Von der Erde zum Mond - Jules Verne - E-Book

Von der Erde zum Mond E-Book

Jules Verne.

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Beschreibung

mehrbuch-Weltliteratur! eBooks, die nie in Vergessenheit geraten sollten. Das Werk beschäftigt sich hauptsächlich mit den Vorbereitungen der ersten Mondfahrt. Dabei stehen die drei späteren Astronauten Impey Barbicane, Kapitän Nicholl und Michel Ardan sowie ihre Freunde im Zentrum. Die Mondfahrt selbst wird in der Fortsetzung Reise um den Mond beschrieben.

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Von der Erde zum Mond

Jules Verne 

Inhaltsverzeichnis
Erstes Capitel.
Der Gun-Club
Zweites Kapitel.
Mittheilung des Präsidenten Barbicane.
Drittes Capitel.
Welchen Eindruck Barbicane's Mittheilung machte.
Viertes Capitel.
Gutachten des Observatoriums zu Cambridge.
Fünftes Capitel.
Roman des Mondes.
Sechstes Capitel.
Was in den Vereinigten Staaten nun nicht mehr unbekannt sein kann, und was man nicht mehr glauben darf.
Siebentes Capitel.
Loblied der Kugel.
Achtes Kapitel.
Geschichte der Kanone.
Neuntes Capitel.
Die Pulverfrage
Zehntes Capitel.
Ein Feind gegen fünfundzwanzig Millionen Freunde.
Elftes Capitel.
Florida und Texas.
Zwölftes Capitel.
Dem ganzen Erdkreis.
Dreizehntes Capitel.
Stone's-Hill.
Vierzehntes Capitel.
Hacke und Kelle.
Fünfzehntes Capitel.
Das Gußfest.
Sechzehntes Capitel.
Die Columbiade.
Siebzehntes Capitel.
Eine telegrafische Depesche
Achtzehntes Capitel.
Der Passagier der Atlanta.
Neunzehntes Capitel.
Ein Meeting
Zwanzigstes Capitel.
Angriff und Abwehr.
Einundzwanzigstes Capitel.
Wie ein Franzose eine Sache zur Ausgleichung bringt.
Zweiundzwanzigstes Capitel.
Der neue Bürger der Vereinigten Staaten
Dreiundzwanzigstes Capitel.
Der Projectil-Waggon.
Vierundzwanzigstes Capitel.
Das Teleskop des Felsengebirgs
Fünfundzwanzigstes Capitel.
Letzte Begebnisse
Sechsundzwanzigstes Capitel.
Feuer!
Siebenundzwanzigstes Capitel.
Bedeckter Himmel
Achtundzwanzigstes Capitel.
Ein neues Gestirn
Impressum

Erstes Capitel.

Der Gun-Club

Während des Bundeskriegs der Vereinigten Staaten bildete sich zu Baltimore in Maryland ein neuer Club von großer Bedeutung. Es ist bekannt, wie energisch sich bei diesem Volk von Rhedern, Kaufleuten und Mechanikern der militärische Instinct entwickelte. Einfache Kaufleute brauchten nur in ihrem Comptoir auf- und abzuschreiten, um unversehens Hauptleute, Obristen, Generäle zu werden, ohne die Militärschule zu Westpoint durchzumachen; bald standen sie in der »Kriegskunst« ihren Collegen der Alten Welt nicht nach und verstanden gleich diesen durch Vergeuden von Kugeln, Millionen und Menschen Siege zu gewinnen.

Aber in der Ballistik übertrafen sie die Europäer ganz außerordentlich. Sie fertigten Geschütze nicht allein von höchster Vollkommenheit, sondern auch von ungewöhnlicher Größe, die folglich eine noch unerhörte Tragweite haben mußten. In Beziehung auf rasante und Breche-Schüsse, Schüsse in schiefer, in gerader Richtung oder vom Rücken her – kann man die Engländer, Franzosen, Preußen nichts mehr lehren; aber ihre Kanonen, Haubitzen und Mörser sind nur Sackpistolen gegen die fürchterlichen Maschinen der amerikanischen Artillerie.

Das ist aber nicht zum Verwundern. Die Jankees, die ersten Mechaniker auf der Welt, sind geborene Ingenieure, wie die Italiener Musiker, die Deutschen Metaphysiker. Ganz natürlich, daß sich ihre kühne Genialität in ihrer Geschützkunde zu erkennen gab. Daher jene Riesenkanonen, die zwar weit weniger nützen, als die Nähmaschinen, doch ebenso viel Staunen, und noch mehr Bewunderung erregen. Bekannt sind von solchen Wunderwerken die Parott, Dahlgreen, Rodman. Die Armstrong, Palliser, Treuille de Beaulieu mußten vor ihren überseeischen Rivalen die Segel streichen.

Daher standen denn auch während des fürchterlichen Kampfes der Nord- und Südstaaten die Artilleristen im allerhöchsten Ansehen; die Journale der Union priesen ihre Erfindungen mit Enthusiasmus, und es gab keinen armseligen Krämer, keinen einfältigen Buben, der sich nicht den Kopf zerbrach mit unsinnigen Schußberechnungen.

