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Wikinger im Weltall? Kurz hielten wir die Herausgeber für irre. Zumindest für zehn Sekunden, denn dann war klar: Das ist genau das Richtige. Sie zögern? Überzeugen Met pinkelnde Ziegen, Walküren auf Weltraumharleys und Schweizer-Multifunktionsschwerter noch nicht? Dann womöglich New Woodstock-Wikinger mit einer Vorliebe für das Kraut der Erleuchtung, Cyborg-Wikinger auf der Suche nach dem Funken des Lebens oder In Spek Tor beim Versuch, den Tätigkeitsbereich unserer Weltraum-Wikinger zu kategorisieren. Immer noch nicht überzeugt? Dann wird es jetzt Zeit Ihnen zu zeigen, wo Thors Hammer hängt … oder steht … oder, ach, Sie wissen schon. Und immer daran denken: Niemals einen roten Knopf drücken!
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Seitenzahl: 512
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Vikings of the Galaxy
Hrsg.
Cara D. Strange
Thomas Heidemann
Vikings of the Galaxy
ISBN 978-3-945230-43-5
1. Auflage, Allmersbach im Tal 2019
Cover: Detlef Klewer – www. kritzelkunst.de
Portraits: Thomas Heidemann
Satz und Layout: Tanja und Marc Hamacher
Lektorat: Cara D. Strange, Tanja und Marc Hamacher und Thomas Heidemann
© 2019, Leseratten Verlag, Allmersbach im Tal
www. leserattenverlag.de
Herausgeberin:
Cara D. Strange
Cara D. Strange (die eigentlich anders heißt) landete im Zeitalter von Neon-Leggings und Föhnfrisuren auf dem Planeten Erde. Durch ihren Vater (welcher Perry-Rhodan-Fan-Fiction schrieb, bevor das Wort überhaupt erfunden war) und ihren Bruder (der mit seinem Kurzfilm »Krieg der Küchengeräte« Hollywood-Größen nacheiferte) wurde sie frühzeitig mit dem unheilbaren Science-Fiction-Virus infiziert. Frustriert über das Film- und Buchangebot nahm die Autorin die Sache … äh, Seite selbst in die Hand und veröffentlichte 2011 Augenblick der Ewigkeit, den ersten Teil der Chroniken der Ewigkeit (die sie eigentlich nie schreiben wollte).
Ende 2015 entstand zusammen mit einem ebenso verrückten, allerdings professionellen Team die Idee einer auf Streaming angelegten Serie. Weiterhin hat Cara anstelle rauflustiger, hörnerbehelmter Weltraum-Wikinger eine Gruppe charmanter, schreibender Damen, die Ladies of the Galaxy, um sich geschart und ist mit ihnen auf diversen Veranstaltungen unterwegs.
Liebe Leserinnen und liebe Leser,
ihr habt dieses Buch gekauft. Selbst schuld. Es sein denn, jemand hat es euch aufgedrängt. Dann ist der schuld.
Falls ihr euch fragt, wie die Herausgeber auf die kaputte Idee kamen, Wikinger ins All zu schießen: Cara kann es euch erklären. Allerdings muss sie dazu etwas weiter ausholen. Nein, hier kommt nicht die Story von Bienchen und Blümchen, obwohl es ohne die ja keinen Honig-Wein gäbe. Nein, der war nicht im Spiel. Wir schwören.
Cara lässt dann mal den Wikinger aus dem Sack:
»Computerlogbuch der …«
Halt nein, falscher Film. Ich befand mich auch nicht im Weltraum, sondern in einem kleinen Dorf in Mittelfranken und man schrieb das Jahr 2017. Ich hatte nichts Besseres zu tun (Könnte mal ein paar Bücher schreiben!), guckte mir also so eine Wikinger-Serie an. Nein, nichts voll historisch krass Korrektes. Keine Ahnung mehr, wo genau ich hingeschaut hatte: Entweder dem Jarl in seine turbolaser-blauen Augen oder auf dessen Heck. Na, welches wohl, das von dem Wikinger-Schlachtschiff. Was denkt ihr denn schon wieder?
Als der Jarl rief: »Schilde hoch!«, starrte ich fassungslos in die Glotzkiste. Oder auf das Heck von … na ja, ihr wisst schon.
Wie, Schilde hoch?, dachte ich noch. Volle Energie auf die Ph… oops, andere Serie. Verdammt, man sollte wirklich nicht zwischen Science Fiction und History switchen. Da musste man doch wuschig im Kopf werden, vor allem bei so einem feschen Blondschopf wie dem Jarl.
Und plötzlich waren sie da: Wikinger mit Energieschilden. Völlig bescheuert.
Obwohl … Gnihihi!
Eben mal schnell den Autorenkollegen angerufen, der sicher auch nichts zu tun hatte, und ihm die kranken Gedanken aufgedrängt.
Besagter Autorenkollege hatte, außer hingebungsvoller Prokrastination, tatsächlich nichts zu tun, und so abwegig fand er die Idee von Wikingern im Weltraum überhaupt nicht. Außerdem stand er schon immer jeder Form von Blödsinn aufgeschlossen gegenüber und hatte selbst gerade einen wikingeroiden Metalhead ins All geschickt. Der aufmerksame Leser wird ihm in diesem Buch begegnen; er feiert hier seinen vierten Auftritt. Außerdem stand er schon immer jeder Form von Blödsinn aufgeschlossen gegenüber. Aber lassen wir Thomas selbst zu Wort kommen:
Wikinger im Weltall? Cool. Hätte ich mir sofort gekauft!
Je länger Cara und ich über die anfängliche Schnapsidee fachsimpelten, desto klarer wurde mir, dass Wikinger im Grunde geborene Weltraumpioniere sind. Hätte der Menschheit vor tausend Jahren die Technik zur Verfügung gestanden, die Erdschwerkraft zu überwinden und andere Himmelskörper anzusteuern, die Nordmänner wären bestimmt die ersten gewesen, die davon Gebrauch gemacht hätten. Sie waren längst über den Rand der Welt gesegelt, hatten erst Island und dann Grönland besiedelt und noch weiter im Westen einen neuen Kontinent entdeckt.
Das Konzept fremder, von außerirdischen Lebensformen bewohnter Welten war ihnen dank ihrer Mythologie nicht fremd. Sie wussten, dass auf Schwarzalbenheim Zwerge lebten und auf Muspellsheim die Feuerriesen.
Mit dem Bifröst kannten sie ein interplanetares Transportmedium, das problemlos in einen Science-Fiction-Roman gepasst hätte.
Ich sah die Raumschiffe der Wikinger vor mir, wie sie ohne Vorwarnung über wehrlosen Planeten aus dem Hyperraum fielen, um deren Bewohner in Angst und Schrecken zu versetzen und an Beute abzugreifen, was in die Laderäume passte, ganz so, wie die Langboote ihrer historischen Vorbilder an jeder bekannten Küste und jedem schiffbarem Fluss Europas bis Vorderasiens auftauchten und Städte und Klöster plünderten.
Ich sah sie im Auftrag ihrer Götter oder auf der Suche nach Asgard das Universum durcheilen, ihre Kultur verbreiten, mit Met handeln und im Spiel der galaktischen Völker die Karten neu mischen.
Es war großartig, aber es war auch so hirnrissig, dass eigentlich nur ein Verlag dafür in Frage kam: Der Leseratten Verlag. Ich fragte also bei Marc Hamacher an. Marc überlegte nicht lange. Ehe wir uns versahen, waren Cara und ich leserattige Herausgeber, und Marc haute seinen ersten kreativen Beitrag für die neugeborene Ausschreibung raus. »Ich habe da eine Idee für den Titel: Vikings of the Galaxy!«
Damit spielte er natürlich auf den Namen eines populären Kinofilms an, dessen Ruhm zu durchaus beabsichtigten Assoziationen führen dürfte, obwohl das unsere Anthologie freilich nicht nötig hat. Und er äußerte den Wunsch nach einer unauffälligen Referenz, in der ein grünhäutiger Freund eines gewissen hammerschwingenden Asen eine Rolle spielt. Gerne geschehen, Marc!
Und hier sind sie: Die Vikings of the Galaxy! Überlichtschnell, plündernd und mettrinkend, manchmal furchtlos, manchmal planlos, aber vor allem eines: witzig.
Viel Spaß!
Alexandra Baginsky
Vor knackigen 44 Jahren,
kam eine Walküre in diese Welt gefahren,
mit einer Singstimme mehr laut als schön,
und einem Geschichtenerfindungsgen,
das ihr keine Ruhe ließ Tag und Nacht,
alle Zeit wurde mit Schreiben verbracht.
Dass sie irgendwann ins Weltall fand,
verwundert wohl keinen im schönen Pfälzer Land.
Zumindest keinen, der sie kennt,
Alexandra Baginsky wird sie genennt.
Für den Leseratten Verlag schreibt sie gern,
von diesem und jedem fernen Stern.
Drum hebt das Horn, den Humpen, das Glas,
beim Lesen wünscht sie euch extra viel Spaß!
Lasse, Ole, Svensson und Kalle ruderten. Stundenlang nun schon und ohne erkennbare Anstrengung. Kleiner Mac – der in Wirklichkeit gar nicht so klein war – dagegen schwitzte und schnaufte und klagte über Hunger. Aber wann tat er das nicht?
Schließlich platzte Lasse der Geduldsfaden, und er herrschte den Jüngsten an: »Jetzt reiß dich gefälligst zusammen! Wir sind Seekrieger, die sich auf langer Fahrt von der Heimat entfernen. Und als Seekrieger, die sich auf langer Fahrt von der Heimat entfernen, sind wir Entbehrungen gewohnt und jammern nicht schon eine halbe Stunde nach der letzten Mahlzeit, dass wir am Verhungern wären. Was für ein Seekrieger, der sich auf langer Fahrt von der Heimat entfernt, bist du eigentlich?«
Kleiner Mac starrte ihn mit zitternder Unterlippe an, und für einen Augenblick sah es so aus, als ob er in Tränen ausbrechen wollte. Doch dann kam von ihm nur ein zaghaftes: »Seekrieger, die sich auf langer Fahrt von der Heimat entfernen? Geht das nicht auch kürzer?«
»Wieso? Wie würdest du uns denn nennen?«, brummte Lasse, der sich nur sehr ungern aus der Fahrt bringen ließ, unwirsch. Vor allem, wenn er gerade so schön drin war.
