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Jules Verne bei Null Papier Komplett neu überarbeitet; reichhaltig illustriert und kommentiert Der »Gun-Club« von Baltimore plant Sensationelles: Nichts Geringeres als den Flug auf den Mond mithilfe eines neuartigen, riesigen Raketenprojektils. Verne nahm in diesem Roman viele Probleme der tatsächlichen Raumfahrt vorweg: Sauerstoffversorgung, Schwerkraft, Treibstoffberechnungen oder Lastenprobleme. Die Geschichte findet seine Fortsetzung im Band »Reise um den Mond« Null Papier Verlag
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Seitenzahl: 254
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Jules Verne
Von der Erde zum Mond
Illustrierte und unzensierte Komplettübersetzung
Jules Verne
Von der Erde zum Mond
Illustrierte und unzensierte Komplettübersetzung
(De la Terre à la Lune)Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected]Übersetzung und Fußnoten: Jürgen SchulzeIllustrationen: Henri de Montaut EV: A. Hartleben’s Verlag, 1874 2. Auflage, ISBN 978-3-962815-05-9
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Inhaltsverzeichnis
Jules Verne – Leben und Werk
Erstes Kapitel – Der Gun-Club
Zweites Kapitel – Mitteilung des Präsidenten Barbicane
Drittes Kapitel – Welchen Eindruck Barbicanes Mitteilung machte
Viertes Kapitel – Gutachten des Observatoriums zu Cambridge
Fünftes Kapitel – Roman des Mondes
Sechstes Kapitel – Was in den Vereinigten Staaten nun nicht mehr unbekannt sein kann, und was man nicht mehr glauben darf.
Siebentes Kapitel – Loblied der Kugel
Achtes Kapitel – Geschichte der Kanone
Neuntes Kapitel – Die Pulverfrage
Zehntes Kapitel – Ein Feind gegen fünfundzwanzig Millionen Freunde
Elftes Kapitel – Florida und Texas
Zwölftes Kapitel – Dem ganzen Erdkreis
Dreizehntes Kapitel – Stone’s-Hill
Vierzehntes Kapitel – Hacke und Kelle
Fünfzehntes Kapitel – Das Gußfest
Sechzehntes Kapitel – Die Kolumbiade
Siebzehntes Kapitel – Eine telegrafische Depesche
Achtzehntes Kapitel – Der Passagier der Atlanta
Neunzehntes Kapitel – Ein Meeting
Zwanzigstes Kapitel – Angriff und Abwehr
Einundzwanzigstes Kapitel – Wie ein Franzose eine Sache zur Ausgleichung bringt
Zweiundzwanzigstes Kapitel – Der neue Bürger der Vereinigten Staaten
Dreiundzwanzigstes Kapitel – Der Projektil-Waggon
Vierundzwanzigstes Kapitel – Das Teleskop des Felsengebirges
Fünfundzwanzigstes Kapitel – Letzte Begebnisse
Sechsundzwanzigstes Kapitel – Feuer!
Siebenundzwanzigstes Kapitel – Bedeckter Himmel
Achtundzwanzigstes Kapitel – Ein neues Gestirn
Ein Nachwort
Danke, dass Sie dieses E-Book aus meinem Verlag erworben haben.
Jules Verne gehört zu den Autoren, die jeder schon einmal gelesen hat. Eine Behauptung, die man nicht über viele Schriftsteller aufstellen kann. Die Geschichten von Verne sind unterhaltend, lehrreich und immer sehr atmosphärisch.
In unregelmäßiger Folge wird mein Verlag die Werke von Verne veröffentlichen – die bekannten wie die unbekannten. Immer in der überarbeiteten Erstübersetzung, um den (sprachlichen) Charme der Zeit beizubehalten.
Korrigiert und kommentiert werden Orts- und Personennamen oder offensichtlich falsche Angaben. Sie finden die Erläuterungen in Fußnoten.
Ich habe es mir auch nicht nehmen lassen, die ursprünglichen Namen zu verwenden: Aus dem Johann wird so wieder der ursprüngliche Jean, aus Ludwig wieder Louis und aus Marianne wieder Marie. Ich denke, das tut den Geschichten nur gut.
Sollten Sie Hilfe benötigen oder eine Frage haben, schreiben Sie mir.
Ihr Jürgen Schulze null-papier.de/kontakt
Reise um die Erde in 80 Tagen
Michael Strogoff - Der Kurier des Zaren
Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer
Eine Idee des Doktor Ox
Eine Überwinterung im Eis
Schwarz-Indien – Oder: Die Stadt unter der Erde
Fünf Wochen im Ballon
Robur der Eroberer
Der Herr der Welt
Von der Erde zum Mond
und weitere …
Beinahe wäre Klein-Jules als Schiffsjunge nach Indien gefahren, hätte eine Laufbahn als Seemann eingeschlagen und später unterhaltsames Seemannsgarn gesponnen, das vermutlich nie die Druckerpresse erreicht hätte.
Jules Verne
Verliebt in die abenteuerliche Literatur
Glücklicherweise für uns Leser hindert man ihn daran: Der Elfjährige wird von Bord geholt und verlebt weiterhin eine behütete Kindheit vor bürgerlichem Hintergrund. Geboren am 8. Februar 1828 in Nantes, wächst Jules-Gabriel Verne in gut situierten Verhältnissen auf. Als ältester von fünf Sprösslingen soll er die väterliche Anwaltspraxis übernehmen, weshalb er ab 1846 in Paris Jura studiert.
