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Elinor und Marianne Dashwood könnten verschiedener nicht sein. Während die eine diszipliniert und vernünftig ist, handelt die andere emotional und impulsiv. Trotzdem verbindet beide das gleiche ausweglose Schicksal, sich im England des achtzehnten Jahrhunderts den gesellschaftlichen Zwängen zu unterwerfen und auf ihre große Liebe verzichten zu müssen
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Seitenzahl: 609
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Verstand und Gefühl
Jane Austen
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Impressum
Public Domain
(c) mehrbuch
Die Familie Dashwood war schon seit langem in Sussex ansässig. Die Größe ihres Besitztums war beträchtlich, und ihr Wohnsitz befand sich im Norland Park, in der Mitte ihres Gutes, wo sie seit vielen Generationen ein so achtbares Leben geführt hatten, daß sie im Bekanntenkreis ihrer Umgebung in hohem Ansehen standen. Der vorige Besitzer dieses Gutes war ein unverheirateter Mann, der ein sehr hohes Alter erreichte und während vieler Jahre seines Lebens in seiner Schwester eine ständige Gefährtin und Haushälterin gefunden hatte. Doch ihr Tod, der zehn Jahre vor seinem eigenen eintrat, brachte eine große Veränderung in seinem Haus mit sich; denn als Ersatz für ihren Verlust lud er die Familie seines Neffen, Mr. Henry Dashwoods – des rechtmäßigen Erben von Norland und der Person, der er es auch zu vermachen beabsichtigte – ein und nahm sie bei sich auf. In der Gesellschaft seines Neffen und seiner Nichte und deren Kinder hatte der alte Herr ein angenehmes Leben, und er faßte eine noch größere Zuneigung zu ihnen allen. Die ständige Aufmerksamkeit, die Mr. und Mrs. Henry Dashwood seinen Wünschen entgegenbrachten und die nicht allein der Wahrung ihrer eigenen Interessen entsprang, sondern ihrer Herzensgüte, verschafften ihm das volle Maß an solider Behaglichkeit, das seinem Alter gemäß war; und die Fröhlichkeit der Kinder erhöhte die Freude an seinem Dasein.
Aus einer früheren Heirat hatte Mr. Henry Dashwood einen Sohn und von seiner jetzigen Gattin drei Töchter. Der Sohn, ein ordentlicher, achtbarer junger Mann, war reichlich versorgt durch das Vermögen seiner Mutter, das beträchtlich gewesen war und von dem ihm die Hälfte bei Erreichen seiner Volljährigkeit zufiel. Außerdem vermehrte er seinen Reichtum noch durch seine eigene Heirat bald nach diesem Ereignis. Die Nachfolge von Norland anzutreten war deshalb für ihn nicht wirklich von solcher Bedeutung wie für seine Schwestern; denn deren Vermögen konnte – unabhängig davon, was ihnen zufallen mochte, wenn ihr Vater dieses Besitztum erbte – nur sehr gering sein. Ihre Mutter besaß nichts, und der Vater hatte lediglich siebentausend Pfund zu seiner Verfügung; denn die verbleibende Hälfte des Vermögens seiner ersten Frau war ebenfalls ihrem Sohn vorbehalten, und Henry Dashwood hatte nur den lebenslänglichen Nießbrauch davon.
Der alte Herr starb; sein Testament wurde verlesen, und wie es nahezu bei jedem Testament ist, brachte es ebensoviel Enttäuschung wie Freude mit sich. Er war weder so ungerecht noch so undankbar, sein Besitztum seinem Neffen vorzuenthalten, doch hinterließ er es ihm zu Bedingungen, die die Hälfte des Wertes seines Erbes zunichte machten. Mr. Dashwood hatte es sich mehr um seiner Frau und seiner Töchter willen gewünscht als für sich selbst oder für seinen Sohn; doch war es für seinen Sohn und den Sohn seines Sohnes, einem Kind von vier Jahren, in einer Weise festgelegt worden, die ihm keine Befugnis gab, durch Belastung des Besitztums oder den Verkauf eines Teiles seiner wertvollen Wälder für diejenigen Vorsorge zu treffen, die ihm so teuer waren und die der Versorgung am meisten bedurften. Das Ganze war zugunsten des Kindes festgelegt, das bei gelegentlichen Besuchen mit seinem Vater und seiner Mutter in Norland so weit die Zuneigung seines Onkels durch Reize gewonnen hatte, wie sie bei einem Kind von drei oder vier Jahren keineswegs ungewöhnlich sind – unvollkommene Aussprache, das dringende Verlangen, seinen Willen durchzusetzen, viele spitzbübische Streiche und eine Menge Lärm –, daß diese schließlich das ganze Gewicht all der Aufmerksamkeit überwogen, die er jahrelang von seiner Nichte und ihren Töchtern empfangen hatte. Er wollte jedoch nicht herzlos sein, und als Zeichen seiner Zuneigung zu den drei Mädchen hinterließ er jedem von ihnen tausend Pfund.
Mr. Dashwood war zu Anfang tief enttäuscht, aber er hatte ein heiteres, optimistisches Gemüt, und er konnte berechtigterweise hoffen, noch viele Jahre zu leben und bei einem sparsamen Leben eine beträchtliche Summe von den Erzeugnissen eines bereits großen und beinahe unverzüglich erweiterungsfähigen Gutes beiseite zu legen. Doch dieses Glück, das sich so spät eingestellt hatte, war ihm nur ein Jahr beschieden. Länger überlebte er seinen Onkel nicht; und zehntausend Pfund, einschließlich der letzten Hinterlassenschaften, war alles, was seiner Witwe und seinen Töchtern blieb.
Sobald man wußte, wie es um ihn stand, schickte man nach seinem Sohn, und ihm vertraute Mr. Dashwood mit der ganzen Kraft und Dringlichkeit, über die Krankheit gebieten kann, die Interessen seiner Stiefmutter und seiner Schwestern an.
Mr. John Dashwood war nicht mit so starken Gefühlen gesegnet wie die übrige Familie; doch war er durch die Fürsprache von solcher Art zu einer solchen Zeit berührt, und er versprach, alles zu tun, was in seiner Macht lag, um ihnen ein sorgenfreies Leben zu verschaffen. Sein Vater war erleichtert durch diese Versicherung, und Mr. John Dashwood konnte dann nach Belieben überlegen, wieviel für sie zu tun vernünftigerweise in seiner Macht liegen mochte.
Er war kein junger Mann von schlechtem Charakter, es sei denn, man wollte ihn schon aufgrund von ein wenig Kaltherzigkeit und Selbstsucht so nennen; doch er war im allgemeinen wohlgeachtet, denn er erfüllte mit Anstand seine alltäglichen Pflichten. Hätte er eine liebenswürdigere Frau geheiratet, hätte ihn das vielleicht noch achtbarer gemacht, und vielleicht wäre er sogar selbst liebenswürdig geworden; denn er war noch sehr jung, als er heiratete, und er liebte seine Frau sehr. Doch Mrs. John Dashwood war ein entschiedenes Zerrbild seiner selbst – sie war noch engstirniger und selbstsüchtiger.
Als er seinem Vater das Versprechen gab, erwog er in seinem Innern, das Vermögen seiner Schwestern durch ein Geschenk von eintausend Pfund für jede von ihnen zu vermehren. Er fühlte sich zu der Zeit wirklich imstande dazu. Die Aussicht auf viertausend Pfund im Jahr zusätzlich zu seinem gegenwärtigen Einkommen, neben der verbleibenden Hälfte des Vermögens seiner eigenen Mutter, erwärmte ihm das Herz und ließ ihn an seinen Edelmut glauben. Ja, er würde ihnen dreitausend Pfund geben; das wäre großzügig und nobel! Es wäre genug, um sie vollkommen sorgenfrei zu machen. Dreitausend Pfund! Er könnte eine so beträchtliche Summe ohne viel Schwierigkeiten erübrigen. Er dachte den ganzen Tag daran, und noch viele weitere Tage danach, und er bereute es nicht.
Kaum war das Begräbnis seines Vaters vorüber, als Mrs. John Dashwood auch schon, ohne ihre Schwiegermutter vorher von ihrer Absicht zu unterrichten, mit ihrem Kind und ihrer Dienerschaft erschien. Niemand konnte ihnen das Recht bestreiten, dorthin zu kommen; das Haus war vom Augenblick des Todes seines Vaters an das Eigentum ihres Gatten; doch um so größer war die Taktlosigkeit ihres Verhaltens, und jeder Frau in Mrs. Dashwoods Lage hätte dies, wenn sie auch nur von gewöhnlicher Empfindsamkeit war, höchst unangenehm sein müssen; sie aber besaß ein so starkes Ehrgefühl und eine so romantische Großmütigkeit, daß jede Kränkung dieser Art, wer immer sie auch zufügte oder empfing, für sie eine Quelle unerschütterlichen Abscheus war. Mrs. John Dashwood war bei niemand in der Familie ihres Gatten jemals beliebt gewesen; aber sie hatte bis dahin keine Gelegenheit gehabt, ihnen zu zeigen, mit wie wenig Aufmerksamkeit für das Wohlergehen anderer Leute sie handeln konnte, wenn es der Anlaß erforderte.
