VIKING - Die Armee der Dänen - Bjørn Andreas Bull-Hansen - E-Book
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VIKING - Die Armee der Dänen E-Book

Bjørn Andreas Bull-Hansen

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Beschreibung

Die Wikinger erobern Großbritannien! Die spannende Jomswikinger-Saga geht weiter

Norwegen im Jahre 1007. Einst als Sklave aufgewachsen, gilt Torstein Knarresmed nun als einer der mächtigsten Männer Norwegens. Als sich eine Allianz zwischen den skandinavischen Herrschern bildet, schließt er sich dieser mitsamt seiner Kompanie von Jomswikingern an. Gemeinsam wollen sie in den Kampf gegen Großbritannien ziehen. Denn es ist ihr Ziel, die englischen Gebiete, die einst unter dänische Herrschaft fielen, zurückzuerobern und den verachteten König Æthelred vom Thron zu stürzen. Doch sie ahnen nicht, dass ihr größter Gegner das herannahende Christentum ist, das die altnordische Gemeinschaft für immer verändern wird. Und Torstein eine Schlacht führen muss, die auch über die Zukunft seines eigenen Landes entscheiden wird …

»Der skandinavische Bestseller VIKING erzählt fesselnd von der nebelverhangenen Welt der Fjorde.« Frankfurter Neue Presse über »Viking«

Episch, atmosphärisch, aufregend – entdecken Sie auch die anderen Romane der Jomswikinger-Reihe:
Band 1: VIKING
Band 2: VIKING – Kampf in Vinland
Band 3: VIKING – Die Armee der Dänen

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 736

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BJØRN ANDREAS BULL-HANSEN ist großer Fan der altnordischen Kultur und beschreibt sich selbst als »Wikingerbarde«. Er ist zudem mehrfacher nationaler Meister im Kraftdreikampf. Mit seinem Blog und seinen Videos rund um die (Über-)Lebenskünste der Wikinger sowie moderne Survival-Themen begeistert er Tausende Fans. Seine Jomswikinger-Romane standen monatelang auf der norwegischen Bestsellerliste und werden auch in Deutschland begeistert gefeiert. VIKING – Die Armee der Dänen ist der dritte Band der Jomswikinger-Saga.

VIKING in der Presse:

»Der skandinavische Bestseller VIKING erzählt fesselnd von der nebelverhangenen Welt der Fjorde.« Frankfurter Neue Presse über »Viking«

»Ein rasanter Roman voller unvorhersehbarer Wendungen mit detaillierten Beschreibungen einer Zeit, die lange vor unserer zu Ende ging.« Bremervörder Zeitung über »Viking«

»Ein wahrer Pageturner und vor allem eine wahnsinnig tolle Story!« Dagbladet (N) über »Viking«

Außerdem von Bjørn Andreas Bull-Hansen lieferbar:

VIKINGVIKING – Kampf in Vinland

Bjørn Andreas Bull-Hansen

VIking

Die Armee der Dänen

EINE JOMSWIKINGER-SAGA

Roman

Aus dem Norwegischen von Günther Frauenlob und Justus Carl

Die Originalausgabe erschien 2019 unter dem Titel DANEHÆREN (The Army of the Danes) bei Gyldendal Norsk Forlag, Oslo.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Copyright © 2019 der Originalausgabe by Gyldendal Norsk Forlag (All rights reserved)

Copyright © 2023 der deutschsprachigen Ausgabe by Penguin Verlag

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Eva Stadler

Umschlaggestaltung: Bürosüd nach einem Entwurf von Henrik Koitzsch und unter Verwendungen von Motiven von Bjørn Andreas Bull-Hansen

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN 978-3-641-30006-7V001

www.penguin-verlag.de

Es ist dunkel in der Halle. Nur in der Feuergrube ist noch der schwache Lichtschein der Glut zu erkennen. Die Öllampen sind ausgebrannt. Meine Hand liegt auf unbeschriebenen Pergamenten. Faltig und voller Narben warten sie auf die Worte, die darüber berichten sollen, was meinem Bruder und mir widerfahren ist. Worte über unsere Frauen und die Nachkommen, die wir hinterlassen haben. Und über den Feldzug, über die Jahre, in denen wir englischen Boden verwüstet haben. Die Macht, die zu ergreifen ich gehofft hatte, und das Land, das das meine hätte werden sollen.

Mein Blick fällt auf den Schürhaken, der in der Glut steckt. Vater hat einmal zu mir gesagt, dass wir Männer wie Eisen sind. Wir müssen geschmiedet und gehärtet werden. Sonst werden wir schwach, und in Walhalla ist kein Platz für schwache Männer.

Ich bin gehärtet worden, Vater. Mit der Klinge am Hals musste ich zusehen, wie sie dich aufgeschnitten haben. Ich sah, wie sie dich zum Gehen zwangen, einen Schritt nach dem anderen, während die Eingeweide aus deinem Bauch quollen. Inzwischen weiß ich aber, dass auch Odin dich an jenem Tag gesehen hat.

Erinnerungen. Sie sind alles, was mir noch bleibt. Und sie sind mir so nah. Die Worte, die ich aufs Pergament bringe, rufen sie wach. Und wenn ich jetzt die Augen schließe, höre ich Stimmen und Gelächter. Ich rieche das Bier in den Krügen. Und mit einem Mal ist es wieder so, als säßen meine alten Gefährten Seite an Seite auf den Langbänken und neben mir meine Sigrid, meine geliebte Sigrid. Ich stehe auf, hebe das Horn des Herrschers und gelobe den Sieg über Æthelred und seine Aldermänner. Land wollen wir gewinnen. Ehre. Die Männer heben die Krüge.

Wenn ich die Augen öffne, ist alles wieder still. Die Kälte der Nacht zieht herein, und die Gewissheit, dass ich der Letzte bin, legt sich auf mein Gemüt. Männer wie ich gehören einer anderen Zeit an. Die Ländereien da draußen sind jetzt unter der Herrschaft der Christenkönige.

Aber meine Erinnerung ist wach. Ich habe nichts vergessen. Damals wurden unsere Götter noch von niemandem verhöhnt, und wenn über uns geredet wurde, dann voller Furcht. Verschone uns vor den Heiden aus dem Osten. Verschone uns vor dem Heer der Dänen.

1 Ein Bote aus dem Süden

Es war das dritte Jahr meiner Herrschaft über Vingulmørk, als mein Bruder nach Westen zog. Er segelte mit drei Schiffen und vielen guten Männern. Viele fragten nach ihm, doch ich sagte nur, dass er losgezogen sei, um Waren auf den westlichen Inseln zu tauschen. Es gab dort draußen einiges, was wir auf unserem Herrschersitz brauchen konnten. Dass er aufgebrochen war, um seine Frau bei ihrem Rachefeldzug zu unterstützen, sagte ich nicht.

Ich vermisste meinen Bruder in jenem Sommer, reiste aber trotzdem zu den Bauern, wie ich es jedes Jahr tat. Ich wäre ein schlechter Häuptling gewesen, hätte ich mich bei meinen freien Männern nur blicken lassen, um Steuern einzutreiben. Ich fragte nach der Ernte und ihrem Wohlergehen, ließ mir die Schwerter und Schmiedeöfen zeigen und erkundigte mich, wie viele Männer sie unter Waffen hatten. Auch die Sklaven mussten sie mir vorführen, denn mittlerweile wusste jeder in Vingulmørk, was die beiden Herrscherbrüder von Bauern hielten, die ihre Sklaven hungern oder anderweitig leiden ließen. Und es stimmt, dass ich den Kopf, der bei der ersten Versammlung, die wir abhielten, gezeigt wurde, selbst abgeschlagen hatte. Aus Rache für die Frau, die nicht mehr erzählen konnte, welches Unrecht ihr vor langer Zeit widerfahren war, als sie und ich noch Sklaven gewesen waren.

Keiner der Bauern redete schlecht über mich. Auf jedem Hof bot man uns Bier an, und ich durfte mit meinen engsten Vertrauten am besten Tisch sitzen. Die Bauern fragten nach meinem Bruder und wollten wissen, ob an den Gerüchten etwas dran wäre, dass Sven Gabelbart unsere Regentschaft über Vingulmørk missfiel. Ich antwortete darauf, wie ich es immer tat, dass ich mit keinem König unter Odin einiger sein könnte als mit Gabelbart, denn mit ihm hätten mein Bruder und ich in der Schlacht von Svold gekämpft.

Obwohl ich mit freundlichen Worten empfangen wurde, wussten die Vingulmørker, dass ich hart sein konnte. Das hatte ich ihnen bereits im ersten Sommer nach meiner Ankunft gezeigt. Bjørn und ich segelten damals nach Süden an der Küste entlang zu einem Hof, an den ich mich nur zu gut erinnerte, und dort tötete ich den alten Bauern vor aller Augen. Danach befreiten wir drei Sklaven an der nördlichen Grenze des Reichs, weil wir gehört hatten, dass sie misshandelt und gequält wurden. Und schließlich fuhren wir zu dem mächtigen Bauern von Opstad und rissen ein Kreuz nieder, das er hatte aufstellen lassen. Die beiden Mönche, die er bei sich aufgenommen hatte, jagten wir fort.