Kleiner Mac überlegte lange und ausgiebig und vergaß dabei seinen nagenden Hunger. Schließlich äußerte er verlegen: »Keine Ahnung. Wikinger?«
Lasse starrte ihn ebenso lange und ausgiebig an, während die anderen Mannen respektvoll schwiegen. Die Denkarbeit überließen sie lieber dem Anführer. Dafür wurden sie schließlich nicht bezahlt. Der gab es nur ungern zu, aber seine Bezeichnung war schon ein ganzer Mund voll und Kleiner Macs Idee klang griffig, aggressiv und modern. Daher brummte er so, dass man ihn kaum verstand: »Hm. Na gut.«
»Und wo wir gerade dabei sind …«, merkte Kleiner Mac an, und seine Kumpane stöhnten. Denn das war normalerweise immer der Auftakt zu irgendeiner altklugen Bemerkung, mit der keiner von ihnen viel anfangen konnte. »… alle anderen Wikinger sind nach Westen gesegelt. In ungeheuren Mengen. Wieso sind wir nicht einfach mitgefahren?«
Lasse starrte ihn drohend an, und sein Brummen wurde zu einem gefährlichen Knurren: »Eben weil da alle sind. Und wir sind nicht alle. Also rudern wir nach Osten. Hast du damit ein Problem?«
Kleiner Mac senkte rasch den Blick und gab unterwürfig zurück: »Ähh, nö. Ich wollt’s nur mal bemerkt haben.«
»Ist notiert. Und ignoriert. Wer braucht schon ungeheure Mengen? Wir sind ungeheuer. Das muss reichen.« Lasse wandte sich wieder nach vorne, um weiter zu rudern. Schließlich wollte er dieses Jahr noch ankommen, am liebsten, wo noch nie ein Wikinger zuvor gewesen war.
Das war nicht so einfach, denn die Seekrieger, die sich auf langer Fahrt von der Heimat entfernen, waren schon gehörige Zeit auf den Weltmeeren nah und fern ihrer Heimat unterwegs. Sie entdeckten rechts und links Länder ohnegleichen und plünderten und brandschatzten dabei, dass es nur so eine Freude war.
Etwas wirklich Besonderes zu erleben, und mit nach Hause zu bringen, war gar nicht mehr so einfach. Den Osten hatten sie eigentlich schon komplett ausgeräumt, weswegen man sich nun mehr oder weniger gemeinschaftlich auf die Westeroberung konzentrierte.
Doch Lasse und seine Mannen waren eben nicht von der Sorte, die mit dem Strom schwammen beziehungsweise ruderten, und fest überzeugt, dass es im Osten noch etwas zu holen gab. Irgendetwas würden die Horden schon übersehen haben, die zuvor dort eingefallen waren. Oder vielleicht war ja seither was nachgewachsen oder entdeckt oder erbaut worden, das sollte ja immer mal vorkommen.
Kleiner Mac war davon nicht so überzeugt, aber der hatte ja nicht einmal das Recht, sich Sohn seines Vaters zu nennen. So wie Lasse Eriksson hieß, Ole Thorvaldsson, Svensson Svenssonson und Kalle Ragnarsson. Das hatten sie sich allesamt stark und tapfer im traditionellen Mannbarkeitsritual erstritten, das sie alle mit Bravour bestanden hatten.
Nein, er wurde nicht nach seinem berühmten und für seine Berserkerwut berüchtigten Vater Mac Einarsson der Große genannt. Trotz allem war dieser stolz auf den Sprössling. Obwohl er die jahrhundertealte ehrwürdige Prüfung versemmelt hatte. Obwohl er seltsame Ideen und Vorlieben verfolgte und – Schande über Schande! – kein Blut sehen konnte, ohne umzukippen. Daher hatte es sich eingebürgert, ihn statt bei seinem Vornamen Helmar, als Sprössling von Mac dem Großen, eben Kleiner Mac zu nennen. Nicht ohne ein schadenfrohes Grinsen und einen leicht abfälligen Tonfall, aber immerhin.
So ruderten sie und ruderten, bis sie an eine Küste stießen, die vielversprechend aussah. Vor allem, weil in Sichtweite des Ufers ein kleines Dörfchen lag, das man herrlich überfallen konnte, ohne sich groß anstrengen zu müssen. Die Wikinger zogen das Boot auf den Strand und machten sich daran, mit hoch erhobenen Schwertern und Streitäxten drauflos zu stürmen, ungeachtet der vielen Raben, die überall saßen und bei ihrem Anblick drohend krächzten und mit den Flügeln schlugen.
Das heißt, vier Wikinger machten sich daran. Kleiner Mac hatte da noch einen Einwand: »Sollten wir nicht erst das Losorakel befragen, wie es von alters her Brauch ist?«
»Das dauert doch viel zu lange«, beschwerte sich Ole, der bereits ganz scharf aufs Plündern war, weil sein Magen inzwischen lautstark knurrte. »Dafür haben wir jetzt echt keine Zeit. Ich dachte, du hast auch Hunger?«
»Ja schon … aber …«
Kleiner Mac betrachtete die Raben misstrauisch und dann die Erdbauten. Ihm graute vor dem bevorstehenden Blutvergießen und er wollte lieber sicher gehen, dass sie wussten, worauf sie sich einließen.
»Ich hab ein Fääst Öräckel dabei, das ist schon in meiner Familie, seit Leif Eriksson die neuen Lande entdeckt hat. Die, welche er Wilder Kontinent mit den unbegrenzten Möglichkeiten, wo die Eingeborenen Teller waschen und die Siedlungen nie schlafen genannt hat. Ich bin ja immer noch der Meinung, Amerika wäre ein schönerer Name gewesen. Aber egal. Mit dem Fääst Öräckel geht es jedenfalls ganz schnell und ist auch ganz leicht und …«
»Kleiner Mac! Genug jetzt!«, sprach Lasse ein Machtwort und hob seine Axt. »Auf drei, Männer! Ho! Ho! Ho!«
»Ähm … Lasse?«, wandte Kleiner Mac kleinlaut ein.
Sein Anführer knurrte genervt: »Was ist denn nun schon wieder?«
»Es heißt Hu! Hu! Hu!«, verbesserte er noch kleinlauter und zog den Kopf ein.
»Oh.« Lasse zögerte einen Augenblick, dann brüllte er: »AUF DREI, MÄNNER! HU! HU! HU!«
Und so rannten sie los, bei jedem linken Schritt ein Hu! ausstoßend und immer schneller werdend. Bis sie in wildem Schweinsgalopp auf den kleinen Platz inmitten der schlichten Behausungen stürmten, wo ein paar Frauen um einen Brunnen versammelt waren und ihnen verwirrt entgegensahen.
Die Wikinger rissen die Waffen in die Luft, schwangen sie bedrohlich, schrien dazu laut und einschüchternd und freuten sich schon auf das Angstgewimmer und Flehen um Gnade, das von den Weibsbildern nun zu erwarten war. Stattdessen starrten diese weiterhin schweigend und ohne sich zu rühren, worauf die Männer umso lauter brüllten.
Eine Tür wurde aufgestoßen und eine in Rot gekleidete Schwarzhaarige trat heraus, warf einen unbeeindruckten Blick auf die einfallende Horde und kommandierte: »Blodewedd! Das Katapult!«
Eine Rothaarige nickte und lief los, während die offensichtliche Chefin eine elegante Handbewegung machte und die Wikinger vom Boden abhoben, als schwebten sie in einer Luftblase. So sehr sie auch strampelten und schrien und mit ihren Waffen fuchtelten, sie richteten nichts damit aus, sondern hingen auf der Stelle fest.
»Wir hätten doch orakeln sollen«, murmelte Svensson wehleidig und warf seinem Anführer einen enttäuschten Blick zu, der diesen geflissentlich ignorierte und sich an die Blutrotgekleidete wandte: »Lass uns sofort runter, Weib! Du störst uns beim Plündern und Brandschatzen! Von dem hier war in den Liedern der Skalden nie die Rede! Das ist nicht die Art, wie das gemacht wird!«
Die fein geschwungenen Lippen der Dame verzogen sich zu einem amüsierten Lächeln, und ihre dunklen Augen funkelten. Offensichtlich beeindruckten sie Regeln und althergebrachte, fest eingefahrene und für gut befundene Traditionen kein bisschen. Das hatte man davon, wenn man eine Frau zum Chef machte.
»Ist das so?«, fragte sie gedehnt und auch über das laute Quietschen eines heranrollenden Wagens problemlos verständlich. »Das tut mir aber leid. Nicht.« Sie richtete den Blick an den Fünfen vorbei, die empört nach Luft schnappten bei so viel Respektlosigkeit, und befahl: »Blodewedd, schieß sie auf den Mond. Sollen sie dort nach ihrem Wallawallaland suchen oder wie immer sie es nennen.«
»Jawohl, Morrigan, gerne, Morrigan«, erwiderte die junge Frau dienstbeflissen und richtete das Katapult aus, das sie gerade mühsam herbeigezerrt hatte. Dabei lugte ihre Zungenspitze aus dem rechten Mundwinkel, so konzentriert war sie zugange. Eine weitere elegante Handbewegung der Chefin, und die Wikinger landeten aufgereiht wie die Löffelchen in der großen hölzernen Schale. Im nächsten Augenblick wurde diese durch den mächtigen Wurfarm nach vorn geschleudert und katapultierte ihre menschliche Last mühelos in den strahlend blauen Himmel.
