Von Wintergöttern und Eisdrachen - S.P. Pepper - E-Book

Von Wintergöttern und Eisdrachen E-Book

S.P. Pepper

0,0
0,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Niemand wusste, ob die Winterelfen den Schnee brachten oder ob es sich umgekehrt verhielt. Man wusste nur, dass die bleichen Geschöpfe stets in jener Nacht auftauchten, in der die ersten Flocken fielen.

Der Winter ist geheimnisvoll. Wage dich hinaus in die Kälte und entschlüssel das Mysterium dieser magischen Jahreszeit. Triff mit dem Dieb Cel auf die Winterelfen, die seit Jahren seine Stadt aufsuchen und eine Spur von Toten hinterlassen. Kämpfe mit Riane, die unschuldig als Hexe verschrien wird, ums Überleben und begegne dem mächtigen Eisdrachen. Begleite Xeral bei der wichtigsten Zeremonie seines Lebens: Er soll vom Wintergott seine Gabe erhalten – eine Prozedur, die für nahezu jeden tödlich endet.

Werden die drei Helden ihrem Schicksal trotzen? Finde es heraus und tauche ein in geheimnisvolle Winterwelten.

* * *

Umfang: Drei Fantasy-Kurzgeschichten (insgesamt etwa 12.500 Wörter)
Subgenre: Schwert und Magie

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis

DANKESCHÖN UND MEHR LESESTOFF VON MIR

ÜBER MICH

IMPRESSUM

1. Auflage (Februar 2018) Alle Rechte vorbehalten Covergestaltung durch S.P. Pepper unter Verwendung von Stockdaten von – https://de.pexels.com/ – yyang von https://123rf.com/ Verwendete Schriftarten auf Cover: Contra und Scriptina Verwendete Grafiken im Innenteil mit der Schriftart Faux Snow erstellthttps://sppepper.de

Für alle, die wissen, wie Schneeflocken schmecken.

VERGESSEN

Es war der erste Winter seit Calla gestorben war. Acht lange Monate ohne sie und Cel fühlte sich so unvollständig, als sei es gestern geschehen. Sie waren immer zusammen gewesen, zusammen auf die Welt gekommen. Sie hätten sie gemeinsam verlassen sollen. Doch er war geblieben. Allein. Und machte irgendwie weiter. Warum, begriff er selbst nicht. Vermutlich, weil sein Vater ihm ein Leben lang eingeschärft hatte, dass Aufgeben keine Option war.

Cel verließ die knisternde Wärme des Kamins, zog seinen dicksten Mantel an und trat vor die Tür. Eigentlich hatte er nichts zu erledigen, aber permanent im Haus zu bleiben, trieb ihn in den Wahnsinn.

Die Kälte war schneidend und weiße Flocken schwebten vom grauen Abendhimmel hinab – die ersten in diesem Winter. Endlich. Cels Lippen verzogen sich zu einem freudlosen Lächeln. Heute Nacht würden die Winterelfen kommen. Seit Tagen erwartete er ihre Ankunft, während alle anderen hofften, dass ihre Stadt verschont blieb. Eine unsinnige Hoffnung, die immer unerfüllt geblieben war. Niemand wusste, ob die Winterelfen den Schnee brachten oder ob es sich umgekehrt verhielt. Man wusste nur, dass die bleichen Geschöpfe stets in jener Nacht auftauchten, in der die ersten Flocken fielen.

In diesem Moment hasteten zwei schwer beladene Männer an Cel vorbei. Sie schafften ihre letzten Besorgungen nach Hause. Lebensmittel, Feuerholz und was man sonst benötigte, um die Zeit auszuharren, bis die Winterelfen fort waren. Mal waren es nur ein paar Tage, mal einige Wochen. Es spielte keine Rolle. Es gab schließlich nichts, wofür es sich hinauszugehen lohnte. Zumindest nicht für gewöhnliche Bürger. Märkte und Tavernen waren geschlossen, ebenso sämtliche öffentlichen Einrichtungen. Die Stadt gehörte den Winterelfen. Anmutig und schweigend schritten sie durch die Straßen und zogen die Kälte einem Schleier gleich hinter sich her. Sie vereisten Fassaden und zurückgelassene Marktkarren, ließen einige der Menschen, die sich ins Freie wagten, erfrieren.

