Vergleich der Bildungsansichten von Ibn Haldun und Wilhelm von Humboldt - Erkan Erdemir - E-Book

Vergleich der Bildungsansichten von Ibn Haldun und Wilhelm von Humboldt E-Book

Erkan Erdemir

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Beschreibung

Masterarbeit aus dem Jahr 2014 im Fachbereich Theologie - Islamische Religionswissenschaft, Note: 2, Universität Wien (Bildungswissenschaft), Sprache: Deutsch, Abstract: Diese Quellen- bzw. Literaturarbeit beschäftigt sich theoretisch-hermeneutisch mit der Frage, ob mögliche Berührungspunkte bzw. Parallelen zwischen den Bildungsansichten von Ibn Haldun, einem arabischen Sozialwissenschaftler und Denker des 14. Jahrhunderts und dem deutschen Bildungstheoretiker Wilhelm von Humboldt, der im 18. Jahrhundert gewirkt hat, zu erkennen sind. Beide Wissenschaftler haben sich mit vielen Themen ihrer Zeit beschäftigt und diese auch in Büchern festgehalten. Dazu werden die Hauptwerke „al-Muqaddima“ von Ibn Haldun und „Werke in fünf Bänden“ von Wilhelm von Humboldt als Grundlage für diese Recherche zu Hand genommen. Nach dem nähren Betrachten der lebensgeschichtlichen Besonderheiten von beiden Wissenschaftlern werden anschließend Vergleiche, Parallelen oder Unterschiede in ihren Bildungsansichten herausgearbeitet, dargestellt und bewertet.

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Impressum:

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Inhaltsverzeichnis

 

1. Einleitung

1.1 Einführung in die Thematik

1.2 Forschungsstand

1.3 Forschungsfrage

1.3 Methodische Vorgehensweise und Aufbau

1.4 Darstellung der herangezogenen Literatur

2. Historie und Bildungsbegriff

2.1 Kurzer Abriss der Bildungsgeschichte

2.1.1 Europa

2.1.2 Islamische Welt

2.2 Bildungsbegriff

3. Abū Zaid ‘Abdurrahmān bin Muḥammad bin Ḫaldūn al-Ḫadramī (Ibn Ḫaldūn)

3.1 Sein Leben und Wirken

3.2 Sein Werk „Al-Muqaddima‘“

3.3 Seine Ansichten über Bildung

3.3.1 Themen in der Grundlagendidaktik bei Ibn Ḫaldūn

3.3.2 Curriculum im Tertiärbereich

3.3.3 Methoden des Unterrichts

3.3.4 Formale und nicht-formelle Bildung

3.3.5 LehrerInberuf

3.3.6 Berufsausbildung

3.3.7 Zentrale Bedeutung der Logik

3.3.8 Erkenntnis und Begreifen

3.3.9 Sprachlehre

4. Wilhelm von Humboldt

4.1 Sein Leben und Wirken

4.2 Seine Bildungstheorie

4.2.1 Anthropologie - das Menschenbild

4.2.2 Der Bildungszweck

4.2.3 Bedingungen für die Bildung

4.2.4 Umsetzung seiner Bildungstheorie

4.2.5 Neuordnung des Bildungswesens

4.2.6 Der Königsberger Schulplan

4.2.7 Religiöse und sittliche Bildung

4.2.8 Poesie und Bildung

4.2.9 Die Bedeutung der Sprache

5. Ibn Ḫaldūn und Wilhelm von Humboldt im Vergleich ihrer Bildungsansichten

5.1 Die Wissenschaften (Definition und Einteilung)

5.2 Lehrinhalte

5.3 Lehrmethoden

5.4 Formale Bildung

5.5 LehrerInsein und LehrerInberuf

5.6 Berufsausbildung

5.7 Vernunft und Logik

5.8 Erkenntnis und Begreifen

5.9 Sprache und Sprachlehre

5.10 Menschenbild

5.11 Zweck und Aufgabe der Bildung

5.12 Morallehre und religiöse Erziehung

5.13 Geschichte und Geschichtswissenschaft

5.14 Poesie und Dichtkunst

6. Resümee

7. Schluss

8. Literaturverzeichnis

9. Anhang

10. Danksagung

11. Kurzfassung

12. Abstract

 