»Oh Bloddy … du hast ihn schon wieder verfehlt«, hörten sie noch hinter sich.
Dann schrien sie sich die Seele aus dem Leib, während sie flogen und flogen und flogen … haarscharf links am Mond vorbei und weiter, dorthin, wo noch nie zuvor ein Wikinger gewesen war.
Vom Sauerstoffmangel ohnmächtig geworden, trieben unsere fünf längst nicht mehr unerschrockenen Wikinger durchs Weltall. Sie wären wohl wie Major Tom völlig losgelöst von der Erde irgendwann erstickt, erfroren oder verglüht, wenn nicht einer von ihnen, Kalle nämlich, von der letzten Muskelaufbaueinheit noch ein Handtuch bei sich gehabt hätte, das er mit letzter Kraft schwang. Wie man weiß, ist ein Handtuch das einzige Utensil, was jeder, der sich ins All wagt, unbedingt und auf jeden Fall bei sich haben sollte. Denn nur so konnte passieren, was auch ihnen widerfuhr: Ein vorbeifliegendes Raumschiff sammelte die unglückliche Horde unversehens auf. Wie, das vermag wohl keiner zu erklären.
Als die Seekrieger, die sich auf langer Fahrt von der Heimat entfernen, wieder zu sich kamen, da piepte und ratterte es um sie herum, sie bekamen Luft und hatten es halbwegs warm.
»Lasse?«, fragte Kleiner Mac völlig verunsichert und schob sich unauffällig näher an diesen heran.
»Was ist?«
»Wo … wo sind wir hier?«
Nun hätte Lasse die Wahrheit sagen können, nämlich dass er genauso wenig Ahnung hatte wie der Rest seiner Mannen. Aber das war nicht die Art und Weise, wie ein Anführer seine Truppe leitet, daher plusterte er sich auf und erklärte leichthin: »Sie wollten uns zwar nach Walhalla befördern, aber noch ist unsere Zeit nicht gekommen. Wir sind für Großes auserwählt, das wussten wir schon immer. Nun, Großes ist hier, wir sind …«
Lautes Grunzen unterbrach ihn, und er sah sich verwirrt um. Durch einen blitzblank polierten Gang, den unzählige Lichter und Knöpfe schmückten, kam eine Horde Schweine auf sie zu.
Schweine? Ja, tatsächlich, Schweine. Schweine im Weltall. Es sollte bekannt sein, dass diese Tiere hochintelligent und so manchem Menschen weit überlegen sind. Da ist es kein Wunder, dass sie sich das All zu eigen gemacht hatten und nur die dämlichsten und unleidigsten Vertreter ihrer Art auf die Erde beamten, um diese aus den Augen, aus dem Sinn, aber vor allem aus dem Weg zu haben. Man sagt, das würde als Drohung genügen, um die schweinischen Schwiegermütter zu den nettesten und angenehmsten aller Bewohner des bekannten Universums zu machen.
Unsere Wikinger hatten allerdings keine Ahnung von den Errungenschaften dieser Spezies, dafür schon einmal eine unliebsame Begegnung mit einer Wildschweinhorde gehabt. Daher fühlten sie sich sofort bedroht und sprangen auf, wild ihre Waffen schwenkend.
Plock. Plock. Plock. Plock. Plock.
Und schon hingen Schwerter und Äxte an der Decke, und Svensson, der Kleinste und Schmächtigste, hing noch an seiner Waffe und zappelte mit den Füßen.
»Bei Odins Barte, was ist hier los?«, verlangte Lasse zu wissen. Was wie ein wütender Befehl klingen sollte, hörte sich aber eher nach dem verstörten Quieken eines Ferkels an. Die Schweine blieben abrupt stehen und starrten die Wikinger an. Diese starrten zurück, bis Svensson sich nicht mehr am Axtstiel festhalten konnte und mit Gepolter von der Decke fiel.
Das vorderste Schwein machte eine Kopfbewegung, worauf eines der anderen zur Wand ging und mit der Schnauze einen Knopf betätigte. Darauf erklang eine schnarrende Stimme aus der Wand, synchron zum Quieken des Wesens: »Seid gegrüßt, Menschlinge. Was führt euch auf unser Schiff?«
Verwirrt sahen sich die Wikinger erst an, dann um, dann zu dem Schwein. Lasse war der erste, der sich wieder fing. Nicht umsonst war er zum Anführer gewählt worden.
»Wir sind auf Entdeckungsfahrt. Leider wurde unser Langschiff … zerstört. Daher haben wir entschieden, eine Weile mit euch zu reisen, bis wir … uns anders entscheiden. Aber so lange werdet ihr die große Ehre unserer Anwesenheit haben und dürft uns entsprechend bewirten!«
Die Schweine starrten ihn an, ohne auch nur zu blinzeln. Dann brachen sie in lautes Gegrunze aus, das die Lautsprecher in schepperndes Gelächter umwandelten.
Bevor die Wikinger wütend werden konnten – oder eher panisch, denn sie waren zahlenmäßig bei Weitem unterlegen und nun ja auch waffenlos –, grunzte der Anführer »Genug!« und nickte Lasse zu. »Wir können einen Spaßmacher gut brauchen, ihr dürft also bleiben. Kommt, wir waren gerade auf dem Weg zur Kantine!«
Lasse öffnete den Mund, um sich zu beschweren, dass er hier nicht ernst genommen würde. Seine vier Mannen jedoch zogen ihn rasch mit, denn Kantine bedeutet immer und überall Essen. Über die passende Wortwahl konnte man ja später noch diskutieren.
Schnell wurde ihnen aber bewusst, dass sie vielleicht doch von Anfang an dagegen hätten angehen sollen, wie sie behandelt wurden. Denn in der Kantine angekommen, konnten sich die Wikinger kaum richtig umsehen. Lange, recht niedrige Tische füllten den Saal, an deren Rändern tiefe Raufen befestigt waren. Stühle gab es keine, aber die Vierbeiner benötigten so etwas auch nicht.
Bevor sich die Wikinger allerdings darüber Gedanken machen konnte, wie sie da essen sollten, wurde jeder von ihnen einem Tisch zugewiesen, vor dem sie sich auf den Boden setzen sollten. Kaum hatten sie der Anweisung zähneknirschend Folge geleistet, da schossen metallische Greifarme heran. Sekunden später trug jeder von ihnen ein Halsband mit einer daran befestigten Leine.
»Oh, Dankeschön, Papa!«, quiekte eines der Schweine, kaum älter als ein Ferkel, begeistert. »Ich wollte schon immer ein Haustier haben!«
»Na, dann hast du jetzt ein besonders prächtiges Exemplar!«, grunzte der Vater stolz zurück und stellte Kleiner Mac einen Napf voller Essensreste hin.
Der überlegte kurz, ob er sich über das Kompliment freuen sollte, dann zuckte er mit den Schultern und tauchte sein Gesicht in den Napf. Der Hunger trieb es rein, und Besteck war ohnehin was für Weicheier und Weiber.
Kalle traf es da weniger gut. Die Schweine an seinem Tisch schauten ihn missbilligend an, und eines sprach schließlich aus, was wohl alle dachten: »Wieso ist unseres so nackig im Gesicht? Ist das etwa missgebildet?«
»Hey! Ich bin ein vollwertiger Wikinger, auch wenn ich keinen Bart habe!«, brüllte Kalle, der diesem Vorurteil in seinem Leben schon allzu oft begegnet war.
Egal, was er versucht hatte, in seinem Gesicht wollte einfach kein Haar sprießen. Auf dem Kopf, da lockte sich die rotblonde Mähne üppig, aber wer brauchte das schon? Da trug Mann ja schließlich Helm. Außerdem kam erschwerend hinzu, dass es ja Weiber gab, die auf kahle Köpfe flogen. Umgekehrte Haarbewachsung wäre also von immensem Vorteil für Kalle gewesen – physisch und psychisch.
Zum Glück hatte Kalle eine verständnisvolle und umsorgende Familie und so donnerte er den Schweinen entgegen, was er immer in so einem Fall zu donnern pflegte: »Meine Großmutter hat immer gesagt: Ä schäjnes Gsicht braucht Blatz!«
»Was?«
»Was hat er gesagt?«
»Hast du das verstanden?«
Das Übersetzungsprogramm hatte ganz offensichtlich Schwierigkeiten mit diesem merkwürdigen Dialekt. Man wusste nicht genau, wo Kalles Großmutter hergekommen war. Sie war ein Teil der Kriegsbeute gewesen, doch von Beginn an nicht auf den Mund gefallen, so dass sie sich recht schnell Achtung verschafft und einen Mann geangelt hatte.
Zu ihrem Enkel pflegte sie eine ganz besondere Beziehung. Jeder, der ihn wegen seines bartlosen Gesichts aufzog, bekam eins mit der Bratpfanne übergezogen, und das gewöhnte sich auch Kalle rasch an. Kalle war stark für drei, was an seinem besonderen Training lag, dem er sich immer unterzog, um seinen Peinigern voraus zu sein, und so gewann er rasch die Achtung aller. Jetzt jedoch, unter seinen ringelschwänzigen Tischgenossen, konnte er sich nicht einmal verständlich machen, und das war ein schwerer Schlag für ihn.
Lasse musste übersetzen: »Sein gutaussehendes Antlitz braucht Raum, deswegen sind da keine Haare, die es verdecken.«
Die Schweine grunzten vor sich hin, ohne Übersetzung, aber der Tenor war deutlich. Sie hätten lieber eins der anderen Haustiere gehabt, aber verteilt war verteilt. Die Wikinger wurden ja auch nicht gefragt.
Nein, man fütterte sie und dann steckte man sie in einen dunklen engen Raum und vergaß sie fürs Erste. Wie man das gerne so macht mit Haustieren, die man geschenkt bekommt, mit denen man aber nicht wirklich etwas anfangen kann.
