Verdammt schönes Leben - Christian Klippel - E-Book

Verdammt schönes Leben E-Book

Christian Klippel

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Beschreibung

Mit einem Schuss, der sich als Fehlzündung einer Vespa entpuppt, landet Laura geradewegs im Paradies. Denn der himmelblaue Roller gehört zwei zwielichtigen, aber sehr charmanten Typen, Guido und Walter. Die drei und die Vespa, die angeblich fliegen kann, lassen sich durch den Tag treiben, baden im Meer, schlafen nachts inmitten einer Blumenwiese ... ein verdammt schönes Leben! Als Laura feststellt, dass sie am liebsten beide Jungs küssen würde und ein brutaler Carabiniere Jagd auf die Freunde macht, bleibt ihnen nur die Flucht aus dem Paradies. Kann die Vespa wirklich fliegen? Durchgeknallt und dramatisch – ein rasantes Roadmovie

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Veröffentlichungsjahr: 2016

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Buchinfo

Mit einem Schuss, der sich als Fehlzündung einer Vespa entpuppt, landet Laura geradewegs im Paradies. Denn der himmelblaue Roller gehört zwei zwielichtigen, aber sehr charmanten Typen, Guido und Walter. Die drei und die Vespa, die angeblich fliegen kann, lassen sich durch den Tag treiben, baden im Meer, schlafen nachts inmitten einer Blumenwiese … ein verdammt schönes Leben!

Als Laura feststellt, dass sie am liebsten beide Jungs küssen würde und ein brutaler Carabiniere Jagd auf die Freunde macht, bleibt ihnen nur die Flucht aus dem Paradies. Kann die Vespa wirklich fliegen?

Durchgeknallt und dramatisch – ein rasantes Roadmovie

Autorenvita

© Alex Güngör

Christian Klippel (* 4. April 1955 in Wittlich) ist ein deutscher Schriftsteller. Seine bekanntesten Werke sind der Bundeswehrroman 456 und der Rest von heute (1979) und der Poproman Barfuß nach Palermo (geschrieben 1985, veröffentlicht 1999).

Klippel wuchs in Heidelberg auf. Nach seinem Wehrdienst ging er 1979 nach Paris, wo er die Arbeit an seinem Debütroman beendete. Es folgte ein Jahr auf Korsika, wo sein zweiter Roman Metro Babylon entstand, der bis auf einen kleinen Auszug unveröffentlicht blieb. Anschließend versuchte Klippel in New York Fuß zu fassen, kehrte allerdings nach drei Monaten wieder zurück. Die nächsten Stationen waren Heidelberg, Berlin, Palermo und Rom bzw. Rocca di Papa, wo er mit seinem zeitweiligen Weggefährten, dem Autor Michael Kleeberg, eine Wohnung teilte. 1984 zog er nach Amsterdam, wo er den Poproman Barfuß nach Palermo beendete und ein ohne Abschluss gebliebenes Studium der Philosophie und Theologie begann. Nach einem zweiten Jahr in Paris als Dolmetscher und Übersetzer kam er Ende 1986 nach Hamburg und wurde Werbetexter.

Für Josefine

ERSTER TEILDie Kinder von Pozzo Reale

Ich glaube nicht an Wunder.

Eine Vespa ist eine Vespa. Sie kann nicht fliegen. Auch die von Guido nicht. Da kann er viel erzählen. Sie kann vielleicht angefahren kommen, wenn er pfeift. So wie ein Hund. Oder sie kann von ganz allein fahren. Das habe ich schließlich selbst schon gesehen. Aber fliegen? Nee. Das kann sie nicht. Auch wenn er’s tausendmal behauptet. Ich gebe ja zu, dass sie toll ist, seine himmelblaue Vespa. Aber sie ist kein Flugzeug oder so. Sie ist und bleibt ein Motorroller. Na ja, aber das ist so ziemlich das Einzige, wo Guido und ich nicht einer Meinung sind. Mit Walter ist es schon schwerer. Er sieht immer alles ganz anders. Ziemlich extrem. Manchmal glaube ich, es macht ihm Spaß zu streiten. Das kann echt nerven. Aber am Ende vertragen wir uns dann doch wieder. Muss man auch. Wie könnte man sich hier lange böse sein?