Wenn aber einem Amerikaner eine Idee im Kopfe steckt, so sucht er sich einen zweiten Amerikaner, um sie zu theilen. Sind ihrer drei, so wählen sie einen Präsidenten und zwei Secretäre; vier, so ernennen sie einen Archivisten, und das Bureau tritt in Wirksamkeit. Bei fünfen berufen sie eine Generalversammlung, und der Club ist fertig. So ging's auch zu Baltimore. Einer erfand eine Kanone, associirte sich mit Einem, der sie goß, und einem Anderen, der sie bohrte. Aus einem solchen Kern erwuchs auch der Gun-Club. Einen Monat nach seiner Bildung zählte er 1833 wirkliche Mitglieder und 30.575 correspondirende.

Unerläßliche Bedingung für jedes Mitglied des Clubs war, daß man eine Kanone, oder mindestens irgend eine Feuerwaffe, erfunden, oder doch verbessert hatte. Aber, offen gesagt, die Erfinder von Revolvern zu fünfzehn Schuß, von Pivot-Karabinern oder Säbelpistolen genossen kein großes Ansehen. Die Artilleristen behaupteten in jeder Hinsicht den ersten Rang.

»Die Achtung, welche sie genießen«, sagte einmal einer der gescheitesten Redner des Gun-Clubs, »steht im Verhältniß zur Masse ihrer Kanonen, und zwar nach directem Maßstab des Quadrats der Distanzen, welche ihre Geschosse erreichen!«

Noch etwas mehr, das Newton'sche Gravitationsgesetz verpflanzte sich in die moralische Welt.

Man kann sich leicht vorstellen, was, nachdem der Gun-Club einmal gegründet war, das erfinderische Genie der Amerikaner in dieser Gattung zu Tage förderte. Die Kriegsmaschinen nahmen einen kolossalen Maßstab an, und die Geschosse flogen weit über die ihnen gesteckten Schranken hinaus, um harmlose Spaziergänger zu zerreißen. Alle diese Erfindungen ließen die schüchternen Werkzeuge der europäischen Artillerie weit hinter sich. Man urtheile aus folgenden Zahlen.

Einst »wenn's gut ging« vermochte ein Sechsunddreißigpfünder in einer Entfernung von dreihundert Fuß sechsunddreißig Pferde von der Seite her zu durchbohren, und dazu achtundsechzig Mann. Die Kunst lag damals noch in der Wiege. Seitdem hat sie Fortschritte gemacht. Die Rodman-Kanone, die eine Kugel von einer halben Tonne sieben (engl.) Meilen weit schleuderte, hätte leicht hundertundfünfzig Pferde und dreihundert Mann niedergeworfen. Es war im Gun-Club gar die Rede davon, eine förmliche Probe damit anzustellen. Aber, ließen sich's auch die Pferde gefallen, das Experiment zu machen, an Menschen fehlte es leider.

Wie dem auch sei, diese Kanonen leisteten Mörderisches, und bei jedem Schuß fielen die Menschen, wie die Aehren unter der Sense. Was wollte neben solchen Geschossen die berühmte Kugel zu Coutras bedeuten, welche im Jahre 1587 fünfundzwanzig Mann kampfunfähig machte, und die andere, welche bei Zorndorf 1758 vierzig Mann tödtete, und 1742 bei Kesselsdorf die österreichische, die bei jedem Schuß siebenzig Feinde niederwarf? Was war dagegen das erstaunliche Geschützfeuer bei Jena und Austerlitz, das die Schlachten entschied? Da gab's während des Bundeskriegs ganz andere Dinge zu schauen! Bei Gettysburg traf ein kegelförmiges Geschoß aus einer gezogenen Kanone dreiundsiebenzig Feinde, und beim Uebergang über den Potomak beförderte eine Rodmankugel zweihundertfünfzehn Südländer in eine ohne Zweifel bessere Welt. So verdient auch ein fürchterlicher Mörser, den J. T. Maston, ein hervorragendes Mitglied und beständiger Secretär des Gun-Clubs, erfand, erwähnt zu werden; seine Wirkung war noch mörderischer, denn beim Probiren tödtete er dreihundertsiebenunddreißig Personen – freilich, beim Zerspringen!

Diese Zahlen sprechen beredt ohne Commentar. Auch wird man ohne Widerrede die folgende, vom Statistiker Pitkairn aufgestellte Berechnung gelten lassen: dividirt man die Anzahl der durch die Kugeln gefallenen Opfer mit der Zahl der Mitglieder des Gun-Clubs, so ergiebt sich, daß auf Rechnung jedes Einzelnen des letzteren durchschnittlich 2375 Mann kommen, nebst einem Bruchtheil.

Nimmt man diese Ziffern in Erwägung, so ist's augenscheinlich, daß das Trachten dieser gelehrten Gesellschaft einzig auf Menschenvertilgung zu philanthropischem Zweck, und auf Vervollkommnung der Kriegswaffen als Civilisationsmittel gerichtet war. Es war ein Verein von Würgengeln, sonst die besten Menschenkinder auf der Welt.

