Victoria - Knut Hamsun - E-Book

Victoria E-Book

Knut Hamsun

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Beschreibung

"Fragt jemand, was Liebe ist, so ist sie nichts als Wind, der in den Rosen rauscht und dann wieder dahinstirbt. Oft aber ist sie auch wie ein unzerbrechliches Siegel, das das ganze Leben lang dauert, bis zum Tode. Gott hat sie in vielerlei Arten geschaffen und hat sie bestehen oder vergehen sehen." "Victoria" ist einer der bekanntesten Romane Knut Hamsuns, in dem er die unmögliche Liebe zweier Menschen aus verschiedenen Gesellschaftsschichten schildert. Eine der schönsten Liebesgeschichten der Weltliteratur von zeitlosem Format.

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Victoria

Der Autor

Knut Hamsun wurde am 4. August 1859 in Gudbrandsdalen als Knud Pedersen geboren und gilt neben Henrik Ibsen als bedeutendster Schriftsteller Norwegens. Seine Schulausbildung war dürftig, eine Universität besuchte er nie, und er schlug sich zunächst mit Gelegenheitsarbeiten durch, bis ihm 1890 mit seinem Debütroman Hunger sogleich ein großer literarischer Erfolg gelang. 1920 erhielt er für sein Werk Segen der Erde den Literaturnobelpreis. Der wegen seiner Sympathien für den Nationalsozialismus politisch hoch umstrittene Hamsun starb 1952 in Nørholm.Von Knut Hamsun sind in unserem Hause bereits erschienen: Mysterien · Hunger · Segen der Erde · Auf überwachsenen Pfaden

Das Buch

Dieses Stück Prosa, eines der schönsten der gesamten Weltliteratur – 1898 zum ersten Mal veröffentlicht –, schildert die Liebe zweier Menschen aus verschiedenen Gesellschaftsschichten. Victoria, Tochter eines Herrenhofbesitzers, und Johannes, Sohn eines Müllers. Als der Weg für die Liebe, von den äußeren Bedingungen her, frei zu sein scheint, stellen sich Missverständnisse zwischen die beiden, obgleich »sie doch von Anfang an wussten, wie sehr sie sich liebten«. Johannes wird als Dichter ein berühmter Mann, Victoria aber stirbt, nach dem Tod des Vaters und der Vernichtung des Herrenhofes, an Schwindsucht.

Knut Hamsun

Victoria

Eine Liebesgeschichte

Aus dem Norwegischen von Alken Bruns

Ullstein

Besuchen Sie uns im Internet:www.ullstein-buchverlage.de

Mit einem Nachwort von Peter Urban-Halle

Ungekürzte Neuausgabe im Ullstein Taschenbuch1. Auflage Oktober 2019© für die deutsche AusgabeUllstein Buchverlage GmbH, Berlin 2019Die Originalausgabe Victoria erschien 1898 beiCammermeyer, Kristiania (Oslo).Textgrundlage der Neuübersetzung ist die Ausgabeletzter Hand der Samlede Verker (Oslo 1934).Die deutsche Erstausgabe erschien 1899 imAlbert Langen Verlag, Paris – Leipzig – München.Die Übersetzung wurde durchgesehen vonProf. Dr. Walter Baumgartner.© Gyldendal Norsk Forlag, Oslo 1898© der deutschen Ausgabe Paul List Verlag in derSüdwest Verlag GmbH & Co. KG, München 1995Umschlaggestaltung: zero-media.net, MünchenTitelabbildung: Storks, 1999 / © MasabikhAkhunov (1928-2008) / Bridgeman ImagesE-Book-Konvertierung powered by pepyrus.comAlle Rechte vorbehalten.

ISBN 978-3-8437-2123-3

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Inhalt

Der Autor / Das Buch

Titelseite

Impressum

I

II

III

IV

V

VI

VII

VIII

IX

X

XI

XII

XIII

Nachwort

Empfehlungen

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Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

I

I

Der Müllerssohn wanderte herum und dachte nach. Er war ein großer Bursche von vierzehn Jahren, braun von Sonne und Wind, voller Ideen.

