Hexenkräfte gegen Asmodis (Die Abenteuer der Hexe Jane Morris - Gesamtausgabe) - Silke Bekker - E-Book

Hexenkräfte gegen Asmodis (Die Abenteuer der Hexe Jane Morris - Gesamtausgabe) E-Book

Silke Bekker

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Beschreibung

Neugestaltete Ausgabe der ursprünglich unter den Titeln ASMODIS - DAS BÖSE LEBT, ASMODIS - DIE RÜCKKEHR und DAS HORROR-HAUS erschienenen Abenteuer der Hexe Jane Morris Gesamtumfang 330 Normseiten. Diese Ausgabe ist auch in 8 Einzelteilen erhältlich. Mein Name ist Jane Morris. Manche nennen mich die weiße Hexe. Manche bevorzugen den Ausdruck Schamanin, aber das ist dasselbe. Sie haben Recht. Ich bin eine Schamanin und Hexe. Allerdings verwende ich meine Kräfte im Sinne des Guten und gehöre nicht zu jenen Schwarzmagiern und Dämonenbeschwörern, die nichts anderes als ihre eigenen Ziele im Kopf haben. Ganz zu schweigen von jenen, die gar nicht mehr Herr ihrer selbst, sondern Sklaven der Hölle sind. Der Großteil der Menschheit ahnt es nicht, weil sie es vielleicht gar nicht wahrhaben will. Aber wir sind in einem Zustand ständiger Bedrohung. Die Mächte der Hölle lauern nur auf ihre Chance, unsere Welt in Besitz nehmen und ihrer eigenen Sphäre der Verdammnis einverleiben zu können.

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Alfred Bekker und Silke Bekker

Hexenkräfte gegen Asmodis

Die Abenteuer der Hexe Jane Morris

Ein CassiopeiaPress E-Book

© by author

Ein CassiopeiaPress E-Book

© 2012 der Digitalausgabe AlfredBekker/CassiopeiaPress

All rights reserved.

www.AlfredBekker.de

Gesamtumfang: ca. 340 Normseiten

1. digitale Auflage 2015 Zeilenwert GmbH

ISBN 9783956174278

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

ASMODIS - DAS BÖSE LEBT

ASMODIS – DIE RÜCKKEHR

DAS HORROR-HAUS

ASMODIS - DAS BÖSE LEBT

Mein Name ist Jane Morris. Manche nennen mich die weiße Hexe. Manche bevorzugen den Ausdruck Schamanin, aber das ist dasselbe.

Sie haben Recht.

Ich bin eine Schamanin und Hexe.

Allerdings verwende ich meine Kräfte im Sinne des Guten und gehöre nicht zu jenen Schwarzmagiern und Dämonenbeschwörern, die nichts anderes als ihre eigenen Ziele im Kopf haben.

Ganz zu schweigen von jenen, die gar nicht mehr Herr ihrer selbst, sondern Sklaven der Hölle sind.

Der Großteil der Menschheit ahnt es nicht, weil sie es vielleicht gar nicht wahrhaben will.

Aber wir sind in einem Zustand ständiger Bedrohung.

Die Mächte der Hölle lauern nur auf ihre Chance, unsere Welt in Besitz nehmen und ihrer eigenen Sphäre der Verdammnis einverleiben zu können.

Die meisten Menschen begnügen sich damit, die Oberfläche dessen zu sehen, was wirklich vor sich geht.

Die Fassade.

Ich gehöre nicht dazu.

Ich suche nach der Wahrheit, wage den Blick hinter den Vorhang.

Und was ist dort zu sehen?

Ein grausamer Kampf.

Ein Krieg, der im Verborgenen geführt wird.

Ein Krieg zwischen dem Licht und der Dunkelheit und die meisten von uns wissen nicht, dass sie in diesem Krieg willfährige Schachfiguren sind.

Bewegt auf einem überdimensionalen Schachbrett. Bewegt von Mächten, über deren Kräfte sie keine Vorstellung besitzen.

Die meisten Menschen glauben, selbst Herr ihrer Taten, ihres Geschicks und ihres Lebens zu sein.

Aber das ist eine Illusion. Einfach nur eine Illusion. Eine Seifenblase, die zerplatzt, wenn man sie der geringsten Wahrheitsprobe unterzieht.

Ich werde davon berichten.

Von den Blicken hinter den Vorhang, die ich gemeinsam mit einigen wenigen Eingeweihten gewagt habe.

Es ist mir gleichgültig, ob ich für verrückt gehalten werde.

Ich weiß, dass meine Hexenkräfte Realität sind.

Und ich weiß, dass die Mächte der Hölle Realität sind, so wie mein Freund Mike Blane und ich erst vor kurzem bei unserem Kampf gegen ein Höllenwesen namens ASMODIS erfahren mussten. Vorläufig war Asmodis in seine Schranken verwiesen worden.

Aber er war keineswegs besiegt.

Das war uns beiden klar.

Wir gingen davon aus, dass unser höllischer Gegner sich geschwächt in jene Sphäre zurückgezogen hatte, der er angehörte. Und wir hofften, dass diese Schwächung noch lange anhielt. Lange genug, bis wir ein magisches Mittel gefunden hatten, das ihn vielleicht länger dorthin verbannte, sodass er seinen schädlichen Einfluss nie wieder auszuüben in der Lage war.

Aber Mike Blane und mir war vollkommen klar, wie trügerisch diese Hoffnung sein konnte.

WIE trügerisch sie war, das sollten wir schon bald merken.

Die erhoffte Atempause im Kampf gegen die Hölle war nicht mehr als ein flüchtiger Augenblick.

Aber Zeit ist ja auch ein relativer Begriff.

*

Mike Blane und ich saßen beim Frühstück. Allerdings nicht zu Hause in meiner Wohnung im Londoner Stadtteil Bayswater oder gar in der von magischen Artefakten nur so wimmelnden Bleibe meines Lebensgefährten.

Nein, wir befanden uns im Dachgarten des Kaufhauses Derry & Toms in der Londoner Ladbroke Grove Road.

„Das Böse lebt“, sage Mike Blane, jener Privatdetektiv, den manche auch fast ehrfürchtig den Satansjäger nannten. „Daran musst du immer denken, Jane. So sehr wir auch auf unsere Erfolge stolz sein können - sie sind letztlich doch nicht mehr als ein Wassertropfen auf heißen Ofenplatten.“ Mike berührte dabei leicht den Mana-Kristall, jenes augenförmige Amulett, das er stets bei sich trug und das ihm die Anwesenheit magischer Energien anzeigte.

Ich lächelte.

Vielleicht etwas verkrampft, denn innerlich verfluchte ich an diesem heißen Tag den String-Tanga, für den ich mich entschieden hatte, weil alle anderen Slips bei dem enganliegenden Kleid, das ich trug, hässliche Abdrücke verursachten.

Machen sich Männer eigentlich auch Gedanken über solche Dinge?

Wahrscheinlich tragen sie einfach, was praktisch ist.

Gleichgültig, wie sehr es das Auge beleidigt.

Und es regt sich auch niemand darüber auf. Ein Blick über die männlichen Passanten, die zur gleichen Zeit wie wir den Dachgarten von Derry & Toms bevölkerten, legte davon ein beredtes Zeugnis ab. Aber so ist die Welt. Geteilt in männlich und weiblich. Und ungerecht.

Ich fragte: „Wann fährst du in dieses … Wie heißt dieses kleine Kaff noch mal?“

„Maryhill“, sagte Mike.

„Klingt ja aufregend.“

„Wahrscheinlich nur Routine. Es gibt da ein paar eigenartige Todesfälle. Ein gewisser Garnett wandte sich an mich. Er ist Verwalter auf Clathbourne Manor, einem adeligen Landsitz und meinte, mir etwas Wichtiges mitteilen zu müssen …“

„Ist denn etwas dran an der Sache?“

„Das weiß ich erst, wenn ich zumindest einen der Toten gesehen habe. Natürlich habe ich unseren Freund Chief Inspector Rob Berringer von Scotland Yard kontaktiert, aber der konnte mir auch nichts sagen, was mich irgendwie weitergebracht hätte.“ Mike lächelte und fuhr dann fort: „Wart's ab, wahrscheinlich bin ich schon heute Abend oder spätestens morgen wieder zurück.“

„Na, hoffentlich.“

Es kam immer wieder vor, dass wir uns für einige Zeit nicht sahen. Das war zwar schwer zu ertragen, musste aber wohl in Kauf genommen werden in Anbetracht der Tatsache, dass mein Lebensgefährte ein Privatdetektiv war.

