Verschriftete Schubser IX - Bernhard Lembcke - E-Book

Verschriftete Schubser IX E-Book

Bernhard Lembcke

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Beschreibung

LesArt eines unsachlichen Sachbuchs. Ein (Dreh)Buch in der Regie des Ungewöhnlichen, Themenwelten eines Individualreisenden mit real-hypothetischen Bezügen des Jetzt in das Einst und das, was dermaleinst -vermutlich- sein wird. Ein Affrontisiacum? Auch. (Obdach)Lose Gedanken als Requiem für eine, unsere Zeit. Mit dem Anspruch nachhaltiger Lektüre, vorzugsweise im Kontext flüchtiger Eindrücke und Begebenheiten. Bewusste Selbstverliebtheit in eine ornamentale Sprache und Kulinarik der Worte als induktiver Weg zur eigenen Entdeckung jenes Bewusstseins und Geistes, die die alten Lateiner mens sana nannten.

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Und doch scheint die Sonne

Dieses Buch beschreibt Höhenstrassen des Assoziativen und Niederungen der Banalität, und das ohne Verlangen nach Balance. Dabei ist es ein Wagnis, eigene Assoziationen und individuell Bedeutsames den Deutungen individueller „Meinung“, Einbahnstraßen, Einfalt oder kollektiver Bildungsferne zu überlassen, aber Brücken über die Gräben und Kluften des Assoziativs zu schlagen ist immer eine durchaus fordernde, anspruchsvolle Aufgabe; primär für das lesende Gegenüber.

Kritisch allerdings bleibt es, eigene Kritik anderen Kritikern zu überlassen.

So ein Buch beinhaltet nicht den szenischen Aufbau oder das Anschwellen einer Wucht, wie sie ein Roman entfaltet, eher jene Wucht, deren Aufprall wir gerade noch vermeiden können, wenn wir Gedanken-versunken um eine Hausecke biegen und überrascht einem (ebenso überraschten) Hund gegenüberstehen.

Das nämlich impliziert die bildhafte Anregung, bisweilen auch einen klaren Imperativ, unser Verhalten zu ändern, zu handeln.

Und sei es nur, -davongekommen- zu schmunzeln.

Die Leute verstehen mich so schlecht, dass sie nicht einmal meine Beschwerde verstehen, dass sie mich nicht verstehen (Sören Kierkegaard).

Vieles ist (zu) nah, vieles so weit

„Empört Euch!“ („Indignez-vous!“; 2010). Hochamt eines Apellativs. Der Titel dieser kleinen, immer noch und weiterhin so bedeutsamen, moralischen Streitschrift von Stéphane Hessel wird einem Fortissimo veritabler Empörung auch in ihrem Umfang (von nur etwa 20 Seiten) gerecht und trifft ebenso intensiv wie insistiv den Nerv kontemporärer Unzufriedenheit.

Beides, die Unzufriedenheit und die Empörung erscheinen auch heute nicht unberechtigt, vereinzelt sogar übermächtig. So diese aber berechtigt sind, dann initiieren und legitimieren sie sich in einer plausiblen und freien Gesellschaft von selbst, und es bedarf weder eines Aufrufs noch einer Anleitung. In Zeiten dahinschmelzender fossiler Energien, von Gletschern wie Polkappen muss man kein Öl ins Feuer gießen.

Was war das -retrospektiv- für eine glückliche Zeit, als Hessel erwarten mochte, die Inkompatibilitäten des Unangemessenen, Ungeschliffenen, Ungerechten und Unerträglichen könnten durch (s)eine Aufforderung zur Empörung aus der Welt geschafft werden. Dabei wird Hessel, soviel Diplomatie muss sein, seinen Aufruf als imperative Anregung und nicht als Aufregung um ihrer selbst verstanden wissen wollen. Ein intellektueller und moralischer Schubser, nicht physisches Schubsen.

In der heutigen Zeit wünschte ich mir -ergänzend- einen ganz anderen Aufruf: „Besinnt Euch!“ für die großen Aufrührer, „Benehmt Euch!“ für die kleinen. So ungewohnt beide Zwischenrufe in maximaler Lautstärke sind, so erscheinen sie doch ungeachtet ihrer Selbstverständlichkeit offenbar vonnöten, wiewohl sie gleichzeitig ungehört verhallen. Unerhört!

Dabei gerät abermals wie beständig ein gesellschaftlicher und moralischer Aspekt ins Abseits, der schon viel zu lange zu wenig Aufmerksamkeit und Wertschätzung erfährt, und der doch nicht nur unter Umgangsformen, sondern auch unter unseren Prioritäten so wichtig ist/wäre: „Bedankt Euch!“

(M)Ein fortissimo für ein Mauerblümchen.

Eine Gesellschaft, die Dankbarkeit kennt, gewichtet das Geschehene. Durch Moral, durch Reflektion und Emotion. Eine Gesellschaft, die Dankbarkeit kennt, lässt sich berühren.

Individuen (und ich halte viel von Individualität), die Kontakte pflegen und Berührtsein, Empfindsam- wie auch Empfindlichkeit kennen, bilden und formen eine solche Gesellschaft, deren Ästhetik an den Bauplan des Menschen erinnert: die verbundene und verbindende Architektur eines Zellverbandes, z.B., der ein funktionsfähiges Gewebe bildet.

Unberührbare kennen derlei nicht. Wir können uns empören, demonstrieren, sogar streiken. Auch sind wir hochqualiziert weil trainiert darin, Ansprüche in Sprüche zu packen und überall in der Welt moralisch auszupacken (auch wenn der medial geprägte Eindruck täuschen wird und diplomatische Intimität verhindert, das wahre Geschehen zu beurteilen, wozu wir Dilettanten zudem weder qualifiziert noch berufen sind).

Sogar im Fußball haben Vereine, Trainer und Spieler Ansprüche. Zumindest ein spezifisches Anspruchsdenken. Dabei wird ein Anspruch juristisch nur durch einen bestehenden Titel begründet, während fußballerische „Ansprüche“ virtuelle Selbsteinschätzungen wiedergeben und dabei in erster Linie: auf Titel zielen.

Anstrengung begründet aber nicht mehr als die Erwartung, dass sich die Anstrengung lohnt/auszahlt. Um es mit Felix Magath zu sagen: „Qualität kommt von Qual“. Ein Anspruch ist das nicht.