Wenn er groß war, wollte er Streichholzmacher werden. Das war so schön gefährlich, an seinen Fingern könnte Schwefel hängen bleiben, sodass niemand ihm die Hand zu geben wagte. Er würde bei den Kameraden großen Respekt genießen wegen seines unheimlichen Handwerks.

Er sah nach seinen Vögeln im Wald. Er kannte sie alle, wusste, wo ihre Nester waren, verstand ihre Stimmen und beantwortete sie mit verschiedenen Rufen. Mehr als einmal hatte er ihnen Teigkugeln aus dem Mehl der Mühle seines Vaters gebracht.

All diese Bäume am Weg waren seine guten Bekannten. Im Frühjahr hatte er ihnen Saft abgezapft, und im Winter war er ihnen ein kleiner Vater gewesen, hatte sie vom Schnee befreit, ihren Ästen aufgeholfen. Und selbst oben in dem verlassenen Granitbruch war kein Stein ihm fremd, er hatte ihnen Buchstaben und Zeichen eingehauen und sie aufgerichtet, hatte sie wie eine Gemeinde um den Pfarrer gruppiert. In diesem alten Granitbruch geschahen alle möglichen merkwürdigen Dinge.

Er bog ab und kam zum Stauwasser hinunter. Die Mühle ging, ein ungeheurer, erdrückender Lärm umgab ihn. Er war es gewohnt, hier umherzugehen und laut mit sich selbst zu sprechen; jede Schaumperle hatte gleichsam ein kleines eigenes Leben, über das es etwas zu sagen gab, und drüben bei der Schleuse fiel das Wasser senkrecht ab und sah wie ein glänzendes Tuch aus, das zum Trocknen draußen hing. Im Teich hinter dem Wasserfall waren Fische; dort hatte er oft mit seiner Angel gestanden.

Wenn er groß war, wollte er Taucher werden. Das stand fest. Dann würde er vom Deck eines Schiffes ins Meer steigen und in fremde Reiche und Länder kommen, wo große, seltsame Wälder wogten und ein Korallenschloss auf dem Grund stand. Und aus einem Fenster winkt ihm die Prinzessin zu und sagt: Komm herein!

Da hört er hinter sich seinen Namen; der Vater stand da und rief Johannes.

Vom Schloss ist nach dir geschickt worden. Du sollst die jungen Herrschaften zur Insel rudern.

Er machte sich eilig auf den Weg. Eine neue, große Gnade war dem Müllerssohn widerfahren.

Das Herrenhaus sah in der grünen Landschaft wie ein kleines Schloss aus, ja, wie ein unglaublicher Palast in der Einsamkeit. Es war ein weiß gestrichener Holzbau mit vielen Bogenfenstern in den Wänden und am Dach, und vom runden Turm wehten Fahnen, wenn Gäste da waren. Man nannte es »Das Schloss«. Auf der einen Seite des Herrenhauses aber lag die Bucht, auf der anderen waren die großen Wälder; weit entfernt sah man ein paar kleine Bauernhäuser.

Johannes fand sich an der Anlegebrücke ein und ließ die Kinder ins Boot steigen. Er kannte sie, es waren die Kinder des Schlossherrn und ihre Kameraden aus der Stadt. Alle trugen hohe Stiefel, um durchs Wasser zu waten; Victoria aber, die nur Riemchenschuhe trug und auch erst zehn Jahre alt war, musste an Land getragen werden, als sie zur Insel kamen.

Soll ich dich tragen?, fragte Johannes.

Mit Verlaub!, sagte der Stadtherr Otto, ein Mann im Konfirmandenalter, und nahm sie auf die Arme.

Johannes schaute zu, wie sie weit aufs Land getragen wurde, und hörte sie Danke sagen. Dann sagte Otto zurückgewandt:

Du passt doch aufs Boot auf – wie hieß er noch gleich?

Johannes, antwortete Victoria. Ja, er passt aufs Boot auf.

Er blieb zurück. Die anderen gingen auf die Insel, in den Händen Körbe zum Eiersammeln. Er stand eine Weile da und grübelte; gern wäre er mit den anderen gegangen, und das Boot hätten sie einfach an Land ziehen können. Zu schwer? Es war nicht zu schwer. Und er packte das Boot und zog es ein Stück hinauf.

