Vier Romane mit Herz Juni 2023 - Silke Bekker - E-Book

Vier Romane mit Herz Juni 2023 E-Book

Silke Bekker

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Beschreibung

Dieser Band enthält folgende Romane Ein Herz kann man nicht stehlen (Anna Martach) Gabrielle, die Unbeugsame (Anna Martach) Wir brauchen endlich eine neue Mami (Anna Martach) Wunderliche Liebesgeschichte 1914 (Alfred Bekker, Silke Bekker, W.A.Hary) Gabrielle von Dückersfeldt, die trotz der Konventionen ihrer Familie arbeiten gehen möchte, kommt dort bald ihrem Kunden Holger näher, noch nicht ahnend, dass dieser über sie nur Zugang zur guten Gesellschaft erhalten möchte. Doch bald lernt Gabrielle den Verlobten ihrer Schwester Rafaela, Marius von Hogschürer kennen, der, vernünftig wie er ist, so gar nicht zu ihrer verwöhnten Schwester zu passen scheint und ihr sofort sympathisch ist, wie auch Holger und Rafaela sich gut zu verstehen scheinen. Doch die Verlobung von Rafaela und Marius ist bereits beschlossen...

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Anna Martach, W.A.Hary, Silke Bekker, Alfred Bekker

Vier Romane mit Herz Juni 2023

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Inhaltsverzeichnis

Vier Romane mit Herz Juni 2023

Copyright

Ein Herz kann man nicht stehlen

Gabrielle, die Unbeugsame

Wir brauchen endlich eine neue Mami

​Wunderliche Liebesgeschichte 1914

Vier Romane mit Herz Juni 2023

Anna Martach, Alfred Bekker, Silke Bekker, W.A.Hary

Dieser Band enthält folgende Romane

Ein Herz kann man nicht stehlen (Anna Martach)

Gabrielle, die Unbeugsame (Anna Martach)

Wir brauchen endlich eine neue Mami (Anna Martach)

Wunderliche Liebesgeschichte 1914 (Alfred Bekker, Silke Bekker, W.A.Hary)

Gabrielle von Dückersfeldt, die trotz der Konventionen ihrer Familie arbeiten gehen möchte, kommt dort bald ihrem Kunden Holger näher, noch nicht ahnend, dass dieser über sie nur Zugang zur guten Gesellschaft erhalten möchte. Doch bald lernt Gabrielle den Verlobten ihrer Schwester Rafaela, Marius von Hogschürer kennen, der, vernünftig wie er ist, so gar nicht zu ihrer verwöhnten Schwester zu passen scheint und ihr sofort sympathisch ist, wie auch Holger und Rafaela sich gut zu verstehen scheinen. Doch die Verlobung von Rafaela und Marius ist bereits beschlossen...

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author / COVER A.PANADERO

© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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Alles rund um Belletristik!

Ein Herz kann man nicht stehlen

von Anna Martach

Ein CassiopeiaPress E-Book

© by Author

© der Digitalausgabe 2015 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

www.AlfredBekker.de

[email protected]

Der Umfang dieses E-Book entspricht 97 Taschenbuchseiten.

Joachim Delgendörfer, ein bekannter Schriftsteller, lernt auf dem Fest seines Freundes Victor Fürst Emmerich die schöne und geheimnisvolle Gräfin Feodora von Hagendorff kennen. Obwohl er ihr Interesse spürt, weicht sie seinen Annäherungsversuchen immer wieder aus. Was verbirgt sie vor ihm? Und, was für Joachim noch wichtiger ist, wird Feodora hinter sein Geheimnis kommen?

1

Ein fahler Mond leuchtete durch die Nacht, bis sich eine Wolke davorschob. Fast schlagartig wurde es dunkel. So sah niemand die Gestalt, die sich im Schutz der Dunkelheit an das großzügige, geräumige Herrenhaus heranschlich. Aber wahrscheinlich hätte es auch ohne den Schutz der Dunkelheit niemand bemerkt. Denn immerhin hatte Graf Heimfeldt, der Besitzer des Anwesens, erst kürzlich eine teure, moderne und absolut sichere Alarmanlage einbauen lassen. Es befanden sich doch eine Menge Wertsachen im Haus, worunter die Originalgemälde namhafter Künstler nicht die einzigen waren.

Aber jetzt schien es so, als wäre doch der Schutz durch die neue Anlage nicht ausreichend, denn kein greller Ton jaulte auf, und auch kein Licht flammte auf, noch regte sich der lautlose Alarm bei der Polizei. Die Gestalt, die da durch die Nacht huschte, schien sich sehr gut auszukennen. Ohne zu zögern, schlug sie den Weg zu einem der Kellerfenster ein, überwand mühelos die einfache Sicherung und stand gleich darauf im Haus. Jetzt bestand keine Gefahr mehr. Mit festen Schritten ging die Person durch das Haus, bewunderte hier ein Bild, blieb dort vor einer Kristallvitrine stehen, in der Porzellanminiaturen standen, und hielt schließlich vor einem Waffenschrank. Der war verschlossen, doch durch eine Glasscheibe ließ sich erkennen, dass die Gewehre dahinter nicht nur der Jagd dienten, sondern auch alte und wertvolle Schmuckstücke waren. Ein hauchdünner Draht führte vom Schrank in die Wand hinein, eine zusätzliche Sicherung.

Ein Lächeln zeigte sich im Gesicht der Person, doch niemand konnte es sehen.

Ebenso geräuschlos, wie sie gekommen war, verschwand die Gestalt auf dem gleichen Wege. Der Hausherr merkte am nächsten Morgen nichts, doch einige Tage später tauchte nochmals ein Team der Firma auf, welche die Alarmanlage installiert hatte. Kostenlos wurde eine zusätzliche Sicherung im Keller eingebaut.

2

Die Party war wirklich interessant, wie Joachim Delgendörfer eingestehen musste. Nicht nur in einem der riesigen Räume spielte eine Kapelle, nein, auch für die jüngeren Semester gab es eine Art Disco, in der man sich mit merkwürdigen ruckartigen Bewegungen zur Musik bewegte. Der Lärm war fast ohrenbetäubend, und einen Sinn schien das auch nicht zu machen. Aber vielleicht, fand Delgendörfer, war er einfach zu alt für diese Art der Unterhaltung. Dabei war er gerade mal Mitte vierzig, doch die Rockbands aus seiner Jugendzeit hatten zumindest noch Musik gemacht, wie er betrübt feststellte. Dies hier, was unter dem Namen Techno kursierte, reizte seine Ohren und schreckte ihn einfach ab. Aber erstaunlich viele junge Leute schienen sich bei dem Krach auch noch unterhalten zu können.

Nein, Delgendörfer fand, dieser Ausflug in die Jugendszene hatte lange genug gedauert. Ohne Bedauern kehrte er zurück in den großen Saal im Schloss von Victor Fürst Emmerich, wo eine gute Kapelle gerade eine sanfte Rumba spielte. Elegant gekleidete Frauen tanzten mit Herren in teuren Smokings, perlendes Lachen klang auf, Gläser klirrten, und Stimmengemurmel verwischte zu einem angenehmen Hintergrundgeräusch.

Delgendörfer war allein gekommen. Er war mit dem Fürsten befreundet, seit er ihn einmal in einem seiner Bücher als Vorbild benutzt hatte. Die zwei hatten sich zufällig in Ascona auf dem Golfplatz kennengelernt, und es war mehr daraus geworden als eine dieser üblichen oberflächlichen Bekanntschaften. Jedenfalls hatte Victor ihn zu diesem Fest eingeladen, aber der angesehene und wohlhabende Autor von Biographien und neuerdings Kriminalromanen fühlte sich etwas verloren. Die Gespräche waren zu oberflächlich, die Frauen zu sehr von sich eingenommen, und die Männer hatten einfach zu viel Geld, für das sie meist nicht arbeiten mussten. Es war ausgesprochen gut, dass der Fürst nicht wusste, womit Joachim sein Geld wirklich verdiente. Er wäre in Panik ausgebrochen, angesichts der Kostbarkeiten, die sich in seinem Besitz befanden.

Delgendörfer überlegte gerade, einfach zu gehen, ohne sich groß zu verabschieden, und wandte sich schon in Richtung der Flügeltüren. Genau in diesem Moment stieß eine Frau mit ihm zusammen, die sich gerade umgedreht hatte. Eine schöne Frau, wie Delgendörfer auf den ersten Blick feststellte. Pechschwarzes Haar, dem ein guter Friseur dezent zu mehr Glanz verholfen hatte, umrahmte ein schmales Gesicht, in dem leuchtend grüne Augen vorherrschten. Ein sinnlicher Mund öffnete sich, um eine Entschuldigung hervorzustoßen, als Delgendörfer aus einem Reflex heraus die Arme um die Frau legte, wie um sie vor einem Sturz zu retten.

„Hoppla, schöne Frau“, sagte er bewundernd. „Ich bin es ja gewohnt, von meinen Fans bedrängt zu werden. Aber so schöne Fans hatte ich lange nicht.“

Ein vernichtender Blick traf ihn.

„Verzeihung, ich wollte Sie nicht belästigen“, sagte die Frau mit weicher, rauchiger Stimme, und dem Mann liefen eisige Schauder über den Rücken.

„Mein Name ist Delgendörfer, Joachim Delgendörfer“, stellte er sich vor und erwartete nun, dass auch sie sich vorstellte. Doch nur ein abweisender Blick traf ihn.

„Wie schön für Sie“, sagte sie trocken.

Der Autor musste auflachen. Da hatte er doch wirklich die älteste Anmache der Welt versucht, nur um gnadenlos abzublitzen. In seine grauen Augen trat ein amüsiertes Leuchten, und um seine schmalen Lippen spielte ein Lächeln.

„Das habe ich wohl falsch angefangen, ja?“, erkundigte er sich spöttisch, und nun lächelte auch die Frau. Für Joachim war es, als ginge an diesem Abend die Sonne auf.

„Ich bin Feodora von Hagendorff“, sagte sie dann mit einem bezaubernden Lachen.

„Wie schön für mich“, erwiderte er ironisch und fasste ihren Arm. „Würden Sie mit mir tanzen?“

Sie ließ sich von ihm auf die Tanzfläche ziehen und schien auch nichts dagegen zu haben, dass er sie eng an sich zog, als die Kapelle einen Slowfox spielte. Ihre Augen blitzten herausfordernd, und ihr Mund lächelte spöttisch. Augenscheinlich war sie zum Flirten aufgelegt, sofern es nur ein bisschen intelligent stattfand.