Für Leute wie Cel war es die perfekte Zeit. Keine Wächter, die einem in die Quere kamen. Niemand, der einem bei der Flucht durch die Stadt folgte. Solange man ausreichend Abstand zu den Winterelfen wahrte, war alles gut.

Gemächlich schritt Cel den harten Sandweg entlang, über dem sich eine dünne weiße Schicht gebildet hatte. Weitere Menschen passierten ihn hektisch. Sie hatten Angst. Um sich. Um ihre Lieben. Eines der Gefühle, das Cel nur aus früheren Zeiten kannte. Callas Tod hatte vieles verändert. Vielleicht wäre es anders, wenn seine Eltern noch lebten. Doch seine Mutter war bereits im Wochenbett verstorben und sein Vater mehr Lehrer als Vater gewesen und etwa zweieinhalb Jahre vor Calla umgekommen. Weitere enge Kontakte hatte Cel nicht. Wer seinen Lebensunterhalt als Dieb verdiente, blieb besser für sich – denn je näher man jemanden an sich heranließ, desto weniger konnte man sich vor ihm verstellen. Auch eine Lektion seines Vaters. Eine von Hunderten.

Das Licht schwand zunehmend und Cel machte sich auf den Rückweg, da es noch zu früh war, um seinen Auftrag anzugehen. Er passierte Häuser, deren Fensterläden verriegelt waren, sah einen Bettler, der in einem Stall Schutz suchte. Alle brachten sich in Sicherheit. Dabei wusste niemand, was hier eigentlich vor sich ging. Menschen starben in der Kälte der Winterelfen zu Dutzenden, aber Tiere erwischte es deutlich seltener. Hunde traf es gelegentlich und auch andere Nutztiere, aber keine Wildtiere. Außerdem starb nicht jeder Mensch, denn manch ein Bettler lebte schon seit Jahrzehnten auf der Straße, ohne dass ihm etwas geschah.

Zurück im leeren Haus ließ Cel die Fensterläden unverschlossen, weil die Winterelfen seines Wissens nach nicht in Gebäude eindrangen. Er setzte sich vor den Kamin und warf einen weiteren Holzscheit in die Flammen, erinnerte sich daran, wie er einst mit Calla hier gesessen hatte. Sie hatten sich oft Geschichten ausgedacht. Von Trollen, Kobolden und all den fantastischen Geschöpfen, die nicht mehr existierten. Einer hatte begonnen, der andere weitererzählt, und so ging es immer hin und her. Ganze Abende hatten sie so verbracht. Als sie noch jünger gewesen waren, hatten sie auch gelegentlich darüber gesprochen, welchen Beruf sie später ergreifen würden. Doch jene Gespräche waren mit den Jahren verschwunden, da sie nie etwas anderes sein würden, als Diebe und Kräuterzüchter, was sie offiziell taten.

Und nun war Cel hier, ohne Calla, und starrte in das Rot der Flammen. Wieder erklang ihre Stimme in seinen Ohren, ersann lachend eine Geschichte über einen Drachen, der Schätze in einem See versenkte. »Warum tut er das?«, fragte Cel und seine Mundwinkel zogen sich nach oben. ›Keine Ahnung.‹ Calla grinste. ›Denk dir was aus, Bruderherz. Du bist an der Reihe.‹

Cel musste eingeschlafen sein, denn das Feuer war heruntergebrannt und Kälte und Finsternis ins Haus gekrochen. Er rieb sich die Augen, streckte sich und bewegte sich zielstrebig durch das dunkle Zimmer. Schnell schlüpfte er in schwarze Kleidung, die eigentlich viel zu dünn war, ihn aber nicht in der Bewegung einschränkte, befestigte eine Tasche mit Werkzeugen am Gürtel, setzte seinen Rucksack auf und trat abermals ins Freie. Dieses Mal durch die Hintertür, die in den Kräutergarten führte, wo selbst jetzt ein paar hartnäckige Gewächse dem Wetter trotzten.