Noch dazu ein Privatdetektiv, der sich vorzugsweise nicht mit gewöhnlichen Kriminalfällen beschäftigte, sondern mit Tatbeständen, die der Großteil der Menschheit schlichtweg leugnete.

Man nannte ihn schließlich nicht umsonst den SATANSJÄGER.

Ich blickte auf den Mana-Kristall um seinen Hals. Das Amulett begann aufzuleuchten.

„Sieh nur!“, flüsterte ich.

Aber Mike hatte es längst selbst bemerkt. Er blickte an sich herab, hob den Mana-Kristall leicht an. „Ja, hier muss irgend etwas in der Nähe sein, was..“

Mike sprach nicht weiter.

Er blickte sich um, scheinbar suchend. Tiefe Furchen hatten sich auf seiner Stirn gebildet.

Ich versuchte indessen, meine magischen Sinne zu aktivieren. Eine Sache der Konzentration.

Inzwischen musste ich keine Brille mehr tragen, um zu verhindern, dass man die magische Aktivität durch ein Leuchten in meinen Augen sofort erkennen konnte.

Zumindest jene, die Bescheid wussten und die Wirksamkeit solcher Kräfte als gegebene Naturerscheinung einfach akzeptierten.

Auch, wenn sie vielleicht keine befriedigende Erklärung zur Hand hatten.

Für alle anderen war es lediglich eine eigenartige Erscheinung. Um damit nicht die ungewollte Aufmerksamkeit meiner Umgebung auf mich zu ziehen, hatte ich aus diesem Grund früher eine Art Sonnenbrille getragen.

Nur filterte sie kein UV-Licht, sondern magische Kräfte.

Inzwischen konnte ich längst darauf verzichten, wenngleich ich die Brille trotzdem noch häufig bei mir trug.

So auch jetzt.

Sie befand sich in meiner Handtasche.

Mike starrte mich an.

„Deine Augen …“

„Man sieht es?“

„Ja …“

Ein Mann an einem Nachbartisch sah mich direkt an.

Er schien es nicht zu bemerken.

Niemand schien es zu bemerken.

Der Mana-Kristall leuchtete jetzt pulsierend auf.

Dieses Pulsieren wurde immer schneller.

Ich spürte einen leichten Kopfdruck.

Mir war etwas schwindelig.

„Was geht hier nur vor sich?“, flüsterte ich.

Weißt du es nicht? meldete sich eine Stimme in meinem Hinterkopf. Eine Art Gedankenstimme, denn ich war mir sicher, nichts gehört zu haben. Niemand hatte einen Laut von sich gegeben. Weißt du es nicht? Erkennst du mich nicht?

„Asmodis!“, sagte ich laut.

Mike zog die Augenbrauen zusammen.

„Was meinst du?“

„Ich habe seine Stimme gehört.“

„Aber …“

„In meinem Kopf!“

„Und du bist dir sicher?“

„Vollkommen sicher. Ich kann nicht sagen warum, aber ich weiß es einfach. Ich hatte Kontakt zu Asmodis …“

„Dann nichts wie weg hier! Der führt doch irgendwas im Schilde.“

„Ja …“

Ich erhob mich ebenfalls.

„Der Mana-Kristall!“, stieß ich hervor.

Das Amulett schien jetzt regelrecht zu glühen!

Die Intensität magischer Kräfte musste eine Art vorläufigen Höhepunkt erreicht haben.

Mike umfasste das Amulett mit der linken Faust.

Das Leuchten drang durch Haut und Knochen hindurch und schimmerte gespenstisch. Die Handknochen waren zu sehen.

Ich habe selten den Ausdruck von Ratlosigkeit auf Mike Blanes Gesicht gesehen. Etwas anderes war bei einem Mann der sich dem Kampf gegen die Höllenmächte verschrieben hatte, auch kaum anzunehmen.

Aber in diesem Augenblick war Mike zweifellos ratlos.

Ich hatte das Gefühl, die Zeit würde sich auf eine seltsame Art und Weise dehnen.

Die Gäste des Dachgartens von Derry & Toms, schätzungsweise also etwa hundert Personen, schienen uns zu ignorieren. Sie bewegten sich in zeitlupenhafter Langsamkeit, während Mike und ich uns mit normaler Geschwindigkeit bewegten. Aber ich ahnte schon, dass es genau umgekehrt war.

Wir sind aus der Zeit gefallen!, ging es mir durch den Kopf.

Irgendetwas Furchtbares war geschehen.

Etwas, für das es keine andere Erklärung geben konnte als Magie.

Schwarze Magie.

Dann öffnete sich plötzlich ein Schlitz.

Wie ein Türspalt.

Es war so, als ob man durch diesen Spalt in eine andere Wirklichkeitsebene hineinsehen konnte.

Ein Arm langte heraus.

Die Hand umklammerte den Griff eines Säbels.

Mike wich einen Schritt zurück, doch der Säbel sirrte blitzschnell durch die Luft.

Es war für Mike Blane vollkommen unmöglich, dem furchtbaren Hieb auszuweichen, der im nächsten Augenblick geführt wurde.

Das Blut spritzte.

Mikes Kopf wurde durch den Säbelhieb vom Rumpf getrennt.

Ich hörte einen furchtbaren Laut, der sich in einer Art grausigem Echo immer und immer wieder in meinem Inneren wiederholte. Das Knacken und Zerbrechen von Wirbelknochen.

Der Kopf fiel auf den Boden, Mikes Körper brach in sich zusammen, der Mana-Kristall hing ihm dabei noch um den Stumpf, der einst sein Hals gewesen war.

Ich schrie.

„Mike!“

Wie von Sinnen war ich.

Zu furchtbar war das, was ich mit ansehen musste.

Angst, Furcht und Wut drangen bis in den letzten Winkel meiner Seele vor, obgleich ich wie angewurzelt dastand.

Ich wollte zu Mike, auch wenn das gegen jede Vernunft war.

Schließlich konnte der Säbelarm, der so plötzlich aus dem Nichts gekommen war, auch mich vernichten.

Ich merkte, dass ich mich nur noch in Zeitlupe bewegen konnte.

Meine Geschwindigkeit schien sich immer mehr jener der anderen Gäste im Dachgarten von Derry & Toms anzugleichen.

Mikes Körper und sein Kopf verblassten, wurde zu etwas, das man mit einer schlechten Dia-Projektion vergleichen konnte.

Mit unendlicher Langsamkeit bewegte ich mich die zwei oder drei Schritte auf ihn zu, die zwischen uns lagen. Ich wurde immer zeitlupenhafter dabei.

In meinem Hinterkopf dröhnte ein höhnisches Lachen, das sich ebenfalls immer mehr dehnte und um Oktaven absackte, bis es schließlich zu einem dumpfen Grollen wurde.

Zu einem Laut, die eine Maschine hätte hervorbringen können.

Ich hatte das instinktive Gefühl, Mike irgendwie FESTHALTEN zu müssen.

Aber in meinem Innersten wusste ich, dass ich das nicht konnte.

Ich versuche, meine magischen Energien einigermaßen zu bündeln.

Es war nicht möglich.

Auf eine Weise, die mir bis dahin unbekannt war, wurden diese Kräfte offenbar neutralisiert.

Außerdem war da die Verzweiflung, die mich zusätzlich mental vollkommen lähmte.

In mir schrie es.

Ich konnte es nicht glauben, wollte es einfach nicht wahrhaben. Der Mann, den ich liebte, war tot, war auf eine grässliche Weise gestorben, die ich meinem schlimmsten Feind nicht gewünscht hätte.

Nicht einmal seine sterblichen Überreste würden in DIESER WELT zurückbleiben, so wurde mir klar. Mike Blane - oder besser: das, was von ihm geblieben war - verschwand einfach.