1. Einleitung

Ibn Ḫaldūn, den man aus heutiger Sicht als einen Soziologen und Historiker betrachten kann, war ein Gelehrter, der im 14. Jahrhundert lebte. Er hat zahlreiche Werke in verschiedenen Disziplinen verfasst, Sein Hauptwerk ist das „Kitāb al-‘ibar“, welches aus sieben Bänden besteht. Das erste Band „al-Muqaddima“ enthält viele methodologische und geschichtsphilosophische Thesen. Das Anliegen dieser Arbeit ist es, seine Ansichten über die Bildung von seinem Hauptwerk „al-Muqaddima“ zu erforschen und diese mit den Bildungsansichten des Wilhelm von Humboldt, unter Beachtung der großen historischen, kulturgeschichtlichen und kulturellen Differenz der beiden Autoren, zu vergleichen.

1.1 Einführung in die Thematik

Ibn Ḫaldūn ist gewiss einer der wichtigsten Wissenschaftler und Denker in der islamischen Geschichte (vgl. Hassan 1998, S. 28). Seine Ansichten und Thesen beschäftigen und bewegen die ganze Welt. Allein sein Werk „al-Muqaddima“ wurde aus dem Arabischen in verschiedene Sprachen, wie Türkisch, Englisch, Französisch, Deutsch, Persisch, Urdu, Indische Portugiesisch und Hebräisch übersetzt (vgl. Fischel 1967, S. 9f). Sein besonderer Zugang zur Geschichts-philosophie und Etablierung der Geschichtswissenschaften haben neue Wege im Verständnis von Wissenschaften hervorgebracht. In seinem großen Werk „al-Muqaddima (Die Einführung)“ behandelt er viele sozial-ökonomische, sozial-ethische und sozialgeisteswissenschaftliche Themen.

Die Bekanntheit Ibn Ḫaldūn’s im Westen begann erst im 19. Jahrhundert mit der Übersetzung seines Werkes „al-Muqaddima“. Der erste Übersetzer war der österreichische Historiker Joseph Freiherr von Hammer-Purgstall (1774-1856), der auch Yusuf bin Hammer genannt wurde. Er machte in seinem Werk “Notice sur L'Introduction â la Connaisance de L'Histoire, Celebre Ouvrage Arabe d'Ibn Khaldoun“ die ersten fünf Teile des „al-Muqaddima“ bekannt. Nach ihm hat Quatremère de Quincy (1852) den Originaltext des „al-Muqaddima“ und William McGuckin de Slane (1863) dessen französische Übersetzung veröffentlicht und somit Ibn Ḫaldūn’s Ansichten der westlichen Welt zugänglich gemacht (vgl. Gürkan 1967, S. 224).

Möglicherweise haben einige Wissenschaftler im Westen im 18. Jahrhundert von seinen Überlegungen über soziologische und geschichtsphilosophische Phänomene gehört oder gelesen. Zu denen könnte auch der Deutsche Wilhelm von Humboldt gehören, der sich wissenschaftlich und systematisch mit dem Bildungsverständnis um das Jahr 1800 beschäftigte. Humboldt begründete die neuhumanistische Bildungstheorie. Es geht bei seiner Bildungstheorie um individuelle, wirtschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung von Bildung. Ganz wichtig ist auch die Frage nach den Inhalten von Bildung und wie man Bildung vermittelt (Didaktik).

Auch Ibn Ḫaldūn machte sich tiefgründige Gedanken über ein gut funktionierendes Erziehungsmodell und eine geeignete Bildungstheorie. Diese Ansichten kann man auch in seiner „al-Muqaddima“ finden.

Da zur Zeit der Entwicklung von Bildungstheorien im Westen ab dem 18. Jahrhundert auch allmählich die Werke und Ansichten von Ibn Ḫaldūn in der hiesigen Sprache zu Tage kamen, könnten die Bildungstheoretiker auch von seinen Ansichten erfahren haben.