So tief empfand Mrs. Dashwood dieses unfreundliche Verhalten ihrer Schwiegertochter und so ernstlich verachtete sie diese dafür, daß sie bei ihrer Ankunft das Haus für immer verlassen hätte, wäre sie nicht durch die dringende Bitte ihrer ältesten Tochter veranlaßt worden, doch erst einmal die Schicklichkeit eines solchen Fortgehens zu bedenken; und so bestimmte ihre zärtliche Liebe zu all ihren drei Kindern sie schließlich, zu bleiben und um ihretwillen einen Bruch mit deren Bruder zu vermeiden.
Elinor, die älteste Tochter, deren Rat so wirksam war, besaß einen klugen Verstand und ein besonnenes Urteilsvermögen, die sie befähigten, obgleich sie erst neunzehn Jahre alt war, die Ratgeberin ihrer Mutter zu sein, und die es ihr häufig zu ihrer aller Nutzen ermöglichten, der Ungeduld Mrs. Dashwoods entgegenzuwirken, die meistens eine Unklugheit herbeigeführt haben würde. Sie besaß ein treffliches Herz, ein liebevolles Wesen und war starker Gefühle fähig, die sie jedoch zu beherrschen wußte; und das war etwas, was ihre Mutter nie gelernt hatte – und was eine ihrer Schwestern beschlossen hatte, sich niemals beibringen zu lassen.
Mariannes Fähigkeiten glichen denen Elinors in vieler Hinsicht. Sie war vernünftig und klug, doch in allen Dingen ungestüm; in ihrem Kummer und ihrer Freude konnte es keine Mäßigung geben. Sie war großmütig, liebenswürdig und anziehend, doch war sie alles andere als umsichtig. Die Ähnlichkeit mit ihrer Mutter war auffallend groß.
Elinor sah dieses Übermaß an Empfindsamkeit bei ihrer Schwester mit Besorgnis, doch Mrs. Dashwood schätzte und liebte es. Sie bestärkten sich jetzt gegenseitig in der Heftigkeit ihres Kummers. Der unsagbare Schmerz, der sie anfangs überwältigte, wurde vorsätzlich wiederbelebt, wurde gesucht und immer wieder neu entfacht. Sie gaben sich ganz und gar ihrem Kummer hin und suchten bei jeder Betrachtung, die dazu Anlaß bot, ihr Elend zu vergrößern, und wehrten sich gegen den Gedanken, jemals in Zukunft Trost zuzulassen. Elinor war ebenfalls tief betrübt, aber dennoch konnte sie kämpfen, konnte ihr Bestes tun. Sie konnte sich mit ihrem Bruder beraten, konnte ihre Schwägerin bei ihrer Ankunft empfangen und sie mit angemessener Aufmerksamkeit behandeln; und sie konnte sich bemühen, ihre Mutter zu gleicher Anstrengung zu bewegen und sie zu gleicher Nachsicht zu ermuntern.
Margaret, die andere Schwester, war ein heiteres und freundliches Mädchen; doch da sie sich bereits ein gutes Teil von Mariannes schwärmerischer Art zu eigen gemacht hatte, ohne jedoch viel von deren Verstand zu besitzen, versprach sie mit ihren dreizehn Jahren noch nicht später im Leben ihren Schwestern zu gleichen.
Mrs. John Dashwood ließ sich nun als Herrin in Norland nieder; und ihre Schwiegermutter und ihre Schwägerinnen wurden zu Besuchern herabgewürdigt. Als solche wurden sie jedoch von ihr mit ruhiger Höflichkeit behandelt und von ihrem Gatten mit soviel Freundlichkeit, wie er sie – abgesehen von sich selbst, seiner Frau und seinem Kind – gegen jedermann sonst aufzubringen imstande war. Er drängte sie in der Tat mit einer gewissen Ernsthaftigkeit, Norland als ihr Heim zu betrachten; und da Mrs. Dashwood kein Plan so annehmbar erschien, wie der, dort zu bleiben, bis sie in der Nachbarschaft ein Haus für sich finden würde, wurde die Einladung akzeptiert.
Ein Verbleiben an dem Ort, wo alles sie an frühere Freuden erinnerte, war genau das, was ihrem Herzen zusagte. In heiteren Zeiten konnte es kein Gemüt geben, das heiterer war als das ihre und dem in einem höheren Maße diese zuversichtliche Hoffnung auf Glück innewohnte, die das Glück selbst ist. Doch im Kummer wurde sie in gleicher Weise von ihrer Laune fortgerissen, und sie war dann einem Trost ebensowenig zugänglich, wie ihr Frohsinn in guten Zeiten getrübt werden konnte.
Mrs. John Dashwood war keinesfalls mit dem einverstanden, was ihr Gatte für seine Schwestern tun wollte. Dreitausend Pfund dem Vermögen ihres lieben kleinen Jungen zu entziehen, würde ihn in der schrecklichsten Weise verarmen. Sie bat ihn, sich die Sache noch einmal zu überlegen. Wie konnte er es vor sich selbst verantworten, das Kind, und zudem noch sein einziges, einer so hohen Summe zu berauben? Und welchen Anspruch konnten die Misses Dashwood, die doch nur Halbgeschwister von ihm waren – was ihrer Meinung nach überhaupt keine Verwandtschaft bedeutete –, denn darauf haben, daß er sich mit einer so hohen Summe derart großzügig zeigte. Man wisse sehr wohl, daß zwischen den Kindern eines Mannes aus verschiedenen Ehen niemals Zuneigung zu erwarten sei; und warum sollte er sich und ihren armen kleinen Harry ruinieren, indem er all sein Geld an seine Halbschwestern fortgab?
»Es war die letzte Bitte meines Vaters an mich«, entgegnete ihr Gatte, »seine Witwe und seine Töchter zu unterstützen.«
»Ich darf wohl behaupten, daß er nicht wußte, was er da sagte; zehn zu eins, daß er zu der Zeit wirr im Kopf war. Wäre er bei Sinnen gewesen, hätte er nicht daran denken können, dich darum zu bitten, deinem eigenen Kind die Hälfte deines Vermögens zu entziehen.«
»Er hat keine bestimmte Summe festgelegt, meine liebe Fanny; er hat mich nur ganz allgemein gebeten, sie zu unterstützen und ihre Lage angenehmer zu machen, als es in seiner Macht lag. Vielleicht wäre es ebensogut gewesen, wenn er es gänzlich mir überlassen hätte. Er konnte kaum annehmen, daß ich nicht für sie sorgen würde. Aber da er mir das Versprechen abforderte, mußte ich es ihm schon geben; zumindest habe ich es damals so gesehen. Das Versprechen wurde also gegeben und muß erfüllt werden. Etwas muß für sie getan werden, sobald sie Norland verlassen und ein neues Haus beziehen.«
»Nun gut, dann laß uns etwas für sie tun; aber dieses Etwas müssen nicht dreitausend Pfund sein. Überlege bitte«, fügte sie hinzu, »daß das Geld, wenn man sich einmal davon getrennt hat, niemals zurückkommen kann. Deine Schwestern werden heiraten, und es wird für immer weg sein. Wenn es allerdings unserem armen kleinen Jungen jemals wieder zurückgegeben werden könnte . . .«
»Ja, gewiß«, sagte ihr Gatte sehr ernst, »das würde die Sache völlig ändern. Es mag die Zeit kommen, wo Harry bedauert, daß man eine so große Summe fortgegeben hat. Wenn er zum Beispiel eine zahlreiche Familie haben sollte, wären dreitausend Pfund eine sehr gelegene Aufbesserung.«
»Allerdings.«
»Dann wäre es vielleicht besser für alle, wenn die Summe um die Hälfte verringert würde. Fünfhundert Pfund würden eine gewaltige Erhöhung ihres Vermögens bedeuten.«
»O ja, eine außerordentliche! Welcher Bruder auf der Welt würde auch nur halb soviel für seine Schwestern tun, selbst wenn sie wirklich seine Schwestern wären! Denn wie die Sache steht, sind es ja nur Halbschwestern! – Aber du hast eben eine so großmütige Gesinnung!«
»Ich würde nichts Unwürdiges tun wollen«, erwiderte er. »Man sollte bei solchen Anlässen eher zuviel als zuwenig tun. Zumindest kann dann niemand denken, ich hätte nicht genug für sie getan; sogar sie selber können kaum mehr erwarten.«
»Man kann nie wissen, was sie erwarten«, sagte seine Gattin, »aber wir sollten nicht an ihre Erwartungen denken; die Frage ist doch, was du dir leisten kannst.«
»Natürlich, und ich denke, ich kann es mir leisten, ihnen jeweils fünfhundert Pfund zu geben. Wie die Sache steht, wird jede von ihnen, ohne eine zusätzliche Summe von mir, beim Tod ihrer Mutter mehr als dreitausend Pfund haben; ein sehr beträchtliches Vermögen für eine jede junge Frau.«
»Gewiß ist es das, und es scheint mir in der Tat, daß sie überhaupt nichts zusätzlich brauchen. Sie werden zehntausend Pfund haben, die unter ihnen zu teilen sind. Wenn sie heiraten, werden sie bestimmt eine gute Partie machen; und wenn das nicht der Fall ist, können sie doch alle zusammen ganz sorgenfrei von den Zinsen der zehntausend Pfund leben.«
»Das ist sehr richtig, und deshalb weiß ich gar nicht, ob es im ganzen gesehen nicht ratsamer wäre, lieber etwas für ihre Mutter zu deren Lebzeiten zu tun als für die Töchter; ich meine, etwas von der Art einer Jahresrente. Meine Schwestern würden ebenso die guten Auswirkungen davon zu spüren bekommen wie sie selbst. Mit zusätzlichen einhundert Pfund im Jahr könnten sie alle sehr gut leben.«
Doch seine Gattin zögerte ein wenig, ihre Zustimmung zu diesem Plan zu geben.
