Von Anfang an - Elias J. Connor - E-Book

Von Anfang an E-Book

Elias J. Connor

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Beschreibung

Er ist 18, als er die gleichaltrige Noemi kennen lernt. Alles blüht, ist voller Rosen, und er ist glücklich, die große Liebe gefunden zu haben. Noemi geht mit Leon durch dick und dünn. Sie unternehmen viel, sind oft zusammen und haben viele gemeinsame Interessen. Da ist es für ihn nicht wichtig, dass er ein Junge aus gutem Hause ist und Noemi aus der Plattenbausiedlung am Stadtrand kommt. Und es erscheint ihm nicht ungewöhnlich, dass Noemi nicht will, dass er sie dort besucht. Als er sie eines Abends aber doch überraschen will, entdeckt er ihr dunkles Geheimnis: Sie ist nicht nur überfordert mit der Erziehung ihrer jüngeren Schwester Cassandra, sie ist auch Mitglied einer Gang, die Drogen nimmt. Schneller als er denken kann, hängt Leon mitten im Drogensumpf und wird bei seinem Versuch, Noemi daraus zu befreien, selbst zum abhängigen Drogendealer… Ein packender, beklemmender Thriller aus dem Drogenmilieu, der die Geschichte eines verzweifelten jungen Mannes erzählt, der für seine große Liebe durch die Hölle geht.

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Elias J. Connor

Von Anfang an

Inhaltsverzeichnis

Widmung

Kapitel 1 - Stimmen in der Ferne

Kapitel 2 - Neonlichter

Kapitel 3 - Wer bist du?

Kapitel 4 - Das Ende vom Regenbogen

Kapitel 5 - Disput mit den Eltern

Kapitel 6 - Der heimliche Besuch

Kapitel 7 - Ich will tanzen

Kapitel 8 - Noemis kleine Schwester

Kapitel 9 - Diese flehenden Augen

Kapitel 10 - Sniper

Kapitel 11 - Der Flügelschlag des Schmetterlings

Kapitel 12 - Ich auch

Kapitel 13 - In anderen Welten

Kapitel 14 - In der Hölle

Kapitel 15 - Alleine in der Nacht

Kapitel 16 - Clean

Kapitel 17 - Wie Ferien

Kapitel 18 - Nacht und Nebel

Kapitel 19 - Wieder in der Hölle

Kapitel 20 - Auf der Suche nach Noemi

Kapitel 21 - In seiner Hand

Kapitel 22 - In Liebe, Leon

Über den Autor Elias J. Connor

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Impressum

Widmung

Für Jana.

Meine Wegbegleiterin und treue Seele.

Danke, dass es dich gibt.

Kapitel 1 - Stimmen in der Ferne

Ich sitze auf dem Stuhl und bin ziemlich nervös. Natürlich würde ich es zu Hause nicht sagen, so viel ist klar. Meine Eltern sind sehr integer. Alles muss seine Richtigkeit haben, alles muss am rechten Platz sein. Das Leben muss in geordneten Bahnen verlaufen. Da habe ich einfach keinen Bock auf den Ärger, der mir blühen könnte.

Na ja, aber ich habe seit einer Woche unentschuldigt gefehlt. Und dass das an meinem Chef nicht unerkannt vorbeigeht, das hätte ich mir auch denken können. Jetzt sitze ich hier auf diesem Stuhl und warte darauf, dass er zur Tür reinkommt und mir mein Disziplinarverfahren auferlegt.

Der Job ist ja eigentlich gar nicht so schlecht. Ich bin seit drei Monaten im Zivildienst, hier im Altenheim, und eigentlich sind die Leute hier ganz cool drauf. Manchen von ihnen sieht man ja gar nicht an, dass sie schon 70 oder 80 Jahre alt sind. Die sind so voller Lebensfreude. Sie fühlen sich ganz und gar nicht abgeschoben. Ja, manche von ihnen blühen hier erst richtig auf. Ich denke oft bei mir, Mensch, wenn ich mal so alt werde, dann möchte ich auch so voller Lebensfreude sein.

Aber ich war letzte Woche irgendwie auf Achse, da hatte ich zum Arbeiten keine Zeit. Ich bin morgens nicht raus gekommen. Und mittags hatte ich dann vergessen, anzurufen. Vielleicht auch absichtlich, das weiß ich nicht genau. Als ich dann abends wieder dran gedacht habe, hing ich aber schon wieder in der Kneipe oder in der Disco. Ich trinke mir gerne mal einen. Nicht übermäßig viel, aber so zehn, zwölf Gläser sind es schon. Darf ich ja auch mit meinen 18 Jahren. Aber letzte Woche hatte ich wohl etwas übertrieben, und jetzt habe ich das Disziplinarverfahren am Hals.

