-Paar: Es gibt einen Auslöser, etwa eine liegengebliebene Socke. Dann sprechen sie darüber, allerdings tun sie dies sehr häufig auf verschiedenen Ebenen. Sie ist öfter auf der Beziehungs- (was macht seine Nachlässigkeit mit ihr) oder der Selbstoffenbarungsebene (sie will berichten, wie es ihr damit geht). Er ist öfter auf der Sachebene (er erklärt, wie es dazu kam und dass das Sockenproblem daher nicht verallgemeinert werden könne) oder im Verteidigungsmodus (Appellebene – er denkt, sie fordert Veränderungen von ihm, dabei gefallen ihm ebenfalls einige Dinge an ihrem Verhalten nicht und er spricht das aus). Natürlich funktioniert das so nicht! Wenn sie in Pesos und er in Yen bezahlt, gibt es Chaos und es kommt nie der gleiche Betrag heraus. Sie sprechen dann in verschiedenen Sprachen. Im operativen Dienst ist die Gefahr der differierenden Seiten geringer. Auf Beziehungsebene wird seltener gesprochen und gehört, da Polizistin und Bürgerin sich nicht kennen und voraussichtlich künftig eher nicht mehr miteinander zu tun haben werden. Die Selbstoffenbarungsebene wird ebenfalls selten gemeint sein oder gehört werden, aus demselben Grund, man kennt sich nicht und in den allermeisten Fällen erwartet man kein weiteres Aufeinandertreffen.