Diese Yankees, muß man weiter anführen, von erprobter Tapferkeit, ließen's nicht beim Reden bewenden, und traten persönlich ein. Man zählte unter ihnen Officiere jedes Grades vom Lieutenant bis zum General, Militärpersonen jedes Alters, Anfänger im Kriegsdienst und bei der Lafette ergraute Männer. Manche fielen auf der Wahlstatt und ihre Namen wurden in's Ehrenbuch des Gun-Clubs eingetragen, und von denen, welche davonkamen, trugen die meisten Beweise ihrer unzweifelhaften Unerschrockenheit an sich. Krücken, hölzerne Beine, gegliederte Arme, Hacken statt der Hände, Kinnbacken von Kautschuk, Schädel von Silber, Nasen von Platina, nichts mangelte in der Sammlung, und der obgedachte Pitkairn berechnete ebenfalls, daß im Gun-Club nicht völlig ein Arm auf vier Personen kam, und nur zwei Beine auf sechs.

Aber diese wackeren Artilleristen machten sich nicht so viel daraus, und sie waren mit Recht stolz darauf, wenn das Bulletin einer Schlacht zehnmal mehr Opfer anführte, als Geschosse waren abgefeuert worden.

Eines Tags jedoch – ein trauriger, bedauerlicher Tag – unterzeichneten die Ueberlebenden den Frieden, der Geschützesdonner hörte allmälig auf, die Mörser verstummten, die Haubitzen wurden für lange Zeit unschädlich gemacht, und die Kanonen kehrten gesenkten Hauptes in die Arsenale zurück, die Kugeln wurden in den Zeughäusern aufgeschichtet, die blutigen Erinnerungen erblichen, die Baumwollstauden sproßten üppig auf den reich gedüngten Feldern, mit den Trauerkleidern wurde auch der Schmerz abgelegt, und der Gun-Club versank in vollständige Unthätigkeit.

– Trostlos! sagte eines Abends der tapfere Tom Hunter, während seine hölzernen Beine am Kamin verkohlten: »Nichts mehr zu thun! nichts mehr zu hoffen! Welch langweiliges Leben! O goldene Zeit, da einst jeden Morgen lustiger Kanonendonner uns weckte!

– Die Zeit ist hin! erwiderte der muntere Bilsby. Das war eine Lust! Man erfand seinen Mörser, und war er gegossen, so probirte man ihn vor'm Feind; dann begab man sich wieder in's Lager mit einer Belobung Sherman's oder einem Handschlag Mac-Clellan's! Aber nun sind die Generale wieder auf ihren Comptoirs und versenden harmlose Baumwollenballen! Ja, wahrhaftig, die Artillerie hat in Amerika keine Zukunft mehr!

– Ja, Bilsby, rief der Obrist Blomsberry aus, das sind grausame Täuschungen! Eines Tags verläßt man seine friedlichen Gewohnheiten, übt sich in den Waffen, zieht aus Baltimore in's Feld, tritt da als Held auf, und zwei, drei Jahre später muß man die Frucht seiner Strapazen wieder verlieren, in leidiger Unthätigkeit einschlafen.

– Und kein Krieg in Aussicht! sagte darauf der berühmte J. T. Maston, und kratzte dabei mit seinem eisernen Haken seinen Guttapercha-Schädel. Kein Wölkchen am Himmel, und zu einer Zeit, da noch so viel in der Artilleriewissenschaft zu thun ist! Da hab' ich diesen Morgen einen Musterriß fertig gebracht, sammt Plan, Durchschnitt und Aufriß, für einen Mörser, der die Kriegsgesetze umzuändern bestimmt ist!

– Wirklich? erwiderte Tom Hunter, und dabei fiel ihm unwillkürlich der letzte Versuch des ehrenwerthen J. T. Maston ein.

– Ja, wirklich, entgegnete dieser. Aber wozu nun so viele Studien, das Ueberwinden so vieler Schwierigkeiten? Ist das nicht verlorene Mühe? Die Bevölkerung der Neuen Welt scheint entschlossen zu sein, nun in Frieden zu leben, und unsere kriegerische Tribüne hat bereits Katastrophen in Folge des Anwachsens der Bevölkerung geweissagt!

– Indessen, Maston, fuhr Obrist Blomsberry fort, in Europa giebt's immer noch Kriege für's Princip der Nationalitäten!

– Nun denn?

– Nun denn! Da könnte man vielleicht einen Versuch machen, und wenn man unsere Dienste annähme?...

– Was meinen Sie? Ballistik zu Gunsten von Ausländern.

– Besser, als gar nichts damit treiben, entgegnete der Obrist.

– Allerdings, sagte J. T. Maston, es wäre wohl besser, aber an so einen Ausweg darf man nicht einmal denken.

– Und weshalb? fragte der Obrist.

– Weil man in der Alten Welt über das Avancement Ideen hat, die unseren amerikanischen Gewohnheiten schnurstracks zuwider laufen. Die Leute dort meinen, man könne nicht commandirender General werden, wenn man nicht zuvor Unterlieutenant gewesen, was auf dasselbe hinausläuft, als man verstehe nicht, eine Kanone zu richten, wenn man sie nicht selbst gegossen hat! Nun ist aber selbstverständlich . . . 

– Lächerlich! erwiderte Tom Hunter, indem er mit einem Bowie-Messer Schnitte in die Arme seines Lehnsessels machte; und weil dem so ist, so bleibt uns nichts übrig, als Tabak zu pflanzen oder Thran zu sieden!

