Table of Contents
Buchtitel
Impressum
Prolog
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
23. Kapitel
24. Kapitel
Nachspiel – 1. Weihnachtsfeiertag
Petra Schier
Vier Pfoten und das Weihnachtsglück
Impressum
Dieser Roman ist 2013 unter demselben Titel bereits als Hardcover im Verlag Rütten & Loening erschienen.
2. Auflage August 2022
Copyright © 2013 by Petra Schier
Petra Schier, Lerchenweg 6, 53506 Heckenbach
Buchumschlag-Gestaltung unter Verwendung von Adobe Stock:
© master1305
© Artenauta
ISBN 978-3-96711-047-0
Alle Rechte vorbehalten.
Ein Nachdruck oder eine andere Verwertung ist nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin möglich.
Prolog
Lieber Weihnachtsmann (oder wer auch immer bei Ihnen die E-Mails entgegennimmt),
heute ist mein achtzehnter Geburtstag, und ich gebe zu ... na ja, wir haben was getrunken. Okay, ordentlich gebechert. Aber egal. Meine Schwester und ich haben vorhin eine Wette abgeschlossen. Ich habe gesagt, dass ich in genau zehn Jahren den Mann meines Lebens kennenlernen will. Also den, mit dem ich dann für immer zusammenbleiben werde. Tessa (meine Schwester) meinte, ich sei verrückt und dass man vorsichtig mit den Dingen sein soll, die man sich wünscht. Sie hat eine große Enttäuschung hinter sich und sitzt jetzt mit einem süßen kleinen Sohn allein da, während sein Vater sich über den großen Teich abgesetzt hat, um als Fußballer Karriere zu machen. Dafür könnte ich ihm den Hals umdrehen, und es ist klar, dass sie nicht mehr an die große Liebe glaubt.
Aber ich glaube daran, und an den Weihnachtsmann glaube ich auch. Zumindest heute, wo ich so herrlich betüdelt bin. Kann sein, dass ich morgen einen Mordskater habe und es total peinlich finde, dass ich heute diese Mail geschrieben habe. Aber was soll’s. Vermutlich liest sie ja doch niemand. Schön wäre es aber schon, wenn mein Wunsch in Erfüllung gehen würde. Mal abwarten, ob das klappt. Mit etwas Hilfe vom Weihnachtsmann doch bestimmt, nicht wahr?
Viele Grüße
Sophie Lamberti
P. S. Er sollte unbedingt Tiere mögen. Hunde vor allen Dingen!
1. Kapitel
Zehn Jahre später
Bedächtig griff Santa Claus — auch als Weihnachtsmann bekannt — nach dem Ausdruck des Wunschzettels, den sein E-Mail-Archivierungsprogramm soeben ausgespuckt hatte. Elf-Dreizehn, der Weihnachts-Elf, der für das Computersystem zuständig war, hatte eine Zeitschaltuhr eingebaut. Diese zeigte zuverlässig alle längerfristig auszuführenden Wünsche nach Datum geordnet auf dem Computerbildschirm an.
Santa Claus strich sich lächelnd durch den weißen Rauschebart. Es kam nicht allzu oft vor, dass erwachsene Menschen — oder fast erwachsene — über seine Internetseite mit ihm Kontakt aufnahmen. Und wenn, dann eher Eltern, die ihren kleinen Kindern halfen, deren Wunschzettel per E-Mail abzuschicken.
Auch wenn die E-Mail nur aufgrund einer Wette an ihn gesendet worden war — ein Wunsch blieb ein Wunsch. Und ein solcher musste erfüllt werden, wenn es auch nur ansatzweise möglich war.
Santas Blick blieb an der Unterschrift der jungen Dame hängen. »Sophie Lamberti«, murmelte er mit einem leichten Stirnrunzeln vor sich hin. »Wo habe ich den Namen bloß schon mal gehört?«
Ohne hinzusehen, drückte er den Knopf der Gegensprechanlage. »Elfe-Sieben?«
»Ja, Santa, was gibt es?«, kam prompt die Antwort seiner Assistentin.
»Sagt dir der Name Sophie Lamberti etwas?«
»Lamberti?« Einen Moment war es still, dann raschelte etwas, und Augenblicke später betrat Elfe-Sieben Santas Arbeitszimmer. Zielstrebig trat sie an die Wand mit den unzähligen Flachbildschirmen, über die die wichtigsten Wunscherfüllungsprojekte des Weihnachtsmannes per Video überwacht werden konnten. Da es gerade November war, liefen die meisten Bildschirme noch nicht.