Löste sich buchstäblich in nichts auf. Und auch der Mana-Kristall machte da keine Ausnahme.

Die Hand mit dem Säbel zog sich zurück.

Die Öffnung, die ich zu sehen geglaubt hatte - konnte ich mir da noch sicher sein? - schloss sich wieder.

Augenblicke später stand ich da, die Blicke aller Dachgartenbesucher auf mich gerichtet.

„Warum haben Sie geschrien?“, fragte ein Mann.

Und ein Kellner fragte: „Sind Sie verletzt, Madam? Was ist geschehen?“

„Ich bin Arzt!“, meldete sich ein anderer Mann, der zusammen mit seiner Frau an einem der kreisrunden Tische Platz genommen hatte.

Ich dachte: Was ist das für ein Alptraum, in dem du gelandet bist? Am besten kneifst du dich erst einmal. Und hoffentlich stellst du dann fest, dass alles nichts weiter als eine Vision war.

Ein Tagtraum …

Aber es war sinnlos, etwas anderes zu tun, als sich der Wirklichkeit zu stellen.

Ich begriff erst einige Augenblicke später, warum ich nach einer Verletzung gefragt wurde.

Der Boden war mit Blut besudelt.

Mike Blanes Blut, wie mir klar wurde.

Offenbar hatte aber niemand im Raum wahrgenommen, was tatsächlich passiert war.

Ein Unterschied im Niveau der Zeitgeschwindigkeit hatte das offenbar möglich gemacht.

Die Menschen im Dachgarten von Derry und Toms sahen nur das Ergebnis dessen, was sich ereignet hatte.

Blut …

„Es ist nichts“, behauptete ich.

„Sie müssen Nasenbluten haben“, beharrte der Arzt und trat auf mich zu. Er wollte sich offenbar nicht davon abhalten lassen, mir zu helfen. Ganz gleich, ob ich diese Hilfe auch in Anspruch nehmen wollte oder nicht.

„Es ist wirklich nichts“, behauptete ich.

Er trat auf mich zu.

Ein großgewachsener Mann mit grauem, aber immer noch sehr dichtem Haar.

Ich schätzte ihn auf Mitte fünfzig. Im besten Praxisalter also. Genug Erfahrung, um alles zu kennen, aber noch nicht so gestresst vom Job, dass man am Liebsten die Klamotten hinwerfen wollte oder sich Erscheinungen von Überforderung einstellten. Er sah mich misstrauisch an, hob mein Kinn, schaute mir in die Nase. Seine Stirnfalten wurden tiefer. Ich ging an ihm vorbei zum Kellner, gab ihm ein paar Scheine. Als Erbin von Cartwright Industries gehörte ich nicht zu den Notleidenden in der Bevölkerung. Es war daher selbstverständlich, dass ich den Schaden beglich.

Außerdem wollte ich so schnell wie nur irgend möglich von hier fort.

Nur fort, fort …

*

Ich war Zeuge geworden, wie Mike Blane getötet worden war.

Und doch glaubte ich nicht daran, dass dies das endgültige Ende des Satansjägers war. Tausendfach schon war Mike wiedergeboren worden und so hatte ich die Hoffnung, dass zumindest seine Seele irgendwo erhalten geblieben war. Jenseits von Raum und Zeit, in einer anderen Existenzebene vielleicht.

Und so lange nur die geringste Hoffnung bestand, würde ich nicht ruhen, ehe ich nicht alles getan hatte, um Mike zu helfen.

Selbst wenn es aussichtslos erscheinen mochte.

Ich erzählte Rob Berringer, was passiert war. Und er bestätigte mich in dieser Auffassung.

„Ich tue, was ich kann“, sagte der Chief Inspector von Scotland Yard, mit dem Mike und ich gut befreundet waren.

„Aber du weißt so gut wie ich, dass meine Mittel eher in der diesseitigen Welt greifen, wenn du verstehst, was ich meine!“

„Sicher!“, gestand ich zu. „Trotzdem - es könnte ja sein, dass du irgendetwas erfährst.“

„Dann melde ich mich.“

„Mike wollte nach Maryhill. Das ist ein kleiner Ort, der in letzter Zeit sehr unangenehme Schlagzeilen gemacht hat.“

„Ja, richtig“, sagte Rob Berringer etwas gedehnt. „Und du meinst, dass diese …“ Er suchte nach dem richtigen Wort und fand es schließlich nach reiflicher Überlegung. „…diese Erscheinung oder was immer auch das war, was euch zugestoßen ist.“

„Eine durchaus passende Bezeichnung, Rob“, fand auch ich.

„Na siehst du!“

„Rob, die Sache muss etwas damit zu tun haben!“

„Also ich kann es dir kurz zusammenfassen. Da kamen einige Leute unter höchst merkwürdigen Begleitumständen ums Leben. Alle in der Nähe von Maryhill. Die Opfer waren Erwachsene beiderlei Geschlechts. Eine Sonderkommission beißt sich seit einer geraumen Weile die Zähne daran aus. Wird vielleicht mal Zeit, dass frischer Wind in die Sache kommt!“

„Den wollte Mike ja wohl bringen …“, murmelte ich.

*

In der Nacht quälten mich Albträume.

Mike erschien vor dem inneren Auge meiner Träume.

Ich wollte ihn erreichen, ihn ansprechen.

Aber da war eine unsichtbare Mauer, die uns trennte. Er bemerkte ich nicht …

„ Mike!“

Was für eine Art Traum ist das? Ging es mir durch den Kopf. Die Art, die in Wahrheit nur der Blick in eine andere Welt ist? In eine andere Dimension des Daseins?

Ich sah ein Schiff.

Aber kein gewöhnliches Schiff.

Ein Schiff, das ein Meer aus glühender Lava durchpflügte.

„Weißt du wirklich nicht, an welchem Ort sich Mike Blane jetzt befindet?“, fragte eine Gedankenstimme.

Ich vernahm ein Lachen und wusste, mit welchem Gegner ich es zu tun hatte.

Ich wusste es einfach, gleichgültig, ob nun ein Instinkt oder die Erfahrung oder einfach meine weißmagischen Hexenkräfte dafür verantwortlich waren.

ASMODIS …

Der Höllische …

Und Mike Blane stand an Deck jenes verkohlten Schiffes, dessen Segel verbrannt waren.

Inmitten einer Flut aus Höllenfeuer.

„Das ist die SAADRA, das Schiff der Verdammten!“, wisperte die Stimme Asmodis'. „Hast du nicht in den Schriften des Abdul von Cordoba davon gelesen?“ Wieder ein Kichern.

„Die SAADRA befährt das Meer des Feuers. Und die Höllischen ergötzen sich an der Pein der Besatzung. Immer und immer wieder genießen sie ihre Todesangst. Kein passender Ort für deinen Geliebten?“

Ein weiteres Kichern folgte.

Ein Kichern, dessen klang mir kalte Schauder über den Rücken jagte.

Die riesenhaften Wellen aus geschmolzenem Gestein schaukelten die SAADRA hin und her.

Ich war in meinem Traum zum Zuschauen verdammt, hatte keine Möglichkeit, wie es schien, einzugreifen.

Ich sah Mike Blane wie in einem Film, zusammen mit Dutzenden anderer Männer und Frauen, deren Kleidung aus unterschiedlichsten Jahrhunderten zu stammen schien.

Das waren sie, die Verdammten.

Es waren auch Wesen darunter, die mit Sicherheit keine humanoiden Lebensformen waren. Eigenartige Mischwesen insektoider oder reptiloider Herkunft. Verdammte ferner Welten, so ging es mir durch den Kopf.

Asmodis Gedankenstimme meldete sich mit einem höhnischen Gelächter.