– Wie? rief J. T. Maston mit laut hallender Stimme, wir sollen unsere letzten Lebensjahre nicht auf die Vervollkommnung der Feuerwaffen verwenden! Es sollte sich keine Gelegenheit mehr ergeben, unsere Geschosse zu probiren! Der Blitz von unseren Kanonen sollte nicht mehr die Luft erhellen! Es sollte sich keine internationale Streitfrage ergeben, die Anlaß gäbe, einer überseeischen Macht den Krieg zu erklären! Sollten nicht die Franzosen eins unserer Dampfboote in Grund bohren, und die Engländer sollten nicht mit Verachtung des Völkerrechts etliche unserer Landsleute hängen!

– Nein, Maston, entgegnete der Obrist Blomsberry, dies Glück wird uns nicht werden! Nein! Kein einziger dieser Fälle wird eintreten, und geschähe es, so würden wir ihn nicht benützen! Das amerikanische Selbstgefühl schwindet von Tag zu Tag, und wir werden zu Weibern!

– Ja, wir sinken herab! erwiderte Bilsby.

– Und man drückt uns herab! entgegnete Tom Hunter.

– Dies Alles ist nur allzu wahr, erwiderte J. T. Maston mit erneuter Heftigkeit. Tausend Gründe, sich zu schlagen, lassen sich aus der Luft greifen, und man schlägt sich nicht! Man will Arme und Beine schonen, und das zu Gunsten von Leuten, die nichts damit anzufangen wissen! Und, denken Sie, man braucht einen Grund zum Krieg nicht so weit herzuholen: hat nicht Nord-Amerika einst den Engländern gehört?

– Allerdings, erwiderte Tom Hunter, indem er mit seiner Krücke das Feuer schürte.

– Nun denn! fuhr J. T. Maston fort, warum sollte nicht England einmal an die Reihe kommen, den Amerikanern zu gehören?

– Das wäre nur recht und billig, erwiderte lebhaft der Obrist Blomsberry.

– Machen Sie einmal dem Präsidenten der Vereinigten Staaten den Vorschlag, rief J. T. Maston, und Sie werden sehen, wie er Sie empfangen wird!

– Gewiß wohl schlecht, brummte Bilsby zwischen den Zähnen, die er noch hatte.

– Meiner Treu! rief J. T. Maston, auf meine Stimme hat er nicht mehr zu rechnen!

– Auch auf die unsrigen nicht, erwiderten einstimmig die kriegerischen Invaliden.

– Unterdessen, erwiderte J. T. Maston zum Schluß, giebt man mir nicht Gelegenheit, meinen neuen Mörser auf einem wirklichen Schlachtfeld zu probiren, so trete ich aus dem Gun-Club und vergrabe mich in den Savannen von Arkansas!

– Da gehen wir mit, erwiderten die Genossen des kühnen J. T. Maston.

So standen die Dinge, die Geister erhitzten sich, und der Club war mit naher Auflösung bedroht, als ein unerwartetes Ereigniß dazwischen kam. Tags nach dieser Unterredung erhielt jedes Mitglied der Gesellschaft ein folgendermaßen abgefaßtes Circular:

Baltimore, 3, October.

»Der Präsident des Gun-Clubs beehrt sich seine Collegen zu benachrichtigen, daß er in der Sitzung am 5. d. eine Mittheilung zu machen hat, welche sie lebhaft interessiren wird. Demnach bittet er sie, ungesäumt der im Gegenwärtigen enthaltenen Einladung zu folgen.

Mit herzlichem Gruß

Impey Barbicane, Präsident.«

Zweites Kapitel.

Mittheilung des Präsidenten Barbicane.

Am 5. October um acht Uhr Abends drängte sich eine dichte Menge in den Sälen des Gun-Clubs, 21. Union-square. Alle zu Baltimore einheimischen Mitglieder der Gesellschaft hatten sich auf die Einladung ihres Präsidenten dahin begeben. Die correspondirenden langten mit Expreß zu Hunderten in der Stadt an, und so groß auch die Sitzungshalle war, so konnte die Menge der Gelehrten darin nicht mehr Platz finden; sie strömte über in die anstoßenden Säle, die Gänge bis mitten in die äußeren Höfe, wo sie mit dem gewöhnlichen Volk zusammentraf, das sich an den Eingängen drängte: indem jeder in die vordersten Reihen zu gelangen trachtete, alle voll Begierde, die wichtige Mittheilung des Präsidenten Barbicane zu vernehmen, stieß und schob man sich herum, zerdrückte sich mit jener Freiheit des Handelns, welche den in den Ideen des self-government erzogenen Massen eigenthümlich ist.

An jenem Abend hätte ein zu Baltimore anwesender Fremder um keinen Preis in den großen Saal gelangen können; derselbe war ausschließlich den einheimischen Mitgliedern oder den Correspondenten vorbehalten; kein Anderer konnte darin einen Platz bekommen; und die Notablen der Stadt, die Mitglieder des Rathes der »Auserkohrnen« hatten sich unter die Menge ihrer Untergebenen mengen müssen, um flüchtig zu erhaschen, was drinnen vorging.