„Ich finde diese Party zum Einschlafen“, bekannte sie nach einer Weile, als Delgendörfer sich gerade daran gewöhnt hatte, diesen anschmiegsamen Körper im Arm zu halten.

„Mir geht es ähnlich“, bekannte er. „Noch dazu, da ich allein gekommen bin.“

„Ach, wirklich. Und deswegen versuchten Sie diesen trockenen Annäherungsversuch?“, fragte sie ironisch.

„Es war die einfachste Idee, nachdem Sie mich so bezaubernd umgerannt haben. Hätten Sie Lust, diesen Abend mit mir in einem anderen Lokal weiterzuführen?“, schlug er rasch vor.

„Dieser Abend ist noch lange nicht vorbei“, verkündete sie geheimnisvoll.

Der Tanz war zu Ende. Noch bevor Delgendörfer weiter in sie dringen und vielleicht ihre Adresse erfahren konnte, verschwand sie. Er konnte nicht wissen, dass die Frau ihn in Gedanken mit einem anderen verglich, mit Tom Krüger, ihrem Auftraggeber, der sie auf eine ungewisse Art faszinierte und anzog. Aber niemals hätte sie das vor einem anderen, noch vor sich selbst zugegeben. Vor ihrem geistigen Auge blitzten die braunen Augen Toms auf, und der unwiderstehliche, rauchige Klang seiner Stimme elektrisierte sie für einen Moment. Aber gleich schüttelte sie die Empfindung ab. Es konnte einfach nicht sein. Nein, es durfte nicht sein, verbesserte sie sich selbst. Dann ging sie wie zufällig durch die Räume und betrachtete dabei doch aufmerksam alles, was ihr noch nützlich sein konnte.

Eine halbe Stunde später sah Delgendörfer sie noch einmal, als sie sich herzlich von ihrem Gastgeber verabschiedete. Aber bis er sich durch das Menschengewühl zu ihr durchgearbeitet hatte, war sie endgültig verschwunden.

„Wer ist sie?“, fragte Delgendörfer den Fürsten, als beide bewundernd hinter der Frau hersahen.

„Sie gefällt dir wohl“, scherzte dieser. „Sie ist Gräfin Hagendorff, ungebunden, selbstständig, eigensinnig, teuer. Nichts für dich, lieber Freund.“

Delgendörfer beschloss, nun endgültig zu gehen.

3

Es war schon früher Morgen, die letzten Gäste waren längst gegangen, das Personal hatte die restliche Beseitigung der Überreste auf den Morgen verschoben, als sich eine dunkel gekleidete Gestalt durch die Räume bewegte. Auf dem Boden waren getrocknete Lachen von verschütteten Getränken zu sehen, Glasscherben, Papierfetzen, ein vergessener Schal.

Die Gestalt schritt sicher durch die Räume, bis sie in die intimeren Zimmer kam, die auch privat vom Fürsten benutzt wurden und wo das Publikum, das täglich seinen Rundgang durch das Schloss machte, keinen Zugang hatte. Zwei, drei Räume durchquerte die Person, dann hielt sie inne und ging zielsicher auf eine Vitrine zu. Doch kaum hatte sie die Hand ausgestreckt, wie um etwas herauszunehmen, gellte ein durchdringendes Geräusch durch das ganze Schloss.

Einbrecher!

Die Gestalt stand wie erstarrt, aber nur für einen winzigen Augenblick. Ein Lachen erklang, dann verschwand die Person ungesehen, wie sie hereingekommen war.

Am nächsten Tag, als Victor Fürst Emmerich einen Einbruch bei der Firma meldete, die die Alarmanlagen herstellte, wurde ihm schnellstens jemand zugesagt, der gleich alles wieder sichern würde, nachdem die Polizei ein ziemliches Chaos angerichtet hatte.

Und Tom Krüger hakte auf einer Liste einen weiteren offenen Posten ab.

4

Drei Wochen später kam es zu einem erneuten Zusammentreffen zwischen Delgendörfer und Gräfin Feodora, doch es geschah unter sehr merkwürdigen Umständen.

Wieder einmal war Delgendörfer zu einem Fest geladen. Da er sich bisher für keine Frau hatte entscheiden konnte, luden ihn seine Gastgeber auch allein ein, in der Hoffnung, er würde doch endlich die passende Partnerin finden. Aber zu dieser Feier wäre er auf jeden Fall gekommen. Es war sein Verleger, Hermann Steiger, der eine rauschende Ballnacht zum Besten gab, wobei der Begriff rauschende Ballnacht sicher übertrieben war. Doch eine ziemlich große Party war es auf jeden Fall. Auch andere Autoren waren anwesend, und schnell bildete sich ein Grüppchen, in dem heiß diskutiert wurde über Bücherthemen, Verkaufszahlen und Zusammenarbeit mit Lektoren und Verlag. Delgendörfer fand all diese Diskussionen, die er immer wieder in dieser oder ähnlicher Form hörte, uninteressant und langweilig. Seiner Meinung nach waren Autoren generell unterbezahlt, abgesehen von einigen ganz großen. Und die konnten den größten Müll zusammenschreiben, der wurde immer noch mit Handkuss aufgekauft. Doch er gehörte ebensowenig dazu wie die anderen Kollegen, die hier versammelt waren, auch wenn er in seiner Branche einen sehr guten Ruf genoss. Aber schreiben war sein Leben, wie er sich eingestand, oder zumindest ein Teil davon. Der andere Teil seines Lebens spielte sich eher auf der kritischen Seite des Gesetzes ab, und niemand durfte davon wissen. Aber Delgendörfer rechtfertigte sich vor sich selbst. Wie sollte er denn sonst seinen Lebensstil aufrechterhalten, der einigermaßen kostspielig war. Und im Übrigen handelte er doch wie Robin Hood, er hatte noch nie einem Armen... Aber was war das? Gräfin Feodora von Hagendorff schwebte wie eine Feengestalt, nicht durch seine Gedanken, sondern durch den Raum.

Joachim lief auf die Frau zu, die jetzt statt der glänzenden schwarzen Haare eine haselnussbraune Pagenfrisur trug, um sie festzuhalten und mit ihr zu reden. Sie sollte ihm nicht wieder wie im Märchen Aschenputtel entwischen. Doch sie schien ihn plötzlich zu sehen. Etwas wie Erschrecken glitt über ihre Züge, und mit unnachahmlicher Schnelligkeit verschwand sie im Gewühl der Menschen, bis Delgendörfer sie nicht mehr entdecken konnte.

„He, hast du gerade einen Geist gesehen?“, fragte Hermann Steiger, der Verleger, von der Seite. Ihm war nicht entgangen, dass sein bester Autor wie vom Donner gerührt dastand.

„Nein, eine Göttin, wie ich fürchte, bildschön und doch unnahbar“, erwiderte Joachim.

„Komm zurück auf den Boden der Menschheit und beschreibe sie mir. Ich weiß schließlich, wen ich eingeladen habe“, forderte Steiger.

„Grüne Augen wie eine Wiese in Irland, volle, sinnliche Lippen wie Rosenknospen, brauner Pagenkopf, eine Figur wie...“

„Ist schon gut, du kannst aufhören mit deiner Schwärmerei. Du meinst die Gräfin Felicitas. Mein Lieber, dein Geschmack ist wirklich außergewöhnlich, aber wohl kaum zu befriedigen. Jedenfalls habe ich noch nie gesehen, dass sie einem Mann mehr als einen Tanz geschenkt hätte. Sie kommt und geht allein, aber jeder scheint von ihr begeistert. Und deshalb wird sie auch immer und überall eingeladen. Außerdem scheint sie sehr geheimnisvoll, kaum jemand weiß etwas über sie. Und das macht sie besonders interessant."

„Hast du ihre Adresse?“, erkundigte sich Joachim hastig, doch Steiger schüttelte den Kopf.

„Nein, ich habe die Einladung über Tom Krüger zustellen lassen. Du weißt, den, der die besten Alarmanlagen herstellt. Scheinbar kennen die beiden sich gut. Nun ja, kein Wunder, Krüger gehört zu einer der großen Patrizierfamilien, und die haben nie Wert auf Adelstitel gelegt. Aber sie kennen jeden, das kannst du mir glauben. Und wen sie nicht kennen, der ist ein Niemand.“

Delgendörfer zuckte die Schultern. Augenscheinlich war er in eine Sackgasse geraten und konnte jetzt nur auf den unwahrscheinlichen Zufall hoffen, die Frau noch einmal zu treffen. Oder er musste sich etwas einfallen lassen.

5

Gräfin Feodora Felicitas Friederike Feride Flora von Hagendorff war nicht wenig erschrocken, dass sie erneut auf diesen Mann getroffen war, der sie scheinbar in sein Herz geschlossen hatte. Er beunruhigte sie auf eine seltsame Art und Weise, denn er schien interessant zu sein.

Längst hatte Freddie, wie ihre wenigen Freunde sie nannten, erfahren, dass er Schriftsteller war, dem Anschein nach ungebunden, und doch irgendwie geheimnisvoll. Allein mit dem Schreiben konnte er jedenfalls nicht all das Geld verdienen, was er so mühelos ausgab. Aber niemand wusste etwas Genaues. Nun gut, solange auch niemand etwas Genaues über sie herausfand, sollte es ihr recht sein. Am besten vergaß sie diesen Mann ganz schnell wieder. Auch wenn sein Aussehen fast ihrem Idealbild entsprach. Delgendörfer war hochgewachsen und schlank, er hatte nicht einmal den Ansatz eines Bauches, seine Bewegungen wirkten elastisch, wahrscheinlich trieb er viel Sport. Das Gesicht war markant, eine Adlernase teilte das Gesicht, in dem sich nur wenige Falten befanden, die Augen waren unergründlich grau, die Haare aschblond, ohne Ansatz von Geheimratsecken, voll und leicht gewellt. Alles in allem war Joachim Delgendörfer eine imposante Erscheinung.

Aber Freddie wollte keine nähere Bekanntschaft, zumindest zu diesem Zeitpunkt nicht. Zuerst einmal ging sie in der Arbeit bei Tom Krüger auf. Und der war nun wirklich ein Mann nach ihrem Herzen.

Freddie seufzte auf. Nein, nicht Tom. Er behandelte sie wie eine Schwester, großzügig und manchmal etwas neckend, kein Gedanke daran, dass von seiner Seite aus mehr da sein könnte. Und wahrscheinlich war dieses freundschaftliche Verhältnis die Grundlage ihrer guten Zusammenarbeit, wie sie sich eingestand. Also verschloss sie ihre Gefühle für ihn tief in ihrem Herzen, wild entschlossen, sie ganz zu vergessen. Ebenso wie Joachim Delgendörfer.

