Vier Brüste für ein Halleluja - Thomas Paul Szymula von Richter - E-Book

Vier Brüste für ein Halleluja E-Book

Thomas Paul Szymula von Richter

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Beschreibung

Thomas Paul Szymula von Richter erzählt humorvoll unglaubliche Geschichten aus dem Leben eines Pioniers der Minimal-Invasiven Plastischen Mikrochirurgie. Auf Etikettenschwindel von Fachärzteorganisationen legt er keinen Wert und folgt instinktiv seiner Berufung als Arzt und seinem Talent als begnadeter Operateur und ideengebender Wissenschaftler, wird von Patienten für seine Ergebnisse, Fürsorge, sein persönliches Engagement und gegen den Strom schwimmenden Mut bewundert. Er begegnet einschneidenden Situationen des wahren Lebens und der Medizin gewappnet mit Komik und Spannung. Sein Weg ist nicht nur mit schrägen Patienten und heiklen Themen gepflastert, sondern auch mit Action, Witz, Drama und Gefahr für ihn selbst. Daneben muss sich der beneidete Experte auch als künstlerischer Reparateur mit den geradezu grotesken Ergebnissen misslungener Operationen angeblicher Fach-'Kollegen' herumschlagen, sodass Mann und Frau nach der Lektüre das Wort 'Schönheitsoperation' nicht mehr leichtfertig in den Mund nehmen werden. Das Ziel einer Schönheits-OP sollte immer sein, die Patienten danach frischer, aber nicht künstlich wirken zu lassen. Das Erstgespräch ergibt, dass es im Fall von Giovanna nicht mit ein 'wenig-bisschen Botox' getan sein würde. 'Machen Sie mich wieder jung, Dottore', fordert die temperamentvolle Italienerin den Doktor ganz unmissverständlich auf. Mit ausholenden Gesten fuchtelt sie vor ihrem Gesicht herum und spricht dabei mit melodramatischem Tremolo wie Montserrat Caballé als Lucrezia Borgia in der Oper von Donizetti. 'Alles hängt! Augen, Mund, Tette …' Beim letzten Wort deutet Giovanna auf ihre beachtliche Oberweite. Gemeinsam beschließen Arzt und Patientin also ein Lifting, nicht zu stark, nur so, dass die Gesichtskonturen sich wieder heben. 'Bene! Dann bestelle ich einmal für meine Augen und für den ganzen Rest eine Portion Tiramisu', zwinkert Giovanna und spielt damit auf die wörtliche Übersetzung des Desserts 'zieh mich hinauf' an.

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Thomas Paul Szymula von Richter

VIER BRÜSTE FÜR EIN HALLELUJA

EINSCHNEIDENDE ERLEBNISSE EINES SCHÖNHEITSCHIRURGEN

Meinen bescheidenen unvergessenen Vorbildern

und verneigend bewunderten Lehrern,

meinen geschätzten Patienten

und wahren Freunden:

Humor ist Medizin,

Arztsein Berufung,

Wissenschaft Kunst

und Schönheitschirurgie Malerei.

Thomas Paul Szymula von Richter

VORWORT

Sinn und Unsinn meines Buches

Das Schöne bewahren, das Böse ignorieren. Vier Brüste für ein Halleluja will zeigen, wie das Verlangen nach Schönheit in unserer Gesellschaft zunehmend wächst. Was in früherer Zeit unter anderem der ägyptischen Oberschicht der Königs- und Herrscherfamilien vorbehalten blieb, ist heute für viele selbstverständlich: der Natur nachhelfen, um sich selbst zu optimieren. Das klappt leider nicht immer.

Dieses Buch beschreibt wahrheitsgetreu, wenn auch nicht stets wohlwollend, den Wunsch nach und das Geschäft mit der Schönheit. Es darf gelacht werden, doch die Themen Missbrauch und Geldmacherei mit Plastischer Chirurgie bleiben als bitterer Beigeschmack. Das Motto könnte also lauten: Weg von »zu viel«, hin zum Detail, zur Eleganz – für mehr Schönheit mit Stil.

Aus den Erlebnissen im Leben eines Schönheitschirurgen entstanden die nachfolgenden Kapitel. Manche davon rühren vielleicht zu Tränen, doch wenn die Schicksale der Betroffenen nicht erzählt werden, verblasst die Chance, in Zukunft etwas im Bewusstsein von Ärzten und vor allem Patienten zu verändern.

Vier Brüste für ein Halleluja berichtet von den fantastischen Möglichkeiten der ästhetischen Medizin, aber auch von katastrophalen Ärztefehlern und Missgeschicken von Patienten, wenn sie sich nicht an Empfehlungen halten. Kein Thema der Schönheitschirurgie wird im Buch ausgelassen, alles wird erklärt und die selbst ernannte Welt der »Götter in Weiß« gehörig auf den Prüfstand gestellt.

Denn: Wie kann es sein, dass heute ein »Plastischer Chirurg« nach seiner Facharztprüfung nicht in der Lage ist, eine Gesichtsstraffung selbstständig durchzuführen, weil er diese Operation an seiner Ausbildungsstätte nie praktisch gelernt hat? Die hilflosen Jünglinge probieren erst nach der bestandenen theoretischen Prüfung am Privatpatienten aus, wie sich Schönheitschirurgie anfühlt und merken oft erst dann, dass sie für diese Art von Kunst kein Talent haben. Doch die Gier nach dem schnellen Geld lässt manche sowohl Selbsteinschätzung als auch Ethik vergessen. Moral wird zum Fremdwort.

Immer noch werden angebliche Fachärzte für Plastische Chirurgie oder anderer benachbarter Disziplinen, denen jedoch diese fundierte Ausbildung fehlt, vom Staat zertifiziert. Natürlich glauben viele Patienten dem »Etikett« und suchen diese Praxen auf. Sie vertrauen darauf, dass der Staat geprüft hat, ob ein Arzt operieren kann. Dass die Facharztprüfung zum Plastischen Chirurgen nicht die Ausbildung zum Schönheitschirurgen beinhaltet, können sie ja nicht wissen.

Doch genau das ist das Zauberwort: Schönheitschirurgie ist das Wunder an der Psyche. Wer das missachtet oder damit experimentiert, spielt unwissend mit dem Leben anderer. Wo bleibt der Respekt vor dem Individuum? Menschen sind keine zum Verkauf stehenden Maschinen, die man in einem börsennotierten Unternehmen zusammennäht. Sie sind sensible Wesen mit einer verletzbaren Psyche.

Dank der schillernden Illustrierten konnte man bereits den einen oder anderen »Star der Schönheitschirurgie« auf- und absteigen sehen. Im schlimmsten Fall endete die »Karriere« hinter Gittern, weil der Arzt in seiner Profitgier übertrieben hat und sich nun wegen Versicherungsbetrugs verantworten muss. Die Schönheitschirurgie als gesetzliche Krankenkassenleistung abzurechnen, funktioniert eben nur in Ausnahmefällen.

Das Buch soll humorvoll, ernst, aber auch nachdenklich meine persönliche Kernaussage unterstreichen, dass einerseits in der heutigen Medizin hauptsächlich nur auswendig gelerntes Wissen abgefragt wird und es aber andererseits in der Heilkunst nur um Fähigkeiten geht, also die Fähigkeiten des Operierens. Und diese Fähigkeiten werden heute im Medizinstudium und in der Facharztprüfung nicht abgefragt. Das war für mich in meiner ganzen Karriere, Laufbahn und meinem Leben oder meiner wissenschaftlichen Tätigkeit offensichtlich sehr wichtig. Und diese Tatsache möchte ich jetzt mit diesem Buch sehr stark betonen.

Meine Absicht, das schwierige Thema der Schönheitschirurgie mit einem lustigen Buchtitel und humorvollen Kapiteln anzuschneiden, hat einen einfachen Grund: Wenn man etwas in der Gesellschaft ändern will, muss man eine breite Masse an Menschen streifen/ansprechen, um die Missstände der heutigen Schönheitschirurgie ausbügeln/verbessern zu können. Weil mehr Menschen zu einem humorvollen Buchtitel und Inhalt tendieren als zu einem ernsten und traurigen Thema, wählte ich wieder diesen originellen Weg – wie oft in meinem humorvollen Leben der Kunst.