Es schneite nicht mehr und bleiches Mondlicht ergoss sich über die Szenerie. Cel hielt Ausschau nach den Winterelfen. Als er sie nirgends ausmachen konnte, kletterte er an der Fassade des Nachbarhauses empor. Der Weg in der Höhe war zwar umständlicher, lohnte sich aber aus zweierlei Gründen: Zum einen neigten die meisten Menschen nicht dazu, nach oben zu schauen und zum anderen hatte er noch nie eine Winterelfe klettern sehen.

Neun Dächer später hatte er sie entdeckt. Gebannt drückte er sich auf die kalten Ziegel und beobachtete die sonderbaren Gestalten, die ihn ihrerseits nicht bemerkt hatten. Das Weiß ihrer Kleider und Haare war so strahlend als würde es leuchten. Ein Erscheinungsbild, das nicht wirklich zu den vielen Toten passte, die sie jedes Mal hinterließen. Cel zählte zwölf Winterelfen. Im Jahr davor waren es noch vierzehn gewesen. Die anderen Bewohner werteten es sicher als gutes Zeichen, aber soweit Cel das beurteilen konnte, bedeutete die geringere Anzahl nichts. Schon einmal hatte es ein paar Jahre hintereinander ständig weniger von ihnen gegeben, bis sie eines Winters in dreifacher Menge erschienen waren. Damals vor langer Zeit, als er gemeinsam mit Calla auf einem Dach ausgeharrt hatte. Als er sie mehrfach hatte zurückhalten müssen, weil sie – wie immer – viel zu schnell hatte weiterlaufen wollen, nachdem die unmittelbare Gefahr vorüber gewesen war. Calla und ihre Ungeduld. Ein schwaches Lächeln stahl sich auf seine Lippen.

Da wandte sich eine Winterelfe um und blickte genau in seine Richtung. Konnte sie ihn sehen? Cel wusste es nicht und verhielt sich ganz ruhig, wagte es nicht einmal, zu atmen. Die Winterelfe stand unverändert da, als starrte sie ihn an. Ihr hüftlanges Haar flatterte. Dabei war es vollkommen windstill. Endlich drehte sie sich um und folgte den Ihren. Cel blieb auf dem Dach, bis sie außer Sicht waren und anschließend noch eine Weile, in der er den blassen Vollmond betrachtete. Je größer der Abstand zu den Winterelfen war, umso besser.

Langsam erhob er sich, rieb seine steifen Glieder und schlich weiter.

Auf dem letzten Dach vergewisserte er sich dreimal, dass nirgendwo Winterelfen lauerten, ehe er hinabkletterte. Noch bevor er den Boden erreicht hatte, kam schlagartig frostiger Wind auf und er vernahm eine Stimme hinter sich, die wie klirrendes Eis klang: »Was machst du da?«

Cel fuhr zusammen. Da er nicht mehr zurückkonnte, rutschte er den Rest hinunter und wirbelte herum.

Direkt vor ihm stand eine Winterelfe und musterte ihn mit schräg gelegtem Kopf. Ihre langen weißen Haare umwehten sie. Wo kam die so plötzlich her?

Cel überschlug seine Optionen. Eine Flucht konnte er vergessen, dafür war die Winterelfe zu nah. Er hatte gehört, dass eine Berührung von ihr reichte, um ihn zu töten. Zwar wusste er nicht, ob das stimmte, aber er hegte auch nicht das Bedürfnis, es zu überprüfen. Er würde sie irgendwie abwimmeln müssen.