Auf diesem Hintergrund möchte ich in meiner Masterarbeit der Frage nachgehen, ob mögliche Berührungspunkte bzw. Parallelen zwischen den Bildungsansichten von Ibn Ḫaldūn und dem Deutschen Bildungstheoretiker Wilhelm von Humboldt zu erkennen sind. Ziel der Arbeit ist es, einen Vergleich über die Bildungsansichten der beiden Wissenschaftler zu bieten.

Mein Interesse an dieser Forschung resultiert daraus, dass ich im Sommersemester 2012 in der Lehrveranstaltung „Religionssoziologie und Religionspsychologie – Islam als soziales Phänomen“ über Ibn Ḫaldūn eine Seminararbeit zum Thema „ʿUmrān - Ein zentraler Begriff bei Ibn Ḫaldūn“ geschrieben habe. Dabei habe ich mich insbesondere mit dem Werk „al-Muqaddima“ befasst. Ibn Ḫaldūn’s Ansichten haben mich während der Seminararbeit so bewegt, dass ich in kürzester Zeit mit deren Ausarbeitung fertig war. Daher wollte ich mich noch intensiver mit Ibn Ḫaldūn beschäftigen und seine Gedanken insbesondere über Bildung erforschen. Daneben interessieren mich in dieser Hinsicht auch die Bildungstheorien von Wilhelm von Humboldt, der einer der ersten Bildungstheoretiker des 18. Jahrhunderts in Deutschland war. Er hat die Berliner Universität mitbegründet, die heute bekannt ist unter seinem Namen als Humboldt-Universität.

1.2 Forschungsstand

Es gibt viel Literatur über Ibn Ḫaldūn, über sein Werk „al-Muqaddima“, und seine Ansichten über verschiedene Themen in diesem Werk.

Es gibt auch viel Literatur über Wilhelm von Humboldt und seine Bildungstheorien. Sie sind im Literaturverzeichnis angegeben.

Ein Vergleich der Bildungsansichten von Ibn Ḫaldūn, nicht nur mit Wilhelm von Humboldt sondern auch mit einem sonstigen westlichen Bildungstheoretiker, ist bis heute jedoch ein unerforschtes Gebiet. Zu dieser Thematik gibt es folglich auch kaum Literatur.

1.3 Forschungsfrage

Welche möglichen Berührungspunkte, Parallelen und Unterschiede gibt es zwischen den Bildungsansichten von Ibn Ḫaldūn (14. Jahrhundert) und den Bildungstheorien von Wilhelm von Humboldt (18. Jahrhundert) unter Beachtung der großen historischen, kulturgeschichtlichen und kulturellen Differenz der beiden Autoren?

1.3 Methodische Vorgehensweise und Aufbau

Die Forschungsfrage wird in Form einer Quellen- bzw. Literaturarbeit bearbeitet. Der methodische Ansatz bei der Forschung ist theoretisch-hermeneutisch. „Wissenschaftliche Verfahren, die auf eine solche rationale, methodisch durchdachte und überprüfbare Auswertung von sinnhaltigen Dokumenten, insbesondere von Texten, abzielen“ (Klafki, et.al. 1971, S. 128) werden als hermeneutische Methoden bezeichnet.

Diese Masterarbeit ist folgendermaßen aufgebaut:

In der Einleitung wird in das Thema eingeführt, in dem die Fragestellung herausgearbeitet und formuliert wird. Daneben wird die methodische Vorgehensweise, wie dieses Thema bearbeitet wird begründet. Außerdem wird am Ende der Einleitung, die für die Masterarbeit herangezogene wissenschaftliche Literatur dargestellt und erläutert. Die Primärliteratur ist das Buch „al-Muqaddima“ von Ibn Ḫaldūn, das, wie schon erwähnt in vielen Sprachen vorhanden ist. Leider ist es kaum möglich Primärliteratur von Wilhelm von Humboldt in moderner deutscher Schriftsprache zu finden. Einige Texte, die ich von ihm fand, die durch ihn veröffentlich wurden, sind für mich schwer entzifferbar, weil sie in der altdeutschen Schriftsprache verfasst worden sind. Allerdings gibt es aber seine „Werke in fünf Bänden“, welche von Andreas Flitner und Klaus Giel im Jahre 1960 herausgegeben wurden. Ich werde mich insbesondere mit diesen Werken beschäftigen. Außerdem werde ich des Öfteren auch auf Sekundärliteratur zurückgreifen. Nach Darstellung der Primärliteratur wird zuerst noch ein kurzer Überblick über die Bildungsgeschichte in Europa und der islamischen Welt dargeboten und anschließend der Bildungsbegriff in beiden Kulturen verglichen.