»Sicher«, sagte sie, »ist es besser, als auf einmal fünfzehnhundert Pfund wegzugeben. Aber schließlich, wenn Mrs. Dashwood noch fünfzehn Jahre leben sollte, dann sind wir gewaltig reingefallen.«
»Fünfzehn Jahre! Meine liebe Fanny; sie kann nicht mehr halb so lange leben.«
»Sicherlich nicht; aber wie du beobachten kannst, leben Leute, wenn ihnen irgendeine Jahresrente zu zahlen ist, ewig; und sie ist sehr kräftig und gesund und erst kaum vierzig. Eine Jahresrente ist eine sehr ernste Angelegenheit; sie ist immer wieder zu zahlen, jedes Jahr, und man kann nicht davon freikommen. Dir ist nicht klar, was du tust. Ich habe eine Menge Schwierigkeiten mit Jahresrenten erlebt, denn meine Mutter war durch das Testament meines Vaters mit der Zahlung von drei solchen Renten an ausgediente alte Dienstboten belastet, sie fand das ungemein lästig. Zweimal im Jahr waren diese Renten zu zahlen; und dann war da noch die Schwierigkeit, es ihnen zukommen zu lassen, und dann hieß es, einer von ihnen wäre gestorben, und hinterher stellte es sich heraus, daß es gar nicht stimmte. Meine Mutter hatte das gründlich satt. Ihr Einkommen gehöre ihr nicht mehr bei solchen beständigen Forderungen, sagte sie; und es war um so unfreundlicher von meinem Vater, als das Geld andernfalls meiner Mutter vollständig zur Verfügung gestanden hätte, ohne irgendwelche Einschränkungen. Das hat mir Jahresrenten so verhaßt gemacht, daß ich mich um nichts in der Welt auf die Zahlung einer solchen festlegen würde.«
»Es ist gewiß eine unerfreuliche Sache«, erwiderte Mr. Dashwood, »jedes Jahr einen solchen Aderlaß an seinem Einkommen zu haben. Dein Vermögen ist, wie deine Mutter ganz richtig sagt, dann nicht mehr dein eigen. An die regelmäßige Zahlung einer solchen Summe an jedem Zahltag gebunden zu sein, ist auf keinen Fall wünschenswert; es nimmt einem die Unabhängigkeit.«
»Zweifellos; und letzten Endes erhält man keinen Dank dafür. Sie glauben sich sicher und meinen, man tue ja nicht mehr, als was sie verlangen können, und es ruft keinerlei Dankbarkeit hervor. An deiner Stelle würde ich, was immer ich täte, ganz nach meinem Belieben handeln. Ich würde mich nicht verpflichten, ihnen irgend etwas jährlich zukommen zu lassen. Es könnte Jahre geben, in denen es sehr ungelegen kommt, hundert oder selbst fünfzig Pfund von unserem eigenen Lebensunterhalt zu erübrigen.«
»Ich glaube, du hast recht, meine Liebe; es wird besser sein, hier nicht an eine Jahresrente zu denken; was immer ich ihnen gelegentlich geben mag, wird eine weit bessere Unterstützung sein als eine feste jährliche Zuwendung. Denn wenn sie sich eines höheren Einkommens sicher wären, würde das nur auf einen großzügigeren Lebensstil hinauslaufen; und am Ende des Jahres wären sie nicht um einen Sixpence reicher. Das wird gewiß das allerbeste sein. Ein Geschenk von fünfzig Pfund ab und an wird verhindern, daß sie in Geldnot sind, und das würde, denke ich, vollauf das Versprechen gegenüber meinem Vater erfüllen.«
»Ganz bestimmt wird es das. In der Tat bin ich, um die Wahrheit zu sagen, selbst fest überzeugt, daß dein Vater gar nicht meinte, du solltest ihnen überhaupt Geld geben. Ich möchte behaupten, die Unterstützung, an die er dachte, war nur von der Art, wie sie vernünftigerweise von dir erwartet werden konnte: zum Beispiel Ausschau halten nach einem komfortablen kleinen Haus für sie, ihnen helfen, ihre Sachen zu befördern und ihnen in der Saison Geschenke an Fisch, Wild und dergleichen zu schicken. Ich wette mein Leben, daß er an nichts weiter gedacht hat; wirklich, alles andere wäre doch höchst seltsam und unvernünftig. Überlege nur, mein lieber Dashwood, wie außerordentlich gut deine Stiefmutter und ihre Töchter von den Zinsen ihrer siebentausend Pfund leben können – und dann sind da noch die eintausend Pfund, die jedes der Mädchen besitzt und die jedem von ihnen fünfzig Pfund im Jahr einbringen; natürlich werden sie ihrer Mutter davon ihre Beköstigung bezahlen. Insgesamt werden sie zusammen fünfhundert Pfund im Jahr haben, und was in aller Welt können sich vier Frauen mehr wünschen? Sie werden so billig leben! Ihre Haushaltung wird sie so gut wie nichts kosten. Sie werden keine Kutsche, keine Pferde und kaum Dienerschaft haben; sie werden keine Bekanntschaften pflegen und können keine Nebenausgaben irgendwelcher Art haben! Denk dir nur, wie wohlversorgt sie sein werden! Fünfhundert im Jahr! Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie sie auch nur die Hälfte davon verbrauchen können; daran zu denken, ihnen noch mehr zu geben, ist völlig absurd. Sie werden viel eher imstande sein, dir etwas zu geben.«
»Auf mein Wort«, sagte Mr. Dashwood, »ich glaube, du hast vollkommen recht. Mein Vater konnte mit seiner Bitte an mich nichts weiter meinen als das, was du sagst. Mir ist das jetzt völlig klar, und ich werde meine Verpflichtungen mit solcherart Unterstützung und Gefälligkeiten erfüllen, wie du sie beschrieben hast. Wenn meine Mutter in ein anderes Haus umzieht, werde ich ihr meine Dienste, soweit es mir möglich ist, bereitwillig zur Verfügung stellen, um sie einzuquartieren. Ein kleines Geschenk an Möbeln mag dann ebenfalls willkommen sein.«
»Gewiß«, erwiderte Mrs. John Dashwood. »Eins muß jedoch bedacht werden. Als dein Vater und deine Mutter nach Norland zogen, wurden zwar die Möbel von Stanhill verkauft, doch das ganze Porzellan, Silber und Linnen haben sie behalten, und es gehört jetzt deiner Mutter. Ihr Haus wird deshalb fast vollständig ausgestattet sein, sobald sie es übernimmt.«
»Das ist zweifellos eine wichtige Überlegung. In der Tat, ein wertvolles Erbe! Und doch wäre einiges von dem Silber eine sehr erfreuliche Ergänzung für unser eigenes Inventar hier gewesen.«
»Ja, und das Frühstücksporzellan-Service ist doppelt so schön wie das zu diesem Haus gehörige. Viel zu schön, meiner Meinung nach, für jeden Ort, an dem zu leben sie sich jemals leisten können. Aber so ist es nun einmal. Dein Vater dachte nur an sie. Und ich muß dir sagen, daß du ihm keine besondere Dankbarkeit oder Beachtung seiner Wünsche schuldest, denn wir wissen sehr wohl, daß er fast alles in der Welt ihnen hinterlassen hätte, wenn es ihm nur möglich gewesen wäre.«
Dieses Argument war übermächtig. Es gab ihm die Entschlußkraft, an der es ihm zuvor gemangelt hatte; und er entschied am Ende, daß es absolut unnötig, wenn nicht gar höchst unschicklich wäre, mehr für die Witwe und die Kinder seines Vaters zu tun als solche nachbarlichen Hilfeleistungen, wie seine Gattin sie genannt hatte.
Mrs. Dashwood blieb mehrere Monate in Norland, doch tat sie das keineswegs, weil sie abgeneigt war, fortzuziehen, als der Anblick jedes wohlbekannten Fleckchens mit der Zeit nicht mehr so heftige Gefühle hervorrief, wie dies eine Zeitlang der Fall war; denn als ihre Lebensgeister allmählich wieder erwachten und sie wieder zu anderen Gedanken als zur Steigerung ihres Kummers durch schmerzliche Erinnerungen imstande war, wünschte sie ungeduldig, fortzukommen, und war unermüdlich in ihren Erkundigungen nach einem geeigneten Wohnsitz in der Nachbarschaft von Norland. Denn weit von diesem geliebten Ort fortzuziehen, war ihr unmöglich. Doch sie konnte kein Haus in Erfahrung bringen, das ihren Vorstellungen von Bequemlichkeit und Ruhe sofort entsprochen und der Umsicht ihrer ältesten Tochter zugesagt hätte, deren solideres Urteil mehrere Häuser als zu groß für ihr Einkommen zurückwies, die ihre Mutter gutgeheißen hätte.