»Ich habe dich etwas gefragt«, erinnerte sie ihn mit schneidender Stimme.

Cel musste schlucken, bevor er seine Sprache wiederfand. »Ich bin über die Dächer geklettert.«

»Das habe ich gesehen.«

Zum ersten Mal schaute Cel in ihr Gesicht. Ihre Haut war weiß wie der Schnee, lediglich der blassrosa Mund und die grauen Augen bildeten Kontraste. Ein freudloser Mund und leere Augen, wie ihm auffiel.

»Und warum hast du das getan?«, fragte sie gereizt. »Warum hast du dich nicht in deinem Haus verkrochen, so wie alle anderen?«

»Ich habe etwas zu erledigen«, begann er unverbindlich. Doch als sie ärgerlich schnaubte, gab er sich einen Ruck. »Ich soll etwas stehlen. Aus dem Theater.« Die Winterelfe informierte schließlich nicht die Stadtwache.

»Stehlen …«, wiederholte sie in einem Tonfall, der nahezu menschlich klang. Ihr Blick richtete sich in die Ferne, als würde sie einer Erinnerung nachhängen.

Ob sie ausreichend abgelenkt war, damit Cel sich aus dem Staub machen konnte? Er war unschlüssig.

Einen Wimpernschlag später war die Gelegenheit verstrichen. Die Winterelfe fixierte ihn erneut. »Ich werde dich begleiten.«

Wie bitte? Cel schluckte die Antwort herunter. Es war sicherlich nicht die beste Idee, dieses Wesen gegen sich aufzubringen. »Gut«, sagte er gedehnt. Vielleicht ergab sich unterwegs eine Möglichkeit, die unerwünschte Gesellschaft loszuwerden. Dann fiel ihm ein, dass er ihr sein Ziel bereits genannt hatte, und hätte sich am liebsten selbst geohrfeigt. Dumm, einfach nur dumm … »Versuch, nicht allzu sehr aufzufallen«, wies er sie an und huschte in die Schatten der nächsten Gasse. Er fühlte sich unwohl, ihr den Rücken zuzukehren. Bloß was konnte er tun? Er musste wohl darauf vertrauen, dass sie ihn nicht tötete. Zumindest nicht sofort.

Der eisige Wind jagte ihm hinterher. Cel wollte sich nicht umdrehen, tat es nach ein paar Schritten aber dennoch. Ihre helle Gestalt hob sich deutlich von der Dunkelheit ab. So viel zur Unauffälligkeit. Wenigstens war er selbst nahezu unsichtbar. Ihm war lieber, wenn man ihn nicht mit der Winterelfe in Verbindung brachte, sofern er diese Nacht überlebte.

Schweigend näherten sie sich dem Theater und Cels Gedanken kreisten nur um eines: Warum wollte die Winterelfe ihn begleiten? Ihresgleichen töteten. Sie gingen nicht mit Menschen spazieren. Oder war das ihre übliche Vorgehensweise? Zunächst ein kleiner Ausflug und sobald sich der Mensch in Sicherheit wog, machten sie kurzen Prozess mit ihm? Was wusste er denn schon? Ein flackerndes Gefühl breitete sich in Cels Magen aus und sein Herz pochte heftig gegen die Brust. Angst, erkannte er. Zum ersten Mal seit Callas Tod.

Dann hatten sie ihr Ziel erreicht. Prunkvoll überragte das Theater jedes andere Gebäude, die weiße Fassade war hell wie das Geschöpf an Cels Seite. Er wartete in den Schatten und beobachtete die Straßen und sämtliche Fenster. »Warum begleitest du mich?«, fragte er, ohne die Winterelfe anzusehen.

Nur der kalte Wind, der von ihr ausging, wisperte.

»Willst du mich töten?«

Einen Moment war es still. »Ja«, kam schließlich die klirrende Antwort.

Cel ignorierte den irrsinnigen Impuls, loszurennen. Fixierte die Häuserfassaden, suchte eine Möglichkeit, sich zu helfen. Denk nach, zwang er sich. Es musste einen Weg geben, zu entkommen.