Viel spannender findet er schon zu dieser Zeit allerdings die Literatur. Verne freundet sich sowohl mit Alexandre Dumas als auch mit seinem gleichnamigen Sohn an. Gemeinsam mit Vater Dumas verfasst er Opernlibretti und erste dramatische Werke. Nach dem Abschluss seines Studiums beschließt er, nicht nach Nantes zurückzukehren, sondern sich völlig der Dramatik zu widmen.
Zwar schreibt er nicht ganz erfolglos – drei seiner Erzählungen erscheinen in einer literarischen Zeitschrift. Doch zum Leben reicht es nicht, weshalb der junge Autor 1852 den Posten eines Intendanz-Sekretärs am Théâtre lyrique annimmt. Immerhin wird diese Arbeit zuverlässig vergütet und Verne darf sich als Dramatiker betätigen. In seiner Freizeit verfasst er weiterhin Erzählungen, wobei ihn abenteuerliche Reisen am meisten interessieren.
Als er 1857 eine Witwe heiratet, die zwei Töchter in die Ehe mitbringt, muss sich der Literat nach einer besser bezahlten Einkommensquelle umsehen. Während der nächsten zwei Jahre schlägt er sich als Börsenmakler durch, wobei er genug Zeit findet, längere Schiffsreisen zu unternehmen, bevor 1861 sein Sohn Michel geboren wird.
Verliebt ins literarische Abenteuer
Letztlich ist es einer besonderen Begegnung im Jahr 1862 geschuldet, dass alles, was der Autor bisher »geistig angesammelt« hat, in seinen künftigen Romanen kulminieren darf: Der Jugendbuch-Verleger Pierre-Jules Hetzel veröffentlicht Vernes utopischen Reiseroman »Fünf Wochen im Ballon«. Dieses von ihm ohnehin bevorzugte Sujet wird den Schriftsteller nie wieder loslassen – die abenteuerlichen Reisen, auf welcher Route auch immer sie absolviert werden. Hetzel verlegt Vernes noch heute beliebteste Schriften: 1864 »Reise zum Mittelpunkt der Erde«, im folgenden Jahr »Von der Erde zum Mond«, 1869 »Reise um den Mond« und »Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer«. Mit »Reise um die Erde in 80 Tagen« erscheint 1872 Jules Vernes erfolgreichster Roman überhaupt.
Die Zusammenarbeit mit Hetzel, der gleichzeitig als sein Mentor fungiert, sorgt in den späten 1860er Jahren dafür, dass der höchst produktive Schriftsteller seiner Familie einigen Wohlstand bieten und sich selbst »jugendtraumhafte« Reisewünsche erfüllen kann. Sein Verleger stellt ihn namhaften Wissenschaftlern vor – in Kombination mit den erwähnten Reisen entsteht auf diese Weise ein ungeheurer Fundus der Inspiration: Jules Vernes Zettelkasten enthält angeblich 25.000 Notizen!
Zwar ist er seit »Reise um den Mond« gleichermaßen wohlhabend und geachtet; er engagiert sich seit den späten 1880er Jahren sogar als Stadtrat in Amiens, wohin er 1871 mit seiner Familie übergesiedelt war. Der »Ritterschlag« aber bleibt aus: In der Académie française möchte man den Jugendbuchautor nicht haben, er gilt als nicht seriös genug.
Den Zenit seines Schaffens hat der Literat bereits überschritten, als er 1888 bleibende Verletzungen durch den Schusswaffen-Angriff eines geistesgestörten Verwandten davonträgt. Dennoch arbeitet der Autor ununterbrochen weiter. Als Jules Verne im März 1905 stirbt, hinterlässt er ein gewaltiges Gesamtwerk: 54 zu Lebzeiten erschienene Romane, weitere elf Manuskripte bearbeitet sein Sohn Michel nach dem Tod des Vaters. Ergänzt wird Vernes Œuvre durch Erzählungen, Bühnenstücke und geografische Veröffentlichungen.
Geliebt und missachtet
Jenes zwiespältige Verhältnis, das sich bereits in der Ablehnung der Akademiemitglieder äußert, kennzeichnet die akademische Rezeption bis heute: Jules Verne ist eben »nur ein Jugendbuchautor«. Weniger befangene Rezipienten freilich schreiben ihm eine ganz andere Bedeutung zu, die dem Visionär und leidenschaftlichen Erzähler besser gerecht wird.
Wenngleich der alternde Literat zum Ende seines Schaffens durchaus nicht mehr in gläubiger Technikbegeisterung aufgeht, bleiben uns doch genau jene Werke in liebevoller Erinnerung, in denen technische und menschliche Großtaten die Handlung bestimmen: »Reise um die Erde in 80 Tagen« oder »Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer« beispielsweise. Wer als Kind von Nemo und seiner Nautilus liest, wird unweigerlich gefangen von diesem technischen Wunderwerk und dessen Kapitän. Vernes Romane gehören zu jenen Jugendbüchern, die man als Erwachsener gerne nochmals zur Hand nimmt – und man staunt erneut, erinnert sich, lässt sich wiederum einfangen und fragt sich, warum man eigentlich so selten Verne liest…
So wie der Autor sich selbst durch Reisen und Wissenschaft inspirieren lässt, dienen seine Werke seit jeher der Inspiration seiner Leserschaft. Wie präsent dieser exzellente Unterhalter in den Köpfen seiner Leser bleibt, belegen Benennungen in See- und Raumfahrt: Das erste Atom-U-Boot der Geschichte ist die amerikanische USS Nautilus. Ein Raumtransporter der Europäischen Raumfahrtagentur heißt »Jules Verne«, ein Asteroid und ein Mondkrater tragen ebenfalls den Namen des Schriftstellers. Die »Jules Verne Trophy« wird seit 1990 für die schnellste Weltumsegelung verliehen, was dem begeisterten Jachtbesitzer Verne gewiss gefallen hätte.