Ich würde Walter ja fragen, was er dazu sagt. Aber er liegt im Bett und pennt. Siesta. Ich sitze alleine in der Sonne. Sie scheint mir auf die Schultern. Guido ist mit der Vespa losgefahren. Zum Fischen. Ihr solltet das mal sehen hier. Ihr würdet verstehen, warum keiner von uns wegwill.

Tja, zuerst mal das Haus: Wo Walter schnarcht, ist unser Schlafzimmer. Es ist ein bisschen schräg und klapperig. Oben sind Balken, in denen immer irgendwelche Spinnen nisten. Am Anfang fand ich das eklig. An der Wand hängt ein altes Kreuz. Auf dem Bett liegt eine riesige alte Steppdecke. Sie ist rosa und könnte mal wieder gewaschen werden.

Dann der Garten. Wir haben zwei Kirschbäume. Einer süß und einer sauer. Ein kleines Zitronenbäumchen und zwei Orangenbäume. Und einen Feigenbaum. Den will Guido demnächst abhacken, weil er sich mit seinen Ästen in die alte Mauer neben dem Schuppen krallt. Eines Tages, sagt Guido, sprengt er die ganze Bude auseinander, wenn er so weitermacht. Aber wer einmal von seinen Feigen gekostet hat, der wird verstehen, dass Walter und ich den kleinen Burschen mit allen Mitteln verteidigen.

Das Beste ist unsere Wiese! Nennt mir eine Blume, die ihr kennt. Ich wette, sie wächst hier. Es gibt Kornblumen, Klatschmohn, Tausendschönchen, Mutterkraut, Hahnenfuß, Kuckucksnelken und viele Blümchen, von denen ich nur die italienischen Namen kenne. Millionen von Schmetterlingen flattern um mich herum. Es duftet nach Minze, Basilikum und wildem Knoblauch. Fast alle Kräuter finden wir im Garten, wenn Guido seine berühmten Spaghettisoßen kocht.

Manchmal pflücke ich einen Blumenstrauß und stelle ihn ins Wohnzimmer oder ans Fenster in der Küche. Aber die beiden Jungen interessieren sich nicht dafür. Grünzeug nennen sie das. Sie würden vergessen, die Rosen zu gießen, wenn es mal wieder vier Wochen nicht geregnet hat. Wir haben sogar einen Hund. Er gehört eigentlich nicht uns. Wir haben ihn am Strand gefunden. Weil wir nett zu ihm waren, kommt er uns manchmal besuchen. Er ist auf einem Auge blind. Die Leute im Ort nennen ihn Talpinella. Das heißt kleiner Maulwurf. Wir sagen Avvocato zu ihm. Guido hat ihn so getauft. Es heißt Anwalt, und Guido meint, es passt, weil die Justiz ja auch auf einem Auge blind ist. Sonst hätten sie ihn nicht in den Knast gesteckt.

Ihr seht: Wir haben fast alles. Außer Mamas und Papas, Opas und Tanten.

Guido kommt zurück. Ich höre die Vespa schon knattern. Er stellt den Roller neben den Holzstoß am Schuppen. Dann kommt er auf mich zu.

»Wo ist Walter«, fragt er.

»Pennt«, sage ich.

»Pennt? Um diese Zeit? Er soll aufstehen. Ihr müsst mir helfen.«

»Was ist denn los?«

»Ich habe ihn wieder gesehen.«

Jetzt weiß ich, was als Nächstes kommt: Guidos Riesenkrake.

»Lass mich raten«, sage ich, aber Guido winkt ab.

»Schon gut!«, sagt er ziemlich laut. »Wenn du mir nicht glaubst, komm halt mit runter. Du wirst schon sehen!«

Guidos Problem ist nicht, dass er zu viel Fantasie hat. Aber er hat einfach so viel Scheiße erlebt. Deshalb muss er immer alles besser und größer machen, als es eigentlich ist. Wenn er eine gut genährte Motte sieht, macht er einen Quetzalcoatlus draus. Und wenn er im Wasser was mit Fangarmen findet, dann muss es mindestens ein Monsterkrake sein. Am besten einer, der gestern noch ein halbes Fischerboot mit Mannschaft verdrückt hat.

»Geht’s wieder los?«, sage ich nur.

Guido verdreht genervt die Augen und blafft: »Geht’s wieder los! Geht’s wieder los! Ihr habt doch alle keine Ahnung!« Wütend schüttelt er den Kopf.

