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Ich schließe den Kreis. Ich verbinde die Gemeinschaft. Lucys Vertrauen in sich und alle anderen ist erschüttert. Die Erwartungen an sie sind hoch und die Dunkelheit streckt die Klauen nach ihr aus. Kann Lucy sich ihren Verbündeten, ihrer Bestimmung und ihrem Schutz gleichermaßen widmen? Tristan taucht in Maiden Castle in die Geschichte der Seher ein. Schnell steht fest: Auch er muss sich vor der Dunkelheit schützen. Wird ihm das gelingen? Kann er Lucy helfen, wieder auf sich zu vertrauen? Sind seine Visionen klar genug, um die drohende Gefahr rechtzeitig zu erkennen? Band 2 der Vollmondkind Saga
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Seitenzahl: 520
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Für lebenslange Freunde. Ihr seid mein Fels in der Brandung. Euch immer an meiner Seite zu wissen, ist das wertvollste Geschenk. Danke für einfach alles.
Liebe*r Leser*in,
vielen Dank, dass du dich für mein Buch entschieden hast. Damit du die Geschichte von Tristan und Lucy bestmöglich genießen kannst, gibt es hier eine Themenübersicht, was dich in meinem Roman erwartet. Entscheide bitte für dich selbst, ob du diese Inhaltswarnung liest, da sie auch ein Spoiler für die Geschichte ist.
„Vollmondkind – Schutz suchen“ enthält Passagen zu Mord-und Selbstmord(-Gedanken), Drogenkonsum, Sexismus und Misogynie, Stalking und Verfolgung, Platzangst und Erwähnung von Depressionen.
Bitte gehe zu jeder Zeit achtsam mit dir um. Falls es dir nicht gut geht, finde jemanden, dem du vertrauen kannst. Suche Schutz und hole dir Hilfe.
Ich wünsche dir nun viel Spaß mit meiner Geschichte.
Alles Liebe Deine Kerry
PROLOG
KAPITEL 1
KAPITEL 2
KAPITEL 3
KAPITEL 4
KAPITEL 5
KAPITEL 6
KAPITEL 7
KAPITEL 8
KAPITEL 9
KAPITEL 10
KAPITEL 11
KAPITEL 12
KAPITEL 13
KAPITEL 14
KAPITEL 15
KAPITEL 16
KAPITEL 17
KAPITEL 18
KAPITEL 19
KAPITEL 20
KAPITEL 21
KAPITEL 22
KAPITEL 23
KAPITEL 24
KAPITEL 25
KAPITEL 26
KAPITEL 27
KAPITEL 28
KAPITEL 29
KAPITEL 30
KAPITEL 31
KAPITEL 32
KAPITEL 33
KAPITEL 34
KAPITEL 35
KAPITEL 36
KAPITEL 37
KAPITEL 38
KAPITEL 39
KAPITEL 40
EPILOG
„Fahren wir im Sommer ans Meer?“, fragt Vivienne, meine jüngere Tochter. Es ist ihr Lieblingsthema der letzten Monate.
Ich atme tief durch, um meinen Ärger herunterzuschlucken, der wie eine schwarze, ölige Masse schon den ganzen Tag in mir brodelt. „Wie du weißt, ist es dieses Jahr nicht so einfach. Abgesehen von der Corona-Lage überall auf der Welt haben wir nicht das Geld für einen Sommerurlaub am Meer. Aber wir fahren im Herbst an die Ostsee.“
„Immer diese Ostsee“, sagt sie und rollt mit den Augen, obwohl sie weiß, dass sie mich damit fuchsteufelswild macht. „Ich will im Meer schwimmen. Das kann man im Oktober vergessen.“
„Vielleicht können wir diesen Sommer darüber reden“, antwortet mein Mann.
Der Vorschlag sorgt dafür, dass Viviennes Augen leuchten. Sie grinst breit und ignoriert die Verblüffung, die sich auf meinem Gesicht ausbreitet. „O ja, Papa, ich will nach Spanien, in die Karibik, auf die Malediven … egal, Hauptsache Strand, Palmen und Meer.“ Sie klatscht in die Hände und ich könnte schwören, in Gedanken packt sie schon die Koffer.
Doch die Antwort ihres Vaters wischt die Glückseligkeit aus ihrem Gesicht.
„Ich dachte an England. Die Isle of Portland ist sehr idyllisch und bei gutem Wetter kann man im Atlantik schwimmen. Linda und Jeremy fragen seit Jahren, wann wir wieder zu Besuch kommen“, fügt er in meine Richtung hinzu.
Während des Abendessens diskutiert Vivienne mit ihm, warum nach England und nicht ans Mittelmeer. Ich bin mit meinem Kopf in Maiden Castle bei Linda und Jeremy White. Wir haben ihnen eine Menge zu verdanken. Sie sind im Laufe der Jahre trotz der Entfernung enge Freunde geworden. Wir haben uns viel zu lange nicht mehr gesehen. Abgesehen davon ist mir bewusst, welche Hintergedanken meinen Mann zu seinem Vorschlag gebracht haben.
Entgegen seiner Hoffnung und ungeachtet aller guten Wünsche hat sich meine Lage in den letzten Wochen nicht verbessert. Im Gegenteil: Das dunkle, bedrohliche Schweigen umfängt mich immer mehr. Ich versinke darin. Zeitweise fehlt mir die Kraft, dagegen anzukämpfen, und manchmal der Wille. Ich mache die Sache so gut es geht mit mir allein aus. Wie soll ich auch beschreiben, was in mir vorgeht? Es gibt keine Worte, die diesem Monster ansatzweise gerecht werden. Ich will niemanden mit Aufgaben belasten, die von vorneherein unlösbar sind. Zudem ist das Risiko für alle anderen zu groß, zu Schaden zu kommen. Ich ziehe mich zurück, erzähle nur das Nötigste und vermeide Kontakt. Meine mentalen Verbindungen sind gekappt. Ich werde zur Einzelkämpferin.
In meinen dunkelsten Momenten weiß ich nicht mehr, gegen wen ich angehen soll. Denn meinem engsten Umfeld entgeht nichts. Sie suchen nach einer Lösung, einem Heilmittel oder irgendeiner Art von Ausweg. Es gibt einzelne Ideen, potenzielle Ansätze und viel blanke Theorie, was man ausprobieren könnte. Ich schwanke zwischen unbeugsamem Kampfgeist und verzweifelter Kapitulation. Meine Vertrauten sind entschlossen. Bislang können sie aber nur hilflos dabei zusehen, wie sich die Dinge verschlimmern.
Es gibt also mehrere Gründe für einen Urlaub auf Maiden Castle. Auch wenn es zu einfach wäre, so springt doch ein Hoffnungsfunke auf mich über. Für einen Moment erlaube ich mir den Gedanken, dass Jeremy und Linda uns helfen können.Dafür müssen wir ihnen allerdings erklären, warum wir nach all den Jahren auftauchen. Wenn es überhaupt funktioniert. Schließlich sind die Grenzen auf der ganzen Welt dicht, im Bestreben, die globale, unsichtbare Bedrohung namens Corona-Virus einzudämmen. Was zählt da meine persönliche unsichtbare Bedrohung?
„Ich schreibe Jeremy eine Mail.“ Ich habe versprochen, nicht aufzugeben. Wenn es eine Möglichkeit gibt, dass man uns in Maiden Castle helfen kann, sollten wir diese nutzen. Fragen kostet nichts.
„Ja, mach das“, antwortet mein Mann. „Zum Glück ist das heutzutage so einfach und schnell. Das hätten wir damals auch gebraucht.“
„Stimmt, aber wir hatten unseren eigenen Nachrichtendienst.“ Ich zwinkere.
Die anderen räumen den Tisch ab und diskutieren weiter, ob sich England als Reiseziel qualifizieren kann. Ich jedoch denke an die Zeit zurück, als mein Schicksal schon einmal bei Linda und Jeremy in Maiden Castle entschieden wurde.
„Ich bin enttäuscht, Claire, sehr enttäuscht.“
Die kalte Stimme zerschneidet die Dunkelheit dieser Neumondnacht. Ich fahre herum. Was habe ich auch jetzt nach draußen gehen müssen?
Seit meiner Rückkehr von diesem spektakulären Ritual an Lughnasadh habe ich mich vor dem Zeitpunkt gefürchtet, wenn ich mich der Dunkelheit würde stellen müssen. Dass er mich ausgerechnet an Neumond aufsuchen würde, habe ich mir aber nicht träumen lassen. Vielleicht wäre ich besser nach Paris zu meiner Schwester geflüchtet. Zumindest für einige Wochen, bis sich die Aufregung und seine Wut gelegt hätten.
Für diese Überlegungen ist es zu spät. Trotzdem versuche ich, seine Umrisse in der Nacht ausfindig zu machen. Der Schalter für die Terrassenlampe ist drinnen angebracht. Ich habe keine Chance, für Licht zu sorgen oder ins Haus zu flüchten.
Hat er mir aufgelauert? Wie viele Nächte stand er dort schon, bis ich unvorsichtig wurde?
Vorhin habe ich nicht an die Gefahr gedacht und mitten in der Nacht mein sicheres Haus verlassen. Ich wollte kurz frische Luft schnappen, nachdem ich aus einem Alptraum aufgeschreckt bin. Hatte er etwas mit meinem Traum zu tun? Möglich wäre es.
„Hör auf, dein hübsches Köpfchen unnötig anzustrengen.“
Fröstelnd verschränke ich die Arme, doch es hilft nichts. Die Kälte, seine Kälte, kriecht durch jede Faser meines Körpers.