In erster Linie muss der berufene Arzt aufgrund seiner Verantwortung gegenüber dem Menschen stets Heiler von Krankheiten sein, aus keinem anderen Beweggrund darf sein Berufswunsch resultieren. Der talentierte Schönheitschirurg ist ein Maler, der mit den Gesetzen der Natur für die Perfektion der Schönheit arbeitet, um die Lebensqualität seiner Patienten zu verbessern. Perfekt schönheitschirurgisch operieren zu können, bedarf künstlerischer Begabung, aber ohne mikrochirurgischer Fähigkeit wird es zum Halleluja. Nach der Berufung als Arzt, der Begabung als Operateur und dem Talent als Künstler, sollte das Verständnis für die Wissenschaft essenziell sein.

Dieses Buch soll sowohl die Auswüchse der Medizin in diesem Gebiet aufzeigen, als auch den übertriebenen Wunsch nach Perfektion auf Patientenseite, der oft genug zu einer »Maske« vermeintlicher Makellosigkeit erstarrt.

Mein Ziel war es, in der Schönheitschirurgie die bestmögliche Ausbildung weltweit zu erhalten. Denen, die dies respektieren, widme ich dieses Buch. Mir ist kein anderer Plastischer Mikrochirurg bekannt, der bereits als Medizinstudent an Lehrbüchern dieses Faches schrieb und international Auszeichnungen für seine Operationstechniken erhielt.

Mein wunderbarer Vater im Himmel, danke, dass Du mir sagtest, ich soll in der Schule in der letzten Reihe trotzdem aufpassen und die, die mich ärgern, im Sport schlagen. Meine bewundernde und lebenskluge Mutter, danke, dass Du mich in die weite Welt der Medizin entsandtest und immer an meine Fähigkeiten glaubtest. Ich weiß, ich war für Euch beide kein einfacher Sohn, die Großeltern konnten davon ein Lied singen, aber jetzt ist ja vielleicht was daraus geworden.

Thomas Paul Szymula von Richter

1. KAPITEL

Blattschuss

Pünktlich um elf Uhr vormittags klingelt es und das »Augen-Problem« steht vor der Tür, wie meine Sprechstundenhilfe mir über die Sprechanlage verkündet. Es handelt sich um einen mittelgroßen, leicht korpulenten Mann Ende 30. Mit einer riesigen schwarzen Sonnenbrille steht er in meinem Büro. Ich tippe auf den Wunsch nach einer Oberlidstraffung. Bei den meisten Menschen beginnt Mitte 30 die Haut am Lid zu erschlaffen, es senkt sich und verleiht dem Blick oft etwas Müdes. Durch einen Schnitt in der oberen Lidfalte und eine Straffung hebt sich das Lid und das Auge wird optisch »geöffnet«, was den Blick wieder wacher und das Aussehen jünger erscheinen lässt.

»Hallo Doc, ich hab da ’n kleines Problem«, sagt mein potenzieller Patient und zieht die Brille ab. Darunter kommt ein provisorisch angelegter Verband am linken Auge zum Vorschein. Vorsichtig entferne ich die Mullbinden. Er dreht den Kopf und sieht mich an.

»Arnie?«, rutscht es mir reflexartig raus, denn er sieht aus wie Schwarzenegger als mörderischer Android in Terminator 1: Sein linkes Auge ist zugeschwollen und nicht mehr zu erkennen, dafür hängt die Haut am Unterlid beinahe in Fetzen.

»Kannst Jacky zu mir sagen, Doc«, verbrüdert sich der Einäugige spontan mit mir, um auf meine Frage, was denn mit seinem Gesicht passiert sei, die lapidare Antwort zu geben: »Pixie war nicht gut drauf!«

Ich grüble kurz darüber nach, wie ich seine Worte auslegen soll. Eine schlecht gelaunte Fee, die ihm statt der Erfüllung dreier Wünsche eins mit ihrem Zauberstab verpasst hat?

»Mein Pitbull. Von Hand aufgezogen«, fügt er da hinzu, und nun ist alles klar.

»Solche Viecher muss man im Auge behalten«, entgegne ich mit Kennermiene nickend. Gleich darauf wird mir mein verbaler Fauxpas bewusst, und ich beschließe, lieber den Mund zu halten und mich auf das zu konzentrieren, was ich wirklich kann, nämlich Plastische Chirurgie.

Dabei sind Tierbisse allerdings besonders schwer zu nähen, da die Haut – anders als bei einem glatten Schnitt – keine sauberen Wundflächen aufweist. Ganz abgesehen von der hohen Infektionsgefahr durch den Speichel der Tiere hat es der Arzt also auch noch mit ausgefransten Wundrändern zu tun. Wenn der Hund noch nichts gefrühstückt hat, ehe er zubeißt, fehlen manchmal sogar ganze Hautstücke. Das Auge hatte Pitbull Pixie ihrem Herrchen zwar heil gelassen, sodass er wenigstens nicht erblinden oder bleibende Sehschäden zurückbehalten würde, aber Jackys Gesicht wieder in seinen ursprünglichen Zustand zu versetzen, würde eine handwerkliche Herausforderung werden. Und die liebe ich!

»Wir kriegen Sie wieder hin«, verspreche ich dem Hundebesitzer und nehme mir insgeheim vor, ihm nach der OP nahezulegen, Pixie mithilfe einer Spritze beim Tierarzt in die ewigen Jagdgründe zu befördern. Ansonsten wäre das Anlegen einer Taucherbrille vor dem Betreten des Zwingers eine Alternative.

»Wir operieren so schnell wie möglich. Können Sie morgen früh um acht Uhr hier sein?«

Jacky nickt und legt vertraulich den Arm um meine Schulter.

»Hör ma’, Doc. Wenn du mich schon operierst, kannste mich da nicht gleich noch … na ja, so’n bisschen aufpimpen?«

»Penisverlängerungen fallen nicht in mein Metier«, wehre ich ab. Jacky bricht in schallendes Gelächter aus.

»Doch nicht so was! Da hab ich keine Probleme mit, und von meinen Mädels, die ich in meinen Clubs so laufen habe, hat sich auch noch keine beschwert! Nee, ich meine eher so ’ne muskulöse Brust, verstehste? Mir fehlt die Zeit, dauernd in die Muckibude zu rennen. Muss mich schließlich um meine Geschäfte und die Clubs kümmern. Also, wie sieht’s aus?«

»Nun ja«, antworte ich diplomatisch. »Natürlich gibt es die Möglichkeit, Implantate zu setzen.«

Diese Brustimplantate sind tatsächlich speziell für Männer gemacht, und mit denen unter der Haut ähnelt ein vormals hühnerbrüstiger Mann danach einem Bodybuilder. Die Kissen sind nicht rund wie bei Frauen, sondern eher als flaches Rechteck konzipiert. Sie werden von der Achselhöhle aus implantiert und unterhalb des Brustmuskels eingepflanzt.

»Super«, befindet Jacky, nachdem ich ihm Beschaffenheit und Vorgehensweise grob geschildert habe, und reißt sich begeistert sein dunkelrotes Armani-Hemd auf. Seine Clubs scheinen gut zu laufen, denn all seine Klamotten sehen so aus, als ob beim Kauf die Kreditkarte nicht wenig belastet worden wäre.

Jacky legt also seinen Oberkörper frei und ruft begeistert: »Lass uns gleich mal festlegen, wo die Dinger hinkommen!«

Nach einer kurzen Untersuchung entscheide ich mich, die OP mithilfe des Endoskops mit einer Kamera und einem Bildschirm durchzuführen, um auch kleinste Blutungen stillen zu können. Aber erst, nachdem der Tierbiss genäht wurde.

Jacky klopft mir auf die Schulter und legt dabei derart viel Schwung an den Tag, dass ich befürchte, durch die Erschütterung anschließend sein linkes Auge auf meinem blütenweißen Kittel wiederzufinden, aber der Mann ist zäh. »Bist ’n echter Kumpel«, röhrt er anerkennend.

»Äh, ja, vielen Dank, Jacky. Aber dir ist schon klar – umsonst ist nur der Tod, nä?«, gehe ich auf Augenhöhe (wenn das bei Jacky auch wegen Pixie nur rechtsseitig möglich ist).

»Na logo, Thomas! Was denkst du von mir! Hier, ich hab ein paar Riesen in bar dabei, das wird ja wohl reichen, was? Dafür kannste mir auch gleich noch meine Plauze ein bisschen verschönern, dafür gibt’s doch sicher auch was aus Silikon Valley?«, erkundigt er sich.