»Uaselo …?«, kommt es plötzlich von der Tür.

Walters Stimme hat mich total überrascht. Guido genauso. Walter steht in der Tür und reibt sich die Brillengläser an seinem Unterhemd sauber. Das macht die Gläser nicht gerade durchsichtiger. Seine blonden Haare zeigen in alle Richtungen. Sein »Uaselo« sollte vermutlich. »Was geht los?« heißen.

»Was glotzt ihr?«, fragt Walter und gähnt noch mal. »Wenn ihr aus dem Bett steigt, seht ihr auch nicht besser aus.« Dann sagt er: »Fahren wir doch hin und sehen uns dieses Viech an. Dann hört das Gerede wenigstens mal auf.«

Guido schwingt sich auf die Vespa. Ich setze mich hinter ihn und halte mich an seinem Bauch fest. Walter kommt als Letzter und hält sich an mir fest. So sitzen wir, wenn wir auf Tour gehen. Am Anfang hatte ich Angst, Vespa zu fahren. Aber jetzt kann ich mir einen Tag ohne dieses Kribbeln unterm Hintern gar nicht mehr vorstellen. Der Motor vibriert und das geht durch und durch. Guido lässt den Roller über den Waldweg tanzen. Hier liegen überall Steine und dicke Äste. Wenn er hier zu schnell fährt, fliegen Walter und ich aus dem Sattel. Oder unsere Köpfe knallen aneinander. Einmal ist Walter hinten runtergefallen. Guido hat nichts gemerkt. Ich habe geschrien. Aber der Motor war so laut. Erst unten an der Straßenkurve, wo wir jetzt auch gerade ankommen, hat Guido es gemerkt. Hier gibt es einen uralten Brunnen, wo wir uns immer Wasser holen. Die Steine sind total vermoost. Ein kleiner Frosch lebt seit drei Monaten darin. Aber im Augenblick ist er nicht da. Guido bockt die Vespa am Brunnen auf und spritzt sich das Gesicht voll Wasser. Dann schleudert er mir plötzlich eine Handvoll ins Gesicht.

»Lass das, Spaghettifresser«, schimpfe ich und spucke ihm eine volle Ladung ins Gesicht.

»Was hast du da oben eigentlich getrieben. Ich mein, das Heft, dieses Geschreibsel …«

»Nichts«, sage ich. Guido muss ja nicht wissen, dass ich euch von uns erzähle. Er denkt dann höchstens, ich habe Heimweh und will weg. Das ist natürlich Quatsch. Oder er kriegt es mit der Angst, dass unser Versteck irgendwann auffliegt.

Aber Guido interessiert sich schon für was anderes. Er lauscht in den Wald.

»Hört ihr das? Was ist das? Was kann das sein?«

Jetzt höre ich es auch. Ein seltsames Rumpeln, das immer lauter wird. Plötzlich blitzt es gelb zwischen den Blättern. Dann donnern sie auch schon vorbei: Drei fette Lkws mit Baugeräten und Männern drauf. Auf einem Anhänger steht eine Walze.

»Was haben die vor?«, fragt Guido.

»Ich würde tippen, die bauen was.«

»Schlaumeier. Aber was.«

»Vielleicht ’ne Straße?«

»Super. Dann fahren wir darauf Vespa.«

»Hauptsache, sie lassen unsere Hütte in Ruhe.«

Wir schwingen uns wieder auf den Sattel. Guido lenkt die Vespa geschickt aus dem Wald heraus, wo uns die Nachmittagshitze entgegenschlägt, als würden wir die Köpfe in einen Backofen stecken. Die Straße führt in hundert Kurven runter zum Meer. Hier schaltet Guido den Motor aus. Wir schieben die Vespa auf dem Fußweg zum Wasser. Dann verstecken wir sie im Schatten der Felsen und klettern weiter runter.

Wir haben hier unseren eigenen Badefelsen. Er gehört natürlich nicht wirklich uns. Aber für uns ist es, als ob ihn außer uns niemand kennt. Auf unserem Hausfelsen ziehen wir uns einfach aus und springen ins Wasser. Am Anfang haben wir immer die Unterhosen angelassen. Aber eines Tages hat Guido erklärt, dass es ihm zu doof ist, mit nassen Sachen rumzurennen. Für mich war es zuerst nicht drin, mich vor Guido und Walter auszuziehen. Aber Guido hat gesagt, er interessiere sich sowieso nicht für Mädchen.