„Claire, was zum Teufel war los? Es war deine Aufgabe, dieses Ritual zu verhindern. Lucy sollte nicht in den Kreis der Mondkinder aufgenommen werden. Was war daran so schwer?“
„Ich … also …“ Ich zwinge mich, meine zitternden Glieder unter Kontrolle zu bekommen. „Das Ritual auf dem Drywon-Beinn an Lughnasadh war nicht für Lucy, sondern für Tristan. Lucy hatte ihres an Beltaine und war schon Teil des Kreises, als ich dort ankam.“
„Unmöglich“, ruft er, „du lügst! Tristan ist der kleine Neffe von Alexander. Warum sollte er ein Ritual bekommen?“
„Neffe hin oder her, er ist ein Mondkind. Ein Besonderes noch dazu.“ Ich klinge mutiger, als ich mich fühle.
Schon länger habe ich Angst, dass sich Vincent von Grafenstein gegen mich wenden könnte. In der Vergangenheit ist es vorgekommen, dass Weggefährten plötzlich verschwanden. Entweder, weil sie es wagten, seine Ansichten infrage zu stellen, oder ihm für seine dunklen Machenschaften nicht mehr nützlich waren.
Ich bin fest entschlossen, für meine Sicherheit zu sorgen. Niemals soll er an meiner Loyalität zweifeln. Auch wenn ich weiß, dass ich für ihn nur eine Handlangerin bin. Ein unbedeutendes Werkzeug verglichen mit seiner umfassenden Macht.
Genau jene Macht, die ich von Anfang an faszinierend fand. Ich würde alles tun, um zu seiner engen Gefolgschaft zu gehören. In den Tagen auf dem Drywon-Beinn habe ich versucht, als Teil einer anderen Art von Gemeinschaft zu erscheinen. Bislang ist es nützlich gewesen, die Fassade aufrechtzuerhalten. So kam ich stets an Informationen, die meinen Stellenwert bei Vincent sichern konnten. Doch nach meiner heimlichen Abreise mitten in der Nacht ist meine Deckung aufgeflogen. Mit meinem Diebstahl habe ich mir den Weg zurück in den Kreis der Hüter unwiderruflich verbaut.
Nun muss ich das Beste aus der Lage machen, in die ich mich manövriert habe. Ich brauche einen Plan, um Vincent meine Nützlichkeit zu beweisen. Aber Überlegungen dieser Art sollten warten, bis ich die akute Gefahr abgewendet habe.
„Willst du mir sagen, dass Alexander zwei Mondkinder bei sich hat?“
„Ja, er hat Lucy und Tristan in seiner Obhut. Wir wissen, was Lucy ist, aber sein Neffe ist auch nicht zu unterschätzen. Er ist ein Seher.“
„Das kann nicht sein. Ich wüsste es, gäbe es einen aktiven Seher. Du willst mich nur von deinem Scheitern ablenken. Ich habe dich mit einem klaren Auftrag dorthin geschickt: Es darf kein Ritual geben.“
„Ich hatte keine Chance, das Ritual zu verhindern, glaub mir! Ich habe Lucys Vertrauen gewonnen und hatte sie fast so weit, dass sie sich von Alexander abwendet. Ich hätte nur ein oder zwei Tage mehr gebraucht und sie wäre mit mir nach Vix gereist. Ich werde es weiter versuchen. Ich habe schon einen Plan.“
„Spar dir deine Pläne. Wenn ich das richtig sehe, stehst du mit leeren Händen vor mir.“
Die Wut in seiner Stimme brodelt dermaßen, dass die undurchdringliche Schwärze eine Sekunde lang aufreißt. Er steht dicht vor mir. Unwillkürlich mache ich einen Schritt nach hinten. „Stopp! Bleib, wo du bist!“
Die Dunkelheit verdichtet sich wieder. Wie festgefroren verharre ich an Ort und Stelle.
„Konntest du überhaupt etwas ausrichten oder habe ich die falsche Wahl getroffen, als ich dachte, du wärst nützlich?“
„Ich habe ihre Unterlagen mitgenommen. Wenn du seine Zeichnungen siehst, wirst du mir glauben.“ Ich atme tief durch. „Du hattest recht mit Lucy und Alexander. Sie haben zu den Vollmondkindern recherchiert.“
Auch ohne sein Gesicht zu sehen, kann ich mir sein siegessicheres Grinsen vorstellen. Ja, er lag richtig mit seinem Verdacht, Lucy könnte das nächste Vollmondkind sein. Doch er weiß nicht, dass sie das siebte Vollmondkind ist. Ich werde dieses Wissen zunächst für mich behalten. Diese Karte kann ich ausspielen, sollte es nötig werden. „Soll ich dir die Unterlagen holen?“, frage ich. „Möchtest du hereinkommen? Kann ich dir etwas anbieten?“
„Ich nehme mir, was ich brauche.“
Die Dunkelheit wird zu einer wabernden Masse. Ich bekomme keine Luft mehr. Es dauert nur Sekunden, bis ich das Bewusstsein verliere.
Als ich aus meiner Ohnmacht erwache, liege ich noch immer auf meiner Terrasse. Im Dämmerlicht erkenne ich die Umrisse des Gartens und die angelehnte Terrassentür. Auf allen vieren schleppe ich mich ins Haus und verriegele die Tür. Viel zu spät.
Ich hangele mich an der Couch entlang zu meinem großen Schreibtisch, auf dem alle Unterlagen durcheinanderliegen. Einige Bücher und lose Blätter sind auf den Boden gefallen. Mit zitternden Fingern durchsuche ich jeden Papierstapel. Bis zuletzt hoffe ich, dass er zumindest einen kleinen Schnipsel als Andenken dagelassen hat.
Vergeblich. Vincent von Grafenstein hat sich Lucys Unterlagen und Tristans Zeichnungen geholt.
Ich sitze auf meinem Bett und starre in die Schwärze um mich herum. Meine Knie habe ich an meinen Oberkörper gezogen und umschlinge sie mit den Armen. An meinem Bauch liegt ein Stapel mit Briefen.
Tristan ist seit knapp zwei Wochen in Maiden Castle bei Jeremy und Linda. Er fehlt mir unglaublich, seine Nähe, seine Wärme und seine Unterstützung. Die ersten Tage nach seiner Abreise fühlte es sich an, als sei ein Teil von mir abhanden-gekommen.
Wir hatten direkt nach Lughnasadh angefangen, unsere telepathische Verbindung zu trainieren und zu stärken. Haben uns immer länger über größere Entfernungen hin unterhalten und dennoch war ich unsicher, ob wir diese weite Strecke meistern würden. Nach ein paar Tagen mit kleineren Anlaufschwierigkeiten und einer Nacht, in der uns der Mond Hilfe in die Eulenanhänger geschickt hat, funktioniert es mittlerweile problemlos.
Trotzdem bekomme ich fast täglich Post von meinem Freund und hüte jede einzelne Seite wie meinen wertvollsten Schatz. Als tägliches Mantra wiederhole ich all die vernünftigen Argumente, warum er das Angebot seines englischen Hüters Jeremy annehmen musste. Doch manchmal gelingt es mir nicht, mich selbst zu überzeugen.
Heute Abend ist es besonders schlimm. Morgen beginnt das neue Schuljahr. Zu meiner Sehnsucht nach Tristan gesellt sich die Angst, wie mir Natascha gegenübertreten wird. Immerhin muss ich mir nicht auch noch wegen Noel Gedanken machen. Bei meiner Rückkehr vom Drywon-Beinn fand ich seinen Brief, in dem er mich über seinen Umzug nach London informierte. Ich bin froh, dass es mir erspart bleibt, ihm jeden Tag in der Schule zu begegnen.
Leider habe ich dieses Glück bei meiner ehemals besten Freundin Natascha nicht. Aber Sue und Ella werden an meiner Seite sein und mir den Rücken stärken, so wie sie es in den letzten Wochen vor den Sommerferien getan haben.
Bevor sich morgen mit dem ersten Schultag ein neues Buch öffnet, muss ich ein Kapitel zu Ende bringen, das mich seit unserem Ritual nicht loslässt. Ich richte mich auf, lehne den Rücken an die Wand und strecke die Beine vor mir aus. Ein letztes Mal streiche ich sanft über den Stapel, bevor ich die Briefe vorsichtig zur Seite lege. Meine linke Hand wandert instinktiv zu meinem Eulenanhänger.