„Einfältige Närrin!“

„Was berechtigt dich zu deinem Hochmut?“

„Eine Vorstellung der Hölle existiert im gesamten Universum – auch wenn sie im Einzelfall dann eine eher persönlich gefärbte Angelegenheit ist!“

„Warum quälst du mich Asmodis?“

„Aus purem Vergnügen, Jane. Aus purem Vergnügen.“

„Du Teufel …“

„Wie wahr!“

„Ich werde dich vernichten, Asmodis! Eines Tages werde ich dich vernichten!“

„Ist das nicht ein Zug von Genie, wie ich in aller Bescheidenheit anmerken darf? Indem ich dir die Hölle zeige, in die ich dein Geliebten geschickt habe, bereite ich auch dir so etwas wie eine Höllenqual. Ah, die mentalen Energien, die dabei frei werden sind ein wahrer Hochgenuss. Ein Labsal, wie es nicht allzu oft zu finden ist …“

„Mike …“, rief ich.

Der Wind zerrte an seinen Kleidern. Ein wahrer Höllenwind musste das sein, heiß wie Atem Satans.

Das Schiff rang verzweifelt Wellen aus glühendem Gestein, auf denen es daherschaukelte.

„Willst du ihre Stimmen hören, Jane?“, fragte Asmodis' Gedankenstimme in einem Tonfall der Vertraulichkeit. Mir war das unangenehm. Kalte Schauder überliefen mich. Das Grauen kroch mir in den tiefsten Winkel meiner Seele.

Ja, auch mir waren diese Empfindungen nicht fremd, obgleich ich im Umgang mit der Welt des Übernatürlichen und Magischen durchaus vertraut war.

„Ja!“, hörte ich mich sagen. „Ja, ja ….“ Es klang wie ein Bitten. Ein Flehen. Worte, die die Schwäche offenbarten, die ich fühlte.

Und so drangen die Stimmen an mein Ohr. Oder in meine Gedanken. Ich vermochte es nicht zu sagen.

Die Stimmen der Verdammten.

Sie redeten in Sprachen durcheinander, die ich noch nie zuvor gehört hatte. Und doch verstand ich sie.

Es war eigenartig.

Offenbar war es dem magischen Einfluss des Höllischen Asmodis zu verdanken.

„Dort! Seht!“, war einer von ihnen zu hören.

Er trug Kleider, die an einen normannischen Seefahrer des elften Jahrhunderts.Der Normanne deutete mit der flachen Hand auf das Lavameer hinaus. „Ein Höllenwurm …“ Entsetzensschreie gellten. Ein amorpher, glutäugiger Schuppenkopf ragte aus dem Wasser heraus.

„Ja, ein Höllenwurm!“, entfuhr es einem anderen der Verdammten. Seine Züge verrieten Angst.

„Diese Ungeheuer haben uns gerade noch gefehlt!“, zischte der Normanne.

„Du hast von ihnen gehört?“, fragte Mike Blane.

„Ja, die Geschichten unserer Alten erzählen von ihnen …“ Die Männer des Langschiffes waren für ein paar Augenblicke wie erstarrt, während das Monstrum sich auf die SAADRA zu bewegte. Der Normanne wandte sich an Mike.

„Wir müssten schneller werden!“, rief er.

Aus der Stimme des Normannen sprachen nackte Furcht und ein hohes Maß an Verzweiflung.

„Das wird nichts nützen! Dieses Biest ist auf jeden Fall schneller als die SAADRA!“, stellte Mike sachlich fest.

Der Normanne zog Axt und Schwert.

Die Axt warf er Mike zu.

Dieser fing sie auf.

„Wahrscheinlich ist es unser Tod!“, sagte er.

„Unser Tod?“, fragte Mike. „Sind wir nicht schon in der Hölle!“ Einer der anderen Verdammten meldete sich zu Wort.

Ein Mann mit Dreispitz, der seiner Kleidung nach dem 17.Jahrhundert entstammte. „Ich hatte gehofft, nach meinem Ableben gnädiges Vergessen zu finden. Aber das war ein Irrtum.“

„Und ich hatte gedacht, in Ihrer Zeit wäre der Glaube an ein Weiterleben nach dem Tod noch eine Selbstverständlichkeit gewesen!“, sagte eine Frau in grauem Kostüm, die aussah, als wäre sie direkt vom Parkett der Londoner Börse in den Höllenschlund gefahren.

Indessen war der Höllenwurm wieder untergetaucht.

Die Lava zischte.

Wenn es ihm einfiel, direkt unter dem Bauch der SAADRA wieder hervorzukommen, konnte das schon das Ende bedeuten …

Ende?

Was bedeutete das unter diesen Umständen schon.

Vielleicht nur den Auftakt zu neue Foltern, neuem Leiden.

Dies war schließlich die Hölle.

„Wir müssen den Kampf aufnehmen!“, rief Mike entschlossen. Einige quälend lange Augenblicke hindurch geschah überhaupt nichts. Dann endlich tauchte das Monstrum - dicht bei der SAADRA - wieder auf.

Das markerschütternde Brüllen des Höllenwurms ließ die Verdammten zusammenfahren.

„Es ist ein Riese von einem Wurm!“, flüsterte der Normanne. In seiner Stimme klang in diesem Moment sogar so etwas wie Ehrfurcht mit.

Mike musste sich an der Reling festhalten.

Das Schiff schwankte zu stark, als dass man noch freihändig auf den rutschigen Planken hätte stehen können.

Indessen türmte der Wind die Lavawellen jetzt zu meterhohen Gebirgen auf.

Mike sah, wie das Ungeheuer mit seinen riesenhaften Pranken darin versank.

Das Wasser um ihn herum zischte auf.

Die reptilienartigen Facettenaugen des Wurms glänzten fiebrig und kalt, ehe er versank.

Die SAADRA hatte unterdessen etwas Abstand gewonnen.

„Ich hoffe, er verfolgt uns nicht!“, meinte der Normanne.

„Sonst sind wir verloren!“

Mike stand wortlos an der Reling und hielt sich krampfhaft fest, um nicht über Bord gerissen zu werden.

Seine Züge waren düster, aber nicht verzweifelt.

Er hielt nach dem Höllenwurm Ausschau. Aber das Ungeheuer war nicht mehr zu sehen.

Es folgte dem Schiff!

Ich dachte: Wenn dieses echsenartige Monstrum nun genau unter dem Bauch der SAADRA wieder emportaucht …

Aber ich war nichts weiter als eine Beobachterin. Stumm und zur Untätigkeit verurteilt.

Ohne die Möglichkeit einzugreifen.

Wenn der Höllenwurm das Schiff anhob und wieder niederstürzen ließ, war die SAADRA verloren.

Ich wagte kaum daran zu denken.

Der heiße Höllensturm wütete immer heftiger, aber das Schiff der Verdammten hielt ihm erstaunlicherweise stand.

Das Schiff schwankte.

Ich hörte einen Schrei, aber er konnte nicht sagen, wer ihn ausgestoßen hatte.

Dann spürten die Verdammten, wie die SAADRA von der unruhigen Wasseroberfläche abgehoben wurde.

Der Höllenwurm!, durchfuhr es mich.

Ich sah das Entsetzen in den Augen der Schiffsmannschaft.

„Mike!“, rief ich.

Aber es war sinnlos.

Er konnte mich nicht hören.

Ein Abgrund der Dimensionen lag zwischen uns.

Nur der der gehässigen Laune eines leibhaftigen Satans war es verdanken, dass ich ihn sah, dass ich mit ihm litt, ohne eingreifen zu können.

Es war so gekommen, wie zu befürchten gewesen war. Das Monstrum war dem Schiff unter der Lava gefolgt und jetzt wieder aufgetaucht.

Ein plötzlicher Ruck ging durch die SAADRA und Mike rutschte auf den nassen Planken aus.

Furcht breitete sich unter den Verdammten aus.

Sie wurden hin- und hergewirbelt und schrien laut durcheinander. Die Planken splitterten und der mächtige Mast ächzte.

Im Hintergrund war das Brüllen des Höllenwurms zu hören.

Dann donnerte die SAADRA wieder auf die heiße Lava nieder.

Mike rappelte sich rasch wieder auf und sah, wie neben der SAADRA die riesige Gestalt des Höllenwurms aufragte.

Mike blickte sich hastig um.

Der Normanne hatte eine klaffende Wunde am Arm.

Vermutlich hatte er einen Schlag mit dem Mastbaum abbekommen. Der Mann mit dem Dreispitz lag reglos am Boden.