Ich hole aus meiner Tasche gerade die Flasche Wasser raus, um meinen Brand zu löschen, den ich noch vom Vorabend habe. Da kommt Herr Schrödel dann rein.

„Guten Tag, Leon, wie geht es dir?“, fragt er super höflich. Man kann ihn hinter seinem Rauschebart fast nicht verstehen. Würde man ihn beschreiben wollen, käme die Figur des Catweasel ihm wahrscheinlich am nächsten.

„Ja, es geht“, antworte ich.

„Nun, dann nehmen wir mal deine Personalien auf“, beginnt er.

Ich bin genervt. Ich stoße einen lauten Atemzug aus und blicke Herrn Schrödel finster an.

„Sie kennen meine Personalien", sage ich. „Sie haben mich vor drei Monaten an die Dienststelle überwiesen, ich war hier bei Ihnen im Büro zum Erstgespräch.“

Herr Schrödel tut so, als hätte er mich gar nicht gehört.

„Name?“, fragt er.

„Leon“, sage ich angenervt.

„Der volle Name.“

„Leon Ludwig“, antworte ich.

„Adresse?“, will er wissen.

Die kennt er auch, dennoch fragt er mich.

„Villa Kunterbunt 7003“, flüstere ich.

„Nochmal, bitte, ich habe dich nicht verstanden.“

Ich stoße einen lauten Seufzer aus.

„Hahnenweg 7 in Düsseldorf“, antworte ich dann.

„Nun, Leon, du weißt, warum du heute hier bist?“

Ich nicke stumm.

„Seit letzter Woche Dienstag bist du in deiner Dienststelle nicht erschienen. Vor drei Wochen hattest du im Altenheim schon einmal einen Tag unentschuldigt gefehlt, und jetzt hast du dich in der ganzen letzten Woche nicht einmal dort gemeldet.“

„Wissen Sie, ich darf zu meiner Verteidigung sagen, dass ich eigentlich vorgesehen war für einen Job im Büro des Bundesamtes für...“, beginne ich, werde aber dann von Herrn Schrödel unterbrochen.

„Der Zivildienst ist eine sehr ernste Angelegenheit, die man heute, Ende des ersten Jahrzehnts des neuen Jahrtausends, schon alleine deshalb ernst nehmen sollte, weil er bald schon wegfallen könnte. Und dann sind erst recht Menschen wie diejenigen, die du betreust, angewiesen auf Menschen wie dich. Da kann man sich einen solchen Lapsus nicht mehr erlauben. Wer dann ein freiwilliges Jahr macht, der ist ein wichtiger Teil unserer Gesellschaft.“

„Das heißt ja aber auch, dass man heute Menschen wie mich noch ersetzen kann“, werfe ich ein.

„Willst du deine Stelle unbedingt aufs Spiel setzen?“, fragt Herr Schrödel nach. „Weißt du, welches Strafmaß vorgesehen ist bei Nichteinhaltung der Richtlinien? Wären wir bei der Bundeswehr – die übrigens auch demnächst in eine Berufsarmee umgewandelt werden soll – käme das einer Fahnenflucht gleich.“

Ich stoße einen genervten Seufzer aus. „Herr Gott nochmal, dann sagen Sie mir doch, was Sie von mir erwarten.“

„Ich erwarte, dass du dir über die möglichen Konsequenzen in der Zukunft, sollte so etwas noch einmal vorkommen, im Klaren bist. Ich erwarte, dass du nicht mehr unentschuldigt fehlst und für jedes Fehlen ein ärztliches Attest anbringst. Du wirst dich bei mir, bei der Heimleitung und gesondert beim Bundesamt schriftlich entschuldigen. Verstanden?“

Das soll alles sein? Ein Schreiben machen, oder von mir aus mehrere, auf dem steht: Ich war ein unartiger, böser Junge? Das dürfte ja zu machen sein.

„War's das?“, will ich wissen.

„Fürs Erste, ja.“

Herr Schrödel packt mitten im Gespräch eine Banane aus, die er zu schälen beginnt.

„Und ich rate dir, lass den Alkohol weg. Ich rieche, dass du gestern getrunken hast.“

„Kommt nicht wieder vor“, gebe ich dann klein bei, unter der Hoffnung, dass dieses blöde Disziplinarverfahren bald zu Ende ist. Ich stehe bereits auf zum Gehen, dann dreht sich Herr Schrödel noch einmal zu mir und sieht mich aus seinem Chefsessel mit ernsten Augen an. „Ich werde deine Eltern benachrichtigen“, meint er dann.