„Mond?“
„Ich bin hier, Lucy. Es ist an der Zeit, deine Fragen zu beantworten.“
Ich hole tief Luft und stelle die erste Frage, die mir seit Lughnasadh auf der Seele brennt: „Kannst du mir die Energie während des Rituals erklären? Du hast gesagt, sie kommt aus der Erde. Was meinst du damit?“
„Unter dem Ritualplatz verläuft eine Kraftader. Du hast sie gespürt, als du mit Urs nach dem richtigen Platz gesucht hast. Während eines großen Rituals schicke ich zwar das Mondlicht, aber die eigentliche Energie kommt aus dieser Kraftader. Die beiden bündeln sich und ergeben die Macht, die du in dir hattest.“
„Deshalb musste ich die Energie wieder an den Boden abgeben?“
„Genau. Es war zu viel für dich.“
„Warum konnte ich es nicht zu Urs, Rudi und Alexander schicken? Am Mittag kamen sie mit damit doch gut klar.“
„Beim Schutz, den sie mittags gelegt haben, wurde schon eine große Menge Energie freigesetzt. Die drei waren an der Grenze dessen, was sie aufnehmen und weiterleiten können. Du darfst nicht vergessen, sie sind nur Hüter und keine Vollmondkinder.“
„Und die anderen Hüter?“
„Jedes Mondkind hat neben seiner offensichtlichen Fähigkeit noch eine Verbindung zu einem der vier Elemente. Sie spielen während des Rituals eine maßgebliche Rolle, nicht nur in den Formulierungen. Mondkinder mit einer Affinität zu Erde und Feuer können Energien einer Kraftader spüren und leiten.“
„Da ich sie leiten konnte, habe ich also Feuer oder Erde, richtig? Warum war es unmöglich, sie direkt wieder in die Kraftader zurückzulenken?“
„Du als Vollmondkind vereinst alle Elemente in dir. Deine Reaktion am Mittag war der Beweis, dass du bereits einen sehr starken Zugang zu unserer Kraftader hast. Daran lag es nicht. Ich gehe davon aus, dass du die Energie, zumindest zum jetzigen Zeitpunkt, nur in eine Richtung fließen lassen kannst. Da du das Licht von dir zu Tristan geleitet hast, konntest du auch den Überschuss nur von dir weg zu jemand anderem schicken, anstatt direkt wieder in die Erde zurück.“
„Dafür brauchte ich jemanden mit Erde oder Feuer. Was ist mit den anderen? Luft und Wasser?“
„Die können die Energie zwar im Rahmen eines Rituals aufnehmen, aber nicht abgeben. Deshalb konntest du es nicht zu Claire, Alois und Jeremy schicken.“
„Sam ist …“
„Feuer.“
Klar. Was auch sonst?
„Welches Element hat Tristan?“
„Sein Element ist Luft, wie bei fast allen Sehern.“
„Das macht auf jeden Fall Sinn.“
Wir sind von meiner eigentlichen Frage abgekommen. Deshalb nehme ich mir einen Augenblick Zeit, um die Informationen zu verdauen. „Sam konnte die Energie zurück in den Bodenleiten, weil er als Element Feuer hat. Die anderen Hüter kamen aus verschiedenen Gründen nicht infrage. So weit, so gut. Aber warum konnte ich Sam hören? Woher kam die Verbindung, noch bevor er die Energie von mir bekommen hat?“
„Das ist eine gute Frage.“
„Danke.“
Der Mond lacht. Ich weiß, durch meine innere Anspannung mache ich es ihm gerade nicht leicht. Ironie ist mein Ausweg, um nicht zu verzweifeln.
„Ich habe drei Erklärungen dafür. Wie du weißt, fließt während eines Rituals so viel Mondenergie, dass ich zu diesen Anlässen mit den Hütern Kontakt aufnehmen kann.“
„Wie mit Alexander an Beltaine?“
„Genau.“
„Aber Sam war nicht Teil des Rituals. Er befand sich außerhalb unseres Kreises. Stand er zufällig ebenfalls auf der Kraftader?“
„Gut kombiniert. Zudem hatte er eine identische Elemente-Kette. Sie hat die Basis geschaffen, dass du zu ihm durchdringen konntest.“
„Sam hat mit mir Kontakt aufgenommen. Er hat gesehen, dass es zu viel wurde, und seine Hilfe angeboten. Woher wusste er, dass er damit umgehen kann? Wie konnte er mich erreichen?“
„Erinnerst du dich an die äußerst seltene astronomische Konstellation am Tag deiner Geburt?“
„Natürlich. Damit hatte Alexander einen Hinweis, dass ich das gesuchte Mondkind bin.“
„Genau. Sagt dir das Phänomen der Doppelsterne etwas?“
„Nein.“
„Es gibt verschiedene Doppelsternsysteme an unserem Himmel. Sie liegen so eng beieinander, dass sie aus der Ferne oft als Einheit angesehen werden. Ihr eigenes Gravitationsfeld ist so stark, dass sie sich gegenseitig umkreisen.“
„Lass mich raten. An Sams Geburtstag standen die gleichen Sterne in irgendeiner seltenen Konstellation zueinander?“
„Fast. Der dominierende Stern zum Tag deiner Geburt ist das Gegenstück zur Konstellation an Sams Geburtstag.“
„Wir hängen also aneinander, bedingt durch diese Sternbilder, verstehe ich das richtig? Das ist der Ursprung unserer Verbindung?“
Für mich ergibt das Sinn. Direkt beim ersten Kontakt mit Sam hatte ich das Gefühl, etwas in ihm zu erkennen. Lange bevor Mondenergie, Elemente-Ketten oder Kraftadern ins Spiel kamen. Das ist die Erklärung, nach der ich die ganze Zeit gesucht habe. Meine seltsame körperliche Reaktion. Mein intuitives Wissen, dass Sam mich retten kann. Diese instinktive seelische Verbindung ab der ersten Sekunde.
„Kommt so etwas öfter vor?“
„Nein.“
Natürlich nicht.
„Jetzt muss ich nur noch Tristan beichten, dass Sam nicht mehr aus meinem Leben verschwindet.“
„Wenn du es so nennen willst, ja. Aber vergiss nicht: Ohne Sam hätten weder Tristan noch du das Ritual überlebt.“
Der Mond hat recht. Ich war am Ende meiner Kräfte und musste zusehen, wie auch Tristan unter der Unmenge an Energie zu zerbersten drohte. Zumal ich jetzt weiß, dass er mit Luft als Element die Energie nicht hätte abgeben können. Sam hat uns beide gerettet. Dafür werde ich ihm immer dankbar sein. Aber kann ich ihm vertrauen?
Am Ende der ersten Schulwoche befinde ich mich in einer endlosen Doppelstunde meines Englisch-Leistungskurses und lasse meine Gedanken schweifen. Nur mit Unterstützung von Ella und Sue, ihrer Scherze und der vielen aufmunternden Worte habe ich den ersten Schultag überstanden.
Anschließend erzählte ich den beiden von Nataschas Blick, als ich in unserer ersten gemeinsamen Stunde einen Sitzplatzam entgegengesetzten Ende des Klassenraumes gewählt habe. Ihre anfängliche Verblüffung wich rasch einem zusammengekniffenen Mund. Ihre Augen schossen giftige Pfeile in meine Richtung, wann immer wir uns begegneten.
Die folgenden Tage liefen ähnlich. Ich flüchte, wo immer möglich, ans andere Ende des Raumes und richte mir einen sicheren Abstand ein. Die Kurse, die wir getrennt voneinander haben, sind meine Erholungsphasen und geben mir Kraft. Ausgerechnet die beiden Leistungskurse waren nicht zu ändern, und so blieb am Ende eine Vielzahl Stunden, in denen wir uns in Zukunft nicht werden ausweichen können. Auch jetzt ignoriere ich den hasserfüllten Blick, den mir Natascha zuwirft, und bin in Gedanken schon im Wochenende.
Plötzlich landet ein kleiner Zettel auf meinem Heft. Ich unterdrücke einen Aufschrei. Ein Brief? Ich suche nach einem Namen, kann aber keinen Empfänger entdecken. Ratlos sehe ich mich um. Vielleicht gibt mir jemand einen Hinweis, an wen ich das Blatt weiterreichen soll. Tatsächlich trifft mein Blick auf Josh, einen Jungen, mit dem ich im letzten Schuljahr einen Kurs gemeinsam hatte. Wir haben kaum ein Dutzend Worte miteinander gewechselt. Daher gehe ich davon aus, dass ich den Zettel weitergeben soll. Ich schaue ihn fragend an, doch er gibt mir mit einem unauffälligen Fingerzeig auf mich zu verstehen, dass der Brief für mich ist.
Verwundert drehe ich das gefaltete Blatt in meinen Händen, bevor die Neugier siegt und ich unter der Tischkante langsam zu lesen beginne.
Warum sitzt du nicht neben Natascha? Was ist passiert?
Da ist sie, die Frage, mit der ich die ganze Woche gerechnet habe. Allerdings von einer Person, von der ich das definitiv nicht erwartet hätte. Es war mir nicht bewusst, dass jemand Außenstehendes merken würde, dass ich nicht mehr mit Natascha befreundet bin.
Kurz überlege ich, was ich ihm antworten soll. Dann schreibt meine Hand wie von selbst: Sie hat einfach zu viele Tabus gebrochen, mich betrogen und hat es nicht mehr verdient, meine Freundin zu sein. Ich brauche Abstand und muss mich neu finden.
Behutsam schiebe ich den Zettel zurück und grinse in mich hinein. Das letzte Mal, als ich Briefchen durchs Klassenzimmer geschickt habe, war ich in der fünften oder sechsten Klasse. Plötzlich ist die Englisch-Stunde viel amüsanter und ich warte gespannt auf Joshs Antwort. Als ich sie lese, muss ich schlucken.
Ich freue mich darauf, zu sehen, wie aus Nataschas Anhängsel endlich Lucy wird. Bin echt neugierig auf die komplette Geschichte. Natürlich nur, wenn du sie mir erzählen möchtest.
Ob ich das möchte? Das weiß ich nicht. Sue und Ella haben viel davon mitbekommen, sie sind meine Freundinnen. Aber Josh ist jemand, mit dem ich nichts zu tun habe, zumindest bis eben nicht. Will ich ihm erzählen, was passiert ist? Komme ich damit zurecht, wenn er sagt, dass es meine Schuld war? Weil ich Noel nicht verdient hatte?