Die unermeßlich große Halle bot den Blicken einen merkwürdigen Anblick dar. Das umfassende Local war zum Erstaunen für seine Bestimmung geeignet. Hohe Säulen, aus übereinandergesetzten Kanonen gebildet, auf einer dicken Unterlage von Mörsern, trugen die feinen Verzierungen des Gewölbes, gleich Spitzen aus Guß gefertigt. Vollständige Rüstungen von Stutzern, Donnerbüchsen, Büchsen, Karabinern, alle Feuerwaffen alter und neuer Zeit, waren an den Wänden mit malerischen Verschlingungen gruppirt. Das Gas strömte in vollen Flammen aus tausend Revolvern, die in Form von Lüstern zusammengeordnet waren, während Girandolen von Pistolen und Candelaber, aus Bündeln von Flintenläufen gebildet, die glänzende Beleuchtung vollendeten. – Die Kanonenmodelle, die Probemuster von Bronze, die durchlöcherten Zielscheiben, die von Kugeln des Gun-Clubs zerschossenen Platten, die Auswahl von Setzern und Wischern, die Rosenkränze von Bomben, die Halsbänder von Geschossen, die Guirlanden von Granaten, kurz alle Werkzeuge des Artilleristen überraschten das Auge durch ihre Staunen erregende Anordnung, und erweckten den Gedanken, daß sie in Wahrheit mehr zum Schmuck, als zum Morden bestimmt seien.

Am Ehrenplatze sah man unter einer glänzenden Glasglocke ein zerbrochenes, vom Pulver zerdrehtes Stück von einem Kanonenstoß, kostbares Reststück von der Kanone J. T. Maston.

Am Ende des Saales saß auf einem breiten Sonderplatze der Präsident, umgeben von vier Secretären. Sein Sitz, der sich auf einer mit Schnitzwerk gezierten Lafette befand, war im Ganzen gleich einem starken Mörser von zweiunddreißig Zoll geformt, unter einem Winkel von neunzig Grad aufgeprotzt und an Zapfen befestigt, so daß der Präsident sich auf demselben, wie auf einem Schaukelstuhl (rocking-chair) in angenehmster Weise schaukeln konnte. Auf dem Schreibtisch, einer breiten Platte von Eisenblech auf sechs Karonaden, sah man ein Tintenfaß von besonderem Geschmack, das aus einer kostbar gemeißelten Biskayer Büchse gebildet war, und eine Donnerglocke, die bei Gelegenheit wie ein Revolver knallte. Bei heftigem Streit reichte diese neu erfundene Glocke manchmal kaum hin, die Stimmen dieser Legion von erhitzten Artilleristen zu übertönen.

Vor dem Schreibtisch waren kleine Bänke im Zickzack, gleich den Linien einer Verschanzung, aufgestellt und bildeten eine Reihenfolge von Basteien und Courtinen. Auf diesen saßen die Mitglieder des Gun-Clubs, und diesen Abend konnte man sagen, »es fehlte nicht an Mannschaft auf den Wällen«. Man kannte den Präsidenten gut genug um zu wissen, daß er ohne den gewichtigsten Grund seine Collegen nicht in Bewegung gesetzt hätte.

Impey Barbicane war ein Mann von vierzig Jahren, ruhig, kaltblütig, streng, von außerordentlich ernstem und concentrirtem Geist, pünktlich wie ein Chronometer, von erprobtem Temperament, unerschütterlichem Charakter, wenig ritterlich, doch abenteuerlich, aber voll praktischer Ideen, selbst bei den verwegensten Unternehmungen; – er war in hervorragender Weise der Mann Neu-Englands, der nordische Pflanzer, der Abkömmling jener Rundköpfe, die einst den Stuarts so gefährlich wurden, der unversöhnliche Feind der südlichen Gentlemen, jener vormaligen Junker des Mutterlandes. Mit einem Wort, er war ein Yankee reinsten Wassers durch und durch.

Barbicane hatte sich im Holzhandel ein großes Vermögen erworben; während des Krieges zum Artilleriedirector ernannt, zeigte er sich fruchtbar an Erfindungen, kühn in Ideen, trug viel zu den Fortschritten dieser Waffe bei, und gab den experimentalen Forschungen einen unvergleichlichen Schwung.

Ein Mann von mittlerer Statur hatte er – seltene Ausnahme im Gun-Club – ganz wohl erhaltene Glieder. Seine scharf ausgeprägten Gesichtszüge waren wie mit dem Lineal nach dem Winkelmaße geschnitten, und wenn es wahr ist, daß man, um eines Menschen instinctiven Charakter zu erkennen, ihn im Profil ansehen müsse, so konnte man bei ihm darin die deutlichsten Anzeigen von Energie, Kühnheit und Kaltblütigkeit wahrnehmen.

In diesem Augenblick war er in seinem Lehnstuhl unbeweglich, stumm, in Gedanken versenkt, den Blick nach innen gerichtet, mit einem hochgeformten Hut, – schwarzem Seidencylinder – welcher, scheint es, den amerikanischen Schädeln angeschraubt ist.

Das lärmende Geplauder seiner Collegen um ihn her störte ihn nicht; sie fragten sich einander, schweiften auf dem Feld der Vermuthungen, forschten in den Zügen ihres Präsidenten, und trachteten vergeblich, das X seiner undurchdringlichen Physiognomie heraus zu bekommen.