So ein verfluchter Mist. Jetzt habe ich die Kacke richtig am Dampfen. Ich habe gehofft, dass die das nicht spitzkriegen. Aber jetzt wird er die anrufen, und was mir dann zu Hause blühen würde, daran mag ich gar nicht denken. Wäre echt besser, heute dort gar nicht aufzukreuzen, denke ich so bei mir. Meine Güte, ich bin 18. Ich darf machen, was ich will. Also heißt das für mich, ab in die nächste Kneipe und zwei, drei Alt trinken. Vielleicht auch etwas mehr.

Es ist mittlerweile Abend, so gegen zehn Uhr herum muss es sein. Ich sitze hier im Lokal und rede die meiste Zeit nicht. Ich döse so bei meinem Bier vor mich hin. Morgen habe ich eh frei… habe ich doch, oder? Es ist doch morgen Samstag, oder nicht? Ich bin schon so benebelt, dass ich nicht mehr genau weiß, welcher Tag heute ist. Aber eigentlich interessiert mich das gar nicht.

Ich weiß nicht mehr, welche Musik gerade läuft, als ich das erste Mal diese Augen sehe. Ich weiß nicht mehr, was der Typ neben mir sagt, als sie hereinkommt. Ich höre ihn nur irgendetwas sagen, aber seine Worte gehen unter meinem Herzschlag total unter. Ich sehe eigentlich auch nicht mehr, was um mich herum passiert. Aber dieses Mädchen setzt sich dann auf einmal neben mich. Als ich zu ihr rüber schaue, sehe ich dieses lila Kleid, das sie trägt. Ich sehe ihr in die Augen, und ohne etwas zu sagen, streife ich über den oberen Ärmel dieses Kleides.

„He", macht sie nervös.

„Entschuldigung“, sage ich, unter der Hoffnung, dass sie nicht merkt, dass ich schon einen im Tee habe. „Ist das Seide?“

„Muss wohl“, meint das Mädchen. „Wenn es sich so anfühlt.“

„Ja, tut es“, gebe ich zu verstehen. Ich weiß nicht mehr, was sie sich bestellt. Aber ich sage dann dem Kellner, dass er ihr Getränk auf mich schreiben soll.

Sie sieht mich an.

„Denkst du, ich hätte es nötig, mich einladen zu lassen?“, fragt sie. „Sehe ich so aus?“

Ich schnaufe aus. So war das nicht geplant. Eigentlich war es gar nicht geplant. Aber sie geht mir von der ersten Sekunde an nicht mehr aus dem Kopf. Ich beschließe, ihre Einwände schlicht zu überhören.

„Morgen ist eine Party in der Disco im Zentrum“, beginne ich. „Du kennst doch diese riesige Diskothek in der Altstadt, wie heißt die noch gleich?“

Sie sieht mich mit großen Augen an. Dann lacht sie freundlich.

„Hör zu, wenn du mich schon anbaggern willst, dann solltest du dich vielleicht etwas besser vorbereiten, wenn du mich in eine Disco einladen willst. Den Namen solltest du schon wissen.“

Sie trinkt ihr Getränk dann leer und gibt dem Ober dann einen Fünfer. Schließlich steht sie auf, lächelt mir noch mal nett zu und verlässt genauso geheimnisvoll wie sie hereinkam das Lokal wieder.

Ich weiß nicht einmal ihren Namen. Es ist mir noch nicht einmal gelungen, wenigstens aus ihr herauszubekommen, wie sie heißt. Ich spüre, dass ich nichts mehr richtig mitbekomme.

Alles, was ich auf dem Nachhauseweg in meinem Kopf habe, ist der Duft ihres Parfüms, ihre langen Haare und ihr lila Kleid aus Seide.

Zu Hause setze ich mich aufs Bett. Ich verschränke die Arme hinter mir und liege rücklings auf meiner Bettdecke. Den Ärger vom heutigen Tag habe ich bereits vergessen, und meinen Eltern bin ich erfolgreich aus dem Weg gegangen, die hatten schon geschlafen, als ich kam.

Wer war dieses geheimnisvolle Mädchen? Ich will sie wiedersehen. Das will ich um jeden Preis.

Kapitel 2 - Neonlichter

Ich warte.