Mrs. Dashwood war von ihrem Gatten von dem feierlichen Versprechen seines Sohnes, sie zu unterstützen, unterrichtet worden, das seinen letzten Gedanken auf Erden Trost gab. Sie zweifelte so wenig an der Aufrichtigkeit dieser Versicherung, als er es selbst getan hatte, und sie dachte um ihrer Töchter willen mit Genugtuung daran, wenngleich sie für sich selbst überzeugt war, daß sie mit viel weniger als siebentausend Pfund reichlich versorgt sein würde. Auch um ihres Stiefsohnes und seines guten Herzens willen freute sie sich; und sie machte sich Vorwürfe, daß sie ihn vorher so ungerecht eingeschätzt hatte, da sie ihn jeglicher Großzügigkeit für unfähig hielt. Sein aufmerksames Verhalten ihr und seinen Schwestern gegenüber überzeugte sie, daß ihm ihr Wohlergehen am Herzen lag, und lange Zeit vertraute sie fest auf die Großzügigkeit seiner Vorsätze.
Die Verachtung, die sie schon in einem sehr frühen Stadium ihrer Bekanntschaft für ihre Schwiegertochter empfunden hatte, steigerte sich noch beträchtlich, als sie deren Charakter während des halben Jahres ihres Aufenthaltes in der Familie noch besser kennenlernte. Und trotz aller Rücksicht auf Höflichkeit oder mütterliches Wohlwollen seitens Mrs. Dashwoods hätten es die beiden Damen vielleicht unmöglich gefunden, so lange miteinander zu leben, wäre nicht ein besonderer Umstand eingetreten, der nach Meinung von Mrs. Dashwood das weitere Verbleiben ihrer Töchter in Norland noch wünschenswerter machte.
Dieser Umstand war eine wachsende Zuneigung zwischen ihrer ältesten Tochter und dem Bruder Mrs. John Dashwoods, einem vornehmen und einnehmenden jungen Mann, dessen Bekanntschaft sie bald nach dem Einzug seiner Schwester in Norland gemacht hatten und der seitdem den größten Teil seiner Zeit dort verbracht hatte.
Einige Mütter hätten diese Vertrautheit vielleicht aus eigennützigen Motiven unterstützt, denn Edward Ferrars war der älteste Sohn eines Mannes, der sehr reich gestorben war; andere wiederum hätten sie möglicherweise aus Gründen der Vernunft unterbunden, denn außer einer geringfügigen Summe hing sein gesamtes Vermögen vom Testament seiner Mutter ab. Doch Mrs. Dashwood war von beiden Überlegungen gleichermaßen unbeeinflußt. Es genügte ihr, daß er liebenswürdig zu sein schien, daß er ihre Tochter liebte und daß Elinor seine Zuneigung erwiderte. Es widersprach all ihren Grundsätzen, daß unterschiedliche Vermögensverhältnisse ein Paar trennen sollten, das sich durch die Ähnlichkeit der Neigungen zueinander hingezogen fühlte; und daß Elinors Vorzüge nicht von jedem, der sie kannte, gewürdigt werden könnten, war nach ihrem Verständnis unmöglich.
Edward Ferrars empfahl sich ihrer guten Meinung nicht durch einen besonderen Charme in seinem Äußeren oder Benehmen. Er sah nicht besonders gut aus, und seine Umgangsformen bedurften der Vertrautheit, um sie angenehm zu machen. Er war zu schüchtern, um seine Vorzüge geltend zu machen; doch wenn er seine natürliche Zurückhaltung überwand, ließ sein Verhalten alle Anzeichen eines offenen und liebevollen Herzens erkennen. Er hatte einen guten Verstand, den seine Bildung mit solidem Wissen versehen hatte. Doch war er weder seinen Fähigkeiten noch seinen Neigungen nach geeignet, den Wünschen seiner Mutter und seiner Schwester zu entsprechen, die ihn zu gern – sie wußten kaum, als was – mit Rang und Namen sehen wollten. Sie wünschten, daß er auf irgendeine Weise eine glänzende Rolle in der Welt spielen sollte. Seine Mutter wünschte ihn an Politik zu interessieren, ihn ins Parlament zu bringen oder ihn mit einigen der bedeutenden Männer der Gegenwart in Verbindung zu sehen. Mrs. John Dashwood wünschte dies ebenfalls; doch in der Zwischenzeit, bis eine dieser höheren Segnungen erreicht werden konnte, hätte es ihren Ehrgeiz besänftigt, ihn einen Landauer fahren zu sehen. Doch Edward hatte keinen Sinn für bedeutende Männer oder Landauer. All seine Wünsche waren auf häusliche Behaglichkeit und die Ruhe eines Privatlebens gerichtet. Glücklicherweise hatte er einen jüngeren Bruder, der vielversprechender war.
Edward hatte sich schon mehrere Wochen im Hause aufgehalten, bevor er die Aufmerksamkeit Mrs. Dashwoods stärker auf sich lenkte; denn sie war in dieser Zeit so von Kummer gebeugt, daß es sie achtlos gegenüber allem machte, was sie umgab. Sie sah nur, daß er ruhig und unaufdringlich war, und sie mochte ihn dafür. Er störte ihren unglücklichen Gemütszustand nicht durch eine ungelegene Unterhaltung. Doch durch eine Bemerkung, die Elinor eines Tages zufällig über den Unterschied zwischen ihm und seiner Schwester machte, wurde sie zum erstenmal angeregt, ihn weiter zu beobachten und zu prüfen. Das war ein Gegensatz, der ihn sehr eindringlich ihrer Mutter empfahl.
»Das genügt«, erklärte sie; »zu sagen, daß er ganz anders als Fanny ist, genügt. Das schließt alles ein, was liebenswürdig ist. Ich mag ihn schon jetzt.«
»Du wirst ihn bestimmt gern haben«, sagte Elinor, »wenn du ihn noch besser kennenlernst.«
»Ihn gern haben!« erwiderte die Mutter mit einem Lächeln. »Ich kenne kein Gefühl der Wertschätzung, das geringer ist als Liebe.«
»Du könntest ihn achten.«
»Ich habe noch nie Achtung und Liebe zu trennen gewußt.«
Mrs. Dashwood bemühte sich nun, mit ihm vertraut zu werden. Ihr Verhalten ihm gegenüber war gewinnend und nahm ihm seine Zurückhaltung. Sie erkannte sehr rasch alle seine Vorzüge; das Wissen um seine achtungsvolle Zuneigung zu Elinor unterstützte vielleicht ihre Einsicht; doch sie war sich seines Wertes wirklich sicher; und selbst seine stille Art, die all ihren festen Vorstellungen davon, wie die Huldigungen eines jungen Mannes aussehen sollten, widersprach, erschien ihr nun nicht mehr reizlos, als sie erkannte, daß er ein warmes Herz und ein liebevolles Wesen besaß.
Kaum hatte sie in seinem Verhalten Elinor gegenüber Anzeichen von Liebe wahrgenommen, als sie die ernste Zuneigung der beiden zueinander auch schon als sicher betrachtete und ihre Heirat rasch herbeikommen sah.