Mike Blane fasste die schwere Streitaxt fester.

Er schloss kurz die Augen, schien Kraft zu sammeln.

Ich bin bei dir, Mike!, dachte ich.

Spürst du es?

Nichts sprach dafür, dass etwas von meiner Kraft ihn erreichte; ihn überhaupt erreichen konnte. Trotzdem versuchte ich meine mentalen Kräfte zu sammeln und auf ihn zu konzentrieren. Selbst die Quantenphysik kannte inzwischen das Phänomen der Fernwirkung. Warum sollte es also nicht möglich sein, dass meine Gedanken und Energien den Mann, den ich liebte, erreichten, ihm vielleicht in seinem aussichtslosen Kampf gegen die Mächte der Hölle zu helfen vermochten.

Der Höllenwurm kam unterdessen näher und näher.

Er schien den Verdammten der SAADRA nun endgültig den Garaus machen zu wollen.

Arme mit sechsfingerigen Pranken bildeten sich aus dem Leib des Lindwurms heraus, wuchsen innerhalb von Augenblick zu monströser Größe. Das Monstrum streckte diese Pranken begierig nach dem Schiff aus.

Dann packte der Höllenwurm die SAADRA schließlich am Heck, während fast gleichzeitig eine geradezu mörderische Welle aus Lava über ihn hereinbrach. Doch diese Urgewalten konnten dem Höllenwesen offenbar nichts anhaben.

Der Wurm öffnete für einen Moment sein Maul und gab fast mannshohe Zähne frei. Die schwertgroßen Krallen seiner Pranken hakten sich in den Wandungen der SAADRA fest, während die Besatzung aus Verdammten den Atem anhielt.

Auf einmal umgab Mike eine Lichtaura. Sie umflimmerte ihn.

Grünlich leuchtete sie. Eine geheimnisvolle Kraft schien ihn zu durchdringen.

Mike ging mit weit ausholenden Schritten zum Heck. Aus seinen Lippen drang ein barbarisch klingender Ruf, während er mit den Händen die furchtbare Axt schwang.

Die Klinge schien förmlich zu glühen.

Mit dieser monströsen Waffe, die Mike mit geradezu gespenstischer Leichtigkeit zu führen in der Lage war, hieb er auf das Monstrum ein.

Die Axt drang tief in die Pranke des Wurms. Aus der klaffenden Wunde kam eine Flüssigkeit, die sofort verdampfte.

Ein wahres Höllenblut musste das sein.

Mike zog seine Waffe wieder zurück. Die Pranke bewegte sich und ließ die SAADRA frei.

Wahnsinn und Schmerz leuchteten in den Facettenaugen des Höllenwurms. Er warf sich verzweifelt herum und wirbelte dabei das Lavameer noch mehr auf, so dass die Verdammten der SAADRA alle Mühe hatten, sich zu halten. Dann versank das Wesen im glühenden Höllenmeer.

Fassungslos blickte Mike auf die Axt des Normannen.

Er blickte sich suchend um, so als spürte er, dass die Kraft aus einer anderen Welt ihm geholfen hatte.

- Mike, SPÜRST DU ES NICHT?

- DOCH, ICH SPÜRE ES, JANE!

Das Meer begann sich jetzt zu verändern. Es erstarrte. Das geschmolzene Höllengestein wurde fest. Innerhalb von Augenblicken geschah das. Ein Ruck ging durch die SAADRA, die auf einmal in der erstarrten Lava feststeckte. Ein Schiff auf dem Trockenen.

Eine trockene, aufgesprungene Ebene erstreckte sich bis zum Horizont.

Am Himmel schimmerte eine kalte, bläulich schimmernde Sonne.

Mike Blane blinzelte, kniff die Augen zusammen.

Da war etwas, das wie ein steinernes Hinweisschild aussah - oder ein Grabstein. Ganz wie man wollte.

„Siehst du das auch?“, wandte sich Mike an den Normannen, der sich seine Wunde inzwischen notdürftig verbunden hatte.

„Was?“

„Die Schriftzeichen auf dem Stein.“

„Thors Hammer soll mich erschlagen, wenn ich jemals schreiben und lesen lernen sollte.“ Mike Blane kletterte vom Schiff herunter.

Die anderen riefen ihm nach, warnten ihn.

Aber Mike ließ sich nicht abhalten.

Er erreichte den Stein mit der Inschrift.

In verwitterten Buchstaben stand dort ein Wort.

MARYHILL.

Darunter eine Entfernungsangabe.

5 Meilen.

*

Ich erwachte schweißgebadet.

Rang nach Atem.

Ein Traum. Aber wahrscheinlich auch ein Blick in die Hölle …

Ich brauchte einige Augenblicke, um zu realisieren, dass ich mich in London befand. Es war so real … Was ist nur geschehen? Auf jeden Fall kann es sich nicht nur um einen gewöhnlichen Alptraum gehandelt haben.

Maryhill …5 Meilen …Mike!

Gedankensplitter zuckten wie Blitze durch mein Hirn.

Die SAADRA …

Die Verdammten …

Der Höllenwurm …

…und Asmodis!

Schließlich stand ich auf, zog mich an.

Schlaf würde ich in dieser Nacht ohnehin nicht mehr finden.

Maryhill … Der Ort, der mit Mikes Auftrag zu tun hatte. Ich würde herausbekommen, was er mit Asmodis' Auftritt im Dachgarten von Derry & Toms und Mikes Verschwinden zu tun hatte.

Es ließ mir einfach keine Ruhe.

Ich wälzte ich magische Bücher, alte Schriften, begab mich sogar in Mikes Wohnung, zu der ich eine Zweitschlüssel hatte.

Sie war gefüllt mit magischen Artefakten und alten Schriften. Mike war ein leidenschaftlicher Sammler solcher Dinge.

Allerdings war das bei ihm weit mehr als ein Hobby. Es stellte gewissermaßen sein Handwerkszeug dar.

Ich suchte nach Spuren, Hinweisen.

Aber ich fand nichts.

Es gab nur eine Sache, die für mich feststand.

Ich war entschlossen herauszufinden, was mit dem Mann geschehen war, den ich liebte.

Und wenn ich dafür in die Hölle selbst hinabsteigen musste.

Im Traum war ich schließlich schon dort gewesen.

*

Am Morgen bekam ich eine E-Mail.

Absender war ein gewisser Asmodis.

Vielleicht irgend so ein Satanisten-Spinner!, ging es mir durch den Kopf. Mit dem Leibhaftigen musste so etwas nicht unbedingt etwas zu tun haben. Genauso gut war es möglich, dass es sich nur um eine sogenannte Spam-Mail handelte, die die elektronischen Briefkästen überschwemmte. Vornehmlich wurden da Bilder von nackten Frauen angeboten, hin und wieder auch Viagra zum halben Preis, eine Penisvergrößerung, Brustimplantate oder eine traumhafte Anlage mit garantiertem Supergewinn.

Und so mancher Satanist tummelte sich da ebenfalls.

Da gab es ja schließlich die absonderlichsten Typen.

Belüg dich nicht selbst!, meldete sich eine Stimme in mir.

Du weißt genau, woher diese Mail kommt … Es ist eine Botschaft.

Eine Botschaft aus der Hölle!

Ich musste schlucken.

Meine magischen Sinne waren sofort aktiv.

Ich öffnete die Mail.

Die Mail lautete:

„Wie viel ist es Ihnen wert, mehr über das Schicksal Ihres Geliebten zu erfahren? Interessieren Sie sich vielleicht auch für die Toten von Maryhill - so wie ER? Asmodis wird sich nicht noch einmal so leicht davonjagen lassen … Nicht noch einmal, Jane Morris!“

Ich war wie vor den Kopf geschlagen.

Wusste dieser Emailschreiber, der sich des Namens eines Höllenfürsten bediente, von den Ereignissen, die Mike Blane und ich in Finnland durchlitten hatten?

Oder …

Ich wagte gar nicht daran zu denken.

War dies doch eine Botschaft von Asmodis selbst?

In Finnland hatte er die Gestalt eines Mannes mit dem Namen Fred Stein angenommen. Aber das war gewiss nicht seine einzige Inkarnation hier auf Erden.