Aber statt mit mir zu schimpfen, sieht mich mein Vater einfach nur stumm an. Er weiß genau, dass ich das noch weniger ertragen kann, als wenn er was sagt, ich dann zurück schreie, ihm sage, dass es doch mein Scheiß Leben ist und es ihn nichts angehe, ob ich auf der Arbeit schwänze oder warum auch immer fehle.

Aber er sitzt einfach da am Küchentisch unserer Prachtvilla und sieht mich an. Sehr ernst mustert er mich.

„Also, was hast du zu deiner Verteidigung zu sagen?“, fragt er.

Ich schnaufe aus und will ansetzen, ihm etwas zu sagen, aber er unterbricht mich zugleich.

„Du hast letzte Woche ein Disziplinarverfahren gehabt. Du musstest dich bei allen möglichen Stellen entschuldigen, und das schriftlich. Und jetzt hast du schon wieder zwei Tage gefehlt, weil du nichts Besseres zu tun hast, als dein Geld in die Kneipe zu tragen?“

„Ich war beim Arzt, ich habe ein Attest“, werfe ich ein.

Mein Vater kratzt über seine Halbglatze. „Du bekommst 1000 Euro von uns, und das jeden Monat. Du musst nicht einmal arbeiten und kannst dich voll auf dein Studium, welches du hoffentlich nach dem Zivildienst beginnen wirst, konzentrieren. Dann ist das bisschen Arbeit im Altenheim doch nicht zu viel verlangt. Warum lässt du dich so hängen?“

„Ich lasse mich nicht hängen“, entgegne ich. „Ich hab mich nicht wohl gefühlt und war beim Arzt, ganz offiziell.“

„Junge, wir wissen doch beide, dass der Grund für deine Unpässlichkeit deine Sauferei war“, sagt er.

Gott, er kann sich immer so gewählt ausdrücken. Wie ich das hasse. Er benutzt nie Worte wie „Scheiße“, „Fuck“ oder „Kacke“.

„Mann“, gebe ich zu verstehen. „Ich hab nicht zu viel getrunken.“

„Du solltest mal überlegen, ob du nicht vielleicht ein Alkoholproblem haben könntest“, wirft er ein. „Es gibt Stellen, die dir da helfen können. Ganz gleich, was es kostet.“

Klar. Den guten Schein der Familie wahren. Den guten Schein wahren, dass man aus gutem Hause kommt. Darum geht es ihm. Mehr nicht.

„Ich brauche keine Hilfe“, sage ich dann sachlich. „Ich bin 18 und kann machen, was ich will.“

„So lange du die Füße unter meinem Tisch hast…“, fängt er an.

„Das interessiert mich nicht“, unterbreche ich ihn. „Jedes Mal kommst du mit der Leier, solange ich die Füße unter deinem Tisch habe. Meine Güte, ich habe ein Leben. Ich bin halt nicht so integer wie ihr, wo alles strickt nach Regeln abläuft und man sogar nach Stundenplan vögelt, wenn überhaupt.“

„Ich bitte mir solche Worte aus“, sagt der Vater streng. „In dieser Familie wird nicht so gesprochen, schon gar nicht über Mutter und mich.“

„Leck mich!“ Ich stehe auf und laufe in Richtung der Eingangstüre. „Ich bin dann mal weg. Hab keinen Bock auf solche Konversationen.“

Entnervt höre ich meinen Vater noch schnaufen und mir etwas hinterher brüllen, aber das nehme ich schon nicht mehr wahr.

Heute ist ein lauer Sommerabend. Ich setze mich in meinen Audi Cabrio, mache das Dach runter und stelle dann die Anlage auf ganz laut. Dann fahre ich los.

In der Disco soll heute viel los sein. Es ist zwar nicht Wochenende, aber sie haben ja immer mal auch unter der Woche irgendwelche Veranstaltungen. Meist spielen dann dort Bands, oder sie machen irgendwelche Mottopartys mit süßen Studentinnen, die ich dort kennen lernen könnte. Ja, das wäre was. Dann könnte ich mir vielleicht heute eine abschleppen und mit nach Hause nehmen. Auf das Gesicht meiner Eltern am nächsten Morgen würde ich mich freuen. Die denken ja sowieso, dass ich nicht in der Lage bin, eine richtige Beziehung zu führen, bei meinen wechselnden Sexualpartnerinnen, wo keine Beziehung länger als drei Monate hält.

Ha. Andere haben One Night Stands. Ich habe wenigstens Beziehungen von drei Monaten, denke ich so bei mir, und sehe im Geiste schon meinen Vater dieses betreffende Mädchen mit zahlreichen Fragen bombardieren.