Er hörte das Lachen und Plaudern der jungen Gesellschaft, die sich entfernte. Auch gut, bis später. Sie hätten ihn aber ruhig mitnehmen können. Er kannte Nester und hätte sie hinführen können, seltsame, versteckte Löcher im Fels, wo Raubvögel mit Borsten auf dem Schnabel hausten. Einmal hatte er auch ein Hermelin gesehen.

Er schob das Boot ins Wasser und begann, zur anderen Seite der Insel zu rudern. Als er eine Strecke weit gekommen war, rief ihm jemand zu:

Ruder zurück. Du schreckst die Vögel auf.

Ich wollte euch nur das Hermelin zeigen?, erwiderte er fragend. Er machte eine kleine Pause. Und dann könnten wir das Schlangenloch ausräuchern? Ich habe Streichhölzer dabei.

Er bekam keine Antwort. So wendete er das Boot und ruderte zur Landungsstelle zurück. Er zog das Boot an Land.

Wenn er groß war, wollte er vom Sultan eine Insel kaufen und jeden Zugang zu ihr verbieten. Ein Kanonenboot würde seine Küsten schützen. Eure Herrlichkeit, würden die Sklaven melden, auf dem Riff sitzt ein Schiff fest, es ist aufgelaufen, die jungen Menschen darauf kommen um. Lasst sie umkommen!, antwortet er. Eure Herrlichkeit, sie rufen um Hilfe, noch können wir sie retten, eine weiß gekleidete Frau ist dabei. Rettet sie!, befiehlt er mit Donnerstimme. So sieht er die Kinder des Schlossherrn nach vielen Jahren wieder, und Victoria wirft sich vor ihm nieder und dankt ihm für seine Rettung. Nichts zu danken, es war nur meine Pflicht, antwortet er; bewegt euch frei in meinen Ländern, wo ihr wollt. Und dann lässt er der Gesellschaft die Tore des Schlosses öffnen und bewirtet sie aus goldenen Schüsseln, und dreihundert braune Sklavinnen singen und tanzen die ganze Nacht. Als aber die Schlosskinder wieder abreisen wollen, bringt Victoria es nicht fertig, sondern wirft sich schluchzend vor ihm in den Staub, weil sie ihn liebt. Lasst mich hierbleiben, verstoßt mich nicht, Eure Herrlichkeit, macht mich zu einer Eurer Sklavinnen …

Er macht sich eilig auf den Weg auf die Insel, fröstelnd vor Ergriffenheit. Jawohl, er würde die Schlosskinder retten. Wer weiß, vielleicht hatten sie sich auf der Insel verirrt? Vielleicht hing Victoria zwischen zwei Felsen fest und konnte nicht loskommen? Es kostete ihn das Ausstrecken eines Arms, sie zu befreien.

Doch die Kinder sahen ihn erstaunt an, als er kam. Hatte er das Boot allein gelassen?

Ich mache dich für das Boot verantwortlich, sagte Otto.

Ich könnte euch zeigen, wo es Himbeeren gibt?, fragte Johannes.

Schweigen in der Gesellschaft. Victoria ging sofort darauf ein.

Ja? Wo denn?, fragte sie.

Der Stadtherr aber überwand sich schnell und sagte:

Damit können wir uns jetzt nicht befassen.

Johannes sagte:

Ich weiß auch, wo man Muscheln finden kann.

Erneutes Schweigen.

Sind Perlen darin?, fragte Otto.

Stellt euch vor, es wären Perlen darin!, sagte Victoria.

Johannes antwortete, nein, das wisse er nicht; die Muscheln lägen weit draußen auf dem weißen Sand, man brauche ein Boot, und man müsse nach ihnen tauchen.

Da wurde ausgiebig über die Idee gelacht, und Otto bemerkte:

Du siehst mir auch wie ein Taucher aus.

Johannes begann, schwer zu atmen.

Wenn ihr wollt, gehe ich auf den Felsen dort und rolle einen schweren Stein hinunter ins Meer, sagte er.

Wozu das?

Nein, zu gar nichts. Aber dann könntet ihr zuschauen.