Der kommerzielle Literaturbetrieb sowie die Filmwirtschaft betrachten den französischen Vater der Science-Fiction-Literatur ebenfalls mit Wohlwollen: Unzählige Neuauflagen der Romanklassiker, Hörbücher und Verfilmungen der rasanten, stets mitreißenden Handlungen sprechen Bände. Mittlerweile gelten die ältesten Verfilmungen selbst als kulturelle Meilensteine, die keineswegs nur ein junges Publikum erfreuen.
Jules Vernes Bedeutung für die Literatur
Der Einfluss Vernes auf nachfolgende Science-Fiction-Autoren ist gar nicht hoch genug einzuschätzen: Aus heutiger Sicht ist er einer der Vorreiter der utopischen Literatur Europas, der noch vor H. G. Wells (»Krieg der Welten«) und Kurd Laßwitz (»Auf zwei Planeten«) das neue Genre begründet. Seinerzeit gibt es diesen Begriff noch nicht, weshalb Hetzel die Romane seines Erfolgsschriftstellers als »Außergewöhnliche Reisen« vermarktet
Der Franzose sieht, anders als Wells und ähnlich wie Laßwitz, im technischen Fortschritt das künftige Wohl der Menschheit begründet. Trotzdem ist Jules Verne vor allem Erzähler: Er will weder warnen wie Wells noch belehren wie Laßwitz, sondern in erster Linie unterhalten. Im Vergleich zum spröden Realismus eines Wells wirken seine Romane für moderne Leser ausufernd, vielleicht sogar geschwätzig. Dennoch sind sie leichter zugänglich als das stilistisch ähnliche Schaffen des Deutschen Laßwitz, weil sie Utopie und Technikbegeisterung nicht zum Zweck ihres Inhalts machen, sondern lediglich zu dessen Träger: Schließlich ist es einfach aufregend, in einem Ballon eine Weltreise anzutreten oder Kapitän Nemo in sein geheimes Reich zu folgen.
Von der Erde zum Mond
Während des Bundeskriegs der Vereinigten Staaten bildete sich zu Baltimore in Maryland ein neuer Klub von großer Bedeutung. Es ist bekannt, wie energisch sich bei diesem Volk von Reedern, Kaufleuten und Mechanikern der militärische Instinkt entwickelte. Einfache Kaufleute brauchten nur in ihrem Comptoir1 auf- und abzuschreiten, um unversehens Hauptleute, Obristen, Generäle zu werden, ohne die Militärschule zu Westpoint durchzumachen; bald standen sie in der »Kriegskunst« ihren Kollegen der Alten Welt nicht nach und verstanden gleich diesen durch Vergeuden von Kugeln, Millionen und Menschen Siege zu gewinnen.
Aber in der Ballistik übertrafen sie die Europäer ganz außerordentlich. Sie fertigten Geschütze nicht allein von höchster Vollkommenheit, sondern auch von ungewöhnlicher Größe, die folglich eine noch unerhörtere Tragweite haben mussten. In Beziehung auf rasante und Breche-Schüsse, Schüsse in schiefer, in gerader Richtung oder vom Rücken her – kann man die Engländer, Franzosen, Preußen nichts mehr lehren; aber ihre Kanonen, Haubitzen und Mörser sind nur Sackpistolen gegen die fürchterlichen Maschinen der amerikanischen Artillerie.
Das ist aber nicht zum Verwundern. Die Yankees, die ersten Mechaniker auf der Welt, sind geborene Ingenieure, wie die Italiener Musiker, die Deutschen Metaphysiker. Ganz natürlich, dass sich ihre kühne Genialität in ihrer Geschützkunde zu erkennen gab. Daher jene Riesenkanonen, die zwar weit weniger nützen als die Nähmaschinen, doch ebenso viel Staunen und noch mehr Bewunderung erregen. Bekannt sind von solchen Wunderwerken die Parott, Dahlgreen, Rodman. Die Armstrong, Palliser, Treuille de Beaulieu mussten vor ihren überseeischen Rivalen die Segel streichen.
Daher standen denn auch während des fürchterlichen Kampfes der Nord- und Südstaaten die Artilleristen im allerhöchsten Ansehen; die Journale der Union priesen ihre Erfindungen mit Enthusiasmus, und es gab keinen armseligen Krämer, keinen einfältigen Buben, der sich nicht den Kopf zerbrach mit unsinnigen Schussberechnungen.
Wenn aber einem Amerikaner eine Idee im Kopfe steckt, so sucht er sich einen zweiten Amerikaner, um sie zu teilen. Sind ihrer drei, so wählen sie einen Präsidenten und zwei Sekretäre; vier, so ernennen sie einen Archivisten, und das Büro tritt in Wirksamkeit. Bei Fünfen berufen sie eine Generalversammlung, und der Klub ist fertig. So ging’s auch zu Baltimore. Einer erfand eine Kanone, assoziierte sich mit einem, der sie goss, und einem anderen, der sie bohrte. Aus einem solchen Kern erwuchs auch der Gun-Club.2 Einen Monat nach seiner Bildung zählte er 1833 wirkliche Mitglieder und 30.575 korrespondierende.