Als die Uhr des großen Saales mit Donnerschlägen die Stunde verkündete, erhob sich Barbicane plötzlich, als wie von einer Sprungfeder emporgeschnellt. Alles lauschte, und der Redner ließ sich mit etwas emphatischem Ton folgendermaßen vernehmen:

»Tapfere Collegen, schon allzu lange hat ein unfruchtbarer Friede die Mitglieder des Gun-Clubs in bedauerliche Unthätigkeit versetzt. Nach vier so ereignißvollen Jahren mußten wir unsere Arbeiten einstellen und auf dem Wege des Fortschritts plötzlich Halt machen. Ich nehme keinen Anstand, es laut auszusprechen, jeder Krieg, der uns wieder die Waffen in die Hand gäbe, würde willkommen sein...«

– Ja, der Krieg! rief stürmisch J. T. Maston.

– Hört! Hört! vernahm man allerwärts.

»Aber der Krieg, sagte Barbicane, »ist unter gegenwärtigen Umständen unmöglich; und was sich auch der ehrenwerthe College, welcher mich unterbrach, für Hoffnungen machen mag, es wird eine Reihe von Jahren verfließen, ehe unsere Kanonen wieder auf einem Schlachtfeld donnern. Das muß man sich nun gefallen lassen, und in einem andern Ideenkreise Nachahmung für unseren Thätigkeitstrieb suchen.«

Da die Versammlung merkte, daß ihr Präsident nun auf den Hauptpunkt kam, verdoppelte sie ihre Aufmerksamkeit.

»Seit einigen Monaten, wackere Collegen, fuhr Barbicane fort, habe ich darüber nachgedacht, ob wir nicht – doch innerhalb unseres Specialfachs – im Stande wären, eine große, des neunzehnten Jahrhunderts würdige Forschung vorzunehmen, und ob nicht die Fortschritte in der Ballistik uns in den Stand setzten, sie glücklich auszuführen. Zu dem Ende habe ich geforscht, gearbeitet, Berechnungen angestellt, und das Ergebniß meiner Studien war die Ueberzeugung, daß wir bei einer Unternehmung, die in jedem anderen Lande unausführbar sein würde, zu einem glücklichen Ziele gelangen müssen. Ueber dieses reiflich durchdachte Project will ich Ihnen nähere Mittheilung machen; es ist Ihrer würdig, würdig der Vergangenheit des Gun-Clubs, und wird unfehlbar großes Aufsehen in der Welt machen!

– Viel Aufsehen? rief ein leidenschaftlicher Artillerist.

»Sehr viel Aufsehen, im echten Sinne des Worts«, erwiderte Barbicane.

– Nicht unterbrechen! rief es von anderen Seiten.

»Ich bitte Sie also, wackere Collegen, fuhr der Präsident fort, mir Ihre volle Aufmerksamkeit zu schenken.«

Unwillkürliche Bewegung ergriff die Versammlung. Barbicane rückte rasch seinen Hut und drückte ihn fest, dann fuhr er mit ruhiger Stimme fort:

»Es ist keiner unter Ihnen, wackere Collegen, der nicht den Mond gesehen, oder mindestens von ihm sprechen gehört hätte. Wundern Sie sich nicht, daß ich Sie hier über das Gestirn der Nacht unterhalte. Vielleicht ist's uns vorbehalten, für diese unbekannte Welt die Rolle des Columbus zu spielen. Begreifen Sie mich, unterstützen Sie mich mit allen Kräften, so will ich Sie führen, diese Eroberung zu machen, und der Name des Mondes wird sich denen der sechsunddreißig Staaten anreihen, welche den großen Bund dieses Landes bilden.«

– Hurrah dem Mond! rief der Gun-Club wie mit einer Stimme.

»Man hat viel Studien über den Mond gemacht, fuhr Barbicane fort. Seine Masse, Dichtigkeit, sein Gewicht und Umfang, seine Beschaffenheit, Bewegungen, Entfernung, seine Rolle in der Sonnenwelt sind nun genau bekannt; man hat Mondkarten gefertigt, welche an vollkommener Ausführung den Erdkarten wenigstens gleich kommen, wofern sie dieselben nicht übertreffen; die Photographie hat von unserem Trabanten Musterbilder von unvergleichlicher Schönheit geliefert. Kurz, man weiß von dem Mond Alles, was die mathematischen Wissenschaften, Astronomie, Geologie, Optik uns lehren können; aber bis jetzt ist noch nie ein directer Verkehr mit demselben hergestellt worden.«

Bei diesem Satz des Redners gab sich eine heftige Bewegung des Interesses und der Ueberraschung zu erkennen.