Elfe-Sieben schaltete eines der Geräte an und tippte ein paar Daten ein. Sogleich erschienen verschiedene Fotos auf dem Bildschirm. Die kleine Elfe drehte sich zum Weihnachtsmann um. »Meinst du diese Sophie Lamberti?« Sie deutete auf das Gesicht einer hübschen jungen Frau mit langem brünettem Haar und braunen Augen. »Sie ist die Schwester von Tessa Lamberti, Pardon, Winkmann. Weißt du noch, du hast sie und ihren jetzigen Mann vor einigen Jahren zusammengebracht. Rechtzeitig zum Weihnachtsfest übrigens. Die beiden haben einen Sohn namens Lukas und seit kurzem eine Tochter mit Namen Tatjana. Und an Ruprecht, den kleinen Jack-Russell-Mischling, erinnerst du dich bestimmt auch noch, oder?« Elfe-Sieben wählte ein Foto des lustigen kleinen Hundes und vergrößerte es mit einem Tastendruck. »Er hat uns damals geholfen, die beiden Menschen zusammenzubringen.«
»Na, so was!« Santa Claus rieb sich verblüfft übers Kinn. »Selbstverständlich erinnere ich mich daran. Das ist ja wirklich ein Zufall; wie klein die Welt doch ist. Ich habe hier einen Wunsch dieser Sophie vorliegen, den sie vor zehn Jahren an mich geschickt hat. Schau!« Er reichte Elfe-Sieben den Ausdruck der E-Mail.
Die Elfe überflog das Schreiben und lächelte sichtlich gerührt. »Wie romantisch!«, seufzte sie. »Offenbar haben wir jedes Jahr wenigstens einen Fall unter den Wünschen, bei dem wir Liebende zueinanderführen sollen.«
»Stimmt, das kam in den letzten Jahren immer wieder vor.« Santa Claus nickte nachdenklich. »Aber das sind auch stets die kniffligsten Fälle. Wenn meine liebe Frau davon erfährt, wird sie mir bestimmt davon abraten, mich einzumischen.«
Elfe-Sieben blickte ihn erschrocken an. »O nein, bitte lass uns Sophie helfen. Ich finde ihre E-Mail so nett.«
»Vielleicht hat sich der Wunsch auch längst erledigt«, gab der Weihnachtsmann zu bedenken. »Zehn Jahre sind eine lange Zeit.«
»Das lässt sich doch ganz leicht herausfinden.« Die Elfe trat neben ihn. »Darf ich?« Ohne auf seine Antwort zu warten, tippte sie ein paar Befehle auf der Computer-Tastatur ein und rief damit eine Suchmaske auf. »Schauen wir mal, wie es Sophie Lamberti geht und was sie heute macht.«
2. Kapitel
»Tessa, du wirst mir nicht glauben, was heute passiert ist!« Wie ein Wirbelwind fegte Sophie Lamberti in den spätherbstlich dekorierten Blumenladen ihrer älteren Schwester und fiel ihr um den Hals. »Ich hab ihn, ich hab ihn!«
Lachend schob Tessa sie ein wenig von sich. »Pass auf, ich bin gerade dabei, ein Blumengesteck zusammenzustellen. Meine Hände sind ganz schmutzig.« Sie griff nach einem Handtuch und wischte ihre Finger daran ab. »Also sag schon, wen hast du an der Angel?«
Sophie strahlte sie an und schüttelte ihr langes braunes Haar. An ihren Ohren klimperten große, silberne Ohrringe, die wie ineinander verwobene keltische Ornamente aussahen. »Na, den Job! Ich hab den Job! Erinnerst du dich noch, dass ich mich als Fotografin für diese Artikelserie über Weihnachtsbräuche beim Magazin Zeitschritte beworben hatte? Ist schon ein Weilchen her.«
»Zeitschritte? Du meinst das Lifestyle-Magazin ...«
»... mit politischem und sozialem Anspruch«, ergänzte Sophie den Werbeslogan der Zeitschrift. »Genau das meine ich. Sie haben vorhin angerufen und mich zu einem Meeting eingeladen. Die Chefredakteurin persönlich hat mit mir gesprochen. Meine Fotos haben ihnen richtig gut gefallen, und jetzt darf ich an dieser Artikelserie mitarbeiten. Ich weiß nur noch nicht, welcher Journalist die Texte schreiben wird, aber den lerne ich ja dann bald kennen. Ich schätze, es ist eine der Reporterinnen, die auch sonst die sozialen Themen bearbeiten. Da sind ein paar tolle Frauen dabei. Das wird so spannend. Ich bin ganz aus dem Häuschen!«