Im Hauptteil wird, nach dem näheren Betrachten der lebensgeschichtlichen Besonderheiten beider Wissenschaftler, die in der Einleitung begründete Fragestellung untersucht. Vergleiche, Parallelen, Probleme, Widersprüche oder auch Einwände werden dargestellt und im Text diskutiert.

Den Schlussteil der Masterarbeit bilden eine Zusammenfassung und eine Diskussion der Ergebnisse. Die Ergebnisse werden in einen Bezug mit der spezifischen Fragestellung gebracht und weitere Forschungsfragen im Kontext der Thematik werden benannt.

1.4 Darstellung der herangezogenen Literatur

Die erste Primärliteratur ist das Buch „al-Muqaddima“ von Ibn Ḫaldūn. Sie ist die Einleitung zum Hauptwerk Kitāb al-‘ibar. Geschrieben hat Ibn Ḫaldūn die „al-Muqaddima“ zwischen den Jahren 1375 und 1378. Das Buch wurde ins Türkische, Englische, Französische, Deutsche, Persische, Urdu, Indische Portugiesische und Hebräische übersetzt. In diesem Werk behandelt er viele sozial-ökonomische, sozial-ethische und sozialgeisteswissenschaftliche Themen, sowie die Geschichte der Araber und Berber. Mit diesem Buch etablierte er eine neue Wissenschaft der Geschichte. Näheres zum Buch „al-Muqaddima“ kann man im Punkt 3.2 detailliert nachlesen.

Als zweite Primärliteratur wurden die „Werke in fünf Bänden“ von Wilhelm von Humboldt herangezogen, welche von Andreas Flitner und Klaus Giel im Jahre 1960 herausgegeben wurden.

Die fünf Bände sind thematisch geordnet:

I. Schriften zur Anthropologie und Geschichte

II. Schriften zur Altertumskunde und Ästhetik / Die Vasken

III. Schriften zur Sprachphilosophie

IV. Schriften zur Politik und zum Bildungswesen

V. Autobiografische Dichtungen, Briefe / Kommentare und Anmerkungen zu Band I – V / Anhang mit weiteren Schriften zur Sprachphilosophie

Der III. Band, die Schriften zur Sprachphilosophie, ist der meist verkaufte und somit der meist gelesene unter allen fünf Bänden. Die Spannweite der Interesse Humboldts zeigt sich an den vielen Themen, die er behandelt. Im I. Band geht es für Humboldt mehr um die Theorie von der Anthropologie des Menschen und der Geschichtswissenschaft. Im Band II findet man Humboldts Bericht über seine Sprachreise zu den Vasken (bzw. “Basken”). Im III. Band widmet er sich der “Sprachwissenschaft”. Im Band IV erleben wird einen politischen Humboldt mit all seinen Amtsschriften. Daneben interessiert uns dieses Band auch aufgrund seiner Ansichten über das Bildungswesen. Band V beinhaltet Briefe von ihm und ein Nachwort des Herausgebers.

2. Historie und Bildungsbegriff

 

Da für die Bearbeitung der Forschungsfrage die Beachtung der historischen und kulturgeschichtlichen Differenzen zwischen Ibn Ḫaldūn und Wilhelm von Humboldt grundlegend ist, soll am Anfang der Arbeit vorerst ein kurzer Überblick über die Bildungsgeschichte in Europa und in der islamischen Welt gegeben werden, damit die Besonderheiten und Differenzen beider Kulturen erkennbar werden.

