18,99 €
Studienarbeit aus dem Jahr 2005 im Fachbereich Geschichte Europas - Neuzeit, Absolutismus, Industrialisierung, Note: 1, Université de Fribourg - Universität Freiburg (Schweiz), Veranstaltung: Geschichte der Neuzeit, Sprache: Deutsch, Abstract: Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, dem Mythos der volksverbundenen, revolutionären „deutschen Jakobiner“ entgegenzuwirken, indem ich die Darstellung und Rezeption des Volkes in den Schriften Georg Forster aufzeige und darlegen möchte, inwieweit er - als deutscher Republikaner - das deutsche Bildungsbürgertum verkörpert, welches sich ganz dem Bildungsideal der deutschen Aufklärung verschrieben hat. Dieses nämlich begreift unter politischer Aktion vor allem die Erziehung des Menschen, was dem agitierenden, revolutionären Potential der französischen Montagnards entgegenläuft. Mit seinem Status als Augenzeuge der Pariser Revolution und seiner aktiven Teilnahme an der Mainzer Republik weist Georg Forster im Gegensatz zu anderen deutschen Republikanern über empirische Erfahrung auf, die sich in Form von Essays und Aufzeichnungen – namentlich in seinen „Ansichten vom Niederrhein“, seiner „Darstellung der Revolution in Mainz“ und der fragmentarischen Überlieferung „Parisische Umrisse“- niederschlugen. Diese aussergewöhnliche Perspektive wird in der vorliegenden Arbeit besonders berücksichtigt und dient meines Erachtens als hervorragendes Analyseinstrument, um seine Darstellung des Volkes eruieren und gleichzeitig die Authentizität der Gedankenwelt Forsters bewahren zu können. Dennoch ist festzuhalten, dass die genaue politische Verortung und die daraus resultierende Etikettierung seiner Beurteilung und Bewertung des Volkes nicht Ziel und Zweck der Arbeit sein wird, da die Gedankenwelt Forsters - die aus seinen Schriften zu entnehmen ist - einer ständigen Entwicklung unterworfen und von den äusseren Ereignissen abhängig ist. Dadurch erhält sein Werk eine gedankliche Dichte, deren Beurteilung unter politischen, oft anachronistischen Kriterien mir als unangebracht erscheint.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Page 1
Page 3
1.Einleitung
In den 1790er Jahren entstand eine Trägergruppe deutscher Schriftsteller und Publizisten, die man im damaligen Reich als die herausragendsten Anhänger der Französischen Revolution bezeichnen kann. Viele von ihnen verbrachten einige Zeit in Frankreich, so dass sie die Französische Revolution als Augenzeugen beurteilen konnten. Dieser Umstand führte dazu, dass sie von konservativer Seite schnell als „deutsche Jakobiner“ verschrien wurden. Die „radikalen“ Publizisten lassen sich sozial der Gruppe des so genannten Bildungsbürgertums zuordnen, einer Gruppe Gelehrter und Schriftsteller mit Universitätsabschluss also, die sich ausserhalb der traditionellen Ständegesellschaft bewegte und keinerlei politische Macht besass. Wenn man die Rezeptionsgeschichte ihrer Ideen betrachtet, lässt sich feststellen, dass diese im 19. Jahrhundert, abgesehen von den Schriftstellern und Pamphletisten des Vormärz’ und der 1848er Revolution, kaum mehr aufgenommen und beachtet wurden, was dazu führte, dass Namen und Texte der Verfasser oft in Vergessenheit gerieten.1Von konservativer Seite bis heute diffamiert und allgemein ignoriert, entdeckten vor allem politisch links stehende WissenschaftlerInnen die „deutschen Jakobiner“ wieder.