»In wenigen Monaten, meine liebe Marianne«, sagte sie, »wird Elinor aller Wahrscheinlichkeit nach verheiratet sein. Wir werden sie vermissen, aber sie wird glücklich sein.«
»O Mama! Wie sollen wir ohne sie auskommen?«
»Meine Liebe, es wird kaum eine Trennung sein. Wir werden nur ein paar Meilen voneinander entfernt leben und jeden Tag unseres Lebens zusammenkommen. Du wirst einen Bruder gewinnen – einen wahren, liebevollen Bruder. Ich habe die höchste Meinung der Welt von Edwards Herzen. Aber du siehst ernst aus, Marianne; bist du nicht einverstanden mit der Wahl deiner Schwester?«
»Vielleicht«, sagte Marianne, »überrascht es mich doch ein wenig. Edward ist ganz reizend, und ich liebe ihn von Herzen. Und doch ist er nicht, wie ein junger Mann sein sollte – da fehlt etwas, seine Erscheinung ist nicht eindrucksvoll, sie hat nichts von dem Charme, den ich bei dem Mann erwarten würde, der meine Schwester ernsthaft für sich einnehmen könnte. Seine Augen lassen all die Lebhaftigkeit, das Feuer vermissen, die zugleich Tugend und Intelligenz verkünden. Und zu alledem, Mama, fürchte ich, daß er keinen wirklichen Geschmack hat. Musik scheint ihn kaum zu fesseln, und obgleich er Elinors Zeichnungen sehr bewundert, ist es nicht die Bewunderung eines Menschen, der ihren Wert erkennen kann. Es ist offensichtlich, daß er, obgleich er ihr beim Malen häufig aufmerksam zusieht, tatsächlich nichts von der Sache versteht. Er bewundert als Liebender, nicht als Kenner. Um mich zu befriedigen, müßten diese Eigenschaften vereint sein. Ich könnte nicht glücklich sein mit einem Mann, dessen Geschmack nicht in jedem Punkt mit meinem eigenen übereinstimmt. Er muß sich in alle meine Gefühle hineinversetzen können; die gleichen Bücher, die gleiche Musik müssen uns beide entzücken. O Mama, wie unbeseelt, wie gesetzt war Edwards Vortrag, als er uns gestern abend vorlas! Elinor hat mir unendlich leid getan. Doch sie ertrug es mit soviel Fassung, sie schien es kaum zu bemerken. Ich konnte mich fast nicht auf meinem Platz halten. Diese wunderbaren Verse, die mich oft ganz wild gemacht haben, mit einer so unerschütterlichen Ruhe, einer so schrecklichen Gleichgültigkeit gesprochen zu hören!«
»Er wäre sicher einem einfachen, eleganten Prosawerk besser gerecht geworden. Ich hatte das damals auch gedacht; aber du wolltest ihm ja unbedingt Cowper geben.«
»Nein, Mama, wenn ihn nicht einmal Cowper animiert! Aber wir müssen bedenken, daß die Neigungen der Menschen verschieden sind. Elinor fühlt nicht so wie ich, und deshalb mag sie vielleicht darüber hinwegsehen und glücklich mit ihm sein. Aber wenn ich ihn lieben würde, hätte es mir das Herz gebrochen, ihn mit so wenig Gefühl lesen zu hören. Mama, je mehr ich von der Welt sehe, desto mehr bin ich überzeugt, daß ich niemals einem Mann begegnen werde, den ich wirklich lieben kann. Ich verlange so viel! Er muß Edwards sämtliche Vorzüge haben, und seine Erscheinung und seine Umgangsformen müssen seiner Güte höchsten Charme verleihen.«
»Vergiß nicht, meine Liebe, daß du noch keine siebzehn Jahre alt bist. Es ist noch zu früh im Leben, an einem solchen Glück zu verzweifeln. Warum solltest du weniger Glück haben als deine Mutter? In einem Umstand nur, meine liebe Marianne, möge dein Schicksal anders sein als das meine!«
»Wie schade, Elinor«, sagte Marianne, »daß Edward keinen Sinn für die Zeichenkunst hat.«
»Keinen Sinn für die Zeichenkunst«, erwiderte Elinor, »warum denkst du das? Er zeichnet nicht selbst, das nicht, aber er hat großes Vergnügen daran, die Werke anderer Leute zu betrachten; und ich versichere dir, es mangelt ihm keineswegs an natürlichem Geschmack, er hatte nur keine Gelegenheit, ihn zu vervollkommnen. Hätte er jemals die Möglichkeit gehabt, es zu lernen, würde er gewiß sehr gut zeichnen. Er mißtraut seinem eigenen Urteil in solchen Dingen so sehr, daß er stets abgeneigt ist, seine Meinung zu einem Bild abzugeben; aber er besitzt eine angeborene Eigenheit und Klarheit des Geschmacks, die ihn im allgemeinen vollkommen richtig leiten.«
Marianne fürchtete, sie zu kränken, und sagte nichts weiter dazu; doch diese Art Beifall, die Elinor meinte, als sie von seiner Freude an den Zeichnungen anderer Leute sprach, war weit entfernt von diesem höchsten Entzücken, das man nach ihrer Meinung allein einen wirklichen Sinn für etwas haben nennen könnte. Doch obgleich sie innerlich über diesen Irrtum lächelte, respektierte sie doch die blinde Parteilichkeit für Edward, die ihn hatte aufkommen lassen.
»Ich hoffe, Marianne«, fuhr Elinor fort, »du glaubst nicht, daß es ihm ganz allgemein an Geschmack mangelt. Ich möchte sogar sagen, daß du das gar nicht kannst, denn dein Verhalten ihm gegenüber ist durchaus freundlich und offenherzig, und wenn du wirklich der Meinung wärst, er habe keinen Geschmack, würdest du bestimmt niemals so höflich zu ihm sein.«
Marianne wußte kaum, was sie darauf sagen sollte. Sie wollte auf keinen Fall die Gefühle ihrer Schwester verletzen. Und doch war es ihr unmöglich, etwas zu sagen, was sie nicht selbst glaubte. Schließlich erwiderte sie: »Sei nicht gekränkt, Elinor, wenn mein Lob für ihn nicht in allem deinem Verständnis für seine Verdienste gleicht. Ich habe nicht so oft Gelegenheit gehabt, seine kleineren Eigenheiten, seine Neigungen und seinen Geschmack zu beurteilen wie du, aber ich habe die höchste Meinung der Welt von seiner Güte und seinem Verstand. Ich halte ihn für außerordentlich achtbar und liebenswürdig.«
»Ich bin sicher«, erwiderte Elinor mit einem Lächeln, »daß selbst seine liebsten Freunde nicht unzufrieden wären mit einem solchen Lob. Ich wüßte nicht, wie du noch wärmere Worte finden könntest.«
Marianne freute sich, daß ihre Schwester so leicht zufriedenzustellen war.
»Über seine Vernunft und seine Güte, denke ich«, fuhr Elinor fort, »kann niemand im Zweifel sein, der oft genug mit ihm zusammen war, um sich mit ihm ungezwungen unterhalten zu können. Seine ausgezeichneten Kenntnisse und Grundsätze können allein durch jene Scheu verborgen bleiben, die ihn allzu oft schweigen läßt. Du kennst ihn genug, um seinen ganzen Wert zu würdigen. Aber von seinen kleineren Eigenheiten, wie du es nennst, hast du wegen der besonderen Umstände weniger erfahren als ich. Ich bin mit ihm sehr häufig zusammengekommen, während du in so liebevoller Weise vollkommen von unserer Mutter in Anspruch genommen warst. Ich habe ihn sehr viel gesehen, habe einen Einblick in seine Gedanken und Empfindungen gewonnen und seine Meinungen über Literatur und Dinge des Geschmacks gehört; und im ganzen gesehen wage ich zu behaupten, daß er vielseitig gebildet ist, daß sein Vergnügen an Büchern außerordentlich groß ist, daß er eine lebhafte Vorstellungskraft besitzt, daß seine Beobachtungen gerecht und richtig sind und daß er einen feinsinnigen, unverfälschten Geschmack hat. Seine Fähigkeiten ebenso wie seine Umgangsformen und seine Erscheinung gewinnen bei näherem Kennenlernen in jeder Hinsicht. Auf den ersten Blick ist sein Benehmen gewiß nicht eindrucksvoll, und man kann ihn kaum gutaussehend nennen, bis man den Ausdruck seiner Augen, die ungewöhnlich angenehm sind, und seine so liebenswürdigen Gesichtszüge wahrnimmt. Ich kenne ihn jetzt so gut, daß ich finde, er sieht wirklich gut aus – oder zumindest fast. Was sagst du dazu, Marianne?«
»Ich werde ihn sehr bald auch gutaussehend finden, Elinor, wenn du mir sagst, ich soll ihn als Schwager lieben; dann werde ich an seinem Gesicht genausowenig Unvollkommenheiten sehen, wie ich sie jetzt in seinem Herzen sehe.«
Elinor erschrak bei dieser Erklärung, und sie bereute den Eifer, zu dem sie sich hatte verleiten lassen, als sie von ihm sprach. Sie fühlte, daß sie eine sehr hohe Meinung von Edward hatte. Sie glaubte auch, daß diese freundschaftlichen Empfindungen gegenseitig waren; doch sie brauchte größere Gewißheit, um Mariannes Überzeugung, daß sie einander liebten, gern zu hören. Sie wußte, daß Marianne und ihre Mutter diejenigen Dinge, die sie in einem Moment vermuteten, im nächsten Moment glaubten – daß für sie, etwas zu wünschen, zu erhoffen bedeutete, und etwas zu erhoffen, es erwarten hieß. Sie versuchte, ihrer Schwester den tatsächlichen Stand der Dinge zu erklären.
Ich will nicht leugnen«, sagte sie, »daß ich sehr viel von ihm halte – daß ich ihn außerordentlich schätze, daß ich ihn gern habe.«
Marianne barst vor Empörung: »Ihn schätzen! Ihn gern haben! Kaltherzige Elinor. Ach, schlimmer als kaltherzig! Schämt sich, anders zu erscheinen. Gebrauche diese Worte noch einmal, und ich verlasse augenblicklich das Zimmer.«
Elinor mußte lachen. »Entschuldige«, sagte sie, »und sei versichert, ich wollte dich nicht beleidigen, als ich so ruhig über meine Gefühle sprach. Denke sie dir stärker, als ich sie erklärt habe; denke sie dir, kurz gesagt, so, wie es seine Vorzüge und der Verdacht – die Hoffnung auf seine Zuneigung zu mir es rechtfertigen mögen, ohne jede Unbesonnenheit oder Torheit. Aber an mehr als das darfst du nicht glauben. Ich bin keineswegs seiner freundschaftlichen Gefühle mir gegenüber gewiß. Es gibt Augenblicke, in denen der Grad seiner Freundschaft zweifelhaft scheint; und solange ich seine Gefühle nicht ganz und gar kenne, darfst du dich nicht wundern, daß ich jede Bestärkung meiner eigenen Eingenommenheit für ihn vermeiden möchte und deshalb nicht mehr glaube oder in Worte fasse, als da ist. In meinem Herzen fühle ich wenig – fast keine – Zweifel an seiner Neigung zu mir. Aber da gibt es noch anderes zu bedenken als nur seine Zuneigung. Er ist weit davon entfernt, unabhängig zu sein. Was seine Mutter wirklich für eine Frau ist, wissen wir nicht. Aber aus Fannys gelegentlichen Bemerkungen über ihr Verhalten und ihre Meinungen hatten wir nie Anlaß, sie für angenehm zu halten; und ich müßte mich sehr irren, wenn Edward sich nicht selbst bewußt ist, daß es da viele Schwierigkeiten für ihn geben würde, wenn er eine Frau heiraten wollte, die weder ein großes Vermögen noch einen hohen Rang besitzt.«
Marianne stellte erstaunt fest, wie sehr doch die Vorstellungen ihrer Mutter und ihre eigenen über den wahren Sachverhalt hinausgeschossen waren.