Es ist so heiß, dass Guido die Sache mit dem Tintenfisch vergessen hat. Wir auch. Er springt sofort ins Wasser. Ich springe auch rein. Guido taucht, zieht mich an den Beinen und spielt, dass er der Riesenkrake ist. Als er wieder auftaucht, spritze ich ihm einen Schwung Wasser ins Gesicht. Er hustet und prustet. Walter schaut uns von den Klippen aus zu. Er geht fast nie ins Wasser. Als wir genug haben, legen wir uns auf den heißen Felsen. Die Tropfen fallen von unserer Haut auf den Stein und verdunsten in wenigen Minuten. Ich liege so gern auf unserem Felsen mit der Nase auf den Armen. Ich höre das Meer zwischen den Klippen glucksen und rieche das Salz und die Rosmarinsträucher. Guido kramt in seinen Sachen nach einer Zigarette.

»Na, alter Albaner, immer noch Schiss vor Wasser?« Guido spritzt Walter nass und reibt ein Streichholz an der Klippe in Brand.

»Quatsch«, sagt Walter und tritt nach dem Streichholz, als Guido damit seine Zigarette anzünden will.

»Aua. Bist du blöd, Mann? Jetzt hab ich mir wegen dir das Maul verbrannt.«

»Dann lösch es. Aber schnell!«

Walter gibt Guido einen zweiten Tritt. Guido ringt mit dem Gleichgewicht. Er steht auf der Kante der Klippe. Weil er sich nicht mehr halten kann, springt er mit zappelnden Beinen und einem geschraubten Kopfsprung ins Meer. Ziemlich albern. Er taucht wieder auf, zerrt Walter an den Füßen und zieht ihn hinterher. Die beiden raufen im Wasser. Guido hält Walter fest umklammert. Er versucht, ihn zu küssen, Walter wehrt und windet sich. Ich dreh mich um. Das muss ich mir nicht länger ansehen.

Ich schließe kurz die Augen und schaue zur Sonne. Ich mag es, wenn die Lider das Licht rot durchschimmern lassen. Dann mache ich die Augen fester zu und sehe auf einmal dunkelgrüne Flecken. Bis auf Guidos und Walters Planschen ist alles sehr still hier und friedlich. So gefällt mir das Leben. Dann höre ich plötzlich einen Schrei: »Da! Da! Da ist er!«

Es ist Guido. Er zeigt auf eine Stelle im Wasser, was Walter für einen Trick hält. Er taucht Guido unter. Aber Guido kommt wieder hoch und japst: »Der Polyp! Der Krake!«

Wieder verschwindet sein Kopf im Wasser. Eine Weile passiert gar nichts. Ich starre von der Klippe auf die Stelle, wo Guido verschwunden ist. Walter tut dasselbe vom Wasser aus. Eine verdammt lange Zeit passiert nichts. Guidos Körper ist ganz klein da unten in der Tiefe, wo es verdächtig dunkel ist. Dann kommt Guido hoch. Der Polyp hat sich fest um seinen Hals geschlungen. Er ist tatsächlich riesengroß. Mit zwei freien Armen wirbelt er herum und sucht Halt. Sein Schwabbelkörper hängt auf Guidos Kopf und verdeckt sein Gesicht, das dunkelrot ist.

»Hilfe …! Kommt her … helft mir«, presst Guido zwischen den Fangarmen hervor.

Walter krault zu der Stelle, wo Guido den Kraken hochgezogen hat. Oder der Krake Guido. Ich springe auch ins Wasser, weiß aber nicht so recht, was ich tun soll. Schließlich packe ich doch zu und ziehe an einem Arm des Viehs. Der Fangarm schlängelt sich um meinen herum und versucht, Halt zu kriegen. Die Saugnäpfe docken auf meiner Haut an. Das ist so widerlich, dass ich sofort loslasse und meinen Arm in Sicherheit bringe. Zum Glück findet der Krake meine Arme genauso eklig und lässt mich in Ruhe. Walter reißt die Saugnäpfe von Guidos Haut, aber gegen acht Arme gleichzeitig hat er keine Chance.