»Und nein«, fuhr die Winterelfe so plötzlich fort, dass Cel zusammenzuckte.

Nun sah er sie doch an.

Sie erwiderte seinen Blick nicht, wirkte nachdenklich. »Etwas in mir hat mich zu dir geführt. Etwas, das deinen Tod will.« Ruckartig wandte sie sich ihm zu und in diesem Moment war Leben in ihren Augen. »Aber ein anderer Teil von mir will das nicht.«

Cel wusste nicht, was er mit der Information anfangen sollte. »Wenn du mich umbringst, mach es nur schnell«, hörte er sich sagen.

»Das tun wir immer.«

Irgendwie beruhigten ihn diese Worte. Dennoch suchte er weiter nach einem Ausweg.

»Wonach hältst du Ausschau?«, fragte die Winterelfe.

»Ob jemand uns beobachtet.« Das zumindest hätte er getan, wenn er allein hier gewesen wäre.

»Du lügst.«

Wie konnte sie das wissen? Er war ein guter Lügner – das war bei seinem Beruf überlebenswichtig.

Als hätte er die Frage ausgesprochen, gab sie ihm eine Erklärung: »Du sprichst eine Spur schneller als sonst.«

Das hatte ihm Calla auch schon gesagt, aber die kannte ihn besser als er sich selbst. Andere hatten ihn nie beim Lügen erwischt. Nicht einmal sein Vater, denn der hätte es ihm bestimmt unter die Nase gerieben.

»Geh weiter«, verlangte sie ungeduldig. Ein Verhalten, mit dem ihn Calla oft in Schwierigkeiten gebracht hatte.

Eine seltsame Ahnung durchzuckte Cels Gedanken und er musterte das Gesicht der Winterelfe erneut, doch was er zu finden gehofft hatte, existierte nicht: Zwischen seiner Schwester und diesem Geschöpf bestand keinerlei Ähnlichkeit. Wie hatte er das nur glauben können?

Energisch wies sie mit dem Kopf zum Theater. »Uns beobachtet niemand, das würde ich spüren.«

Seufzend trat Cel aus der Deckung und huschte zum Seiteneingang des Gebäudes. Er holte mit zitternden Händen einen Dietrich aus dem Gürtel, zwang sich zur Ruhe und machte sich am Schloss zu schaffen. Es dauerte nur unwesentlich länger als sonst. Trotz der beunruhigenden Gesellschaft, die ihm auf die Finger stierte.

Lautlos schlüpften sie ins Innere, wo es eigentlich stockfinster sein sollte. Die Winterelfe strahlte wie eine Kerze. Zum Glück mussten sie für den Auftrag in den Keller. Doch es gab einige Türen, die sie auf dem Weg dorthin passierten und wenn die offen standen, war das Leuchten bestimmt auch von draußen zu sehen. Cel bezweifelte, dass sich die Winterelfe überreden ließ, hier auf ihn zu warten. Immerhin könnte er sich dann aus dem Staub machen und würde das schleunigst tun.

Die Miene der Winterelfe verfinsterte sich. »Warum siehst du mich so an?«, fauchte sie.

Instinktiv wich Cel zurück. »Kannst du das irgendwie … unterdrücken?«

»Was unterdrücken?«

»Das Leuchten.«

Sie runzelte die Stirn.

»Es ist nicht gerade unauffällig. Die Leute könnten nervös werden, wenn sie es sehen. Immerhin betretet ihr normalerweise keine Häuser.« Er wollte sich lieber nicht vorstellen, in was für eine Panik die Stadtbewohner verfielen, sobald ihre letzte Zuflucht fiel.

»Wir können keine bewohnten Häuser betreten, unbewohnte durchaus.« Sie klang ein klein wenig friedlicher. Oder Cel gewöhnte sich an ihren Tonfall.