Stattdessen konzentrierte sie sich auf ihre Arbeit. Es wurde Zeit, sich umzuziehen und den nächsten Auftrag auszuführen.

Und so stand auch in dieser Nacht eine dunkle Gestalt vor den wunderschönen kostbaren Jadefiguren, die eine Leidenschaft von Hermann Steiger waren. Nichts wurde berührt, nichts gestohlen, niemand bemerkte überhaupt etwas von einem Einbruch. Aber am nächsten Tag erschienen Techniker, die von Tom Krüger geschickt worden waren, und verbesserten kostenlos die Alarmanlage.

6

Weihnachten nahte. Das Wetter wurde schlechter, nasskalt und schmuddelig war es draußen. Doch drinnen, im gut geheizten Festsaal von Burg Derenhardt, dachte niemand an das Wetter.

Gräfin Hagendorff hatte sich in ein sündhaft teures, dabei aber schlicht elegantes Abendkleid geworfen; mitternachtsblaue Seide, raffiniert geschnitten, und hauteng anliegend. Das Haar schimmerte goldblond und bot einen entzückenden Kontrast zur Farbe des Kleides und der leicht gebräunten Haut, die Freddie im Solarium pflegte. Viele Männer starrten sie ganz unverhohlen an, bis entweder ihre Begleiterin ihnen einen Stups gab oder sie einsahen, dass Freddie ihnen keinen zweiten Blick schenken würde. Sie tanzte viel an diesem Abend, aber, wie es ihre Art war, nie zweimal mit einem Mann.

Doch dann bekam sie plötzlich einen Schreck, als wie aus dem Boden gewachsen Joachim Delgendörfer neben ihr stand, sie sanft aber bestimmt am Arm fasste und in fast befehlendem Ton um den nächsten Tanz bat. Freddie konnte dem nicht ausweichen, ohne eine Szene zu riskieren, aber ihre Augen sprühten vor Zorn.

„Was wollen Sie eigentlich von mir?“, fragte sie erbost.

„Zunächst einmal diesen Tanz“, erwiderte Delgendörfer. „Und dann vielleicht ein paar Antworten. Zum Beispiel auf die Frage, wie es kommt, dass man Sie bei jedem unserer gemeinsamen Bekannten unter einem anderen Namen kennt. Und dass häufig, wenn Sie auf einer Party waren, bald darauf eingebrochen wird. Ich verfolge nämlich die Zeitungsmeldungen, verstehen Sie? Außerdem wird viel erzählt, was nicht immer nur besinnungsloser Klatsch ist. Und dann wäre da noch die Frage, ob Sie mit mir zum Silvesterball gehen möchten.“

Freddie schnappte empört nach Luft. Was fiel diesem unverschämten Kerl eigentlich ein?

„Ich wüsste beim besten Willen nicht, was Sie meine Namen angehen“, schmetterte sie seine Neugier eiskalt ab.

„Ach, kommen Sie, Gräfin, wenn Sie überhaupt eine sind. Erst schwarz, dann braun, jetzt blond. Und jeweils zur anderen Haarfarbe ein neuer Name. Finden Sie nicht auch, dass das mehr als nur ein bisschen merkwürdig ist?“ Joachims graue Augen bohrten sich fordernd in die ihren.

Diese Frage schien ihn ja wirklich sehr zu beschäftigen. Und dabei war die Antwort eigentlich so einfach.

Unwillkürlich musste die Frau lächeln, gleich darauf wurde sie wieder ernst.

„Sie sollten mir jetzt erst einmal erklären, wie Sie auf die absurde Idee kommen, ich könnte etwas mit den Einbrüchen zu tun haben. Das ist unglaublich und lächerlich. Genauso gut könnte ich Sie verdächtigen, oder auch Baron Langhard, oder jeden anderen unserer gemeinsamen Bekannten. Aber wenn Sie das ganz einfach für eine neue oder interessante Art der Anmache halten, dann sind Sie schief gewickelt.“ Ihre grünen Augen versprühten zornige Blitze, und sie sah so schön und begehrenswert aus, dass Delgendörfer versucht war, sie in seine Arme zu ziehen und zu küssen.

Aber langsam, mahnte er sich selbst. Bei dieser Frau sollte man nichts überstürzen. Es war natürlich eine verrückte Idee, diese schöne und augenscheinlich reiche Frau mit den Einbrüchen in Verbindung zu bringen. Es sei denn, der Reichtum war nur vorgetäuscht, so wie bei ihm. Aber da er selbst oft des Nachts auf Diebestour ging, stellte sich ihm die Frage, ob er vielleicht in der Gräfin eine Konkurrentin hatte. Immerhin gab es einige Einbrüche, die er nicht begangen hatte.

Delgendörfer war ein Ass in seinem Fach, und es sprach für ihn, dass man bisher noch nie auch nur einen Verdacht gehegt hatte. Durch seine Bekanntschaft mit einigen reichen und mächtigen Leuten standen ihm praktisch alle Türen offen, und es fiel ihm nicht schwer, bei einem harmlosen Besuch einer Party gleich die Sicherungen zu finden und manchmal sogar auszuschalten. Seiner Meinung nach tat es den Leuten nicht weh, wenn sie bestohlen wurden, schließlich waren alle gut versichert. Doch noch jemand in seinem Revier machte ihn nervös, und es bot sich einfach an, die Frau näher unter die Lupe zu nehmen.

Aber ihre Empörung wirkte echt, und so griff er nach dem rettenden Strohalm, den sie ihm unbewusst zugeworfen hatte.

„Eigentlich schade, dass Sie auf diesen Annäherungsversuch auch nicht reagieren. Trotzdem wüsste ich gern, wie ich Ihre wechselnden Verkleidungen interpretieren soll.“

„Am besten gar nicht“, meinte sie schnippisch. „Es ist nämlich ganz einfach. Ich habe eine ganze Menge Vornamen, und es gefällt mir einfach, den Namen meiner Kleidung oder einer augenblicklichen Stimmung anzupassen. Finden Sie das nun verwerflich?“, fragte sie mit einem treuherzigen Augenaufschlag.

Delgendörfer runzelte die Stirn. Mit dieser einfachen Erklärung hatte er sichtlich nicht gerechnet.

„Das klingt doch ein bisschen weit hergeholt, finden Sie nicht?“, bemerkte er lahm.

„Es ist mir, offengestanden, völlig egal, wie Sie das finden. Wenn Ihnen die Wahrheit zu kompliziert ist, können Sie ja für sich selbst eine Lüge erfinden. Und nun denke ich, dass Sie sich ausreichend ungehobelt und aufdringlich genug benommen haben.“

Sie löste sich mitten in einer Drehung aus Delgendörfers Armen, obwohl sie diesen Tanz mit ihm eigentlich sehr genossen hatte. Aber dieser Mann beunruhigte sie immer noch. Und Freddie mochte es nicht, beunruhigt zu werden.

„Ich glaube auch nicht, dass ich mich in irgendeiner Form vor Ihnen rechtfertigen oder ausweisen muss. Im Übrigen lehne ich jede Einladung Ihrerseits ab.“

„Wie schade“, stellte er bedauernd fest und griff noch einmal nach ihrem Arm. „Bleiben Sie bei Ihrer Weigerung auch dann, wenn ich ganz lieb bitte? Feodora, Felicitas, oder wie auch immer Sie sonst noch heißen mögen?“

„Feodora Felicitas Friederike Feride Flora, alles im Überfluss. Und die Antwort lautet weiterhin nein.“

„Haben Sie denn gar kein Herz?“, erkundigte sich Delgendörfer geknickt und schaute die Frau treuherzig an.

Unwillkürlich lächelte sie. O ja, dieser Mann war äußerst charmant. Und es wäre eine gute Gelegenheit, Tom Krüger aus ihren Gedanken zu verbannen.

„Ich werde darüber nachdenken“, erklärte sie dann, entzog dem Mann endgültig ihren Arm und verschwand im Gewühl der anderen Menschen. Sie hatte nun doch ein ungutes Gefühl. Noch niemand hatte sie je in Verbindung gebracht mit den Einbrüchen. Und sie tat es ja auch nur, weil es ihr Beruf war. Sie testete die Alarmanlagen, die Tom Krüger herstellte. Nun, wenn sie unbemerkt hereinkam und wieder verschwinden konnte, ohne dass der Alarm ausgelöst wurde, dann stimmte etwas nicht. Sie führte ganz einfach eine Art Endkontrolle durch. Aber niemand sollte davon wissen, dann wäre ihre Tarnung nutzlos.

Doch so, stets eingeladen zu solchen Festen, wofür Tom Krüger Sorge trug, konnte sie im Vorfeld mögliche Einbruchswege aufspüren und dafür sorgen, dass sie der letzte ungebetene Besucher war.

Und jetzt kam dieser Schriftsteller ihrem Geheimnis gefährlich nahe, auch wenn es nur ein Schuss ins Blaue gewesen war. Problematisch wäre es dann, wenn er der Polizei einen Tipp geben würde, weil er sie für eine Diebin hielt. Sie hoffte jedoch darauf, dass er schwieg, weil er einfach viel zu neugierig war, hinter ihr Geheimnis zu kommen. Wäre es nicht vielleicht doch besser gewesen, seine Einladung anzunehmen, um ihn in Sicherheit zu wiegen? Aber nein, besser nicht. Er schien klug zu sein, und würde vielleicht verfängliche Fragen stellen, die nicht sofort als solche zu erkennen waren.

Freddie zuckte die Achseln und schob diese Gedanken endgültig beiseite.

Es wurde Zeit, sich etwas umzusehen.

7

Delgendörfer war nicht sicher, ob er der Frau glauben sollte oder nicht. Manchmal ist die Wahrheit ja wirklich verrückter als jede Erfindung. Doch sein Argwohn legte sich noch nicht. Viel zu glatt war die Gräfin über die Verdächtigung hinweggegangen. Einige andere Frauen hätten ihm bei solchen Worten eine schallende Ohrfeige gegeben, sie war einzig empört gewesen. Irgendetwas passte da noch nicht zusammen, dessen war sich der Autor fast sicher. Aber was?

Er grübelte eine Weile herum, während er die Menschen um sich herum beobachtete. Zusätzlich glitt sein Blick über die kaum wahrnehmbaren Sicherungen. Die Alarmanlage in diesem Herrensitz schien erstklassig zu sein, also genau das, was einen normalen Einbrecher abschreckt und andere, wie Joachim Delgendörfer, reizte. Weil sie genau wussten, dass auch dort etwas zu holen war. Und vielleicht reizte diese technische Herausforderung auch die Gräfin, wenn sie denn etwas damit zu tun hatte.