Plötzlich wird die Bucht von einem gemeinen Gelächter erfüllt.

Ein Gegröle, das wir leider nur zu gut kennen.

»Ha, ha, ha, ha! Schaut euch diese Idioten an! Was habt ihr vor? Treibt ihr’s jetzt schon mit Tintenfischen? Hey, Guido. Bist du sicher, dass es ein Männchen ist?«

Sie fallen fast von der Straße, so biegen sie sich vor Lachen. Es sind Luciano, Franco, Ezio, Paolo und Paola. Und der fiese Glatzkopf Duiglio, der seinen Wanst jetzt zum Wasser bewegt. Alle aus Pozzo Reale. Eigentlich kann man mit ihnen reden. Bloß mit Duiglio nicht. In letzter Zeit hängen alle immer mehr mit ihm rum. Wir haben sie nicht kommen sehen. Wir sind vor Schreck so erstarrt, dass wir das Schwimmen fast vergessen und absaufen. Keiner von uns merkt, dass der Riesentintenfisch abtaucht. Mit einem Blubb ist er im Meer verschwunden.

»Die Schwuchtel, die Schlampe und der Schwatte«, schreit Duiglio. »Hey, kommt raus. Wir wollen euch ein bisschen die Fresse polieren. Gönnt uns den Spaß!«

Er tritt mit dem Fuß nach unseren Sachen. Guidos Hose fällt ins Wasser.

Guido fängt als Erster von uns an zu paddeln. Mit ein paar Zügen ist er am Felsen. Aber er kann nicht hoch, weil Duiglio ihm auf die Hände tritt. Die anderen kramen jetzt ebenfalls in unseren Sachen.

»Ey, die sind nackt.«

»Was erwartest du. Ein Albaner, ein Afrikaner und eine Deutsche.«

»Ich bin Sizilianer, du Schwachkopf«, schreit Guido wütend und kassiert noch einen Tritt auf die Hand. Er flucht leise vor Schmerz, doch dann kriegt er Duiglios Beine zu fassen und zieht sie ihm weg. Duiglio landet mit dem Hinterkopf auf den Steinen. Er brüllt und hält sich den Schädel. Vorsichtshalber schwimmen Guido, Walter und ich ein bisschen vom Ufer weg.

Erst sieht es so aus, als wollten die Typen ins Wasser springen, um uns zu verfolgen. Aber dann werden sie von Paolo aufgehalten.

»Leute, ich hab ’ne Idee …!«

Paolo geht zur Vespa und schraubt den Tank auf. Er dreht Guidos Unterhose zu einem Strick zusammen und taucht sie in den Tank. Dann wringt er die voll gesogene Unterhose über unseren Sachen aus. Paolo zieht ein Feuerzeug aus der Tasche. Paola schaut sich unsicher um und beißt sich auf die Lippe. Sie pustet die Flamme aus. Aber Duiglio ist begeistert. Er reißt Paolo das Feuerzeug aus der Hand und macht es selbst.

»Scheiße!« Guido krault wieder in Richtung Felsen. Zu spät. Es gibt eine Stichflamme.

Unsere Klamotten brennen. In diesem Augenblick pfeift Franco durch die Finger.

Duiglio und die anderen schauen sich um.

»Pirrone«, ruft Franco. Jetzt sehen wir auch schon den Kastenwagen der Carabinieri anrollen. Ich weiß nicht, was ich schlimmer finde – Duiglio und seine Truppe oder Pirrone, den Carabiniere. Wahrscheinlich sieht er die Motorräder der Jungs auf der Straße. Denn der Wagen bremst und hält. Pirrones feister Bauch erscheint oben über den Felsen. Duiglio macht einen Nazigruß und drückt sich an Pirrone vorbei. Der fette Carabiniere hebt auch kurz die Hand, verzieht aber keine Miene. Guido, Walter und ich verstecken uns hinter den Felsen, die zum Meer abfallen. Von da oben kann Pirrone uns nicht sehen.

»Was ist hier los?«, will er wissen.