Die „Jakobiner-Forschung“ konsolidierte sich aber erst nach 1945 zu einem eigenen Forschungszweig; vorher kursierten lediglich vereinzelte Arbeiten, die hauptsächlich den herausragenden Protagonisten der deutschen Republikaner, sprich Georg Forster, Heinrich Würzer, Georg Friederich Rebmann, Konrad Engelbert Oelsner und Georg Christian Wendekind, gewidmet waren. Die primäre Motivation ost-und westdeutscher HistorikerInnen und LiteraturwissenschaftlerInnen bestand oft darin, nach den historischen Wurzeln für den jeweiligen deutschen Staat zu graben und sie für sich zu beanspruchen. Beiden Seiten ging es also um die Konstruktion direkter Traditionslinien, ob es sich nun im Westen um eine republikanisch-demokratische oder im Osten um eine revolutionäre Linie handelte.2
Ihren eigentlichen Höhepunkt erreichte die „Jakobiner-Forschung“ in den 1970er Jahren. Sie war vor allem durch ihre berechtigte Kritik an der deutschen Geschichtsschreibung geprägt, welche bis dato die Schriften der oben genannten Gruppe verharmloste oder ignorierte. Dennoch lässt auch die damalige „Jakobiner-Forschung“ den Blick für die historischen
1Vgl. Reinbold, Wolfgang, Mythenbildung und Nationalismus, S.16
2ebd., S.24
Page 4
Dimensionen oft vermissen. So wurde und wird ständig darauf hingewiesen, wie eng die „deutschen“ Jakobiner die Einheit mit dem Volk gesucht hätten3. Diese Volksverbundenheit wurde zum Teil so stark betont, dass sie nicht selten sogar als eigentliches Charakteristikum der „ deutschen Jakobiner“ aufgefasst wurde. Oft konstituierten die „deutschen Jakobiner“so die einschlägige Forschung - die intelligente Avantgarde, die für das Volk kämpferisch Partei ergreift und sich somit für die Interessen der Rechtlosen einsetzt. Dieser Zustand war nicht zuletzt Folge der unzureichenden Kenntnis der deutschen Situation vor 1789/92, in der es durchaus radikale Forderungen und Erwartungen gab, welche nicht von Frankreich übernommen und deshalb auch nicht als „jakobinisch“ bezeichnet werden sollten.4Die Bewegung des Jakobinismus ist ein rein französisches Phänomen, das ohne die zentralistische Politik seit Richelieu und Louis XIV. und die zentrale Rolle der Stadt Paris nicht denkbar ist. Aus diesem Standpunkt schliesse ich mich Wolfgang Reinbold und Hans-Ulrich Wehler an, welche den Sammelbegriff „deutsche Jakobiner“ als eine „eherverdunkelnde als erhellende Wortwahl“5bezeichnen. Denn die ideologische Spannweite einzelner Protagonisten, „reichtevon massvollen Anhängern der konstitutionellen Monarchie bis hin zu beredten Verfechtern des Republikanismus…Die Ablehnung des Ancien Régime bildete das einigende Band.“6Sie plädieren daher für den Begriff „Republikaner“, der auch in der vorliegenden Arbeit verwendet wird. Wolfgang Reinbold geht in seiner Abgrenzung zwischen deutscher Republikaner und französischen Jakobiner noch einen Schritt weiter, indem er die Gruppe der deutschen Republikaner eindeutig dem Bildungsbürgertum zuordnet und sie sogar als dessen prägnanteste Ausformung bezeichnet.7
Elisabeth Fehrenbach weist zusätzlich darauf hin, dass die meisten deutschen Revolutionsanhänger Schriftsteller gewesen waren und ihnen der Bezug zu konkreten politischen und wirtschaftlichen Interessen gefehlt habe: “Dieaus der Ferne bewunderte Revolution wurde insofern gerade nicht als Vorbild für eigene Handlungsmöglichkeiten verstanden.“8Überhaupt findet sie es äusserst fraglich, die Begriffe Klassenkampf und Jakobinismus auf die deutschen Republikaner zu übertragen, denn ihrer Ansicht nach, beinhalten ihre Texte „reformerische Gedanken und fussten auf dem Bildungsideal der Aufklärung, das zum Ziel hat, das unwissende Volk, den „Pöbel“, zu erziehen.“9
3ebd., S.27
4Vgl. Vierhaus, Rudolf, Deutschland im 18. Jahrhundert, S.215
5Reinbold, Wolfgang, Mythenbildung und Nationalismus, S.35
6Wehler, Hans-Ulrich, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 1 S.354f. zitiert in Reinbold, Wolfgang, Mythenbildung und Nationalismus, ebd.
7Reinbold, Wolfgang, Mythenbildung und Nationalismus, S.55
8Fehrenbach, Elisabeth, Ancien Régime, S.59
9ebd.
Page 5
Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, dem Mythos der volksverbundenen, revolutionären „deutschen Jakobiner“ entgegenzuwirken, indem ich die Darstellung und Rezeption des Volkes in den Schriften Georg Forster aufzeige und darlegen möchte, inwieweit er - als deutscher Republikaner - das deutsche Bildungsbürgertum verkörpert, welches sich ganz dem Bildungsideal der deutschen Aufklärung verschrieben hat. Dieses nämlich begreift unter politischer Aktion vor allem die Erziehung des Menschen, was dem agitierenden, revolutionären Potential der französischenMontagnardsentgegenläuft. Mit seinem Status als Augenzeuge der Pariser Revolution und seiner aktiven Teilnahme an der Mainzer Republik weist Georg Forster im Gegensatz zu anderen deutschen Republikanern über empirische Erfahrung auf, die sich in Form von Essays und Aufzeichnungen - namentlich in seinen „Ansichtenvom Niederrhein“,seiner „Darstellungder Revolution in Mainz“und der fragmentarischen Überlieferung „ParisischeUmrisse“-niederschlugen. Diese