»Und du bist wirklich nicht mit ihm verlobt!« sagte sie. »Doch das wird bestimmt bald geschehen. Aber zwei Vorteile werden sich aus dieser Verzögerung ergeben. Ich werde dich nicht so schnell verlieren, und Edward wird mehr Gelegenheit haben, den natürlichen Geschmack an deiner Lieblingsbeschäftigung zu verbessern, der so unbedingt notwendig für dein zukünftiges Glück sein muß. Ach, wenn er durch dein Talent so weit angeregt würde, selbst zeichnen zu lernen, wie wunderbar wäre das!«
Elinor hatte ihrer Schwester ihre wirkliche Meinung dazu gesagt. Sie konnte ihre Eingenommenheit für Edward nicht in einem so günstigen Licht sehen, wie es Marianne getan hatte. Es schien zuweilen, als fehle es ihm an Lebensfreude, und das sprach – wenn es nicht ein Zeichen von Gleichgültigkeit war – von etwas beinahe ebenso Hoffnungslosem. Angenommen, er fühlte wirklich Zweifel an ihrer Zuneigung, so hätte ihm das doch nicht mehr als Unruhe bereiten dürfen. Es wäre unwahrscheinlich, daß bloße Zweifel eine Niedergeschlagenheit hervorrufen würden, wie sie ihn häufig befiel. Einen plausibleren Grund könnte man in seiner abhängigen Lage vermuten, die ihm verbot, seiner Liebe nachzugeben. Sie wußte, daß sich seine Mutter ihm gegenüber zur Zeit weder in einer Weise verhielt, die ihm sein Zuhause angenehm machte, noch daß sie ihm irgendeine Zusicherung geben würde, daß er selbst ein Heim gründen könne, ohne sich strikt nach ihren Vorstellungen für sein Emporkommen richten zu müssen. Da Elinor das wußte, war es ihr unmöglich, in diesem Punkt unbeschwert zu sein. Sie war weit davon entfernt, auf dasjenige Ergebnis seiner Zuneigung zu ihr zu bauen, das ihre Mutter und ihre Schwester noch immer als sicher betrachteten. Ja, je länger sie zusammen waren, desto zweifelhafter schien ihr die Art seiner Zuneigung; und manchmal, während einiger quälender Minuten, glaubte sie, daß es nicht mehr als nur Freundschaft sei.
Doch wie weit diese Zuneigung auch immer gehen mochte, es war genug, um seine Schwester zu beunruhigen, als sie es bemerkte, und sie gleichzeitig – was noch üblicher bei ihr war – unhöflich werden zu lassen. Sie ergriff die erste Gelegenheit, ihrer Schwiegermutter aus diesem Anlaß offen entgegenzutreten, und sie sprach so ausdrücklich von den großen Erwartungen ihres Bruders, von Mrs. Ferrars Entschlossenheit, daß ihre beiden Söhne gute Partien machen sollten, und von den Gefahren, denen sich eine jede junge Frau aussetze, die versuche, ihn einzuwickeln, daß sich Mrs. Dashwood weder unwissend stellen noch um Ruhe bemühen konnte. Sie gab ihr eine Antwort, die ihre Verachtung zum Ausdruck brachte, und verließ augenblicklich das Zimmer; und sie beschloß – wie groß auch die Unbequemlichkeiten und Ausgaben eines so plötzlichen Auszuges sein mochten –, daß ihre geliebte Elinor keine weitere Woche solchen Anspielungen ausgesetzt sein sollte.
Während sie sich in diesem Gemütszustand befand, wurde ihr mit der Post ein Brief zugestellt, der gerade zur rechten Zeit einen Vorschlag für sie enthielt. Es ging um das Angebot eines kleinen Hauses zu sehr günstigen Bedingungen, das einem Verwandten von ihr gehörte, einem Herrn von Einfluß und Vermögen. Der Brief kam von diesem Herrn selbst und war in wahrem Geist freundlichen Entgegenkommens geschrieben. Wie er hörte, benötige sie eine Wohnung, und obgleich das Haus, das er ihr jetzt anbiete, nur ein kleines Landhaus sei, versicherte er ihr, daß alles, was sie für nötig befand, daran vorgenommen werden sollte, falls ihr seine Lage gefiele. Er drängte sie, nachdem er ihr die näheren Angaben zu dem Haus und dem Garten gemacht hatte, ernsthaft, mit ihren Töchtern nach Barton Park, dem Ort seines eigenen Wohnsitzes, zu kommen, von wo sie selbst beurteilen könne, ob Barton Cottage – denn die Häuser lägen in der gleichen Gemeinde – durch irgendwelche Veränderungen zu ihrem Wohlbefinden hergerichtet werden könne. Er schien tatsächlich sehr bestrebt, ihnen eine Unterkunft zu bieten, und der ganze Brief war in einem so freundlichen Ton geschrieben, daß er nicht verfehlen konnte, seiner Cousine eine große Freude zu machen – ganz besonders in einem Augenblick, da sie unter dem kalten und gefühllosen Verhalten ihrer viel näheren Angehörigen litt. Sie benötigte keine Zeit für weitere Überlegungen oder Erkundigungen. Ihr Entschluß wurde noch während des Lesens gefaßt. Die Lage von Barton in einer von Sussex so weit entfernten Grafschaft wie Devonshire, die noch ein paar Stunden zuvor ausreichend gewesen wäre, um jeden möglichen Vorteil, den dieser Ort sonst bot, außer acht zu lassen, empfahl ihn nun an erster Stelle. Die Nachbarschaft von Norland zu verlassen, war jetzt kein Unglück mehr, sondern sogar wünschenswert; es war ein Segen im Vergleich mit dem elenden Zustand, weiterhin Gast ihrer Schwiegertochter zu sein; und von dem geliebten Ort für immer fortzuziehen würde weniger schmerzlich sein, als ihn zu bewohnen oder zu besuchen, während eine solche Frau seine Herrin war. Sie schrieb sofort an Sir John Middleton, dankte ihm für seine Freundlichkeit und erklärte ihm, daß sie mit seinem Vorschlag einverstanden sei; und dann eilte sie, ihren Töchtern beide Briefe zu zeigen, um sich ihrer Zustimmung zu versichern, bevor die Antwort abgeschickt würde.
Elinor hatte immer schon gemeint, daß es klüger für sie wäre, sich in einiger Entfernung von Norland niederzulassen als unmittelbar zwischen ihren gegenwärtigen Bekannten. Was das betraf, hatte sie also keinen Grund, der Absicht ihrer Mutter, nach Devonshire zu ziehen, entgegenzutreten. Auch war das Haus, wie Sir John es beschrieb, von so schlichten Ausmaßen und die Pacht so ungemein niedrig, daß sie in keinem der Punkte ein Recht zum Einspruch haben konnte; und obgleich dieser Plan keinen Reiz für sie hatte und es keineswegs ihr Wunsch war, so weit von Norland fortzuziehen, unternahm sie deshalb keinen Versuch, ihrer Mutter davon abzuraten, den Brief mit ihrer Zustimmung abzuschicken.
Kaum war ihre Antwort abgesandt, als sich Mrs. Dashwood auch schon das Vergnügen machte, ihrem Stiefsohn und seiner Gattin anzukündigen, daß ihr ein Haus zur Verfügung stehe und sie ihnen nun nicht mehr länger zur Last fallen würde, als bis alles für sie bereit war, um es zu bewohnen.– Sie hörten es mit Verwunderung. Mrs. John Dashwood sagte nichts; doch ihr Gatte gab höflich seiner Hoffnung Ausdruck, daß sie sich doch wohl nicht weit von Norland niederlassen würden. Es verschaffte ihr große Genugtuung zu erwidern, daß sie nach Devonshire zögen. Als Edward das hörte, wandte er sich ihr hastig zu und wiederholte in einem Ton der Überraschung und Beunruhigung, der für sie keinerlei Erklärung bedurfte: »Devonshire! Ziehen Sie tatsächlich dorthin? So weit weg von hier? Und in welchen Teil von Devonshire?« Sie erklärte ihm die Lage. Es war vier Meilen nördlich von Exeter.
»Es ist zwar nur ein kleines Landhaus«, fuhr sie fort, »aber ich hoffe, viele meiner Freunde darin zu empfangen. Ein paar Räume können leicht angebaut werden; und wenn meine Freunde keine Schwierigkeiten haben, so weit zu reisen, um mich zu besuchen, dann werde ich gewiß auch keine haben, sie unterzubringen.«
Sie schloß mit einer sehr freundlichen Einladung an Mr. und Mrs. John Dashwood, sie in Barton zu besuchen; und Edward bedachte sie mit einer noch liebenswürdigeren Einladung. Obgleich ihre letzte Unterhaltung mit ihrer Schwiegertochter sie zu dem Entschluß hatte kommen lassen, nicht länger als unvermeidbar in Norland zu bleiben, hatte dieses Gespräch bei ihr nicht die geringste Wirkung in dem Punkt hervorgebracht, auf den es hauptsächlich gerichtet gewesen war. Edward und Elinor zu trennen lag ihr ebenso fern wie zuvor; und sie wollte Mrs. John Dashwood mit dieser absichtlich deutlichen Einladung an ihren Bruder zeigen, daß sie deren Mißbilligung einer Verbindung nicht die allergeringste Beachtung schenkte.
