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Heiter besinnliche Erzählungen zum Lesen und Vorlesen
Dieser Band enthält heiter-besinnliche Kurzgeschichten zum Lesen und Vorlesen von Silke Bekker, die zuvor in Kalendern, Feuilletons, Zeitschriften und Anthologien sowie in der Kirchenpresse erschienen und zum Teil auch in andere europäische Sprachen übersetzt wurden. Eine Mischung aus Tiefsinn und Humor, Unterhaltung und Nachdenklichem.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
von Silke Bekker
© by author
© 2014 der Digitalausgabe by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich (Westf.)
www.AlfredBekker.de
Der Umfang dieses Ebook entspricht 48 Taschenbuchseiten.
Dieses Ebook enthält folgende Erzählungen:
Ein Blatt im Wind
Zeitverschwendung
Schaf im Wolfspelz
Kostbare Zeit
Der gefallene Engel
Das Muttermal
Gedanken über den Tod
Immer Ärger mit den Mäusen
Coole Klamotten oder die Mode von gestern
Der Damentisch
Die gelbe Rose
Zwiesprache mit Gott
Der richtige Moment
Osterfeuer im Oktober
Alles ist möglich...
Wer zuletzt schnarcht...
Der Anhalter
Nie wieder!
Der Heiratsantrag
Etwas wagen
Ich bin wie ich bin
Der Tausch
Die Bruchlandung
Eine Liebeserklärung
Ein Abenteuer
Verzweifelt klammerte sich das Blatt am Baum fest. Ein unglaublicher Sturm wütete. Im Herbst eigentlich nichts Ungewöhnliches. Doch das kleine Blatt musste alle seine Kraft aufbieten, um nicht heruntergerissen zu werden.
Mit Wehmut dachte es an die Zeit, als es noch eine winzige Blattknospe war, dicht eingerollt und behütet. Und dann war da dieser Tag im Frühjahr. Es wurde plötzlich warm. Die Sonnenstrahlen kitzelten es, und es spürte ein starkes Gefühl, sich zu recken und zu entrollen.
Das Blatt wagte es. Mit Erstaunen stellte es fest, dass es nicht allein war. Um es herum waren schon viele andere Blätter, einige sattgrün, andere in einem zarten, frischen grün, wie es selbst.
Freundlich begrüßten die anderen Blätter das kleine Blatt.
"Schön, dass du dich auch entrollt hast. Heute ist eine große Zahl an Blättern dazugekommen", sagte ein saftig grünes Blatt. "Ich habe mich schon vor ein paar Tagen entrollt, da war ich noch das einzige Blatt", fügte es noch hinzu.
"Wo bin ich hier?", erkundigte sich das kleine Blatt.
Die anderen Blätter kicherten ein wenig. "Du hängst an einem Baum. Wir hängen alle an einem Baum, an einem Haselnussbaum."
Die Tage wurden immer wärmer und immer mehr Blätter entrollten sich, bis eines Tages alle Blätter entrollt waren, und der Baum ein wunderschönes Grün hatte.
Ein vielen Stellen hingen kleine "Würstchen" herunter. Das kleine Blatt überlegte oft, was für Blätter daraus wohl würden. Im Laufe des Sommers bemerkte es, dass aus den "Würstchen" kleine Staubwolken aufstiegen, immer wenn der Wind wehte. Später sah das Blatt in den Zweigen grüne kugelförmige Gebilde. Und da fiel dem Blatt wieder ein, dass die anderen ihm erzählt hatten, es hinge an einem Haselnussbaum. So mussten die Kugeln wohl Haselnüsse werden.
Das Blatt war mächtig stolz an einem so tollen Baum zu hängen. Obwohl der Sommer sehr warm war und es dem Blatt oft durstig zumute war, fühlte es sich doch sehr stark.
Besonders gern mochte es den Sommerregen. Meist kündigte er sich mit einem Gewitter an und dann kam der erfrischende Regen.
Auch jetzt regnete es, aber der Wind peitschte den Regen gegen den Baum. All die anderen Blätter, die das ganze Jahr über seine Begleiter gewesen waren, waren inzwischen abgefallen und in alle Himmelsrichtungen geweht worden.
Das Blatt erinnerte sich daran, wie im Spätherbst einige Blätter abgefallen waren. Einfach so, lautlos zu Boden gefallen. "Ihre Zeit ist vorbei", erklärte ihm ein Blatt, das ganz in seiner Nähe hing. "Unsere Zeit wird auch bald kommen", fügte es hinzu.
"Was heißt das?", fragte das kleine Blatt.
"Irgendwann im Spätherbst fallen alle Blätter von den Bäumen. Das ist der Lauf der Welt", erzählte ihm das Blatt an seiner Seite.
"Ich werde nicht abfallen", sagte das kleine Blatt trotzig. "Mir gefällt es nämlich auf diesem Baum. Erinnerst du dich, als letzte Woche das Eichhörnchen da war und die Haselnüsse geholt hat, die ganz braun geworden sind. So etwas schaue ich mir gern an. Warum sollte ich dann abfallen?"
"Das kannst du nicht beeinflussen. Irgendwann fallen wir ab, ob wir wollen oder nicht", antwortete das Blatt neben ihm.
Und so passierte es. Erst wurden sie gelb, dann rotbraun.
Wenn dann ein wenig Wind aufkam, fielen sie zu Boden. Jetzt war das kleine Blatt selber ganz gelb geworden. Seit heute Mittag wütete der Sturm nun schon. Der Regen hatte nachgelassen. Die Kraft des Blattes aber auch. Mit einem kleinen Seufzer schließlich ließ das kleine Blatt den Ast los, an dem es hing. Vom Wind getragen flog es hoch durch die Luft und blieb in einem Vorgarten liegen.
Dort wurde es am nächsten Morgen von einem Kind gefunden, das in dem Haus wohnte. "Was für ein wunderschönes Herbstblatt", sagte das Kind und hob das kleine Blatt auf.
"Ich werde dich pressen und auf eine Karte kleben!" Mit diesen Worten nahm das Kind das kleine Blatt mit ins Haus.