Die Leute in Vingulmørk galten als störrisch und unregierbar, hatten wir oft gehört. Die Großbauern waren sehr mächtig und fast selbst als Häuptlinge zu betrachten. Segelte man über den Isefjord ins Landesinnere, kam man zu Opstads Land. Der Bauer war ein hartgesottener Kerl, und obwohl er selbst kein Christ war, hatte er sich gegen das Niederreißen des Kreuzes gewehrt, das Schwert dabei aber in der Scheide gelassen. In Hunn hatte der alte Audulf das Sagen, und all seine Söhne waren starke, gute Männer. Am nördlichen Rand von Vingulmørk lagen einige kleinere Höfe, die sich zusammengetan hatten, und auch dort mangelte es nicht an kampferprobten Männern. In der Zeit, in der die Sippe von Harald Grenske über die westlichen und inneren Teile von Viken herrschte, hatten die Vingulmørker sich zur Wehr gesetzt, wodurch sie zu außergewöhnlich wehrhaften Menschen geworden waren. Doch nach der Hinrichtung des Bauern im Süden, der Befreiung der Sklaven im Norden und der Vertreibung der beiden Mönche hatten alle eingelenkt und ohne zu murren ihre Steuern bezahlt. Und mit der Zeit hatten sie mitbekommen, dass die Häuptlinge, die der Ladejarl eingesetzt hatte, auch gut für sie sein konnten. Ich hatte eine Verteidigungslinie entlang der Küste aufgebaut. Ich schickte Korn und Trockenfisch zu denen, die ihre Hofleute und ihre Sippe nicht ernähren konnten, und ich war nachgiebig, wenn es um die Steuereintreibung ging. Auch wenn der Ladejarl mich aufgefordert hatte, den zehnten Teil von allem einzufordern, nahm ich nie so viel, dass die Hofleute oder ihre Tiere Gefahr liefen zu hungern.

In jenem Sommer besuchten wir alle Höfe an der Küste, und überall wurden wir gut empfangen. Wir trafen Händler aus dem Wendland und von den weit im Westen liegenden Färöer-Inseln, und von einem sächsischen Flinthändler hörten wir Neuigkeiten über die Dänen in England. Sven Gabelbart sammelte ein mächtiges Heer um sich und wollte einen letzten Versuch unternehmen, die englischen Reiche zu unterwerfen. Der Flinthändler berichtete, dass die Völker der englischen Reiche, die seit Langem vereint und einander ebenbürtig waren, jetzt von König Æthelred mit harter Hand regiert wurden und die ewigen Verwüstungen leid waren. Sie sehnten sich nur noch nach Frieden, und dabei sei es ihnen gleichgültig, ob sie diesen unter dänischer Führung oder unter König Æthelred und seinen Aldermännern fanden.

Ich kaufte dem Sachsen ein Schmuckstück ab, einen Flintstein in Form eines Angelhakens. Hielt ich ihn in die Sonne, schien das Licht an seinen Rändern hindurch. Als Geschenk für Sigrid war der Stein zu grob behauen. Auch zum Fischen taugte er nicht, dafür war er zu groß. Aber der Sachse tat mir leid, er war klein und krumm, und es musste hart für ihn sein, an einem Ort zu leben, wo es schon seit Jahrzehnten keinen Frieden mehr gab.

»Wir waren einmal wie ihr«, sagte er zu mir. »Wir waren Krieger aus dem Osten. Freie Männer. Aber das ist lange her.«

Der Sachse war einer der Letzten, mit denen wir vor der Rückkehr zu unserem Hof redeten. Meine Söhne Ravntor und Bjørnar standen auf dem Anleger und warteten, als wir zum Land ruderten. Sie waren auf die Geschenke gespannt, die wir mitgebracht hatten. Und daran mangelte es nicht. Beide bekamen ihre Holzschwerter. Die Geschenke für die beiden mussten identisch sein, sonst gab es Streit. Natürlich hätte ich ihnen auch selbst Holzschwerter schnitzen können, aber wenn sie von ausländischen Händlern stammten, waren sie einfach wertvoller. Sigrid bekam eine Silberkette mit Bernstein. Sie küsste mich und drückte sich mit ihrem schlanken, schönen Körper an mich.

Ich fragte, ob mein Bruder schon zurückgekehrt war, doch Sigrid schüttelte den Kopf. Danach gingen wir zum Hof hinauf, und ich begutachtete die Tiere und die Raben in ihren Käfigen, bevor ich gemeinsam mit Halvor und Ulfar Bonde die Halle betrat. Die Dienstmädchen wurden aufgefordert, uns Bier zu holen, und dann sprachen wir drei über die alten Zeiten in der Jomsburg und die Jahre im Land der Skrælinge und tranken auf die gefallenen Kampfesbrüder. Doch als der Abend kam und die Leute auf ihren Bänken Platz genommen hatten, stand ich von meinem Häuptlingssitz auf und ging nach draußen. Sigrid kam zu mir, als ich an der Tür stehen blieb, um Pfeil und Bogen mitzunehmen. Sie legte mir einen Umhang über die Schultern und streichelte über meinen Arm. Und sie flüsterte mir zu, ich solle ein paar Männer mitnehmen, dann würde sie sich sicherer fühlen.

Aber ich ging allein.

Es war Spätsommer, und die Abende waren immer noch so hell, dass viele nicht schlafen konnten. Ein paar jütische Händler saßen unter dem Vordach des Gästehauses und meinten, es sei eine gute Nacht für die Jagd, als sie mich aufbrechen sahen. Sie hätten gehört, dass es rings um den Hof viele Rehe gäbe. Ich antwortete nicht. Der Wind kam vom Meer. Die Luft war warm und salzig und linderte den Bierrausch. Hinter mir in der Halle ertönten die Maultrommeln. Eine Frau lachte. Der Duft von gekochtem Schafsfleisch und Rauch kroch nach draußen, aber ich schob die Pfeile unter meinen Gürtel und ging zwischen Stall und Gästehaus hindurch zu dem Pfad, der an der alten Eiche vorbei in den Wald führte.

In jener Nacht schoss ich keinen einzigen Pfeil ab. Ich lief ziellos umher, ließ einen Schritt dem anderen folgen. Zuerst kam ich an Fenris’ Grabhügel dicht am Rand des Feldes vorbei. Er war nicht groß, lag aber an einem friedvollen Ort im Schatten einer Eiche, von wo aus ich das wogende Getreidefeld überblicken konnte. Ich ging weiter zum Kultplatz, lehnte mich mit dem Rücken an eine junge Birke und ließ den Blick auf den Pfahlgöttern ruhen. Thor stand da, die Hände am Bart, der weiter unten die Form seines Hammers annahm, daneben Freya mit langen, welligen Haaren. Njörd und Odin mit seinem einen Auge. Kam man vom Hof aus hier hoch, sah einen dieses Auge direkt an.

Ich blieb lange sitzen. Vielleicht schlief ich auch ein, denn irgendwann saß plötzlich Winabave neben mir. Der Skræling strich sich über sein glattes Gesicht, schlug den grob gewebten Wollumhang enger um sich und legte die Hände in den Schoß. Wir saßen eine ganze Weile schweigend da, Sklave und Herrscher, während Allvater uns nicht aus den Augen ließ.

»Tore Kalvson kommt sicher bald«, sagte Winabave schließlich. Er sah zum Laub über uns und hielt die Nase in den Wind, als könne er das Gefolge des Jarls bereits riechen.

»Es ist noch Sommer«, antwortete ich.

»Der Herbst kommt früh in diesem Jahr«, sagte er und fuhr mit der Hand über das Gras neben sich.

»Das kann kein Mann wissen.«

Winabave legte die Hände um seine nackten Füße mit den Zehenstummeln. Er saß mit überkreuzten Beinen und starrte zu den Pfahlgöttern. »Kein Mann«, sagte er leise. »Aber ich weiß es. Ich kann es hören. Ich kann sie hören.«

Der Skræling gab immer wieder so merkwürdige Dinge von sich. Winabave war bekannt als der bemalte Galstermann, wobei die meisten ihn natürlich nur als Torsteins Sklaven bezeichneten. Wenn man mich oder mein Volk fragte, hörte man nur, dass der Herrscher von Vingulmørk ihn aus Vinland mitgebracht hätte und dass der Skræling nie ein freier Mann sein würde. Winabave bot einen seltsamen Anblick und zog immer alle Blicke auf sich, wenn wir Gäste in der Halle empfingen. Er war vollkommen bartlos, und sein Körper und Gesicht waren bedeckt von Linien und Kreisen, Hirschen und Jägern und Langschiffen und Männern im Kampf. Auf seiner Haut waren Runen zu erkennen und andere Zeichen, die ich nicht deuten konnte, und an einem seiner Beine zog sich eine Art Primstab in die Höhe. Mit einer Nadel, die er aus Fischknochen geschnitzt hatte, und Farben, gewonnen aus Pflanzen hier aus dem Wald, zeichnete er seine Erinnerungen und Träume auf sich selbst. So erklärte er es jedenfalls uns Männern.