Delgendörfer begann vor sich hin zu lächeln. Ihm war gerade eine Idee gekommen. Er musste nur dafür sorgen, dass er einige Tage hier als Gast auf Burg Derenhardt bleiben konnte. Und des Nachts würde er gut aufpassen.

8

„Es tut mir ausgesprochen leid, dass Ihnen ausgerechnet in meinem Haus ein Unglück zugestoßen ist“, entschuldigte sich Graf Schwarteck, der Besitzer von Schloss Derenhardt. „Selbstverständlich bleiben Sie unser Gast, bis Ihre Verletzung auskuriert ist. Ich werde einen Arzt rufen lassen und das Personal entsprechend anweisen. Es soll Ihnen hier an nichts fehlen.“

Der gute Graf konnte ja nicht wissen, dass Delgendörfer es darauf abgesehen hatte, aufgrund einer kleinen Verstauchung am Fuß das Gastrecht in Anspruch zu nehmen. So hatte es sich wie rein zufällig ergeben, dass der Autor gestolpert war und sich den Fuß umgeknickt hatte. Es war nicht so schlimm, dass er nicht mehr laufen konnte, aber schlimm genug, um Graf Schwarteck in etwas Aufregung zu versetzen.

Und selbstverständlich blieb Delgendörfer. Eine verrückte Idee, zugegeben. Aber vielleicht die einzige Möglichkeit, sein Misstrauen gegen die Gräfin auszuräumen oder zu bestätigen. Innerhalb einer Woche sollte sich etwas ereignet haben, und so lange würde er auf jeden Fall bleiben können.

9

Eine eiskalte klare Winternacht hüllte die Welt in einen frostigen Schleier. Beim Atmen entstanden kleine Wölkchen vor dem Mund, der Frost ließ die ungeschützte Haut prickeln, und der Schall wurde durch die klare Luft weit getragen.

Aber es war nichts zu hören, als sich eine dunkel gekleidete Gestalt Zutritt zu Schloss Derenhardt verschaffte. Mit raschen Schritten durchquerte die Person die große Halle und stand wenig später in der großzügigen Bibliothek des Schlosses, wo sich auch der Safe des Hausherrn befand. Zielsicher betätigte die Gestalt den verborgenen Kontakt, der einen Teil des eingebauten Bücherregals umklappen ließ. Hauchfeine Drähte führten vom Safe weg und verschwanden hinter einer Zierleiste.

Die Gestalt schüttelte den Kopf und wollte gerade wieder alles in Ordnung bringen, so als wäre nie jemand hier gewesen, als eine Schreibtischlampe aufleuchtete.

„Es ist eine sehr ungewöhnliche Zeit, um einen Höflichkeitsbesuch abzustatten. Noch dazu unangemeldet. Ich wusste, dass mein Gefühl mich nicht trog“, sagte Joachim Delgendörfer leise.

10

Freddie dachte, das Herz müsste ihr stehenbleiben, als das Licht aufflammte. Sie machte ihre Arbeit jetzt schon eine Reihe von Jahren, und sie hatte auch schon häufig den Alarm ausgelöst, der eben die gute Sicherung ausmachte, und aufgrund dessen der Schriftsteller ja erst misstrauisch geworden war. Aber erwischt hatte sie in all der langen Zeit noch niemand. Sie war einfach zu gut – gewesen.

Aber ausgerechnet dieser selbst so undurchsichtige Schriftsteller musste sie entdecken.

Langsam drehte sie sich um und wappnete sich.

Joachim saß in einem schweren Ledersessel, aus dem er jetzt aufstand. Er musste auf sie gewartet haben, und das bewies mehr Gespür, als sie gehofft hatte. Aber wie kam es, dass er überhaupt noch hier im Schloss war? Egal, diese Frage war für sie nebensächlich.

Delgendörfer kam auf Freddie zu, und sie wehrte sich nicht, als er ihr die schwarze Mütze vom Kopf zog. Ihr natürliches, langes rotes Haar fiel auf die Schultern herab, und der Mann seufzte bewundernd auf.

„Es ist eine Schande, soviel Schönheit im Dunkeln zu verstecken“, stellte er fest. „Was suchen Sie hier? Den Safe bekommt niemand auf, der die Kombination nicht kennt. Außerdem ist er mit einem Berührungssensor gesichert, der zunächst ausgeschaltet werden muss. Reine Zeitverschwendung für Diebe, wenn Sie mich fragen. Zu laut, zu gut, zu gefährlich.“

„Sie müssen es ja wissen“, sagte Freddie spöttisch.

Für einen Augenblick zuckte Delgendörfer zusammen. Er würde sich noch selbst verraten, wenn er nicht aufpasste. Aber dann sah er den Ausweg.

„Nun, ich schreibe auch Krimis, und ich pflege gut zu recherchieren. Fehler würden mir meine Leser sehr übel nehmen. Also, Gräfin, haben Sie das wirklich nötig – einzubrechen und zu stehlen? Eine schöne Frau wie Sie könnte sicher unter reichen Männern auswählen, die sich darum reißen würden, Ihnen alle Wünsche von den Augen abzulesen.“

„Ich pflege mich nicht zu verkaufen“, schnappte sie. „Im Übrigen täuscht hier der äußere Anschein. Sie könnten jetzt selbstverständlich die Polizei rufen. Aber sehen Sie, ich bin wirklich offiziell hier. Ich meine, es ist mein Auftrag...“

Sie brach ab, weil sie in dem Bemühen, ihm etwas verständlich zu machen, was nicht leicht zu verstehen war, sich total verhaspelte.

Delgendörfer schaute sie zweifelnd an.

„Ich glaube nicht, dass ich Sie jetzt richtig verstehe. Aber ganz sicher sind Sie im Auftrag hier. Wenn nicht für sich selbst, dann haben Sie noch einen Komplizen. Und sicher wird es die Polizei als strafmildernd anrechnen, wenn Sie ein volles Geständnis ablegen.“

Freddie konnte nicht anders, sie musste plötzlich auflachen.

„Die ganze Situation ist einfach absurd – lächerlich“, stieß sie hervor.

Delgendörfer verstand nun wirklich kein Wort mehr. Gerade hatte er die Lage noch voll im Griff gehabt, hatte sich für einen Augenblick im Bewusstsein seiner Macht und ungewohnten Rechtschaffenheit gesonnt – und jetzt erklärte ihm die Frau, das alles sei nur lächerlich? Er beherrschte sich eisern, um eine möglichst überlegene Miene aufzusetzen, aber das gelang ihm nicht.

„Nehmen Sie das Telefon“, sagte Freddie. „Und dann rufen Sie die Firma Krüger und Co. an. Dort arbeite ich. Und mein Auftrag ist es wirklich, die eingebauten Alarmanlagen zu testen. Ich würde nie etwas stehlen.“

Jetzt war Joachim völlig verwirrt, er hatte mit Ausflüchten gerechnet, vielleicht sogar mit der Bitte, sie einfach laufen zu lassen. Aber diese Wendung überraschte ihn völlig. Die Frau steckte wirklich voller Geheimnisse.

„Bitte“, drängte Freddie. „Das ist wirklich die volle Wahrheit. Und ich würde es vorziehen, wenn Sie die Polizei aus dem Spiel lassen. Ich brauche mein Inkognito.“

Joachim seufzte. Das alles hier war absolut verrückt. Sie war also keine Konkurrenz in seinem Revier, nein, sie stand auf der anderen Seite, und das konnte sich für ihn vielleicht sogar als gefährlich erweisen. Aber verdammt hübsch war sie auf jeden Fall. Was mochte eine Frau wie sie bewogen haben, diesen sicher nicht leichten und manchmal auch gefährlichen Job zu übernehmen? Mittlerweile begann er ihre Geschichte zu glauben, aber ganz überzeugt war er noch nicht. Seine Hand griff zum Telefonhörer, die Nummer von Krüger und Co. stand eingegossen in einem Briefbeschwerer aus Bleikristall, der neben dem Telefon lag.

Wenig später hatte Delgendörfer jemanden vom Nachtdienst erreicht, gab ihm Namen und Personenbeschreibung der Gräfin und schüttelte dann den Kopf, als er die Antwort bekam.

„Es scheint alles zu stimmen“, sagte er fassungslos. Noch immer skeptisch blickte er auf Freddie, ratlos, was er nun tun sollte.

„Ich möchte mich morgen mit Ihnen treffen“, sagte er dann und hob abwehrend die Hände, als Freddie protestieren wollte. „In Ihrer Firma, mit Ihrem Chef. Sie werden verstehen, dass mich das alles hier noch nicht ganz überzeugt.“

Freddie lächelte, sie war nun doch erleichtert, dass diese dumme Sache zumindest ohne die Polizei ablief. „Nun gut. Kommen Sie gegen elf. Ich werde da sein, und Tom auch. Kann ich jetzt wieder verschwinden, oder wollen Sie mich bis zum Morgen festhalten und einige dumme Fragen Ihres Gastgebers beantworten?“

„Ich habe nur Ihr Wort, dass Sie nicht davonlaufen, ja?“ fragte er, noch immer zögernd und zweifelnd.

„Ich habe nichts zu verbergen. Im Übrigen habe ich mein Wort noch nie gebrochen, Herr Delgendörfer“, sagte sie würdevoll.

„Nun, dann kann ich ja jetzt beruhigt schlafen gehen“, meinte er ironisch und machte eine Handbewegung, mit der er sie hinausbitten wollte.

„Dann wünsche ich eine angenehme Nachtruhe“, erwiderte Freddie im gleichen Tonfall. Und noch bevor der Mann protestieren konnte, war sie schnell und lautlos verschwunden.

11

Thomas Wilhelm Martin Krüger stammte aus einer alten Patrizierfamilie, die es schon im Mittelalter verstanden hatte, gutes Geld zu verdienen und es auch beisammen zu halten. Aber Tom war in gewisser Weise auch das schwarze Schaf der Familie. Seine zwei Brüder, wie auch seine Schwester hatten Wirtschaft oder Jura studiert, betätigten sich jetzt als Bankiers und in der Politik und hatten dort gute Positionen. Tom hatte das nicht gewollt. Nach dem Abitur ging er statt zur Uni in eine Handwerkerlehre, verdiente sich zusätzlich Geld, indem er an den Wochenenden Taxi fuhr, und lehnte außerdem jede Unterstützung finanzieller Art von zuhause ab, was mehr als einmal Streit mit den Eltern bedeutete. Nach einigen Jahren eröffnete er seine eigene Firma, in der die besten Alarmanlagen hergestellt wurden, die es auf dem Markt gab. Und schon nach kurzer Zeit florierte das Geschäft. Krüger brauchte nicht einmal besonders Werbung zu machen, die Empfehlungen zufriedener Kunden sorgten für volle Auftragsbücher. Aber bei alldem hatte er seinen Familienstolz nie außer Acht gelassen. Er besaß Stil und angeborene Autorität, niemand würde kumpelhaft mit ihm umgehen, dafür war er einfach nicht der Typ.