 

Anschließend wird der Begriff der „Bildung“ in beiden Kulturen mit ihren verschiedenen Definitionen dargestellt und verglichen.

 

2.1 Kurzer Abriss der Bildungsgeschichte

 

Im nächsten Abschnitt wird ein grober Überblick über die Bildungsgeschichte in Europa zwischen dem Mittelalter und der Neuzeit gegeben.

 

2.1.1 E0uropa

 

Im europäischen Mittelalter war die katholische Kirche hauptsächlicher Bildungsträger, meistens in Kloster- und Lateinschulen. Im mittelalterlichen Weltbild waren Glaube, Religion, Staat und Kirche miteinander eng verbunden. Kuhlmann stellt diesbezüglich fest:

 

„Dabei ging es weniger um Erkenntnis oder Wahrheit (wie im Bildungsverständnis der griechischen Antike), als vielmehr um Bekehrung, Umkehr und Befreiung von Sünden. Mit dieser an sich positiven Hinwendung zu moralischen Fragen und einem in der Antike unbekannten Glauben daran, dass vor Gott alle Menschen gleich sind (auch Frauen, Fremde, behinderte Menschen), kam aber auch die Kehrseite des Glaubens an die Sündhaftigkeit des Menschen in die pädagogische Reflexion.“(Kuhlmann 2013, S.19)

 

Im 16. Jahrhundert veränderte sich Europa schlagartig. Durch Manufaktur und Erfindung des Buchdruckes und Webstuhls änderte sich der traditionelle und familiäre Lebensstil der Bevölkerung. Viele Menschen wanderten in Großstädte aus, doch die Armut der Menschen stieg ständig an. Dank des Buchdruckes konnten sich die Menschen in vielen Bereichen selbständig geistlich weiterbilden. Das Vertrauen in die Kirche verlor langsam an Gewicht. „Die These des Kopernikus, dass sich die Sonne nicht um die Erde, sondern die Erde um die Sonne drehe, stellte mehr als einen Glaubenssatz der geistlichen Macht (die zugleich damals auch die weltliche war) in Frage.“ (Kuhlmann 2013,S. 20). Zeitgleich kam es unter anderem in der Theologie zu einer neuen Reformation durch Martin Luther. Diese Reformation bezog sich nicht nur auf die Theologie, sondern stellte die grundlegende Kirchenspaltung am Beginn der Neuzeit dar, welche eine große konfessionelle Auseinandersetzung auslöste. Es kam zum 30 jährigen Krieg zwischen Protestanten und Katholiken. Luthers Theologie beeinflusste in Deutschland den Bereich der Bildung sehr stark. Weil er der Bildung und der Schule einen hohen Stellenwert zuschrieb, wurden seine Ansichten über Bildung, Wissen, Lehren und Lernen institutionalisiert (vgl. Mugerauer 2011, S. 10).

 

Im Zuge der Neuzeit kam es in vielen europäischen Ländern zu weiteren Reformprozessen, auch im Bereich der Bildung. Einer der ersten Didaktiker dieser Neuzeit war Comenius, der verschiedene Lehrbücher schrieb. Er beschäftigte sich mit Fragen wie „was und wie gelernt und gelehrt“ werden soll. Auch verfasste er ein Schulbuch mit dem Namen "orbis sensualium pictus - gemalte Welt", in dem er die Buchstaben des Alphabets beschrieb. Außerdem entwickelte Comenius einen Lehrplan, der die Lehrinhalte untereinander verknüpfte und sprach in diesem Lehrplan auch alle Wege der Sinneswahrnehmungen an. Sein Buch „große Didaktik“ galt Jahrhunderte lang als Standardwerk für Lehrpersonen. (vgl. Kuhlmann 2013, S. 24). In diesem vertrat er folgende didaktischen Grundprinzipien: „zuerst das Allgemeine, dann die Details, - zuerst das Nahe, dann das Ferne, - zuerst das Leichte, dann das Schwere, - zuerst den Stoff, dann die Form, - zuerst das Beispiel, dann die Regel“ (Kuhlmann 2013, S. 25)

 

Im 18. Jahrhundert erlebte Europa seinen zweiten Umbruch. Die Menschen begannen der Vernunft einen hohen Stellenwert einzuräumen. Das Zeitalter der Aufklärung und die Suche nach den Wahrheiten, die außerhalb von religiösen Begründungen standen, brach herein. Der Europäer löste sich endgültig von der Kirche, für ihn war seine Selbstbestimmung das höchste Ziel.