What the fuck, kommt es mir in den Sinn, als ich mein Auto parke. Wollen doch mal sehen, was heute Abend so läuft.

Ich muss zwar morgen wieder raus, aber das interessiert mich jetzt nicht.

Als ich die Anlage ausstelle und meine Haare noch mal bürste, kommen auch schon drei, vier Mädels an meinem Auto vorbei gerauscht.

„Coole Karre“, sagt eine.

„Netter Sound“, sagt eine andere.

Ich grinse sie an.

Tja, manche Situationen erfordern nicht mal irgendwelche Vorbereitungen oder besondere Kenntnisse. Meine Kunst zu flirten ist, dass ich die Dinge einfach auf mich zukommen lasse und gar nicht größer drüber nachdenke, was ich eventuell sagen könnte oder sie eventuell sagt. Es ist eigentlich wie automatisch, dass aus mir im passenden Moment immer der passende Spruch heraus kommt.

Ich betrete die Disco, und ungeachtet dessen, dass mein Auto draußen auf dem Parkplatz steht und ich ein echtes Problem habe, wenn ich nachher wieder nach Hause fahren muss, bestelle ich mir gleich ein großes Bier und einen Klaren dabei. Unverzüglich kippe ich das dann in mich rein und fühle mich gleich noch besser, noch größer als ich es ohnehin schon bin.

„Noch mal das Gleiche“, sage ich dann zum Kellner.

Kaum eine Sekunde später rauscht das Mädchen, das eben draußen am Auto vorbei ging, um die Ecke.

„Na, wie geht’s?“, frage ich sie. Sie sieht mich freundlich an. „Wo sind deine Freundinnen?“, will ich dann wissen.

„Tanzen“, antwortet sie. „Hast du auch Lust?“

„Na, sicher“, gebe ich zu verstehen. Und dann lege ich galant die Hand auf die Schulter des Mädchens und führe sie zur Tanzfläche.

Wenn einer weiß, wie abhotten geht, dann ist sie es. Meine Güte, die kann tanzen. Und ich stehe fast bewegungslos neben ihr, aber in meinem fortgeschrittenen alkoholisierten Zustand fühle ich mich wie ein großartiger Tänzer.

Nach einer Weile kommt dann so ein Typ und kommt mit ihr ins Gespräch. Ich nicke ihr freundlich zu und verkrümele mich wieder an die Theke.

Ich beobachte einige der Mädchen, die hier sind, während ich immer mehr trinke und immer mehr die Tatsache außer Acht lasse, dass ich morgen arbeiten muss und mit dem Auto hier bin.

Aber keine kommt an sie ran.

Keine von ihnen hat mir den Zauber geben können, den ich fühlte, als ich sie zum ersten Mal sah. Ihre langen, blonden Haare gehen mir einfach nicht mehr aus dem Kopf. Der Duft ihres Parfüms klebt noch immer in meiner Nase, so als säße sie jetzt neben mir und ich könnte sie riechen. Und dann erst ihre tiefblauen Augen – Mann, oh, Mann, so etwas hat die Welt noch nicht gesehen.

Es ist jetzt fast eine Woche her, dass ich sie damals in der Kneipe getroffen habe. Und ich habe mir Gedanken gemacht, wer sie sein könnte, oder wo ich sie finden könnte. Aber ich fand sie nicht.

Ich weiß nach wie vor nicht mal ihren Namen.

Scheiße, denke ich bei mir. Mit ihr, das könnte ich mir echt vorstellen. Nicht nur, weil sie hübsch ist. Vielleicht sogar eine Ecke zu hübsch. Sie ist so anders als die Anderen. Ihr Auftreten, ihre ganze Art, jedes ihrer Worte – sie ist so… ich kann es nicht beschreiben und finde kein Wort dafür. Aber irgendetwas macht, dass sie mir nicht mehr aus dem Kopf geht. Wenn mich jemand fragen würde, was ich an ihr schätze, dann würde ich antworten: Einfach alles.

Ich bin schon stark alkoholisiert und habe schon mindestens zehn Bier und zehn Kurze intus, als dann eine Band auf die Bühne kommt. Ich weiß nicht einmal, welche Band das ist. Aber ich fühle mich dann auf einmal berufen, mich zum Aufgang der Bühne zu schleichen, hinter den Kulissen herumzugeistern und schließlich auf der Bühne zu landen.

Jetzt sieht mich jeder an. Ich stehe hier oben, und jeder sieht mich an.