Mr. John Dashwood sagte seiner Mutter immer wieder, wie außerordentlich leid es ihm tue, daß sie ein Haus genommen habe, das so weit von Norland entfernt lag und ihm somit jede Möglichkeit nehme, ihr beim Umziehen behilflich zu sein. Ihn plagte bei dieser Sache wirklich das Gewissen; denn gerade die Leistung, auf die er die Erfüllung des Versprechens gegenüber seinem Vater beschränkt hatte, war durch diese Regelung undurchführbar geworden. – Die Einrichtung wurde auf dem Wasserwege geschickt. Sie bestand in der Hauptsache aus Haushaltswäsche, Silberzeug, Porzellan und Büchern und Mariannes hübschem Klavier. Mrs. John Dashwood sah die Pakete mit einem Seufzer das Haus verlassen; sie konnte nicht umhin, es als Zumutung zu empfinden, daß Mrs. Dashwood irgendwelche schönen Gegenstände besitzen sollte, da ihr Einkommen doch so gering im Vergleich mit ihrem eigenen sein würde.
Mrs. Dashwood übernahm das Haus für ein Jahr; es war fertig eingerichtet, und sie konnte es sofort in Besitz nehmen. Es gab auf keiner Seite Schwierigkeiten bei den Vereinbarungen; und sie wartete nur auf die Regelung ihrer persönlichen Habe in Norland und die ihres zukünftigen Haushalts, bevor sie sich auf den Weg nach Westen machte. Und da sie außerordentlich flink war in der Ausführung all dessen, woran ihr lag, war das bald getan. – Die Pferde, die ihr Gatte ihr hinterlassen hatte, waren bald nach seinem Tod verkauft worden, und da sich jetzt eine Gelegenheit bot, sich ihrer Kutsche zu entledigen, erklärte sie sich auf den dringenden Rat ihrer ältesten Tochter hin bereit, diese ebenfalls zu verkaufen. Wäre es nur nach ihren eigenen Wünschen gegangen, hätte sie die Kutsche für die Bequemlichkeit ihrer Kinder behalten; doch die Umsicht Elinors behielt die Oberhand. Ihre Klugheit beschränkte auch die Anzahl ihrer Bediensteten auf drei – zwei Mädchen und einen Mann, die bald aus den Reihen derer ausgewählt waren, die zuvor zum Bestand ihres Haushalts in Norland gehört hatten.
Der Mann und eins der Mädchen wurden sofort nach Devonshire geschickt, um das Haus für die Ankunft ihrer Herrin bereitzumachen; denn da Lady Middleton Mrs. Dashwood gänzlich unbekannt war, zog sie es vor, direkt ihr Haus zu beziehen, statt als Besucher zuerst nach Barton Park zu gehen; und sie vertraute so unbedingt Sir Johns Beschreibung des Hauses, daß sie keine Neugier verspürte, es selbst zu besichtigen, bevor sie es als ihr eigen betrat. Ihre Ungeduld, von Norland fortzukommen, wurde in keiner Weise abgeschwächt, da sie die offensichtliche Zufriedenheit ihrer Schwiegertochter bei der Aussicht auf ihr Fortziehen bemerkte, die sie nur schwach unter einer kühlen Einladung, ihre Abreise doch noch zu verschieben, zu verbergen suchte. Nun war die Zeit gekommen, da ihr Stiefsohn das Versprechen, das er seinem Vater gegeben hatte, in angemessener Weise erfüllen mochte. Da er versäumt hatte, dies gleich nach seiner Ankunft auf dem Gut zu tun, mußte nun ihr Fortgang als der passendste Zeitpunkt dafür angesehen werden. Doch Mrs. Dashwood gab bald alle Hoffnungen dieser Art auf und schloß aus der Richtung, die seine Reden im allgemeinen zu nehmen pflegten, daß seine Unterstützung nicht über ihren sechs Monate währenden Unterhalt in Norland hinausgehen würde. Er sprach so häufig von den steigenden Ausgaben für die Haushaltung und den beständigen Forderungen an seinen Geldbeutel, denen ein Mann von einiger Bedeutung in der Welt in unberechenbarer Weise ausgesetzt sei, daß er eher selbst mehr Geld zu benötigen schien, als daß er vielleicht vorhaben könnte, welches fortzugeben.
Nur sehr wenige Wochen nach dem Tag, der Sir John Middletons ersten Brief nach Norland brachte, war in ihrem zukünftigen Wohnsitz alles so weit geregelt, daß sich Mrs. Dashwood und ihre Töchter auf die Reise machen konnten.
So manche Träne wurde bei ihrem letzten Lebewohl von einem so sehr geliebten Ort vergossen. »Liebes, liebes Norland!« sagte Marianne, als sie am letzten Abend ihres Aufenthaltes dort allein vor dem Haus umherwanderte; »wann werde ich aufhören, dir nachzutrauern – wann lernen, mich woanders zu Hause zu fühlen? – Ach, glückliches Haus! Wüßtest du, was ich leide, da ich dich jetzt von diesem Platz aus betrachte, von dem ich dich vielleicht nie mehr betrachten werde! – Und ihr, ihr wohlbekannten Bäume! – Doch ihr werdet die gleichen bleiben. – Kein Blatt wird verwelken, weil wir fort sind, und kein Zweig aufhören, sich zu regen, obgleich wir euch nicht mehr anschauen können! – Nein, ihr werdet unverändert bleiben; nichts ahnend von der Freude oder der Trauer, die ihr hervorruft, und unberührt von allen Veränderungen derer, die unter eurem Schatten wandeln!– Aber wer wird bleiben, um sich eurer zu erfreuen?«
Der erste Teil ihrer Reise wurde in einer zu traurigen Stimmung zurückgelegt, als daß er anders als ermüdend und unerfreulich hätte sein können. Doch als sie sich dem Ziel näherten, ließ ihr Interesse an der Landschaft der Gegend, in der sie nun leben sollten, ihre Niedergeschlagenheit schwinden, und der Blick auf Barton Valley, der sich ihnen bei der Einfahrt ins Tal darbot, stimmte sie wieder heiter. Es war ein erfreuliches, fruchtbares Fleckchen Erde, schön bewaldet und mit reichem Weideland. Nachdem sie über eine Meile der sich dahinwindenden Straße gefolgt waren, erreichten sie ihr Haus. Ein kleiner Vorgarten mit einem Rasen war alles, was vorn zu dem Anwesen gehörte; und ein hübsches Pförtchen bot ihnen Einlaß.
Als Wohnhaus war Barton Cottage, wenn auch klein, so doch komfortabel und solide gebaut; aber als englisches Landhaus war es unzulänglich, denn das Gebäude hatte eine ganz regelmäßige Form, das Dach war mit Ziegeln gedeckt, die Fensterläden waren nicht grün gestrichen, auch waren die Wände nicht mit Geißblatt bewachsen. Ein schmaler Gang führte direkt durch das Haus in den Garten dahinter. Auf jeder Seite des Eingangs befand sich ein Wohnzimmer von etwa fünfzehn Quadratmetern, dahinter waren die Wirtschaftsräume und die Treppe. Vier Schlafzimmer und zwei Dachkammern bildeten den Rest des Hauses. Es war erst vor einigen Jahren gebaut worden und befand sich in gutem Zustand. Im Vergleich zu Norland war es in der Tat kümmerlich und klein! Doch die Tränen, die die Erinnerung hervorrief, als sie das Haus betraten, waren bald getrocknet. Sie wurden wieder aufgeheitert durch die Freude der Dienstboten bei ihrer Ankunft, und jede von ihnen beschloß um der anderen willen, froh zu erscheinen. Es war in den ersten Tagen des September, und da das schöne Wetter zu dieser Zeit dem Ort ein besonders vorteilhaftes Aussehen verlieh, gewannen sie einen günstigen ersten Eindruck, der wesentlich dazu beitrug, daß er ihren dauerhaften Beifall fand.
Das Haus war schön gelegen. Direkt dahinter erhoben sich in geringer Entfernung zu beiden Seiten mächtige Hügel, von denen einige unkultiviert, andere aber bestellt oder bewaldet waren. Der größte Teil des Dorfes Barton lag auf einem dieser Hügel und bot von den Fenstern des Hauses aus einen erfreulichen Anblick. Vorn hatte man einen weiteren Blick, er umfaßte das ganze Tal und reichte bis in das Gebiet jenseits davon. Die Hügel, die das Landhaus umgaben, begrenzten das Tal in dieser Richtung; unter einem anderen Namen und mit einem anderen Verlauf verbreiterte es sich wieder zwischen zwei der steilsten Hügel.