 

Jean Jaques Rousseau (1712-1778) ist nach Immanuel Kant einer der bekanntesten Philosophen dieser Epoche. Im Jahre 1762 verfasste er seinen Roman „Emile oder über die Erziehung“. Darin beschrieb er die Entwicklungsphasen eines Kindes. „Das Buch wurde zu dem Erziehungsroman des 19. Jahrhunderts und prägte noch die Reformpädagogik des 20. Jahrhunderts nachhaltig. Rousseau entwarf ein Kind - quasi am "Reißbrett" -, um an ihm ein Ideal von Erziehung aufzuzeigen“ (Kuhlmann 2013, S. 33). Ein neues pädagogisches Prinzip, welches als „negative Pädagogik“ bezeichnet wird, ist bei Rousseau vorzufinden. In der Erziehung vor allem bis zum 12. Lebensjahr soll zu allererst mehr unterlassen als getan werden. In Bezug auf die Erziehung und Bildung von Mädchen besitzt er, obwohl er im Zeitalter der Aufklärung lebte, eine eigentlich wenig aufklärerische Haltung: „Mädchen sollen nur so viel Bildung erhalten, dass sie ihren späteren Mann bewundern und unterstützen können. Rousseau fordert die Pädagogen auf, die Spiele der Mädchen bewusst zu unterbrechen, damit sie früh lernen, sich zu fügen. Für ihn sind Mädchen "von Natur aus" weder selbstbestimmungsfähig noch ist ein solcher Zustand bei ihnen wünschenswert“ (Kuhlmann 2013, S. 36)

 

Pestalozzi, der von Rousseau’s Schriften so begeistert war, dass er sogar seinen Sohn nach ihm benannte, lebte in der gleichen Epoche und war einer der führenden Denker seiner Zeit. Seine Bildungsmethode versuchte „eine systematische und mit Anschauungsmaterial versehene Vermittlung der Grundfertigkeiten wie Lesen, Schreiben, Rechnen durch eine besondere Lernumgebung, in der Kinder mit "Zahlen", "Formen" und "Wörtern" Erfahrungen sammeln konnten“ (Kuhlmann 2013, S. 40). Sein Hauptaugenmerk galt vor allem den Waisenkindern, die verwahrlost herumlebten. Er baute für sie Waisenheime, in denen auch Hauslehrer die Bildungsaufgaben übernahmen.

 

Ein dritter in dieser Epoche ist der bekannteste deutsche Philosoph Immanuel Kant (1724-1804). Sein höchstes Ideal war die. Seinen kategorischen Imperativ „Handle so dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten kann“ lernen alle SchülerInnen schon im Ethikunterricht des Gymnasiums auswendig. Erziehung zur Mündigkeit verläuft nach Kant in vier Stufen:

 

„1. Zunächst muss der Mensch im frühen Kindesalter diszipliniert, werden, d. h. seine "Wildheit" (seine Triebe) werden "bezähmt".

 

2. Daran anschließend soll er kultiviert werden, d. h. seine Geschicklichkeit und seine Fähigkeiten sollen ausgebildet werden (z. B. wenn er schreiben lernt).

 

3. Danach wird sein Verhalten zivilisiert, d. h. Umgangsformen und Manieren, die gesellschaftlich erwartet werden, sollen hier vermittelt werden.

 

4. Abschließend wird im letzten und wichtigsten Schritt das Kind moralisiert, d.h. es soll lernen mit der Vernunft einzusehen, welche Entscheidungen nach ethischen Gesichtspunkten richtig und falsch sind. Es geht also weniger um eine Belehrung über Moral als vielmehr um die Ausbildung der Fähigkeit, eine Wahl guter Zwecke für das eigene Leben treffen zu können“ (Kuhlmann 2013, S. 45).