Wenn aber zwischen Anspruch (als Synonym einer Virtualität unserer Wünsche und Vorstellungen) und Wirklichkeit so große Entfernungen liegen, dass wir meinen, uns empören zu sollen, dann sollten wir uns an den Werbespruch erinnern, dem doch so viel Wahrheit innewohnt: …„sind sie zu stark, bist Du zu schwach“.

Die endemische Empörung unserer Gegenwart rührt in meinem Empfinden auch daher, dass unsere Politik(er)-(innen) - und „all die anderen“, zu denen wir den persönlichen Kontakt verloren haben - Unberührbare, zumindest aber Unnahbare geworden zu sein scheinen. Ein Verlust von Nähe und Persönlichkeit zugleich.

Das erklärt Distanz, aber es legitimiert keine Gewalt. Vielmehr muss sich da gewaltig etwas ändern in einer, unserer Gesellschaft zwischen A wie Anspruch und Z wie Zeitenwende.

Nicht wortgewaltig oder gar nur verbal, sondern real und zuvorderst: auch emotional.

Begeistert Euch! (Emballez-vous!)

Gesuchte Worte, gefunden

Medien freuen sich über jedes gefundene Fressen. Und reiten den geschenkten Gaul dann tot.

Wir erkennen: manche Stilblüten verrotten nicht (will sagen: sie sind nicht biologisch abbaubar), aber Sensibilität und Facettenreichtum gehen doch anders.

Ich, jedenfalls, freue mich über gefundene, kreative oder wiederentdeckte Worte. Worte, deren Knospen ich gern betrachte und denen ich zur Blüte verhelfen möchte. Mit wie auch ohne Stilblüten.

So schreibe ich nicht mit dem Anspruch, zu schreiben, was ist (Augstein) oder wie es ist. Ich schreibe, was ich zu erkennen glaube, wie es wirkt, vermutlich ist oder wie es auch (anders) gesehen werden könnte. Ein inhärenter Fakultativ als Imperativ, sich ein eigenes Bild zu machen.

Schrägen Eindrücken werden dabei am ehesten schräge Ausdrücke gerecht und bizarre Eindrücke erfordern bisweilen bizarre Ausdrücke. Der Plastizität des Originals dergestalt durch den Abdruck detailgetreu, impressionistisch oder auch expressionistisch gerecht zu werden, ist weniger eine Kopie, eine Frage von Neutralität oder eine Form des Respekts, es ist kreativer Ausdruck des eigenen Eindrucks. Dabei nutze ich bewusst den Kontrast barock überbordender Verbal-Opulenz mit experimentellen Verästelungen zur Kargheit lakonischer Wendungen, um einer Dynamik Ausdruck und Raum zu geben, die als Konsequenz des Lesens in individuelles Nachdenken führt. Führen könnte.

Mit der Intention, dass das Potentielle als Substanz das Potential zu Substanz haben möge. Auf die grundsätzliche Unterscheidung von potentiell und Potential kommen wir noch wieder zurück.

Was machen eigentlich Veganer mit geflügelten Worten? Und verdorrt womöglich Grasroot-Philosophie durch den Klimawandel?

Fragen, auf die auch dieses Buch keine Antwort gibt. Und dennoch beschäftigt es sich mit ungewöhnlichen wie auch gewöhnungsbedürftigen Fragen.

Fragen, die die Welt doch braucht.

Vereinzelt Fragezeichen, die so unumwunden daherkommen, dass sie wie Ausrufezeichen erscheinen.

Mein Fabulatorium

„Die Lust zu fabulieren“ (Dichtung und Wahrheit) war nicht nur Goethe zu eigen. Dennoch zeigt seine Farbenlehre, dass man es nicht allzu bunt treiben muss, um in Farben schwelgen zu können. Interpretieren wir dies einfach als einen Sieg des Sinnhaften über den Unsinn, auch, sogar und explizit als eine Sinngebung des Sinnlichen. Um sich dergestalt an flüchtigen Momenten erfreuen zu können, muss man aber diese nuanciert wahrnehmen wollen, - und obendrein in sich ruhen.

Ein Plädoyer für Besinnlichkeit. Wenn dann noch Visionen des Invisiblen Raum in gedanklicher Eruption und Evolution finden, klingt das zwar nach Perfektion, aber dennoch wie ein Traum.

Doch wer sich selbst Träume erfüllen kann ist wohl kaum ein Träumer.

Dergestalt in oder mit Worten zu schwelgen, Grenzen der literarisch goutierten Standards süffig zu überschreiten, das verbietet allerdings bereits der literarischkritische Imperativ, der eine klare, auch reduktive Sprache schön nennt und diese (nur diese) dann als ausdrucksstark betrachtet. Der Zeitgeist trägt Freizeitkleidung. So sehr, dass ein verbaler Minimalismus dominiert, der bisweilen in Austerität und den Autismus einzelner Wörter als einer Ansammlung angedachter Gedanken oder als Vorlage für eigene Vorstellungen mündet. Oder abgleitet.

Die Literatur-Nobelpreisträgerin Herta Müller hat sich dabei puristisch konsequent bis in Wort-Collagen begeben, die stilistisch wie „Erpresserbriefe“ erscheinen (Wolfgang Moser 8/2005 in seiner Rezension von „Die blassen Herren mit den Mokkatassen“; sandammeer.at), dabei die Aufmerksamkeit auf jedes einzelne Wort richtend und dennoch Ambiguität akzeptierend, ja, fördernd. Ein Mut zur Lücke, die das Ausgelassene betont und sich gleichzeitig vehement nonverbal von verbaler Ausgelassenheit distanziert.

Aber, um einmal ein abgewandeltes, geflügeltes Wort aus dem Plattdeutschen (wat dem Eenen sin Uhl is dem Annern sin Nachtigall) in Erinnerung zu bringen: „Wat dem Eenen sin Imperativ ist dem Annern sin Renegativ“. Und so schreibe ich in mehr oder weniger klarem Renegativ und Assoziativ, die Freiheiten nutzend, die sich durch eine Plethora der Worte eröffnen. Mit jener Ornamentik, Sensibilität, Sentimentalität und Subjektivität, deren Bedeutung Friedrich Schiller so treffend explorativ beschrieb: „nur durch das Morgentor des Schönen drangst Du in der Erkenntnis Land“ (Die Künstler, 1789).