»Ich werde Tore abfüllen, sobald er hier ist«, sagte ich. »Er muss richtig betrunken sein. Dann tragen wir ihn ins Gästehaus und stellen ein Fass Bier neben ihn.«

»Du könntest den Wein kaufen, den die Jüten bei sich haben.«

Ich nickte. Dieser Wein war so teuer wie der beste Met, und Tore und seine Männer konnten sich sicher nicht zurückhalten, wenn derart edle Tropfen auf den Tisch kamen.

»Vielleicht wird er dich bitten, für die Ladejarle zu opfern.«

»Dann opfern wir.«

Winabave knetete seine Füße. Sie boten einen seltsamen Anblick, weil ihm so viele Zehen fehlten. Eine Erinnerung an unseren Winter in Matanuga, aber wie über die anderen schlimmen Dinge, die ihm widerfahren waren, redete er nicht darüber. Er stand auf und ging zum Kultplatz. Für einen Sklaven trug er gute Kleider, eine ockerfarbene Leinenhose und eine knielange, braune Jacke, ebenfalls aus Leinen. Ein Umhang hing über seiner Schulter, und als er sich zu mir umdrehte, blinkte das Mondlicht auf der silbernen Spange. Mein Bruder hatte mir geraten, den Skræling zu bitten, die Spange zu verstecken, wenn Fremde kamen, denn niemand sollte denken, dass ich den Verstand verloren und meinem Sklaven derart wertvolle Geschenke gemacht hätte. Ich dachte aber eher, dass die Menschen mich dann als gütigen, klugen Herrscher erachten würden. Aus demselben Grund vergaß ich nie, den Bauern und anderen Leuten zu sagen, dass sie zu mir kommen sollten, wenn sie eine Missernte hatten oder ihnen irgendein anderes Unglück zugestoßen war. Mein Bruder und ich herrschten über große Areale und in unseren Wäldern gab es reichlich Wild. Ich wollte nicht, dass irgendjemand in meinem Reich hungerte.

»Ich muss weiter«, sagte Winabave. Er legte seine Hand auf Thors Nacken, und fast schien es so, als sagte er die Worte zu ihm und nicht zu mir. »Es ist so eine Nacht.«

Ich antwortete nicht. Der Skræling hörte Stimmen, die wir anderen nicht hörten, und folgte Spuren, die für uns unsichtbar waren. Jetzt ging er in die Knie, zog ein Grasbüschel aus der Erde und steckte es in seinen Köcher. Er wollte nicht, dass die Pfeile klackerten, wenn er sich bewegte. In der Hand hielt er einen prachtvollen Wacholderbogen. Er hatte ihn selbst geschnitzt und besungen, und auf Skrælingweise zogen sich über den Rücken des Bogens die Sehnen von zwei Elchen, die wir in unserem ersten Winter hier in Vingulmørk gejagt hatten. Er schlich über den Kultplatz, während der Wind mit seinen langen, schwarzen Haaren spielte. Dann verschwand er auf der anderen Seite der Lichtung zwischen den Birken. Ich blieb sitzen. Legte den Kopf nach hinten an den Baumstamm und sah in das Laub über mir. Der Mondschein ließ die Blätter wie Silber aussehen.

Ich schlief dort am Kultplatz ein und hatte einen seltsamen Traum. Thor und Freya, Njörd und Odin standen mit gesenkten Häuptern auf der Lichtung. Sie gaben keinen Laut von sich, doch irgendwann hob Freya den Blick. Sie kam auf mich zu, in der Hand einen Langsax, wie auch Freydis ihn nutzte. Der Wind blies ihr die langen blonden Haare ins Gesicht, und als sie sie zur Seite strich, war es Freydis, die auf mich zukam. Dann stand sie vor mir, und ich roch den Schweiß auf ihrer Haut. Sie legte eine Hand auf meine Wange und drückte mit der anderen die kalte Klinge auf meine Brust. »Ich warte«, sagte sie. »Aber ich bin nicht sie.«

Frag keine Runenmeister, keine Schamanen nach der Bedeutung deiner Träume, wenn du die Antwort nicht hören willst, heißt es. Ich hielt das immer für einen guten Ratschlag. Ich wachte auf, wo ich eingeschlafen war. Das Sonnenlicht brach durch das Laubwerk. In diesem Moment hörte ich einen Hornstoß. Es klang, als käme er vom Meer. Ich rappelte mich auf, wurde dann aber von einem heftigen Schmerz in der Stirn beinahe wieder zu Boden gezwungen. Ich musste in der Halle mehr Bier getrunken haben, als mir bewusst gewesen war.

Ich taumelte in Richtung Hof. Von unten hörte ich Stimmen, die Leute liefen zusammen. Der Ladejarl konnte Tore doch nicht so früh geschickt haben? Die Ernte war ja noch nicht mal eingebracht.

Vom Hof aus konnte man nicht bis in den Fjord blicken. Die Bucht wurde von mehreren Holmen und Inseln abgeschirmt. Wollte man zum Häuptling von Vingulmørk, musste man erst durch diesen Schärengarten hindurchsegeln, in dem wir die meisten unserer Fische fingen. Wir nannten die Gegend Sleidvik, nach den »sleider« heißenden Reusen, die wir dort auslegten. Wobei wir diesen Namen nur selten für unsere Gerätschaften benutzten, denn im Volksmund wurden so auch leichte Mädchen bezeichnet. Hinter dem fischreichen Schärengarten kam man zunächst zu der Halbinsel, auf der Bjørn und ich aufgewachsen sind. Sie liegt im Norden des heutigen Hofs an einer flachen Bucht. Danach segelte man an zwei weiteren Holmen vorbei und dann durch einen schmalen Sund, bevor man in die innere Bucht kam. Sie war nicht tief, wohl aber tief genug, damit kleinere Schiffe anlanden konnten. War an den vier hölzernen Anlegern kein Platz mehr, konnte man inmitten der Bucht ankern. Dort war man aus allen Richtungen vor dem Wind geschützt, und der Lehmboden gab guten Halt für den Anker.

Als ich aus dem Wald kam, waren die Hofleute bereits unten an den Anlegern. Die Häuser standen an derselben Stelle wie die des Großbauern in meiner Kindheit, der Hof war aber deutlich größer. Die Halle lag mit Stirnseite und Tür zur Bucht und zu den Anlegern, während die anderen Gebäude in Form eines Hufeisens um sie herum platziert waren. Viele von uns hatten eigene Hütten errichtet, darüber hinaus gab es Scheunen, Ställe und Hühnerställe. Wir hielten Kühe, Schafe, Ziegen und Schweine. Auf beiden Seiten des Hofes hatten wir Gräben gezogen, sodass das Regenwasser ablief, und an den Wänden der Häuser stapelten sich gewaltige Mengen Brennholz. In dem Bach, der an dem Hof vorbeifloss, konnten wir nicht nur sauberes Trinkwasser holen, sondern auch Kleider und Kinder waschen.

Sigrid kam mir an der Halle entgegen, Ravntor an der einen und Bjørnar an der anderen Hand. Die Jungen wehrten sich, sie wollten nach unten zu den anderen Kindern, um zu sehen, was für Schiffe da angekündigt worden waren. Wir hatten immer einen Mann auf der Halbinsel, der uns mit seinem Hornstoß warnte, sobald sich jemand näherte. Das Schiff hatte den innersten Sund jedoch noch nicht erreicht. Hunde bellten, und es wurde wild durcheinandergerufen, sodass ich weder Ruderschläge noch Stimmen hören konnte.

»Wir gehen nach unten«, sagte Sigrid. »Das muss Tore Kalvson sein.«

Ich nickte. Sie ließ die Jungen los, die sofort davonrannten. Ravntor war sechs Winter alt, Bjørnar drei. Ravntor kam nach mir, während Bjørnar die Züge von Sigrid geerbt hatte. Er hatte rötliche Haare, und im Sommer bildeten sich Sommersprossen auf seiner Nase. Unsere Jungen waren zwei Wildfänge, wie die meisten Jungen auf dem Hof tobten sie die ganze Zeit herum. Aber Kinder brauchen ihre Freiheit, dieser Meinung war ich schon immer. Die Fesseln der Pflicht kommen früh genug.