Entschlossen schüttele ich den Kopf. Noel ist die eine Sache. Ich bin mir mittlerweile sicher, dass wir nie zusammengepasst haben und es keine ernsthafte, lange Beziehung geworden wäre. Aber Natascha war meine beste Freundin. Es gibt Regeln in einer Freundschaft. Man vertraut sich und muss sicher sein können, dass dieses Vertrauen nicht missbraucht wird. Der Freund der Freundin ist tabu.
Bevor ich meinen trübseligen Gedanken weiter nachhängen kann, ist die Stunde vorbei und ich kann ins Wochenende starten.
Die Bücherei zu betreten ist, als würde ich einen sicheren Hafen erreichen. Kurz versetzt mir der Gedanke, dass Tristan nicht hier sein wird, einen Dämpfer. Aber Alexander erwartet mich mit einem breiten Lächeln und einer Tasse Tee. Stöhnend sinke ich in meinen Lieblingssessel und schließe die Augen.
„Na? Harte Woche?“, fragt Alexander und setzt sich mir gegenüber.
Mit geschlossenen Augen nicke ich, reibe mir die Stirn und erzähle ihm von den letzten Tagen.
„Ich finde, du hast dich sehr gut geschlagen“, sagt er und legt mir eine Hand auf die Schulter.
„Danke. Es fühlt sich eher so an, als wäre ich geschlagen worden.“
Alexander lacht.
„Wann startet dein neuer Job bei uns in der Schulbibliothek?“, frage ich.
„Nächsten Dienstag. Die zuständige Lehrerin meinte, in der ersten Woche sei Chaos mit der Lehrmittelausgabe und allem anderen, was so nach den Ferien anfällt. Da könne man mich nicht ordentlich einarbeiten.“
„Das stimmt. Da geht es in den ersten Tagen immer hoch her.“
„Na ja, so starte ich eben erst nächste Woche. Das wird auch noch reichen.“
„Bestimmt.“
Eine Weile hängen wir unseren Gedanken nach.
„Tristan fehlt mir.“
„Ja, mir auch“, sagt er und seufzt. „Wie klappt eure Verbindung?“
„Gut, aber es ist nicht dasselbe.“
„Nein, natürlich nicht.“ Alexander richtet sich in seinem Sessel auf und fragt dann: „Irgendetwas von Vincent?“
Allein die Erwähnung dieses Namens reicht aus, um mein Adrenalin in die Höhe zu katapultieren. „Nein. Auch nichts von Claire.“
„Nun, ich habe etwas von ihr gehört.“
„Was?“
„Ja. Warte, ich zeige es dir.“ Alexander steht auf und holt einen kleinen weißen Umschlag aus seinem Sekretär, der im Laufe der Sommerferien aus dem ersten Stock nach unten gewandert ist. Da wir meistens im Erdgeschoss sitzen, braucht er nicht mehr wegen jeder Kleinigkeit nach oben laufen. Nach wie vor hält sich an den Nachmittagen, an denen ich hier bin, der Publikumsverkehr in Grenzen, aber es ist auch immer noch tolles Sommerwetter. Vielleicht wird das im Winter anders. Bis dahin genieße ich die Zeit, die ich mit Alexander allein habe.
Er reicht mir den Umschlag und meine Hände beginnen zu zittern. All meine widersprüchlichen Gefühle gegenüber Claire kommen mir in den Sinn. Unsere Gespräche, ihre Einladung nach Vix und der Diebstahl der Unterlagen. Am liebsten würde ich den Brief ungelesen zerreißen. Aber dafür hat ihn mir Alexander mit Sicherheit nicht gegeben. Also zwinge ich mich, tief ein- und auszuatmen, und nehme vorsichtig die Seiten aus dem feinen Umschlag.
Das Briefpapier fühlt sich rauer und fester an als normal und trägt ein Wappen, das sich auch auf dem Umschlag befand. Zwischen vielen kunstvollen Schnörkeln und Verzierungen erkenne das Symbol einer Eule.
„Das Siegel von Vix“, erklärt mir Alexander. „Aber ohne mich loben zu wollen, finde ich deine Eule schöner.“
Sie ziert das Deckblatt meiner Chronik, die Alexander für mich entworfen hat. Ich weiß nicht, wie oft ich schon das Bild auf mich habe wirken lassen. Noch immer bin ich fasziniert von der Eule, die majestätisch ihre Schwingen ausbreitet. Ihre Flügel symbolisieren Schutz, Kraft und Magie.
„Wenn ich jemals ein eigenes Siegel verdient haben sollte, wird es exakt so aussehen wie die Eule in meiner Chronik“, sage ich.
Alexanders Wangen überzieht ein leichtes Rot. Nur zu gerne erwidere ich sein Lächeln. „Du wirst ganz sicher ein eigenes Siegel haben, Lucy.“
„Hast du auch eines?“
„Ja, habe ich. Es ist die Zeichnung der Eule, die auch im Stempel der Bücherei zu sehen ist. Aber das ist natürlich nicht so …“
„Extraordinaire comme Claire.“
Alexander lacht laut los und nach einigen Sekunden hat er mich angesteckt. Doch viel zu schnell werden wir wieder ernst und ich lese, was Claire in ihrer geschwungenen, akkuraten Handschrift geschrieben hat.
Claire Lacroix An Alexander Wilhelm 17. August 1999
Cher Alexander,
du wunderst dich sicher, warum ich dir schreibe.
Zunächst möchte ich dir den Schlüssel für das Wohnmobil zurückschicken. Ich hoffe, es gab keinen Ärger mit dem Verleih. Falls doch, bin ich sicher, du wirst es geregelt haben, wie immer.
Du hast es perfekt organisiert, Lucy in unseren Kreis aufzunehmen. Auch dein Neffe ist ein fantastischer Junge. Beide hatten ein Ritual wie das an Lughnasadh verdient, vor allem Lucy. Ich habe ihre Gesellschaft genossen und bedaure es zutiefst, dass ich nach dem Ritual so eilig aufbrechen musste. Ich hätte gerne mehr Zeit mit diesem außergewöhnlichen Mädchen verbracht. Eure Erkenntnisse zu den Vollmondkindern sind beeindruckend, auch wenn sie nicht annähernd an meinen Wissenstand heranreichen. Hier werdet ihr meine Unterstützung brauchen. Ich biete sie euch von Herzen gerne an.
Wer soll an ihrer Seite stehen, wenn die Dunkelheit kommt?
Ich kann für ihren Schutz garantieren. Dann kannst du dich um deinen Neffen kümmern. Zwei Mondkinder auf einmal sind eine kaum zu bewältigende Aufgabe für einen viel beschäftigten Hüter wie dich.
Alexander, schick Lucy zu mir, sobald du die Formalitäten mit ihren Eltern geregelt hast. Ich vertraue darauf, dass du für Lucy die richtige Entscheidung triffst. Du wirst genug damit zu tun haben, Tristan zu schützen, wenn die Dunkelheit erkennt, von welchem Wert er und seine Gabe sind.
Ich freue mich, von dir zu hören, wann ich Lucy willkommen heißen darf. Bis dahin hoffe ich, dass du gut auf dich und die Kinder aufpasst. Es kommen dunkle Zeiten auf uns zu.
Cordialement Claire
Ich gebe Alexander den Brief zurück und stehe auf. „F-frische Luft.“ Ich stürze nach draußen und versuche, meinen rasenden Herzschlag, die zitternden Hände und das Gefühl, gleich durchzudrehen, in den Griff zu bekommen. Es dauert ein paar Minuten, dann komme ich langsam zur Ruhe.
„Tristan?“
Mir antwortet nur Stille.
Nach einiger Zeit gehe ich zurück zu Alexander, der in seinem Sessel sitzt und aufatmet, als ich den Raum betrete. Wortlos setze ich mich ihm gegenüber, nehme mir ein Glas Wasser und trinke bedächtig in kleinen Schlucken. „Ich weiß nicht, was ich sagen soll.“
„Ich auch nicht.“
„Wie haben die anderen reagiert?“
„Ich habe noch nicht mit ihnen gesprochen.“
„Warum?“
„Der Brief betrifft zunächst nur dich und mich. Ich wollte erst dein Einverständnis dafür haben.“
„Alexander, die anderen müssen davon erfahren!“
„Ja, du hast recht. Ich rufe nachher Urs und Rudi an. Nein, zuerst Jeremy. Er muss für Tristans Schutz sorgen.“
„Immerhin scheint Claire nicht zu wissen, dass Tristan in England ist.“
„Stimmt, das ist beruhigend.“
„Und Alois? Weiß er von dem Diebstahl?“
„Nein, ich habe es ihm noch nicht gesagt.“
„Meinst du nicht, er sollte es auch wissen?“
„Ich weiß nicht. An sich kann Alois gut auf sich aufpassen.“
„Aber er muss auch auf Sam aufpassen, oder? Er ist ein Mondkind und hat unseren Schutz verdient. Gerade, weil er noch kein Ritual hatte.“
„Richtig.“
Eine Weile sitzen wir beieinander, bevor es Zeit für mich wird, nach Hause zu gehen. Meine Gedanken begleiten mich den Rest des Abends. Für jemand Außenstehendes klingt Claires Brief harmlos, aber ich bin sicher, ich habe mir die versteckten Drohungen nicht eingebildet.
Irgendwann fordert die anstrengende erste Schulwoche ihren Tribut und mir fallen die Augen zu.
„Lucy?“
Ich brauche einen Augenblick, bis ich die Stimme erkenne. Wir haben eine gedankliche Verbindung. Nicht nur während des Rituals, sondern auch jetzt.