»Gestatten Sie mir, fuhr derselbe fort, mit einigen Worten daran zu erinnern, wie einige glühende Geister in phantasievollen Reisebeschreibungen vorgaben, die Geheimnisse unseres Trabanten ergründet zu haben. Im siebenzehnten Jahrhundert rühmte sich ein gewisser David Fabricius, die Bewohner des Mondes mit eigenen Augen gesehen zu haben. Im Jahre 1649 veröffentlichte ein Franzose I. Beaudoin, eine Reise in den Mond, von dem spanischen Abenteurer Dominico Gonzalez unternommen. Zu derselben Zeit ließ Cyrano de Bergerac die berühmte Expedition, welche in Frankreich so viel Erfolg hatte, erscheinen. Später schrieb ein anderer Franzose, Fontenelle mit Namen, über die Mehrheit der Welten ein Hauptwerk; aber die Wissenschaft überbietet in ihrem Fortschritt auch die Meisterwerke! Um's Jahr 1835 erzählte ein aus dem New-York Americain übersetztes Werkchen, Sir J. Herschel, der zum Zweck der astronomischen Studien an's Cap der guten Hoffnung gesendet worden war, habe vermittelst eines vervollkommneten Teleskops den Mond bis auf eine Entfernung von achtzig Yards nahe gebracht. Da habe er ganz deutlich Höhlen beobachtet, worin Flußpferde hausten, grüne mit Goldsaum befranzte Berge, Schöpfe mit Hörnern von Elfenbein, weiße Rehe, Bewohner mit pergamentgleichen Flügeln, wie bei den Fledermäusen. Dieses von einem Amerikaner Namens Locke verfaßte Werkchen hatte großen Erfolg. Bald aber erkannte man darin eine Mystification der Wissenschaft, und die Franzosen lachten zuerst darüber.«

– Ueber einen Amerikaner lachen! rief J. T. Maston, da haben wir ja einen Casus belli . . . 

»Beruhigen Sie sich, mein würdiger Freund. Bevor die Franzosen lachten, haben sie sich von unserem Landsmanne vollständig anführen lassen. Ich füge bei, daß ein gewisser Hans Pfaal aus Rotterdam in einem Ballon, der mit Stickstoffgas gefüllt war, welches fünfunddreißigmal leichter als Wasserstoffgas ist, in neunzehn Tagen bis zum Mond gelangte. Diese Reise war, gleich der vorausgehenden, nur eine Phantasie-Unternehmung, aber sie hatte einen populären amerikanischen Schriftsteller, der ein Genie von seltenem Tiefsinn war, Poë, zum Verfasser.«

– Hurrah dem Edgar Poë! rief die Versammlung voll Begeisterung.

»So viel, fuhr Barbicane fort, von den Versuchen, die als lediglich wissenschaftlich durchaus ungenügend sind, um ernstlich Verbindungen mit dem Gestirn der Nacht einzurichten. Doch muß ich hinzufügen, daß einige praktische Geister den Versuch machten, sich wirklich mit ihm in Verbindung zu setzen. Vor einigen Jahren machte ein deutscher Geometer den Vorschlag, eine Commission von Gelehrten in die Steppen Sibiriens zu schicken. Dort solle man auf ungeheuer ausgedehnten Ebenen unermeßliche geometrische Figuren mit Hilfe beleuchteter Metallspiegel entwerfen, unter anderen das Quadrat der Hypothenuse, das die Franzosen gewöhnlich »Eselsbrücke« nennen. »Jedes intelligente Wesen«, sagt der Geometer, »muß die wissenschaftliche Bedeutung dieser Figur begreifen. Wenn es nun Mondbewohner giebt, so werden sie mit einer ähnlichen Figur antworten, und ist einmal die Verbindung eingerichtet, so ist's keine schwere Sache, ein Alphabet zu schaffen, welches in Stand setzt, sich mit den Bewohnern des Mondes zu unterhalten.« So lautet der Vorschlag des deutschen Geometers, aber er kam nicht zur Ausführung, und bis jetzt ist noch keine directe Verbindung zwischen der Erde und ihrem Trabanten eingerichtet. Aber es ist dem praktischen Genie der Amerikaner vorbehalten, die Verbindung mit der Sternenwelt in's Leben zu rufen. Das Mittel dafür ist einfach, leicht, sicher, unfehlbar; mein Vorschlag wird's Ihnen auseinandersetzen.«

Lautes Beifallgeschrei, ein Sturm von Zurufen erfolgte. Es war auch nicht ein Einziger unter den Anwesenden, der nicht von den Worten des Redners bewältigt, hingerissen wurde.

– Hört! Hört! Stille doch! rief man auf allen Seiten.

Als es wieder ruhig geworden, fuhr Barbicane mit ernsterer Stimme fort:

»Sie wissen, welche Fortschritte die Ballistik seit einigen Jahren gemacht hat, und zu welch hohem Grade der Vollkommenheit diese Waffen gelangt wären, wenn der Krieg fortgedauert hätte. Ebenso ist's Ihnen im Allgemeinen nicht unbekannt, daß die Widerstandskraft der Kanonen und die Treibkraft des Pulvers ohne Grenzen sind. Nun! von diesem Grundgedanken ausgehend, habe ich mir die Frage gestellt, ob es nicht, vermittelst hinreichender Vorrichtung innerhalb bestimmter Widerstandsbedingungen, möglich wäre, ein Geschoß bis zum Mond zu entsenden!«

Bei diesen Worten entfuhr ein staunendes »Oh!« aus beklommener Brust von Tausenden; dann nach einer kleinen Pause, gleich der Stille, welche dem Donner vorausgeht, entlud sich ein gewitterartiger Beifallssturm von Schreien und Rufen, daß der Sitzungssaal davon erbebte. Der Präsident versuchte zu sprechen; vergebens. Erst nach zehn Minuten konnte er zum Wort kommen.