Schönheit liegt dabei nicht allein im Auge des Betrachtenden, sondern in seinem Empfinden. Und das hat allemal mit Modeerscheinungen und Zeitgeistigkeit wenig gemein, obwohl diese auch nicht ohne Einfluss sind. Ein Vor- und Eindringen, dessen Erfolg einzig dem Wahrnehmungsvermögen, der Perzeption durch Bildung beim Leser geschuldet ist; individuellem Erleben.

„Das Auge ist blind für das, was der Geist nicht sieht“ lautet entsprechend ein Arabisches Sprichwort.

Visionen des Seins.

Notwendig, und daher (m)ein Widerwort gegenüber jenem Verständnis von Visionen, derenthalber der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt einige Mitbürger gern „zum Arzt“ geschickt hätte.

Das Tun von Machern ist nicht nur Machen. Bisweilen ist es auch Rummachen. Aber Zeitgeist fand noch nie (s)einen Weg zurück in die Flasche. Er muss sich in seiner Volatilität erschöpfen, um einem anderen (Zeit)-Geist Platz zu machen.

Und je mehr, intensiver oder subtiler etwas kleingeredet wird, umso dringlicher wird seine Großschreibung. So nenne ich denn auch diese …FFP 9 (frei flottierende Phantasien Nr. 9) …„großgeschriebene Kleinigkeiten“.

Medizin zwischen MRT und Maden

Zwischen „IT“ und „Igitt“, also. Aber MRT (Magnet-Resonanz-Tomographie) ist „nur“ Diagnostik, während Maden Therapie sind. Eine Antibiotika-freie Müllabfuhr, die versiffte, chronisch infizierte Wunden wie das „offene Bein“ bei Durchblutungsstörungen und Diabetes mellitus oder nach rustikalen Verletzungen wie im Krieg, deren banale mechanische Brutalität sich in Jahrhunderten kaum verändert hat, reinigt und heilen lässt.

Maden liefern dabei überzeugende Ergebnisse, folglich ist ihr Einsatz bei gegebenem Befund sachgerecht und medizinisch indiziert, keineswegs …„mad“.

Made matters. Ein Hauch von Mittelaltermedizin, wie es in einem Artikel des Observer anklingt (Medieval medicine: the return to maggots and leeches to treat ailments; The Guardian, 26. Feb. 2023.).

Dabei droht eine eher holzschnittartige, rustikale, in jedem Fall grobmaschige Medizin auch und zuvorderst aus ganz anderen Richtungen. Politik nämlich orientiert sich nicht an dem Mach- oder Erreichbaren, sondern am Bezahlbaren und bringt dafür internationale „Standards“ ins Spiel, die bestenfalls als Vergleichswerte für Niveau-Untergrenzen taugen. Unter den Blinden ist der Einäugige bekanntlich König. Das hieße dann wohl in der politisch-ökonomischen …Sicht?: …wozu also zwei Augen behalten?

Auf die ganz praktischen, kulturellen Schwierigkeiten, die mit einem Direkteinstieg von Ärzten/Ärztinnen verbunden sein können, die als Flüchtlinge hier einen wohlwollend gestalteten, erleichterten Zugang zur ärztlichen Berufsausübung erlangen, habe ich bereits an anderer Stelle hingewiesen. Ich versuche mal, das mit einem konkreten Beispiel (auch wenn es vom Hörensagen ist) zu illustrieren.

Beim Ehemann der Friseurin (beide aus der Türkei stammend) wurde vor 8 Jahren ein Diabetes mellitus festgestellt. Sein betreuender Diabetologe hat jetzt die Praxis aufgegeben, derzeit vertritt ihn dort eine Ärztin aus der Ukraine. Auch wenn das sprachliche Verständnis zwischen Deutsch-Türkisch mit Betonung auf Türkisch und Deutsch-Ukrainisch mit Betonung auf Ukrainisch wie eine holprige Piste erschien, so waren doch alle relevanten Laborwerte bei der jetzigen Routine-Vorstellung erfreulich gut. Anstatt einer Aufmunterung (Diabetologen nennen das vorzugsweise „Empowerment“… und verstehen dies -im idealisierenden Selbstverständnis- als integralen Bestandteil ihrer beratenden Tätigkeit) durfte sich der Patient allerdings anhören, er habe gar keinen Diabetes und er solle diesbezüglich seiner Krankenkasse besser nicht zur Last fallen.

Andere Länder, andere Sitten. Und Sichtweisen.

Im Abgleich mit unserer Kultur: weniger Ausdruck kultureller Nuancen als eine handfeste kulturelle Diskrepanz. Und Dissonanz. So etwas kann/darf man in der Kunst ausleben oder im Feuilleton diskutieren. In der (bislang real in Ausläufern noch existierenden) Medizin, die Fürsorge für und eine kompetente wie kulturell passgenaue, ärztliche Führung von Patienten zum Inhalt hat, erscheinen derartige Diskrepanzen dagegen lebensfremd bis lebensfeindlich, in jedem Fall aber indiskutabel und/oder makaber.

So schräg, wie es ist: in solchen Situationen kann EDV eine Hilfe sein. Da muss man den Namen des Patienten nicht selbst schreiben können, oder womöglich aussprechen. Ernsthafte Arztbriefe, die eine wertige und wertende, abgewogene Beurteilung (Epikrise genannt) enthalten, gibt es schon längst (>10-20 Jahre) nicht mehr, abgelöst von einem kumulativen Sammelsurium der Einzelbefunde. Diese Untersuchungsbefunde, die auf dem Monitor erscheinen, haben eine zusammenfassende Schlussfolgerung, die dann in die Diagnose einfließt oder -häufiger- als Diagnose übernommen wird, während bei Laborwerten, die befremdlich erscheinen könnten, zumeist der Normalbereich direkt daneben steht. Dafür sollte es dann doch langen. Oder?

Das ist aber weder Medizin noch ärztliches Handeln. Abgesehen davon, dass so kein unerfahrener Arzt ärztliche Erfahrung erfährt: ärztliche Tätigkeit ist die am Patienten. Im Gespräch, im subjektiven Eindruck, mit selbst erhobenen Befunden, die den Charakter des Verlässlichen und Unumstößlichen haben (sollten) und deren Einordnung in das Gesamtbild eine zentrale ärztliche Aufgabe (und Kunst) war, ist und -hoffentlichbleibt.