„Sam?“
Sein Lachen sorgt dafür, dass ich schlagartig hellwach bin. „Wie geht es dir, LucyLu?“
„Bei mir ist alles in Ordnung. Und bei dir?“
„Alois hatte vorhin einen Anruf von Alexander.“
„Das ist gut.“
„Du weißt Bescheid?“
„Was hat Alois dir erzählt?“, frage ich.
„Nicht viel. Eine wilde Geschichte von Claire, dass sie euch bestohlen hat und dass ich Schutz brauche. Vielleicht will er mein Ritual vorziehen.“
„Warum hattest du es nicht schon längst? Du bist viel weiter als Tristan und ich.“
„Alois sagt, ich bin noch nicht so gut ausgebildet, wie er das möchte. Aber anscheinend hat er es sich anders überlegt.“
„Sehr gut.“
Sam fragt: „Alles okay?“
„Claire spielt ein falsches Spiel. Hast du schon mal von Vincent von Grafenstein gehört?“
„Nein.“
„Von der Dunkelheit?“
„Nein.“
„Okay, das ist eine lange Geschichte.“
„Erzähl sie mir.“
Ein stechender Kopfschmerz in meiner rechten Schläfe unterbricht kurz unsere Verbindung und ich stöhne.
„Lucy? Ist alles okay?“
„Mein Kopf … Ich glaube, wir dürfen es nicht übertreiben. Unsere Verbindung ist nicht so stark.“
„Du hast recht, ich bin auch erschöpft.“
„Es sind sieben Tage bis Vollmond. Wenn es daran liegt, haben wir noch ein paar Abende, an denen wir uns unterhalten können.“
„Morgen Abend, selbe Zeit?“
„Gerne. Gute Nacht.“
„Gute Nacht, LucyLu. Pass auf dich auf.“
Am nächsten Morgen werde ich von Tristans Stimme geweckt. Fast fühlt es sich an, als läge er neben mir. In Erinnerung an unsere gemeinsamen Morgen während des Camps kuschele ich mich tiefer in meine leichte Decke und erwidere seinen Gruß.
„Frau Lu, wie geht es dir?“
Ich erzähle Tristan vom Inhalt des Briefes.
„Was passiert jetzt?“
„Alexander hat die anderen kontaktiert und mit ihnen gesprochen.“ „Das war längst fällig.“
„Er hat auch Alois angerufen und ihm von Claires Diebstahl erzählt. Das wusste der noch gar nicht.“
„Na dann.“
„Ist alles okay? Du klingst so angespannt.“
„Ne, alles gut.“
„Ich kenne dich, Tristan.“
„Ich fand nur die Aktion mit dem überhasteten Aufbruch von Alois seltsam. Und Sam war merkwürdig.“
„Was meinst du damit?“
Mir gefällt die Richtung nicht, die dieses Gespräch nimmt. Dass Tristan so offen misstrauisch gegenüber Sam ist, verunsichert mich. Zwar weiß ich mittlerweile, was es mit unserer Verbindung auf sich hat. Trotzdem bin ich innerlich zerrissen, ob meine Dankbarkeit mir ein falsches Sicherheitsgefühl vorspielt. Will ich Sam partout vertrauen und ignoriere die Anzeichen, die andere deutlich sehen? Welche Gründe hat Tristan für seine Position gegen Sam?
„Ist egal, ob er merkwürdig ist“, antworte ich. „Die beiden haben mit dem Diebstahl nichts zu tun. Solange Sam sein Ritual nicht hatte, ist er in größerer Gefahr als wir.“
„Bist du dir da sicher?“
„Bei was?“
„Bei beidem. Vielleicht ist er ein normales Mondkind, dann hat die Dunkelheit kein Interesse an ihm. Oder Alois steckt ebenfalls mit Claire und Vincent unter einer Decke. Auch das bedeutet, Sam ist nicht in Gefahr.“
„Wie kommst du darauf?“, frage ich. „Hast du etwas in diese Richtung gesehen? Oder gibt es Beweise dafür? Weißt du etwas, das ich ebenfalls wissen sollte?“
Wo kommen bei meinem freundlichen, harmoniebedürftigen Tristan auf einmal solche Verdächtigungen her? Was haben Alois und Sam ihm getan?
Alexander hat meine rasenden Gedanken zum Glück unterbrochen. Mit seinem Vorschlag, spontan einen Ausflug auf den Drywon-Beinn zu machen, hat er ins Schwarze getroffen. Die Erinnerungen an unsere gemeinsame Zeit sind allgegenwärtig. Ich habe es genossen, einige Stunden entspannt durch die Ausstellung zu schlendern.
Gerade verlassen die letzten Besucher das Gelände. Eine friedliche Dämmerung legt sich über die weitläufigen Hügel. Das letzte Sonnenlicht hüllt mich in eine wohlige Umarmung. Schleierwolken und Kondensstreifen lassen orange und rote Schlieren dramatisch über den Himmel ziehen.
Alexander ist noch in ein Gespräch vertieft. Mit einer knappen Geste signalisiere ich ihm, wo er mich finden kann. Er antwortet mir mit einem Nicken und einem Zeichen in Richtung der kleinen Küche. Dort wartet Sato sehnsüchtig auf Gesellschaft. Hunde sind auf dem Freigelände und in der Ausstellung offiziell nicht erlaubt, aber nun sind wir allein hier und sie kann mich begleiten.
Wir überqueren die weitläufige Terrasse. Sato springt um mich herum und bringt mich mit ihrem freudigen Bellen zum Lächeln. Ich wende mich in Richtung Ritualplatz.
Bei allem Trubel während der ersten Schultage ist mir die Erklärung des Mondes nicht aus dem Kopf gegangen. Was hat es mit der Kraftader auf sich? Den ganzen Nachmittag schon zieht es mich zu der kleinen, erdigen Fläche des Ritualplatzes. Als säße dort ein Magnet, der mich nicht loslassen will. Solange andere Menschen in meiner Nähe waren, habe ich deshalb einen weiten Bogen darum gemacht. Aber nun sind Alexander und ich allein. Darauf habe ich gewartet. Am Backhaus angekommen, binde ich Sato zur Sicherheit an, genau wie bei unserem Ritual an Lughnasadh. Ich knie mich neben sie und nutze eine kurze Streicheleinheit, um meine Nervosität in den Griff zu bekommen. „Warte hier auf mich, Sato. Ich bin gleich wieder da.“
Mit diesen Worten gehe ich zum Ritualplatz. Ich bin etwa zehn Meter entfernt, als zuerst meine Fingerspitzen kribbeln. Obwohl kein Vollmond ist, spüre ich die Energie unter mir deutlich. Behutsam überbrücke ich die letzte Distanz. Mit jedem Schritt intensiviert sich das Gefühl tausender tanzender Ameisen unter meiner Haut. Ich darf es nicht übertreiben. Ich muss auf meine Kraft achten und ermahne mich innerlich: keine Experimente. Doch meine Beine gehen wie ferngesteuert weiter. Erst an meiner Position im Mondkreis halten sie inne. Unter meinen Sohlen pulsiert eine Macht, die ich kaum in Worte fassen kann. Ist Mondlicht ein stetiger, silberner Strahl, so fühlt sich die Kraftader an wie golden gefärbte, gleißende Lava.
Ich sinke auf die Knie. Eine Hand lege ich flach auf die Erde, die noch die Wärme des Sonnenlichts gespeichert hat. Darunter befindet sich eine Energie, wie ein lebendiges Wesen mit einem gleichmäßigen Herzschlag. Es kommt mir so vor, als würde sich dieser Puls beschleunigen. Ich kralle die Finger in den weichen Untergrund. Mein Herzschlag donnert in meinen Ohren und ich spüre ihn an meiner Hand. Die Kraftader und mein Herz, sie schlagen im Gleichklang.
„Sie hat dich erkannt.“
Die Stimme des Mondes holt mich aus meiner Faszination. „Was meinst du damit?“
„Die besondere Verbindung zwischen Vollmondkind und Kraftader. Mondkinder mit Feuer und Erde als Element spüren die Energie auch. Aber meistens nur ganz leicht, an Vollmond und direkt auf einem Ritualplatz.“
„Es ist zwar schwächer als an Lughnasadh, aber ich konnte sie schon aus einiger Entfernung wahrnehmen. Als hätte sie mich gerufen.“
„Das ist durchaus möglich. Du als Vollmondkind wirst die Kraftader immer spüren können, egal in welcher Mondphase. Falls du es darauf anlegst, könntest du ihr folgen. Sogar, wenn sie nicht so dicht unter der Oberfläche verläuft wie hier auf den Ritualplatz, kannst du sie finden.“
„Wie lerne ich, die Energie zu kontrollieren?“
Das ist der Punkt, an den ich immer wieder denken musste. Kann es mir gelingen, die Macht der Kraftader so zu dosieren, dass keine Gefahr für mich besteht? Ist es möglich, dass ich Energie zeitgleich aufnehmen und direkt wieder zurückleiten kann?
„Es bedarf einer Menge Übung. Und es ist gefährlich. Du solltest auf jeden Fall jemanden in der Nähe haben, der im Notfall die Energie ableiten kann.“
„Dann ist es ja gut, dass Alexander das kann.“ Ich winke meinem Hüter zu, der in meinem Blickfeld erscheint.
„Was machst du hier?“, fragt er und mustert mich mit zusammengezogenen Augenbrauen. Hinter ihm erhebt sich der Mond und verscheucht mit seinem silbernen Licht die letzten dunkelroten Streifen vom Himmel.
„Ich würde gerne etwas ausprobieren.“ Ich erkläre ihm meine Idee.