Tessa lachte. »Das merke ich. Gratuliere zu diesem Erfolg, Schwesterchen. Ich wusste, aus dir wird mal eine Star-Fotografin. Ich bin stolz auf dich.«
»Na ja, so weit bin ich nun doch noch nicht«, schränkte Sophie ein, grinste jedoch dabei. »Aber was nicht ist, kann ja noch werden. Ich bin so glücklich über diesen Auftrag. Mein Fotostudio läuft zwar auch ganz passabel, aber um richtig bekannt zu werden und die fetten Aufträge an Land zu ziehen, muss ich einfach noch mehr Referenzen aufweisen können. Was wäre dazu besser geeignet als eine Fotoserie für Zeitschritte? Ich geh gleich mal rauf ins Studio und rufe Mama und Papa an. Die werden vielleicht Augen machen.« Sophie wirbelte zur Tür, drehte sich aber noch einmal um. »Tessa, das muss gefeiert werden. Haben du und Tom heute Abend schon was vor?«
»Eigentlich nicht.« Tessa überlegte kurz. »Lukas übernachtet heute bei Mario. Leon hat den beiden Jungs versprochen, mit ihnen ins Kino zu gehen. Irgendein Action-Streifen. Training hat Tom heute auch keines. Wenn wir also für Tatjana einen Babysitter finden, steht einer kleinen Feier nichts entgegen.«
»Ach was, ich bringe alles mit«, widersprach Sophie. »Meine kleine Nichte muss unbedingt den Erfolg ihrer Tante mitfeiern. Ich kann kaum glauben, dass sie schon sechs Monate alt ist. Sie ist so süß, ich könnte sie ständig knuddeln.« Suchend blickte sie sich um. »Wo hast du sie überhaupt versteckt?«
»Pierre ist mit ihr spazieren gegangen. Sie wurde ein bisschen unruhig, als vorhin gleich mehrere Kunden in den Laden kamen.«
»So ein Assistent ist Gold wert, was?« Sophie lachte.
»Geschäftspartner, bitte«, verbesserte Tessa. »Immerhin habe ich ihn kürzlich mit dreißig Prozent am Laden beteiligt. Aber du hast recht, er ist wirklich ein Schatz und ganz vernarrt in Tatjana. Er kann unglaublich gut mit ihr umgehen. Ich wüsste nicht, was ich ohne ihn anfangen sollte.«
»Grüß ihn von mir, wenn die beiden zurückkommen.« Wieder wandte sich Sophie der Tür zu. »Dann wäre das also abgemacht. Ich komme heute Abend gegen sieben zu euch. Und wagt es nicht, etwas vorzubereiten. Die Party geht auf mich!«
3. Kapitel
»Es ist dir wirklich ernst, was?« Eingehend sah sich Erich Braumann, Inhaber der Mediengruppe B-Media, im Wohnzimmer der kleinen Dreizimmerwohnung seines Sohnes um. Die Wände waren frisch gestrichen, die Böden mit dunklem Laminat ausgelegt, und die Einrichtung bestand überwiegend aus nagelneuen IKEA-Möbeln. »Zweckmäßig«, konstatierte er mit einem Schmunzeln. »Aber weniger hässlich, als deine Mutter befürchtet hat. Für eine Weile wirst du es hier wohl aushalten.«
»Komm schon, Pap, Millionen Menschen leben so. Ich sehe nicht ein, weshalb ich das nicht tun sollte.« Carsten Braumann grinste schief und fuhr sich durch das kurze blonde Haar. »Abgesehen davon dürfte mein Loft drüben in Köln nicht gerade zu dem Image eines durchschnittlich verdienenden Journalisten passen.«
»Wie lange willst du die Scharade aufrechterhalten?« Erich trat ans Fenster und warf einen Blick auf den kleinen Stadtpark, der gleich gegenüber begann. Die Bäume waren um diese Jahreszeit bereits kahl; das trübe, neblige Wetter tat sein Übriges, um alles in ein tristes Licht zu tauchen.