„Wir haben einen Gast hier“, höre ich den Sänger der Band sagen. „Wie ist dein Name?“

„Leon“, lalle ich.

„Okay, Leon, dein Publikum“, macht der Sänger. „Publikum, das ist Leon.“

Die Menge klatscht.

Entweder sind sie genau so besoffen wie ich, oder sie denken wirklich, ich würde jetzt etwas machen.

„Leon, hast du Bock, bei unserem nächsten Titel mitzusingen?“, fragt mich der Sänger.

„Klar“, stammele ich. „Bin ein Klasse Sänger.“

Und dann geht das Lied los. Ich weiß nicht, ob ich es kenne, aber im besoffenen Kopf trällere ich einfach mit und stammele die Worte nach, die der Sänger singt, in der völlig falschen Tonlage natürlich.

Es wird mir schon in den ersten Sekunden, als der Track läuft, total dämmrig, und ich gerate ins Wanken.

Ich höre die Menge grölen. Ich weiß nicht, ob sie mitsingen, oder ob sie mich auslachen und mich sogar weg applaudieren.

Das Flackern der Neonlichter dringt an meine Augen, aber schon bald ist es nur noch ein Flackern. Ich merke nichts mehr, bekomme nichts mehr mit. Und dass ich über nichts mehr nachdenke und mir über keine Konsequenzen dessen, was gerade passiert, Gedanken mache, ist jetzt gerade egal. Ich stehe einfach torkelnd da oben und sehe das Flackern des Neonlichts, welches pulsiert.

Auf einmal steht sie vor mir. Sie steht im Publikum, in der Mitte der grölenden Menge, und sieht mir fest in die Augen.

Kein Zweifel, sie ist es. Ich könnte diese Augen nie vergessen. Und jetzt steht sie da und sieht mich an. Und sie lächelt.

Das ist das Letzte, was ich sehe, bevor ich zusammenklappe.

Das Licht ist hell und weiß. Es scheint durch meine Augen durch, obwohl ich sie noch geschlossen habe.

Mann, mir ist so kotzübel.

Wo bin ich?

Ich spüre, dass ich weich liege. Wo immer ich jetzt bin, ich liege auf irgendeinem weichen Untergrund. Und es riecht komisch hier, so nach Medizin und so steril.

„Er hat keine schwerwiegenden Verletzungen, nur ein paar Prellungen“, höre ich jemanden sagen.

„Was ist geschehen?“, sagt eine Stimme, die mir bekannt vorkommt.

„Eine junge Frau hatte ihn gestern Nacht hergebracht. Sie wollte uns ihren Namen aber nicht sagen“, sagt wieder jemand.

Komisch, ich bin ganz geistesabwesend, aber die einzelnen Wortfetzen des Gesprächs bekomme ich sehr gut mit.

Allerdings fühle ich mich nicht in der Lage, irgendwie auf das Gehörte zu reagieren.

„Können wir ihn mit nach Hause nehmen?“, höre ich wieder die bekannte Stimme von eben.

„Wir wollen ihn noch ein oder zwei Tage zur Beobachtung hier behalten, wenn Sie nicht eine Entlassung fordern.“

Der, der das sagt, muss offenbar Arzt oder so sein. Und ich muss offenbar in einer Praxis, oder schlimmer noch, in einem Krankenhaus liegen.

Warum? Was ist bloß geschehen?

Ich denke krampfhaft nach, aber irgendwie gelingt es mir nicht.

Was ist das Letzte, woran ich mich erinnern kann? Was nur?

Plötzlich fällt es mir wie Schuppen von den Augen.

Sie.

Dieses unbekannte, fremde Mädchen, das ich schon zweimal sah. Letzte Woche in der Kneipe, und gestern muss ich sie in der Disco gesehen haben. Aber was ist geschehen?

Ich öffne vorsichtig meine Augen und sehe dann in das verdutzte Gesicht meines Vaters.

„Junge, wie geht es dir?“, fragt er mich gleich.

Aber ich bringe kein Wort heraus. Ich stammele nur irgendwelche Kraftausdrücke, glaube ich, die meine Schmerzen beschreiben sollen. Er sieht mich einfach an und fragt Gott sei Dank nicht weiter.

„Wir nehmen ihn mit“, höre ich ihn dann sagen.

Ich muss dann vom Bett aufstehen. Ich muss mechanisch meine Sachen zusammenklauben und mich anziehen. Diesen weißen Kittel, den ich trage, will ich so schnell wie möglich loswerden. Man sagt ja solche Dinge über Menschen, denen ein weißer Kittel angezogen wird. Ich weiß nicht einmal, wer ihn mir angezogen hat.