Aber auch dieser Vorschlag wurde nicht angenommen, und Johannes schwieg beschämt. Dann begann er, weit weg von den anderen, auf einer anderen Seite der Insel, Eier zu suchen.

Als die ganze Gesellschaft wieder beim Boot versammelt war, hatte Johannes viel mehr Eier als die anderen; er trug sie vorsichtig in seiner Mütze.

Wie kommt es, dass du so viele gefunden hast?, fragte der Stadtherr.

Ich weiß, wo die Nester sind, antwortete Johannes glücklich. Ich lege sie zu deinen, Victoria.

Halt!, schrie Otto. Wozu das?

Alle sahen ihn an. Otto zeigte auf die Mütze und fragte:

Wer garantiert mir, dass die Mütze sauber ist?

Johannes sagte nichts. Sein Glück war mit einem Schlag vorbei. Dann machte er sich mit den Eiern auf den Weg zurück auf die Insel.

Was hat er? Wo geht er hin?, sagt Otto ungeduldig.

Wohin gehst du, Johannes?, ruft Victoria und läuft ihm nach.

Er bleibt stehen und antwortet leise:

Ich lege die Eier in die Nester zurück.

Sie standen eine Weile da und sahen sich an.

Und heute Nachmittag gehe ich in den Steinbruch hinauf, sagte er.

Sie antwortete nicht.

Dann könnte ich dir die Höhle zeigen.

Ja, aber ich habe solche Angst, antwortete sie. Sie ist so dunkel, hast du gesagt.

Da lächelte Johannes, trotz seines großen Kummers, und sagte mutig:

Ja, aber ich bin doch bei dir.

Er hatte seit der Kindheit in dem alten Granitbruch gespielt.

Man hatte ihn da oben reden und arbeiten gehört, obwohl er allein war; manchmal war er Pastor gewesen und hatte Gottesdienst gehalten.

Der Ort war seit Langem verlassen, auf den Steinen wuchs Moos, und alle Spuren von Bohrern und Sprengkeilen waren verwischt. Das Innere der geheimen Höhle aber hatte der Müllerssohn aufgeräumt und mit großer Kunst geschmückt, und dort wohnte er als Anführer der tapfersten Räuberbande der Welt.

Er läutet mit einer Silberglocke. Ein kleines Männchen, ein Zwerg mit einer Diamantenbrosche an der Mütze, hüpft herein. Es ist der Diener. Er verbeugt sich bis zur Erde. Wenn Prinzessin Victoria kommt, führt sie herein!, sagt er mit lauter Stimme. Der Zwerg verbeugt sich wieder bis zur Erde und verschwindet. Johannes rekelt sich gemächlich auf dem weichen Diwan und denkt nach. Dort würde er sie zu ihrem Sitz führen und ihr die köstlichsten Gerichte aus Silber- und Goldschüsseln reichen; ein loderndes Holzfeuer würde die Höhle erleuchten; hinter dem schweren Vorhang aus Goldbrokat am Ende der Höhle sollte ihr Lager bereitet werden, und zwölf Ritter sollten Wache stehen …

Johannes steht auf, kriecht aus der Höhle und lauscht. Unten auf dem Pfad knistern Zweige und Laub.

Victoria!, ruft er.

Ja.

Er geht ihr entgegen.

Ich trau mich fast nicht, sagt sie.

Er wiegt die Schultern und erwidert:

Ich bin eben drin gewesen. Ich komme gerade von dort.

Sie gehen in die Höhle. Er weist ihr einen Platz auf einem Stein an und sagt:

Auf diesem Stein hat der Bergriese gesessen.

Hu, rede nicht weiter, erzähl es mir nicht! Hast du keine Angst gehabt?

Nein.

Du hast gesagt, er hat nur ein Auge; das sind aber Trolle, die mit einem Auge.

Johannes überlegte.

Er hatte zwei Augen, aber auf dem einen war er blind. Das hat er selbst gesagt.

Was hat er sonst noch gesagt? Nein, sag es nicht!

Er hat gefragt, ob ich in seinen Dienst treten will.

Das wolltest du doch nicht? Um Gottes willen.

Doch, ich habe nicht Nein gesagt.

Bist du bei Trost? Willst du in den Berg gesperrt werden?