»Wie auch immer. Kannst du es?«

Sie wirkte konzentriert, strahlte aber unverändert. »Ich denke nicht.«

Wäre wohl zu einfach gewesen, dachte er resigniert. »Bleib ein paar Schritte hinter mir«, wies er sie an. Falls eine der Türen offen stand, konnte er sie hoffentlich schließen, ehe jemand das verräterische Glimmen entdeckte.

Wieder schlichen sie schweigend weiter, wieder wurde Cel vom kalten Wind der Winterelfe umhüllt. Auf der Treppe zum Kellergeschoss wandte Cel sich um: »Warum begleitest du mich?«, versuchte er es ein zweites Mal.

Ein seltsamer Ausdruck lag in ihren Augen, aber sie schwieg. Nach einer Weile sprach sie schließlich doch: »Was sollst du stehlen?«

Cels Lippen verzogen sich zu einem spöttischen Lächeln. »Meine Frage beantwortest du nicht und ich soll deine beantworten?« Als sie darauf nicht reagierte, zuckte er mit den Schultern und ging weiter. »Du wirst es ja sowieso gleich sehen. Ein Kunde will, dass wir eine Requisite stehlen. Einen schwarzen Mantel. Die Schauspielerin, die ihn trug, spielte eine junge Frau, die bei einer Zeremonie von einem Gott getötet wurde. Mein Kunde ist ganz vernarrt in sie. Er verlangt jedes Jahr Requisiten, die sie getragen hat.« Unten angekommen, hielt Cel inne. Normalerweise hätte er jetzt seine Laterne aus dem Rucksack geholt und entzündet, aber er hatte ja bereits eine Lichtquelle bei sich. Und im Keller konnte er ohnehin nicht einfach abhauen. Es gab nämlich nur diesen einen Ausgang. Also schritt er auf den erstbesten Raum zu, um sich dort umzusehen.

»Wenn du ständig etwas stiehlst, warum werden die Sachen nicht besser bewacht?«, fragte die Winterelfe.

»Ich schätze, sie haben es noch nicht gemerkt.« Cel stieß die Tür auf, betrachtete die Kleidungsstücke, die ordentlich und sauber an den Ständern hingen, und wandte sich dem nächsten Raum zu. »Mein Kunde verlangt nur Dinge von Stücken, die nicht mehr gespielt werden. Das Werk mit der getöteten Frau wurde zuletzt vor sieben Monaten aufgeführt. Der Mantel dürfte daher etwas eingestaubt sein.« Er wunderte sich, wie normal er sich inzwischen mit der Winterelfe unterhielt.

Im nächsten Raum sah es deutlich vielversprechender aus. Eine Staubschicht bedeckte den Boden und schmutzige Spinnweben hingen von der Decke. Bevor Cel den ersten Fuß hineinsetzte, suchten seine Augen sämtliche Kleiderständer ab. Je weniger Spuren er hinterließ, desto weniger musste er anschließend verwischen. Kurz darauf hatte er etwas entdeckt, das verdächtig nach dem Mantel aussah. »Warte hier«, sagte er und trat mit ausholenden Schritten in den Raum. Das Stück Stoff entpuppte sich tatsächlich als die gesuchte Requisite. Das war ja einfach, dachte er, ehe er sich besann, wer hinter ihm im Türrahmen stand.

Er blickte über die Schulter zu seiner gefährlichen Begleitung. »Ich habe ihn gefunden.« Die Stimme kratzte an seiner Kehle. »Lohnt es sich überhaupt, ihn mitzunehmen?«

Sie zögerte. Wieder einmal. »Nimm ihn mit«, sagte sie letztlich.

Das war kein Ja, dachte Cel, während er sich den Mantel unter den Arm klemmte und die anderen Kleidungsstücke derart verschob, dass sie die neu entstandene Lücke verbargen. Er ging rückwärts von Fußspur zu Fußspur und verwischte diese anschließend mit einem Tuch. Dann befand er sich im Flur, so nah an der Winterelfe, dass ihm die eisige Kälte schmerzhaft in die Glieder fuhr. Hastig wich er zurück und presste den gestohlenen Mantel wie einen Schutzschild vor die Brust.