Ich muss dann mit meinem Vater zum Auto laufen. Dann muss er mich einladen, und wir fahren dann wohl nach Hause.

Zu Hause muss ich mich auf mein Bett legen, nachdem ich etwa eine gefühlte halbe Stunde auf dem Klo verbracht habe, um dort in Ruhe zu kotzen.

Plötzlich höre ich die Haustürklingel. Ich registriere es nicht, aber ich höre sie.

Ich höre, dass jemand die Haustüre geöffnet haben muss.

Und plötzlich klopft es an meiner Zimmertür. Und dann geht die Türe auf.

„Leon?“, höre ich die süßeste aller je gehörten Stimmen fragen.

Und ich sehe ihr in die Augen, diesem engelsgleichen Mädchen. Lächelnd sieht sie mich an, während sie sich zu mir auf den Bettrand setzt.

„Leon, bist du wieder okay?“, will sie dann wissen.

Ich bin nicht mächtig, ein Wort zu sagen. Meine Traumfrau sitzt hier bei mir auf dem Bett. Ich kann mein Glück gar nicht fassen.

Und mit einem Mal vergesse ich, wie schlecht ich mich eben noch gefühlt haben muss.

„Du bist gestern zusammengeklappt“, erklärt sie. „Ich hab dich ins Krankenhaus gebracht.“

Ich sehe sie an.

„Hast du noch Schmerzen?“, sagt sie mit zarter Stimme. „Kannst du reden?“

„Glaub, schon“, stammele ich. „Wer bist du?“

Und sie streichelt mir über den Kopf und sieht mir tief in die Augen. Dann lächelt sie.

„Ich heiße Noemi.“

Jetzt hat sie einen Namen, die Fremde, die Unbekannte. Jetzt kenne ich ihren Namen. Noemi.

Hätte ich gewusst, dass dies mein Leben so sehr verändert, dann hätte ich mir gewünscht, dass heute gestern wäre. Oder letzte Woche.

Kapitel 3 - Wer bist du?

Während sie sich stumm in meinem Zimmer umsieht, kralle ich mir schnell die Jogginghose, die auf der Lehne meines Stuhls neben meinem Bett liegt, und ziehe sie mir rasch über.

„Entschuldige, wie es hier aussieht…“, bringe ich nur hervor.

„Nein, nein, ist schon okay“, meint sie dann. „Ihr wohnt sehr schön.“

Sie holt ein Haargummi aus ihrer Hosentasche, bindet sich die lange, blonde Mähne zu einem hübschen Pferdeschwanz zusammen. „Noemi…“, sage ich. „Wie hast du mich gefunden?“

Sie grinst nur.

„Ich hab deine Brieftasche dem Arzt gegeben, als ich dich gestern Nacht ins Krankenhaus gebracht habe.“

Sie steht auf und sieht sich meine CDs durch.

„Du stehst auf coole Musik.“

„R'n'B und Rap, das ist so mein Ding. Aber kein Aggro Berlin.“

Ich laufe zur Anlage und lege eine CD von Beyoncé ein.

„Wow“, macht Noemi. „Das ist Halo. Kenne ich.“

Ich nehme Noemi an die Hand und führe sie zu dem Tisch, der bei mir im Raum steht. Dann hole ich aus einem Kühlschrank in meinem Zimmer zwei Energy Drinks und gebe Noemi einen davon.

„Magst du die?“, frage ich.

„Ja“, antwortet sie.

Eine Weile sitzen wir einfach nur da und lauschen Beyoncés Worten.

Ich kann es immer noch nicht fassen. Sie ist da. Das Mädchen, über das ich die ganze letzte Woche nachgedacht habe. Das engelsgleiche Wesen, dessen Anblick ich seit unserem ersten Treffen nicht vergessen konnte – sie sitzt hier bei mir am Tisch und hört Musik mit mir. Ich muss ihr keine Fragen stellen. Ich muss nicht wissen, wer sie ist oder woher sie kommt. Ich muss nichts über sie wissen. Es ist nur wichtig, dass sie jetzt mit mir hier ist, mit mir zusammen in diesem Zimmer sitzt und mich mit ihren blauen Augen so lieb ansieht.

Habe ich mich verliebt?