Alexander hört mir mit schief gelegtem Kopf zu und nickt immer wieder. „Hast du ihr diesen Floh ins Ohr gesetzt?“, ruft er in Richtung Mond, obwohl er natürlich keine Antwort bekommt. Sato untermalt seine Frage mit einem kurzen Jaulen.
Ich muss lachen. „Nein, das habe ich mir ganz alleine überlegt. Also, was meinst du? Sollen wir es versuchen?“
„Es hört sich total verrückt an, aber das tut es ja öfter bei dir und dem Mond“, antwortet Alexander. Er grinst. „Jetzt hast du mich neugierig gemacht. Also ja, probieren wir es aus.“
Wir stellen uns gegenüber, etwa eine Armlänge voneinander entfernt. Nachdem es der Mond erwähnt hat, merke ich es auch: Ich sehe den Verlauf der Kraftader wie vor einem inneren Auge. Mit einem leichten Schubs korrigiere ich Alexanders Position, sodass wir beide auf der pulsierenden Energie stehen.
Mit meiner rechten Hand umfasse ich Alexanders linken Unterarm. Auf sein stummes Nicken hin fokussiere ich mich auf das Gefühl gleißenden Lichts unter mir. Es kostet mich große Anstrengung, nur minimale Energie zuzulassen. Ich presse dieLippen zusammen und folge aufmerksam der kribbelnden Spur meine Beine hinauf in Richtung unserer verbundenen Arme.
Alexanders Keuchen ist der Beweis, dass sie ihn erreicht hat. Er schließt kurz die Augen und atmet schneller. Er legt die Stirn in Falten und kneift die Mundwinkel zusammen. Doch seine Mühen werden belohnt. Die Energie fließt von mir zu ihm und zurück in den Boden.
„Okay, wechseln wir“, sage ich. Um es für uns beide offensichtlich zu machen, löse ich unsere Verbindung. Kurz lockere ich Finger und Handgelenk, dann umfasse ich mit meiner linken Hand seinen rechten Arm. Nun schließe ich die Augen, um volle Konzentration zu erreichen. Ich stelle mir vor, wie die Energie der Kraftader in Alexander eindringt. Langsam lasse ich den goldenen Lavastrom nach oben wandern. In seinen Arm, von dort zu mir und dann über meine Beine wieder zurück in den Boden. Es ist deutlich anstrengender als die erste Übung.
Ich öffne meine Augen wieder. Alexander stehen Schweißperlen auf der Stirn. „Es funktioniert“, sage ich und grinse breit.
Am Montagmorgen sitze ich in der Schule und versuche, die Augen offen zu halten.
Sam hat sich auch in dieser Nacht nicht gemeldet. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Zum einen mache ich mir Sorgen und hoffe, dass es ihm gut geht. Zum anderen koche ich innerlich, weil ich mir die zweite Nacht infolge umsonst um die Ohren geschlagen habe. Immerhin habe ich am offenen Dachfenster lange im sanften Licht des fast vollen Mondes gesessen, Energie getankt und mich mit dem Mond unterhalten. Aber jetzt muss ich mich vom Gähnen abhalten.
Zu Beginn der nächsten Doppelstunde Englisch erwartet mich eine Überraschung. Beim Betreten des Klassenzimmers winkt mir Josh zu und zeigt auf den Stuhl neben sich. „Setz dich.“
„Aber …“ Ich schaue ratlos zwischen diesem Platz und meinem eigentlichen Sitzplatz hin und her.
„Du musst natürlich nicht, aber Felix ist einen Platz weiter gerutscht und wir würden uns freuen, wenn du in unsere Mitte kommst.“
Felix nickt und lächelt.
Ihn kenne ich nur vom Sehen, aber ich freue mich über die Geste. Bevor ich lange über meine Entscheidung nachdenken kann, räuspert sich unsere Englischlehrerin vorne und fordert uns auf: „Take a seat and let’s start!“
Also lasse ich meine Sachen auf den freien Platz fallen und setze mich. Josh grinst und auch Felix scheint einverstanden mit seinem neuen Platz. Keiner nimmt Notiz von unserer geänderten Sitzordnung. Nur Natascha fixiert mich von der anderen Seite des Klassenraumes aus.
„Einfach ignorieren“, flüstert Josh.
Ich unterbreche den Blickkontakt mit Natascha. „Danke“, flüstere ich zurück. Ich lächele ihm zu.
Nach dem Ende der Stunde gehen wir gemeinsam in die Pause. „Danke“, sage ich noch einmal.
„Kein Ding. Ich habe jetzt zwei Freistunden, und du?“
„Ich auch.“
„Lust auf einen Spaziergang?“
„Auf jeden Fall, nichts wie weg hier.“
Wenig später schlendern wir durch die Straßen unserer Stadt. Zuerst schweigend, doch selbst das fühlt sich nicht seltsam an. Ganz im Gegenteil, ich bin entspannt mit Josh an meiner Seite. Mir ist klar, dass er wissen möchte, was sich zwischen Natascha und mir ereignet hat. Aber er ist so rücksichtsvoll, dass er mich nicht drängt.
Irgendwann erzähle ich ihm die ganze Geschichte. Ab und zu stellt er direkte, fast unangenehme Fragen, die mich zumNachdenken bringen. Aber es zeigt mir, dass mein Gesprächspartner kein teilnahmsloser Mitläufer ist, der einem nach dem Mund redet, sondern jemand, der aktiv zuhört und sich Gedanken macht.
„Wie hättest du es verhindern können?“
Verdutzt bleibe ich stehen und schaue Josh an, der meinem Blick mit offenem Interesse begegnet. In der ersten Zeit haben Schmerz, verletzter Stolz und enttäuschtes Vertrauen mein Denken und Handeln bestimmt. Dann kamen die Ferien, die Zeit auf dem Drywon-Beinn und Lughnasadh. Alle Erlebnisse dort und die tiefgreifende Verbindung zu Tristan haben die Geschichte mit Noel und Natascha in den Hintergrund treten lassen. Seit Beginn des neuen Schuljahres muss ich mich zwar täglich mit meinen Empfindungen beschäftigen. Ich habe mich aber darauf konzentriert, für die Zukunft einen Weg zu finden, statt mit der Vergangenheit abzuschließen.
Diese Frage von Josh katapultiert mich in Gedanken zurück zu dem Telefonat mit Noel, in dem er mir alles erzählt hat. Ich lasse mir seine Rechtfertigung noch einmal durch den Kopf gehen: „Du warst nicht da“, „Du hattest keine Zeit“, „Sie war so verzweifelt“, „Sie ist eifersüchtig auf dich, weil du alles hast, was sie sich wünscht“, „Ich wollte sie nur trösten“, „Du hast nichts falsch gemacht.“
„Gar nicht.“ Als ich es ausspreche, fällt eine tonnenschwere Last von meinem Herzen. „Ich hätte es nicht verhindern können“, wiederhole ich, mehr als Bestätigung für mich statt für Josh. „Sie hat den idealen Zeitpunkt abgewartet, hat Noel erfolgreich manipuliert und die Situation gnadenlos ausgenutzt. Andererseits, wenn es so leicht war, ihn zu beeinflussen, wäre es früher oder später eh passiert.“
Josh nickt mit einem leichten Lächeln, klopft mir sanft auf die Schulter und wendet sich zum Weitergehen. „Siehst du.“
Er fasst zusammen, was ich ihm in der letzten Stunde erzählt habe und wie er die Sache sieht. Am Ende ist sein Fazit klar: Wenn man zu lange alles mit sich machen lässt, darf man sich nicht wundern, wenn das ausgenutzt wird. Aber wenn es nach Josh geht, besteht für mich noch Hoffnung, jetzt, wo ich „aufgewacht“ bin.
„Du weißt, dass du dir eine Gegnerin gesucht hast, die man nicht unterschätzen darf, oder?“, fragt er.
„Ja, ich weiß. Auch wenn ich sie mir wirklich nicht ausgesucht habe.“
„Irgendwo habe ich mal gehört, dass man vom Leben nur Aufgaben bekommt, die man bewältigen kann.“
„Tja, aber manchmal sind es Aufgaben, bei denen man sich nicht sicher ist, ob man sie je haben wollte.“ Unwillkürlich denke ich an Vincent und die Dunkelheit. Ist auch das eine Aufgabe, die ich bewältigen kann und die mir nur gestellt wird, weil ich ein Vollmondkind bin? Darauf könnte ich genauso verzichten wie auf den Streit mit Natascha.
„Na ja, wenn es leichte Aufgaben wären, müsste man sich ja nicht anstrengen. Aber keiner sagt, dass man solche Prüfungen alleine schaffen muss. Hilfe darf angenommen werden, da bin ich sicher.“
Viel zu schnell sind unsere Freistunden vorbei und wir müssen zurück in die Schule. Die zweite Hälfte des Tages habe ich noch einen Kurs mit Natascha, aber das Gespräch mit Josh hat mir geholfen, einen Schlussstrich unter dieses Kapitel zu ziehen. Ich bin ohne sie besser dran. Ich fühle mich befreit, halte mich aufrechter und erwidere ihre bösen Blicke mit einem selbstsicheren Lächeln.
Auf dem Heimweg wandern meine Gedanken zu Tristan. Und prompt meldet sich seine Stimme. Natürlich weiß er über meinen Kursplan und die erste Schulwoche Bescheid.