 

Dieser formulierte Anspruch an ein selbstbestimmtes Leben wurde in vielen demokratischen Ländern in die Kinderrechte eingebunden.

 

Ungefähr ein Jahrhundert später begann in Europa in Bezug auf Bildung das Zeitalter der Reformpädagogik. Zu einem der berühmtesten Persönlichkeiten dieser Epoche zählt Maria Montessori (1870- 1952). Die Italienerin studierte als erste Frau Naturwissenschaften, später Pädagogik und Medizin. Nach ihrem Studium arbeitete sie als Ärztin mit taubstummen und geistig behinderten Kindern. Nach ihrer Ansicht haben die Erwachsenen die Hauptaufgabe die Kinder zu fördern, ihre Selbständigkeit zu erwerben. Die Erzieher helfen dem Kind am besten, wenn sie eine Umgebung schaffen, in der es Selbständigkeit ausüben kann. Daher spricht sie die zentrale Forderung der Kinder an Erwachsene folgender Maßen aus: "Hilf mir, es selbst zu tun!" (Kuhlmann 2013, S. 105). Damit sie besser arbeiten können, entwickelte sie für Kinder Sinnesmaterialen mit folgenden besonderen Eigenschaften:„- Es soll sinnlich erfahrbar sein, aber jeweils vor allem einen Sinn ansprechen (z. B. Buchstaben aus Sandpapier) - Es soll eine selbständige, vom Erwachsenen unabhängige Fehlerkontrolle ermöglichen (z. B. Lösungen auf der Rückseite) - Es soll zur Ordnung aufrufen (von groß nach klein, von laut nach leise) - Es soll nur jeweils einmal vorhanden sein, damit die Kinder lernen, sich zu arrangieren.“ (Kuhlmann 2013, S. 106) Diese Sinnesmaterialien haben nur die Funktion von Arbeitsmaterialien, da Kinder zu deren Nutzung weder Spiel noch Märchen brauchen.

 

Im Jahr 1900 verfasste Sigmund Freud (1856-1939) „Die Traumdeutung“, eine wissenschaftliche Theorie des Traums, welche ein grundlegendes Werk der Psychoanalyse ist. In der von ihm gegründeten Psychoanalyse geht es um tiefenpsychologisches Denken, das unbewusste Wünsche, Triebe und Gefühle als wichtige Motive für das menschliche Handeln hervorbringt. Die Annahme ist, dass das menschliche Verhalten nicht allein durch die Vernunft zu erklären ist, sondern Gefühle ausschlaggebend für die Handlungen sind.„Tiefenpsychologisch denken heißt für pädagogisches Handeln, anzuerkennen, dass immer auch das Kind in mir mit dem Kind vor mir agiert. Erwachsene werden von unverarbeiteten, manchmal tief verdrängten Gefühlen beeinflusst“ (Kuhlmann 2013, S. 173). Mit der Tiefenpsychologie hat Freud vor allem Verhaltensauffällig-keiten von Kindern untersucht, damit er diese besser verstehen konnte. In einem Zitat von ihm heißt es: „Von allen Anwendungen der Psychoanalyse hat keine so viel Interesse gefunden, so viel Hoffnungen geweckt und demzufolge so viele tüchtige Mitarbeiter herangezogen wie die auf die Theorie und Praxis der Kindererziehung“ (Freud 1987, S. 7f).

 

Nach der totalen Zerstörung vieler Teile Europas im zweiten Weltkrieg unter anderem als Reaktion auf das autoritäre Regime des Nationalsozialismus hat sich im Bildungswesen ein neuer Trend entwickelt. Die Zeit der „Antiautoritären Pädagogik“ brach ein, denn vor allem Deutschland erfuhr davor 12 Jahre lang Gewalt, Gehorsam und Unterdrückung durch das nationalsozialistische Regime. Allen voran hatten die Eltern die autoritären undemokratischen Vorgaben dieses Regimes so satt, dass sie ihren Kindern totale Freiheiten gönnten. Typisches Erziehungsziel war es den Menschen glücklich zu machen. Nach Alexander Sutherland Neill’s Auffassung (1883-1973) ist ein glücklicher Straßenkehrer besser als ein neurotischer Wissenschaftler, daher dürften Kinder nicht zu etwas gezwungen werden, was sie nicht freiwillig selber tun (vgl. Kuhlmann 2013, S. 197).