Freddie kannte ihn schon seit der Schulzeit, die sie zusammen in einem sündhaft teuren Internat verbracht hatten. Er war drei Jahre älter als sie, und oft hatte der große starke Junge die kleine zarte Schönheit beschützt. Auch nach der Schule war der Kontakt nicht abgerissen. Und als Freddie ziemlich unvermutet auf einem großen Haufen Ärger saß und dringend Geld und eine hilfreiche Hand benötigte, hatte Tom ihr selbstlos beides gereicht.

Aber dies alles allein waren nicht die Gründe, oder nicht nur, warum Freddie diesen Mann liebte und ihm das doch nie gestehen würde.

Doch wieder einmal stieß die Frau diese Gedanken beiseite, als sie jetzt das geschmackvoll eingerichtete Büro von Tom Krüger betrat. Er thronte in seinem Chefsessel und lächelte ihr freundschaftlich zu. Krüger war groß gebaut, aber nicht fett, sondern muskulös und sportlich gestählt. Erste graue Strähnen mischten sich in die braunen Haare, feine Fältchen zeigten sich in dem gebräunten beherrschten Gesicht. Freddie bemerkte sein amüsiertes Lächeln. Na ja, wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht mehr zu sorgen. Und sie hatte heute eben den Schaden.

Was Freddie für reine Spottlust hielt, war in Wirklichkeit versteckte Liebe. Auch Tom liebte die Freundin seiner Jugendtage. Und wenn auch er bisher nichts gesagt hatte, so lag das ganz einfach daran, dass er zum einen sehr schüchtern war, und zum anderen, dass er glaubte, ihrer nicht würdig, oder ihr zumindest nicht ebenbürtig zu sein. Eine absurde Vorstellung, sicherlich, doch es gab niemanden, der ihm das Gegenteil erklärt hätte, weil es auch niemanden gab, der darüber Bescheid wusste. Ebenso wie Freddie verwahrte er seine Liebe wie ein kostbares Gut tief in seinem Herzen und hatte es sich zur Aufgabe gemacht, gut auf die heimlich geliebte Frau aufzupassen. Wenn sie nur glücklich schien, dann war er es auch.

„Du bist aufgeflogen, Freddie, ich kann es ja immer noch nicht glauben. Niemals hätte ich vermutet, dass es einer schaffen könnte, dir auf die Schliche zu kommen. Wer ist er? Kennst du ihn schon länger? Hast du vielleicht unbewusst eine vage Andeutung gemacht? Warst du nicht vorsichtig genug?“

„Tom, hör auf!“, rief Freddie. „Du führst ja ein regelrechtes Verhör mit mir durch. Ich kann mir nicht vorstellen, unvorsichtig gewesen zu sein, nein. Und ich war es auch bestimmt nicht. Und doch hatte dieser Mann einen Verdacht und sprach mich auch noch darauf an. Aber das Schloss stand als nächstes auf der Liste, ich sah einfach keinen Grund, diesen Auftrag zu verschieben. Deine Techniker müssen schließlich wissen, ob sie ihre Arbeit gut gemacht haben. Und ich habe alles Mögliche getan, um nicht entdeckt zu werden. Du kennst meine Vorgehensweise, ich bin immer vorsichtig."

„Ja, das weiß ich, und doch scheinbar noch nicht vorsichtig genug. Und jetzt erzähl mir von diesem Schreiberling. Er muss ja wohl eine besondere Klasse haben, wenn er dich schon vorher im Verdacht hatte“, forderte Tom.

„Er ist neugierig, intelligent, hellwach. Aber es scheint etwas nicht zu stimmen mit ihm. Ich habe jedenfalls das Gefühl, auch dieser Mann trägt ein Geheimnis mit sich herum“, erzählte Freddie zögernd.

Tom hörte aufmerksam zu. Es war eigentlich nicht ihre Art, in solchen Superlativen von jemandem zu reden, er musste schon etwas Besonderes sein. Ein Schmerz durchzuckte ihn im Herzen. Freddie, seine Freddie, würde sich doch nicht etwa verliebt haben? Immerhin hatte sie einiges über den Mann herausgefunden und sprach regelrecht begeistert, wenn auch verhalten von Delgendörfer.

„Das ist eine äußerst schmeichelhafte Beschreibung von mir“, erklang in diesem Augenblick Joachims Delgendörfers Stimme von der Tür her.

Die Sekretärin hatte ihn nicht angemeldet, wahrscheinlich war sie gerade in einem der anderen Büros unterwegs. Und der Schriftsteller war nicht unbedingt der Typ, der geduldig wartete, bis man ihn hereinrief. Er glaubte ein Recht darauf zu haben, gleich bis ins Allerheiligste durchzugehen.

Krüger schaute neugierig auf den Mann, der hereinkam, und auch Delgendörfer betrachtete sein Gegenüber aufmerksam. Dann reichte Tom Joachim die Hand.

„Ich muss Ihnen gratulieren. Noch niemand vorher hat Gräfin Hagendorff auch nur in Betracht gezogen. Und Sie haben sie regelrecht in flagranti erwischt. Eine reife Leistung, Herr Delgendörfer.“

Freddie funkelte ihn an. „Sind Sie jetzt zufrieden? Haben Sie sich davon überzeugt, dass ich keine Schwindlerin bin?“

„Eigentlich war mir das auch heute Nacht schon klar“, gestand der Schriftsteller. „Aber ich wollte Sie auf jeden Fall wiedersehen und noch einen Versuch machen, Sie zu einem Essen einzuladen. Außerdem finde ich, dass Sie mir das schuldig sind“, versicherte er treuherzig.

„Ich? Ihnen das schuldig?“, fragte Freddie ätzend. „Also, das sehe ich doch vollkommen anders. Schließlich waren Sie es, der eine harmlose Frau aufgeschreckt hat, die nur ganz normal ihre Arbeit ausgeführt hat.“

„Nun gut, dann sehen wir das Ganze als Wiedergutmachung auf den erlittenen Schreck“, schlug Delgendörfer praktisch vor.

Der Mann war hartnäckig, das musste Freddie zugeben.

„Also gut“, sagte sie dann spontan. Sie bemerkte nicht, dass ein Schatten des Unmuts über das Gesicht von Tom Krüger glitt.

Wenn er doch nur endlich auch einmal den Mut hätte, Freddie so einfach einzuladen. Natürlich gingen sie beide gelegentlich zusammen aus. Aber es waren in erster Linie Geschäftsessen, alles blieb streng auf die Arbeit beschränkt. Aber so ein richtiges Rendezvous, davon träumte er schon lange, ohne je an sein Ziel zu gelangen. Und es war natürlich das geschwisterliche Verhältnis, das die beiden zueinander hatten, welches eine richtige Verabredung unmöglich machte.

„Ich hoffe, Sie werden die Tarnung von Gräfin Hagendorff nicht veröffentlichen“, mischte er sich in die Verabredung. „Ein großer Teil unseres Erfolges liegt gerade darin, dass niemand weiß, was sie tut. Und auf diese Weise sind unsere eigenen Kontrollen sehr realitätsnah.“

Krüger bat um Verständnis für Freddie und ihre Aufgaben, und Delgendörfer nickte.

„Ja, das kann ich gut verstehen. Schließlich ist das inkognito auch für viele von uns Autoren wichtig. Wer möchte schon gern von jedem einfach so angesprochen werden. Selbstverständlich werde ich Stillschweigen bewahren. Und nun, Gräfin, machen Sie mir die Freude schon heute Abend mit mir auszugehen? Soll ich Sie von daheim abholen?“

„Nein, auf keinen Fall!“, erwiderte sie hastig, so als wollte sie nicht, dass Delgendörfer erfuhr, wo sie wohnte. „Sagen Sie mir einfach, in welchem Restaurant wir uns treffen wollen.“

„Dann um acht Uhr im Drei-Schlösser-Haus?“

„Sie haben Stil, das muss man Ihnen lassen“, bemerkte Tom Krüger anerkennend. Es war eines der teuersten Restaurants der Stadt.

Delgendörfer verabschiedete sich jetzt, er spürte, dass er im Augenblick überflüssig war. Die beiden hatten noch einiges zu bereden.

„Er gefällt dir, was?“, erkundigte sich Tom Krüger bei Freddie.

„Ich weiß nicht. Er ist interessant. Allein schon ein Krimiautor zu sein – wer weiß, vielleicht tauchen wir demnächst in einem seiner Romane auf“, witzelte sie, um von dem verfänglichen Thema abzulenken.

Tom fand das nicht so lustig.

„Sollte er unsere Namen benutzen oder womöglich so unverschlüsselt schreiben, dass man uns wiedererkennt...“

„He, Tom, was regst du dich so auf? Das war ein Scherz“, sagte Freddie verstört.

Was hatte ihr Chef nur gegen Delgendörfer, er schien doch eigentlich recht nett zu sein. „Aber mach dir keine Sorgen, ich werde ihm das auf jeden Fall ausreden, wenn er mit dem Gedanken spielen sollte“, tröstete sie nicht ganz ernsthaft.

„Du willst dich also öfter mit ihm treffen?“, kam die scharfe Frage.

„Das wird die Zeit erweisen. Aber, Tom, du bist doch nicht etwa eifersüchtig?“

Ihr plötzliches Auflachen klang etwas gekünstelt, aber Tom schüttelte lächelnd den Kopf.

„Nein, ich bin zufrieden, wenn du es auch bist. Und wenn du irgendwann glauben solltest, dass er der richtige für dich ist...“

„Du greifst der ganzen Geschichte gerade vor, Tom. Erst einmal gehe ich mit ihm essen. Niemand sagt, dass daraus mehr wird.“ Sie beugte sich vor und gab ihm einen schwesterlichen Kuss auf die Stirn. „Hab vielen Dank, dass du dir solche Sorgen um mich machst. Aber weißt du, ich bin schon ein großes Mädchen und werde mir Mühe geben, auf mich aufzupassen.“

Krüger schaute sie etwas unglücklich an, sein Herz blutete bei dem Gedanken daran, dass er Freddie verlieren könnte.