Natürlich »gibt es da was«. Ein Bauchimplantat besteht aus acht kleinen, ebenfalls waagrecht-rechteckigen Implantaten, die, jeweils vier davon untereinander liegend, links und rechts über dem Bauchmuskel eingepflanzt werden. Am Ende sieht das dann wirklich aus wie ein Waschbrett. Der Zugangsschnitt verläuft horizontal und befindet sich meistens unterhalb des Bauchnabels, knapp oberhalb der Schambehaarung.

»Jaja, mach ma’, mach ma’, ich hab’s nicht so mit der Anatomie. Jedenfalls nicht mit der männlichen«, lacht Jacky.

Das nenne ich mal Vertrauen.

Wir führen die Voruntersuchungen sowie das obligatorische Aufklärungsgespräch durch, und ich prüfe, ob Jackys Werte in Ordnung sind. Drei Wochen nach der gelungenen Rekonstruktion seiner zerbissenen Gesichtshälfte liegt Jacky dann erneut auf dem OP-Tisch. Diesmal, um sich optisch – zumindest vom Hals an abwärts bis zum Nabel – in einen kleinen Arnold Schwarzenegger zu verwandeln.

Ein paar Stunden später ist auch das geschafft. Der Patient liegt im Aufwachraum und kehrt langsam aus dem Reich der Träume zurück in die Realität.

»Ey Doc, ichglaubichmussinclub«, lallt er noch etwas benommen von der Vollnarkose.

»Nein, Jacky, du bleibst erst mal schön hier liegen und ruhst dich aus. Aufstehen ist frühestens in drei Stunden drin.«

»He Mann, da hängen so komische Dinger an mir dran! Wie bei ›Urmel aus dem Eis‹ vonner Augsburger Puppenkiste!«

Ich beruhige den Patienten und erkläre ihm, dass es sich dabei lediglich um Drainagen handelt. Diese dienen dazu, in den ersten Stunden und Tagen nach der OP mit Unterdruck jegliche Flüssigkeit abzusaugen, damit keine Blutungen und Hämatome um das Implantat herum entstehen. Sonst könnten sich nach Monaten Gewebeverkapselungen um das Implantat herum bilden.

Nach drei Stunden hat Jacky jedoch genug vom Herumliegen.

»Muss mal nach meinen Mädels gucken, nicht dass die in den Clubs die Füße aufn Tisch legen statt ranzuklotzen«, sagt er und lässt sich von zwei Kumpels, die aussehen wie Kleiderschränke mit Versace-Schuhen, in einer Mercedes-Limousine abholen. Ich schärfe ihm ein, die Nachsorge keinesfalls auf die leichte Schulter zu nehmen und die Drainagen dort zu lassen, wo sie sind. Mindestens ein bis zwei Tage, damit die Wundflüssigkeit abgesaugt werden kann. Bei Bewegung kann es nämlich zu einer Reibung des Implantates mit dem Gewebe kommen, was zur Sekretbildung führt.

»Übermorgen kommst du wieder in meine Praxis, dann entfernen wir die Dinger«, instruiere ich Jacky. Nach spätestens drei Tagen sollte man das tun, sonst droht Infektionsgefahr.

Jacky umarmt mich gerührt. »Du sorgst dich um mich wie eine Mutter«, tut er mit bebender Stimme kund, ehe er seine schwarze Dolce & Gabbana-Brille aufsetzt und im Fond der Limousine verschwindet.

Zwei Tage später steht Jacky vor meiner Tür. Zwar nicht mehr als Double des Terminators, dafür erinnert er an den Hauptdarsteller des Schockers Die Rückkehr der Mumie: Weiße Drainageschläuche baumeln ihm aus dem offenen, mit Blut- und Wundflüssigkeit befleckten Bademantel (wie zum Teufel müssen erst die Sitze der Limousine aussehen?), und er schaut mich mit dem Blick eines an der Raststätte ausgesetzten Hundewelpen an.

»Kannste mir mal helfen, ich glaub, ich hab ein kleines Problem …«

Wie gut, dass man Drainagen auch dazu nutzen kann, Serome abzusaugen (also Schwellungen, die Lymphflüssigkeit oder Blutserum enthalten, im Gegensatz zu Blutergüssen, die rote Blutkörperchen enthalten).

Das ist normalerweise nur erforderlich, wenn ein Patient sich nicht an Empfehlungen gehalten und sich viel bewegt hat.

Ich nehme Jacky diesbezüglich streng ins Verhör.

»Ich hab mich nicht viel bewegt, Doc! Ehrlich! Ich hab die meiste Zeit gesessen!«

»Schwer zu glauben, so wie du aussiehst. Wo hast du denn gesessen?«

»Na, in Nizza. Im Rennauto!«, erklärt Jacky mit größter Selbstverständlichkeit.

»WAS?«

»Na ja«, wird er jetzt schon kleinlauter, »wäre doch schade um die Startgebühr gewesen. Und ich hab immerhin den dritten Platz belegt. Nur auf die Tribüne konnte ich nicht hoch mit den ganzen Schläuchen, die da aus mir rausbaumeln!«

»Verflixt noch mal, Jacky! Beim Einsetzen von Implantaten handelt es sich um einen ernst zu nehmenden medizinischen Eingriff! Das ist kein Yps-Gimmick, ›Bastle dir deinen eigenen Sixpack!‹ oder so! Du musst dich an die Anweisungen deines Arztes halten!«

»Ja, okee, Doc, nur die Ruhe! Die Rennsaison ist eh vorbei, und ich verspreche dir, ich leg mich ab jetzt brav ins Bettchen.«

»Gut, aber ohne eins deiner Mädels! Zumindest für die kommenden zwei Tage!«

Jacky seufzt tief, akzeptiert aber schließlich sein Schicksal, und zum zweiten Mal innerhalb kürzester Zeit rollt die Limousine in meine Einfahrt und holt den lädierten Rennfahrer ab. Ich atme auf und bin dankbar, dass Jacky nicht auf die Idee gekommen ist, sich auch noch Implantate in beide Waden setzen zu lassen. Die Drainagen hätten ihm beim Gasgeben auf der Rennbahn wahrscheinlich den Rest gegeben.

Ein paar Wochen nach dem erfolgreichen Brust- und Bauchaufbau steht eines Abends, ich habe gerade die Praxis verlassen, Jacky erneut vor meiner Tür. Ich erschrecke: Was hat ihm sein Kampfhund diesmal abgebissen? Da sehe ich eine Pistole in seiner Hand und erschrecke noch mehr: Welchen Körperteil werde ICH in Kürze einbüßen?

Doch Jacky hält mir die Waffe mit dem Griff voran hin.

»Los, nimm sie und schieß auf mich!«, fordert er und stellt sich in Positur.

Ich mustere befremdet die Pistole, mache aber keine Anstalten, sie zu berühren. »Wie bitte?«

»Mann Thomas, nun sei keine Sissy! Du musst mir ’nen glatten Bein-Durchschuss verpassen, ich möchte meinen Mädels zeigen, was für ein harter Hund ich bin. Danach flickst du mich wieder zusammen – und gut is.«

Ich habe ja schon oft gehört, dass Männer sich einen Porsche leihen, ihre Kreditkarte für ein sauteures Essen oder einen Shoppingbummel in Mailand überziehen oder sich an einem dünnen Gummiseil hängend von einer Klippe stürzen – nur um vor einer Frau einen auf dicke Hose zu machen. Aber bisher hat sich noch keiner freiwillig eine Schusswunde verpassen lassen wollen – von seinem Plastischen Chirurgen! Ich dachte immer, dafür müsste man Mitglied in einer Gang sein.

Natürlich weigere ich mich, die Waffe auch nur anzufassen.

»Geh mit Pixie eine Runde um den Block, Jacky, oder such im Internet die nächsten Starttermine für Autorennen. Aber glaube ja nicht, dass ich bei so einem Unsinn mitmache. Ich hab als Kind nicht mal eine Wasserpistole besessen. Wiedersehen!«

Damit wende ich mich ab und gehe. Nach Hause, um einen ruhigen Abend zu verbringen. Dachte ich. Keine halbe Stunde später erhalte ich einen dringenden Anruf, diesmal nicht von Jacky, sondern von der Polizei. Jacky kann momentan nicht telefonieren, denn seine Hände sind mit Handschellen hinter dem Rücken gefesselt.

»Wir haben vor Ihrer Praxis so einen Typen festgenommen, der uns angerufen und einen ziemlich verwirrten Eindruck gemacht hat«, erklärt mir der Beamte am anderen Ende der Leitung. »Das Einzige, was wir aus ihm herausgebracht haben, war Ihr Name!«

Ich überschreite knapp die Geschwindigkeitsgrenze, als ich im Auto zu meiner Praxis düse. Dort bietet sich mir ein Bild wie aus dem Sonntags-Tatort: Jacky liegt bäuchlings und in Handschellen auf der Motorhaube des Polizeiwagens.