»Erst einmal so lange, wie die Arbeit an der Artikelserie dauert«, antwortete Carsten und trat neben seinen Vater. »Dann sehen wir weiter. Du hast es doch ähnlich gemacht, als du in meinem Alter warst, oder etwa nicht?«
»Mhm, ja. Aber damals war die Firma noch nicht halb so groß wie heute und die Klatschmedien noch nicht so auf Zack. Ein Klick ins Internet und jeder weiß, wer du bist.«
»O nein, so leicht ist es nicht«, widersprach Carsten. »Mein Name taucht so gut wie gar nicht im Zusammenhang mit der Firma auf; da muss man schon sehr genau recherchieren. Ich trete lediglich als Journalist in Erscheinung, und nichts anderes bin ich ja offiziell. Dass ich der Junior-Chef der B-Media-Group bin, steht nirgendwo öffentlich geschrieben. Und so soll es auch bleiben. Du und Mam, ihr seid damit doch auch immer sehr gut gefahren.«
»Allerdings«, stimmte Erich zu. »Ich halte nichts davon, mich mit meinen Verdiensten weit aus dem Fenster zu lehnen. Die Firma läuft, dank unserer fähigen Geschäftsführer und Mitarbeiter. Mehr braucht niemand zu wissen, der uns nicht näher kennt.«
»Eben.« Carsten nickte. »Und deshalb wird die Sache auch funktionieren. Mir liegt wirklich viel an diesem Projekt. Hat Inga sich schon für einen Fotografen entschieden?«
»Sie hat eine junge Frau hier aus der Stadt vorgeschlagen. Ich habe ihre Bewerbungsmappe gesehen; sie ist sehr talentiert. Sophie irgendwas. Den Nachnamen habe ich vergessen. Ich glaube, es war etwas Italienisches.«
»Eine Frau? Na toll, hoffentlich nicht so ein verrücktes Groupie mit nichts als Stroh im Kopf.«
»Carsten!« Irritiert schüttelte Erich den Kopf. »Seit wann bist du eigentlich derart frauenfeindlich eingestellt? Das gefällt mir gar nicht.«
»Ich bin nicht frauenfeindlich, sondern genervt. Mir gehen diese Möchtegern-Sternchen und geldgeilen Männerfängerinnen gewaltig auf den Keks. Die, die sich im Showbiz tummeln, sind die schlimmsten.«
»Na, dann kann ich dich wohl beruhigen. Dies ist der erste Auftrag eines großen Magazins für die junge Dame. Sie ist also noch ein unbeschriebenes Blatt.«
»Noch schlimmer. Dann sucht sie vermutlich gerade nach einem Karrieresprungbrett.«
»Nun hör aber auf !« Verärgert runzelte Erich die Stirn. »Was ist denn bloß in dich gefahren?«
Carsten funkelte ihn gereizt an. »Du weißt genau, wie es mir bisher mit Frauen ergangen ist, ob nun privat oder beruflich. Mir reicht es. Kaum wittern sie Geld und Einfluss, schon saugen sie dich aus und werfen die Hülle dann achtlos weg, wenn sie bekommen haben, was sie wollen. Aber nicht mehr mit mir. Ich bin fünfunddreißig. Andere Männer haben in meinem Alter schon eine Familie.«
»Die könntest du auch längst haben.«
»Mit wem denn?« Vehement schüttelte Carsten den Kopf.
»Nun mach aber mal einen Punkt, Carsten. Du hattest doch schon genug Freundinnen, und auch jetzt dürfte die Auswahl nicht allzu klein sein.«
»Auswahl? O ja. Welche hätte ich denn heiraten sollen? Ich sag dir was: Die Wahrscheinlichkeit, dass ich inzwischen wieder geschieden wäre und jeden Monat einen Batzen Alimente zu zahlen hätte, ist so groß wie die, dass am vierundzwanzigsten Dezember Heiligabend ist.«
»Das kannst du doch gar nicht wissen, Junge.«
»Und wie ich das weiß, Pap. Weißt du was, vergiss es einfach. Sollte ich eines Tages doch noch mal einer Frau begegnen, die nicht in diese Kategorie fällt, erfährt sie erst, wer ich wirklich bin, wenn wir in Rente gehen.«
Erich runzelte die Stirn. »Unaufrichtigkeit kann wohl kaum der beste Weg sein.«
»Das werden wir ja sehen.« Mit finsterer Miene verschränkte Carsten die Arme vor der Brust. »Ich bleibe jedenfalls erst einmal bis auf weiteres bei meinem Plan.«
»Dann viel Erfolg mit deiner Maskerade. Ich hoffe, du setzt dich damit nicht in die Nesseln.« Achselzuckend wandte Erich sich um und ging zur Wohnungstür. Dort drehte er sich noch einmal um. »Ehe ich es vergesse — deine Schwester hat sich angemeldet. Sie trifft morgen Mittag ein. Faselte etwas von einer Überraschung für dich.«
»O nein!«
»O doch. Komm schon, es wird schon nicht so schlimm werden.«
Carsten nahm seine silbern gerahmte Brille ab und massierte seufzend seine Nasenwurzel. »Elenas Überraschungen bedeuten immer irgendwelchen Ärger. Du hast ihr doch wohl nicht meine neue Adresse gegeben?«
Erich grinste nur.