Eine vertrackte Situation. Einer wusste nichts von dem anderen, dabei hätte es nur eines Wortes bedurft. Doch keiner sprach es aus.

12

Es war in der Tat mehr daraus geworden als eine Einladung zum Abendessen.

Freddie war überrascht, ein wie guter Unterhalter Joachim sein konnte. Kaum ein Thema gab es, das man mit ihm nicht bereden konnte. Er ließ seinen Charme spielen, war amüsant und witzig und kannte sich auch mit Wein aus, was bei der Auswahl des Essens nicht unwesentlich war. Die beiden genossen diesen Abend bis weit nach Mitternacht, und irgendwie war es ganz selbstverständlich, dass sie eine Verabredung für das Wochenende trafen, um gemeinsam zum Skilaufen zu fliegen. Ein Bekannter der beiden besaß eine Sportmaschine und nahm sie gerne mit.

Delgendörfer war äußerst großzügig und bestand trotz der energischen Proteste Freddies darauf, die gesamten Reisekosten zu tragen.

Es wurden unbeschwerte Tage mit rasanten Abfahrten, einer spontanen Schneeballschlacht, langen gemütlichen Abenden in der Hotellobby – und dem ersten Kuss.

Dabei fing alles so harmlos an. Freddie war eine gute Skiläuferin, und Joachim hatte alle Mühe, ihren fast halsbrecherischen Abfahrten zu folgen. Manchmal stand sie aber auch einfach nur unten und schaute ihm zu, wie er versuchte ihren Spuren durch den weißen, fast unberührten Schnee zu folgen. Noch war die Saison nicht voll angelaufen, und in diesem kleinen Ort würden sich ohnehin nicht so viele Gäste drängeln, es war noch immer ein Geheimtipp.

Lachend stand Freddie da, als Joachim aus dem letzten Schwung heraus ungeschickt mit den Skiern wedelte und schließlich prustend vor ihren Füßen landete.

„Das ist nicht fair, Sie müssen mir wenigstens Zeit zum Üben geben“, protestierte er.

„Ich dachte, das tun Sie gerade“, spottete sie.

„Meine Güte, mit Ihrem Können sollten Sie in der Olympiamannschaft mitfahren“, murrte er gemütlich und klopfte sich den Schnee von seinem Anzug.

„Ach, das ist nicht unbedingt mein Fall. Kommen Sie, Joachim, wir fahren jetzt gemütlich hinunter, und dann werden Sie sich mit einem großen heißen Grog trösten und aufwärmen. Ist das ein Angebot?“

Einige rote Strähnen ihres Haares hatten sich aus der Skimütze gelöst und umspielten im leichten Wind ihr erhitztes strahlendes Gesicht. Die Augen funkelten vor Vergnügen, und mit eleganten Bewegungen stellte sie sich in Abfahrtspositur. Joachim seufzte und tat es ihr nach. Aber diesmal fuhr sie ihm nicht davon, sondern blieb an seiner Seite, und in vollkommener Harmonie glitten die zwei über den Schnee hinab ins Tal.

Dort angekommen schulterten sie ihre Bretter und gingen zurück ins Hotel, wo sie sich umzogen und wenig später zu einem gemütlichen Umtrunk in der anheimelnden kleinen Bar trafen.

„Einen großen Grog für meinen Begleiter“, bestellte Freddie übermütig. „Und einen Martini für mich.“

„Wo haben Sie so gut Skifahren gelernt?“, wollte Joachim wissen.

Freddie zuckte wegwerfend die Schultern. „Ich stamme aus einer sehr traditionsbewussten Familie. Da wäre es in meinen ersten Schuljahren noch ein regelrechtes Sakrileg gewesen an die Aufnahme eines Berufes zu denken. Zumindest für ein Mädchen wie mich. Wissen Sie, meine Mutter lebte immer noch in dem Glauben, dass Mädchen gerade rechnen, schreiben und lesen lernen müssen, dazu etwas Haushaltsführung und Handarbeiten. Aber das reicht, weil sie ja doch geheiratet werden. Intelligenz ist dabei eher hinderlich. Natürlich gehörte zu dieser Ausbildung für höhere Töchter, wie ich es meistens spöttisch nenne, auch skifahren, schwimmen, segeln, und was der anderen unnützen Dinge mehr sind. Aber wir waren schon längst nicht mehr so reich, wie es unsere Vorfahren einmal waren, und so entwickelte ich ziemlich früh einen Sturkopf, indem ich erklärte, etwas Ordentliches lernen zu wollen. Mein Vater, der mich sehr liebte, fand das nach einiger Überlegung gut, mein Bruder spottete über mich, und meine Mutter fiel beinahe in Ohnmacht. Aber ich setzte meinen Kopf durch und studierte ausgerechnet Elektrotechnik, was nicht ganz einfach war. Nun, und so bot es sich förmlich an, dass ich bei Tom in die Firma einstieg, wir kennen uns schon seit unserer Kindheit.“

Freddie verschwieg bei dieser Geschichte, dass sie gezwungen gewesen war, einen gutbezahlten Beruf zu ergreifen, weil sie Geld brauchte. Und sie verschwieg auch noch vieles andere, Joachim brauchte das alles noch nicht zu wissen. Dazu würde noch genug Zeit sein, wenn sie sich besser kannten, falls das jemals der Fall sein sollte.

Die Unterhaltung der beiden wurde wieder ausgelassener, sie neckten sich gegenseitig und kamen bald darauf ins Gespräch mit anderen Leuten. Der Abend zog sich hin, es wurde getrunken und gelacht. Freddie machte eine gute Figur inmitten der anderen Frauen; nein, Joachim fand, dass sie nie schöner ausgesehen hatte als jetzt im Kerzenschein, der ihr Haar in goldenen Tönen aufflammen, ihren Mund verführerisch rot schimmern und die klare, reine Haut wie Alabaster durchscheinen ließ. Er musste immer mehr an sich halten, um sie nicht einfach in die Arme zu reißen.

Und dann, am späten Abend, oder eigentlich war es schon früher Morgen, als sie sich voneinander verabschiedeten, stach es schmerzhaft durch Joachims Herz, als sie ihm lächelnd zuwinkte. Aus der übermütigen Stimmung heraus, die sie den ganzen Tag genossen hatten, wurde von einem Augenblick auf den nächsten eine seltsame Spannung. Plötzlich funkte es zwischen ihnen, und wie magisch angezogen näherten sich die Gesichter - und dann geschah es ganz einfach.

Es war wie eine Explosion, wie unter Strom standen ihre Körper, als ihre Lippen sich berührten und dann zögernd wieder voneinander lösten.

Verwirrt befreite sich Freddie aus den Armen des Mannes.

„Entschuldige, ich wollte nicht – ich dachte nicht“, stotterte Joachim. Doch statt weiter nach Worten zu suchen, die ohnehin keinen Sinn ergaben und im Augenblick auch nur stören würden, zog er Freddie erneut an sich, und sie wehrte sich nicht. Es schien einfach, als müsste es so sein.

Am nächsten Tag kehrten sie zurück. Tom Krüger, der ein sehr feines Gespür für die Gemütslage seiner Angestellten hatte, fühlte, dass etwas vorgefallen war. Und Freddie war ja auch mehr als nur eine Angestellte. Sie sprach nicht darüber, sie war einfach nur sichtbar glücklich. Ihre Augen blitzten, ihr Mund lächelte öfter, und ihre Bewegungen wirkten womöglich noch leichter, unbeschwerter. Sie fragte sich, ob sie ihre unglückliche Liebe zu Tom vielleicht endlich überwunden hatte.

13

Eine Einbruchsserie hielt die Polizei in Atem. Geraubt wurden stets nur Dinge, die leicht zu transportieren und gut zu verkaufen waren. Der Täter hinterließ keine Spuren, die geraubten Gegenstände tauchten nicht wieder auf. Die Beamten standen vor einem Rätsel, obwohl sie alle bekannten Hehler kontrollierten.

Natürlich hörten und lasen auch Tom und Freddie darüber. Tom machte sich wieder einmal scheinbar unnötige Sorgen.

„Pass nur auf, dass du nicht mal auf diesen Kerl triffst. Er scheint ziemlich gut zu wissen, wo was zu holen ist.“

„Aber bisher hat er noch keinen unserer Kunden aufgesucht“, gab sie zu bedenken.

„Das würde ich ihm auch kaum raten“, lächelte Tom. „Schließlich sind unsere Anlagen gut gebaut. Aber das muss ja nichts heißen. Mir wäre es auf jeden Fall lieber, du würdest nicht allein arbeiten.“ Seine braunen Augen blickten besorgt und liebevoll, aber Freddie hielt es wieder einmal für eine Art brüderlicher Sorge. Dabei wurde Tom fast verrückt vor Angst, wenn er wusste, dass sie nachts unterwegs war. Aber sie würde sich jede Art von Einmischung verbitten und ihn wahrscheinlich auslachen.

So auch jetzt. Sie schaute ihn fast ungläubig an.

„Du willst mir doch nicht ernsthaft vorschlagen, auf meiner Tour mit jemandem zusammenzuarbeiten? Tom, das kann nicht dein Ernst sein!“

„Nun, vielleicht nicht unbedingt zusammenarbeiten beim Einsteigen. Aber jemanden, der draußen Wache steht, auf Ungewöhnliches achtet oder auch zu Hilfe kommen kann, falls dieser – na, Konkurrent ist nicht das richtige Wort. Jedenfalls dieser Dieb – falls der zur gleichen Zeit einsteigt wie du“, meinte Tom etwas hilflos.

Freddie strich ihm sanft über den Kopf.

„Sag mal, möchtest du nicht vielleicht gleich die Polizei benachrichtigen, damit sie draußen Wache steht? Oder reicht dir doch ein privater Wachdienst? Ich könnte natürlich auch einen sehr privaten Bodyguard engagieren. Oder wie wäre es mit Joachim Delgendörfer? Der kann gleich einen Roman daraus machen.“ Ihr sanfter Spott trieb ihn fast zum Wahnsinn.

„Ich finde die Sache nun wirklich nicht zum Scherzen“, erwiderte Tom scharf, aber der Unterton von Angst wäre deutlich zu hören gewesen, wenn Freddie es hätte hören wollen.

„Nicht?“, fragte sie spöttisch. „Nun, ich finde es lächerlich und übertrieben. Du übersiehst nämlich eines, mein Lieber. Ich weiß genau, wie jede unserer Alarmanlagen ausgelöst wird. Und du kannst sicher sein, dass ich genau das tun werde, wenn etwas Ungewöhnliches geschieht – wie ein Einbrecher zum Beispiel.“

Diesem Argument musste Tom sich erst einmal geschlagen geben, denn in diesem Punkt hatte die Frau eindeutig recht.