»Hey, Doc!«, ruft er freudig, als er den Kopf dreht und mich erblickt.

»Dieser Vogel hier rief uns an und behauptete, er habe eine Waffe«, fängt einer der Beamten an, ein hochgewachsener Typ Anfang 30, der aussieht, als wäre ihm so ein Fall wie Jacky zum ersten Mal untergekommen.

»Und als wir ankamen, wollte der doch tatsächlich, dass wir auf ihn schießen! Er meinte, er hätte einen Super-Chirurgen an der Hand, der ihn anschließend wieder zusammennähen würde«, fährt sein etwas älterer Kollege fort, und unter der Polizeimütze kann ich sein fassungsloses Gesicht sehen.

»Ich weiß, darum hatte er mich auch schon gebeten«, sage ich ungerührt.

Beide Polizisten starren mich an.

»Er wollte einer Frau imponieren«, sage ich entschuldigend.

»Einer? Das sind ’n halbes Dutzend Hühner bei mir im Stall«, brüllt Jacky aus seiner sichtbar gequälten Position auf der Motorhaube des Polizeiautos.

Ich werfe den Beamten einen Blick zu und schüttle nur leicht den Kopf. Verständnisvoll grinsen sie mich an.

»Sind Sie der Chirurg?«

Ich nicke. »Und der Irrenarzt. Manchmal jedenfalls.«

»Passen Sie auf, wir konfiszieren die Pistole und nehmen Ihren Patienten mit zum Verhör. Wenn er einen Waffenschein hat und das Ding zugelassen ist, drücken wir noch mal ein Auge zu. Ansonsten …«

Ich nicke und bin einfach froh, dass ich Jacky nicht noch einmal operieren muss, zumindest heute nicht. Ich gehe zum Polizeiauto.

»Jacky«, nehme ich ihn ins Gebet. »Du bist keine 14 mehr und musst dich nicht selbst verstümmeln. Du lebst in Deutschland, nicht bei irgendeinem martialischen Stamm, die so was als Initiationsritual betreiben. Außerdem hast du einen super Body von mir gekriegt. Wenn du jetzt Mist baust und ich dich mit einer Schusswunde auf den OP-Tisch kriege, nehme ich dir zur Strafe die Implantate aus Brust und Bauch wieder raus, kapiert?«

Diese Drohung hat gewirkt. Ich habe nie mehr etwas von Jacky gehört. Ich hoffe, er hat einen anderen Weg gefunden, seinen Mädels zu imponieren. Ich tippe auf das Foto, auf dem er bestand, ehe er ins Polizeiauto stieg. Es zeigt ihn stolz lächelnd mit Handschellen. Ihm zuliebe haben sich die Polizeibeamten sogar mit gezogener Waffe neben ihn gestellt und besonders grimmig in die Kamera geblickt.

2. KAPITEL

Casanovas Fiasko

Im Zuge meiner Einsätze in einer Privatklinik nahe Rom durfte ich mehrmals mit dem südlichen Temperament Bekanntschaft machen.

So auch im Fall des italienischen Staatsbeamten Fabrizio S. aus Rom, den ich bei einem wissenschaftlichen Vortrag kennenlerne. Wir unterhalten uns im Anschluss noch etwas, und anscheinend fasst der schlanke, stets elegant gekleidete Mittfünfziger schnell Vertrauen zu mir, denn nach einem gemeinsamen Abendessen in einer kleinen, verschwiegenen Trattoria, die Fabrizios Onkel gehört, weiß ich, dass er seine Frau mit seiner Geliebten betrügt, die den klangvollen Namen Giovanna trägt.

»Sie ist nicht mehr so ganz jung, eher semi, vielleicht 40, aber feurig, Thomas, du verstehst. Und schön! Bellissima. Na ja – bis auf Kleinigkeiten vielleicht …«

Ich ahne schon, was jetzt kommen würde, und prompt fragt Fabrizio mich, ob ich mich nicht »kosmetisch« ein wenig um Giovanna kümmern könnte. »Nicht viel, eine wenig-bisschen Botox vielleicht, eh?«

Weil ich die nächsten Wochen ausschließlich in meiner Privatklinik in München praktizieren werde, fährt Fabrizio also extra mit seiner Giovanna in die bayerische Hauptstadt, um ihr Gesicht etwas »verjüngen« zu lassen – vor allem die Augenpartie samt Stirn soll von den Zornesfalten befreit werden. Diese hat die Besagte wahrscheinlich wegen ihres Status als Geliebte, die immer auf Fabrizios seltene Besuche warten muss.

Der hatte sich unter dem Vorwand dringender Staatsangelegenheiten, die ihn einige Tage in Anspruch nehmen würden, von seiner Ehefrau und den zwei halbwüchsigen Kindern in Rom verabschiedet. Statt ins Ministerium fährt er jedoch mit Giovanna auf dem Beifahrersitz des Dienstwagens Richtung deutsche Grenze und liefert sie nun in meiner Klinik ab.

In mein Sprechzimmer stöckelt auf hohen Absätzen (nur die Italiener können diese unglaublich eleganten Schuhe fertigen!) eine Dame mit dunklem Pagenkopf und blitzenden Augen unter dunklen Brauen. Ich schätze sie auf Mitte 40. Sie ist sichtbar teuer, aber lässig in Leinenhose und Seidenbluse gekleidet. Mir fällt sofort auf, dass sie nicht versucht, durch gewollt jugendliche Kleidung jünger zu wirken, als sie ist. Ich hege die Hoffnung, dass sie auch in Bezug auf den anstehenden Eingriff nicht erwartet, danach wie 20 auszusehen. Das Ziel einer Schönheits-OP sollte immer sein, die Patienten danach frischer, aber nicht künstlich wirken zu lassen.

Das Erstgespräch ergibt, dass es im Fall von Giovanna nicht mit ein »wenig-bisschen Botox« getan sein würde.

»Machen Sie mich wieder jung, Dottore«, fordert die temperamentvolle Italienerin mich unmissverständlich auf. Mit ausholenden Gesten fuchtelt sie vor ihrem Gesicht herum und spricht dabei mit melodramatischem Tremolo wie Montserrat Caballé als Lucrezia Borgia in der Oper von Donizetti.

»Alles hängt! Augen, Mund, Tette …« Beim letzten Wort deutet Giovanna auf ihre beachtliche Oberweite.

Gemeinsam beschließen wir also ein Lifting, nicht zu stark, nur so, dass die Gesichtskonturen sich wieder heben. »Bene! Dann bestelle ich einmal für meine Augen und die Rest Tiramisu«, zwinkert Giovanna und spielt damit auf die wörtliche Übersetzung des Desserts »zieh mich hinauf« an.

Schon zwei Tage später liegen alle erforderlichen Untersuchungsergebnisse aus dem Labor vor, und das Lifting kann über die Bühne gehen.

»Cara mia, ich hole dich bald wieder ab. Ti amo«, flötet Fabrizio und verabschiedet sich mit vielen Luftküssen vor dem OP-Saal von seiner Geliebten.

Ich mache mich also daran, Giovanna an der Stirn und den Augenbrauen endoskopisch minimalinvasiv zu liften. Die Zugangswege lege ich dabei stets hinter dem Haaransatz an. Ein klassischer, S-förmiger Schnitt, von dem man manchmal auch liest, wird eher bei älteren Patienten angewandt, weil die überschüssige Haut entfernt werden muss. Das war bei Giovanna nicht nötig, und so wird sie nach ein paar Stunden in den Aufwachraum geschoben.

Was nicht einmal ich zu diesem Zeitpunkt weiß: Fabrizio hat keineswegs vor, in der Zwischenzeit nach Italien zurückzufahren, sondern nutzt die Gelegenheit, die Stadt – und vor allem die Münchner Frauen – zu entdecken.