Es ist nicht wie bei den anderen Frauen. Es ist nicht so, dass ich auf irgendetwas aus bin, was sowieso nicht lange dauern würde. Oder gar einen One Night Stand. Bei Noemi ist es anders. Ich kann dieses Gefühl nicht beschreiben, aber es ist etwas, was ich so mit meinen achtzehn Jahren noch nicht erlebt habe, seit ich begonnen habe, mich in Mädchen zu verlieben. Ich wusste immer, was ich sagen sollte. Ich wusste immer, mich bei den Mädchen, mit denen ich in Kontakt trat, auszudrücken und ins rechte Licht zu setzen. Bei Noemi weiß ich es nicht. Stumm wie ein Fisch schaue ich sie einfach nur an und lächle.

„Hey, du sagst ja gar nichts“, stellt sie dann fest.

„Bin wohl noch etwas benebelt…“, gebe ich zu.

Seltsam – vor jedem anderen Mädchen wäre es mir peinlich gewesen. Aber bei Noemi habe ich das Gefühl, dass sie mich nicht durch eine rosarote Brille sehen würde. Ich denke nicht, dass ich mich irgendwie verstellen muss, besonders cool rüber kommen oder jemand vorgeben muss zu sein, der ich nicht bin.

„Das war ja auch eine Hammeraktion gestern“, sagt sie zu mir. „Kannst froh sein, dass du dir bei deinem Sturz von der Bühne nicht irgendwas gebrochen hast.“

„Ich bin von der Bühne gestürzt?“, frage ich ungläubig.

„Aber volle Kanne“, meint sie. „Schon beim ersten Lied.“

„Was um alles in der Welt hab ich denn auf der Bühne gemacht?“, frage ich verdutzt.

Noemi lacht.

„Du hast versucht zu singen“, sagt sie zu mir.

Ich schlage die Hände über dem Kopf zusammen und halte sie mir vors Gesicht.

„Keine Sorge“, sagt Noemi. „Es hat keiner gemerkt, dass du nicht singen konntest. Als es richtig losging, lagst du schon unter der Bühne.“

Ich muss lachen.

„Passiert dir eigentlich so etwas öfters?“, will sie wissen.

„Manchmal“, gebe ich zu. „Ich bin mal nur in Unterhose mit dem Auto losgefahren und kam in eine Polizeikontrolle.“

Noemi muss lachen.

„Und als ich in Amerika im Urlaub war, hat mich mal eine Frau angesprochen, die mich dann mit auf eine öffentliche Toilette mitgenommen hat, um zu knutschen. Und wenig später war sie weg, und mein ganzes Geld auch“, werfe ich nach.

„Haha“, macht Noemi. „Selbst Schuld.“

Sie lacht laut.

„Es hat sich hinterher herausgestellt, dass sie wohl eine Prostituierte war. Ich hatte nie vor, mit ihr mitzugehen oder mit ihr was zu machen. Aber das musste ich dann den Bullen erklären, die mich für einen Freier hielten. Ist ja in Amerika streng verboten.“

„Und wie hast du dich herausgeredet?“, will sie wissen.

„Ich hab einfach gesagt, ich Tourist, ich keine Ahnung.“

Wir lachen beide.

„Wo in der Welt warst du noch gewesen?“, fragt sie schließlich.

Daraufhin laufe ich zum Schrank und hole eine Fotomappe heraus.

„In Amerika mehrmals“, antworte ich ihr. „Dann viel in Spanien, in Portugal, in England und einmal auch in Thailand.“

Noemi sieht sich die Fotos meiner Reisen an.

„Das sind tolle Bilder“, meint sie dann leise. „Ihr müsst ja ganz schön Kohle haben, wenn du so herumkommst.“

„Mein Vater ist Manager in einem Zeitungsunternehmen“, erkläre ich ihr.

„Ist nicht schlecht.“

„Und du? Was machst du so?“ Sie sieht mich an.

„Ich bin zurzeit Zivi in einem Altenheim.“

„Cool“, sagt sie. „Finde ich ganz schön mutig. Viele würden das nicht machen wollen.“

„Ich hab eigentlich kein Problem damit“, stelle ich klar. „Die Alten sind cool drauf. Und sie freuen sich, wenn ich mal ab und zu ein bisschen frischen Wind in die Bude bringe.“

„Und nach dem Zivildienst, was willst du dann machen?“, fragt sie.

„Ich will studieren“, meine ich. „Weiß aber noch nicht genau, was. Wahrscheinlich Medienwissenschaften oder so.“

„Interessant", stellt Noemi fest. „Ich hätte auch gerne studiert.“

Ich sehe sie an und lege einen fragenden Blick auf.

---ENDE DER LESEPROBE---