„Hey, Frau Lu, wie ist dein Tag bislang?“
„Gut.“
„Ach ja? Das freut mich.“
Ich ahne die unausgesprochene Frage, woran das wohl liegenmag, und berichte ihm von meinem Tag. „Erinnerst du dich an Josh aus der ehemaligen 10c?“
„Puh, nicht so richtig. Wie sieht der denn aus?“
„Er ist etwa so groß wie ich, sportlich, blonde, etwas längere Haare und trägt oft schwarze Klamotten.“
„Ist das nicht der, dessen Eltern in den Sommerferien nach Indien ausgewandert sind?“
„Was? Davon hat er nichts gesagt. Bist du sicher, dass wir den gleichen Josh meinen?“
„Keine Ahnung. Aber wieso? Was ist mit ihm?“
Bevor ich Tristan von meinem Gespräch und der beginnenden Freundschaft mit Josh erzählen kann, muss ich zuerst die Information von eben verdauen. Sind Joshs Eltern wirklich ausgewandert und haben ihn hiergelassen? Wenn ja, warum hat er nichts gesagt? Weil es nur um mich ging, muss ich mir eingestehen, und eine Welle schlechten Gewissens überrollt mich. Ich nehme mir vor, Josh danach zu fragen, auch wenn ich keine Ahnung habe, wie ich das am besten anstellen kann.
Wie in den vorangegangenen Nächten sitze ich an meinem offenen Dachfenster und genieße die frische Luft einer lauen Sommernacht. Natürlich sollte ich längst schlafen, damit ich morgen den Schultag überstehe, aber das ist mir egal. Meine Gedanken überschlagen sich.
„Lucy, ich höre dich bis zu mir denken. Lass es uns gemeinsam entwirren.“
„Als ob das so einfach wäre. Wo sollen wir denn anfangen?“
„Am Anfang.“
„Sehr witzig.“ Ich rolle mit den Augen, kann mir aber ein Schmunzeln nicht verkneifen.
„Eines nach dem anderen, wie es dir in den Kopf kommt.“
„Tristan fehlt mir. Er ist so weit weg und auch wenn wir uns natürlich unterhalten können, vermisse ich es, ihn zu sehen.“
„Das verstehe ich sehr gut.“
„Dann ist da Josh, der mich beschäftigt. Er ist großartig. Nicht so wie Tristan, aber ich glaube, das wird eine ganz besondere Freundschaft. Er ist ein echt guter Zuhörer – obwohl ich ihm die interessanten Sachen noch gar nicht erzählt habe.“
„Lucy, du darfst …“
„Ja, ich weiß. Ich werde bestimmt eine gerade entstehende Freundschaft nicht riskieren, indem ich jemandem erzähle, dass ich mich mit dem Mond unterhalte.“
„So wie du es ausdrückst, hört es sich ziemlich bizarr an.“
„Ehrlich gesagt wüsste ich nicht, wie ich es ausdrücken sollte, damit es sich nicht bizarr anhört. Aber das muss ich ja auch nicht, denn ich werde es keinem erzählen, der es nicht sowieso schon weiß. Problem gelöst.“
„Siehst du, wir machen gute Fortschritte. Genau wie du am Wochenende mit der Kraftader.“
„Das war mein nächster Punkt. Kann ich mit dieser Energie genauso üben wie mit meinem Silberlicht?“
„Auf jeden Fall. Je sicherer du wirst, umso einfacher wirst du die Kraftader erkennen, wann immer du in ihrer Nähe bist.“
„Aber fürs Erste muss ich auf den Ritualplatz, oder?“
„Nicht unbedingt. Deine Verbindung zur Energie der Kraftader ist bereits so stark, dass du schauen kannst, ob du sie irgendwo in deiner Nähe fühlst. Oder ob sie dich ruft, so wie auf dem Drywon-Beinn.“
„Okay, dann achte ich in den nächsten Tagen mal darauf, ob ich etwas in der Richtung wahrnehme.“
„Worum kümmern wir uns als Nächstes?“
„Sam wollte sich seit Tagen melden, aber bislang habe ich nichts von ihm gehört.“
„Hast du versucht, mit ihm in Kontakt zu treten?“
„Wie soll ich das machen?“
„Wie funktioniert es denn bei Tristan?“
„Ich denke an ihn und meistens antwortet er direkt, so als würde er neben mir stehen.“
„Warum probierst du es auf diesem Weg nicht auch bei Sam?“
Ich schnaube und schimpfe innerlich mit mir. Da sitze ich nächtelang wach und mache mir merkwürdige Gedanken, anstatt selbst eine Kontaktaufnahme zu versuchen.
„Und wenn es nicht funktioniert? Wenn ich ihn störe?“
„Einen Versuch ist es wert. Wenn es heute, in einer Vollmondnacht, nicht klappt, ist eure Verbindung nicht stark genug. Solltest du ihn stören, kann er das ja sagen. Er ist ein selbstbewusster junger Mann, da sollte man meinen, dass er so etwas offen ausdrücken kann.“
„Du hast recht.“
Sollte ich versuchen, mit Sam in Verbindung zu treten? Wie peinlich, wenn es ihm ungelegen käme oder er gar nicht mit mir reden möchte. Vielleicht bin ich für ihn nur ein Mädchen, das viel zu früh in den Kreis der Mondkinder aufgenommen wurde. Worüber soll ich mit ihm sprechen? Noch immer bin ich unentschlossen, ob ich ihm vertrauen kann. Daher wäre es wahrscheinlich besser, gar nicht mit ihm in Kontakt zu sein.
„Lucy, wir machen jetzt Schluss. Ich wünsche dir Glück für dein Gespräch.“
Als der Mond wieder als unbeteiligte, helle Scheibe vom sternenklaren Nachthimmel scheint, hänge ich meinen Gedanken nach. Kann es so einfach sein, mit Sam Kontakt aufzunehmen? Bislang ging in beiden Fällen die Verbindung von ihm aus. Aber bei Tristan funktioniert es so, wie ich es dem Mond beschrieben habe. Also atme ich tief durch und denke an Sam.
Vor meinem inneren Auge kristallisiert sich eine Erinnerung an unsere Zeit im Camp heraus: ein hochgewachsener, sportlich-schlanker Junge mit dunklen, kurzen Haaren, braunen Augen und einem freundlichen Lächeln steht vor mir. Er zwinkert mir zu und lacht über eine Bemerkung von jemandem, den ich nicht sehen kann.
„Ach, Sam“, flüstere ich.
„LucyLu?“
Ich zucke zusammen. „Sorry, ich wollte nicht stören.“
„Hey, du störst nicht. Ich wollte mich längst bei dir melden, aber ich bin im Stress.“
„Kein Problem.“ Ich gebe mir Mühe, meine Antwort gleichgültig klingen zu lassen. Ich will ihm nicht sagen, dass ich mir Sorgen um ihn gemacht habe.
„Erzähl, was ist los?“
Ich hole tief Luft und überlege, wie ich am besten anfangen sollte. „Also, du weißt ja, dass Tristan, Alexander und ich schon einige Tage vor Lughnasadh auf dem Drywon-Beinn waren.“
„Ja, ich erinnere mich.“
„Wir waren viel im Archiv und haben verschiedene Dinge recherchiert.“
„Was Bestimmtes?“
Ich muss kurz überlegen, was ich Sam erzählen kann und will. Tristans Bedenken hallen in mir nach. Woher kommt sein Misstrauen gegen Sam? Glaube ich Tristans Intuition mehr als meiner? Bislang fällt die Bilanz in meiner Fähigkeit schlecht aus. Claire und Natascha habe ich vertraut und sie haben es mir mit Betrug, Lügen und Diebstahl gedankt. Damit haben sie auch mein Vertrauen in mich selbst, meine Fähigkeit und meinen Instinkt erschüttert. In Bezug auf die anderen Hüter war ich mir mit Tristan und Alexander einig. Doch bei Sam ist das nicht der Fall, und das verunsichert mich zutiefst. Je länger ich darüber nachdenke, umso konfuser werden meine Empfindungen.
Ich entscheide mich bei meiner Antwort für einen Mittelweg. „An sich generelle Informationen. Schließlich sind Tristan und ich erst kurz bei Alexander. Alois hat recht, wenn er sagt, dass wir von unserer Ausbildung her noch nicht so weit waren, um ein Ritual zu bekommen.“
„Alexander hat euch einfach ein paar Tage früher mit zum Drywon-Beinn genommen und unterrichtet?“
„Genau, eine Art Schnellkurs, wenn du so willst. Wir haben einiges an Unterlagen gesammelt und als Claire kam, habe ich meinen Teil der Dokumente mit ihr besprochen.“
„Warum das?“
„Es ging zu einem Teil um die Fürstin von Vix. Das ist ihr Spezialgebiet und sie hat mir angeboten, noch einige Dinge zu ergänzen.“
„Und dann?“
Sam hört sich zunehmend verwirrt an. War es falsch, ihn zu kontaktieren? Hätte ich ihm das alles gar nicht erzählen sollen? Oder wäre es besser gewesen, mir vorher genau zu überlegen, was ich ihm in welcher Reihenfolge erkläre? Bestimmt.
Ich seufze tief. „Dann haben wir am Morgen nach dem Ritual festgestellt, dass Claire das Camp mitten in der Nacht verlassen haben muss. Sie hat den Ordner mit meinen Unterlagen und einen Teil von Tristans Zeichn… ähm … Aufzeichnungen mitgenommen.“
Dass einige der anderen Hüter zunächst Alois und ihn in Verdacht hatten, verschweige ich. Aber Sam ist schlau genug, um selbst darauf zu kommen.