Während die frisch geliftete Giovanna also mit einem dicken Drainageverband um Kopf und Augenpartie in ihrem Klinikbett liegt, vergnügt sich ihr Geliebter bereits am ersten Abend in der berühmt-berüchtigten Münchner Disco P1. Und zwar mit einer jungen Dame aus der Schweiz, die er an der Bar aufgabelt und die gerade ein paar Tage Urlaub in der bayerischen Metropole macht. Sie ist nicht nur gefühlte 25 Jahre jünger als Giovanna, sondern auch weit entfernt von Leinenhose und Schluppenbluse. Das Foto, das Fabrizio mir später unter die Nase hält, ist zwar nachts um zwei Uhr mit dem Handy aufgenommen, zeigt aber deutlich, dass das Outfit der jungen Dame eher dem von Julia Roberts in PrettyWoman entspricht – bevor Richard Gere sie mit Hilfe seiner goldenen Kreditkarte in eine Dame verwandelt hat, wohlgemerkt.

Offenbar flammt diese italienisch-schweizerische Leidenschaft hell und ausdauernd, denn der Gigolo bleibt die ganze Nacht verschwunden, und sooft ich Giovannas Handy nehme und seine Nummer anwähle, geht nur die Mailbox ran.

»Das italienische Telefonnetz ist in Deutschland oft nicht verfügbar«, tröste ich die aufgelöste Giovanna, die unter ihren Bandagen zwar nichts sieht, aber anscheinend eine untrügliche Intuition besitzt, dass nicht das Telefonnetz schuld ist, dass ihr Fabrizio unerreichbar bleibt.

Am nächsten Tag, nachdem Fabrizio einen Pflichtbesuch in der Klinik absolviert und seine Geliebte gesehen hat, die mit ihrem Mullverband eher an eine frisch einbalsamierten Mumie denn an seine feurige »bella donna« erinnert, bittet er mich in einem Vieraugengespräch in meinem Büro, Giovanna doch noch einen Tag länger im Kopfverband zu belassen. Auf meine Frage nach dem Grund für seine Bitte entgegnet er, er wolle sich noch ein wenig länger vergnügen, ohne dass sie etwas davon mitbekommt. Da die Verbände sowieso noch eine Weile draufbleiben müssen und sich Giovanna zudem in der Rolle des Krankenschwestern-Schrecks gefällt (»Ich will keine Kamilletee, bring mir Pfefferminze, aber ganz frisch und pronto, claro?«), sehe ich keinen Grund, Fabrizios Bitte nicht nachzukommen.

Erst am dritten Tag, als sein Spontan-Aufriss zufällig seinen Ehering in der Jacketttasche findet und ihn daraufhin mit schweizerischer Gründlichkeit aus ihrem Hotelzimmer wirft, holt Fabrizio seine geliftete Giovanna endlich ab und fährt mit ihr wieder gen Rom.

»Grazie, Tomaso, mille grazie«, sagt er zum Abschied und schüttelt mir enthusiastisch beide Hände. Nur ich weiß, dass sich sein Dank nicht nur auf Giovannas verjüngtes Aussehen bezieht. Würde Fabrizio ahnen, welches Gewitter sich inzwischen jenseits der Alpen zusammenbraut, er würde nicht so strahlen, als er ins Auto steigt.

Inzwischen hat nämlich seine ihm bisher treu ergebene Ehefrau Maria Lunte gerochen. Offenbar war die Reise in die süddeutsche Hauptstadt eine »Dienstreise« zu viel, vor allem, da sein Auftraggeber nichts davon weiß, wie Maria bei einem Kontrollanruf im Ministerium erfahren hat. Also setzt die misstrauische Gattin nach Fabrizios Rückkehr einen Privatdetektiv auf ihren Mann an. Als der tatsächlich drei Tage nach seiner Rückkehr zu Frau und Kind die Mittagspause im Ministerium nutzt, um sich mit seiner gelifteten Geliebten auf einem abgelegenen Parkplatz irgendwo am Rande von Rom zu treffen, schießt der Privatdetektiv mit seiner Kamera und dem teuren, qualitativ hochwertigen Objektiv ein gestochen scharfes Foto von den beiden – in Großaufnahme.

Das zeigt er anschließend Fabrizios Ehefrau Maria und kassiert dafür eine saftige Prämie. Bezahlt von dem Gehalt, das Fabrizio monatlich als braver Staatsdiener aus dem Ministerium nach Hause bringt. Maria trifft fast der Schlag. Allerdings nicht, weil ihr Gatte außerehelichen Vergnügungen nachgeht, an diesen Gedanken hat sich Maria im Laufe der 20-jährigen Ehe bereits halbwegs gewöhnt.

Nein, Maria muss befürchten, dass ihr Mann nicht derjenige ist, für den sie ihn lange gehalten hat: nämlich ein friedliebender Bürger, der die Steinzeitallüren seines Geschlechts (Tiere selbst töten, Frauen an den Haaren in seine Höhle schleifen) längst überwunden hat und daher selbstverständlich jegliche körperliche Gewalt ablehnt. Die Fotos sprechen jedoch eine andere Sprache, denn die Frau auf den Bildern hat jeweils ein deftiges Veilchen unter beiden Augen.

Da Maria ja nicht wissen kann, dass die Hämatome im Gesicht der Frau vom Lifting herrühren, muss es für sie so aussehen, als sei ihrem bislang braven Ehemann Fabrizio die Hand ausgerutscht.

Die Ehefrau wartet also, bis er nach Hause kommt, und knallt ihm dann aufgebracht das Corpus Delicti, in diesem Falle die Fotos, hin. Fabrizio verschlägt es die Sprache. Weniger beim Anblick der zwei blauen Augen Giovannas – an diesen Anblick hat er sich schließlich auf der Fahrt von München nach Rom bereits gewöhnt –, sondern weil seine Ehefrau von seinen außerehelichen Aktivitäten erfahren hat.

Daher greift er zu dem Satz, der wahrscheinlich am meisten verwendet wird, wenn eine Affäre auffliegt: »Es ist nicht so, wie du denkst!«

Doch Maria lässt sich nicht besänftigen, sondern stellt ihren Gatten wütend zur Rede: »Che cosa hai fatto – was hast du gemacht? Warum hat sie zwei blaue Augen? Warum hast du sie geschlagen? Wollte sie Geld?«

Doch der Gentleman schweigt, obwohl er längst nicht mehr genießt. Denn würde er zugeben, woher die Veilchen kommen – nämlich von einer Schönheits-OP –, würde garantiert als Nächstes die Frage folgen, wovon »diese Frau« – das ist eine mögliche Übersetzung für das dehnbare italienische Wort »puttana«, das Maria verwendet – die OP bezahlt hat. Und dann müsste Fabrizio Farbe bekennen, und das geht ihm nun entschieden zu weit. Er verbittet sich die Neugierde seiner Gattin und verschwindet im Hobbyraum auf den Hometrainer.

Gesegnet mit Eifer-, aber auch mit einem gewissen Hang zur Rachsucht, schickt die betrogene Ehefrau die pikanten Fotos kurzerhand an die Vorgesetzten ihres Gatten. Ohne dessen Wissen, selbstverständlich.

Prompt wird Fabrizio am Tag darauf morgens zu Minister Signore Bugatti ins mahagonigetäfelte Büro gebeten.

»Fabrizio«, beginnt der jovial das Verhör, »wir kennen uns nun schon wie lange?«

»15 Jahre«, antwortet der zum Chef Zitierte nicht ohne Verwunderung. Insgeheim macht sich sogar ein warmes Gefühl der Hoffnung in ihm breit. Sollte Bugatti sich endlich dazu durchgerungen haben, ihn zu befördern? Womöglich als Nachfolger des alten Alfonso, dessen Tage bis zu seiner Rente gezählt sind?

Doch Bugatti macht ein ernstes Gesicht.

»Ich habe meine Mitarbeiter letztes Jahr extra zu einem Antiaggressionsseminar geschickt«, sagt er wehklagend. »Auch dich, Fabrizio!«

Der nickt und erinnert sich gut an den tödlich langweiligen Dozenten, der immer nur »ihr müsst kommunizieren, versteht ihr, kommunizieren!« gepredigt hatte, bis alle Teilnehmer in ihrer Antipathie auf diesen öden Lackaffen vereint waren und sich nach Seminarende kollektiv an der Hotelbar betrunken hatten.

»Warum, Fabrizio? Hier im Büro reißt du dich doch auch zusammen! Und die Hand gegen eine Frau zu erheben, ist besonders schäbig!«

Der Beschuldigte versteht nicht recht: »Ministro, non capisco …«

Doch der fasst die Unwissenheit seines Untergebenen als Trotz auf und wirft ihm die Fotos über den Tisch.

Fabrizio wird bleich, will aber partout nicht zugeben, ein Verhältnis mit der Dame auf dem Foto zu haben – immerhin liegt das Ministerium nur zwei Querstraßen vom Vatikan entfernt!