»Pap!«
»Viel Erfolg mit der Artikelreihe, mein Sohn.« Die Tür klappte hinter Erich Braumann ins Schloss. Carsten stöhnte und schloss für einen Moment die Augen. Als er sie wieder öffnete, fiel sein Blick auf die weit offenstehende Küchentür und das Chaos von Kartons und Kisten dahinter. Wenn er bis morgen fertig eingerichtet sein wollte, wurde es Zeit, sich wieder an die Arbeit zu machen. Vielleicht schaffte er auch noch einen raschen Einkauf im Supermarkt. Und dann musste er sich auch noch auf das morgige Meeting in der Redaktion vorbereiten.
***
Sophie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr und fluchte unterdrückt. Der letzte Fototermin des Tages hatte sie länger aufgehalten als geplant, und sie musste unbedingt noch ein paar Sachen für die abendliche Feier bei Tessa einkaufen. Sie bog mit Schwung auf den Parkplatz des Supermarktes ein und vernahm fast im gleichen Moment ein lautes Hupen. Erschrocken trat sie auf die Bremse und brachte ihren Wagen nur Millimeter vor einem schwarzen Sportwagen zum Stehen. Der Fahrer gestikulierte wild und zeigte ihr einen Vogel. Sie blickte sich erschrocken um und runzelte dann die Stirn. Was hatte der Typ überhaupt auf ihrer Spur zu suchen? Er war eindeutig gegen die Fahrtrichtung unterwegs.
»Blöder Affe«, schimpfte sie und zeigte ihm ebenfalls einen Vogel, doch er hatte längst den Rückwärtsgang eingelegt und war an ihr vorbei in eine Parklücke gefahren. Achselzuckend suchte sie sich ebenfalls einen Platz, schnappte sich einen Einkaufswagen und hastete im Laufschritt in den Markt.
Den Großteil ihrer Einkäufe hatte sie schnell erledigt, doch an der Fleischtheke musste sie sich in einer längeren Schlange anstellen. Seufzend blickte sie erneut auf ihre Uhr. Schon kurz vor sieben. Sie hasste es, unpünktlich zu sein.
Beherzt tippte sie den hochgewachsenen, blonden Mann an, der vor ihr in der Reihe stand. »Entschuldigen Sie bitte, wäre es wohl möglich, dass Sie mich vorlassen ... Oh.« Sie verstummte, als der Mann sich zu ihr umdrehte. »Sie!«
Er musterte sie erstaunt, dann bildete sich eine steile Falte auf seiner Stirn. Seine grauen Augen hinter den dezent silbern gerahmten Brillengläsern verengten sich. »Die Kamikaze-Fahrerin, wie nett. Ich hoffe, Sie haben auf dem Weg hierher nicht noch jemanden über den Haufen gefahren.«
Sophie starrte ihn empört an. »Hören Sie mal! Sie waren auf der falschen Spur unterwegs. Ich hab Sie überhaupt nicht kommen sehen.«
»Dann fahren Sie demnächst besser mit offenen Augen.«
Liebend gerne hätte Sophie ihm eine patzige Antwort gegeben, doch stattdessen setzte sie ein, wie sie hoffte, freundliches Lächeln auf. »Lassen wir’s einfach gut sein, ja? Wissen Sie, ich habe es ein bisschen eilig, deshalb wäre es nett, wenn Sie mich vorlassen würden.«
»Warum sollte ich das wohl tun?« Er musterte sie verärgert. »Sie können warten wie jeder andere Kunde auch.«
»Aber ...« Sophie blickte verblüfft auf seinen Rücken, denn er hatte sich einfach wieder umgedreht. »Fein.« Verärgert richtete sie ihren Blick auf die Einkäufe in ihrem Wagen.