Deutschland ist ein geteiltes Land. Manche und gewiss viele denken dabei an ein West-/Ost-Gefälle in den Dimensionen von Tariflöhnen oder Renten oder an ein Ost-/West-Gefälle von Heimatverbundenheit einerseits aber -abstrus genug- auch Staats- respektive Demokratie-Verdrossenheit wie auch radikaler Gesinnung andererseits. Das alles aber meine ich nicht, auch nicht das Schisma von Staat und Kirche oder zwischen den größeren oder kleineren Glaubensgemeinschaften, die wir Religionen nennen, auch wenn nur wenige Menschen noch „religiös“ sind, so dass der Eindruck entsteht, wir hätten mehr Gläubiger als Gläubige.

Was ich meine, ist die Separation der Trägen von den Fixen, der Behäbigen und der Kreativen, der weitgehend Ungebildeten und der Gebildeten, der Passiven und der Aktiven, der vermeintlichen Macher und der sich Abrackernden, Dünnhäutige vs Dickhäutige, derer ohne oder mit Unternehmergeist oder auch nur der Lust, etwas zu unternehmen. Und dann wären da noch die Guten und die Bösen sowie die Unbescholtenen und die, die von Regel-basiertem Verhalten bestenfalls mal gehört haben. Und die mit wünschenswertem Sozialverhalten vs die mit einem „Sozialverhalten“, das so viele Wünsche übriglässt.

Ganz zu schweigen von den Analogen und den Digitalen. Kleines Späßchen für Mediziner oder streng gläubige Googlelianer (m/w/d) am Rande: die Medizin ist über das Zeitalter der Digitalisierung längst hinaus und hat -überaus segensreich- über die ACE-Hemmer ein „sartanisches“ Zeitalter erreicht, inzwischen aber sogar dies teilweise überwunden.

Weniger ein Späßchen, mehr das Wirrwarr „Böhmischer Dörfer“ für jene, die nicht über die medizinischen Kenntnisse für diese Erkenntnis verfügen (sorry dafür) und ein veritabler Affront für all die, denen nicht einmal der Habsburgische Begriff Böhmische Dörfer etwas sagt. Womöglich werden diese dann daraus einen Fall von „rassistischer“ (wo völkischer gemeint sein dürfte) Einstellung konstruieren. Cancel culture hat eben nichts mit Wissen und rein gar nichts mit can, können zu tun. Dabei kann/könnte man vieles lernen.

Aufklärer sind in den Augen der Unaufgeklärten meistens Aufrührer. Ein Junktim derart besonderer Verlässlichkeit, dass sich Aufrührer inzwischen gern auch als Aufklärer deklarieren und gerieren. Derartig lachhafte Belehrung von der falschen Seite erscheint mir dabei schlimmer noch als der von H.M. Enzensberger beklagte Beifall von der falschen Seite.

Ist es Verniedlichung, einen vermeintlichen Satiriker, in dem sich kaum verborgen doch ein Ideologe verbirgt ein enfant terrible des zdf oder auch der breit aufgestellten, politclownesken Zunft zu nennen? Zumindest würde so etwas der stalinistisch-einseitig erscheinenden Stringenz und Konsequenz der aufgeplustert als Satire verbrämten Ausführungen kaum gerecht. Da helfen auch kosmetische Image-Aufspritzungen durch mediale, Kreativität wie Bodenständigkeit suggerierende Anwandlungen am Herd nicht. Eine Absurdität an sich, so wie ein Feintuning von Traktoren oder auch Schwerter vom Uhrmacher. Firlefanzierend über die Stränge zu schlagen lässt sich gelegentlich durch maßvolle Strenge begrenzen, -aber wohl doch nur im Bildungs-Umfeld von Kindern, die noch lernbegierig und -fähig sind.

Allerdings kaschieren bissige wie auch gute, nicht einmal die gut gepflegten Zähne keine Bildungslücken. Auch nicht, wenn einem eigentlich etwas nur „spanisch vorkommt“. Das Fremde als fremd zu akzeptieren setzt nicht unbedingt voraus, es auch zu verstehen (auch wenn das sehr hilfreich ist). Mein Bild des Fremden kann nicht „rassistisch“ sein, weil es mein Bild ist. Ein Bild, das mir den Umgang mit dem Fremden plausibel und gangbar macht, ein Wegbereiter und mein Zugang, keineswegs etwa Ablehnung, vielmehr ordnende Differenzierung statt Diskriminierung. Was dem Empathie-defizitären selbsternannten Moralisten als Stereotype erscheinen mag, ist mir Platzhalter knospender und ergebnisoffener potentieller Interaktion. (M)eine (persönliche und überdies veränderliche) Brücke.

Der Grenzlinien sind also viele und ich frage mich, ob es immer vorteilhaft und erstrebenswert war/ist, alle Grenzen niederzureißen oder schlicht zu negieren. Ich frage mich zudem, ob es sinnvoller ist, grenzenlos Sinnlosem mit Sinn oder aber mit Unsinn zu begegnen. Vermutlich ist es wie immer: mal so, mal so.

Das schlösse dann zwar Konsequenz aus, - nicht aber Konsequenzen. Ich bemühe entsprechend beides: Sinn und Unsinn. Wo da dann die Grenze inmitten unsachlicher Sachbücher verläuft, das möge bitte jeder Leser (m/w/d) für sich selbst entscheiden, als Grundlage persönlicher …Konsequenzen. Am geteilten Land wird das nichts ändern, schließlich besteht sogar unsere Symphyse aus zwei in Opposition stehenden Knochen.

Und das ist auch gut so, solange deren Syndesmose beide Seiten verlässlich (stabil) verbindet.

Entsprechend verläuft also (auch) durch „die“ Medizin ein Graben. Dieser Tage sah ich eine Fernsehsendung („Abenteuer Diagnose“), die das -erneut- in wahrlich abenteuerlicher Weise offenbarte. Da hatte ein bis dahin fitter Mann, Ende fünfzig, rezidivierend hohes Fieber bis 40° Celsius mit derart intensivem Nachtschweiß, dass mehrfaches Wechseln des Pyjamas in der Nacht erforderlich war. In der Summe eine über etliche Wochen anhaltende, durch Antibiotika jeweils nur kurzzeitig gebesserte Symptomatik.