Bugatti seufzt: »Scusi, Fabrizio, dann bleibt mir wirklich keine andere Möglichkeit mehr …«

Zwei Tage später liegt die Kündigung im Briefkasten. Offiziell wegen »unterschiedlicher Arbeitsauffassung«, aber jeder im Ministerium weiß, dass der Chef Fabrizio wegen körperlicher Misshandlung des »schwachen Geschlechts« rausgeworfen hat.

Die Rechnung für Giovannas Facelift, die ich ihm gestellt habe, hat er dennoch klaglos bezahlt. Wenigstens ist seine Ehefrau Maria bei ihm geblieben, und die beiden haben sich wieder versöhnt. Inzwischen hat Fabrizio sich selbstständig gemacht und übersetzt alte lateinische Schriften für die Universität in Rom. In der Bibliothek arbeiten nur ältere Damen, sodass er gar nicht erst in Versuchung kommt, seine Ehefrau Maria nochmals zu betrügen.

Die frisch verjüngte Giovanna hat sich wahrscheinlich schnell getröstet, immerhin wurde sie ja genau wie die Sixtinische Kapelle auf Staatskosten restauriert. Das nennt man wohl »mit einem blauen Auge davonkommen«.

3. KAPITEL

Der Leidensweg der Diana M. und ein Goethe-Zitat

Nicht immer haben die Geschichten, die ich in meiner Praxis erlebe, ein gutes Ende, und nicht alle Patienten kommen aus Gründen der Eitelkeit und dem Streben nach ästhetischer Perfektion. Manchmal steckt hinter dem Wunsch nach einer plastischen OP eine tiefe Seelenqual. Wie im Fall der Polizistin Diana M.

Mitte der 50er-Jahre kam sie als Hermaphrodit, auch Intersexueller genannt, zur Welt. Bei ihr waren also sowohl weibliche als auch männliche Geschlechtsorgane vorhanden. Da ihr Vater sich einen Sohn wünschte, gab die Mutter nach, und die Eltern ließen kurzerhand ihren Vaginalbereich zunähen und in die Geburtsurkunde als Geschlecht »männlich« eintragen. Mit ihrer Rolle als Junge kam Björn jedoch bereits als kleines Kind nicht klar. Für sie muss es sich von Anfang an angefühlt haben, als wäre die Seele im falschen Körper gelandet. Die Jungsklamotten, die wilden Spiele, ja vor allem der Vorname Björn – alles fühlte sich falsch an. Wie eine Verkleidung. Schon im Alter von vier Jahren zog Björn heimlich die Kleider ihrer Mutter an – als ihre Eltern davon Wind bekamen, setzte es eine Tracht Prügel. Ihre Großmutter verspottete sie als »warmen Bruder«.

Als ihre Neigung zum Mädchen-Sein in der Schule die Runde machte, mobbten Mitschüler Björn und veranstalteten regelrechte Hetzjagden auf sie. Mit zehn Jahren unternahm sie ihren ersten Selbstmordversuch.

Später schlug sie den anderen Weg ein und versuchte, als Mann im Leben zurechtzukommen. Björn entschied sich für einen »richtigen Männerjob« und ging zur Polizei. Kollegen gegenüber markierte sie den Macho, ihr Markenzeichen war eine qualmende Zigarre.

Doch irgendwann konnte sie das Versteckspiel nicht länger durchhalten. Innerlich rebellierte sie ständig gegen die aufgezwungene Rolle als Mann. Privat lebte sie ein Doppelleben, fuhr zeitweise sogar zwei Autos: Einen Opel benutzte Björn, um von ihrer Wohnung in die Dienststelle zu fahren. Sie kam als Mann nach Hause, zog sich Frauenkleider an und verließ die Wohnung erneut – als Diana, die einen kleinen VW fuhr. Als Frau hatte sie eine Vorliebe für zarte Stoffe und weit schwingende Kleider. Es war, als würde sie mit dem Überstreifen von Feinstrümpfen und Seidenblusen endlich in ihr wahres Selbst schlüpfen. Doch es blieb die Qual, dies nur wenige Stunden am Tag und immer nur heimlich machen zu können. Ständig litt sie unter Kopfschmerzen und Übelkeit. Nur wenn Björn sich krankmeldete, in weibliche Kleidung schlüpfte und die Rolle als Frau den ganzen Tag lebte, ging es ihr gut.

Zwei Jahre vor ihrem 40. Geburtstag beschloss sie schließlich, sich zu ihrer Weiblichkeit zu bekennen und fortan als Frau zu leben. Zu diesem Zweck ließ sie sich mehrere Wochen lang vom Dienst beurlauben. Nur zwei ihrer Vorgesetzten waren eingeweiht. Offiziell hieß es für die Kollegen, der Urlaub wäre wegen Hodenkrebs nötig – in Wirklichkeit unterzog Diana M. sich einer Geschlechtsumwandlung in London.

Bei einer Operation vom Mann zur Frau werden zunächst beide Hoden entfernt, dann die Harnleiter mit einem Katheter gesichert und gekürzt, anschließend trennt man die Eichel, im Fachjargon Glans penis, mit der dazugehörigen Gefäß- und Nervenversorgung, die die Orgasmusfunktion regelt, vom übrigen Schwellkörper des Penis. Aus der Eichel kreiert der Arzt dann eine Klitoris und aus dem Hodensack (Skrotum) die beiden Schamlippen. Aus der »skalpierten«, nach innen geklappten Penishaut schafft der Operateur die neue Vagina, die oberhalb des Schambeinknochens beginnt und durch den Muskel bis kurz vor dem Enddarm (Colon) reicht. Die Prostata wird gelassen, weil sie sich durch die anschließende weibliche Hormonbehandlung sowieso zurückbildet. Durch die Gabe der Hormone wird zudem das Gesicht des Patienten und die ganze ursprünglich männliche Körperform mit den Jahren runder und weiblicher.

Ist die OP beendet, wird ein Platzhalter in die neue Vagina eingesetzt, der den Schließmuskel offen- und die Tiefe beibehält, damit sie nicht zu eng wird. Dieser muss mehrmals am Tag herausgenommen und gereinigt werden. In einer zweiten OP wird dann der Venushügel aufgebaut.

Insgesamt benötigt die Patientin etwa zwei Monate, bis alles verheilt ist und sie dann auch Geschlechtsverkehr haben kann.

Die erste OP, in der Diana M. der Penis entfernt und die ersten Schritte zum Wiederaufbau der Vagina, die man ihr im Säuglingsalter, verkürzt ausgedrückt, einfach »zugenäht« hatte, verlief gut, und mit einem nie gekannten Glücksgefühl wachte sie danach auf. »Mit 40 Jahren wurde ich als Frau ein zweites Mal geboren«, so drückte sie es aus und nannte sich fortan auch offiziell »Diana«.

Eine Stimmlippen-Operation, der sie sich unterzog, ließ die Stimme höher, also weiblicher klingen, und in einer weiteren OP wurde die vormals markante Nase verkleinert, um Dianas Gesichtszüge noch femininer zu gestalten.

Allerdings lief der weitere Prozess der Anpassung an einen weiblichen Körper nicht gut, nachdem sich Diana M. entschlossen hatte, die Behandlung in Deutschland weiterzuführen. Zu diesem Zweck wandte sie sich an einen renommierten Professor der Plastischen Chirurgie, der den Aufbau ihrer Brüste durchführen sollte. Die Haut ist auch bei Männern so beschaffen, dass eine Dehnung mit Hautexpandern nicht nötig ist. Es werden anatomische Implantate eingesetzt, und innerhalb einiger Monate sieht die Brust dann völlig feminin aus. Die Schnitte werden meist unterhalb des Brustwarzenhofs gemacht (bei Frauen würde man sie in der Brustumschlagsfalte setzen). Die Implantate können oberhalb oder unterhalb des Brustmuskels liegend eingepflanzt werden.

So weit die Theorie. Dieser Professor jedoch, an den sich Diana wandte, besitzt offenbar eine sehr eigene Auffassung von Plastischer Chirurgie: Diana kommt einige Wochen nach ihrem Brustaufbau bei dem Professor in meine Klinik, da sie Schmerzen hat, beide Brüste entzündet sind und immer wieder Wundflüssigkeit austritt. Bereits bei der ersten Untersuchung wirkt ihr Oberkörper wie eine Hügellandschaft, die besser ins Allgäu als zu einem weiblichen Körper passen würde. Bei genauerer Betrachtung erkenne ich: Die Patientin besitzt statt zwei Brüsten – vier!