»Nichts. Gar nichts«, sagen die anderen und steigen auf ihre Räder. Der Carabiniere klettert runter und sieht die Flammen. Er tritt darauf rum. Zum Glück erkennt er nicht, was da brennt. Sonst würde er uns sofort suchen. Aus irgendeinem Grund hat er’s auf uns abgesehen. Jetzt dreht er sich um und will zurück zur Straße. Da passiert es: Er entdeckt die Vespa, kommt zurück und sieht sich misstrauisch um. Auf die Idee, direkt unter seine Füße zu schauen, kommt er allerdings nicht. Gott sei Dank. Schließlich dreht er um und schleppt den Roller hoch zur Straße. Der Schweiß läuft ihm von der Stirn. Kirschrot ist sein Gesicht. Bis jetzt haben wir das alles aus unserem Versteck heraus beobachtet und nicht gewagt zu atmen. Doch jetzt kommt Leben in Guido.

Nackt wie er ist, schleicht er zur Straße. Pirrone hat den Roller auf der Straße abgestellt, nicht weit vom Kastenwagen, in dem er jetzt sitzt und telefoniert. Irgendwas von einem Tatfahrzeug, das abgeholt werden soll. Was für eine Tat?

Guido schwingt sich auf die Vespa und macht uns Zeichen. Wir haben verstanden. Blitzschnell sitzen wir hinter ihm. Guido tritt auf den Kickstarter. Er ist der Einzige von uns, der schwer genug dafür ist. Aber der Motor springt nicht an. Im Wagen hört der Carabiniere auf zu telefonieren. Er steigt aus. Guido flucht durch die Zähne. Er probiert es noch mal. Der fiese Polizist erscheint im Rückspiegel. Mit vollem Gewicht lässt sich Guido auf das Pedal krachen. Ein Glück – der Motor kommt. Der Fettsack trampelt los. Guido gibt Gas. Pirrone sprintet neben der Vespa her. Er greift nach dem Lenker, aber Guido weicht ihm geschickt aus. Der Bulle bleibt stehen: »Anhalten! Polizei! Ich knall euch ab!«

Ob ihr’s glaubt oder nicht, er zieht tatsächlich die Pistole.

Bevor er schießen kann, rast Guido um die nächste Kurve. Jetzt bleibt dem Carabiniere nur noch eins: Rein ins Auto und hinterher. Doch der Roller ist verdammt schnell. Fast habe ich das Gefühl zu fliegen. Allerdings nur fast. Immerhin hängen wir den fiesen Pirrone ab. Schließlich fährt Guido auf einen Feldweg. Wir verstecken uns hinter einem hohen Busch und sehen den Carabiniere in die Gegenrichtung davonfahren.

Es ist fast Abend, als wir uns wieder rauswagen. Auf einem Feld finden wir drei alte Vogelscheuchen. Spaventapasseri nennt man sie hier. Denen reißen wir die Fetzen vom Leib und schlüpfen rein. So kommen wir zu Hause an. Wir sind so müde, dass wir uns nicht mal mehr ausziehen. Wir fallen aufs Bett und schlafen sofort ein.

Jetzt wisst ihr, wie wir hier leben. Wie im Paradies. Eigentlich …

Aber wie wir zusammengekommen sind, wisst ihr noch nicht.

Eigentlich habe ich auch keine Lust, mich zu erinnern.

Aber für euch mach ich sogar das. Leicht ist es allerdings nicht.

Wer erzählt schon gern, wie das Kartenhaus, das er Leben nennt, auf einmal nicht nur zusammenkracht, sondern abfackelt. Genau das war mir passiert.

Alles fing damit an, dass Katja anrief – Katja, meine bis dahin beste Freundin.

Ich stand auf dem Schulhof, als das Handy vibrierte. Ich sah das Foto auf dem Bildschirm. Der rotbraune Zopf, die blauen Augen, der Pickel über der gezupften Braue.

Dann hörte ich sie knarzen – unverkennbar Katjas Stimme.

Laura, bist du dran? Ich muss dir was sagen!

Es klang wie die Kellertür in einem Ab-18-Film. Seit einem Jahr ging sie deshalb zu einer Logopädin. Ohne Erfolg. Vielleicht, weil die Jungs die Stimme mochten.

Ich hielt das Handy in die Horde kreischender Erstklässler, in der ich stand, und sagte: Warte mal kurz. An der Elbchaussee, wo die Zwerge nicht hindürfen, hielt ich mir das Telefon wieder ans Ohr. Plötzlich war Patrick dran. Patrick. Der liebe, süße Patrick.

Laura? Bist du da? Laura, ich … wir … Ich … Es tut mir …

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