„Woher weißt du, dass es Claire war? Es könnten doch auch Alois und ich gewesen sein.“
„Stimmt. Aber ihr wusstet nichts von meinem Ordner. Der lag schon bei Claire, als ihr an Lughnasadh angekommen seid. Außerdem hat sie Alexander einen Brief geschrieben und den Diebstahl zugegeben.“
„Aber woher willst du wissen, dass Alois und ich nicht mit ihr unter einer Decke stecken? Wir hatten am Tag des Rituals mehrere Stunden, in denen ihr anderen auf dem Gelände beschäftigt wart. Wir saßen über eine lange Zeit unbeobachtet im Camp.“
So wie Sam es formuliert, ist es tatsächlich möglich. Mich überläuft ein Schauder. Habe ich mich täuschen lassen? Schon wieder?
Erinnerungen an meinen Schmerz nach Verrat, Betrug und Diebstahl brechen unvermittelt über mich herein. Meine Verzweiflung lässt mich kurz aufschluchzen. Ich vergrabe meinen Kopf in den Händen und versuche, mir einen Reim auf SamsAndeutungen zu machen. Wie so oft, wenn ich Hilfe brauche, ist keine da.
Sams Stimme und ein plötzlich einsetzender, mörderischer Kopfschmerz holen mich zurück ins Hier und Jetzt.
„Lucy, alles okay?“
„Nein, nichts ist okay. Muss Schluss machen.“
Ich kappe die Verbindung.
Die nächste Zeit liege ich zusammengerollt in meinem Bett. Heiße Tränen laufen meine Wangen hinunter und ich bemühe mich, meinen Kopf am Denken zu hindern. Doch die Selbstvorwürfe und meine Zweifel sind stärker. Wie kann Vertrauen meine Fähigkeit sein, wenn ich so miserabel darin bin, den richtigen Leuten mein Vertrauen zu schenken?
Meine heutigen Freistunden muss ich ohne Josh verbringen. So kann ich Alexander einen Antrittsbesuch bei seinem neuen Nebenjob abstatten. Als ich die Schulbibliothek betrete, bin ich die Einzige dort.
Ich lasse den Blick durch die Schulbibliothek schweifen. Alexander tritt mit einer konzentrierten Miene zwischen zwei Regalen hervor, in der Hand eine Liste, die er sich halblaut vorliest. Als er mich sieht, schenkt er mir ein strahlendes Lächeln und kommt mit großen Schritten auf mich zu. „Lucy, schön, dich zu sehen! Was kann ich für dich tun?“
„Nichts. Ich habe zwei Freistunden und keine Gesellschaft.“
„Da dachtest du, du kommst zu mir?“
„Genau.“
„Setz dich, ich bin gleich bei dir.“ Er widmet sich wieder seiner Liste und verschwindet zwischen den nächsten Regalen.
Ich suche mir einen Platz an einem der Tische, die den vorderen Teil der Bibliothek einnehmen.
Im Vorbeigehen legt Alexander mir ein Buch hin und setzt seinen Erkundungsgang fort. Ich lese gerade die ersten Sätze, als die Tür der Bibliothek geöffnet wird. Ein kleiner, grauhaariger Lehrer betritt den Raum, gefolgt von einigen Schülern meines Jahrgangs. Ich muss grinsen, als ich Josh entdecke. Das muss der Geschichte-Leistungskurs sein.
Die Schüler verteilen sich am größten der Tische und Josh lächelt mir kurz zu. Angelockt durch den Lärm kommt Alexander in den vorderen Teil der Bibliothek und betrachtet die Invasion mit verdutzter Miene.
Der Lehrer, Herr Schulte, erklärt ihm in knappen Worten, dass er die Schulbibliothek oft als Unterrichtsraum nutzt, da er hier die benötigte Literatur griffbereit habe.
Alexander nickt und wirft mir einen bedauernden Blick zu. So viel zum Thema wir könnten uns unterhalten.
Um den Unterricht nicht zu stören, vertiefe ich mich in Alexanders Buch. Allerdings muss ich gestehen, dass Herr Schulte den trockenen Stoff spannend vermittelt. Irgendwann halte ich das Buch nur noch zur Tarnung in den Händen und bin gefesselt von den Themen, die an Joshs Tisch besprochen werden. So verbringe ich meine Freistunden doch in Joshs Gesellschaft.
Er wartet nach Ende der Doppelstunde am Ausgang der Bibliothek auf mich und fragt mit einem Augenzwinkern: „Na, Interesse am Geschichte-Leistungskurs?“
„Nein, das ist nichts für mich.“
„Wenn du meinst.“
Wir suchen uns einen ruhigen Platz auf dem Pausenhof und beobachten einige Minuten schweigend, wie die Schülermassen in die Pause strömen. Ich würde ihn gerne nach seinen Eltern fragen und ob Tristan recht hatte mit Indien. Aber wie fängt man so was an?
Ich seufze und begegne Joshs Blick. Er mustert mich mit leicht geneigtem Kopf und hat eine Augenbraue nach oben gezogen. „Alles okay? Du bist heute so still und ein bisschen blass um die Nase.“
„Ich habe nicht gut geschlafen.“ So zutreffend das ist, so vage ist es auch. Schließlich kann es mehrere Gründe haben, warum man nicht gut schläft.
„Kenn ich. Blöder Vollmond.“
„Was?“
„Na, es geht auf Vollmond zu. Ist aber vielleicht auch nur ein Aberglaube, dass man da schlechter schläft. Wobei es bei mir meistens stimmt.“
Ich nicke zögerlich. „Ja … kann sein.“
Zur gleichen Zeit bei
„T., stop dreaming and come with me outside to check the outer area.“
Lindas Stimme reißt mich aus meinen Gedanken. Ich zucke zusammen. Ihr freundlicher Blick ruht auf mir, sie duldet aber keinen Widerspruch. Also schnappe ich mir meine Jacke und eine Kappe, denn es regnet mal wieder, und eile an ihr vorbei aus der Tür. Doch Linda wäre nicht Linda, wenn sie mich nicht innerhalb weniger Sekunden eingeholt hätte. „Was ist los?“
Ihr Deutsch ist viel besser geworden, seitdem ich hier bin, sodass wir meistens Deutsch reden statt Englisch. Nur meinen Namen kann sie nicht aussprechen. Anfangs haben wir uns viel Mühe gegeben, aber es kamen die komischsten Varianten heraus. Schließlich hat sie es bei „T.“ belassen, was mir gefällt.
Bei Jeremy und Linda fühle ich mich nicht nur gut aufgehoben, sondern komplett angekommen. Obwohl die beiden viel jünger sind als meine Eltern, sind sie in den letzten Wochen meine Familie geworden. Ich habe mich schnell eingelebt, fühle mich wohler als gedacht. Der Schulalltag in der örtlichen Highschool läuft reibungslos. Nachmittags und abends helfe ich Jeremy und Linda bei der Arbeit in und um Maiden Castle. Die Wochenenden sind gefüllt mit Lernen für die Schule und das Sehen. Nur eine fehlt: Lucy.
Ich denke die ganze Zeit an sie. In der Schule sitze ich auf meinem Platz und erinnere mich an die Zeit, als wir gemeinsam in einer Klasse waren. Ich stelle mir vor, Lucy säße mir gegenüber, so wie es die letzten Schuljahre der Fall war. Sie hat mich lange Zeit nicht wahrgenommen, aber bei mir war es das genaue Gegenteil. Ich habe sie aus der Ferne bewundert. Als sich herausstellte, dass wir auf ungeahnte Weise mehr Gemeinsamkeiten haben als gedacht, konnte ich mein Glück kaum fassen.
Sie von da an fast ununterbrochen in meiner Nähe zu haben, hat unsere Verbindung mit jedem Moment intensiver werden lassen. Schließlich das gemeinsame Camp mit Alexander und den anderen Hütern. Diese Zeit war so vollkommen, dass es sich wie eine große Lücke anfühlt, sie nicht bei mir zu haben.
Jeremy und ich haben viel von unserem Camp und von Lucy erzählt, damit Linda über alles informiert ist. Sie weiß, wie viel mir Lucy bedeutet und erkennt, wenn ich in Gedanken bei ihr bin. Das passiert ziemlich häufig. Wenn Linda oder Jeremy mir etwas von ihrem Wissen beibringen oder wir gemeinsam zu den Sehern von Maiden Castle recherchieren, ist Lucy in meinen Kopf. Oft denke ich, wie es wäre, wenn sie auch hier säße. Was sie entdecken würde, welche Schlüsse sie ziehen würde und was sich alles in eine ihrer berühmten Listen packen ließe. Oder wie wir es schaffen, mit unserem Wissen und meinen Fähigkeiten einen Schutz für Lucy aufzubauen.
Lucy ist immer präsent und doch fehlt sie mir. Linda hat das erkannt und gibt mir die Möglichkeit, meine Antwort auf ihre Frage, was los sei, zu überdenken. Ich entscheide mich für die Wahrheit. Es hat sich gezeigt, dass Linda nicht nur eine professionelle, intelligente Wissenschaftlerin ist, sondern auch eine sehr gute Zuhörerin und Ratgeberin.
Während wir gemeinsam gegen Regen und Wind ankämpfend auf dem äußeren Wall unsere Runde drehen, erzähle ich ihr meine Sorgen. „Es ist nicht nur, dass Lucy mir fehlt. Ich habe Angst, dass ich sie nicht ausreichend schützen kann, weil ich so weit weg bin.“
„Das verstehe ich.“
Obwohl sie ständig das Gleiche von mir hört, reagiert sie niemals genervt.