Das änderte aber nichts daran, dass Toms Befürchtungen sich eher noch steigerten. Und doch durfte er nichts davon zeigen.

14

Freddie war auf eine unbegreifliche Art glücklich. Das Zusammensein mit Joachim beflügelte sie geradezu. Da traten ihre eigenen Probleme ein wenig in den Hintergrund. Bis Joachim eines Tages die Frage aufwarf.

Bisher hatte Freddie es immer vermieden, dass der Autor ihr Zuhause kennenlernte. Delgendörfer empfand Sympathie für die Frau, aber nicht mehr. Allerdings sah er in ihr eine schier unerschöpfliche Quelle an Wissen. Und unter dem Mantel der Recherche für einen neuen Krimi versuchte er sie auszuhorchen über die verschiedenen Sicherungen der Krüger’schen Alarmanlagen. Natürlich konnte er das nicht so einfach und offen tun, doch immer mehr schlich sich der Mann in das Vertrauen der Frau.

Sie hatte bis zu diesem Zeitpunkt schon einige festere Freundschaften gehabt, aber sie war eigentlich stets auf der Suche nach einem Mann wie Tom Krüger gewesen, unbewusst natürlich, aber die Vergleiche stellte sie im Hinterkopf an, ebenso unbewusst.

Doch jetzt war da dieser Mann, der sich sehr um sie bemühte, und zum ersten Mal hatte Freddie das Gefühl, jemandem vertrauen zu können. Und so reagierte sie schließlich, als Joachim sanft drängte, doch einmal ihr Zuhause kennenlernen zu wollen, und fuhr eines ersten schönen Frühlingstags hinaus zu ihrem Zuhause. Es handelte sich um eine Burg, die augenscheinlich dringend restauriert werden musste. Aber es war ein ziemlich imposantes Gebäude, aus schweren Steinquadern gebaut. Ein parkähnlicher Garten erstreckte sich rundum, und eine niedergelassene Zugbrücke lud zum Betreten ein.

„Hier ist mein Zuhause“, erklärte Freddie. „Es ist ein Monstrum, aber ich liebe es. Und deswegen hat mein Vater, als er starb, mir die Burg hinterlassen und nicht meinem Bruder.“

„Ich wusste gar nicht, dass du einen Bruder hast“, wunderte sich Joachim.

„Wir verstehen uns nicht besonders gut, und daran ist auch mein geliebtes Monstrum schuld“, erwiderte Freddie traurig. „Georg ist der Meinung, dass hier viel zu viel Geld hineingesteckt werden muss. Und so ist es ja eigentlich auch, jeden Pfennig, den ich erübrigen kann, verpulvere ich für die nächste Reparatur. Das Ding hat schon ein Vermögen verschlungen, und es wird sicher noch drei Vermögen brauchen, bis alles wieder in Ordnung ist. Georg ist Bankier, und für ihn ist dieses Gemäuer eine Kosten-Nutzen-Rechnung, die nicht aufgeht. Aber, wir sind hier aufgewachsen, und seit sieben Generationen ist die Burg in der Familie. Ich kann sie doch jetzt nicht einfach aufgeben.“

Freddie hatte sich in Erregung gesprochen, ihre Augen blitzten, und sie sprach mit Händen und Füßen. Joachim sah die Begeisterung, die die Frau empfand, aber wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte die Burg auch auf dem Mond stehen und dort verfallen können. Dafür würde er an Freddies Stelle nicht eine Mark ausgeben. Georgs Einstellung fand im Grunde seines Herzens seine volle Zustimmung. Aber das konnte er nicht laut sagen, ohne Freddie zu verletzen und das Vertrauen zu zerstören, das sie ihm entgegenbrachte. So schaute er nur andächtig auf die bröckelnden Mauern.

„Es muss einmal sehr imposant ausgesehen haben“, bemerkte er.

„Komm, wir machen eine richtige Führung“, rief Freddie aufgekratzt. „Ich zeige dir alle Räume und erzähle dir von meinen kriegerischen Vorfahren. Und dann trinken wir einen Kaffee bei meiner Großmutter. Sie wohnt hier immer noch, mit mir. Und ein Butler mit seiner Frau. Die halten hier drinnen alles in Schuss.“

Joachim wappnete sich mit Geduld, eine Burgführung war eigentlich nicht nach seinem Geschmack. Doch dann wurde es ganz interessant, weil Freddie zu allem und jedem eine Anekdote hatte und ausgesprochen unterhaltsam erzählen konnte. Außerdem waren drinnen wahre Schätze zu finden, und Delgendörfer änderte seine Meinung über den Erhalt der Burg wieder.

„Hier im Rittersaal hängen die mehr oder weniger grauenvoller Porträts meiner gesammelten Vorfahren. Je verbissener die Miene, umso besser ging es ihnen, wie wir aus den alten Archiven nachlesen konnten. Und dieses besonders verbiesterte Antlitz gehörte meiner Urururgroßmutter. Sie wurde mit Frederik von Hagendorff verheiratet, obwohl sie einen anderen liebte. Nun ja, wenn du dir diesen Mann ansiehst, dann kann ich nur sagen, ich hätte mich auch geweigert. Er war ja die Abscheulichkeit in Person. Auf jeden Fall kam es dann zu einem Duell zwischen den beiden Kontrahenten hier in diesem Saal, in dessen Verlauf der Rivale von meinem Vorfahren mit dem Schwert oder dem Degen durchbohrt wurde. Ein gar blutiges Drama, das jedem der Kinder erzählt wird. Übrigens heißt bei uns in der Familie traditionsgemäß das älteste Kind Frederik oder Friederike. Daher mein etwas ungewöhnlicher Vorname.“

„Du bist demnach älter als dein Bruder?“

„Ja, eineinhalb Jahre. Und das nimmt er mir übel. Aber das scheint weit verbreitet. Wer will schon eine große Schwester?“, ulkte sie. „Wir haben uns als Kinder ständig gestritten. Dann wurde es besser, als wir größer wurden, und wir verstanden uns regelrecht gut, bis er anfing etwas über Wirtschaftlichkeit zu lernen. Er begann mir Vorwürfe zu machen, weil ich die Burg liebe. Aber in einer Kosten-Nutzen-Rechnung ist für Gefühle wie Anhänglichkeit kein Platz.“

„Ist er denn so gefühllos?“, erkundigte sich Joachim.

„Nein, gar nicht, er kann ausgesprochen lieb sein. Und wir können stundenlang hitzige Diskussionen führen, über Gott und die Welt – nur nicht über Burg Falkenhorst“, erklärte Freddie etwas betrübt.

„Ich glaube, ich würde ihn gerne mal kennenlernen“, bemerkte Joachim interessiert.

Sie zuckte mit den Schultern. „Warte, bis zum nächsten Familienfest. Davon haben wir eine Menge. Dann kannst du auch die übrigen Anverwandten in Augenschein nehmen. Die meisten davon sind allerdings keine nähere Bekanntschaft wert.“

Joachim war vom Innern der Burg sehr angenehm überrascht. Freddie musste wirklich schon ein Vermögen hineingesteckt haben. In den bewohnten Räumen waren die Wände neu verputzt, es gab dicht schließende Fenster und wertvolle Möbel, die von fachkundigen Händen aufgearbeitet worden waren. Ja wirklich, jetzt wo Delgendörfer sah, was man mit ausreichend Geld machen konnte, gefiel ihm Falkenhorst immer besser.

Schließlich führte Freddie ihn in einen gemütlich eingerichteten Salon. Blau und Gold waren die vorherrschenden Farben, ohne aufdringlich zu wirken. Auf einem zierlichen Sofa saß eine reizende ältere Dame mit schlohweißem Haar.

„Das ist Großmutter Hagendorff“, stellte Freddie lächelnd vor, nachdem sie die Frau zärtlich auf beide Wangen geküsst hatte.

„Einfach nur Großmutter?“, fragte Joachim voller Respekt, beugte sich über die dargebotene Hand und küsste sie.

Die alte Dame nickte lächelnd, und der Mann war beeindruckt.

„Delgendörfer, Joachim Delgendörfer. Ich freue mich, Sie kennenzulernen, Großmutter Hagendorff.“

Die alte Dame lachte auf. „Ich freue mich, dass Friederike einen jungen Mann mit nach Hause bringt, sie scheint mir viel zu wählerisch. Seit ihrer Schulzeit hat sie niemanden mehr mitgebracht, und ich vermisse ein paar junge Leute im Haus. Setzen Sie sich, junger Mann, und erzählen Sie mir von sich. Wie nehmen Sie Ihren Kaffee?“

Joachim war schlichtweg erschlagen von der Freundlichkeit, Bestimmtheit und angeborenen Autorität, mit der die Großmutter ganz einfach das Kommando übernahm. Dabei war sie klein und zierlich, wirkte fast zerbrechlich, und doch besaß sie etwas, dem sich der Schriftsteller nicht entziehen konnte.

Er erzählte also von sich und seiner Arbeit, und Großmutter Hagendorff nickte beifällig, als er über die Schriftstellerei sprach.

„Das ist harte Arbeit. Macht sie Ihnen auch Spaß oder ist es nur ein Gelderwerb?“, erkundigte sie sich interessiert.

„Beides“, gestand Joachim nach kurzem Nachdenken.

„Das scheint mir eine ehrliche Antwort. Allerdings bin ich mir, trotzdem Sie mir sehr sympathisch sind, nicht sicher, ob Sie der richtige für meine Enkeltochter sind.“

„Großmutter!“, rief Freddie empört.

Ein kühler Blick aus leuchtend blauen, hellwachen Augen traf sie.

„Ich bin es gewohnt, meine Meinung offen zu sagen, mein Kind, das weißt du. Und Herr Delgendörfer wird mir ein offenes Wort nicht übel nehmen. Ich halte ihn für einen außerordentlich interessanten Mann. Aber ehrlich gesagt, für keinen, mit dem man eine dauerhafte Bindung eingehen sollte. Sie als Schriftsteller sind von Natur aus viel zu neugierig, um lange bei einer Sache zu bleiben, mag es nun ein Thema sein oder eine Ehe. Aber ich mag Sie, junger Mann, Sie dürfen mir bei Ihrem nächsten Besuch eines Ihrer Werke mitbringen. Ich werde es mit Interesse lesen. Und noch eines, machen Sie meine Friederike nicht unglücklich.“

Joachim verschluckte sich fast an seinem Kaffee. So unverblümt hatte wohl noch niemand mit ihm gesprochen. Doch dann lachte er herzhaft auf. Es war wohl auch noch niemand so ehrlich mit ihm gewesen. Spontan beugte er sich vor und küsste die alte Dame sanft und respektvoll auf die Wange.