Nachdem sie endlich alle Lebensmittel erstanden hatte, eilte sie zu ihrem Wagen zurück und lud alles in den Kofferraum. Inzwischen war es schon nach sieben. Während sie halb gehend, halb laufend den Einkaufswagen zurückbrachte, fischte sie mit einer Hand nach ihrem Handy, um Tessa anzurufen. Mit fliegenden Fingern blätterte sie durch die Telefonliste, als ihr leerer Einkaufswagen unsanft mit dem eines anderen Kunden zusammenstieß. Sie strauchelte und hätte um ein Haar ihr Mobiltelefon fallengelassen. »O Gott, entsch...«
»Das darf doch wohl nicht wahr sein! Träumen Sie eigentlich?«, fuhr der blonde Mann von eben sie erbost an. Sein Einkaufswagen war durch den Aufprall rückwärts gegen eine Bordsteinkante gerollt und halb umgekippt. Die Hälfte seiner Einkäufe kullerte in einem Blumenbeet umher. Fluchend bückte er sich und begann, die Lebensmittel wieder einzusammeln.
»Entschuldigen Sie vielmals. Ich habe nicht aufgepasst. Tut mir leid.« Eilig rollte Sophie ihren Wagen zur Seite und bückte sich ebenfalls, um ein Päckchen Butter und eine Tüte mit Schnittsalat aufzuheben, die vor ihren Füßen gelandet war. Dann griff sie nach dem Netz mit Apfelsinen, doch der Mann hatte dieses ebenfalls im gleichen Moment in die Hand genommen.
Beide ließen das Netz wieder los und richteten sich auf. Dabei stießen sie unsanft mit den Köpfen zusammen.
»Au!« Sophie rieb sich über die Stirn und blickte verlegen zu ihrem Gegenüber auf, dessen Hand ebenfalls an seinen Kopf gewandert war.
In seinen grauen Augen glitzerte es sowohl zornig als auch spöttisch. »Ich schlage vor, Sie halten sich von mir fern.« Sein Ton troff vor Sarkasmus. »Sonst gibt es am Ende noch Tote.«
»Ich wollte doch nur ...«
»Ja, ja, sicher. Guten Tag.« Ohne sie noch weiter zu beachten, sammelte er die noch herumliegenden Einkäufe ein.
Sophie sah ihm einen Moment verunsichert dabei zu. »Es tut mir wirklich leid. Ich wollte nicht ...«
»Vergessen Sie es, okay?« Er legte einen Beutel Tiefkühlgemüse zuoberst in seinen Wagen. »Gehen Sie und rennen jemand anderen über den Haufen. Mein Bedarf ist für heute gedeckt.«
»Es war ja keine Absicht.«
»Sie gehen mir auf die Nerven, Lady.«
Sophies Geduldsfaden riss. »Und Sie sind ein ziemlicher Großkotz.« Sie warf einen Blick auf seinen Einkaufswagen, aus dem es verdächtig tropfte. »Sie sollten auf Ihre Eier aufpassen.«
Er zog die Brauen zusammen. »Wie bitte?«
Sophie grinste süffisant. »Ihre Eier ... sie laufen aus.«
Damit drehte sie sich um und stolzierte hoch erhobenen Hauptes zurück zu ihrem Auto. Erst als sie bereits auf halbem Weg zu Tessas Haus war, fiel ihr ein, dass sie ihren eigenen Einkaufswagen samt Chip mitten auf dem Parkplatz zurückgelassen hatte.
4. Kapitel
»Hast du das gesehen?« Elfe-Sieben stieß Santa Claus aufgeregt in die Seite. »Ich glaube, wir haben uns genau im richtigen Moment eingeschaltet.«
»Und wie ich das gesehen habe!«, rief der Weihnachtsmann und rieb sich die Hände. »Das ist ja besser, als ich dachte. Wir müssen sofort herausfinden, wer der blonde Mann ist. Er sieht mir nach einem vielversprechenden Kandidaten aus.«
Die beiden sahen einander mit verschwörerischem Lächeln an. Im selben Moment vernahmen sie ein energisches Räuspern hinter sich. Ohne dass sie es bemerkt hatten, war Santas Frau eingetreten und hatte den beiden offenbar schon eine Weile still über die Schultern geschaut.