Maryhill … Will er mich am Ende nur dorthin locken?

Ich dachte an den Traum.

Eine Möglichkeit, die ich nicht außer Acht lassen durfte.

Und was immer auch hinter den eigenartigen Todesfällen stecken mochte, die dort seit längerem zu beobachten waren - es schien ein Zusammenhang zu Asmodis zu bestehen.

Was lag also näher, als diese Herausforderung anzunehmen?

Mike, ich werde dich finden!, durchzuckte es mich. Mein Freund war verschwunden. Spurlos verschwunden als Folge einer übernatürlichen Attacke. Und ich würde mich an seine Fährte setzen.

Schließlich war Mike kurz davor gewesen, dort hinzufahren.

Ich würde herausfinden, was dahinter steckte.

Ein weiterer Blick hinter den Vorhang.

Ich war bereit dafür, gleichgültig, welcher Anblick sich mir dahinter auch präsentieren mochte.

Ich schluckte, schloss die Augen und sogleich waren die Bilder wieder vor meinem inneren Auge. Die Szene im Dachgarten von Derry & Toms stand mir so deutlich vor Augen, als würde sie sich genau in diesem Augenblick erst ereignen.

Der Säbel, der wie aus dem Nichts aufgetaucht war.

Als ob eine Hand aus einer anderen Welt in die unsere hineinreichte!, ging es mir schaudernd durch den Kopf.

Ja, genau so hatte es ausgesehen.

Dann der schnelle Streich mit der Säbelklinge …

Ich musste schlucken.

Der Mann, den ich liebe, war zuerst enthauptet worden und dann entmaterialisiert. Wohin auch immer. War das Asmodis' Rache? Aber warum hatte er sich nicht auch mich vorgeknöpft?

Fürchtete er meine Hexenkräfte?

Oder reichten seine Kräfte einfach noch nicht wieder aus, um es gleichzeitig mit zwei Gegnern aufnehmen zu können?

*

Am nächsten Morgen rief ich noch einmal bei Scotland Yard an. Diese Ungewissheit machte mich furchtbar unruhig. Ich hatte erneut schlecht geschlafen und war die ganze Nacht von schrecklichen Alpträumen geplagt worden. Einer davon war eine Art Wiederholung jenes Traumes gewesen, in dem ich Mike gegen einen Höllenwurm hatte kämpfen sehen.

„Ja, bitte“, meldete sich Rob Berringer, der Chefinspector.

„Ich bin's noch einmal - Jane. Es tut mir wirklich leid, dass ich dich schon wieder anrufe, aber ich wollte ich mich nur erkundigen, ob du vielleicht schon irgendetwas gehört hast, dass mir bei der Suche nach Mike helfen könnte.“

„Nein, bisher leider nicht. Ich habe mich umgehört, aber weder in den Krankenhäusern noch bei der Gerichtsmedizin sind männliche Personen, mit dieser Art von Verletzung aufgetaucht. Ich denke, keine Nachricht ist in diesem Fall ja schon eine gute Nachricht, oder?“, versuchte er mich aufzumuntern.

„Nichts für ungut“, erwiderte ich. „Da bin ich mir nicht so sicher.“

„Was willst du als nächstes machen?“, fragte Rob Berringer.

„Ich weiß es noch nicht genau. Am Liebsten würde ich nach Maryhill fahren, mein Instinkt sagt mir, dass das das einzig Richtige ist.“

„Dann halte mich auf dem Laufenden, Jane.“

„Sicher. Du mich aber auch.“

Ich legte auf.

Im selben Moment stieg mir ein modriger Geruch in die Nase.

Ich schaute im Zimmer umher, doch das schien vor meinen Augen zu verschwimmen, wurde konturlos.

Stattdessen sah ich einen dunklen Gang vor mir.

Alles um mich herum fühlte sich klamm an. Der modrige Geruch raubte mir fast den Atem.

Ich tastete mich langsam voran.

Der Gang endete in einer Gruft.

Dort stand ein Steingrab.

Ich ging darauf zu.

Es herrschte ein Halbdunkel, woher das wenige Licht kam, konnte ich nicht erkennen.

Die Steinplatte, mit der das Grab normalerweise verschlossen war, war ein wenig zur Seite geschoben.

Ich schaute durch die schmale Öffnung ins Innere des Grabes, konnte aber nichts erkennen.

Mit aller Kraft, die mir zur Verfügung stand, schob ich die schwere Platte an. Sie bewegte sich nur wenig, doch das reichte, um nun einen Blick ins Innere des Grabes zu werfen.

Was ich sah, ließ mir das Blut in den Adern gefrieren.

Mike Blanes Körper lag in merkwürdig verrenkter Haltung in dem Grab. Sein Kopf war achtlos dazu gelegt worden. Seine offenen, toten Augen starrten mich an.

Ich prallte zurück.

Mir war schlecht.

Trotzdem schaute ich noch einmal in das Grab.

Es war mir klar, dass ich nur eine Vision haben konnte, doch ich hoffte, irgendwelche Informationen zu erhalten.

Schließlich war es manchmal möglich, durch eine magische Vision die Abgründe von Raum und Zeit zu überbrücken.

Mike begann bereits zu verwesen.

Dieser Prozess beschleunigte sich jetzt vor meinen Augen, sodass schon nach wenigen Sekunden nur noch sein Skelett in der Gruft lag.

Ich blickte mich um, aber nichts, was ich sah, gab mir einen Hinweis, darauf, wo sich diese Gruft befand.

Ich merkte bereits, dass die Vision schwächer wurde. Die Gräber, die Gruft, der Geruch des Moders und der Fäulnis..

Der Eindruck all dessen wurde schwächer, schien gänzlich zu verblassen …

Nein, ich muss noch hier bleiben!, hämmerte es in mir.

Nur noch eine Weile …

Ich blickte auf die Namensinschriften auf den Gräbern.

CLATHBOURNE - dieser Name kam immer wieder vor.

So als ob hier eine ganze Ahnenreihe begraben lag.

CLATHBOURNE …

Die düstere Umgebung, in der ich mich gerade noch befunden hatte, verschwand nun von einem Augenblick zum anderen. Ich war wieder in meiner Londoner Wohnung, atmete tief durch.

CLATHBOURNE!, dachte ich.

Ein Name, auf den ich achten werde!

*

Später recherchierte ich im Internet. Über eine Suchmaschine fand ich einen interessanten Hinweis. Ein gewisser Alexander Clathbourne aus Sweetwater, Michigan, USA war offenbar ein begeisterter Ahnenforscher und hatte umfangreiche Abstammungstafeln auf seiner Homepage veröffentlicht.

Abstammungstafeln, die den Amerikaner als Ahnen des Adelsgeschlechts Clathbourne identifizierten, das seinen Stammsitz in …

Ich konnte es kaum glauben!

…in der Nähe des englischen Ortes Maryhill hatte!

Clathbourne Manor, der Stammsitz derer von Clathbourne.

Standen sie auf irgendeine Weise mit Asmodis in Zusammenhang?

Es schien so.

*

Ich griff zum Telefon und nahm den Hörer ab. Ich versuchte Don Turner zu erreichen, einen Geschäftsmann, der schon länger mit Mike befreundet war.

Auch ich kannte ihn gut.

Bei einem Zusammentreffen erwähnte Don Turner mal, dass er gute Kontakte zum englischen Adel habe.

Ich wollte Turner fragen, ob ihm auch die Familie Clathbourne ein Begriff ist und falls ja, ob er ein Treffen arrangieren könne.

Das Telefon läutete mehrmals.

Keiner da, dachte ich.

Nun gut, versuche ich es später noch einmal. Als ich schon auflegen wollte, nahm doch noch jemand ab.

Eine weibliche Stimme meldete sich, die zwar einwandfreies Englisch sprach, aber akzentbeladen. Ich tippte auf indische Herkunft.

„Hier bei Turner. Bitte, wer spricht?“

„Jane Morris am Apparat. Könnte ich Don Turner sprechen?“

„Nein“, war die kurze Erwiderung.