Es war die Winterelfe, die die Tür verschloss. Sie betrachtete die Klinke, als sei sie etwas Besonderes.

Wortlos machte Cel sich auf den Rückweg. Seiner Einschätzung nach würde sich seine Begleitung bald auf ihn stürzen. Immerhin hatte sie alles gesehen, was es zu sehen gab. Jede Stufe, die Cel erklomm, könnte die letzte sein. Wenigstens muss ich dann Calla nicht mehr vermissen.

Schließlich hatte er das obere Ende der Treppe erreicht. Lebendig. Ob sie wartete, bis sie im Freien waren? Damit die Menschen nicht um ihre Zufluchtsstätten bangen mussten? Unsinn, dachte er. Winterelfen kennen keine Gnade, das wissen selbst Kinder. Und dennoch wollte er glauben, dass es anders war.

Und so schritt er im Licht seiner Begleitung den Flur entlang. Der Tür ins Freie entgegen, die im Dunkeln verborgen lag. Der Tür, von der er überzeugt war, dass sie die letzte war, die er durchschritt. Die Finsternis zog sich zurück, Holzrahmen und Klinke zeichneten sich ab, zunächst schemenhaft, dann klar umrissen.

Cel zögerte, drehte sich um. »Wirst du mich töten, wenn wir draußen sind?«

Sie erwiderte seinen Blick, ein trauriger Zug lag auf ihrem Antlitz. Ihre Augen wirkten verändert und Cel wusste instinktiv, dass es etwas zu bedeuten hatte. Nur was es war, konnte er nicht benennen. Noch nicht.

»Werden die anderen Winterelfen mich töten?«, fragte er, um Zeit zu schinden.

»Die anderen haben nichts von deinem Tod.«

»Aber du hättest etwas davon?«

Sie schwieg, was Cel als Bestätigung auffasste. »Und was?«, flüsterte er, obwohl er wusste, dass sie ihm nicht antworten würde.

»Geh weiter«, verlangte sie.

In diesem Moment begriff Cel, was seine Aufmerksamkeit geweckt hatte: Er kannte diese Augen, auch wenn das Gesicht ein fremdes war. »Calla«, murmelte er. »Du bist es wirklich.« Er ging auf sie zu, der schneidenden Kälte entgegen.

Hastig trat sie zurück. Sie schien etwas sagen zu wollen, presste die Lippen aber aufeinander.

»Wie kommst du hierher?«, fragte er dann. »Ich meine, du bist gestorben.« Er war dabei gewesen, als es geschehen war, hatte Tag und Nacht an ihrem Bett gewacht, bis sie am Ende den Kampf gegen die Krankheit verloren hatte. Cel schüttelte die Erinnerungen ab. »Und wieso siehst du so anders aus?«

»Ja, ich bin gestorben«, flüsterte sie, wie um es sich begreiflich zu machen. »Bis vor ein paar Augenblicken konnte ich mich an kaum etwas erinnern. Es gab nur vage Schatten und undeutliches Geflüster. Und nun habe ich ein ganzes Leben.« Sie verzog den Mund. »Ich hatte ein Leben.«

Sie klang so verzweifelt, dass er die Hand nach ihr ausstreckte, doch die entsetzliche Kälte ließ ihn innehalten. »Was passiert, wenn ich dich berühre?«

»Das überlebst du nicht.«

Cel ließ die Hand sinken. Es wurde still zwischen ihnen, trotz all der Fragen, die in Cel tobten. Er wollte Calla nicht bedrängen.