»Hallo, mein Schatz.« Erfreut drehte Santa sich zu ihr um. »Was machst du denn hier? Ich dachte, du beaufsichtigst die Bäcker-Elfen drüben in der Backstube.«
»Ich habe dir ein paar Kostproben gebracht.« Santas Frau deutete auf den Teller mit Plätzchen, den sie auf dem Schreibtisch abgestellt hatte. »Was macht ihr denn da? Das sieht doch schon wieder nach irgendeinem Unfug aus.«
»Nein, ganz bestimmt nicht!«, widersprach Elfe-Sieben. »Wir versuchen nur, einer jungen Frau einen Wunsch zu erfüllen, den sie vor zehn Jahren an Santa geschickt hat. Das ist doch unsere Aufgabe, oder etwa nicht? Schau, hier ist er.« Sie reichte Santas Frau den Ausdruck der E-Mail, den diese rasch überflog. Dann lächelte sie der eifrigen Weihnachtselfe zu.
»Selbstverständlich ist das eure Aufgabe. Ich bin nur immer besorgt, dass ihr euch zu sehr einmischen könntet. Wenn ich das recht verstehe, habt ihr mit diesen beiden Menschen dort auf dem Bildschirm etwas vor. Seid ihr sicher, dass das gut geht? Sie wirken auf mich nicht sehr begeistert voneinander.«
»Ach was.« Der Weihnachtsmann schüttelte milde den Kopf. »Was sich liebt, das neckt sich.«
»Mag sein.« Seine Frau nickte leicht. »Aber versprich mir, dass du die Finger davon lässt, wenn es nicht funktioniert. Nach allem, was ich gerade gesehen habe, dürfte es kaum zwei Menschen geben, die weniger zusammenpassen als diese beiden.«
»Der erste Eindruck kann täuschen«, gab Santa zu bedenken.
»Stimmt, das kommt vor. « Sie lächelte, ihr Blick blieb jedoch ernst. »Aber falls dem nicht so sein sollte, wäre es sicherlich nicht verkehrt, noch einen Plan B in der Hinterhand zu haben.«
Santa Claus reckte voller Überzeugung das Kinn. »Den werden wir nicht brauchen.«
5. Kapitel
»Guten Morgen, Frau Lamberti.« Mit einem kräftigen Händedruck wurde Sophie von Inga Heidbrink, der Chefredakteurin des Magazins Zeitschritte, begrüßt. »Bitte setzen Sie sich. Möchten Sie einen Kaffee? Wasser? Oder etwas anderes? Wir warten noch auf Carsten. Er wird den journalistischen Part an der Artikelserie übernehmen. Ich bin sicher, das wird ein ganz tolles Projekt. Der erste Teil soll bereits kommende Woche erscheinen, deshalb sind wir ein wenig in Zeitdruck. Die Termine für die ersten Interviews und Fotosessions stehen bereits fest. Ihr könnt also sofort loslegen.«
Sophie nickte eifrig. »Von mir aus gerne. Ich möchte mich noch einmal dafür bedanken, dass Sie mir diese Möglichkeit bieten. Es war schon lange mein Wunsch, für dieses Magazin fotografieren zu dürfen.«
»Ich bin sicher, Sie werden hervorragende Arbeit leisten. Ihre bisherigen Werke sind sehr beeindruckend. Gerade gestern habe ich mir noch einmal Ihre Homepage angesehen. Wenn das aktuelle Projekt so gut läuft, wie ich mir das vorstelle, kann es durchaus sein, dass wir ... Ach, da bist du ja, Carsten«, unterbrach sie sich, als die Tür sich öffnete und ein großer blonder Mann eintrat. »Du kommst gerade rechtzeitig. Ich wollte eben unserer neuen Fotografin die Details unserer Planungen vorstellen. Frau Lamberti«, sie wandte sich Sophie zu. »Dies ist Carsten Braumann, der Kollege, der die Artikel zur Fotoserie schreiben wird. Wenn Sie unser Magazin regelmäßig lesen, werden Sie seinem Namen bereits begegnet sein. Carsten, sag guten Tag zu deiner Projektpartnerin Sophie Lamberti.«
Carsten trat näher und streckte die Hand aus. »Guten ... Ach du liebe Zeit, Sie schon wieder!« Mitten in der Bewegung hielt er inne und starrte Sophie an.