Da keine weitere Erläuterung folgte, setzte ich erneut an. „Ist Mister Turner später zu sprechen?“

„Nein. Mister Turner ist nicht da.“

„Wann ist er denn zu sprechen?“, hakte ich nach.

„Mister Turner ist auf Geschäftsreise. Kommt erst in zwei Wochen zurück.“

Nun wollte ich es aber genau wissen. „Mit wem spreche ich?“

„Ich bin die Putzfrau. Ich halte die Wohnung sauber. Soll ich etwas ausrichten?“

„Nein, das ist nicht nötig. Ich werde mich gegebenenfalls noch einmal melden. Danke!“

„Auf Wiederhören.“

Ich legte auf. Zwei Wochen, so lange konnte und wollte ich nicht warten.

Ich dachte an die Vision, an das Verwesen von Mikes Körper. Ich spürte die Hilflosigkeit, die mich zu befallen schien.

Schnell stand ich auf und ging in die Küche, um mir einen Tee aufzusetzen.

Jetzt einen Earl Grey und ein wenig in der Times lesen, das macht mir den Kopf frei, dachte ich. Vielleicht fiel mir noch etwas anderes ein, was ich für Mike tun konnte.

Das Teewasser kochte. Ich bereitete den Tee vor. Ich hatte das bereits einmal bei einem japanischen Teemeister gesehen und versuchte seitdem, selber diese fast meditative Stimmung zu erreichen. Es gelang mir mal mehr und mal weniger. Heute eher weniger.

Ich nahm den Tee mit ins Wohnzimmer und setzte mich aufs Sofa. Die Times lag schon auf dem Tisch, wo ich sie am Morgen etwas achtlos hatte hingelegt.

Ich versuchte, sie mir aufs Sofa zu angeln, ohne den Tee zu verschütten. Dabei fiel sie zu Boden. Während ich sie aufhob, glaubte ich den Namen 'Clathbourne Manor' zu lesen. Ich setzte die Tasse ab und suchte gezielt.

Tatsächlich, da stand es schwarz auf weiß.

VERWALTER AUF CLATHBOURNE MANOR GESUCHT!

Darunter war kurz angerissen, welche Voraussetzung der Bewerber zu erfüllen hatte und was ihn oder sie zu erwarten hatte.

Das war es, wonach ich gesucht hatte. War das nun eine glückliche Fügung oder vielleicht mehr?

Mein Instinkt hatte mir die ganze Zeit gesagt, dass ich Antworten nur in Maryhill finden würde. Nun glaubte ich einen Weg vor mir zu sehen, um an die Antworten zu kommen.

Ich nahm das Telefon und wählte die in der Anzeige angegebene Nummer. Ich wollte diesen Job und ich würde ihn kriegen.

*

Einige Tage zuvor …

…in Maryhill! Der Wind heulte klagend um die uralten Mauern von Clathbourne Manor. Fensterläden klapperten. Es war bereits weit nach Mitternacht.

Edward Garnett öffnete die schwere Holztür und trat ins Freie.

Der Wind zerrte an seinen Kleidern. Ihm fröstelte. Er schaute hinaus in die sturmdurchtoste Nacht.

Sein Blick glitt suchend umher. Bizarre Schatten tanzten auf den grauen Wänden der Nebengebäude.

Zögernd schritt Garnett dann die fünf breiten Steinstufen des Portals hinab.

Wie ein verwaschener Fleck stand der Mond am Himmel und schimmerte durch die schnell dahinziehenden Wolken.

Düsteren Schatten gleich erhoben sich die knorrigen, auf groteske Weise verwachsenen Bäume. Grauer Nebel war aus dem nahen See emporgestiegen. In dicken Schwaden kroch er über den Boden. Immer neue geisterhafte Gestalten und Gesichter schienen sich in den wabernden Nebeln zu bilden. Der Schrei eines Raben durchdrang die Geräusche des Windes für einen kurzen Moment.

Dann sah Garnett die Gestalt …

Sie hob sich als dunkler Schatten gegen den hellgrauen Nebel ab. Der Gang war schleppend. Ein eisiger Schauder überkam Garnett, als er die Silhouette eines Dreispitzes erkannte …

Mein Gott!, durchzuckte es ihn. Sein Puls raste.

„Garnett!“, donnerte eine Stimme durch die Nacht. „Garnett, bleiben Sie stehen, Sie Narr!“

Garnett drehte sich halb herum. Jemand war auf das Portal getreten. Durch die offene Tür fiel Licht auf einen hochgewachsenen, hageren Mann, dessen falkenhaftes Gesicht Garnett entgeistert anstarrte.

„Ich habe IHN gesehen, Sir Donald!“, rief Garnett. „Ich bin mir sicher. Dahinten …“

„Kommen Sie zurück, Sie Wahnsinniger!“

„Nein!“, erwiderte Garnett mit fester Stimme. „Ich will jetzt wissen, was hier vor sich geht!“

„Sie Narr!“

„Ich will die Wahrheit wissen!“

„Garnett, nein!“ Sir Donald streckte die Hand aus. Er trat einen Schritt vor, wagte sich aber nur bis zur ersten Stufe des Portals. Dann blieb er wie zur Salzsäule erstarrt stehen. Sein Gesicht war aschfahl geworden.

Auch Garnett erstarrte.

„Ihr Mächte der Hölle“, flüsterte er. Er spürte die eigenartige Aura, die jetzt alles erfüllte. Die Luft. Die Gedanken.

Die Erde.

Den Wind.

Garnett fröstelte.

Ein Gefühl der Kälte war in ihm.

Kälte, so frostig wie er sie nie zuvor gekannt hatte, selbst im kältesten Winter nicht.

Die Gestalt mit dem Dreispitz näherte sich. Der Mond beleuchtete ein bleiches Gesicht. Die Augen waren weit aufgerissen und ausdruckslos.

Ausdruckslos und …

…tot!

Das war es.

Glasig schienen diese Augen ins Nichts zu blicken. Unter dem Dreispitz quollen die Locken einer gepuderten Perücke hervor. Ein dunkler Mantel hing um seine Schultern und reichte beinahe bis zum Boden.

„Der Nebel-Lord …“, flüsterte Sir Donald ergriffen. Seine Stimme vibrierte. Die knochendürren Finger hielten sich am steinernen Handlauf fest.

„Wer sind Sie?“, fragte Garnett an die düstere Gestalt gewand. „Was wird hier eigentlich gespielt? Ich habe Sie durch das Fenster gesehen …“

Der Düstere antwortete nicht.

Ein Sinnbild des Todes selbst schien er zu sein.

Geh!, rief eine innere Stimme in Garnett. Geh, so schnell du kannst! Renn davon …

Garnett schluckte.

Er rührte sich nicht.

Wie gelähmt stand er da.

Der Nebel-Lord richtete die leeren, blicklosen Augen auf Garnett.

Dieser erschauerte bis in den tiefsten Grund seiner Seele. Er wich einen Schritt zurück. Eine eigenartige Schwere fühlte er in den Beinen. Kälte kroch ihm den Rücken hinauf. Eine Kälte, wie er sie nie zuvor gefühlt hatte …

„Nein“, flüsterte Garnett, während ihn das Grauen erfasste.

Im Gesicht des Düsteren veränderte sich etwas. Der dünnlippige Mund öffnete sich. Mit einem fauchenden Laut kam ein leuchtend weißer Nebel aus seinem Mund heraus und schoss in einer Fontäne auf Garnett zu.

Garnett taumelte einen Schritt zurück. Eine unsagbare Kälte erfasste in. Sein schauriger Todesschrei gellte durch die Nacht, während er zu Boden sank. Reglos blieb er am Boden liegen.

Der Nebel-Lord senkte den Kopf.

Der Mond tauchte sein hageres Totengesicht in ein fahles Licht.

Sir Donald wich zurück zur Tür.

„Nein …“, flüsterte er.

Der Nebel-Lord hob die Hand.

„Asmodis braucht deine Seele …“, flüsterte eine Stimme, deren Klang Sir Donald das Blut in den Adern gefrieren ließ.

Eine Stimme, so klirrend kalt wie der Tod selbst.