So darbten die Wikinger für eine Weile klaglos vor sich hin, dann jedoch begann der erste, sich zu beschweren. Kleiner Mac natürlich, wer sonst. Jedoch waren die anderen direkt dabei und sogar Lasse, ihr unerschütterliche Anführer, jammerte bald mit.
Was für eine verfahrene Situation! Wie sollten sie da nur wieder herauskommen? Vor allem aber … wohin pissen, wenn man mal müssen musste? Kaum kam die Frage auf, da mussten sie alle, und zwar rasch und dringend. Sie riefen laut, trommelten gegen die Tür, machten Krawall für zwanzig. Doch keiner kam und sah nach ihnen.
Es waren wohl alle Schweine damit beschäftigt, die richtige Abzweigung nicht zu verpassen. Während des Essens hatten so manche von ihnen darüber gemunkelt, wie gefährlich ihre Route doch wäre. Dass man leicht in den ragnarokschen Nebel gelangen könnte, wenn man nicht rechtzeitig scharf rechts abbog.
Was genau passieren würde, wenn man dem Nebel nicht auswich, darüber hatten die Schweine allerdings geschwiegen. Der Name allein löste jedoch schon Angstschweiß bei den Wikingern aus. Nicht dass sie das zugegeben hätten, natürlich, aber sie rochen derzeit nicht gerade angenehm. Dazu kam noch das dringende Bedürfnis, sich zu erleichtern.
Schließlich reichte es Lasse, und er schrie: »Wenn ihr uns nicht sofort hier raus lasst, ihr elenden Schweine, dann pissen wir eure Wände an!«
Kleiner Mac öffnete den Mund, um anzumerken, dass sie sich damit wohl eher ins eigene Fleisch schnitten. Wo es sowieso nicht gerade nach Lavendel und Vanille duftete in ihrem neuen Domizil.
Doch Ole öffnete seine Hose, fing gleich mal an und stöhnte erleichtert auf. Das löste einen Gruppenzwang aus, dem sich kein Mann entziehen konnte, und sie alle pinkelten fröhlich in dieselbe Ecke.
Erst plätscherte es nur, doch dann begann es zu zischen und ein eigenartiger, metallisch scharfer Geruch stieg auf. Im gleichen Augenblick ging eine Alarmsirene los und erfüllte das ganze Raumschiff mit infernalischem Lärm.
»Die Schiffshülle löst sich auf«, erkannte Kleiner Mac panisch und stopfte seinen noch kleineren Mac rasch wieder zurück in die Hose. »Anscheinend sind wir zu stark oder sie zu schwach!«
»Verträgt wohl keine echte Männerpisse«, prahlte Lasse.
Doch da setzte auch schon die Sogwirkung ein, das kalte Weltall draußen zeigte sehr wohl Interesse an den echten Männern drinnen und diese klammerten sich erschrocken fest. Nun ging die Tür doch surrend auf und eine Horde Schweine stürmte herein, um zu sehen, was der Notfall war.
Eines davon wurde direkt in das Loch gesaugt, das die Wikinger in die Wand gepinkelt hatten, und diente vorerst als Pfropfen. Aber das war kein Dauerzustand. Die Weltraumschweine rannten herum wie kopflose Hühner. Solch ein Ereignis stand in keinem ihrer Handbücher, daher hatten sie keine Ahnung, was sie nun tun sollten, und quiekten panisch. Es war so laut, dass man sein eigenes Wort nicht mehr verstand, wie hätte da einer einen klaren Gedanken fassen sollen?
Doch den Wikingern genügte ein geteilter Blick, um sich einig zu sein. Dieses Problem war das der Schweine, sie wollten hier erst einmal raus. So quetschten sich die tapferen Mannen durch zur Tür und rannten los, in die Richtung, aus der die meisten Schweine kamen.
Noch immer strömten diese zu der Quelle des Alarms, ohne auch nur eine Sekunde nachzudenken. Massenpanik!
Lasse enterte den Steuerraum und starrte entsetzt auf die lila wabernde Masse vor ihnen. Wenn ihn nicht alles täuschte, dann war das der ragnaroksche Nebel – und sie waren bereits mitten darin! Offensichtlich hatten die Schweine in ihrer Panik vergessen, rechts (oder war es links?) abzubiegen, und nun war keiner da, um das Schiff zu steuern.
»Kalle! Svensson! Ole! Tut was!«, brüllte der Anführer und drückte wild auf irgendwelchen Knöpfen herum.
Nicht, dass dies irgendetwas änderte. Stattdessen bewegten sie sich weiter in den Nebel hinein. Vor ihnen tauchten riesige gelbe Augen auf, welche die Seekrieger, die sich auf langer Fahrt von der Heimat entfernen, hungrig anstierten. Mächtige Tentakel streckten sich nach ihnen aus. Die Wikinger versuchten verzweifelt, die für Schweine geschaffene Steuerkonsole zu bedienen, die richtigen Knöpfe zu finden, irgendetwas, was sie aus dieser Notlage befreien könnte.
»Wir haben uns doch nicht aus unserem Gefängnis befreit, nur um jetzt dieser seltsamen Kreatur zum Opfer zu fallen«, beklagte sich Svensson. »Das ist nicht mal eine anständige Weltenschlange oder sonst ein identifizierbares Monster!«
»Ich wollte nur noch einmal in meinem Leben einen tüchtigen Schluck Met trinken«, jammerte Ole und griff sich an die trockene Kehle. »Einmal noch.«
»Meine Großmutter hat immer gesagt …«, begann Kalle, doch weiter kam er nicht.
Denn über das Gequieke der Schweine tönte plötzlich ein Geräusch, das den Wikingern das Herz in die Hose rutschen ließ.
»Dadadadaaaada! Dadadadaaada!«, jubilierte es aus heldenhaften Frauenkehlen.
Und durch die Nebelschwaden wurde eine Kolonne Weltraumharleys sichtbar, auf denen gut genährte Matronen saßen. Sie waren in eng anliegende Lederrüstungen gewandet und trugen kugelförmige Helme auf den bezopften Köpfen, aus denen rechts und links Hörner herausragten. Sie fuhren in V-Formation und sie sangen dabei aus vollster Kehle das alte Lied der Walküren.
»Wir werden alle sterben!«, stöhnte Lasse verzweifelt und ließ schicksalsergeben die Hände sinken.
Doch Kleiner Mac war noch nicht bereit, sein Leben zu lassen. Mit blitzenden Augen und entschlossener Miene widersprach er: »Oh nein! Es ist erst vorbei, wenn die fette Dame singt!«
In diesem Moment öffnete die Anführerin der Walküren, die vorne auf dem größten und lautesten Weltraummotorrad saß, ihren Mund ganz weit, um das Ende für die tapferen Wikinger einzuläuten, und …
BOOOOM!
Wo gerade eben noch ihr rotwangiges Gesicht gewesen war, klaffte nun ein Loch im Weltraumhelm. Fassungslos starrten sich die Wikinger an und wandten sich wie ein Mann zu Kleiner Mac um.
»Ich … konnte doch nicht zulassen …«, wimmerte der, den Finger noch auf dem Knopf, der die Rakete ausgelöst hatte. Im nächsten Moment übergab er sich heftig, sodass alle angewidert zurücksprangen.
Doch die Aktion hatte die nicht ganz so tapferen Mannen tatsächlich gerettet, die Walküren zogen ab, und wo keine Walküren, da keine sterbenden Wikinger.
Kleiner Mac tippte auf ein paar Knöpfen herum. Das Raumschiff stöhnte und ächzte und drehte ab, fort von dem enttäuscht blinzelnden Tentakelmonster, in eine sichere Flugbahn.
Das wurde nun auch den Schweinen bewusst, die in Jubelstürme ausbrachen und die Wikinger ohne Umschweife von Haustieren zu Helden beförderten. Statt an der Leine zu gehen, saßen sie nun auf Podesten, verehrt und geschätzt von der Raumschiffcrew, und Lasse wurde einstimmig zum Anführer erklärt. Kleiner Mac war dazu nun wirklich nicht in der Lage und wollte das auch gar nicht.
Er freute sich viel zu sehr darüber, nun endlich ganz offiziell als Sohn seines Vaters Helmar Macsson heißen zu dürfen, und darauf, was sie noch alles erleben würden, zusammen mit den Schweinen im Weltall. Denn das war nur der Anfang. Es konnte nur noch besser werden für die Weltraumkrieger, die sich auf langer Fahrt von der Heimat entfernen.
Lea Baumgart
Lea Baumgart wurde trotz mehrmaliger Bewerbung bisher nicht bei der intergalaktischen Wikingerflotte aufgenommen. Daher widmet sie sich weiterhin bloß dem Schreiben, dem Trinken und dem Schärfen von Äxten. Außerdem studiert sie Literaturwissenschaft, um sich für die nächste Bewerbungsphase eine Zusatzqualifikation anzueignen – schließlich ist für einen wahren Wikinger nichts so nützlich wie Wissen über literarische Naturbeschreibungen im 18. Jahrhundert.
»Wikinger«, sagte der Mann und das bereits zum vierten Mal. »Wir sind Wikinger.«
Er trug einen silbernen Helm, der die Wangenknochen bedeckte. Nur die Augen lagen frei. Sie waren blau. Er hatte sich als Jarl vorgestellt. In Spek Tor war sich nicht sicher, ob es sich dabei um seinen Namen oder seine Dienstbeschreibung handelte. Möglicherweise handelte es sich auch um eine Kriegserklärung.
Er sah auf den digitalen Fragebogen in seinen Händen.
In Spek Tor war zum Prüfer geboren worden. Das war keineswegs metaphorisch gemeint. Er stammte vom Planeten Aktenzeichen 8573/6, aus der Gegend um Paragraph 3.5. Alle dort geborenen Kinder wurden Prüfer. Nach seinem Hochschulabschluss in Bürokratie hatte In Spek Tor sowohl Angebote zum Steuerprüfer, als auch zum Zollprüfer erhalten. Doch er entschied sich für das Prüfen intergalaktischer Plaketten, weil er sich davon mehr Nervenkitzel versprach. Inzwischen bereute er seine Entscheidung – hauptsächlich wegen dem ständigen Nervenkitzel.