Mit der Größe und der Einrichtung des Hauses war Mrs. Dashwood im ganzen gesehen durchaus zufrieden; denn obgleich ihr früherer Lebensstil viele Ergänzungen daran unerläßlich machte, hatte sie an solchen Erweiterungen und Verbesserungen auch ihre Freude; und sie hatte derzeit genügend Geld zur Verfügung, um alles zu beschaffen, was den Zimmern an größerer Eleganz fehlte. »Was das Haus selbst betrifft«, sagte sie, »so ist es natürlich zu klein für unsere Familie, aber wir werden es uns im Augenblick leidlich bequem darin machen, da es für Erweiterungen schon zu spät im Jahr ist. Vielleicht können wir im Frühjahr, wenn ich – wie ich es sicher glaube – reichlich Geld beisammen habe, an Bauen denken. Diese Wohnzimmer sind beide zu klein für alle unsere Freunde, wie ich sie hier oft zu versammeln hoffe; und ich habe mir schon überlegt, daß man in das eine Zimmer den Gang und vielleicht einen Teil des anderen Zimmers einbeziehen und den Rest dieses Zimmers als Eingang belassen könnte. Das, zusammen mit einem neuen Salon, der leicht angebaut werden könnte, einem weiteren Schlafzimmer und einer Dachkammer, wird das Haus zu einem sehr behaglichen kleinen Landhaus machen. Ich wünschte, die Treppe wäre schöner. Aber man darf nicht alles erwarten, obgleich ich nicht annehme, daß es schwierig sein würde, sie zu verbreitern. Ich werde sehen, wie ich im Frühjahr dastehe, und danach werden wir dann planen.«
In der Zwischenzeit, bis all diese Änderungen von den Ersparnissen eines Einkommens von fünfhundert Pfund im Jahr vorgenommen werden konnten – von einer Frau, die niemals in ihrem Leben gespart hatte –, waren sie klug genug, mit dem Haus zufrieden zu sein, wie es war; und alle waren sie nun damit beschäftigt, ihre eigenen Angelegenheiten zu ordnen und sich mit ihren Büchern und anderen Besitztümern zu umgeben, in dem Bemühen, sich ein Heim zu schaffen. Mariannes Klavier wurde ausgepackt und ordnungsgemäß aufgestellt und Elinors Zeichnungen an den Wänden des Wohnzimmers angebracht.
Bei diesen Tätigkeiten wurden sie am nächsten Tag bald nach dem Frühstück durch das Erscheinen ihres Hauswirts unterbrochen, der vorbeikam, um sie in Barton willkommen zu heißen und ihnen alle Bequemlichkeiten seines eigenen Hauses und Gartens anzubieten, an denen es ihnen in Barton Cottage zur Zeit vielleicht mangele. Sir John Middleton war ein gutaussehender Mann von etwa vierzig Jahren. Er hatte sie früher in Stanhill auch besucht, doch es war zu lange her für seine jungen Verwandten, um sich an ihn zu erinnern. Er hatte ein ganz und gar gutmütiges Gesicht, und seine Umgangsformen waren ebenso freundlich wie der Stil seines Briefes. Ihre Ankunft schien ihm wirkliche Befriedigung zu verschaffen und ihre Bequemlichkeit wirklich am Herzen zu liegen. Er sprach viel von seinem aufrichtigen Wunsch, daß sie mit seiner Familie einen lebhaften geselligen Umgang pflegen mögen, und drängte sie so herzlich, jeden Tag in Barton Park zum Dinner zu kommen, bis sie sich in ihrem Haus besser eingerichtet hätten, daß sie ihn – obgleich er seine dringenden Bitten mit einer die Grenzen der Höflichkeit überschreitenden Beharrlichkeit vorbrachte – nicht kränken konnten. Seine Gefälligkeit beschränkte sich jedoch nicht auf Worte, denn schon eine Stunde, nachdem er sie verlassen hatte, kam ein großer Korb voll mit Gartenerzeugnissen und Früchten von Barton Park an, dem vor Ende des Tages ein Geschenk an Wildbret folgte. Er bestand außerdem darauf, alle ihre Briefe zur Post und von der Post für sie zu befördern, und wollte es sich nicht nehmen lassen, ihnen jeden Tag seine Zeitung zu schicken.
Lady Middleton hatte durch ihn eine sehr höfliche Nachricht überbringen lassen, wonach sie beabsichtigte, Mrs. Dashwood, sobald sie gewiß sein könne, daß ihr Besuch nicht ungelegen käme, ihre Aufwartung zu machen; und da auf diese Nachricht eine gleichermaßen höfliche Einladung folgte, wurde ihnen Ihre Ladyschaft am nächsten Tag vorgestellt.
Sie waren natürlich sehr begierig darauf, die Person zu sehen, von der ihr Wohlergehen in Barton in so hohem Maße abhängen mußte; und die Vornehmheit ihrer Erscheinung gefiel ihnen sehr. Lady Middleton war nicht älter als sechs-oder siebenundzwanzig Jahre; sie hatte ein schönes Gesicht, eine hohe, eindrucksvolle Gestalt und anmutige Manieren. Ihr Benehmen hatte all die Vornehmheit, an der es ihrem Gatten mangelte, doch hätte es sehr gewonnen, wenn ihm nur ein Teil seiner Freimütigkeit und Wärme eigen gewesen wäre; und ihr Besuch dauerte lange genug, um die erste Bewunderung etwas zu schmälern, da er ihnen zeigte, daß sie zwar vollkommen gebildet und wohlerzogen, doch reserviert und kalt war und außer den gewöhnlichsten Fragen und Bemerkungen nichts zu sagen wußte, das für sie sprach.
Unterhaltung war jedoch gar nicht nötig, denn Sir John war sehr redselig, und Lady Middleton hatte die weise Vorkehrung getroffen, ihr ältestes Kind mitzubringen, einen zarten kleinen Jungen von etwa sechs Jahren; das gab ein Thema, auf das die Damen im Notfall immer wieder zurückgreifen konnten, denn sie mußten nach seinem Namen und seinem Alter fragen, seine Schönheit bewundern und ihm Fragen stellen, die dann seine Mutter für ihn beantwortete; dabei drängte er sich zur großen Überraschung Ihrer Ladyschaft an sie und hielt den Kopf gesenkt, und sie wunderte sich über seine Schüchternheit vor anderen Leuten, da er doch zu Hause Lärm genug machen konnte. Bei jedem förmlichen Besuch sollte eben ein Kind dabeisein, um Stoff für die Unterhaltung zu liefern. Im gegenwärtigen Fall brauchte es zehn Minuten, um zu entscheiden, ob der Junge mehr seinem Vater oder mehr seiner Mutter ähnelte, und in welchen speziellen Einzelheiten er schließlich beiden glich; denn jeder hatte natürlich eine andere Meinung, und jeder war erstaunt über die Meinung der anderen.
Den Dashwoods sollte bald Gelegenheit gegeben werden, Erörterungen über die übrigen Kinder anzustellen, da Sir John das Haus nicht verließ, ohne sich ihres Versprechens zu versichern, am nächsten Tag nach Barton Park zum Dinner zu kommen.
Barton Park war etwa eine halbe Meile von Barton Cottage entfernt. Die Damen waren auf ihrem Weg durch das Tal nahe daran vorbeigekommen, doch zu Hause war es durch den Vorsprung eines Hügels vor ihrem Blick verborgen. Es war ein großes schönes Gebäude, und der Lebensstil der Middletons zeichnete sich gleichermaßen durch Gastfreundlichkeit und Eleganz aus – das erstere zur Befriedigung von Sir John und das letztere zu der seiner Gattin. Sie waren kaum jemals ohne einige Freunde, die bei ihnen im Hause logierten, und sie hatten mehr Gäste aller Art als irgendeine andere Familie in der Nachbarschaft. Es war notwendig für das Glück beider; denn wie verschieden sie in ihren Veranlagungen und ihrem Verhalten gegenüber anderen auch waren, so sehr ähnelten sie einander in ihrem gänzlichen Mangel an Talenten und Neigungen, was ihre Beschäftigungen, soweit sie nicht mit ihrem gesellschaftlichen Verkehr zu tun hatten, in einem sehr engen Rahmen hielt. Sir John war Jäger, Lady Middleton Mutter. Er ging auf die Jagd, und sie befriedigte die Launen ihrer Kinder; dies waren ihre einzigen Unterhaltungen. Lady Middleton hatte den Vorteil, ihre Kinder das ganze Jahr über verwöhnen zu können, während Sir Johns eigene Beschäftigungen nur in der Hälfte der Zeit möglich waren. Doch ständige Unternehmungen, zu Hause oder auswärts, ersetzten all ihre Unzulänglichkeiten in Veranlagung und Bildung, sorgten für die gute Stimmung von Sir John und gaben seiner Gattin Gelegenheit, ihre gute Kinderstube zur Geltung zu bringen.
Lady Middleton hielt sich etwas auf die Eleganz ihrer Tafel und all ihrer häuslichen Einrichtungen zugute, und aus dieser Art Eitelkeit schöpfte sie ihr größtes Vergnügen bei jeder ihrer Gesellschaften. Doch Sir Johns Befriedigung an geselligem Verkehr war sehr viel realer; er hatte seine Freude daran, mehr junge Leute in seinem Haus um sich zu versammeln, als es aufnehmen konnte, und je lauter sie waren, desto besser gefiel es ihm. Er war ein Segen für die Jugend der ganzen Nachbarschaft, denn im Sommer organisierte er ständig Landpartien, um mit kaltem Schinken und Huhn Picknicks abzuhalten, und im Winter waren seine Hausbälle zahlreich genug für alle jungen Damen, die nicht unter den unersättlichen Gelüsten von Fünfzehnjährigen litten.