 

Bildung und Erziehung aus heutiger Sicht hat verschiedene Facetten. Diese antiautoritäre Pädagogik hatte zu Folge, dass viele Kinder nicht mehr auf ihre Eltern und Lehrer hörten und ungehorsam wurden. Daher war in der Gesellschaft die Nachfrage an „Erziehungsberater“ enorm gestiegen. Fernsehsendungen wie „Supernanny“ waren nun angesagt (vgl. Kuhlmann 2013, S. 234). Außerdem entwickelten sich verschiedene neuere Erziehungsmodelle. Partizipartiv-Autoritative Erziehung ist ein Erziehungsstil, der von einigen Familientherapeuten seit den 70 er Jahren empfohlen wird.

 

 „Nach Klaus Hurrelmann zeichnet sich der partizipartiv-autoritative Erziehungsstil dadurch aus, dass Erwachsene bei Konflikten immer auf der Suche nach einem fairen Kompromiss zwischen Eltern und Kindern bleiben. Erziehung ist in diesem Verständnis ein freundliches Begleiten und Mitfühlen. Es erfolgen zwar eindeutige Sanktionen, wenn Regeln überschritten werden, aber es gibt eine ständige Bereitschaft zum Dialog. Der partizipartiv-autoritative Erziehungsstil grenzt sich vom autoritären wie auch vom permissiven ab und will Achtung vor und Rücksichtnahme auf kindliche Bedürfnisse vermitteln. Die Ausübung elterlicher Autorität und die Berücksichtigung kindlicher Bedürfnisse sollen dabei ins Gleichgewicht kommen“ (Kuhlmann 2013, S. 237).

 

Daneben sind heute auch demokratische Erziehungsprogramme und Elterntrainings sehr gefragt. „Aus der Menge der Angebote stechen aus erziehungswissenschaftlicher Sicht die Elternprogramme "STEP" (Systematic Training for Effective Parenting) und "Starke Kinder brauchen starke Eltern" hervor, weil sie sowohl praktikabel, wie auch demokratisch sind und den autoritativen Anteil auf das notwenige Maß beschränken“ (Kuhlmann 2013, S. 240). Das Ziel bei diesen Programmen ist es, dass die Kinder lernen zu kooperieren.

 

Natürlich muss man aber hier klarstellen, dass einige neuzeitliche pädagogische Ansätze wie antiautoritäre Pädagogik oder aber bestimmte Elternprogramme nicht die Erziehungswissenschaft im Ganzen bestimmt haben, sondern nur ein Spektrum davon ausmachten. Ein anderer Bereich der Pädagogik etablierte sich ab den 1950‘er Jahren in Frankfurt. Die „Hochschule für Internationale Pädagogische Forschung“ wurde gegründet und trieb den Aufschwung von der empirischen Forschung im deutschsprachigen Raum an. „Im Zentrum empirisch-analytischer Ansätze steht die Grundannahme, dass die in den Naturwissenschaften üblichen klassischen Methoden des Experiments und der Beobachtung auch auf die Erziehungswirklichkeit übertragen werden können um Erfahrungen zu gewinnen und die Erziehungswirklichkeit zu erklären.“ (Reithel, Dollinger, Hörmann 2009, S. 180). Als Begründer im deutschen Sprachraum war es für Lay und Meumann mit der Etablierung dieser Forschung ein Ziel, einerseits die Willkürlichkeiten in den geisteswissenschaftlichen Disziplinen zu beseitigen und andererseits eine vernünftige und wissenschaftliche Praxis zu schaffen (vgl. Reithel, Dollinger, Hörmann 2009, S. 180f).