„Ich verspreche, dass ich mir alle Mühe geben werde, Ihre Enkelin glücklich zu machen. Aber eine Garantie ist unmöglich, das wissen Sie so gut wie ich. Vielleicht klappt es mit uns beiden, vielleicht aber auch nicht, und wir trennen uns bald wieder. Aber Freddie wird meinem Herzen immer nahe stehen, ebenso wie Sie, Madam. Ich beneide Freddie, dass sie jemanden wie Sie hat. Ich verspreche außerdem, dass ich so ehrlich, wie es mir möglich ist, zu Freddie sein will. Und Sie, Großmutter Hagendorff, bitte ändern Sie sich nicht. Und geben Sie weiterhin so kluge Ratschläge.“

„Nun, was sollte eine alte Frau wie ich auch sonst tun als kluge Ratschläge zu geben, die nicht immer richtig sein müssen. Und jetzt verschwindet, Kinder. Ihr wolltet doch sicher ein bisschen allein sein, statt einer alten Frau Gesellschaft zu leisten.“

Freddie nahm ihre Großmutter noch einmal in die Arme.

„Du bist wirklich die allerbeste“, flüsterte sie.

Joachim verbeugte sich und ging dann mit Freddie hinaus. Sie führte ihn auf den Turm, von wo aus man eine phantastische Aussicht über das Land genießen konnte. Hier nahm Joachim Freddie in die Arme.

„Komm ja nicht auf die Idee, dich für deine Großmutter entschuldigen zu wollen. Ich habe selten jemanden getroffen, der soviel menschliche Ausstrahlung und Charme besitzt. Und noch dazu den Mut hat, offen zu sagen, was sie denkt. Solche Menschen sind sehr selten. Und mir scheint, du hast viel von ihr geerbt. Du bist ein ausgesprochen glücklicher Mensch.“

Er küsste sie sanft und dann fordernder. Doch dabei ging schon in seinem Kopf der Gedanke herum, wie er die Bekanntschaft mit Freddie ausnutzen konnte, um seine Einbrücke besser zu planen. Es musste einfach eine Möglichkeit geben, die Alarmanlagen Krügers zu überlisten. Delgendörfer brauchte dringend Geld. Und er hatte nicht einen Augenblick lang vorgehabt seine Versprechen der alten Dame gegenüber zu halten.

15

Freddie war unsicher geworden in ihren Gefühlen. Ihre Großmutter war eine kluge, lebenserfahrene Frau, die nicht leichtfertig mit Worten um sich warf. Die junge Frau prüfte sich selbst, aber alles, was sie fand, war dieses wunderbare Gefühl schweben zu können, wenn Joachim in der Nähe war. Seine Anwesenheit zu spüren, ließ ihr Herz rascher schlagen und ihre Augen leuchten. Aber, und da war sie ehrlich, so etwas würde nicht das ganze Leben lang anhalten. Wie würde es später sein, nach fünf oder zehn Jahren Ehe, wenn sich tägliche Routine einschlich, wenn vielleicht Kinder kämen. Nein, Joachim war wirklich nicht der Typ, bei dem man sich vorstellen konnte, dass er zum treusorgenden Familienvater wurde, dafür war er zu unstet.

Nun gut, das musste sie jetzt erst einmal so akzeptieren. Aber für eine gewisse Zeit wollte Freddie die augenblicklichen Empfindungen noch auskosten, diese Schmetterlinge im Bauch. Früher oder später würde sie sicher wieder auf der Suche nach einem Mann wie Tom Krüger sein, da machte sie sich keine Illusionen. Ein Mann wie Tom, fest mit beiden Beinen auf dem Boden stehend, sicher, vernünftig und doch unerreichbar.

Schuld daran, dass Freddie sich vorgenommen hatte, auf ewig über ihre Liebe zu Tom zu schweigen, war ausgerechnet seine Mutter.

Schon, als die beiden Kinder noch zur Schule gingen, war Freddie öfter Gast im Hause Krüger. Die beiden Jugendlichen alberten herum und benahmen sich, als wäre Freddie Mitglied im Kreise der großen fröhlichen Familie Krüger. Doch als das Mädchen heranwuchs und sich die ersten fraulichen Attribute zeigten, kam es vor, dass Tom seine Gespielin mit seltsamen Blicken musterte. Und auch Freddie sah ihren Freund plötzlich mit anderen Augen. Das bemerkte Toms Mutter natürlich auch. Es gibt wohl kaum eine Mutter auf der Welt, die es übersieht, wenn ihr Sohn sich plötzlich für ein Mädchen interessiert. Und irgendwann nahm Frau Krüger Freddie beiseite, um ein ernstes Wort mit ihr zu sprechen.

„Freddie, beantworte mir bitte eine Frage: Was empfindest du für Tom?“

Das Mädchen hatte ganz erstaunt und arglos zu der älteren Frau aufgesehen.

„Er ist mein Freund.“

„Sag mir, du denkst hoffentlich nicht daran, dass eure Freundschaft soweit geht, dass Tom dich eines Tages heiratet? Du kommst aus einer erstklassigen Familie, Freddie, aber einen Vorteil hätte eine Verbindung zwischen euch beiden für die Familie nicht.“

Freddie hatte dir Frau fassungslos angesehen, aber Frau Krüger hatte nur nachsichtig gelächelt.

„Du bist schockiert, Kind? Bitte, das musst du nicht sein. Ich denke, solche Fragen sollten unter vernünftigen Menschen gleich im Vorfeld geklärt werden, damit du dir keine unnötigen Hoffnungen machst. Ich habe nichts gegen dich und deine Familie, im Gegenteil, ich mag dich sogar gern und wäre die erste, die eine Verbindung begrüßen würde, wenn es sinnvoll wäre. Aber für Thomas wird es im Leben und seiner zukünftigen Karriere leichter sein, wenn er eine passende Partie macht. Gute Verbindungen sind in unseren Kreisen sehr wichtig. Mach dir also keine Hoffnungen, Freddie, du würdest sehr enttäuscht werden. Und du bist doch ein vernünftiges Mädchen, du verstehst, dass ich dir nichts Böses will. So, und jetzt bin ich froh, dass wir darüber gesprochen haben.“

Freddie war damals tief verletzt davongelaufen und hatte sich zitternd und weinend verkrochen. Dann hatte sie über das Gespräch, nun, wohl eher den Monolog nachgedacht und war zu der Erkenntnis gekommen, dass sie alles tun würde, um Tom glücklich und zufrieden zu sehen. Und wenn es dazu gehörte, dass er eine gute Partie mit besten Verbindungen machte, dann musste das wohl auch so sein. Auf die Idee, mit Tom darüber zu reden, kam sie nicht, weil seine Mutter es einfach so bestimmt hatte.

Von diesem Tag an änderte Freddie ihr Verhalten dem Freund gegenüber, sie blieb auf Distanz und ging von nun an jedem Alleinsein mit ihm aus dem Weg. Auf seine zunächst drängenden Fragen gab sie ausweichende Antworten, bis er es traurig aufgab, den Grund für ihr Ausweichen zu erforschen.

Freddie wuchs heran und suchte, mehr oder weniger aus Trotz, die Freundschaft zu den unmöglichsten Jungen, ohne das zu finden, was sie wirklich suchte. Tom wurde von seinen Eltern in eine Verlobung hineingedrängt, doch er weigerte sich beharrlich, bis es fast zum Skandal kam. Er wollte über sein Leben selbst bestimmen und sah doch hilflos zu, wie die Frau, die er liebte, wie ein Schmetterling von einem Mann zum nächsten schwebte, bis sie sich schließlich ganz zurückzog und niemanden mehr an sich heranließ.

Freddie sprach nie über diese Viertelstunde in ihrem Leben, die ihre ganze Welt in Trümmer legte.

Als dann nacheinander in kurzen Abständen ihre Mutter und ihr Vater starben und außer Burg Falkenhorst praktisch nichts vererbten, stand die junge Frau vor einem Scherbenhaufen. Von ihrem Bruder konnte sie keine große Hilfe erwarte. Er war der Meinung, die Burg an die Regierung zu verkaufen und aller Sorgen ledig zu sein, wäre die sinnvollste Lösung, doch Freddie hing an ihrem Zuhause. Und dann war Tom da, der ihr hilfreich und selbstlos zur Seite stand, der mit den Banken verhandelte und viel Geld vorstreckte, der Freddie tröstete und wieder aufbaute, wenn der Schmerz fast übermächtig wurde.

Freddie hätte sich gerne in seine Arme geworfen und ihm endlich gestanden, dass sie nur ihn liebte, aber sie tat es nicht. Die Worte von Toms Mutter wirkten für alle Zeiten nach. Auch wenn Tom in fast allen Dingen, die sein Leben betrafen, gegen seine Eltern rebelliert und seinen Kopf durchgesetzt hatte, so glaubte Freddie doch immer noch daran, dass er auf der Suche nach einer guten passenden Partei war.

Und jetzt schien sich alles in Wohlgefallen aufzulösen, jedenfalls verschwendete die junge Frau kaum noch einen Gedanken an ihre unglückliche Liebe zu Tom. Hatte sie doch im Augenblick Joachim, der ihr Denken ausfüllte. Und so fiel es ihr gar nicht auf, dass Joachim vorsichtig anfing, ihr vereinzelte Fragen zu ihrer Arbeit zu stellen. Sie hielt das für ganz normales Interesse des einen Partners zum anderen. Schließlich stellte sie ihm auch Fragen zu seiner Arbeit. Freddie konnte nicht wissen, und hätte es auch niemals vermutet, dass Joachim Delgendörfer skrupellos genug war, um sein Wissen auszunutzen.

Denn schon bald darauf begann eine Einbruchsserie, die nicht nur der Polizei und den Bestohlenen eine Menge Rätsel aufgab.

16

Der Seewind ließ Freddies Haar wild flattern. Sie befand sich an Bord der Jacht „Persephone“, die einem unverschämt reichen Bankier gehörte, einem Bekannten von Tom und seinem Bruder Matthias. Dieser Mann hatte das ganze Schiff mit einer Neuentwicklung von Toms Firma sichern lassen. Freddie war hier, um die letzte Sichtkontrolle durchzuführen und natürlich einen Einbruch zu versuchen, was sie vor ein besonderes Problem stellte. Aber sie war guter Dinge, und das würde auch erst später kommen. Jetzt hielt sie erst einmal nur die Augen offen.