Sigrid und ich gingen ebenfalls nach unten. Jetzt kam das Schiff um den Holm herum. An der Mastspitze flatterte ein gelber Wimpel, es war eine große Knorr. Der breite Rumpf war fast bis zur Wasserlinie bemalt, die Planken abwechselnd rot und gelb.

»Das ist nicht Tore Kalvson«, sagte Welpe.

Er hatte recht. Tore kam für gewöhnlich mit einem großen Langschiff ähnlich Olavs berüchtigtem »Ormen Lange« und wurde immer von mehreren kleineren Schiffen begleitet. Mit diesen konnten sie jederzeit mit ihren Schätzen davonsegeln, sollte jemand versuchen, sie auszurauben. Obwohl vermutlich niemand an der ganzen norwegischen Küste dumm genug war, Erik Jarl, den Wolfskrieger, zu bestehlen.

Dem Bugsteven der Knorr fehlte der geschnitzte Kopf, den Langschiffe, die im Kampf genutzt wurden, häufig hatten. Ein Mann hielt sich an dem Steven fest und beugte sich nach vorn. Er rief in klingendem Jütisch zu uns herüber, war für uns aber leicht zu verstehen, denn viele der Händler aus dem Süden kamen von dort. »Torstein und Bjørn sind ihre Namen! Klügere Herrscher gibt es nicht! Sie sind gute Männer und tapfere Krieger. Wohl dem, der in ihrer Halle sitzen darf! Am Hof meines Königs wird über sie geredet! Sie gehören zu den besten Männern, sind die besten Männer!«

Halvor stieß mir grinsend in die Seite. Ich nickte. Auf dem Schiff kam jetzt ein anderer Mann zum Vorschein. Er hatte einen weißen Bart, trug einen vornehmen, blauen Umhang und ein Schwert am Gürtel. Er zog den Schreihals zu sich.

»So Leute habe ich schon mal gesehen«, kam es von Kolbein, er kratzte sich im Nacken und sah blinzelnd aufs Wasser. »Manchmal kommen so Schiffe auch zum Ladejarl. Sie stellen irgendeinen Trottel an den Bugsteven, der dann ein Loblied anstimmen soll. Und …« Kolbein räusperte sich verlegen. »Nichts von dem, was er sagt, ist unwahr. Aber …«

»Sie haben Pferde«, sagte Sigrid.

Auch ich sah es. Gleich hinter dem Mast war eine Öffnung im Deck. Auch die Knorr, mit der wir nach Vinland gesegelt waren, war so gebaut gewesen. In diesem Lastraum konnten Pferde und Waren über das offene Meer transportiert werden.

Sigrid und ich sahen zu, wie die Dänen die Knorr zum hintersten Anleger manövrierten, wo noch Platz war. Die Rah wurde herabgelassen und das Segel abgenommen, ehe sie wieder hochgezogen wurde. Dann wurde das Schiff an Achter- und Bugsteven vertäut und auch seitlich festgezurrt. Mittschiffs wurden ein paar Planken entfernt, und die Reling wurde geöffnet, ehe die Rah genutzt wurde, um die beiden Pferde aus dem Lastraum zu hieven. Den Tieren wurden dafür mit Fellen gut gepolsterte Riemen unter den Leib geschoben, bevor sie von mehreren Männern hochgezogen wurden. Einige der Dänen waren bereits auf den Anleger getreten, aber noch nicht in Richtung Land gegangen. Erst als die Tiere über den Landgang auf den Anleger geführt wurden, begann das richtige Schauspiel. Einer der Dänen, ein dicker Mann mit weißem Bart in einer prachtvollen, goldenen Seidenjacke und mit einer silberglänzenden Gürteltasche, legte ein Horn an die Lippen und blies hinein.

Sigrid rief Ravntor und Bjørnar zu sich. Bjørnar kam gehorsam zu uns, während Ravntor mit den anderen Jungen trotzig zum Wasser und unter den Anleger lief, von wo aus sie grinsend die Dänen über sich beobachteten. Die Mannschaft kam jetzt an Land. Einige trugen Tonnen zwischen sich. Unten an den Anlegern standen Bänke, auf denen die Händler ihre Waren abstellen konnten.

Die Hofleute wichen zurück und machten Platz. Welpe brachte mir das Herrscherschwert und band es mir um den Leib. In diesem Moment nickte der Weißbart den anderen zu und zeigte auf mich. Dann hob er die Hand zum Gruß und kam auf mich zu. Ein paar Männer in ähnlich wertvollen Kleidern gesellten sich zu ihm, einer von ihnen trug eine Art Vogelkäfig. Hinter ihnen kamen die Jungen mit den Pferden, neben ihnen gingen auch zwei Frauen, die Ballen mit Seidenstoff auf den Armen zu tragen schienen.

Wir gingen den Dänen nicht entgegen, Sigrid meinte, das zieme sich nicht für einen Mann meines Standes. Ich sollte Fremden entweder an der Spitze meiner Männer begegnen oder in der Halle auf meinem Häuptlingsstuhl. Auch grüßte ich die Dänen nicht. Stattdessen trat Halvor vor, er war ein wortgewandter Mann. »Ihr seid zum Herrscher von Vingulmørk gekommen«, sagte er. »Er möchte Eure Namen wissen und warum Ihr gekommen seid.«

»Ich bin Sveinung Gode, Sohn von Sveinung Tunge«, kam es vom Weißbart. »Bei mir steht Halvdan, Sohn von Torest Munn, und das sind Vidur Try und sein Sohn Albe. Wir sind Gesandte von Sven Gabelbart und bringen Geschenke.«

Die drei Genannten traten an die Seite von Sveinung Gode. Sie wirkten alle wie Männer guter Abstammung. Ihre roten Wangen zeugten davon, dass sie weitaus mehr Zeit in Trinkhallen als auf Pferderücken oder Schiffsdecks verbracht hatten. Sie betrachteten uns mit festem, aber nicht unfreundlichem Blick. Ihre Augen waren schwarz umrandet, wie man es bei reichen Leuten aus dem Süden oft sah. Der Jüngste von ihnen hielt den Käfig in der Hand. Der Weißbart räusperte sich, und der Käfig wurde vor uns gestellt.

»Wir haben Gaben für euch, Häuptling Torstein. Aber seht euch erst diesen Vogel an. Er hat einen gebrochenen Flügel. Könntet ihr ihn heilen?«

Ich nickte Halvor zu, der vortrat und den Käfig nahm. Die Krähe, die darin hockte, ließ einen Flügel hängen.

»Wir werden uns um den Vogel kümmern«, sagte ich.

Sveinung Gode lächelte und wagte sich einen Schritt näher in meine Richtung. Er streckte den Arm aus, um meine Hand zu ergreifen, zog ihn aber gleich wieder zurück, als ich keine Anstalten machte, den Gruß zu erwidern. »Was ist Euer Begehr? Warum seid Ihr hier?«, fragte ich.

»Wir haben Geschenke für Euch«, wiederholte der Weißbart. »Geschenke von König Sven Gabelbart.«

»Niemand macht mir Geschenke, ohne etwas als Gegenleistung zu erwarten.«

In diesem Augenblick trat Sigrid an meine Seite. »Wir heißen Euch willkommen«, sagte sie leise, und der Wind strich ihr die roten Locken aus dem Gesicht. »Und wir bedanken uns für die Geschenke.«

Der Blick des Weißbarts verfinsterte sich kurz. Es schien ihm nicht zu gefallen, von einer Frau angesprochen zu werden. »Das muss Freydis aus Grönland sein«, sagte er. »Wir haben von ihr gehört.«

»Das ist Sigrid«, antwortete ich. »Freydis ist mit meinem Bruder gen Westen gesegelt. Aber wie Freydis Haus und Hof meines Bruders führt, führt Sigrid diesen Hof hier gemeinsam mit mir.«

Der Weißbart kaute auf seinem Bart herum und grübelte einen Moment, ehe er die Frauen mit der Seide zu sich winkte. Sie legten die Stoffballen vor Sigrids Füßen ab. Dann öffnete der Weißbart seine Gürteltasche, fischte eine Handvoll ovale Silberstücke heraus und legte sie auf die Seide.

Am liebsten hätte ich den Weißbart und sein Gefolge noch einmal gefragt, warum sie gekommen waren, aber in diesem Moment wurden die Pferde zu uns gebracht. Der Mann, der sich Vidur nannte, streichelte den Hals der Tiere und erzählte, wie schnell sie liefen und welch guter Abstammung sie wären. Und alle wüssten ja, dass meine Erfahrung mit Pferden denen mit Booten in nichts nachstünde. Sven Gabelbart selbst hätte diese beiden Tiere für mich ausgesucht, er wollte, dass ich die besten Pferde bekam, die aufzutreiben waren. Ich ließ ihn ausreden, ehe ich Welpe bat, dafür zu sorgen, dass die Tiere in den Stall geführt wurden und dass in der Halle angeschürt und Bier serviert wurde. Danach nahm ich den Vogelkäfig und ging.