In seinem Leben glaubte In Spek Tor an zwei Dinge: Einen lückenlosen Lebenslauf und daran, dass absolut alles im Universum klar kategorisierbar war.
»Meine Frage bezog sich nicht auf Ihre ethnische Zugehörigkeit«, präzisierte er. »Sondern auf Ihren Tätigkeitsbereich.«
Jarl blinzelte – erstaunlich langsam.
»Ich meine, bisher hat Ihr Schiff keine eindeutige Plakette erhalten. Das hier ist genaugenommen Ihre erste Überprüfung. Wozu steuern Sie fremde Planeten an? Treiben Sie Handel? Sind Sie Dienstleister? Gehen Sie der Piraterie nach? Sind Sie Politiker? Oder Krimineller?« In Spek Tor warf einen kurzen Blick auf die zur Verfügung stehenden Ankreuzmöglichkeiten und korrigierte sich: »Oh, entschuldigen Sie bitte. Die letzten beiden Kategorien werden neuerdings nicht mehr getrennt gelistet.«
»Wir sind …«, begann Jarl.
»Wikinger.« In Spek Tor beendete Jarls Satz mit einem Seufzen.
Jarl warf ihm einen Blick zu, der ihm sofort in Erinnerung rief, warum man für gewöhnlich keine Leute unterbrach. Schon gar nicht, wenn diese einen Kopf größer als man selbst waren und noch dazu zwei Äxte auf dem Rücken trugen.
»Könnte ich vielleicht mit einigen Ihrer Mitarbeiter sprechen?«, wechselte er hastig das Thema.
Jarl zuckte mit den Schultern. Er war eindeutig nicht der gesprächige Typ.
»Die Mannschaft ist unten. Ich bring Sie hin.«
Dankend nickte In Spek Tor und folgte Jarl. Dieses Arrangement war ihm nur recht. Mit seinen breiten Schultern und dem Lederwams war der Hüne nicht die Art Person, die man gerne hinter sich hatte.
Bisher hatten sie sich in einem Laderaum befunden. Hier war In Spek Tor von seinem eigenen Schiff aus an Bord gegangen. Jetzt stiegen beide eine Treppe hinunter und nach dem Durchqueren einer luftdichten Schleuse traten sie in einen Gemeinschaftsraum ein.
Die Wände waren aus glattem Metall, wie man es von einem Raumschiff erwarten würde. Die Inneneinrichtung dagegen traditionalistischer gehalten: Sie bestand auf den ersten Blick aus Holz und Tierfellen. Einen Zweiten riskierte In Spek Tor nicht. Der Geruch war bestenfalls als natürlich zu bezeichnen.
An einem langen Tisch, der sehr viel mehr Menschen Platz geboten hätte, saßen drei Gestalten.
»Der Plakettenprüfer will euch ein paar Fragen stellen«, sagte Jarl. Dann deutete er auf einen der Holzstühle. »Setzen Sie sich.«
In Spek Tor zog den Stuhl zurück und ließ sich darauf nieder. Er stellte sich als genauso bequem heraus wie In Spek Tor erwartet hatte: nämlich überhaupt nicht.
Ihm gegenüber saß eine grüne Gestalt in einer ledernen Rüstung; vermutlich männlich. Die seitlich am Kopf liegenden Augen waren die von Insekten.
»Freut mich, Sie kennenzulernen. Mein Name ist In Spek Tor und ich würde Ihnen gerne ein paar Fragen stellen, wenn ich darf.«
»Ich bin Rakh«, stellte die grüne Gestalt sich vor. Ihre Stimme war überraschend melodisch.
»Hulda«, sagte die Frau daneben.
In Spek Tor nickte ihr kurz und freundlich zu. Hulda war sehr groß und trug ebenfalls einen Helm. Sie sah aus wie Jarl, nur ohne Bart.
Die dritte Person sagte überhaupt nichts.
»Von welchem Planeten stammen Sie?«, fragte er Rakh, der ihm am nächsten saß.
»Glod«, antwortete er.
In Spek Tor machte einen Haken auf seinem Fragebogen. »Das ist gut«, sagte er. »Ich kann Ihnen eine Diversity-Plakette ausstellen. Aufgrund der hohen Diskriminierungswerte darf man an manchen Planeten ohne die überhaupt nicht mehr anlegen.« Nach einem weiteren Blick auf seine Unterlagen fuhr er fort: »Was genau ist Ihre Funktion auf dem Schiff?«
»Ich bin für die Personenakquise zuständig.«
In Spek Tor wollte sich das schon notieren, da hielt er inne. »Sie meinen Kundenakquise?«, vergewisserte er sich.
Rakh blickte ihn starr an. »Nun, eigentlich sind die Personen, die ich akquiriere, nicht unsere Kunden«, gab er schließlich zu.
»Wofür akquirieren Sie sie denn?«, hakte In Spek Tor nach. Er war sich immer noch nicht im Klaren darüber, womit die Mannschaft des Schiffes ihren Lebensunterhalt verdiente, aber er hatte das Gefühl, auf einer guten Spur zu sein.
»Wir vermitteln Sie weiter. Als Arbeitskräfte«, sagte Rakh. Der Fremde sprach jetzt langsamer als zuvor, als müsse er seine Worte sorgfältig überdenken.
»Also Sie sind ein Dienstleistungsunternehmen«, stellte In Spek Tor zufrieden fest und war bereit, einen weiteren Haken auf seinem Fragebogen zu machen. »Wie hoch ist Ihre Provision pro Vermittlung?«
»100 Prozent«, sagte Rakh.
In Spek Tor ließ das mit dem Abhaken vorsichtshalber. »Ah«, machte er. In Spek Tor überlegte, ob er darauf hinweisen sollte, dass Menschenhandel in beinahe allen Teilen der Galaxie verboten war – dachte an sein eigenes, leibliches Wohlergehen – und hielt den Mund.
Die dritte Person am Tisch knurrte.
Ganz langsam wandte In Spek Tor ihr den Blick zu. Sie war über zwei Meter groß und sehr haarig.
Die Person knurrte erneut. Diesmal tief aus der Brust heraus. Es war die Art von Knurren, die Urängste wiederaufleben ließ.
»Und was ist Ihr Fachbereich?«, erkundigte er sich höflich.
So unbequem der Holzstuhl auch sein mochte, in diesem Moment war In Spek Tor froh, dass er saß. Seine Knie fühlten sich sehr weich an.
»Berserker ist unser Berserker«, sagte Rakh.
In Spek Tor dachte eine Weile darüber nach und wusste beim besten Willen nicht, wie er das auf dem Fragebogen angeben sollte.
»Und was macht ein Berserker so?«, fragte er schließlich.
»Alle Wikinger haben einen Berserker. Er ist so etwas wie unser Diplomat«, sagte Rakh.
In Spek Tor musterte Berserker aus den Augenwinkeln und gab sein Möglichstes, ihn nicht direkt anzuschauen, um eine Provokation zu vermeiden. Vermutlich hatte er damit eine sehr diplomatische Entscheidung getroffen.
»Ah, ja?«, sagte er mit dünner Stimme und unabsichtlich als rhetorische Frage formuliert.
»Ja, wenn Leute anderer Meinung sind als wir – bei der Akquise von Personen oder Produkten – dann schicken wir Berserker, um sie zu überzeugen. Er kann wirklich sehr überzeugend sein.«
In Spek Tor glaubte ihm aufs Wort.
Berserker knurrte wieder.
»Außerdem ist er unser Küchenchef«, ergänzte Hulda.
Überrascht wandte In Spek Tor sich ihr zu. »Tatsächlich?«, hakte er nach.
»Met«, sagte eine tiefe Stimme, die wie das Dröhnen eines gigantischen Motors klang.
In Spek Tor drehte sich zurück zu Berserker und führte jede seiner Bewegungen ganz langsam aus.
»Bitte?«, fragte er schwach.
Möglicherweise hatte er sich verhört. Es konnte auch ein besonders lautes Knurren gewesen sein.
»Ich besorge Met«, sagte Berserker.
Unter all den dunklen Haaren konnte In Spek Tor keinen Mund ausmachen, der sich bewegte. Die Stimme schien irgendwo aus der Mitte des Haarknäuels zu kommen.
»Sind Sie …« In Spek Tor zögerte »… Humanoid?«
Berserker knurrte.
»Er hält die Frage für unhöflich«, klärte Hulda ihn auf.
Da In Spek Tor nicht daran gelegen war, Berserker weiter zu verärgern, wandte er sich stattdessen der Frau zu. »Und was ist Ihre Aufgabe an Bord?«, erkundigte er sich.
»Ich bin für die Finanzen zuständig«, erwiderte sie.
Diesmal versuchte In Spek Tor erst überhaupt nicht, das richtige Kästchen auf seinem Fragebogen zu finden.
»Und inwiefern kümmern Sie sich um die Finanzen?«, wollte er wissen. Er rechnete bereits mit dem Schlimmsten.
»Nun, ich führe die Bücher und stelle sicher, dass unsere Ausgaben nicht unsere Einnahmen überschreiten«, beantwortete Hulda seine Frage.
»Oh«, sagte In Spek Tor. »Und Jarl ist Ihr Kapitän? Wer ist Ihr Pilot?« Er war noch nicht über die Klassifizierung der Angestellten hinausgekommen. Da gab es noch Arbeitsklima, Mindestlohn und Zahnversicherung, über die er sich informieren musste. Allerdings hatte In Spek Tor noch nicht angekreuzt, was überhaupt der Tätigkeitsbereich der Wikinger war.