Eine Ultraschalluntersuchung des Bauchraums ergab einen Herdbefund in der Leber, der als Echinokokkus (Fuchsbandwurm) klassifiziert wurde und zügig eine große Operation nach sich zog.

Mein Problem dabei: die Operation war (ebenso wie die vorausgegangene Ultraschalluntersuchung) zwar angebracht, Patienten würden sagen: erforderlich, der (relativ seltene) Befund steht jedoch in keinem plausiblen Zusammenhang mit der klinischen Symptomatik des Patienten. Diese ist allerdings eine, die klassische, wegweisende (ältere Ärzte nennen das „pathognomonische“) Symptomatik einer Endokarditis (Herzinnenhaut-Entzündung mit Befall der zugehörigen Herzklappen), die sich nach (allzu) langwieriger „diagnostischer“ Odyssee bei gezielter kardiologischer Diagnostik schlussendlich dann auch bei dem Patienten herausgestellt hat.

Für erfahrene internistische Kliniker erscheint der Fall als klarer Fall zum Kopfschütteln. Ihre ärztliche Erfahrung bemisst Befunde wie auch deren Stringenz und Sinnhaftigkeit am klinischen Bild des Patienten, während „moderne“ Medizin vielfach eine Addition von Befunden zu einem, ihrem Bild zusammenfügt und bisweilen „fachärztlich“ einäugig abarbeitet. In der Diagnostik, in der Therapie und auch bzgl. der diese regelnden Rechnungslegung wie auch in heutigen, Befund-geprägten, aber oft geistlosen „Arzt“briefen.

„Klinische Symptomatik“ beschreibt ein Gesamtbild, nicht allein Symptome oder einzelne Befunde, sondern deren objektive wie subjektive, gewichtete Auswirkungen und berücksichtigt überdies den individuellen longitudinalen Verlauf sowie etwaige Komorbiditäten. Das ist auch noch etwas anderes, als der Boulevard unter der Wellness-tingierten Phrase psychologisch illuminierter Empathie-Bemühungen von „ganzheitlich“ versteht.

Klinik kommt vom griechischen klī́nē (κλίνη), dem Bett oder Lager. Wie aber sollen jüngere Ärzte „klinische“ Erfahrungen sammeln und verinnerlichen können, wenn Patienten derart kurzzeitig in den Betten der „Klinik“ liegen, dass ihr Aufenthalt wie auch die fachärztlich qualifizierten und qualifizierenden Visiten nur noch zu „Stippvisiten“ geraten? Zudem ist eine Klinik kein Patienten-Zoo und Meisterschaft erlangt man auch hier nicht durch „nur gucken, nicht anfassen“ (um einmal ein Schalker Trauma zu bemühen).

Die Erkenntnis Fausts „Wenn Ihr’s nicht fühlt, Ihr werdet’s nicht erjagen“, passt hier ebenso wie Faust´s damit verknüpfte Abgrenzung gegenüber jenem „Verständnis“, das doch nur eine Akkumulation gebrauchter Einzelbetrachtungen beinhaltet:

„Sitzt ihr nur immer! leimt zusammen, Braut ein Ragout von andrer Schmaus, Und blas’t die kümmerlichen Flammen Aus eurem Aschenhäufchen ’raus!“

Erfahrene Kliniker, für die die o.a., typische Endokarditis-Diagnose unmittelbar die sich aufdrängende, stringente Arbeitshypothese gewesen wäre, geraten dergestalt zu einer aussterbenden bzw. ausgestorbenen Spezies. Und so entstehen kontemporäre, neue Böhmische Dörfer.

Arzt ist am Patienten oder Arzt ist nicht Arzt.

Dabei geht es um Wahrnehmung, nicht Wahrsagung.

Ein kontemporär beliebter Protest ist der gegen „zu viel Dokumentation“. Das ist a) völlig berechtigt, aber b) erst der Anfang. Es ist weniger die Dokumentation, die ja eine Reflektion des eigenen Tuns beinhalten könnte, als vielmehr die als empörend empfundene Notwendigkeit, die eigene Tätigkeit (gegenüber fachlich Andersdenkenden) detailliert zu belegen. Das, nämlich, dient nicht dem Patienten, sondern dem Kalkül der Krankenkassen und ggfs. auch juristischen Anwürfen.

Eine Dokumentation, die in Form und Inhalt von externer Seite vorgegeben wird und die mit dem individuellen, subjektiv geprägten Denken und Handeln des Arztes nur wenige Berührungspunkte aufweist. Die Zeit vor dem PC erscheint damit logischerweise als vertane Zeit und entfremdet den Arzt vom Patienten.

Zuwendung zum Monitor und ein Vertiefen in die dort ansässige EDV ist nicht Zuwendung zum Patienten, nicht einmal ein Vertiefen in dessen Erkrankung. So entsteht Antipathie (gegen Dokumentation, also Papierkrieg ohne Papier), wo Empathie (für den Patienten) und ärztliche Faszination für das Lösen medizinischer Probleme ihren Platz haben sollten.

Aber junge Ärzte lehnen sich gar nicht so sehr gegen die Digitalisierung auf, da scheint doch eher große Zustimmung zu bestehen. Sind es also doch nur verknöcherte Alte, denen die Welt der Computer ohnehin fremd ist oder absurd erscheint, die dem Computerzeitalter nicht gewachsen sind und deshalb in ihrer Inkompetenz so meckern? Sicherlich auch, wenngleich Jüngere die (vielen) kleinen Probleme gar nicht erkennen.

Aber das Problem liegt weitaus tiefer. Das Bild und Selbstbild ärztlicher Tätigkeit ist bei jungen Ärzten ein ganz anderes als es das bei den Älteren war und ist. Heute erscheint der Arzt medial nicht so sehr empathisch an der Seite des Patienten, er/sie beherrscht(?) dessen Problematik durch die Beherrschung kompliziert erscheinender, blitzsauberer und hochmoderner Geräte einschließlich der Akkumulation und Visualisation der damit generierten, digitalen Daten. Was den Kontakt zum Patienten betrifft, dominiert dagegen ein „no touch“-Szenario, das kaum noch etwas mit dem Begriff Medizin, dem bisherigen Verständnis von Medizin zu tun hat. Der Weg in eine McDonaldisierung der Medizin (s.u.) und -wie Walter Krämer es 1989 genannt hattein Diagnose- und Therapieautomaten.