Winabave und ich setzten die Krähe in den Rabenkäfig. Ravntor war bei uns, er wollte wissen, ob wir den Flügel wieder heilen konnten. Winabave meinte jedoch, wir könnten da wenig tun, da der Flügel gleich an mehreren Stellen gebrochen zu sein schien. Er sah dabei mit finsterem Blick in Richtung Bucht, und ich wusste, dass er davon ausging, dass die Dänen den Flügel des Vogels absichtlich gebrochen hatten. Seit bekannt geworden war, dass sich der Häuptling von Vingulmørk um kranke Rabenvögel kümmerte, hatten Gäste damit begonnen, mir angeblich gefundene Vögel zu bringen. Auf diese Weise versuchten sie sich einzuschmeicheln.

»Du wirst dich zunächst nicht auf dem Hof zeigen, oder?« Winabave schloss die Tür des Käfigs.

»Nein, ich gehe wieder in den Wald. Bring die Dänen in die Halle. Lass sie mit dem Trinken anfangen, wenn die Sonne über dem Holm steht, und stell jemanden als Wache hier am Käfig ab. Ich will nicht, dass der neue Vogel von den anderen totgehackt wird.«

Winabave nahm seinen Bogen. »Nimmst du den Jungen mit?«

»Ja«, sagte ich. »Du kannst auch Bjørnar hier zum Käfig schicken, wenn Sigrid es erlaubt.«

Ich wartete am Käfig, während Winabave zwischen den Häusern verschwand. Ravntor ging mit ihm. Es hatte in jenem Sommer ziemlich gestürmt, oft hatten die Bäume auf dem Hof mit dem Wind gekämpft, und einige hatten den Kampf verloren. Auch im Wald waren Bäume umgestürzt, hinter denen häufig Jäger Deckung suchten und auf das Wild warteten, das das Laub fressen wollte. Heute aber waren nur der Häuptling, sein Sohn und sein Sklave im Wald. Alle Männer des Hofes blieben vor Ort. Es waren zwar keine Krieger zu uns gekommen, doch wir vertrauten niemandem.

Als Winabave zurückkam, waren meine beiden Söhne bei ihm. Bjørnar hielt den kleinen Ulmenbogen in der Hand, den ich ihm gemacht hatte. Er hatte zwei Pfeile mit stumpfen Spitzen dabei, auch wenn die für die Jagd nicht taugten. Der Junge hielt Winabave an der Hand, der Skræling hatte eine ganz besondere Beziehung zu ihm.

Wir nahmen den Weg zu den Feldern. Sie lagen ein Stück vom Hof entfernt, da das Land näher am Fjord nichts anderes hervorbrachte als kleine Zwiebeln und Engelwurz. Der Waldstreifen, den man durchqueren musste, bevor man zu den Feldern kam, war wildreich, im Torf wuchsen zahlreiche nützliche Pflanzen, und im Herbst fand man hier Pilze und Beeren.

Etwa in der Mitte zwischen Hof und Feldern war eine Birke vom Wind gefällt worden. Es war ein großer Baum, der uns für viele Abende Brennholz schenken würde. Ich schnitt eine Armlänge von der Rinde oben an der Krone, wo der Stamm nur noch so dick wie ein Schenkel war, und trennte sie in einem Stück ab. Bjørnar verfolgte alles gespannt. Ich hatte ihm etwas versprochen.

Am Rand der Felder blieben wir stehen und ließen den Blick schweifen. Die Ähren wogten im Wind. Nicht mehr lang, dann war das Getreide reif für die Ernte. Aber noch musste es einen Monat oder etwas mehr wachsen. Natürlich gab es Leute auf dem Hof, die bald mit der Ernte beginnen wollten. In dieser Zeit des Jahres gab es nicht selten starke Niederschläge. Aber so war es in jedem Jahr. Man wartete so lange, wie es ging, bis man eines Morgens aufwachte und die Angst vor einem aufziehenden Unwetter nicht mehr verdrängen konnte. Dann rief man seine Leute zusammen, um die Ernte einzubringen.

Wir gingen am Rand des Ackers entlang und kamen zu einem Platz auf der nordöstlichen Seite der Felder, wo wir einen einfachen Windschutz und eine Feuerstelle errichtet hatten. Die Jungen waren oft hier und kannten alle Kletterbäume ringsum. Von einem Ast hing ein aus Ulmenrinde gedrehtes Tau herab, an dem unten ein dicker Stock befestigt war. Es gefiel mir nicht, wenn sie darauf schaukelten, ich hatte Angst, sie könnten fallen und sich übel verletzen.

Winabave und ich setzten uns unter das Dach. Wir waren beide nicht sonderlich gut zu Fuß. Winabaves fehlende Zehen zwangen ihn zu einem seltsam unrunden Gang. Ich war schon in meiner Jugend zum Krüppel geschlagen worden, als Skiringssal, wo ich als Sklave gelebt hatte, angegriffen worden war. Das stumpfe Ende einer Axt hatte etwas in meinem rechten Oberschenkel verletzt, sodass dieses Bein immer schwächer als das andere geblieben war. Später in Vinland hatte ich mir dann das linke Bein gebrochen. Es war aber nicht so, wie die Leute zu sagen pflegten, wenn sie etwas zu viel getrunken hatten. Der Bruch glich das nicht aus. Ich konnte mit den meisten Schritt halten, ein guter Läufer würde ich aber nie sein.

Der Skræling holte ein Feuerholz, eine Spindel und einen Bogen unter einer Steinplatte unter dem Dach hervor und begann, in dem kleinen Steinkreis Feuer zu machen. Er hätte natürlich wie wir anderen Stahl und Flint nehmen können, zog es aber meistens vor, das Feuer auf Skrælingart zu machen. Er befestigte die Spindel in einer Schlinge der Bogensehne, ehe er das stumpfe Ende auf dem Feuerholz platzierte. Vom letzten Mal war dort noch eine verkohlte Stelle. Das andere Ende der Spindel platzierte er im Fußwurzelknochen eines Rehs, den er in der Handfläche hielt. Dann führte er den Bogen vor und zurück, sodass die Spindel sich auf dem Feuerholz drehte. Schon bald stieg Rauch auf, und er fuhr fort, bis die Spindel ein Häuflein qualmende, schwarze Asche aus dem Brett geschabt hatte. Diese schob er dann auf ein Blatt und legte sie auf ein Nest aus trockenem Gras und Moos, das er dann leicht zusammenfaltete und in das er hineinblies.

In allem, was wir sehen, steckt ein Geist, pflegte der Skræling zu sagen. In jedem Tier im Wald, in den Vögeln am Himmel und den Fischen im Fjord. Aber auch in der Erde unter unseren Füßen, in den uralten, moosgrünen Steinhaufen, unter denen große Männer und Häuptlinge aus längst vergangenen Zeiten ruhen. Diese Geister flüstern uns zu, wenn der Wind durch die Baumkronen streicht. Sie singen, wenn die Wellen gegen die Uferfelsen schlagen. Und sie zeigen sich direkt vor uns, wenn wir Feuer machen. Winabave hielt das trockene Gras vor sich und schwenkte es von einer Seite zur anderen, und plötzlich schlugen Flammen daraus. Er schob das brennende Nest unter ein paar trockene Zweige, die er in der Feuerstelle bereitgelegt hatte.

Unter dem Dach standen auch zwei Bänke und eine Kiste mit Trockenfisch und anderen haltbaren Sachen. Ich nahm den Stein vom Deckel. Dieses Mal war nicht nur Essen in der Kiste. Halvor, Hutten und Ulfar Bonde hatten vor ein paar Tagen abends hier gesessen, und ich wusste, dass der alte Schotte irgendwo im Wald etwas zum Gären angesetzt hatte. Was es war, hatte er nicht verraten wollen. Am Boden der Kiste standen zwei gut verkorkte Tonkrüge. Sie waren halb voll.

Ich nahm das Schwert ab und legte es unter das Dach, ehe ich das Bündel Trockenfisch herausnahm und mich auf eine der Bänke setzte. Mit dem Messer schnitt ich Stücke für Winabave und mich ab. Dann warf ich einen Blick zu dem Tau aus Ulmenrinde. Ravntor saß auf dem Stock, und sein Bruder stieß ihn an. Trockenfisch wollten sie sicher nicht, den bekamen sie schon oft genug.

»Die Dänen brachten edle Geschenke«, sagte der Skræling.

Ich rieb mir den schmerzenden Nacken. »Wenn es dunkel wird, gehen wir zurück. Dann werden wir hören, welche Worte diese Geschenke begleiten.«

Winabave ging zu dem Holzstapel, nahm ein paar Scheite und legte sie auf die Feuerstelle.

