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Mark Read

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Beschreibung

Er ist korpulent, hat kaum noch Haare auf dem Kopf, doch er hat eine Meinung. Zu allem, zu jedem. Und er weiß, dass seine Meinung gehört und gelesen wird. Denn eines hat ihn das Internet gelehrt: Wer nur laut genug brüllt, wird wahrgenommen. Er ist der Verkünder der Wahrheit.

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Mark Read

Verkünder der Wahrheit

Gewidmet all jenen, die uns immer wieder auf's Neue die dunklen Seiten des Internets näher bringen.BookRix GmbH & Co. KG80331 München

Verkünder der Wahrheit

Gegen neun Uhr am Morgen verspürte er bereits wieder dieses nervöse Kribbeln am ganzen Körper. So viel Dummheit in einem so kurzem Text! Das konnte er nicht unkommentiert stehen lassen. Die Zeit war gekommen, ein weiteres Mal die Wahrheit auszusprechen. Den Menschen mussten wieder einmal die Augen geöffnet werden. Er holte tief Luft und legte los.

"Sie haben doch keine Ahnung", hackte er in die Tastatur seines Laptops. "Es ist doch sonnenklar, dass wir alle nur verarscht und am Nasenring durch die Manege der Politik gezogen werden." Nach diesem Satz legte er eine Kunstpause ein und betrachtete die soeben geschriebenen Zeilen wie ein Maler sein Werk. Jetzt nur nicht nachlassen. Auf die Wut fokussieren. Alles muss raus! Mit Wucht hämmerte er weiter auf die Tasten ein. "Aber von einem, der noch wählen geht und an den so genannten 'Volkswillen' glaubt, darf man so viel Klarsicht wohl auch nicht erwarten. Dumm leben, dumm sterben!". Nach diesem, wie er fand, gewitzten Ende klickte er auf den "Absenden"-Button seines Browsers.

Oftmals stellte er sich bildlich vor, wie seine flammenden Worte den Weg durch die Bahnen des weltweiten Netzes finden und als Online-Kommentar unter dem Artikel einer großen Zeitung auftauchen würden. Er imaginierte sich seine Appelle als eine Truppe von Soldaten in schillernden Rüstungen, die sich heldenhaft durch das Dickicht der Unvernunft schlugen. Die anderen User und Kommentareschreiber waren in seiner Vorstellung wahlweise ungebildete Dorftrottel oder grobschlächtige Wegelagerer, die von seinen Worten in die Flucht geschlagen werden. Er hielt sich nicht für eitel, doch ein kleines bisschen Stolz auf die Aufklärungsarbeit, die er Tag für Tag betrieb, war schon da. Er war der Verkünder der Wahrheit.

Wie immer ergötzte er sich auch jetzt an diesem schönsten aller Gedanken: dass irgendein Gutmensch am anderen Ende der Internetleitung in diesem Augenblick vor dem Computer saß und sich beim Lesen seines Kommentars furchtbar aufregte. Wieder einer, dessen Weltbild er zumindest ein wenig ins Wanken bringen würde. Dafür lohnte sich doch der ganze Mist.

Ungeduldig klickte er auf den "Aktualisieren"-Button seines Browsers. Ja, sein Kommentar war bereits unter dem Artikel zu lesen, doch noch hatte niemand darauf reagiert. Aber er ließ sich davon nicht aus der Ruhe bringen. Noch nicht. Es war eine der klickstärksten Nachrichtenseiten im Netz, und das Thema ein bedeutendes, das in allen großen Massenmedien besprochen wurde. Eines hatte er in all den Jahren gelernt, die er nun schon als Verkünder der Wahrheit im Internet unterwegs war: Irgendjemand antwortet immer, wenn man nur laut genug brüllt. Die Leute vertragen die Wahrheit einfach nicht.

Wenn er daran dachte, wie viele Menschen da draußen das Internet einfach nur als Informationsmedium nutzten und nicht, um ihre Meinung zu verkünden, dann konnte er nur den Kopf schütteln. Unmündige Konsumenten, die alles fressen, was man ihnen vorsetzt. Er war anders, ja vielleicht war er doch etwas besonderes. Ein großer Denker. Vielleicht, dachte er süffisant, würden die Menschen seine wahre Größe erst dann erkennen, wenn er nicht mehr da sei. In seinem unrasierten Gesicht verzogen sich die Mundwinkel zu einem spöttischen Lächeln.

Während er darauf wartete, dass endlich ein anderer User auf seine provokanten Worte reagieren würde, öffnete er einen weiteren Artikel auf der Webseite der Zeitung. Es ging um einen bekannten US-Schauspieler, der in einem Interview über die schwierige Zeit sprach, als er nach der Scheidung von seiner Frau seine Kinder alleine großziehen musste.