Dabei habe ich selbst den Begriff einer „no touch-Medizin“ für mich lange Zeit als (m)ein Motto formuliert und definiert, als Leitschnur meiner Forschung, die verlässliche, aber invasive und inkommodierende Funktionstests und Bildgebung durch gleichermaßen verlässliche, nicht-invasive und angenehmere Diagnostik ersetzen sollte: Atemtests und Ausscheidungsuntersuchungen statt aufwendiger Sondierungen des Magen-Darm-Trakts, Sonographie -wo möglich- statt Endoskopie oder Röntgen.

Untersuchungen, deren Wert und Wertschätzung allerdings stark von Präzision im Detail, heißt: vom Verstehen und ärztlichen Engagement abhängt, Untersuchungen, die entsprechend ärztliche Anwesenheit und Kompetenz voraussetzen (wie die Sonographie) oder zumindest von ärztlich geleiteter Sorgfalt profitieren (Funktionstests). No touch heißt hier eben nicht, ohne Kontakt zum Patienten, sondern charakterisiert den Verzicht auf entbehrliche, unangenehme oder mit Nebenwirkungen verbundene Eingriffe.

Außerhalb der Medizin gibt es eine nicht unähnliche Konstellation. Leitung erscheint heute nicht mehr als/wie Anleitung. Der alte Handwerksmeister konnte und wollte seinen Lehrling und auch die Gesellen spezifisch anleiten, dergestalt die Durchführung, Prinzipien und Feinheiten der Tätigkeit wie auch deren Sinnhaftigkeit erklären. Leitung durch Anleitung. Heute weiß der Firmenchef (m/w/d) als studierter Betriebswirt zwar um die wirtschaftlichen Determinanten „seines“ Betriebes, die eigentliche Produktion und unmittelbar betriebliche Abläufe beherrscht er dagegen nicht mehr zwingend. Er/sie leitet, indem/obwohl er/sie Anleitung delegiert und anderen überlässt. Je mehr aber Arbeitsteiligkeit in Kleinteiligkeit führt, umso mehr geht mit der Detail-Beherrschung auch das Erkennen der/eigener Anteiligkeit, die Teilhabe verloren.

Womit Identifikation und Zufriedenheit dann definitiv nicht mehr aus Stolz über das Erschaffene und Geleistete erwachsen, sondern künstlicher Events, psychologischer Spielchen, ökonomischer Surrogat-Marker und allerlei Gimmicks bedürfen, weil sich glasklare Sinnhaftigkeit in einem Sfumato verliert und sich weder Identifikation noch Zufriedenheit als Konsequenzen des eigenen Tuns einstellen mögen.

Eine weitere Facette der „McDonaldisierung der Gesellschaft“ (George Ritzer, 1995), jener Lebenshaltung, die so wenig mit Haltung im „althergebrachten Sinn“ gemein hat wie Anspruchshaltung. Eine moderne, zweite und längst existente Form jener Entfremdung, die schon Karl Marx beschrieben hatte. Gleichzeitig drängt eine weitere Reinkarnation derartiger Entfremdung mit der Digitalisierung aus dem Hinter- in den Vordergrund und nimmt schwungvoll Fahrt auf.

Lob des Schnürsenkels

Sachlich erforderliche Entwicklungen finden immer weniger statt. „Die Zeit der Schnürsenkel ist vorbei“ wird imperativ proklamiert und schon – so denkt sich zumindest die fortschrittsgläubiger Werbung folgende Fortschrittsgläubigkeit- haben Klettverschlüsse und allerhand elastische Kunststoffe freie Bahn während die Haute Couture ggfs. dem asiatischen Minimalismus mit Stoffbahnen frönt, um auch für den grazilen Fuß die Auftritts-spezifische Aufmerksamkeit zu gewährleisten. Dabei wird -wann immer eine neue Erscheinung am Horizont erscheint- nicht realisiert, was die Qualität, Funktionalität und auch die der Durabilität geschuldete Nachhaltigkeit der bewährten, filiformen und schlichten Kleinigkeit ausmacht, nicht einmal, wenn die „Innovation“ eine Beschneidung der Funktion oder des Designs beinhaltet, wo sie doch plakativ funktionale Vereinfachung vorgibt, während die Reduktion von Herstellungskosten und industrieller Fertigungskosten die kulturelle und eben auch materielle Austerität erkennen ließen, die sich damit verbinden. Und das unterscheidet sich dann doch erkennbar beim Zubinden der Schuhe. Die treibenden Kräfte sind dabei einerseits der immerwährende Zwang zu neuen Produkten, um etwas zu verkaufen, kaschiert in der bewegend umschmeichelnden Verhüllung von Mode oder der weniger schmeichelhaften Bewegung von Moden und Modeerscheinungen bzw. der unlegitimierten und unqualifizierten Inauguration von „Trends“, jenen Trends, „die die Welt nicht braucht“.

Die zweite treibende Kraft ist aber die individuell unterschiedliche, persönliche Empfänglichkeit für derlei einnehmende, reale wie flirrende Wahrnehmungen.

Bequemlichkeit als funktionale Vereinfachung wie auch als Verzicht auf gedankliche Beschäftigung mit dem situativen Tun, das allgegenwärtig Unbedachte in den Routinen des Alltags, das die angemessene Würdigung aller darin enthaltenen „Kleinigkeiten“ sublimiert. Eine erkennbar konsequente Ablehnung von derlei Negation erscheint uns denn als Manierismus, personenbezogen als/wie ein Tic.

Sogar, wenn es „nur“ eine Hommage des Schnürsenkels sein sollte.

Potentiell exponentiell ist nicht exponierte Impotenz

Professor Marcel Fratscher am 6.3.2023 in der Sendung „Unter den Linden“ (Phoenix) zur fortgeschrittenen Stunde: „wir realisieren nicht, was jetzt schon an Klimakosten entsteht und wie potentiell, oder wie exponentiell die Kosten in 20 oder 30 Jahren sind…“.

Nuja. Ungeachtet der wirtschaftlichen Veränderungen, die mit dem Klimawandel verbunden sind und in spürbarer Form wohl auch unsere Zukunft heimsuchen und gestalten werden (unverbesserliche Optimisten sehen darin vielfach auch Chancen) explodieren wohl potentielle Kosten besonders schnell, auch exponentiell.