»Der Jarl ist Kapitän und Pilot. Außerdem unser Salesmanager«, sagte Rakh.
Wider besseren Wissens wollte In Spek Tor sich gerade erkundigen, wie genau sich die Position des Salesmanagers in diesem Fall definierte, als er von einer Lautsprecherdurchsage unterbrochen wurde. Trotz des metallischen Klangs erkannte er Jarls raue Stimme.
»Starte jetzt Landeanflug. Bereitmachen.«
In Spek Tor fiel auf, dass ein zusätzliches »Bitte« an dieser Stelle durchaus angebracht gewesen wäre. Das würde sich auf den Punkt Arbeitsklima auswirken. Vielleicht auch auf mannschaftsinterne Kommunikation.
»Wir sollten gehen«, beschloss Hulda und erhob sich als erste.
»Aber er startet gerade erst den Landeanflug«, gab In Spek Tor zu bedenken. Er wusste, dass es je nach Bauart und Erteilung der Landeerlaubnis bis zu zwei Stunden dauern konnte, bis ein Schiff im Hafen landete.
»Wir sind schnell mit dem Landeanflug«, sagte Hulda.
»Und meistens noch schneller mit dem Abflug«, ergänzte Rakh und stand ebenfalls auf.
Berserker knurrte rhythmisch. Es klang, als würde er lachen.
Irritiert folgte In Spek Tor ihnen die Treppe hinauf, bis er wieder in dem Laderaum stand, in dem er auch angekommen war. Plötzlich gab es einen harten Stoß, der ihn beinahe von den Füßen riss. Dann öffnete sich die Luke vor ihnen.
Helles Tageslicht fiel durch die Öffnung und In Spek Tor musste blinzeln. Es stank nach Abgasen.
Im Grunde war es seine Aufgabe, an Bord die nötigen Daten einzuholen. Da er allerdings aus der Mannschaft nicht besonders viel herausbekommen hatte, hielt In Spek Tor es für angemessen, diese zu begleiten. Wenn er diese während der Arbeit beobachtete, ließ sich vielleicht etwas über ihre Tätigkeit herausfinden.
In Spek Tor folgte ihnen die Ladefläche hinab.
Auch Jarl war inzwischen zu ihnen gestoßen und trug einen Kasten unter dem Arm. Hulda hatte eine schwere Tasche aus Leder über der Schulter hängen.
»Alles wie immer. Erledigt eure Arbeit«, sagte Jarl kurz angebunden, als die Luke sich hinter ihnen wieder schloss.
In Spek Tor betrachtete das Schiff eingehend von außen. Im luftleeren Raum bekam er zu so etwas selten die Gelegenheit.
Besonders groß war das Raumschiff nicht und außerdem erstaunlich flach. Seine aerodynamische Form hätte erklären können, warum es zu einer abrupten Landung in der Lage gewesen war. Am Heck prangte allerdings die riesige Figur eines Drachen aus glänzendem Metall und diese sah kein bisschen aerodynamisch aus.
In Spek Tor wollte nachfragen, bemerkte nun aber, dass ihn die Wikinger bereits ein beträchtliches Stück zurückgelassen hatten. Er musste sich beeilen, um zu ihnen aufzuschließen.
Bei der Steuerprüfung wäre ihm eine derartige Lauferei sicherlich erspart geblieben.
Zum Glück war es nicht weit bis zum Markt, den sie ansteuerten. Rund um jeden Weltraumhafen fanden sich Marktstände zusammen, denn die Lage war günstig für die Händler, ebenso wie für die Kunden, die nur die Zeit für einen kurzen Zwischenstopp hatten.
Als In Spek Tor bei ihnen ankam, war Jarl gerade dabei den Kasten, den er bei sich getragen hatte, auseinanderzuklappen. Wie sich herausstellte, handelte es sich dabei um einen Holztisch, der auf äußerst wackeligen Beinen stand.
Hulda hatte indessen ihre Tasche geöffnet und zog kleinere Tierfelle und gefüllte Lederbeutel hervor, die einen aromatischen Duft verströmten. In Spek Tor tippte auf Gewürze. Worauf er in Sachen Handelsgenehmigung tippte, brachte er lieber nicht zur Sprache.
Rakh und Berserker waren nirgendwo zu sehen. Zumindest in Berserkers Fall war er dafür sehr dankbar.
»Also sind Sie Händler?«, wandte In Spek Tor sich an Jarl.
Der stieß einen zustimmenden Laut aus und klang dabei nicht besonders freundlich.
Sie standen im Außenbereich des Marktes, dort wohin nur ausgewählte Kunden ihren Weg fanden.
In Spek Tor betrachtete das Warenangebot. Es schien auch nur auf einen sehr ausgewählten Kundenkreis zugeschnitten zu sein.
Dringend wollte In Spek Tor einige Fragen stellen, konnte allerdings nicht von einem offenen Gemüt der Wikinger sprechen, welches dazu einlud sie mit seiner Neugier zu behelligen.
Vor dem Stand machte jemand halt. Die Gestalt war höchstens 1,50 Meter groß, aber jeder Zentimeter davon bestand aus gedrungenen Muskeln. Im Gesicht hatte der Fremde zwei Hauer. Prüfend hob er einen der Beutel in die Höhe und schnupperte daran.
»Wie viel?«, fragte der potentielle Kunde dann.
Seine Stimme klang atemlos und höher als In Spek Tor erwartet hätte.
»100 Credits«, sagte Jarl.
Der Kunde stieß ein Grunzen aus. Es klang hämisch. Er ließ den Beutel zurück auf den Tisch fallen und verkündete: »Ist höchstens 20 wert.«
Urplötzlich hielt Hulda einen Speer in der Hand.
In Spek Tor hatte nicht gesehen, wo sie ihn hergenommen hatte, bemerkte allerdings sehr wohl, wie scharf die Spitze wirkte. Und es war die bösartige Art von scharf, schartig und gemein. Es war nicht das klinische scharf seines Küchenmessers, mit dem man Frühlingszwiebeln kleinschnitt. Das hier war das altertümliche, das wirklich Schmerzen zufügen konnte. Glücklicherweise zeigte der Speer nicht auf In Spek Tor. Der Kunde mit den Hauern hatte in dieser Hinsicht schon deutlich weniger Glück.
»150 Credits«, korrigierte Hulda.
Sehr zögerlich hob der Kunde den Gewürzbeutel wieder auf. »Ziemlich teuer«, sagte er, diesmal jedoch weitaus weniger hämisch.
»Außerdem wollen Sie noch dieses schöne Kaninchenfell hier. Auch 150. Macht zusammen 300 Credits«, informierte Jarl ihn.
Der Kunde tastete nach seinem Geldbeutel und zog ein quadratisches Display hervor. Er überwies den Betrag mit ein paar schnellen Handbewegungen. Der Rest seines Körpers rührte sich dabei kaum. Die Speerspitze zeigte noch immer direkt auf seinen Hals.
»Echte irdische Gewürze, ein Kaninchenfell und körperliche Unversehrtheit, ist doch ein ziemlich gutes Geschäft gewesen«, bemerkte Jarl und Hulda ließ den Speer sinken.
Der Kunde trat den schnellen Rückzug an.
»So machen Sie also Geschäfte«, sagte In Spek Tor möglichst unverbindlich.
»Ja«, bestätigte Hulda. »Unser Jarl ist ein guter Salesmanager. Er sorgt immer dafür, dass die Leute auch wirklich kaufen, was sie haben wollen. Und ich sorge dafür, dass der Preis passt.«
»Sie arbeiten in dieser Hinsicht sehr effizient«, stimmte In Spek Tor zu.
Er hätte sich das mit der Anstellung bei der Zollprüfung gründlicher überlegen sollen. Immerhin gab es geregelte Urlaubszeiten.
»Riecht es hier irgendwie angebrannt?«, fragte In Spek Tor nach einer kurzen Pause verlegenem Schweigen.
Jarl machte ein schnüffelndes Geräusch, nickte und begann die Ware wieder in Huldas Tasche zu verstauen.
Überrascht sah In Spek Tor ihnen dabei zu.
»Machen wir uns schon auf den Rückweg? Sie haben kaum etwas verkauft.« Obwohl die Einnahmen trotzdem mehr als reichlich gewesen waren, wie er sich eingestehen musste.
»Berserker kommt jeden Moment«, erklärte Hulda.
In Spek Tor nickte, als würde er den Zusammenhang begreifen.
Er begriff ihn tatsächlich, als Berserker im Laufschritt auf sie zukam. Unter jedem seiner mächtigen Arme trug er ein Fass. In der Ferne hinter ihm stieg Rauch auf.
»Beeilung«, sagte Jarl wie immer kurz angebunden.
In Spek Tor hielt den Vorschlag durchaus für angemessen und bemühte sich, mit den Wikingern schrittzuhalten, die wieder auf das Schiff mit der Drachenfigur zusteuerten. Die Luke war inzwischen heruntergelassen worden.
Sie eilten an Bord.
Kaum schloss sich die Luke hinter ihnen, war Jarl auch schon verschwunden. Kurz darauf lief ein erneuter Ruck durch das Schiff und In Spek Tor hatte das undeutliche Gefühl, als würden sie beschleunigen. Die Crew hatte nicht gelogen: Der Abflug erfolgte zügig.
In Spek Tor blickte auf die Fässer, die Berserker auf dem Boden abgestellt hatte.
»Was ist …?«, hob er an.
»Met«, sagte Berserker.
Nach einem Moment des Nachdenkens drehte In Spek Tor sich zu Hulda. »Sollten Sie ihn nicht nach seinen Ausgaben fragen?«, wollte er wissen.
»Oh, Berserker hat keine Ausgaben«, sagte Hulda.
Alle lachten. Alle außer In Spek Tor.
Und ein paar andere Menschen lachten auch nicht. Erst jetzt fiel ihm auf, dass neben Rakh drei Neuankömmlinge standen. Sie trugen verschmutzte Kleidung und wirkten reichlich unterernährt.