Unerlässliche Bedingung für jedes Mitglied des Klubs war, dass man eine Kanone oder mindestens irgendeine Feuerwaffe erfunden oder doch verbessert hatte. Aber, offen gesagt, die Erfinder von Revolvern zu fünfzehn Schuss, von Pivot-Karabinern oder Säbelpistolen genossen kein großes Ansehen. Die Artilleristen behaupteten in jeder Hinsicht den ersten Rang.
»Die Achtung, welche sie genießen«, sagte einmal einer der gescheitesten Redner des Gun-Clubs, »steht im Verhältnis zur Masse ihrer Kanonen, und zwar nach direktem Maßstab des Quadrats der Distanzen, welche ihre Geschosse erreichen!«
Noch etwas mehr, das Newton’sche Gravitationsgesetz verpflanzte sich in die moralische Welt.
Man kann sich leicht vorstellen, was, nachdem der Gun-Club einmal gegründet war, das erfinderische Genie der Amerikaner in dieser Gattung zutage förderte. Die Kriegsmaschinen nahmen einen kolossalen Maßstab an, und die Geschosse flogen weit über die ihnen gesteckten Schranken hinaus, um harmlose Spaziergänger zu zerreißen. Alle diese Erfindungen ließen die schüchternen Werkzeuge der europäischen Artillerie weit hinter sich. Man urteile aus folgenden Zahlen.
Einst, »wenn’s gut ging«, vermochte ein Sechsunddreißigpfünder in einer Entfernung von dreihundert Fuß sechsunddreißig Pferde von der Seite her zu durchbohren und dazu achtundsechzig Mann. Die Kunst lag damals noch in der Wiege. Seitdem hat sie Fortschritte gemacht. Die Rodman-Kanone, die eine Kugel von einer halben Tonne sieben (engl.) Meilen weit schleuderte, hätte leicht hundertundfünfzig Pferde und dreihundert Mann niedergeworfen. Es war im Gun-Club gar die Rede davon, eine förmliche Probe damit anzustellen. Aber, ließen sich’s auch die Pferde gefallen, das Experiment zu machen, an Menschen fehlte es leider.
Wie dem auch sei, diese Kanonen leisteten Mörderisches, und bei jedem Schuss fielen die Menschen wie die Ähren unter der Sense. Was wollte neben solchen Geschossen die berühmte Kugel zu Coutras bedeuten, welche im Jahre 1587 fünfundzwanzig Mann kampfunfähig machte, und die andere, welche bei Zorndorf 1758 vierzig Mann tötete, und 1742 bei Kesselsdorf die österreichische, die bei jedem Schuss siebzig Feinde niederwarf? Was war dagegen das erstaunliche Geschützfeuer bei Jena und Austerlitz, das die Schlachten entschied? Da gab’s während des Bundeskriegs ganz andere Dinge zu schauen!
Mitglieder des Gun-Clubs.
Bei Gettysburg traf ein kegelförmiges Geschoss aus einer gezogenen Kanone dreiundsiebzig Feinde, und beim Übergang über den Potomak beförderte eine Rodmankugel zweihundertfünfzehn Südländer in eine ohne Zweifel bessere Welt. So verdient auch ein fürchterlicher Mörser, den J.T. Maston, ein hervorragendes Mitglied und beständiger Sekretär des Gun-Clubs, erfand, erwähnt zu werden; seine Wirkung war noch mörderischer, denn beim Probieren tötete er dreihundertsiebenunddreißig Personen – freilich beim Zerspringen!
Der Präsident Barbicane.
Diese Zahlen sprechen beredt ohne Kommentar. Auch wird man ohne Widerrede die folgende vom Statistiker Pitkairn aufgestellte Berechnung gelten lassen: dividiert man die Anzahl der durch die Kugeln gefallenen Opfer mit der Zahl der Mitglieder des Gun-Clubs, so ergibt sich, dass auf Rechnung jedes einzelnen des letzteren durchschnittlich 2375 Mann kommen, nebst einem Bruchteil.
Nimmt man diese Ziffern in Erwägung, so ist’s augenscheinlich, dass das Trachten dieser gelehrten Gesellschaft einzig auf Menschenvertilgung zu philanthropischem Zweck und auf Vervollkommnung der Kriegswaffen als Zivilisationsmittel gerichtet war. Es war ein Verein von Würgengeln, sonst die besten Menschenkinder der Welt.
Diese Yankees, muss man weiter anführen, von erprobter Tapferkeit ließen’s nicht beim Reden bewenden und traten persönlich ein. Man zählte unter ihnen Offiziere jedes Grades vom Leutnant bis zum General, Militärpersonen jedes Alters, Anfänger im Kriegsdienst und bei der Lafette ergraute Männer. Manche fielen auf der Walstatt,3 und ihre Namen wurden ins Ehrenbuch des Gun-Clubs eingetragen, und von denen, welche davonkamen, trugen die meisten Beweise ihrer unzweifelhaften Unerschrockenheit an sich. Krücken, hölzerne Beine, gegliederte Arme, Haken statt der Hände, Kinnbacken von Kautschuk, Schädel von Silber, Nasen von Platin, nichts mangelte in der Sammlung, und der obgedachte Pitkairn berechnete ebenfalls, dass im Gun-Club nicht völlig ein Arm auf vier Personen kam und nur zwei Beine auf sechs.