Aber, sorry, es ist nicht fair, so einen nachvollziehbaren und einfachen Lapsus aus einer Live-Diskussion in den Vordergrund zu zerren. Dazu ist das Thema zu ernst, auch haben seriöse wie bemühte Studiogäste das auch nicht verdient.

Die Kosten werden jedenfalls erheblich sein, exponentiell womöglich gegenüber dem Jetzt, mit welchem Exponenten als Ausdruck der Potenz auch immer.

„Wer heute keine Zeit für seine Gesundheit hat, wird später viel Zeit für seine Krankheit brauchen“ (Sebastian Kneipp, 1821-1897). In einer Zeit, in der Zeit Geld ist, ersetzen wir einfach Zeit im Bonmot des Pfarrers durch Geld, und landen in jener grundsätzlichen, ökonomischen Banalität, die Prof. Fratscher hier visionär und gleichzeitig als Realist zitiert.

Ökonomen werden sich dann damit befassen müssen, was das kleine Wort „viel“ genau beinhaltet.

Teils potentiell, überwiegend aber real; linear oder eben auch exponentiell.

Realität und Retusche - Neuauflage verboten!

Wer schreibt, denkt und schreibt in seiner Zeit wie auch aus seiner Sicht. Ansichten, Einsichten und Aussichten. Das dem jeweiligen Zeitgeist anzupassen, das Original zu „überarbeiten“ und zu „modernisieren“, ohne dass der Urheber des Originals etwas dagegen unternehmen kann, das ist Willkür, Zensur und respektlos obendrein. Respektlos dem Autor als geistigem Urheber gegenüber, ebenso aber auch dem Geist seiner Zeit.

Geschichten-Klitterung wie Geschichtsklitterung, - in „bester“ revisionistischer Manier.

Derartige „pädagogische“ Exerzitien toben sich mit dem Anspruch möglichst lupenreiner Makellosigkeit besonders bei Kinderbüchern aus. Keine „Zehn kleine Negerlein“ mehr und Lukas der Lokomotivführer degeneriert zum Nichtraucher, während Jim Knopf als unverwechselbar schwarzer Sympathieträger zum gebräunten Knirps wird. Aufhellung, schon, - Erhellung eher putativ.

In jedem Fall eine gedankliche und sprachliche Besen-Reinheit, die auf Besen schließen lässt, wie sie einst zum Synonym von Furien wurden.

Jetzt hat es Roald Dahl erwischt, dessen erfolgreiche, weil eingängig bild- und wortgewaltigen Kinderbücher einer kontemporären Weichspülung durch den Verlag Puffin Books (zu Penguin Random House gehörig) unterzogen wurden. Auch so eine ideologische Idealisierung. Was selbstredend nichts an kritikwürdigen persönlichen Vorstellungen und bizarren Äußerungen des 1990 verstorbenen Fabulierers ändert, aber dessen persönliche Kantigkeit durch ein airbrush seiner Kinderbücher zu umnebeln, erscheint denn auch fehlgeleitet.

Die spezifische Sinnhaftigkeit einer Trennung von Werk und Urheber-Eigenheiten habe ich bereits an anderer Stelle betont (Tsundoku, 2023, S. 11).

So wurde jetzt ernsthaft aus der präzisen (und pädagogisch einleuchtenden) Beschreibung von Charlie‘s Widersacher Augustus Gloop / Augustus Gier (1964) als „enormously fat“ die reduktional diffuse Wahrnehmung als „enormous“ (…).

Das ist dann aber wohl zugleich enormer wie auch fetter Unsinn. Unsinn, dessen Dimensionen auch den heftigen Widerspruch eines Salman Rushdie wie auch von PEN America erklären (Guardian, 20.2.2023. Roald Dahl rewrites: edited language in books criticised as ‘absurd censorship’). Gegenwart sollte sich mehr bemühen, die eigenen Kräfte, so a) eigene und b) vorhanden, dahingehend zu nutzen, gegenwärtige Ansichten eingängig zu schildern, zu begründen, zu transportieren und ggfs. Probleme zu stemmen, nicht etwa dafür, die Vergangenheit zu verbiegen. Editing the future wäre ein würdiges literarisches Gebot der Stunde, nicht etwa editing the past.

So sieht das wohl auch Camilla, Großbritanniens Queen Consort, die vor dem Hintergrund der Causa Dahl Schriftsteller dazu ermutigte, ihrer „Berufung weiterhin gerecht“ zu werden, „unbeeinflusst von denen, die ihre freie Ausdrucksweise beschränken oder ihren Einfallsreichtum begrenzen möchten“. Zitat: “Please remain true to your calling, unimpeded by those who may wish to curb the freedom of your expression or impose limits on your imagination.” (N. Khomami, Camilla tells authors to ‘remain true to calling’ amid Roald Dahl row, Guardian, 23.2.2023).

Respekt, Madam!

Aufgespießert

„Bankraub ist eine Unternehmung von Dilettanten. Wahre Profis gründen eine Bank.“ Auch wenn Profis nicht wirklich zum Sprachgebrauch Brechts passt und es in der Dreigroschenoper (III, 9) heißt „Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank“ (zweifellos eine Spur polemisierender Überzeugung, doch überwiegend Sarkasmus, wie die nachfolgenden (weniger geflügelten) Worte des Mac im Bühnenstück belegen: „Was ist die Ermordung eines Mannes gegen die Anstellung eines Mannes?“).

Wir erkennen, dass wir auch hier fehlgeleitet werden, wenn wir nicht das ganze Bild, zumindest aber mehr als nur den Ausschnitt betrachten. Dass das Zitat ungeachtet der Variation Berthold Brecht zukommt, will ich mal als generellen Hinweis auf Sprache verstehen, denn genau so läuft das auch mit der Sprache. Die einen manipulieren mit Sprache, die anderen, jene, die sich als Profis verstehen, manipulieren die Sprache.

Kontos las ich neulich (6.4.2023) als cartoonesk anmutenden Plural des Kontos in der FAZ. Kon(n)ten die das nicht einfach bei Konten belassen?

Physikalisch benötigen Veränderungen eine treibende Kraft, gesellschaftlich und politisch ebenfalls, zumindest aber eine Intention, einen Impuls, ein Momentum. Und nach Möglichkeit auch eine Richtung, ein Ziel. „Jede Existenz , die etwas will, wird indirekt zum Gericht über andere“ (Sören Kierkegaard); -was also treibt dann die „Profi“-Jongleure von Sprache, von Worten und Buchstaben in ihrem „Tun“ bzw. in die Absurdität ihres Tuns?