Zum Glück liegt sie bereits am übernächsten Tag unter Narkose auf meinem OP-Tisch, und ihr bleibt der Anblick des Pfusches erspart, den mein werter »Kollege« da veranstaltet hat. Auf jeder Seite finden sich nämlich statt eines Silikonkissens zwei – also vier Einlagen für zwei Brüste.

Im ersten Augenblick bin ich verwirrt. Die wundersame Silikonvermehrung? Ein betrunkener Operateur? Doch beim näheren Betrachten wird klar: Die Implantate lagen offenbar ursprünglich übereinander, wie die Schichten einer Geburtstagstorte. Ich habe in meiner Laufbahn ja schon viel gesehen, aber das schießt für mich den Vogel ab. Ist der Operateur wahnsinnig? Eigentlich müsste es sogar einem Medizinstudenten im ersten Semester klar sein, dass so eine Konstruktion nur schiefgehen kann! Sie ist genauso wackelig wie zwei aufeinanderliegende Luftmatratzen, mit denen man sich dann in die Brandung stürzt. Da wäre es auch nur eine Frage der Zeit, bis beide Luftkissen durch die Wellenbewegung auseinanderdriften.

Ähnlich verhält es sich mit den Implantaten in den Brüsten von Diana. Da die beiden Kissen durch nichts zusammengehalten werden, sondern nur lose übereinanderliegen, kommt es durch die Bewegung beim Gehen, Drehen und Strecken des Körpers zu einer Verschiebung. Die natürliche Reibung von BH beziehungsweise Kleidung an den Brüsten und der Druck taten ihr Übriges, um die Implantate innerhalb kürzester Zeit verrutschen zu lassen.

Da es sich um Implantate mit einer rauen Oberfläche handelt (die Wahrscheinlichkeit einer Kapselbildung wird dadurch reduziert), drohen die Einlagen nach außen durchzukommen, da durch die Reibung und das Volumen der beiden Silikonkissen die Haut bereits gerissen ist. Gleich beim ersten Schnitt verliert die Patientin 200 Milliliter Wundflüssigkeit. Beim Herausnehmen der Implantate sehe ich, dass es sich zudem um Silikoneinlagen minderer Qualität handelt – anders übrigens, als im offiziellen OP-Bericht des Herrn Professors angegeben, der mir in Kopie vorliegt. Das Werk meines sogenannten Kollegen kann man in zwei Worten zusammenfassen: grober Pfusch. Oder wie es bei den Insidern in der Plastischen Chirurgie heißt: »Da hat mal wieder einer blind die Kugel reingehauen.«

Was mich jedoch zusätzlich erschüttert, ist die Tatsache, dass der Operateur als Dozent an einer Universität lehrt. Sein Fach: Plastische Chirurgie!

Ich korrigiere also die Brüste von Diana M. vorläufig mit einem kleinen Implantat, doch sie wird im Anschluss noch Antibiotika nehmen müssen, da in der linken Brust aufgrund des vorherigen Eingriffs durch den Professor eine Infektion durch ausgetretenes Wundsekret und den Abrieb durch das minderwertige Silikon des Implantats droht. Sie wird also noch einige Zeit auf den Einsatz der endgültigen Silikoneinlagen warten müssen, bis die Heilung so weit fortgeschritten sein wird, dass eine finale Operation guten Gewissens durchgeführt werden kann.

Natürlich kann ich es mir nicht verkneifen, bei dem operierenden Kollegen nachzufragen – so von Arzt zu Arzt. Dieses Gespräch lässt mich einmal mehr daran zweifeln, wer in unserem Land alles die Bezeichnung »Plastischer Chirurg« führen darf.

Ich erhalte von dem Professor nämlich die lapidare Antwort, die passende Silikonkissen-Größe sei an diesem Tag nicht vorrätig gewesen, da habe man eben etwas »improvisieren« müssen. Ein klarer Fall von Unfähigkeit. Diana M. wird diesen Operateur zwar verklagen, doch trotz meines Gutachtens, das eindeutig die grobe Fahrlässigkeit sowie mehrere Behandlungsfehler des Professors belegt, wird das Verfahren sich über Jahre hinziehen. Am Ende wird Diana M. nichts mehr davon haben.

Die Patientin betraut nun mich mit der weiteren medizinischen Betreuung. Der Aufbau ihrer Brüste wird bald abgeschlossen sein, doch ihr Leidensweg aufgrund des Unverständnisses ihrer Umwelt soll erst beginnen.

Kurz vor ihrem »Urlaub«, der in Wirklichkeit ja ein Aufenthalt in einer Londoner Klinik war, hatte Diana M. ihre Vorgesetzten über ihre wahren Absichten unterrichtet. Eine Welle von Verständnis war ihr damals entgegengeschlagen – noch!

Als sie aus meiner Klinik zurückkommt, jetzt natürlich als Frau, schlägt die Stimmung nämlich schlagartig um: Einer der drei ursprünglich in den Plan eingeweihten Chefs macht sich auf einer Party über Diana M. lustig. Die unmittelbaren Vorgesetzten richten sich ganz nach der Mehrheitsmeinung aus, und selbst der oberste Dienststellenleiter, der ihr seine Unterstützung zugesagt hatte, lässt sie fallen, als an ihrer alten Arbeitsstelle Schwierigkeiten auftreten. Der Personalrat folgt seinem Beispiel.

Auch die meisten Kollegen und Kolleginnen reden hinter ihrem Rücken und verweigern ihr jede Sympathie. Sie kommen nicht damit zurecht, dass ihr Kollege Björn als Mann in den Urlaub ging und als Frau zurückkehrte. Eine Mitarbeiterin bringt sogar zu Papier, wie sehr man sich vor »so einem Wesen ekelt«. Die Lage spitzt sich zu. Diana M. wird in eine andere Dienststelle versetzt. Doch die Schikane hört nicht auf. An ihrem neuen Arbeitsplatz muss sie Aufgaben unter dem Niveau einer Sachbearbeiterin erledigen. Diana M. wird keinerlei Verantwortung mehr übertragen, sie bekommt keine Führungsaufgabe mehr und schlechte Beurteilungen. Dem Teamleiter gefällt es nicht, wie sie sich anzieht und schminkt, daher bezeichnet er ihr Äußeres als »nuttig«.

Diana M. kämpft: um ihre Anerkennung und ihr Recht. Neben weiteren operativen Maßnahmen, die sie vollständig zur Frau werden lassen, besteht sie auf einer objektiven Beurteilung durch die Verantwortlichen in diversen Führungsebenen ihrer Dienststelle. Diese fällt sehr gut aus, dennoch erhält sie immer noch keine adäquaten Aufgaben, die ihrer Ausbildung und ihren Fähigkeiten entsprechen.

Diana M. geht in die Offensive und klagt vor Gericht gegen ihre Arbeitgeber. Zudem engagiert sie sich in einem Verein gegen Mobbing, wird dort sogar zur Sprecherin gewählt. Sie gewinnt den Gerichtsprozess, doch an ihrem Arbeitsplatz ändert sich nichts. Auch der Prozess wegen des Ärztepfuschs bei der OP ihrer Erst-Implantate zieht sich hin, und Diana M. gerät wegen horrender Anwaltskosten auch in finanzielle Schwierigkeiten. Sie kämpft an allen Fronten gegen Bürokratie, Ärztewillkür und soziale Benachteiligung. Doch irgendwann lassen ihre Kräfte nach, vor allem psychisch. Diana M. hat ihre lang verleugnete Weiblichkeit zurückgewonnen, aber im Leben alles verloren.

Eines Tages machen sich Freunde von ihr Sorgen, da sie sich bereits länger nicht bei ihnen gemeldet hat und auch nicht ans Telefon geht. Sie alarmieren die Polizei. Am Abend gegen 22 Uhr bricht die Feuerwehr ihre Wohnungstür auf – und findet Diana M. tot auf ihrem Bett liegend. Die nun 50-Jährige hatte sich bereits drei oder vier Tage zuvor mit Tabletten das Leben genommen.