Aber diese wackeren Artilleristen machten sich nicht so viel daraus, und sie waren mit Recht stolz darauf, wenn das Bulletin einer Schlacht zehnmal mehr Opfer anführte, als Geschosse waren abgefeuert worden.
Eines Tages jedoch – ein trauriger, bedauerlicher Tag – unterzeichneten die Überlebenden den Frieden, der Geschützdonner hörte allmählich auf, die Mörser verstummten, die Haubitzen wurden für lange Zeit unschädlich gemacht, und die Kanonen kehrten gesenkten Hauptes in die Arsenale zurück, die Kugeln wurden in den Zeughäusern aufgeschichtet, die blutigen Erinnerungen erblichen, die Baumwollstauden sprossten üppig auf den reich gedüngten Feldern, mit den Trauerkleidern wurde auch der Schmerz abgelegt, und der Gun-Club versank in vollständige Untätigkeit.
»Trostlos!« sagte eines Abends der tapfere Tom Hunter, während seine hölzernen Beine am Kamin verkohlten: »Nichts mehr zu tun. Nichts mehr zu hoffen! Welch langweiliges Leben! O goldene Zeit, da einst jeden Morgen lustiger Kanonendonner uns weckte!«
»Die Zeit ist hin?« erwiderte der muntere Bilsby. »Das war eine Lust! Man erfand seinen Mörser, und war er gegossen, so probierte man ihn vorm Feind; dann begab man sich wieder ins Lager mit einer Belobigung Shermans oder einem Handschlag Mac-Clellans! Aber nun sind die Generale wieder auf ihren Comptoirs und versenden harmlose Baumwollballen! Ja, wahrhaftig, die Artillerie hat in Amerika keine Zukunft mehr!«
»Ja, Bilsby«, rief Obrist Blomsberry aus, »das sind grausame Täuschungen! Eines Tags verlässt man seine friedlichen Gewohnheiten, übt sich in den Waffen, zieht aus Baltimore ins Feld, tritt da als Held auf, und zwei, drei Jahre später muss man die Frucht seiner Strapazen wieder verlieren, in leidiger Untätigkeit einschlafen.«
»Und kein Krieg in Aussicht!« sagte darauf der berühmte J.T. Maston und kratzte dabei mit seinem eisernen Haken seinen Guttapercha-Schädel.4 »Kein Wölkchen am Himmel, und zu einer Zeit, da noch so viel in der Artilleriewissenschaft zu tun ist! Da hab’ ich diesen Morgen einen Musterriss fertiggebracht, samt Plan, Durchschnitt und Aufriss, für einen Mörser, der die Kriegsgesetze umzuändern bestimmt ist!«
»Wirklich?« erwiderte Tom Hunter, und dabei fiel ihm unwillkürlich der letzte Versuch des ehrenwerten J.T. Maston ein.
»Ja, wirklich«, entgegnete dieser. »Aber wozu nun so viele Studien, das Überwinden so vieler Schwierigkeiten? Ist das nicht verlorene Mühe? Die Bevölkerung der Neuen Welt scheint entschlossen zu sein, nun in Frieden zu leben, und unsere kriegerische Tribüne hat bereits Katastrophen in Folge des Anwachsens der Bevölkerung geweissagt!«
»Indessen, Maston«, fuhr Obrist Blomsberry fort, »in Europa gibt’s immer noch Kriege fürs Prinzip der Nationalitäten!«
»Nun denn?«
»Nun denn! Da könnte man vielleicht einen Versuch machen, und wenn man unsere Dienste annähme? …«
»Was meinen Sie? Ballistik zugunsten von Ausländern.«
»Besser, als gar nichts damit treiben«, entgegnete der Obrist.
»Allerdings«, sagte J.T. Maston, »es wäre wohl besser, aber an so einen Ausweg darf man nicht einmal denken.«
»Und weshalb?« fragte der Obrist.
»Weil man in der Alten Welt über das Avancement5 Ideen hat, die unseren amerikanischen Gewohnheiten schnurstraks zuwiderlaufen. Die Leute dort meinen, man könne nicht kommandierender General werden, wenn man nicht zuvor Unterleutnant gewesen, was auf dasselbe hinausläuft, als man verstehe nicht, eine Kanone zu richten, wenn man sie nicht selbst gegossen hat! Nun ist aber selbstverständlich …«
»Lächerlich!« erwiderte Tom Hunter, indem er mit einem Bowiemesser Schnitte in die Arme seines Lehnsessels machte; »und weil dem so ist, so bleibt uns nichts übrig, als Tabak zu pflanzen oder Tran zu sieden!«
»Wie!« rief J.T. Maston mit laut hallender Stimme, »wir sollen unsere letzten Lebensjahre nicht auf die Vervollkommnung der Feuerwaffen verwenden! Es sollte sich keine Gelegenheit mehr ergeben, unsere Geschosse zu probieren! Der Blitz von unseren Kanonen sollte nicht mehr die Luft erhellen! Es sollte sich keine internationale Streitfrage ergeben, die Anlass gäbe, einer überseeischen Macht den Krieg zu erklären. Sollten nicht die Franzosen eins unserer Dampfboote in Grund bohren, und die Engländer sollten nicht mit Verachtung des Völkerrechts etliche unserer Landsleute hängen!«
»Nein, Maston«, entgegnete der Obrist Blomsberry, »dies Glück wird uns nicht werden! Nein! Kein einziger dieser Fälle wird eintreten, und geschähe es, so würden wir ihn nicht benützen! Das amerikanische Selbstgefühl schwindet von Tag zu Tag, und wir werden zu Weibern!«
»Ja, wir sinken herab!« erwiderte Bilsby.