»Wer ist das?«, fragte In Spek Tor, nicht sicher, ob er es wirklich in Erfahrung bringen wollte.
»Personen, die ich akquiriert habe«, erläuterte Rakh. »Zur Weitervermittlung.«
»Sie tragen Handschellen«, bemerkte In Spek Tor.
»Es war ein schwieriger Akquirierungsprozess«, erklärte Rakh.
»Sonst noch etwas, dass ich wissen sollte?«, erkundigte sich In Spek Tor und zog seinen Fragebogen wieder hervor.
Je schneller er die Überprüfung abschloss, desto schneller konnte er das Schiff verlassen. Seiner Gesundheit konnte eine erhebliche Distanz zu diesen Leuten nur zuträglich sein.
Für einen Moment starrte er auf die erste Kategorisierung und überlegte, ob er Handel oder Kriminelle Machenschaften ankreuzen sollte.
»Ich habe die Kneipe angezündet«, sagte Berserker. »Konnte sie nicht anders überzeugen, mir den Met zu überlassen. Sehr diplomatisch.«
In Spek Tor traf seine Entscheidung. Er machte ein Häkchen hinter Kriminelle Machenschaften. Gleich darunter klappten mögliche Unterkategorien auf. Aufmerksam las In Spek Tor sie durch. Momentan schwankte er noch zwischen Diebstahl, Entführung, Brandstiftung, körperliche Gewaltandrohung und Handeln ohne gültige Lizenz. Dann sah er auf und musterte die Mannschaft noch einmal eingehend.
In Spek Tor hatte immer geglaubt, dass wirklich alles im Universum sich unzweifelhaft einer Kategorie zuordnen lassen konnte. Jemand war entweder das eine oder das andere. Aber der heutige Tag hatte seinen Glauben schwer erschüttert.
Also tat In Spek Tor etwas, das er bis dahin in seiner gesamten Laufbahn als Prüfer noch nie über sich gebracht hatte. Er klickte auf den letzten Punkt in der Liste: Sonstiges. Dahinter schrieb er in gut leserlichen Druckbuchstaben ein Wort: Wikinger.
Robert von Cube
Robert Friedrich von Cube treibt durch ein schriftstellerisches Asteroidenfeld. Nachdem er ursprünglich bloß ein kleines dreibändiges Helden-Epos schreiben wollte und ungefähr zwanzig Jahre damit verbrachte, sich darüber zu ärgern, dass er es nicht tut, entschied er sich irgendwann, nicht nur mit Shinai und Kendo-Rüstung zu kämpfen, sondern auch mit dem trickreichen und zerstörerischen Gott, der sich mal "Loki" und mal "Prokrastination" nennt.
Nachdem er also den Kampf aufgenommen hat, tat sich ein ganzes Bündel von Fronten auf, schließlich schreibt er nicht nur phantastische Kurzgeschichten, Novellen und Romane, sondern auch regelmäßig Beiträge für das Satire-Magazin Titanic und für verschiedene Blogs, insbesondere Ruhrbarone.de. Da er eigentlich hauptberuflich kein Krieger ist, sondern Psychiater, verzichtet er einfach auf Schlaf und wird voraussichtlich in Kürze vor Übermüdung tot auf dem Schlachtfeld umkippen. Das aber mit dem Schwert in der Hand.
Tausende von Zelten standen auf den Wiesen zwischen den Startbahnen des intergalaktischen Weltraumbahnhofs von Wall-Hall. Dazwischen wuselten Langhaarige, tranken große Mengen Bier und brüllten »Thor!«. Wenn einer »Thor!« schrie, mussten die anderen Bier trinken. Das war eine der ungeschriebenen Regeln auf dem Weltraumbahnhof.
Irgendwo inmitten der Startbahnen, Lautsprechertürme und umherrollenden Bierdosen stand das Zelt des alten Hasting, der als Kind noch den Krieg miterlebt hatte. Seine Enkelin Ann untersuchte gerade sein Lebenserhaltungssystem.
»Ja, schade«, sagte sie und schüttelte ihre blonden Locken. »Es beginnt dann heute mit der Abschaltung. Wir hätten längst aufbrechen sollen.«
»Du musst es doch reparieren können«, knurrte ihr Bruder Rörik. Der hagere Pessimist saß in einem Campingstuhl und schraubte an einer kleinen, tragbaren Musikanlage. Im Zelt hinter ihnen schnarchte Torkel.
»Das kann man nicht reparieren, weil es nicht kaputt ist«, belehrte ihn Ann. »Die Abschaltung ist fest einprogrammiert.« Sie ließ Hastings lange graue Haare wieder über das Bedienungs-Panel an seinem Nacken fallen.
Der Alte winkte ab. »Ich fühle mich bestens. Ich brauche das Ding sowieso nicht.«
Ann seufzte. »Großvater, du fühlst dich bestens, weil du den Lebenserhaltungscomputer hast. Ohne ihn wärst du seit 35 Jahren tot. Wie oft muss ich dir das noch erklären?«
Hasting stütze sich auf die Armlehnen und erhob sich zu seiner vollen Größe. Er schwankte etwas, bis die Postural-Stabilisatoren ihn ins Gleichgewicht gebracht hatten. »Dann sehe ich nicht ein, wieso man ihn abschalten muss!«
Ann tauschte einen resignierten Blick mit Rörik aus. Da das System jede kognitive Einschränkung kompensierte, handelte es sich um Hastings natürlichen Starrsinn und nicht um eine Alterserscheinung.
»Großvater, zum tausendsten Mal: Ich habe das nicht in der Hand. Der Ethikrat hat festgelegt, dass zusätzliche 35 Jahre für Wikinger reichen müssen. Mehr sind wir denen nicht wert.«
»Das ist ungerecht! Genau wie die Waffengesetze«, schimpfte Hasting und kam damit auf sein Lieblingsthema. »Wenn ich sterben soll, brauche ich ein Schwert. Nur wer mit dem Schwert in der Hand stirbt, kommt nach Walhalla. Das ist ein Menschenrecht. Diese Regierung tritt unsere Rechte mit Füßen!«
»Das sehe ich allerdings auch so«, sagte Rörik mit erhobenem Zeigefinger. »Es wird dringend Zeit, dass wir Widerstand leisten und dass wir uns wieder bewaffnen. Ich habe da zum Beispiel was gebaut …« Er wies auf seinen tragbaren Lautsprecher.
Hasting sah mitleidig auf die kleine Musikanlage. »Also, ich habe bei dem da mitgebaut«, sagte er und zeigte auf eine Wand, die aus einhundert mal zwanzig Vierzehner-Boxen bestand. Die Besucher von Wall-Hall lieferten sich nämlich einen zweifelhaften Wettkampf mit den Spaceshuttles, die (sofern kein Betrunkener auf der Startbahn lag) im Viertelstundentakt von Wall-Hall abhoben und landeten. Die Wette ging darum, wer lauter war: die Motoren der Raumschiffe oder der Deathmetal aus den Lautsprechern.
»Es geht hier nicht um Watt«, sagte Rörik beleidigt, »sondern um Präzision. Und wenn ihr wüsstet, was ich dafür ergattert habe …«
»Jaja«, unterbrach ihn Ann, »jetzt geht es aber um Großvater und wie er sein Schwert bekommen kann.«
Hasting verkündete feierlich: »Ich gehe auf den Museumsplaneten und nehme mir das Schwert des Ragnar, bevor ich sterbe.«
Rörik versenkte resigniert den Kopf in den Händen. »Das haben wir verstanden, Großvater«, drang gedämpft seine Stimme durch die Finger, »aber wir warten seit vier Monaten auf das verdammte Shuttle dorthin.«
»Wir brauchen einen Trick, Kinder«, sagte Hasting entschlossen. »Wir müssen an Bord eines Shuttles gelangen. Lasst uns listenreich wie Loki sein, mutig wie Thor!«
»Thor!« Alle drei wendeten sich um. Torkels Kopf erschien im Zelteingang, Haare und Bart vom Schlaf zerzaust. Er reckte eine Bierdose in die Höhe. Dann unternahm er den Versuch, gleichzeitig zu trinken und gebückt das Zelt zu verlassen. »Thor!«, brüllte er erneut, als er vor dem Eingang zwischen leeren Dosen lag.
»Thor!«, seufzten Hasting, Rörik und Ann gemeinsam und öffneten jeder ein frisches Bier.
Dann winkte Hasting seine Enkel zu sich. Sie stellten sich im Kreis auf, legten die Arme umeinander und steckten die Köpfe zusammen.
»Kinder«, sagte der Alte, »das Volk der Wikinger wird wieder groß werden. Wir werden wieder Krieger sein, Schwerter tragen und ein eigenes Sonnensystem beherrschen, wie einst. Odin wird stolz auf uns sein und seine Walküren werden sich an uns schmiegen, mit ihren üppigen Brüsten, sinnlichen Lippen und den prallen, kräftigen Schenkeln …«
»Großvater!«, ermahnte ihn Ann.
»Entschuldigung. Die Walküren werden uns nach Walhalla geleiten, welches 500 Tore besitzt, jedes breit genug, dass 800 Krieger gleichzeitig hindurchschreiten können. All das beginnt heute, weil wir ein Shuttle entern und Kurs auf den Museumsplaneten nehmen werden. Weil ich, Hasting vom Volke der Wikinger, mir das Schwert des Ragnar zu eigen mache, bevor ich sterbe! Unser Beispiel wird ein Leuchtfeuer der Erhebung sein. Tausende werden uns folgen. Abertausende in den Krieg ziehen. Heute beginnt es. Heute, da wir mit unnachgiebiger Gewalt das Schiff erobern werden, welches uns zum Schwert des Ragnar bringt!« Hasting schritt zurück und breitete die Arme aus. Er zitterte. Sein Blick schweifte in die Ferne. Die Druckwelle einer nahestehenden Soundanlage ließ seine Haare flattern.