Ich holte die Birkenrinde hervor, die ich von dem umgefallenen Baum geschnitten hatte, und formte daraus einen Pfeilköcher. Die Jungen sollten in den Wald laufen und dünne Fichtenwurzeln ausgraben, die sie aufspalten und als Schnüre verwenden konnten. Und sie sammelten Harz, das wir auf einem Stein am Feuer schmolzen und mit Asche vermischten, um die Verbindungen abzudichten. Als Schulterriemen nahmen wir eine Schnur, die Winabave aus Nesseln geflochten hatte. Es wurde ein guter Köcher, in den der kleine Bjørnar seine stumpfen Pfeile steckte. Er war so stolz darauf, dass er ihn nicht einmal ablegte, als Alvrun mit Grütze und Ziegenmilch kam. Sigrid hatte sie zu uns geschickt. Alvrun erzählte uns, dass die Dänen bereits in der Halle seien und das Bier tränken, das man ihnen gebracht hatte. Halvor säße bei ihnen und sorgte dafür, dass die Krüge nicht leer wurden.

Wir blieben schweigend sitzen, während das Feuer niederbrannte. Der Wind legte sich etwas, und das Rauschen in den Baumkronen wurde zu einem Flüstern. Die Ähren gaben noch ein Wispern von sich, die Halme bewegten sich aber kaum noch. Jetzt hörten wir auch wieder das Hämmern aus der Schmiede unten beim Hof. Ein Mann rief, ein anderer lachte, ehe die Stimmen ineinander verschwammen und wir nur noch betrunkenes Grölen hörten. Halvor hatte anscheinend dafür gesorgt, dass die Dänen das stärkste Bier bekamen, das wir hatten.

Winabave, Alvrun und die Jungen gingen zurück zum Hof. Ich blieb sitzen. Ich war schon häufiger sehr spät in die Halle gekommen, und auf die Gäste schien das Eindruck zu machen. Der Häuptling ließ auf sich warten und kam erst bei Einbruch der Dunkelheit, nach feuchter Nachtluft und Lagerfeuer riechend. Torstein, der Häuptling von Vingulmørk, war kein fetter, fauler Anführer, der bloß in seiner Halle hockte, das sollten alle, die bei uns waren, begreifen. Der Jomswikinger Torstein, der Mann, der Olav Tryggvason getötet hatte, der Vinlandfahrer … er war kein Mann, den man mit Geschenken oder Drohungen aus der Ruhe bringen konnte.

Als die Müdigkeit mich übermannte, legte ich mich auf die Bank, die wir aus einem gespalteten Eichenstamm gezimmert hatten. Wir hatten viele Bäume gefällt, um Flächen für die Felder zu roden. Das Holz hatten wir für die Gebäude am Hof und für Tische und Bänke wie diese verwendet. Mit starken Pferden hatten wir die Wurzeln aus dem Boden gezogen, mit frisch geschmiedeten Pflugscharen die Erde aufgebrochen und mit Tang und Mist gedüngt. Saatgut hatten wir von Erik Jarl bekommen, und die Samen waren gekeimt und zu gesunden Pflanzen herangewachsen, die sich auch nach einem Sturm wieder aufrichteten. Schlagregen waren schlimmer, ein solcher hatte in unserem ersten Jahr den Großteil des Getreides vernichtet. Doch der Jarl hatte uns zwei Schiffe mit Korn geschickt, sodass wir für das nächste Jahr genug Saatgut und reichlich Körner für Grütze und Mehl hatten.

Der Wolfskrieger aus dem Trøndelag hatte sich als gütiger, gerechter Herrscher erwiesen, weshalb es Bjørn und mir nicht schwerfiel, Steuern für ihn einzutreiben. Den Bauern hatte das im ersten Jahr natürlich gar nicht gefallen. Gerüchte kursierten, dass der alte Krok Tryte, der Bauer eines großen Hofes am nördlichen Rand von Vingulmørk, Streit gesucht und erwogen hätte, den Herrschersitz anzugreifen und Bjørn und mich zu töten. Aber es war nie dazu gekommen, und der Alte war noch in jenem Herbst, vermutlich an seiner Wut, gestorben. Dann war der Winter gekommen, und kurz vor der ersten Winteropferung hatte mein Bruder die Idee gehabt, zu den größten Höfen zu reisen und Freundschaft mit den Bauern zu schließen. Wir brachten keine Geschenke, aber wir setzten uns mit den Ältesten zusammen, sprachen über die alten Zeiten und hörten Geschichten von Kämpfen und gefallenen Freunden. Wir nickten zustimmend, wenn sie ihre Sorgen über den neuen Gott, diesen Hvite-Christ, und seine brutalen, gnadenlosen Kriegerkönige zum Ausdruck brachten. Wir sagten dazu nur, dass wir jeden Hof in unserem Herrschaftsgebiet schützen würden. Torstein und seine Männer würden jeden vertreiben, der die Macht in Vingulmørk an sich zu reißen versuchte.

Ich blieb unter dem Dach sitzen, bis es dunkel wurde. Der Wind hatte nun vollkommen abgeflaut, und ich hörte das Grölen aus der Halle. Es sagte mir, dass die Dänen mittlerweile reichlich abgefüllt worden waren. In diesem Moment kam auf der anderen Seite des Feldes ein Mann zum Vorschein. Er war groß, hob den Arm über den Kopf und hinkte dann auf mich zu. Ich legte ein paar Zweige auf die Glut und blies hinein. Gleich darauf stand Ulfar Bonde im Lichtschein der Flammen vor mir. Bonde, wie wir ihn nur nannten, war mein alter Lehrmeister aus der Jomsburg. Er war ein breitschultriger Mann mit vielen Narben, hatte ein blaues und ein grünes Auge, lange Arme und kräftige Fäuste. Und er hinkte schwer. Er hatte mit uns in Vinland gekämpft, und es ist wahr, wenn ich sage, dass ich ihm mein Leben verdanke. Im Sommer hatte er begonnen, Ravntor zu trainieren, was Sigrid gar nicht gefiel, denn nur selten kam der Junge ohne blaue Flecken nach Hause. Bonde hatte wie Winabave ein schiefes Gesicht. Ein Schlag hatte seinen Kiefer gebrochen, und sein Lachen war seither so seltsam, wie ich es bei keinem anderen Mann gehört hatte. Wie ein Fisch an Land musste er immer erst den Mund aufreißen, bevor er loslegen konnte. Trotzdem hörte es sich immer wie ein Husten an. So auch jetzt. »Dieser Hauptmann …« Bonde kratzte sich den Nasenrücken, holte tief Luft und sammelte sich. »Der Hauptmann der Dänen, er … der hat sich so vorgebeugt …« Bonde duckte sich und machte es vor. »Er hat nach dem Bier gegriffen, aber da kam gerade Ragnvalds Junge vorbei und der Däne … das war ein Getöse, als würde ganz Helheim zerspringen, und der Junge«, Bonde schob seine groben Finger in die Haare und strich sie aus der Stirn, »und der Junge hat gesagt …«, Bonde bekam vor lauter Lachen kaum Luft, »dass … dass es heute aber mal wirklich stürmt. So ein Sturm heute Abend!«

Bonde lachte hustend, und ich musste grinsen. Der Joms­wikinger ließ sich neben dem Feuer nieder, kippte zur Seite und blieb lachend liegen. In den Händen hielt er ein Bündel, und an dem Stoff erkannte ich, dass es mein Umhang war. Außerdem hingen meine Schuhe mit der langen Spitze an seinem Gürtel. Sigrid hatte ihn mit den Sachen zu mir geschickt.

»Wo ist Halvor?«, fragte ich, als Bonde schließlich wieder zu Atem kam. Sonst holte mich immer Halvor, wenn ich Leute in der Halle begrüßen sollte. Er war der wortgewandteste von uns und konnte, wenn es nötig war, sogar aus dem Stegreif reimen.

»Halvor sitzt bei den Dänen«, sagte Bonde. »Es war nicht so leicht, sie abzufüllen, weshalb jetzt auch Halvor voll ist.« Bonde wischte sich mit dem Umhang die Tränen von den Wangen, ehe ihm plötzlich in den Sinn kam, weshalb er gekommen war. »Hier, deine Sachen.« Er reichte mir das Bündel, musste aber grinsen. »Sigrid … sie meinte … du solltest das hier tragen.«

Bonde wusste wie die anderen Männer, dass ich mich nur ungern umzog, um Gäste zu empfangen. Überhaupt bewirtete ich nur ungern Gäste. Ich legte die Sachen auf die Bank, öffnete den Gürtel und zog das Leinenhemd aus. Bonde drehte sich zur Seite und stocherte mit einem Zweig in der Glut herum. Dann hob er den Blick und sah mich grinsend an. Mein nackter Körper konnte nicht der Grund dafür sein. Er war hart und von zahllosen Kämpfen gezeichnet. Narben überzogen meine Haut, aber die gute Ernte und der wildreiche Wald hatten den Hunger ferngehalten. Meine Schultern waren breit, und in meinen Armen, die schon immer kräftiger als bei anderen Männern gewesen waren, steckte eine solche Stärke, dass mich kaum jemand schlagen konnte, wenn wir in der Halle unsere Kräfte maßen.