»Und man drückt uns herab!« entgegnete Tom Hunter.
»Dies alles ist nur allzu wahr«, erwiderte J.T. Maston mit erneuter Heftigkeit. »Tausend Gründe, sich zu schlagen, lassen sich aus der Luft greifen, und man schlägt sich nicht! Man will Arme und Beine schonen, und das zugunsten von Leuten, die nichts damit anzufangen wissen! Und, denken Sie, man braucht einen Grund zum Krieg nicht so weit herzuholen: hat nicht Nord-Amerika einst den Engländern gehört?«
»Allerdings«, erwiderte Tom Hunter, indem er mit seiner Krücke das Feuer schürte.
»Nun denn!« fuhr J.T. Maston fort, »warum sollte nicht England einmal an die Reihe kommen, den Amerikanern zu gehören?«
»Das wäre nur recht und billig«, erwiderte lebhaft der Obrist Blomsberry.
»Machen Sie einmal dem Präsidenten der Vereinigten Staaten den Vorschlag«, rief J.T. Maston, »und Sie werden sehen, wie er Sie empfangen wird!«
»Gewiss wohl schlecht«, brummte Bilsby zwischen den Zähnen, die er noch hatte.
»Meiner Treu!« rief J.T. Maston, »auf meine Stimme hat er nicht mehr zu rechnen!«
»Auch auf die unsrigen nicht«, erwiderten einstimmig die kriegerischen Invaliden.
»Unterdessen«, erwiderte J.T. Maston zum Schluss, »gibt man mir nicht Gelegenheit, meinen neuen Mörser auf einem wirklichen Schlachtfeld zu probieren, so trete ich aus dem Gun-Club und vergrabe mich in den Savannen von Arkansas!«
»Da gehen wir mit«, erwiderten die Genossen des kühnen J.T. Maston.
So standen die Dinge, die Geister erhitzten sich, und der Klub war mit naher Auflösung bedroht, als ein unerwartetes Ereignis dazwischenkam. Tags nach dieser Unterredung erhielt jedes Mitglied der Gesellschaft ein folgendermaßen abgefasstes Zirkular:6
Baltimore, 3. Oktober.
Der Präsident des Gun-Clubs beehrt sich, seine Kollegen zu benachrichtigen, dass er in der Sitzung am 5. d. eine Mitteilung zu machen hat, welche sie lebhaft interessieren wird. Demnach bittet er sie, ungesäumt der im Gegenwärtigen enthaltenen Einladung zu folgen.
Mit herzlichem Gruß Impey Barbicane, Präsident.
Am 5. Oktober um acht Uhr abends drängte sich eine dichte Menge in den Sälen des Gun-Clubs, 21. Union-Square. Alle zu Baltimore einheimischen Mitglieder der Gesellschaft hatten sich auf die Einladung ihres Präsidenten dahin begeben. Die korrespondierenden langten mit Express zu Hunderten in der Stadt an, und so groß auch die Sitzungshalle war, so konnte die Menge der Gelehrten darin nicht mehr Platz finden; sie strömte über in die anstoßenden Säle, die Gänge bis mitten in die äußeren Höfe, wo sie mit dem gewöhnlichen Volk zusammentraf, das sich an den Eingängen drängte; indem jeder in die vordersten Reihen zu gelangen trachtete, alle voll Begierde, die wichtige Mitteilung des Präsidenten Barbicane zu vernehmen, stieß und schob man sich herum, zerdrückte sich mit jener Freiheit des Handelns, welche den in den Ideen des Selfgovernment1 erzogenen Massen eigentümlich ist.
An jenem Abend hätte ein zu Baltimore anwesender Fremder um keinen Preis in den großen Saal gelangen können; derselbe war ausschließlich den einheimischen Mitgliedern oder den Korrespondenten vorbehalten; kein anderer konnte darin einen Platz bekommen; und die Notabeln2 der Stadt, die Mitglieder des Rates der »Auserkorenen«, hatten sich unter die Menge ihrer Untergebenen mengen müssen, um flüchtig zu erhaschen, was drinnen vorging.
Die unermesslich große Halle bot den Blicken einen merkwürdigen Anblick dar. Das umfassende Lokal war zum Erstaunen für seine Bestimmung geeignet. Hohe Säulen, aus übereinandergesetzten Kanonen gebildet, auf einer dicken Unterlage von Mörsern, trugen die feinen Verzierungen des Gewölbes, gleich Spitzen aus Guss gefertigt. Vollständige Rüstungen von Stutzern, Donnerbüchsen, Büchsen, Karabinern, alle Feuerwaffen alter und neuer Zeit, waren an den Wänden mit malerischen Verschlingungen gruppiert. Das Gas strömte in vollen Flammen aus tausend Revolvern, die in Form von Lüstern zusammengeordnet waren, während Girandolen von Pistolen und Kandelaber, aus Bündeln von Flintenläufen gebildet, die glänzende Beleuchtung vollendeten. – Die Kanonenmodelle, die Probemuster von Bronze, die durchlöcherten Zielscheiben, die von Kugeln des Gun-Clubs zerschossenen Platten, die Auswahl von Setzern und Wischern, die Rosenkränze von Bomben, die Halsbänder von Geschossen, die Girlanden von Granaten, kurz, alle Werkzeuge des Artilleristen überraschten das Auge durch ihre staunenerregende Anordnung und erweckten den Gedanken, dass sie in Wahrheit mehr zum Schmuck als zum Morden bestimmt seien.