Mit hängenden Schultern stand sie da, schien in ihren Gedanken gefangen. »Nach meinem Tod bin ich hiergeblieben«, begann sie irgendwann. »Ich konnte nichts berühren und niemand hat mich gesehen oder gehört. Ich erzähl dir lieber nicht, auf welch verrückte Arten ich damals versucht habe, deine Aufmerksamkeit zu erregen.« Über ihr Gesicht huschte ein Grinsen, das ihn an die lebensfrohe Calla von einst erinnerte. »Irgendwann habe ich es aufgegeben. Ich bin umhergewandert, wusste nicht, was ich tun sollte. Und mit jedem Tag, der verging, wurde die Welt fremder. Feindlicher.« Sie wirkte unsicher, ob sie ihm mehr berichten sollte.

»Wie meinst du das?«, fragte Cel alarmiert.

Ein Schatten legte sich auf ihr Gesicht. »Es wurde dunkler. Kälter. Die Luft schien fester zu werden, sodass ich mich immer schwerer bewegen konnte. Am schlimmsten war die Einsamkeit.« Sie fröstelte. »Und die Schmerzen.«

Cels Herz zog sich zusammen. Er wollte nicht, dass Calla litt. Wenn er ihr nur irgendwie helfen könnte. Aber er konnte sie ja nicht einmal berühren, ohne ihr Schicksal zu teilen.

»Ich fand andere wie mich. Manche waren schon seit Jahren in diesem Zustand. Sie erzählten mir, dass die Welt sich so veränderte, weil wir hier nicht hingehörten. Weil wir in eine neue Welt übertreten sollten, aber wir konnten nicht. Wir waren hier gefangen.« Sie bedachte ihn mit einem langen Blick, ehe sie fortfuhr: »Einmal im Jahr, wenn der erste Schnee fällt, erwacht eine alte Magie. Sie gibt unseren Geistern eine neue Gestalt und betäubt unsere Erinnerungen für eine Weile. Sie soll uns helfen, diese Welt zu verlassen.«

»Und wie soll das gehen?«, fragte Cel.

Calla schüttelte den Kopf. »Bei mir hat es nicht funktioniert. Meine Erinnerungen kehrten zurück, als ich dich dabei beobachtet habe, wie du mit dem Mantel die Kammer verlassen hast. Genauso hast du ausgesehen, als du dich mit dem Hexenhut davongemacht hast.« Ein kurzes Lächeln blitzte auf. »Und du? Wie geht es dir, Bruderherz?«

»Ich vermisse dich.« Das war noch untertrieben. Er würde seine Seele dafür geben, sie zurückzuholen.

»Ich weiß. Trotzdem musst du mich vergessen.« Sie öffnete die Tür und bedeutete ihm, ins Freie zu gehen. »Leb dein Leben, Cel.«

Nur wie? Besonders mit dem Wissen, wie miserabel es Calla ging. Langsam trat Cel über die Schwelle. Schneeflocken wehten ihm ins Gesicht und schmolzen auf seiner Haut.

Plötzlich stand Calla neben ihm. »Nun geh schon. Ich werde dir nichts tun.«

»Und was machst du jetzt?«

»Wieder zu den anderen gehen und ein bisschen Schrecken verbreiten. Und dann … Ich weiß es nicht, aber irgendwann geht alles zu Ende.«

Sie hatte Angst. Das hörte Cel deutlich, auch wenn sie sich Mühe gab, es zu überspielen. Doch es gab nichts, was er für sie tun konnte.

Sie nickte ihm zum Abschied zu und machte sich auf den Weg.

Er sah ihr nach, wie sich ihre leuchtende Gestalt entfernte. »Calla?«, rief er.

Sie wandte sich um.

»Warum wolltest du meinen Tod?«

Sie entgegnete nichts, aber auf einmal fügten sich die Bausteine zusammen. ›Ich bin hier gefangen‹, hatte sie gesagt und ›Du musst mich vergessen‹.

»Ich bin es, der dich am Gehen hindert, nicht wahr?«, fragte Cel leise. »Weil ich mir jeden Tag wünsche, dass du noch hier wärst.

---ENDE DER LESEPROBE---