Die Kleider, die Bonde bei sich hatte, erzählten eine ganz andere Geschichte. Ich zog die Hosen an und verschnürte sie. Der edle Stoff war, wie im Osten üblich, rot und gelb gestreift, an den Schenkeln weit und unten eng. Die Jacke aus fein gewebtem Leinen reichte mir fast bis zu den Knien. Sie war blutrot mit blauem Seidensaum, in den eine Wellenlinie gewebt war. Ich legte mir einen zwei Finger breiten Gürtel um die Taille, an dem ein Langsax hing, dessen Schaft mit Silber und Bernstein besetzt war. Auch das Schwert, das ich unter dem Dach abgelegt hatte, band ich mir um. Als Letztes warf ich mir den Umhang über. Er war blau mit gelbem Saum. Die runde Spange hatte Sigrid bereits daran befestigt. Ich hatte sie von Erik Jarl, und sie war groß wie eine Frauenhand. Aber das war noch nicht alles. Bonde öffnete seine Gürteltasche und warf mir eine Goldkette zu. Auch sie war mir von den Ladejarlen überreicht worden. Ich hängte sie mir um und schob sie unter den Umhang, dann fuhr ich mit den Händen in den Nacken und zog mein Haar hervor. Es war lang geworden und reichte mittlerweile bis zum Ende meines Bartes auf die Brust. Sigrid fand den Bart stattlich, und sie kämmte ihn oft mit Öl, während ihr meine Haare zu lang waren. Sie meinte, ich sähe damit aus wie eine Frau. Aber mir gefiel es so. Sie versteckten die Narben von dem Sklavenring.

Bonde hatte mir auch eine Mütze aus Wolle und weißem Hermelinfell gebracht. Ich setzte sie mir auf den Kopf und sah zu ihm. Er erwiderte meinen Blick, wusste, dass das Beste noch kam. Grinsend löste er die Schuhe von seinem Gürtel und warf sie zu mir herüber. Sie waren aus weichem, gutem Rindsleder und mit Pelz gefüttert. Die Spitze war lang, und als ich zum ersten Mal mit diesen Schuhen in die Halle gekommen war, meinte Halvor, die Spitze gleiche dem »Ding« eines aufgeregten Mannes. Ich weiß nicht, warum er diese Worte sagte; normalerweise hatte er keine Scheu, alles beim Namen zu nennen. Aber dieser Satz war nun fest mit den Schuhen verbunden, und als ich die Riemen band, nickte ich schon, bevor Bonde den Mund öffnete. Ich wusste, was kommen würde. »Das Ding«, sagte er grinsend und konnte sich gleich darauf nicht mehr halten. Auch er schien schon eine Menge Bier intus zu haben, bevor man ihn zu mir geschickt hatte. »Das Ding …!«

Ich zog die Schuhe wieder aus und murmelte, bis zum Hof könne ich ja wohl noch barfuß gehen. Bonde rappelte sich auf, räusperte sich und hob seine Jacke an. Dann humpelte er zu einem Busch und erleichterte sich. Anschließend schnäuzte er sich in die Hand, wischte sie unter seiner Achselhöhle ab und murmelte: »Genug geredet, lass uns gehen.«

Als Bonde und ich den Hofplatz erreichten, blieben wir einen Moment unter den Bäumen stehen. Ich roch das Fleisch, das in der Halle gebraten wurde. Ich zog die Schuhe an, und Bonde steckte die Hand in seine Gürteltasche und holte noch den Goldring heraus, den Erik Jarl mir gegeben hatte. Ich schob ihn auf den Zeigefinger der rechten Hand. Halvor meinte, das wäre am besten so. Wenn ich bei Streitereien mein Urteil fällen oder Gesandte von Großbauern oder Königen empfangen musste, zeigte ich so nicht nur meine Macht, sondern auch die der Lade­jarle.

Wir gingen über den Hofplatz. Vor der Hallentür lungerten zwei Jungen herum. Es waren die Söhne von Torvar Svea, ihre roten Haare waren unverkennbar. Die Leute auf dem Hof schickten ihre Kinder nicht ins Bett, wenn Gäste da waren. Die meisten Kinder waren sicherlich in der Halle, doch Sveas Jungen heckten immer etwas aus. Es kam sogar vor, dass sie im Dickicht hinter dem Abortschuppen hockten, einen Stock durch die Ritzen der Wand schoben und einem mit diebischer Freude in den Hintern piksten. Aus der Halle tönten Gesang und Gegröle, Saitenspiel und Maultrommeln, sodass die beiden weder Bonde noch mich hörten, bevor wir sie im Nacken gepackt hatten. Bonde brummte ihnen irgendeine Ermahnung zu, ehe auch er in die Halle sah und hustend zu lachen begann.

Unsere Halle war nicht so groß wie andere Herrschersitze, aber das war Absicht. In einer großen Halle konnten viele Gäste empfangen werden, mir war es aber wichtig, dass wir nicht mehr Gäste hatten, als meine Männer in Schach halten oder töten konnten, sollten die Fremden sich weigern, ihre Waffen abzugeben. Der Herrschersitz beherbergte etwa sechzig Männer, die kämpfen konnten, wobei ich dabei die Knechte und Jugendlichen mitzählte, die groß genug waren, um mit Speer und Bogen umzugehen. In der Halle gab es Plätze für rund vierzig Männer. Sollten größere Gefolge eintreffen und sich etwas zusammenbrauen, konnte ich die Gäste in der Halle leicht als Geiseln nehmen. Außerdem hatten wir es beim Aufbau des Hofes für klüger gehalten, unsere Zeit für den Bau von Ställen, Scheunen und Hütten für die Bauern zu verwenden und schnell mit dem Bau von Schiffen zu beginnen. Denen, die sich wunderten, dass ich keine längere Halle bauen ließ, sagte ich, dass ich kein Hallenhäuptling sei und dies auch nicht werden wollte.

Schön war unsere Halle aber trotzdem, das steht außer Frage. Die Eckpfosten waren reich mit Schnitzereien verziert, die Schiffe auf hohen Wellen und Skrælinge in schmalen Lederbooten zeigten. Das Schnitzwerk am nordwestlichen Eckpfosten zeigte die Seeschlacht von Svold: Ein Mann schwang seine Dänenaxt gegen den Kopf eines anderen. Ich war der mit der Dänenaxt. Der andere war Olav Tryggvason, dem ich den Todesstoß versetzte.

Ich warf den Umhang nach hinten über die Schultern, legte die Hand auf den Schaft des Schwerts und betrat die Halle. Sofort wurde es still. Ich blieb dicht hinter dem Eingang stehen und nahm Tische und Menschen in Augenschein. Sigrid saß am Ende der Feuerstelle auf dem Platz für die Herrschenden. Hinter einem Tisch standen zwei Stühle mit hohen Lehnen, Seite an Seite wie die Throne von König und Königin. Beide waren gleich groß, was manchen Gast verwirrte. Viele waren es nicht gewohnt, dass Häuptlingsfrauen ebenbürtig waren. Aber hier bei uns in Vingulmørk war das so, und das galt auch für Bjørns Hof, auf dem Freydis mit derselben Macht regierte wie er.

Wie die meisten Hallen hatte auch unsere eine Feuerstelle in der Mitte. Sie war lang wie zwei Männer, und auf jeder Seite ragten Eisenbügel in die Höhe, auf denen man an Spießen Fleisch grillen konnte. Fett tropfte in die Glut. Vermutlich hatte Sigrid die Dienstmädchen aufgefordert, die Fettpfannen beiseitezustellen, um den Gästen zu zeigen, dass wir so wohlhabend waren, dass wir nicht einmal das Fett auffingen.

Bonde und ich hatten die Halle durch die Tür an der südlichen Stirnwand betreten. Auf jeder Seite des Mittelgangs, der nun vor uns lag, standen sechs Langtische. Auf dem Boden lag Stroh. Der Rauch waberte unter die Decke und sammelte sich dort, ehe er durch die Luken entwich. Sechs Pfosten stützten die Dachbalken. Sie wurden jedes Jahr vor der Sommeropferung neu bemalt. Dort hingen auch die Öllampen. Viele davon hatten wir von Händlern, die aus Island und Grönland zu uns gekommen waren, denn sie alle hatten gehört, dass Häuptling Torstein Knarresmed, Torstein Bootsbauer, neugierig auf alle Nachrichten aus dem Westen war. Ich fragte jeden Händler, ob er etwas von meinem Freund Eystein gehört hatte, doch diese Frage blieb jedes Mal unbeantwortet.