Am Ehrenplatze sah man unter einer glänzenden Glasglocke ein zerbrochenes, vom Pulver zerdrehtes Stück von einem Kanonenstoß, kostbares Reststück von der Kanone J.T. Mastons.
Am Ende des Saales saß auf einem breiten Sonderplatze der Präsident, umgeben von vier Sekretären. Sein Sitz, der sich auf einer mit Schnitzwerk gezierten Lafette befand, war im ganzen gleich einem starken Mörser von zweiunddreißig Zoll geformt, unter einem Winkel von neunzig Grad aufgeprotzt und an Zapfen befestigt, sodass der Präsident sich auf demselben wie auf einem Schaukelstuhl (rocking chair) in angenehmster Weise schaukeln konnte. Auf dem Schreibtisch, einer breiten Platte von Eisenblech auf sechs Karronaden,3 sah man ein Tintenfass von besonderem Geschmack, das aus einer kostbar gemeißelten Biskayer Büchse gebildet war, und eine Donnerglocke, die bei Gelegenheit wie ein Revolver knallte. Bei heftigem Streit reichte diese neu erfundene Glocke manchmal kaum hin, die Stimmen dieser Legion von erhitzten Artilleristen zu übertönen.
Vor dem Schreibtisch waren kleine Bänke im Zickzack, gleich den Linien einer Verschanzung, aufgestellt und bildeten eine Reihenfolge von Basteien4 und Kurtinen.5 Auf diesen saßen die Mitglieder des Gun-Clubs, und diesen Abend konnte man sagen, »es fehlte nicht an Mannschaft auf den Wällen«. Man kannte den Präsidenten gut genug, um zu wissen, dass er ohne den gewichtigsten Grund seine Kollegen nicht in Bewegung gesetzt hätte.
Impey Barbicane war ein Mann von vierzig Jahren, ruhig, kaltblütig, streng, von außerordentlich ernstem und konzentriertem Geist, pünktlich wie ein Chronometer, von erprobtem Temperament, unerschütterlichem Charakter, wenig ritterlich, doch abenteuerlich, aber voll praktischer Ideen, selbst bei den verwegensten Unternehmungen; – er war in hervorragender Weise der Mann Neu-Englands, der nordische Pflanzer, der Abkömmling jener Rundköpfe,6 die einst den Stuarts so gefährlich wurden, der unversöhnliche Feind der südlichen Gentlemen, jener vormaligen Junker des Mutterlandes. Mit einem Wort, er war ein Yankee reinsten Wassers durch und durch.
Barbicane hatte sich im Holzhandel ein großes Vermögen erworben; während des Krieges zum Artilleriedirektor ernannt, zeigte er sich fruchtbar an Erfindungen, kühn in Ideen, trug viel zu den Fortschritten dieser Waffe bei und gab den experimentalen Forschungen einen unvergleichlichen Schwung.
Ein Mann von mittlerer Statur, hatte er – seltene Ausnahme im Gun-Club – ganz wohl erhaltene Glieder. Seine scharf ausgeprägten Gesichtszüge waren wie mit dem Lineal nach dem Winkelmaße geschnitten, und wenn es wahr ist, dass man, um eines Menschen instinktiven Charakter zu erkennen, ihn im Profil ansehen müsse, so konnte man bei ihm darin die deutlichsten Anzeichen von Energie, Kühnheit und Kaltblütigkeit wahrnehmen.
Eine Versammlung des Gun-Club.
In diesem Augenblick war er in seinem Lehnstuhl unbeweglich, stumm, in Gedanken versenkt, den Blick nach innen gerichtet, mit einem hoch geformten Hut – schwarzem Seidenzylinder – welcher, scheint es, den amerikanischen Schädeln angeschraubt ist.
Triumph-Fackelzug.
Das lärmende Geplauder seiner Kollegen um ihn her störte ihn nicht; sie fragten sich einander, schweiften auf dem Feld der Vermutungen, forschten in den Zügen ihres Präsidenten und trachteten vergeblich, das X seiner undurchdringlichen Physiognomie herauszubekommen.
Als die Uhr des großen Saales mit Donnerschlägen die Stunde verkündete, erhob sich Barbicane plötzlich, als wie von einer Sprungfeder emporgeschnellt. Alles lauschte, und der Redner ließ sich mit etwas emphatischem Ton folgendermaßen vernehmen:
»Tapfere Kollegen, schon allzu lange hat ein unfruchtbarer Friede die Mitglieder des Gun-Clubs in bedauerliche Untätigkeit versetzt. Nach vier so ereignisvollen Jahren mussten wir unsere Arbeiten einstellen und auf dem Wege des Fortschritts plötzlich haltmachen. Ich nehme keinen Anstand, es laut auszusprechen, jeder Krieg, der uns wieder die Waffen in die Hand gäbe, würde willkommen sein …«
»Ja, der Krieg!« rief stürmisch J.T. Maston.