So es eine unangemessene Imbalance des bislang Korrekten und Angemessenen mit dem kontemporären „Sprachgefühl“ oder Sprachgebrauch gibt, dann einerseits, weil Sprache die Neuerungen dinglicher, geistiger, geistvoller wie auch geistloser Art angemessen beschreiben und charakterisieren muss, aber andererseits wohl auch deshalb, weil die Exzellenz der Sprache unverstanden verdorrt, abgestorben, verrottet oder schlicht verroht. Sich dem dann „anzupassen“ ist eine Katalyse von Entropie, jenes eleganten Wortes für jeden, auch barbarischen Verfall wie Zerfall. Ein Verlust von Niveau und ein kultureller Verfall ohne produktiven Wert, ohne sittlichen Nährwert und definitiv ohne Charakter.

Ohne Sinn und Verstand hätte es vermutlich in meiner Kindheit geheißen, aber das kontrastiert dann schroff mit dem Fakt, dass sich durchaus kluge, intellektuelle wie gebildete Leute so etwas ausgedacht haben und derlei auch anwenden. Leute, die ihre Verbiegungen der Sprache keineswegs als Ornamentik ansehen, sondern als Begradigungen begreifen und daher auf die allgemeine Anwendung ihres Sprachgebrauchs drängen, indem sie diesen zur Richtschnur erklären.

Begradigungen, die -für mich- aber auch eine, ihre schräge Sicht auf solide Begriffe offenbaren. Womit weiterhin dieses Schielen zu klären wäre, ergo, die Erkundung, was diese klugen Menschen zu diesem, ihrem unklugen „Tun“ antreibt.

Wenn sie nicht bewusst oder wissend Sprache nuanciert und ornamental einsetzen wollen, indem sie Fassadenglättung betreiben und dabei die sprachlichen Wurzeln (das nennt sich Kultur) schleifen, dann sind sie als Täter derartigen Tuns vermutlich auch Opfer eines imperativen Hypes, der „Modernisierung“ wie „Reformen“ um der Veränderung Willen, Digitalisierung und Disruption verlangt, auch wenn sachgerechte Inhalte, nachweisliche Funktionalität oder auch „nur“ die Kultur anerkennenden Bewahrens dabei unter die Räder kommen und zermalmt werden. Ungeachtet notwendiger Entwicklungen (und das schließt Sprache ein, wie der Versuch z.B. Eisenbahn ins Lateinische zu übersetzen jedem Spötter ad oculos führt) erscheint der Inhalt dieser Büchse der Pandorra als Modernisierung, Reform, Digitalisierung und Disruption um ihrer selbst Willen. Und dann gibt es da noch den intellektuellen wie auch den ökonomischen Selbsterhaltungstrieb als bewährten und effizienten Antrieb eines Perpetuum mobiles.

Diskrete Übertreibungen

Mit Dreck zu werfen hat nichts von Ausgewogenheit, auch wenn der Dreck und das Werfen dabei gleichgewichtig in Erscheinung treten, während bei Hitzköpfen zumeist die Hitzigkeit überwiegt, weniger der Kopf. Menschliche Wärme gilt dagegen als Herzenssache, auch ist sie nie klimaschädlich. Hitzköpfigkeit schon. Mir liegt Hitzköpfigkeit ebenso fern, wie mit Dreck zu werfen. Äquidistant, denke ich mal. Was sparsame wie diskrete oder intendiert amüsante Übertreibungen nicht ausschließt. Es sei denn, man wird zum -oder fühlt sich als- Spielball von Übertreibungen im Auftritt des/der Wahrgenommenen, dann ergänzt der Säbel das Florett.

Man muss das Müssen wollen. Und doch bleibt so ein Wollen sperrig, wenn das Gefühl nicht vollständig „dabei“ ist. Tief Unbewusstes lässt sich nicht verdrängen, schließlich ist es schon verdrängt. Und es ist autark. Wann es sich meldet, unterliegt nicht unserem „Wollen“ oder Willen. Zwar ist der Euro bei mir längst angekommen und ich stand ihm von Anbeginn an sehr positiv gegenüber, wenn mir aber etwas unziemlich teuer erscheint, dann regt sich mein Aufbegehren in D-Mark. 40€ für eine Unterkunft auf dem Bauernhof ist preiswert; wenn die Geschäftsbedingungen aber dazu führen, dass das Geld futsch ist oder der Aufenthalt zum Reinfall wurde, sind 80 DM sehr viel Geld.

Elektroautos für Erwachsene ab 50.000,- €? Da muss ich nicht einmal 100.000 DM bemühen, um die Krätze zu kriegen. Mit solchen Immobilienpreisen werden „PKW“ zu rollenden (bzw. unverkäuflichen und dann eben nicht rollenden, immobilen) Wolkenkuckucksheimen. Eine Frage der Relationen, die auch durch „public relations“, also die uns umfassend umgebende und so intensiv vernebelnde Werbung, nicht gelöst wird.

Gestern habe ich ein Buch nach Paris versandt. Ohne Nachverfolgung, schließlich ist das an sich schon „teuer genug“. So teuer, dass es lohnt, einmal darüber nachzudenken - und ein Plädoyer für ein vereintes Europa sowieso. Die günstigste! Version des EU-Versands mit DHL für das kleine Päckchen kostet 10,99 €. Echt!

Das Buch darin hat einen Ladenpreis von 44,- € (Papier ist unlängst drastisch im Preis gestiegen), als Autor erhalte ich hiervon pro verkauftes Exemplar 3 € (brutto). Was für eine Relation! 3 € für meine Leistung, 10,99 € für deren Mitfahrgelegenheit. Zugegeben, für 10,99 € kann ich nicht selbst nach Paris fahren (was ich durchaus gern täte), aber ich könnte… z.B. mit meiner Handy-Flatrate die 364 Seiten am Telefon …vorlesen, ohne dafür zusätzlich bezahlen zu müssen. Noch so eine eigenartige Relation, deren -wenngleich nicht sehr wahrscheinliche-Möglichkeit ich womöglich mit meinem monatlichen Smartphone-Tarif längst bezahle?

Flaps Ich trifft Jo Vial