Ähnliche Erfahrungen mit dem Unverständnis und der Intoleranz von Kollegen machte auch Jennifer G., die in den 60er-Jahren in einem kleinen westfälischen Ort als Stefan auf die Welt kam. Wie Björn fühlte sich der kleine Junge bereits sehr früh fremd in seinem Körper. Die Spiele der anderen Jungs interessierten ihn nicht, er war lieber mit Mädchen zusammen und schob geduldig mit ihnen beim Familie-Spielen den Puppenwagen. Immer musste er der Vater sein, dabei hätte er doch viel lieber die Rolle der Puppenmama gehabt. Mit Hingabe zog er den Puppen Mädchenkleider an und beneidete insgeheim seine Spielkameradinnen darum, dass sie ganz selbstverständlich Mädchen sein durften. Etwas, was Stefan sich nur in seinen Träumen erlauben durfte, sonst hätte es Prügel vom Vater gegeben. Und die Mutter hätte wieder geweint, wenn sie vom Wunsch ihres Sohnes, ein Mädchen zu sein, erfahren hätte. Instinktiv spürte das Kind, dass es diesen Wunsch vor der Familie geheim halten musste. Und weil Stefan ein braver Junge war, schwieg er – 35 Jahre lang.

Stefan heiratete und wurde tatsächlich Vater von zwei Kindern, die er ebenso geduldig wie früher seine Puppen im Kinderwagen herumschob. Das Geld für seine kleine Familie verdiente er als Gabelstaplerfahrer in einer Verpackungsfabrik.

Doch irgendwann reichte es Stefan nicht mehr, heimlich die Kleider seiner Frau anzuziehen, wenn diese mit den Kindern beim Zahnarzt oder im Zoo war. Er verzweifelte zunehmend an seiner ihm aufgezwungenen Männerrolle. Er wurde krank, bekam Depressionen, und schließlich spielte er immer häufiger mit dem Gedanken, sich das Leben zu nehmen.

In einer Nacht war die Verzweiflung des Familienvaters über sein Doppelspiel so groß, dass Stefan auf einen abgelegenen Parkplatz fuhr und sich mit Autoabgasen umbringen wollte. Den Schlauch hatte er sich tags zuvor in einem Baumarkt besorgt. Im letzten Moment rief er seine Frau an, die sofort losfuhr, um ihren Mann abzuholen, und ihn in tiefster Seelenqual vorfand.

Daraufhin offenbarte sich Stefan seiner Familie, und obwohl es natürlich zuerst ein Schock für sie war, versprach seine Ehefrau, ihn bei seinen Plänen zu unterstützen. Die Kinder wurden behutsam eingeweiht und nahmen die Veränderung von ihrem Vater zu einem »Mutter-Vater« erstaunlich gelassen.

Über Empfehlungen und Recherche nahm Stefan Kontakt mit mir auf, und ich erklärte mich bereit, die meisten Operationen durchzuführen. Einige sogar ohne Honorar, denn mir war klar, dass der Aufwand die finanziellen Mittel der Familie übersteigen würde, auch wenn die Krankenkasse einen Teil bezahlen würde.

Doch da hatten wir die Rechnung ohne den Amtsschimmel gemacht. Die Statuten verlangten nämlich, dass der zu Operierende in Deutschland erst einmal seine Absicht, künftig als Frau zu leben, unter Beweis stellte. Dazu muss der Betroffene ein Jahr lang in Frauenkleidern und der weiblichen Rolle leben und sich zudem regelmäßigen Gesprächen mit einem Therapeuten unterziehen.

Dass Stefan nach dem »Outing« gegenüber seiner Familie seit mehreren Jahren nach Feierabend nur noch Frauenkleidung trug und ihm ein psychologischer Gutachter die Dringlichkeit einer OP wegen akuter Suizidgefahr bescheinigte, interessierte die Kasse nicht.

Stefan war inzwischen psychisch am Tiefpunkt angelangt und drohte, seine Pläne, »mit allem Schluss zu machen«, tatsächlich wahr zu machen, wenn er nicht bald operiert werden würde. Fast täglich schickte er Bittbriefe an die Krankenkasse und legte Bescheinigungen vor, doch er erhielt immer die Standardantwort: »Halten Sie sich an die Vorschriften.« Was bedeutete: ein ganzes Jahr Wartezeit.

Daraufhin beschloss Stefan, der sich inzwischen Jennifer nannte und nur noch in der weiblichen Person angesprochen werden wollte, das persönliche Gespräch mit dem Zuständigen bei der Krankenkasse zu suchen.

Jennifer marschierte also in den Bürokomplex und zog brav eine Nummer.

Als sie endlich dran war, trug sie ihr Anliegen vor. Der Sachbearbeiter sah sehr wohl, dass da eine Frau vor ihm stand. Dennoch stellte er sich stur. Doch auch Jennifer gab nicht nach, sondern drängte auf die Zuschüsse der Krankenkasse zur dringend benötigten OP. Nach einer längeren, von Jennifers Seite lautstark und emotional geführten, aber wegen des vor ihr sitzenden Paragrafenreiters leider fruchtlosen Diskussion kam der Sachbearbeiter auf die Idee, mit seinem Wissen aus dem Deutschunterricht zu argumentieren: »Sie werden erst ein Jahr als Mann in Frauenkleidern leben, basta! Oder, wie Goethe schon zu sagen pflegte: ›Der Worte sind genug gewechselt, nun lasst Taten sprechen‹!«

Das ließ Jennifer sich nicht zweimal sagen. Zwar war sie mit Twinset und Perlenkette schon ganz Frau, ihr rechter Haken war aber noch immer der des Gabelstaplerfahrers Stefan. Und der traf auch sein Ziel. Während der Sachbearbeiter sich fassungslos seine blutende Nase hielt, konterte Jennifer nun ihrerseits mit Goethes Götz-Zitat.

Ihr Auftritt bescherte dem Krankenkassen-Mitarbeiter eine leichte Fraktur im Gesicht und Jennifer selbst ein dreimonatiges Hausverbot für das Gebäude der Krankenkasse »ab Eingangstür«, wie im Schreiben ausdrücklich zu lesen war. Doch die Bewilligung zur ersten OP bekam sie bereits nach einer Woche – vom Vorgesetzten des lädierten Sacharbeiters persönlich.

4. KAPITEL

Plastik-Chirurgie

In meinem Sprechzimmer sitzt mir eine 45-jährige Spanierin gegenüber, die von sich behauptet, Flamencotänzerin zu sein. Momentan sieht sie jedoch eher aus, als wäre sie in einer Arena irgendwo in Madrid oder Barcelona unter die Hufe eines rasenden Stieres gekommen: Ihr gesamtes Gesicht ist aufgedunsen und rot, die Augen sind kaum mehr als Schlitze.

»Isch war beim Sahnarzt«, bringt sie mühsam über die grotesk geschwollenen Lippen. Ich tippe auf Weisheitszähne, die entfernt wurden, aber was ich nun zu hören bekomme, lässt mich an das Fehlen jeglicher Weisheit glauben, sowohl beim Arzt als auch bei der Patientin.

Diese hatte sich nämlich beim letzten Blick in den Spiegel gefragt, woher pünktlich zu ihrem runden Geburtstag auf einmal die ganzen Furchen kamen, die ihr Gesicht durchzogen. Sie machte den Fehler, sich einer Freundin anzuvertrauen, deren Sohn gerade frischgebackener Student der Zahnmedizin war und sich offenbar zu Höherem berufen fühlte, als während seines Praktikums in einer Münchner Praxis den Patienten nur mal eine Füllung zu verpassen oder den Zahnstein zu entfernen. Unter der Hand bot er der Freundin seiner Mutter nämlich eine kleine »Unterspritzung« ihrer Mimikfalten an – zum Freundschaftspreis, versteht sich.

Die tanzbegabte Spanierin war sofort Feuer und Flamme und ließ die, wie sie mir später berichtete, äußerst schmerzhafte Prozedur geduldig über sich ergehen. Dass sie sich dabei in die Hände eines Frankenstein Junior begeben hatte, der ihr in Kürze das Aussehen von Michael Jacksons Haus-Affen Bubbles verpassen sollte, ahnte die gute Frau erst, als die Gesichtshaut zu Hause verdächtig zu spannen begann. Ein Blick in den Spiegel bestätigte ihre Ahnung, dass hier etwas nicht ganz so gelaufen war wie geplant.

In Horrorfilmen sieht man ja manchmal bedauernswerte Menschen, die von Körperfressern, Außerirdischen oder Zombies angefallen werden. Ungefähr so muss sich meine Patientin gefühlt haben, als sie ihre bis zur Unkenntlichkeit geschwollene Visage sah.

»Helfen Sie mir, Doktor«, fleht sie mich jetzt also an. »Alle anderen Ärzte haben schon versagt!«