»Hört! Hört!« vernahm man allerwärts.
»Aber der Krieg«, sagte Barbicane, »ist unter gegenwärtigen Umständen unmöglich; und was sich auch der ehrenwerte Kollege, welcher mich unterbrach, für Hoffnungen machen mag, es wird eine Reihe von Jahren verfließen, ehe unsere Kanonen wieder auf einem Schlachtfeld donnern. Das muss man sich nun gefallen lassen, und in einem anderen Ideenkreise Nachahmung für unseren Tätigkeitstrieb suchen.«
Da die Versammlung merkte, dass ihr Präsident nun auf den Hauptpunkt kam, verdoppelte sie ihre Aufmerksamkeit.
»Seit einigen Monaten, wackere Kollegen«, fuhr Barbicane fort, »habe ich darüber nachgedacht, ob wir nicht – doch innerhalb unseres Spezialfachs – imstande wären, eine große, des neunzehnten Jahrhunderts würdige Forschung vorzunehmen und ob nicht die Fortschritte in der Ballistik uns in den Stand setzten, sie glücklich auszuführen. Zu dem Ende habe ich geforscht, gearbeitet, Berechnungen angestellt, und das Ergebnis meiner Studien war die Überzeugung, dass wir bei einer Unternehmung, die in jedem anderen Lande unausführbar sein würde, zu einem glücklichen Ziele gelangen müssen. Über dieses reiflich durchdachte Projekt will ich Ihnen nähere Mitteilung machen; es ist Ihrer würdig, würdig der Vergangenheit des Gun-Clubs, und wird unfehlbar großes Aufsehen in der Welt machen!«
»Viel Aufsehen?« rief ein leidenschaftlicher Artillerist.
»Sehr viel Aufsehen, im echten Sinne des Worts«, erwiderte Barbicane.
»Nicht unterbrechen!« rief es von anderen Seiten.
»Ich bitte Sie also, wackere Kollegen«, fuhr der Präsident fort, »mir Ihre volle Aufmerksamkeit zu schenken.«
Unwillkürliche Bewegung ergriff die Versammlung. Barbicane rückte rasch seinen Hut und drückte ihn fest, dann fuhr er mit ruhiger Stimme fort:
»Es ist keiner unter Ihnen, wackere Kollegen, der nicht den Mond gesehen oder mindestens von ihm sprechen gehört hätte. Wundern Sie sich nicht, dass ich Sie hier über das Gestirn der Nacht unterhalte. Vielleicht ist’s uns vorbehalten, für diese unbekannte Welt die Rolle des Kolumbus zu spielen. Begreifen Sie mich, unterstützen Sie mich mit allen Kräften, so will ich Sie führen, diese Eroberung zu machen, und der Name des Mondes wird sich denen der sechsunddreißig Staaten anreihen, welche den großen Bund dieses Landes bilden.«
»Hurra dem Mond!« rief der Gun-Club wie mit einer Stimme.
»Man hat viel Studien über den Mond gemacht«, fuhr Barbicane fort. »Seine Masse, Dichtigkeit, sein Gewicht und Umfang, seine Beschaffenheit, Bewegungen, Entfernung, seine Rolle in der Sonnenwelt sind nun genau bekannt; man hat Mondkarten gefertigt, welche an vollkommener Ausführung den Erdkarten wenigstens gleichkommen, wofern sie dieselben nicht übertreffen; die Fotografie hat von unserem Trabanten Musterbilder von unvergleichlicher Schönheit geliefert. Kurz, man weiß von dem Mond alles, was die mathematischen Wissenschaften, Astronomie, Geologie, Optik uns lehren können; aber bis jetzt ist noch nie ein direkter Verkehr mit demselben hergestellt worden.«
Bei diesem Satz des Redners gab sich eine heftige Bewegung des Interesses und der Überraschung zu erkennen.
»Gestatten Sie mir«, fuhr derselbe fort, »mit einigen Worten daran zu erinnern, wie einige glühende Geister in fantasievollen Reisebeschreibungen vorgaben, die Geheimnisse unseres Trabanten ergründet zu haben. Im siebzehnten Jahrhundert rühmte sich ein gewisser David Fabricius, die Bewohner des Mondes mit eigenen Augen gesehen zu haben. Im Jahre 1649 veröffentlichte ein Franzose J. Beaudoin, eine Reise in den Mond, von dem spanischen Abenteurer Dominico Gonzalez unternommen. Zu derselben Zeit ließ Cyrano de Bergerac die berühmte Expedition, welche in Frankreich so viel Erfolg hatte, erscheinen. Später schrieb ein anderer Franzose, Fontenelle mit Namen, über die Mehrheit der Welten ein Hauptwerk; aber die Wissenschaft überbietet in ihrem Fortschritt auch die Meisterwerke! Ums Jahr 1835 erzählte ein aus dem New York Americain übersetztes Werkchen, Sir J. Herschel, der zum Zweck der astronomischen Studien ans Kap der Guten Hoffnung gesendet worden war, habe vermittelst eines vervollkommneten Teleskops den Mond bis auf eine Entfernung von achtzig Yards7 nahe gebracht. Da habe er ganz deutlich Höhlen beobachtet, worin Flusspferde hausten, grüne mit Goldsaum befranste Berge, Schöpse8