Sophie, die sich von ihrem Stuhl erhoben hatte, erschrak ebenfalls. »Sie? Das ... ist ... aber ein, ähm, Zufall.«
»Ihr kennt euch schon?« Erfreut blickte Inga zwischen ihnen hin und her. »Das ist ja praktisch, dann entfällt ja das lästige Vorstellen. Setzen wir uns wieder, dann können wir eure Vorgehensweise in Ruhe besprechen. Ich schlage vor, ihr fahrt als Erstes ...«
Sophie ließ sich langsam wieder auf ihren Platz sinken. Sie meinte, noch immer Carsten Braumanns missbilligenden Blick zu spüren, doch als sie ihn ansah, war seine Aufmerksamkeit voll und ganz auf die Chefredakteurin gerichtet. Beinahe hätte Sophie die Hände an ihre glühenden Wangen gelegt. Sie hoffte, sie war nicht so rot geworden, wie es sich anfühlte. Das war Carsten Braumann? Selbstverständlich kannte sie seine Artikel. Normalerweise befasste er sich mehr mit politischen und gesellschaftlichen Themen. Diese Artikelreihe über Weihnachtsbräuche passte nicht ganz in sein Schema, aber das hätte ihr ja gleichgültig sein können. Wenn man ihr vorher gesagt hätte, dass sie mit ihm zusammenarbeiten würde, wäre sie doppelt stolz gewesen. Doch nach der gestrigen Begegnung mit ihm war sie alles andere als begeistert, ihn am Hals zu haben. Als er nun doch kurz in ihre Richtung blickte, konnte sie an seiner Miene nur allzu deutlich ablesen, dass sich auch bei ihm die Euphorie über die erneute Begegnung in Grenzen hielt.
Für den Rest des Meetings hatte Sophie große Mühe, sich auf das zu konzentrieren, was Inga Heidbrink über den Ablauf der Zusammenarbeit zu sagen hatte. Doch sie riss sich zusammen, so gut es ging. Vor einem Carsten Braumann würde sie sich keine Blöße geben, das stand fest.
***
»Sie haben wohl nichts dagegen, wenn ich fahre?« In Carstens Frage schwang deutlich erkennbarer Spott mit. Er hielt ihr die Tür auf und folgte ihr dann hinaus auf den Parkplatz vor dem Redaktionsgebäude, das sich etwas außerhalb der kleinen Stadt befand, in der Sophie lebte.
Sie drehte sich zu ihm um und funkelte ihn an. »Stolpern Sie auf dem Weg zum Auto nicht über Ihr Ego. Ich habe gestern versucht, mich bei Ihnen zu entschuldigen.«
»Indem Sie mich einen Großkotz nannten?« Feixend zog er einen Schlüsselbund aus seiner Hosentasche und strebte einem schwarzen Sportwagen zu.
»Sie sind ja auch einer. Ich habe Ihnen doch nun wirklich nichts getan.«
»Versuchten Mord und schwere Körperverletzung zählen Sie als nichts?«
Er hatte den Wagen aufgeschlossen und ihr die Beifahrerseite geöffnet. Sophie, die gerade hatte einsteigen wollen, hielt inne und richtete sich wieder auf. »Spinnen Sie?«
»Ich war es jedenfalls nicht, der versucht hat, Sie gleich zweimal über den Haufen zu fahren. Von der Kopfnuss ganz zu schweigen.« Achselzuckend ging Carsten um das Auto herum und klemmte sich hinters Steuer. »Was ist nun, fahren Sie mit, oder muss ich die Fotos zum heutigen Interview selbst schießen?«
Sophie biss sich auf die Zunge, um den Kommentar, der ihr herauszurutschen drohte, zu unterdrücken. Schweigend setzte sie sich ins Auto und schnallte sich an. Die Tasche mit ihrer Kamera und weiteren Utensilien stellte sie im Fußraum ab.
»Wollen Sie die nicht lieber im Kofferraum verstauen?« Mit dem Daumen deutete er hinter sich. Sophie schüttelte den Kopf. »Das geht schon.« »Wie Sie wollen.« Sie spürte, wie er sie von der Seite
musterte. »Ach übrigens ... hier.«
Erstaunt blickte sie auf seine Hand, die er ihr, die Handfläche nach oben, hinhielt. Darauf lag ihr silberner Einkaufschip mit der lachenden orangefarbenen Sonne. »Oh.« Verlegen nahm sie den Chip an sich.
Da er nichts weiter sagte, schwieg sie ebenfalls und blickte angestrengt aus dem Fenster. Eines war klar — so hatte sie sich ihren ersten Auftrag für Zeitschritte nicht vorgestellt.