Viele der Kinder des Hofes waren auf die Deckenbalken geklettert, denn dort waren sie außer Reichweite, wenn sie ihre Spielchen trieben. Am liebsten ließen sie Stöckchen oder Zapfen in die Krüge fallen, oder sie gossen Wasser auf den Schritt der Männer, die nach hinten gekippt waren und ihren Bierrausch ausschliefen.

Es gab auch zahlreiche Hunde auf dem Hof. Die meisten davon lagen vor mir im Mittelgang und starrten auf das Schweinefleisch über der Feuerstelle. Die Männer warfen ihnen immer wieder Speck und Knochen zu, sodass kaum einer unserer Hunde Hunger litt. Und wo kein Tier Not litt, wurden natürlich auch die Gäste des Häuptlings reich bewirtet. Tonnen mit Bier waren an die Tische gerollt worden. Krüge, groß wie zwei Männerhände, waren den Dänen gereicht und immer wieder gefüllt worden, während Halvor, des Herrschers Skalde, einen Trinkspruch nach dem anderen zum Besten gegeben hatte. Die Aufgabe hatte ihm offensichtlich zugesetzt, denn auch er war auf einen Tisch gekippt und schlief.

Bonde und ich gingen zur Feuerstelle. Der Joms­wikinger nahm an einem der Tische Platz, während ich mich auf meinen Thron setzte. Es gab mir immer ein gutes Gefühl, und ich will nicht leugnen, dass ich die Macht, die ich besaß, nirgends deutlicher spürte als dort. Mein Sitz stand rechts neben dem von Sigrid, und die Lehnen gingen ineinander über. Als ich meine Hand auf die Armlehne legte, spürte ich Sigrids Hand auf meiner. Sigrids Thron war aus einem Eichentisch gezimmert worden, während meiner aus Tischen zusammengebaut worden war, die wir aus dem verlassenen Handelsplatz auf der anderen Seite des Fjords geholt hatten, wo ich einmal als Sklave gelebt hatte. Auf dem Sitz lag das Rentierfell, das Erik Jarl mir geschickt hatte, und neben dem Stuhl stand ein Schild mit der Sippenrune auf der einen und Odins Zeichen auf der anderen Seite. Die Bauern von Vingulmørk hatten mir alle einen Speer geschickt, die mit der Spitze nach oben an die Lehne des Stuhls genagelt worden waren. Auch meine Dänenaxt stand hier, der lange Schaft steckte in eisernen Ringen, die Hutten geschmiedet und rechts hinter mir an die Rückseite des Stuhls genagelt hatte, sodass ich sie rasch greifen und herausziehen konnte.

Mein Blick glitt über die Dänen. »Es ist für jeden Häuptling ein guter Anblick, wenn der Fettrand am Schweinefleisch dick ist. Hier bei uns werden Menschen und Tiere gut ernährt.«

Ich sagte das oft, wenn wir Gäste hatten, die zum ersten Mal bei uns waren. Vier der Dänen standen mühsam auf und traten in den Mittelgang. Obwohl ihre Haut rötlich leuchtete und die Lider schwer über ihren Augen hingen, wirkten sie nicht allzu betrunken. Es waren dieselben vier, die schon am Anleger vor uns getreten waren, und der Dicke mit dem weißen Bart wiederholte, was er bereits bei seiner Ankunft gesagt hatte:

»Ich bin Sveinung Gode, Sohn von Sveinung Tunge«, kam es vom Weißbart. »Bei mir steht Halvdan, Sohn von Torest Munn, und das sind Vidur Try und sein Sohn Albe.«

»Ja«, antwortete ich. »Das sagtest du bereits.«

»Wir sind Gesandte von Sven Gabelbart«, fügte er hinzu.

»Das habe ich verstanden.«

»Wir danken für Essen und Trinken und dass Ihr uns empfangt. Wir wissen, dass Ihr als Herrscher in den Diensten des Ladejarls steht, König Sven hat uns aber gebeten, Euch zu versichern, dass er Euch und Eure Heldentaten nicht vergessen hat.«

Ich nickte.

Der Blick des Weißbarts ging zu meiner Dänenaxt. Er wischte sich den Mund ab und trat etwas unsicher vor. »Über die Tormodbrüder wird am Hofe von König Sven sehr oft gesprochen, und der König hat nur gute Worte über Euch. Er sagt, dass sich die Menschen hier in Vingulmørk glücklich schätzen können, Euch als Herrscher zu haben. Einen besseren gibt es nicht. Deshalb grüße ich Euch, Torstein Tormodson!« Der Weißbart hob seinen Krug zu einem Prosit an und führte ihn schnell an die Lippen. Er verschluckte sich und spuckte das Bier hustend in seinen Bart. Dann nahm er einen Zapfen aus dem Krug, betrachtete ihn blinzelnd und sah zu den Kindern hinauf, die kichernd über die Balken balancierten und sich beim Räucherfleisch und bei den Kornsäcken im Speicherraum unter dem Dach versteckten.

»Gute Kinder«, sagte der Däne und rang sich ein Lächeln ab. Danach hob er den Krug noch einmal an. »Auf die Tormodbrüder«, sagte er. »Ich grüße Euch. Und auch Sven grüßt Euch und hofft, dass seine Geschenke Gefallen gefunden haben. Er freut sich, seine Joms­wikinger hier oben zu wissen.«

Der Weißbart trank, und die Dänen tranken mit ihm. Wir anderen ließen unsere Krüge stehen. Seine letzten Worte hallten in meinen Ohren schrill wider. Sigrid beugte sich auf ihrem Stuhl vor und richtete ihren Finger auf den Weißbart. »Diese Männer sind nicht die Joms­wikinger des Dänenkönigs. Sie dienen Häuptling Torstein, nicht Sven Gabelbart.«

Der Weißbart kratzte sich schnell den Bauch. Dann ging sein Blick von Sigrid zu seinen Gefolgsleuten. Schließlich trat er einen langen Schritt zu mir vor und räusperte sich. »Sven Gabelbart hat von den Steuern gehört, die Ihr den Ladejarlen zahlen müsst. Er bat mich, Euch zu sagen, dass es ihm leidtut zu hören, dass ein Mann wie Ihr die Hälfte von allem, was er eintreibt, abtreten muss. Sven würde weniger verlangen, solltet Ihr stattdessen ihm dienen wollen. Und es wäre nicht erstaunlich, würdet Ihr eine solche Entscheidung treffen. Ich bin ja kein Seemann, aber liegt die Bucht dort draußen nicht näher an den dänischen Fahrwassern als an Trøndelag?«

»Das tut sie«, antwortete ich. »Aber wenn Ihr wollt, dass ich Vingulmørk der Herrschaft des Dänenkönigs unterstelle, könnt Ihr gleich wieder fahren. Den Rest von Viken darf er gerne behalten, aber Vingulmørk bekommt er nicht.«

Der Weißbart nickte lächelnd. »König Sven hat keine solchen Absichten, Häuptling Torstein. Er ist dabei, ein Heer aufzubauen. Und darüber würde er gern mit Euch reden. Er möchte, dass Ihr in seine Halle in Trelleborg kommt. Er wird diesen und den nächsten Mond dort sein, und hält Euch und Eurem Bruder eine Bank frei.«

Sigrid hatte die ganze Zeit über meine Hand gehalten. Jetzt drückte sie mein Handgelenk mit großer Kraft. »Genug geredet«, sagte sie. »Bringt unserem Häuptling sein Horn und füllt es reichlich mit Bier. Dann lasst uns auf die Ladejarle und König Sven trinken. Und auf Torstein, den Herrscher von Vingulmørk!«

Welpe brachte mir ein gefülltes Horn. Etwas Bier schwappte heraus, als ich es anhob. »Auf Sven Gabelbart, den König der Dänen! Und auf die Ladejarle!«

Wir tranken, und ich hob das Horn wieder und wieder an: »Trinken wir auf Sven und die beiden Jarlbrüder in Trøndelag.« Dann lehnte ich mich zurück, und Sigrid nahm ihr Horn und trank auf mich, und wirklich alle tranken mit ihr. Danach trat Welpe vor und führte den Dänen zurück zu seiner Bank. Die Krüge wurden erneut gefüllt, jetzt galt es, die Dänen unter den Tisch zu trinken. Ich wollte keine weiteren Worte hören wie die, die der Weißbart von sich gegeben hatte. Alles, was in dieser Halle gesprochen wurde, kam Erik Jarl zu Ohren. Viele meiner Männer, darunter auch Kolbein, waren von ihm abgesandt worden, und die Händler, die zu uns kamen, segelten in der Regel weiter die Küste hinauf gen Norden. Was der Weißbart uns gesagt hatte, würde bald in der Halle der Ladejarle zu hören sein.