Also doch!, ging es Sir Donald durch den Kopf. So ist es wahr! Der Nebel-Lord ist nichts weiter als …

Das Wiehern eines Pferdes ertönte. Dunkel hob sich die Silhouette des hochbeinigen Reittiers im Nebel ab. Das Pferd galoppierte auf den Nebel-Lord zu und blieb dann stehen.

Der Nebel-Lord wankte zu dem Reittier hin, schwang sich in den Sattel. Er wandte den Kopf. Einen Augenblick schienen seine leeren Augen Sir Donald zu musterten. Dieser war wie gelähmt. Angst kroch ihm wie eine grabeskalte, feuchte Hand den Rücken hinauf.

Dann riss der Reiter die Zügel seines Pferdes herum und ließ es direkt in den Nebel hineingaloppieren. Doch noch ehe die Nebelwand ihn wirklich verschluckt hatte, schien er transparent zu werden. Er löste sich auf. Nur das Getrappel der Hufe war noch eine ganze Weile zu hören und ließ Sir Donald bis ins Mike erschauern.

*

Die Scheibenwischer schafften es einfach nicht, für freie Sicht zu sorgen. Ich, Jane Morris, saß hinter dem Steuer meines Coupes und blickte angestrengt durch die Frontscheibe.

Es war ziemlich spät geworden.

Die Dämmerung hatte sich erst wie grauer Spinnweben über das Land gelegt und nun war es schon beinahe ganz dunkel. Ein Blitz zuckte grell aus den tiefhängenden, dunklen Wolken. Der Regen prasselte nur so hernieder.

Gestehe es dir endlich ein!, dachte ich. Du hast dich verfahren! Und nicht einmal deine übersinnlichen Fähigkeiten als Erbin der Weißen Magie haben das verhindern können!

Die Straße war sehr schmal. Ihr Zustand war schlecht. Ein Schlagloch folgte dem nächsten. Sie zog sich durch ein Waldstück hindurch, wodurch die Sicht noch schlechter wurde.

Ich atmete tief durch.

Eine Verspätung war alles andere als ein gelungener Einstand in meine neue Stellung!

Aber es war nun einmal nicht zu ändern.

Die Straßen waren immer schmaler und unwegsamer geworden und die Hinweisschilder immer spärlicher.

Geschlagene anderthalb Stunden schon fuhr ich in dieser gottverlassenen Gegend herum, seit ich die Autobahn aus Richtung London verlassen hatte. Und ich war mir nicht sicher, ob ich meinem Ziel inzwischen ein paar Meilen näher gekommen war.

Wieder zuckte ein Blitz.

Der Donner peitschte kurz hinterher. Das Gewitter musste ganz in der Nähe sein. Der Regen nahm noch einmal an Heftigkeit zu. Der Wind bog Bäume und Büsche unbarmherzig in seine Richtung. Ein knackendes Geräusch übertönte sogar den Motor. Ein dicker Ast brach aus der Krone eines knorrigen Baumes heraus. Er krachte nieder, viel zu schnell, als dass ich noch hätte reagieren können. Der Ast fegte über die Kühlerhaube des Coupes, rutschte ein Stück die Frontscheibe empor und glitt dann zur Seite auf die Straße.

Der Schreck saß tief.

Ich fühlte, wie mir der Puls bis zum Hals schlug.

Mein Gott, das war knapp!, ging es mir durch den Kopf. Ich war froh, als ich das Waldstück hinter mir gelassen hatte.

Viel hätte ich in diesem Moment dafür gegeben, wenn diese Höllenfahrt zu Ende gewesen wäre!

Ein Schild tauchte auf.

Ich fuhr langsamer, bremste ab und las die verblassten Buchstaben.

Maryhill, 3 Meilen.

Immerhin etwas!, dachte ich. Ich hielt an, blickte auf meine Karte. Maryhill war offenbar so klein, dass es gar nicht verzeichnet war. Aber vielleicht gab es dort eine Tankstelle oder ein Gasthaus, wo ich nach dem Weg fragen konnte.

Ich fuhr weiter.

Wenig später tauchte der düstere Turm einer verwitterten Kirche auf. Als drohende Silhouette stand sie da.

Verwachsene Bäume erhoben sich über den angrenzenden Friedhof. Um die Kirche herum gruppierte sich eine Handvoll Häuser.

Das war Maryhill.

Ein Flecken, kaum ein Dorf zu nennen.

Es gab keine Tankstelle, aber ein Gasthaus mit dem Namen MARYHILL INN. Ich parkte das Coupe vor dem verwittert wirkenden Haus. Der Regen hatte zwar etwas nachgelassen, aber oben, in den Wolken grummelte es nach wie vor.

An einen Schirm hatte ich nicht gedacht.

Ich öffnete die Tür ihres Wagens und lief so schnell sie konnte zum Eingang des MARYHILL INNS. Das schulterlange, blonde Haar klebte mir bereits feucht am Kopf, als ich den Eingang erreichte. Die Tür war durch einen steinernen, moosbewachsenen Bogen geschützt. Die Tür war aus dunklem Holz gefertigt und machte den Eindruck, schon Jahrhunderte alt zu sein.

Ich wollte die Türklinke herunterdrücken, da zuckte ich zurück.

Was war das?

Ich starrte auf ein fratzenhaftes, aus Holz geschnitztes Löwengesicht, das mich hasserfüllt anblickte. Mit den Zähnen hielt das Löwengesicht einen dunklen Metallring, der wohl zum Klopfen gedacht war.

Ich öffnete die Tür und trat in einen halbdunklen Raum.

Der Regen prasselte gegen die kleinen, butzenartigen Scheiben.

Außer dem Wirt befanden sich nur noch zwei Männer im Schankraum. Der eine saß an der Theke, der andere an einem Tisch in der Ecke.

Ich ging zum Schanktisch. Der Wirt war ein hochgewachsener, hohlwangiger Mann. Er starrte mich an wie einen leibhaftigen Geist.

„Guten Abend“, sagte ich.

„Guten Abend, Ma'am“, knurrte der Wirt.

Er tat das auf eine Art und Weise, die zu sagen schien: Fremde sind hier nicht besonders willkommen.

Ich fühlte sogleich die Blicke aller Anwesenden auf mich gerichtet. Als jemand von auswärts fiel man hier wohl sofort auf.

Das war nicht verwunderlich.

„Was wünschen Sie, Ma'am?“, fragte der Wirt. Sein Gesicht blieb völlig ausdruckslos dabei. Ein Donner krachte indessen geradezu ohrenbetäubend. Das Licht im Raum flackerte für einen Augenblick. Ich zuckte unwillkürlich zusammen.

„Ich fürchte, ich habe mich etwas verfahren“, sagte ich dann.

Ich strich mir dabei eine feuchte Strähne aus dem Gesicht.

„Wo wollen Sie denn hin?“

„Clathbourne Manor!“, sagte ich.

„Oh!“

Der Laut, den er ausstieß war nicht schwer zu deuten.

Eine Äußerung der Furcht.

Er biss sich auf die Lippen.

Die drei Männer wechselten bedeutungsvolle Blicke.

Schließlich fragte der Wirt: „Dann sind Sie die neue Verwalterin?“

„Ja“, erwiderte ich erstaunt. Die Welt schien hier sehr klein zu sein und Neuigkeiten sprachen sich offenbar schnell herum.

„Sie wirken sehr jung für den Job!“, sagte der Wirt dann. Er schien es gewohnt zu sein, seine Gedanken ungeschminkt zum Ausdruck zu bringen.

Ich atmete tief durch.

„Nun, ich gebe zu, dass es meine erste Anstellung ist. Aber ich habe meinen Beruf gelernt. Ich bin überzeugt davon, ein Landgut verwalten zu können - und wenn Lord Clathbourne anderer Meinung gewesen wäre, hätte er mich wohl kaum für die Stelle in Betracht gezogen!“

Der Wirt zuckte die Achseln.

„Geht mich ja nichts an“, knurrte er.

„Eben!“

„Nichts für ungut …“

„Wie gesagt, ich habe mich etwas verfahren … Wenn Sie vielleicht so freundlich wären und mir den Weg sagen würden …“