»Lassen Sie mich ausreden, fuhr er kalt fort. Ich habe die Frage unter allen Gesichtspunkten betrachtet, habe sie entschlossen angefaßt, und aus meinen unbestreitbaren Berechnungen ergiebt sich, daß jedes Geschoß, das mit einer anfänglichen Geschwindigkeit von zwölftausend Yards in der Secunde in der Richtung nach dem Mond hin abgeschleudert wird, nothwendig dort anlangen muß. Ich habe daher die Ehre, meine wackeren Collegen, Ihnen dieses kleine Experiment vorzuschlagen!«

Drittes Capitel.

Welchen Eindruck Barbicane's Mittheilung machte.

Der Eindruck, welchen diese letzten Worte des ehrenwerthen Präsidenten machten, läßt sich nicht beschreiben. Das war ein Schreien! ein Grunzen! ein Rufen mit Hurrah! Hip! Hip! Hip! und allen den Naturlauten, woran die amerikanische Sprache so reich ist; es war ein Getümmel, ein Lärmen ohne Gleichen! Die Kehlen schrieen, die Hände klatschten, die Füße stampften den Boden. Kein Wunder das: es giebt Kanoniere, die im Lärmen mit ihren Kanonen wetteifern.

Barbicane bewahrte mitten in diesem Enthusiasmus seine Kaltblütigkeit; seine Handbewegungen forderten vergebens zur Stille auf, die donnernden Töne seiner Glocke wurden nicht gehört. Man riß ihn von seinem Präsidentenstuhl und trug ihn im Triumph umher.

Ein Amerikaner läßt sich nicht in Bestürzung versetzen. Für den Begriff »unmöglich« findet sich in seinem Wörterbuch kein Ausdruck. In Amerika ist Alles leicht, einfach, die mechanischen Schwierigkeiten sind wie todtgeboren. Ein wahrer Yankee war nicht im Stande, nur einen Schein von Schwierigkeit zwischen Barbicane's Vorschlag und seiner Ausführung zu erkennen. Gesagt, gethan.

Der Triumphzug des Präsidenten dauerte den ganzen Abend! es war ein echter Fackelzug. Irländer, Franzosen, Schotten, alle die gemischten Nationalitäten, woraus die Bevölkerung Marylands besteht, schrieen in ihrer Muttersprache, und es mischten sich die Vivat! Hurrah! und Bravo! in einem Schwung, der über alle Beschreibung geht.

Luna, als begriffe sie, daß es sich um sie handle, strahlte in heiterer Pracht, die irdischen Feuer verdunkelnd. Alle Yankees richteten die Blicke nach ihrer glänzenden Scheibe; die Einen grüßten sie mit der Hand, die Anderen mit zärtlichen Worten; diese maßen sie mit den Augen, Andere drohten mit der Faust: ein Optiker hatte bis Mitternacht nur Augengläser zu verkaufen. Frau Luna wurde wie eine Dame der hochvornehmen Welt lorgnettirt, und das mit einer Rücksichtslosigkeit, wie sie amerikanischen Gutsbesitzern eigen ist. Gerade als gehöre die blonde Phöbe bereits ihren kühnen Eroberern an als Gebietstheil der Union. Und doch handelte sich's erst darum, ein Geschoß zu ihr zu schleudern: eine ziemlich brutale Art Verbindungen anzuknüpfen, selbst gegenüber einem Trabanten; doch ist sie unter den civilisirten Nationen sehr in Gebrauch.

Es war Mitternacht, und der Enthusiasmus war auf seinem Höhepunkt, verbreitete sich gleichmäßig unter allen Klassen der Bevölkerung: die Stadtbehörden, Gelehrten, Großhändler und Kaufleute, Lastträger, verständige Leute und Gelbschnäbel, fühlten sich bis in die zartesten Fasern des Daseins aufgeregt; es handelte sich um eine Nationalunternehmung; so waren denn auch die Ober- und Unterstadt, die Quais an den Ufern des Patapsco, die Fahrzeuge in ihren Bassins dicht voll gedrängt von einer Menge im Rausch der Freude, des Gin und Whisky; jeder plauderte, schwatzte, disputirte, discutirte, billigte, klatschte, von dem Gentleman, der auf dem Kanapee der Schenkstube vor seinem Schoppen Sherry-Cobbler flegelhaft hingestreckt lag, bis zu dem Bootsmann, der in den dunkeln Kneipen von Fells-Point sich mit »Knock me down« betrank.

Gegen zwei Uhr legte sich die Aufregung. Nun gelang es dem Präsidenten heim zu kommen, wie ein geräderter Mann. Es gehörte eine Herkulesnatur dazu, solch einen Enthusiasmus zu bestehen. Die Menge auf den Straßen verlief sich allmälig. Die vier Eisenbahnen, welche in Baltimore zusammentreffen, nach dem Ohio, Susquehanna, Philadelphia und Washington, führten das auswärtige Publicum nach den vier Weltgegenden zurück, und die Stadt kam wieder in einen verhältnißmäßig ruhigeren Zustand.