»Die Abschaltsequenz beginnt mit der Cochlea-Verstärkung«, sagte etwas in seinem Nacken.
»Wir werden also«, flüsterte Torkel mit Tränen der Ehrfurcht in den Augen, »ein Schiff kapern?«
Hasting sagte nichts. Er blickte noch immer zum Horizont und darüber hinaus, vielleicht bis in Odins Halle.
»Ähem«, machte Torkel. »Wir werden also ein Schiff kapern?«
Hasting schaute auf die Festgelage und Schaukämpfe und den Gott auf seinem Thron.
»WERDEN WIR EIN SCHIFF KAPERN?«, brüllten Torkel und Rörik gemeinsam.
Der Alte sah sie verwirrt an. »Was wollt ihr mit frischen Kapern? Wir werden jetzt ein Schiff entführen, kommt!« Erhobenen Hauptes setzte er sich in Bewegung.
Ann machte hinter seinem Rücken lautlose Mundbewegungen und wies auf ihre Ohren. Rörik nickte verstehend. Torkel drehte ihr als Antwort eine lange Nase.
Sie waren einige Meter gegangen, als ihnen ein Bragi den Weg abschnitt. Bragis waren kleine, fahrende Kisten, die Fluggäste zu ihren Maschinen geleiteten.
»Ihr Flug ist soeben genehmigt worden«, sagte der Bragi. »Bitte folgen Sie mir zu Tor 21.«
»Thor!«, brüllte Torkel und riss eine Bierdose aus seinem Rucksack.
»Thor …«, seufzte Rörik und tat es ihm nach.
»Tor 21«, erläuterte Ann.
»Seid mal still«, sagte Hasting und hob die Hand, »vielleicht will dieses Ding uns etwas sagen.«
Ein paar Stunden später saßen sie auf ihren Plätzen im Weltraumshuttle. Hastings Sauerstoffmodul hatte sich zwischenzeitlich abgeschaltet, sodass er nur noch schwer Luft bekam.
»Es …«, keuchte er »… bleibt uns nicht viel Zeit. Ich merke jetzt, wie alt mein Körper wirklich ist. Bei Odin, ich brauche mein Schwert. Und dann gehe ich zum Göttervater, der der Sohn Börrs ist, der wiederum der Sohn Buris ist, der von der Urkuh Audhumla aus dem Eis geschleckt wurde.«
»Welche Sorte?«, fragte Torkel.
»Wie bitte?« Hasting versuchte mit zittrigen Händen, das Tablett aus der Rückenlehne des Vordersitzes zu lösen. Eine Stewardess erschien mit ihrem Servierwagen und half.
»Was für eine Sorte Eis das war?«, rief Torkel.
Hasting versetzte ihm eine schallende Ohrfeige. »Das war doch kein Speiseeis, du Tor!«
Torkel hielt sich die Wange und machte sich klein. »Thor«, sagte er kleinlaut. »Bitte Bier, Fräulein.«
»Sehr gerne.« Die Stewardess nickte und öffnete eine Schublade in ihrem Wagen. »Welche Sorte?«
»Jetzt fängt die auch noch an«, schrie Hasting und hob die Hand. Ann hielt ihn fest und sprach beruhigend auf ihn ein. Als er eine – wenn auch winzige – Dose Bier bekommen hatte, wurde der Alte wieder sanfter. »Börr heiratete die Riesin Bestla und ihre Söhne waren Odin, Vili und Ve.«
»Was du alles weißt, Großvater«, sagte Rörik gelangweilt.
»Du solltest seine Geschichten mehr schätzen«, ermahnte ihn Ann. »In ihm sind unsere Überlieferungen erhalten. So viel ist vergessen, über die Zeiten unserer Herrschaft. Dieses Wissen, einhergehend mit unserer heutigen Tat, wird das Volk der Wikinger zu neuer Größe führen!«
»Kognitionsstabilisatoren abgeschaltet«, informierte der Lebenserhaltungscomputer in Hastings Nacken.
»Scheiße«, sagte Ann.
»Thor!«, sagte Hasting ohne erkennbaren Grund.
»Thor!«, riefen Rörik und Torkel und bestellten neues Bier.
Ann untersuchte Hasting. »Er kriegt sehr schlecht Luft. Und wer weiß, was aus seinem Gedächtnis geworden ist. Großvater: Wo sind wir?«
Der Alte sah sie ausdruckslos an.
»Wo sind wir?«
»Hosentier?«
»WO WIR SIND!«
»Ähmm …«, antwortete Hasting und blickte sich um. »Das weiß ich! Selbstverständlich: Wir sind hier!«
Ann kniff die Lippen zusammen und fragte dann: »Wie alt bist du, Großvater?«
»Achtzehn.«
»Achtzehn? Überleg mal. Meinst du, du bist jünger als ich?«
»Junge Dame, ich weiß doch nicht, wie alt Sie sind.«
Ann seufzte und warf einen hilflosen Blick zu ihren Brüdern.
Hasting spielte mit der leeren Bierdose auf seinem Tablett. Er steckte seinen Finger in die Öffnung und bekam ihn nicht mehr heraus. »Thor«, sagte er.
»Thor!«, riefen Torkel und Rörik.
»Sie haben jeder 14 Dosen Bier getrunken«, erläuterte die Stewardess, während das Shuttle die labyrinthösen Wege über das Rollfeld des Museumsplaneten nahm, »und die müssten Sie jetzt bezahlen.«
»Ja schon«, druckste Torkel herum, »es ist bloß so, dass die Tickets sehr teuer waren und unser Konto …«
Einige Passagiere erhoben sich und kramten, entgegen aller Durchsagen, die zum Sitzenbleiben aufforderten, ihre Taschen hervor.
»Ich habe Geld«, behauptete Rörik. »In meiner Tasche da vorne. Ganz da vorne. Hier war kein Platz mehr, verstehen Sie?«
»Aber hier ist doch noch jede Menge Platz …«, widersprach die Stewardess. »Heh, bleiben Sie bitte sitzen, bis das Shuttle seine endgültige … ja leckt mich doch!«
»Uller«, sagte Hasting, während er von Ann hinter Rörik her in den Gang geschoben wurde. »Gott des Winters.«
»Aber klar, Großvater.« Rörik lehnte sich zu seinen Geschwistern. »Wir müssen hier irgendwie raus«, raunte er.
»Tyr«, rief Hasting.
»Zur Tür! Er hat recht.«
»Und dann?« Ann verdrehte die Augen.
»Dann sehen wir weiter.« Rörik stellte sich auf die Zehen, um über die Köpfe der Passagiere zu blicken, die sie zwischen sich und die Stewardess gebracht hatten. »Die Bierschubse kümmert sich schon nicht mehr um uns«, versicherte er den anderen. »Sie spricht in ihr Funkgerät.«
»Beruhigend«, stöhnte Ann.
»Ratatöskr«, murmelte Hasting.
»Was will er jetzt mit Gemüse?«, fragte Torkel.
Hasting ließ seine Hand über Anns Rücken huschen, hoch und wieder herunter. »Das Eichhörnchen bringt die Nachrichten.«
»Jetzt ist er völlig durchgedreht«, seufzte Rörik.
Endlich kam das Shuttle zum endgültigen Halt und öffnete die Türen.
Die drei Wikinger drängten sich und ihren Großvater heraus, stolperten die Gangway herunter und rannten, so schnell es mit dem Alten im Schlepptau möglich war, in Richtung der Zollabfertigung.
»Wie weit seid ihr bereit zu gehen?«, fragte Rörik zwischen zwei Atemzügen.
»Bis zum Tod und bis nach Walhalla!«, rief Torkel.
Vor ihnen formierte sich eine Truppe Grenzsoldaten, um sie in Empfang zu nehmen.
»Ann?« Rörik kramte in seinem Rucksack, während er rannte.
Ann zog Hasting mit sich. Sie sah, wie Rörik Kabel, Gerätschaften und Lautsprecher aus seiner Tasche zog. »Das funktioniert doch sowieso nicht«, rief sie.
»Ich habe es verbessert.« Rörik kam keuchend zum Stehen. Acht Soldaten mit Gewehren standen ihnen gegenüber. »Und ich habe es mit Deadly Death geladen.«
»Wo hast du das her?«, fragte Ann ehrfurchtsvoll.
»Ist doch egal.« Rörik schaltete die Anlage ein und schnallte sich die beiden Lautsprecher auf seine Hände, so dass er sie wie Waffen vor sich halten konnte. »Bist du bereit, so weit zu gehen, Ann?«
»Rig«, sagte Hasting.
»Ja, verdammt«, schrie Rörik. »Das tödlichste Rig! Stellt euch hinter mich!«
»Erst nannte er sich Heimdall, dann nannte er sich Rig.«
»Heben Sie die Hände. Sie sind festgenommen. Bitte leisten Sie keinen Widerstand.« Die Soldaten kamen näher.
Torkel und Ann hoben die Hände. Rörik hob die Boxen. »Soll ich es tun?«, zischte er.
»Die Demütigung beenden. Die Wikinger zu neuer Größe führen. Ja, tu es«, flüsterte Ann mit Tränen in den Augen.
»Yggdrasil«, sagte Hasting.
»Ann«, rief Torkel, »ich glaube, Großvater hat sich verschluckt.«
»Halten Sie die Hände oben. Wir werden Sie jetzt durchsuchen.«
Ann schaute nach Hasting. »Nein, er spricht bloß.«
»Der Weltenbaum«, erläuterte Hasting. Dann zeigte er auf die näherrückenden Soldaten. »Wer sind die Herren?« Die Antwort ging in Deathmetal unter. Rörik hatte Play gedrückt.
Seine Anlage war so konstruiert, dass sie den Schall weitgehend nach vorne projizierte und der Träger verschont blieb. Das war Röriks Anteil an dieser Waffe. Aber die Gefahr ging von Deadly Deaths